The Project Gutenberg EBook of Die ungleichen Schalen, by Jakob Wassermann This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Die ungleichen Schalen Fünf einaktige Dramen Author: Jakob Wassermann Release Date: November 27, 2006 [EBook #19940] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE UNGLEICHEN SCHALEN *** Produced by Markus Brenner, Marina Lukas and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Die ungleichen Schalen Fünf einaktige Dramen von Jakob Wassermann S. Fischer, Verlag, Berlin 1912 Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnen und Vereinen gegenüber Manuskript. Das Recht der Aufführung ist allein durch S. Fischer, Verlag, Berlin W., Bülowstr. 90 zu erwerben. Copyright 1912 S. Fischer, Verlag, Berlin. Inhalt Rasumowsky 9 Gentz und Fanny Elßler 59 Der Turm von Frommetsfelden 107 Lord Hamiltons Bekehrung 171 Hockenjos 237 Rasumowsky Personen: Graf Alexei Grigorjewitsch Rasumowsky Rodion, sein Diener Michael Jefimowitsch Lassunsky, Kapitänleutnant der Leibgarden Fedor Alexandrowitsch Chidrowo, Rittmeister der Garde-Kavallerie Graf Grigorij Orlow Spielt in Petersburg im Jahre 1763. Ein altertümlich ausgestatteter großer Raum im Hause des Grafen Rasumowsky. An der Rückwand links ein großer Kamin, in welchem ein Holzfeuer brennt. Über dem Kamin das Porträt der Kaiserin Elisabeth Petrowna. Rechts ein erkerartiger Vorbau mit Fenstern gegen die Straße. In der rechten Seitenwand Türe in die übrigen Gemächer, in der linken der Ausgang zum Flur. Rittmeister _Fedor Chidrowo,_ ein junger Mann von 23 Jahren, geht aufgeregt umher. Nach kurzer Weile tritt Kapitänleutnant _Michael Lassunsky_ ein, von _Rodion_ geführt, einem alten Kleinrussen. _Lassunsky_ (etwa im gleichen Alter wie Chidrowo) Sag meinem Oheim, daß ich ihn dringend sprechen muß. _Rodion_ Eure Erlaucht werden gebeten zu warten. Seine gräfliche Gnaden ist noch bei der Morgenandacht. _Lassunsky_ Sag dem Grafen – _Rodion_ Es ist der strenge Befehl Seiner gräflichen Gnaden, ihn nicht bei der Morgenandacht zu stören. _Lassunsky_ Kerl, die Wichtigkeit – _Rodion_ Hab strengen Befehl von Seiner gräflichen Gnaden – _Lassunsky_ Scher dich zum Henker. (Rodion wirft Scheite in den Kamin, dann ab.) Du hier, Fedor Alexandrowitsch? _Chidrowo_ Grüß dich, Michael Jefimowitsch. Mußt dich gedulden, warte ebenfalls schon lang. _Lassunsky_ Orlow ist auf dem Weg hierher. _Chidrowo_ (bestürzt) Das kann nicht sein. _Lassunsky_ Orlow ist auf dem Weg hierher. _Chidrowo_ Ist das eine Vermutung? _Lassunsky_ Eine Gewißheit; wenigstens beinahe. _Chidrowo_ Beinahe ist keine Gewißheit. Aber du bist so erregt ... _Lassunsky_ Hab Grund dazu. Der Großkanzler Woronzow ist an der Kasan-Kathedrale überfallen worden. _Chidrowo_ Bei Gottes Güte, was sagst du da! _Lassunsky_ Erwartet Alexei Grigorjewitsch nicht den Großkanzler? _Chidrowo_ Ja, Graf Woronzow hat mich geschickt, damit ich seine Ankunft melde. Aber – _Lassunsky_ Ich und Anenkow ritten als Eskorte hinter dem Wagen des Großkanzlers. Eine Horde betrunkener Soldaten drängt sich zwischen uns und die Karosse, und auf einmal sind wir abgeschnitten. Wir sehen nur noch, daß der Kanzler gezwungen wird, auszusteigen, dann haben sie ihn in ein Haus geschleppt. _Chidrowo_ Und ihr habt nicht dreingehaut? _Lassunsky_ Zwei gegen fünfzig? _Chidrowo_ Das ist ja Aufruhr, Michael Jefimowitsch. _Lassunsky_ Anenkow ist in den Palast zurückgeeilt, ich hierher. _Chidrowo_ Und du glaubst –? _Lassunsky_ Ich glaube, daß Orlow hier sein wird, eh dort die Uhrzeiger gestreckt stehen. _Chidrowo_ Das sollte Orlow wagen? _Lassunsky_ Orlow wagt alles. (Zur Türe, ruft hinaus.) Rodion! _Rodion_ (kommt) Erlaucht befehlen? _Lassunsky_ Ihr seid nicht an Besuch gewöhnt, Alter? _Rodion_ Nein, Erlaucht, wir leben sehr zurückgezogen. _Lassunsky_ Nun wohl, ihr werdet binnen kurzem Besuch erhalten, noch dazu sehr unwillkommenen. Sperr die Tore zu. _Chidrowo_ Sperr die Tore zu, Alter. _Lassunsky_ Ja, sperr die beiden Tore zu, das nach der Gasse und das nach dem Garten. _Rodion_ Ist Gefahr für Seine gräfliche Gnaden? _Chidrowo_ Schwatz nicht, Alter, tu, was man dir befiehlt. (Rodion ab.) _Lassunsky_ (wirft sich in einen Sessel) Ich bin hin. _Chidrowo_ (ungestüm auf und ab gehend) Wie glaubst du, daß Alexei Grigorjewitsch die Nachricht aufnehmen wird? _Lassunsky_ Kann mich nicht erinnern, ihn je sonderlich erstaunt gesehen zu haben. _Chidrowo_ Das ist böse. _Lassunsky_ Bah! wer viel staunt, handelt wenig. _Chidrowo_ So viel sag ich dir: wenn die Kaiserin den Orlow heiratet, nehm ich meinen Abschied. _Lassunsky_ Nach Sibirien. _Chidrowo_ Einem Orlow huldigen? Eher nach Sibirien. _Lassunsky_ Was können wir dagegen tun? _Chidrowo_ Die Fürstin Chilkow hat geweint, als sie davon erfuhr. _Lassunsky_ Die flennt, wenn man einem Huhn den Hals abdreht. Als Rakitin mit ihrem Wissen ihren Mann erschlug, hat sie keine Träne vergossen. (Man hört Waffenlärm von der Straße.) Horch –! (Beide lauschen.) _Chidrowo_ (nähert sich dem Erker) Nein – nichts. (Stellt sich vor Lassunsky; ungestüm.) Michael Jefimowitsch! Wir sollten hingehen und die Kaiserin bitten, es nicht zu tun. Haben wir ihr nicht auf den Thron geholfen? Wir alle? Wir sind bereit, für sie zu sterben, nur das, das eine, das nicht! Sie kann sich unsern Gründen nicht verschließen. _Lassunsky_ Sie wird aus deinen Gründen einen Strick für den Henker drehen. _Chidrowo_ Herrgott, Michael Jefimowitsch, sie ist doch eine kluge Frau! _Lassunsky_ Sie ist verliebt. _Chidrowo_ Was ist denn an einem Orlow zu lieben? _Lassunsky_ Was wir an ihm hassen. _Chidrowo_ Sein Ehrgeiz macht ihn verrückt. _Lassunsky_ Er ist schön, und stark wie ein Bär. _Chidrowo_ Er hat keine Erziehung. _Lassunsky_ Umso weniger ist er gehemmt. _Chidrowo_ (leise durch die Zähne) Ich sage dir: er wird sie ermorden, so wie er den Zaren ermordet hat. _Lassunsky_ Dummkopf! Er war nur die Hand. Katharina ist tausendmal schlauer als er. O, das ist ein Weib, mein Lieber, die steckt uns alle in den Sack. _Chidrowo_ Wo ist da die Schlauheit? Die Mariage ist projektiert. Es muß ein Mittel gefunden werden, sie davon abzubringen. _Lassunsky_ Du bist Soldat und mußt schweigen. _Chidrowo_ Schweigen kostet Herzblut. _Lassunsky_ Ich meinerseits will nicht Politik treiben, da hast du’s. _Chidrowo_ Aber die Zähne knirschen? Das ist auch eine Art von Politik und eine schlechte. Wie stumpf du bist! _Lassunsky_ Stumpf? _Chidrowo_ Oder du weißt mehr als du sagen willst. _Lassunsky_ Wohl möglich. Vielleicht wirst du heute noch alles erfahren. _Chidrowo_ Wie ist’s? warum wollte der Großkanzler mit Rasumowsky verhandeln? _Lassunsky_ Ist dir nicht bekannt, daß Alexei Grigorjewitsch heimlich vermählt war mit der verstorbenen Kaiserin Elisabeth Petrowna? _Chidrowo_ Dies ist mir wohl bekannt, allein – wie hängt das zusammen? _Lassunsky_ (sieht sich um) Schweig, schweig. _Chidrowo_ Im Hause Rasumowskys sind die Wände taub. _Lassunsky_ Nicht um die Wände handelt sich’s. (Steht auf.) Aber er! Er! Dieser furchtlose Mann! Der furchtloseste, der in Rußland lebt. Wie ich ihn verehre, Fedor Alexandrowitsch! Wüßtest du wie ich ... In wunderbarer Verschwiegenheit ist er der Geliebte einer Kaiserin gewesen. Niemals hat ihn eine Miene, nie ein Lächeln verraten. Nie hat er Schacher getrieben mit seinem Glück. Nie war er ungerecht. Und jetzt (schmerzlich) jetzt soll er sich ausliefern. Weil ein Orlow mit der Vergangenheit dieses gerechten Mannes seine Zukunft gründen will! _Chidrowo_ Ausliefern? Ich verstehe dich nicht, Michael Jefimowitsch. Kein Wort verstehe ich von allem was du sagst. _Lassunsky_ (kummervoll) Und er wird Grigorij Orlow empfangen. Er wird ihn einlassen, ich weiß es. _Chidrowo_ Du meinst, weil er sich nicht getrauen wird, den ersten Günstling der Krone von seiner Türe zu weisen? _Lassunsky_ Nicht deshalb, Fedor Alexandrowitsch, nicht deshalb. Sondern eben, weil er so gerecht ist. Und wenn Orlow vor ihm steht, dieser Sturmwind, dieser Leopard, kannst du ermessen, was dann geschieht? Mich jammert’s, Fedor Alexandrowitsch, und ich fühle mich machtlos. Die Dinge geschehen, und wir sind machtlos. _Chidrowo_ Du schwaches russisches Herz! So will ich dir sagen: Rasumowsky wird Grigorij Orlow nicht empfangen. _Lassunsky_ (aufmerksam) Schon vorhin hast du angedeutet, daß Orlow es nicht wagen würde ... Da steckt was dahinter. _Chidrowo_ Weißt du nicht, was sich am Ostertag auf der Morskaja zugetragen hat? _Lassunsky_ Kein Sterbenswort. _Chidrowo_ Wahrlich, in unserm Leben sind die Geschehnisse wie Träume ... (Faßt sich an die Stirn.) So kurz die Zeit, so weit entrückt. (Besinnt sich.) So war’s ... _Lassunsky_ Erzähle, Fedor Alexandrowitsch ... mir ist jetzt selbst als hätten sie in der Wachtstube davon berichtet. Zuviel drängt sich in einen Tag. _Chidrowo_ So war’s ... (Mit Gesten, als ob er auf einen Plan wiese.) Da ist die Morskaja. Da ist die Gasse von den Kasernen. Da ist eine enge Gasse zum Newski-Prospekt. Orlow hatte die Regimenter Astrachan und Ingermanland zum Gehorsam gezwungen. Mit seinen zwanzig oder dreißig Getreuesten stürmt er zum Winterpalast, um es der Kaiserin zu melden. Rast auf seinem Gaul an der Spitze der Schar mitten durch die Stadt. Die Funken spritzen, das Pflaster dröhnt. So gelangen sie auf die Morskaja. Da spielen zwei Kinder auf der Straße, schöne, blonde Kinderchen, ein Mädchen und ein Knabe, sitzen friedlich da und spielen. Denken offenbar, die Reiter werden ausweichen, denn die Straße ist ja breit, und so staunen sie dem Schauspiel entgegen und freuen sich. Orlow aber sprengt mittenwegs auf sie zu, als könnt er nicht, wollt er nicht aus der Bahn, zu spät rufen Leute aus den Fenstern, strecken die Arme, zu spät erkennen die Kleinen die Gefahr und starren, gütige Unschuld, wie wenn ihr Schutzpatron sie geblendet hätte. Orlow fletscht die Zähne, spornt noch das Roß, starrt gerade vor sich hin, als sähe er nichts, Weiber kreischen, Männer stürzen aus den Häusern ... alles umsonst, die beiden Mäuschen sind unter den Hufen verschwunden, eh’ man’s denkt, zerrissen, zertreten, und man schaut nur noch blutige Klumpen. _Lassunsky_ O Menschheit! _Chidrowo_ Im selben Augenblick kommt Alexei Rasumowsky aus der engen Gasse, wohin die Reiter wollen, und vor der sie sich stauen wie Wasser vor einem Wehr. Rasumowsky blickt hin über die Luft, blickt hin auf die blutige Erde und ruft: Graf Orlow! Orlow reißt den Zügel und hält. Die hinter ihm sind, vom tollen Ritt noch, mit ihren Gäulen dicht an ihn gedrängt. Ganz stille wird’s auf einmal. Graf Orlow! ruft Alexei Grigorjewitsch und hebt den Arm, die gemordeten Seelchen werden sich um deine Füße klammern, wenn du vor Gottes Thron gehst. Mit nichten wirst du schreiten können, mit nichten. _Lassunsky_ Und Orlow? hat er geantwortet? _Chidrowo_ Nun geschah das Sonderbare. Orlow zieht den Dolch, beugt sich vor, schließt wie im Krampf die Augen und stößt seinem Pferd von oben her den Stahl mitten in die Brust. Während das Tier zusammenbricht, springt er ab, geht an Rasumowsky vorüber, grüßt ihn schweigend und setzt schweigend und bleich seinen Weg zu Fuß fort. _Lassunsky_ Rätselhaft. _Chidrowo_ So hat mir’s der Hauptmann Woropanow erzählt, der an Orlows Seite ritt. _Lassunsky_ Was war der Zweck solcher Tat? _Chidrowo_ Sicherlich trägt er glühenden Haß gegen Alexei Grigorjewitsch. _Lassunsky_ Das dünkt mich unwahrscheinlich. _Chidrowo_ Wie ... unwahrscheinlich –? _Lassunsky_ Es sieht wie Demut und Buße aus, was er getan. _Chidrowo_ Hohn ist’s, sag ich dir, Hohn und Bosheit. Seine Blutgier wollte noch ein Opfer haben. _Lassunsky_ Warum sollt es nicht Scham und Reue gewesen sein? _Chidrowo_ Willst du Orlow verteidigen? Schönfärben den wüsten Mord? _Lassunsky_ Fast könnt ich Mitleid haben mit ihm. _Chidrowo_ So seid ihr alle, lammsherzig und matt. _Lassunsky_ Acht’ auf deine Worte. _Chidrowo_ Acht’ du auf deine Freiheit, auf deine Männlichkeit! _Lassunsky_ Stünden wir nicht hier, Fedor Alexandrowitsch – _Chidrowo_ (wild) Hier oder anderswo. Wer gut von Orlow redet, spricht schlecht von mir. (Graf Alexei Rasumowsky tritt langsam von rechts ein. Er ist mit einem langen, schwarzen Sammetgewand bekleidet und hat eine goldne Kette um den Hals. In der Hand trägt er die Kasansche Bibel. Er erscheint zunächst häßlich mit seinem eingefallenen, alten, mißtrauisch finstern Gesicht, an dem die Backenknochen stark hervortreten und die schneeweißen Brauen wie dicke Wülste hängen, indes der Kinnbart schütter und zottig ist. Aber sein Wesen hat eine bewundernswerte Würde, und wenn er, um zu schauen, die Lider hebt, was nicht häufig geschieht, ist sein Blick strahlend rein und von seltsamer, kindlicher Wehmut. Die beiden Offiziere wenden sich von einander und begrüßen ihn mit schweigender tiefer Verbeugung.) _Rasumowsky_ Streit in meinem Hause? (Langes Schweigen.) Was ist geschehen, Rittmeister Chidrowo, daß Ihre Augen so funkeln? _Chidrowo_ (finster) Üble Neuigkeiten, Erlaucht. _Rasumowsky_ Nichts Schlimmeres in der Welt als Neuigkeiten. Weshalb sind Sie hier, zu so früher Stunde? _Chidrowo_ Ich sollte den Großkanzler Woronzow anmelden. _Lassunsky_ Graf Woronzow ist auf der Fahrt hierher von Soldaten überfallen worden. _Rasumowsky_ Hat Rußland keinen Zaren mehr? _Chidrowo_ Es hat eine Zarin. _Rasumowsky_ Gott schenke ihr Weisheit. (Kopfschüttelnd.) Woronzow auf dem Weg zu mir ... Was hat das zu bedeuten? _Lassunsky_ Die Zarin hat den Kanzler wegen der neuen Mariage zu Euer Erlaucht geschickt. _Rasumowsky_ Wegen der neuen Mariage? Bin ich ein Pope? _Lassunsky_ Der Kanzler sollte eine geheime Erkundigung einziehen. _Rasumowsky_ (läßt sich auf dem Armsessel vor dem Kamin nieder und legt die Bibel auf seinen Schoß) Das gehört auch zu den Neuigkeiten der Welt, daß mit lauter Geheimnissen regiert wird. _Lassunsky_ Die Sache verhält sich so, Erlaucht: Da ganz Petersburg gegen die projektierte Heirat der Zarin mit Orlow gestimmt ist, so hat man endlich ein Mittel gefunden, um die Geister zu beschwichtigen, man hat auf die Ehe Euer Erlaucht mit der verstorbenen Kaiserin Elisabeth Petrowna hingewiesen. _Rasumowsky_ Wie? So weit hätte man sich vermessen? Und wem ist dieser schamlose Gedanke gekommen? _Lassunsky_ Offenbar stammt er von den Brüdern Orlow. Was ihr für unmöglich haltet, sagten sie, ist ja schon einmal geschehen, ohne daß die Welt eingestürzt ist. Graf Rasumowsky ist ja da, gehen wir hin zu ihm. _Chidrowo_ Die Narren! _Rasumowsky_ Und was sagte die Kaiserin dazu? _Lassunsky_ Die Kaiserin soll gesagt haben: von dieser Ehe weiß die Welt nichts, aber wenn ihr mir den schriftlichen Beweis erbringt, daß zwischen dem Grafen Rasumowsky und der hochseligen Zarin eine Heirat wirklich stattgefunden hat, will ich mich fügen. _Chidrowo_ Das hat die Kaiserin gesagt? _Lassunsky_ Doch als die Orlows sich anheischig machten, zu Euer Erlaucht zu gehen, wollte die Kaiserin plötzlich nichts davon wissen. Sie gebot, daß Graf Woronzow den Auftrag übernehmen sollte, vielleicht weil sie den Ungestüm der Brüder Orlow fürchtete, vielleicht, weil sie in Wirklichkeit gar nicht wünscht, was sie zu wünschen scheint. Heut um die achte Stunde befahl der Kanzler seinen Wagen, und vor der Kasan-Kathedrale geschah es dann – _Chidrowo_ (am Fenster, mit ausgestreckter Hand) Da sind Orlows Leute! (Stimmen und Waffenlärm vor dem Haus.) _Rasumowsky_ (steht auf) Und du vermutest, daß der Überfall vom Grafen Orlow angestiftet worden ist? (Schaut gegen den Erker.) _Lassunsky_ Ja, Erlaucht. _Rasumowsky_ So wäre es augenscheinlich, daß Orlow dem Befehl der Kaiserin zuwidergehandelt hat –? (Man hört heftiges Klopfen am Tor.) _Chidrowo_ Sie begehren Einlaß. _Rasumowsky_ (erstaunt) Einlaß begehren sie? Das Tor ist offen. War’s denn nicht auch für euch geöffnet? _Lassunsky_ (zögernd) Ich habe die Tore schließen lassen. _Rasumowsky_ Die Tore _meines_ Hauses? _Chidrowo_ Ich denke, Erlaucht, man kann nicht mehr daran zweifeln, daß Orlow den Kanzler überfallen ließ, um ihn dingfest zu machen. _Rasumowsky_ Die Tore _meines_ Hauses? (Lassunsky senkt schweigend den Kopf.) Soll Orlow glauben, daß ich vor ihm zittere? _Chidrowo_ Wie, Erlaucht, Sie wollen Orlow empfangen? (Erneutes Pochen von unten.) _Rasumowsky_ Geh, Michael Jefimowitsch, und sag, daß das Tor aufgesperrt werde. _Lassunsky_ (flehend) Erlaucht – _Rasumowsky_ Klang es doppelzüngig, was ich gesagt? _Lassunsky_ (geht schweigend ab –) _Chidrowo_ (verschränkt die Arme; vor sich hin) Verloren, Mütterchen Rußland, verloren ... _Rasumowsky_ Eure Großmäuligkeit, was ist sie nutze? Ist euer Nein Vernunft, euer Ja Überlegung? Ich will sehen. Sehen und hören will ich, dazu gab mir Gott Augen und Ohren. Und wenn ich gesehen und gehört habe, dann will ich wägen, dazu hat mir Gott die Erfahrung eines langen Lebens zuteil werden lassen. _Lassunsky_ (kommt zurück) Major Nischinski ist es, man hat ihn vorausgesandt, um Euer Erlaucht den Grafen Orlow zu melden. _Rasumowsky_ Ich bin bereit. _Chidrowo_ (noch leiser als oben) Verloren, Mütterchen Rußland, verloren ... _Lassunsky_ Ich sagte ihm, daß ich die Meldung übernehmen will. _Rasumowsky_ (wie mit sich selber redend) In ein Antlitz zu schauen, das heißt, Entschlüsse vom Schicksal selbst empfangen. Läufst du hinauf die steile Bahn, Orlow, ohne daß dein Herz klopft, so will ich prüfen, was für ein Ruf dich ereilt, was dich zaudern macht, was dich feurig macht, was dich grausam macht, was dich weckt. (Ekstatisch bewegt.) Nicht richten will ich, nur Werkzeug eines Richters sein und handeln – wie ich muß. (Mit der früheren Stimme.) Michael Jefimowitsch! _Lassunsky_ (der das Gesicht abgewandt und die eine Hand über die Augen gelegt hatte) Erlaucht –? _Rasumowsky_ Wie geht es meiner Nichte Sofia? _Lassunsky_ Wir erwarten täglich ihre Niederkunft, Erlaucht. _Rasumowsky_ Bete für einen Knaben. Gott schenk uns Helden. (Man hört Schritte, Stimmengesurr, Säbelklirren.) _Rodion_ (reißt die Türe auf, feierlich) Der General-Adjutant Kammerherr Graf Orlow. _Orlow_ (tritt säbel- und sporenklirrend ein. Er trägt die Uniform der Preobraschenskyschen Leibwachen. Seine Gestalt ist äußerst schlank, sein Gesicht kalt, bleich, hochmütig und etwas verwüstet. Die Züge verraten eine kaum zu bändigende Leidenschaftlichkeit. Er weiß um seine Schönheit, ist eitel darauf und verachtet sie zugleich. Seine Hände sind fein und lang. Er verbeugt sich tief vor Rasumowsky, die beiden Offiziere scheint er zu übersehen.) Ich komme hoffentlich nicht zu ungelegener Stunde, Graf Alexei? _Chidrowo_ (kaum hörbar) Verloren, Mütterchen Rußland, verloren ... _Rasumowsky_ Michael Jefimowitsch, du wirst die Güte haben, drüben im gelben Zimmer zu warten. _Lassunsky_ Wir wollen keinesfalls stören. _Rasumowsky_ Auch Sie, Fedor Alexandrowitsch, mögen warten, wenn es Ihnen gefällig ist. _Chidrowo_ Wenn es erlaubt ist, will ich warten. (Ab mit Lassunsky nach rechts.) _Rasumowsky_ Nehmen Sie Platz, Graf Orlow. (Er setzt sich, legt die Bibel aus der Hand.) _Orlow_ (setzt sich gleichfalls) Daß ich nicht mit einer langen Vorrede lästig falle, Erlaucht: Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat sich Ihre Majestät, die Kaiserin, entschlossen zu heiraten. _Rasumowsky_ (bedächtig) Wieder zu heiraten. _Orlow_ Zar Peter ist tot. _Rasumowsky_ Doch war er gekrönter und gesalbter Zar von Rußland. _Orlow_ Ihm folgte von Gottes Gnaden Katharina. _Rasumowsky_ Ich unterwerfe mich demütig ihrem mächtigen Willen. _Orlow_ Ihre erhabene Majestät hat ihr Herz an einen Unwürdigen verschenkt, den sie aus dem Staub zu sich auf den Thron erheben will. Dieser Unwürdige befindet sich vor Ihnen, Erlaucht. _Rasumowsky_ Und schaudert Ihnen nicht vor solcher Erhebung, Graf Orlow? Daß Sie mit Worten der Bescheidenheit davon sprechen, steht Ihnen wohl an. Ich hatte es nicht erwartet. _Orlow_ Daß ich endlich einen Mann finde, dem ich mein volles und bedrücktes Gemüt eröffnen kann! (Emphatisch.) Warum hat uns das Geschick nicht früher einander näher kommen lassen! _Rasumowsky_ Mein Los ist Einsamkeit seit langem, Graf Orlow. Fast kenne ich die Welt nicht mehr, und fremd ist mir geworden, was sich außerhalb dieser Schwelle begibt. _Orlow_ So dacht ich mir’s, Erlaucht, und nur mit frommen Empfindungen bin ich genaht. _Rasumowsky_ Unheilig war stets, was mir von draußen kam, das ist wahr. Doch liebe ich die Jugend, wenn schon vieles mir unbegreiflich an ihr ist. _Orlow_ (geschmeidig und beredt) Wie Sie leicht ermessen können, Erlaucht, begegnet die edle Absicht der Kaiserin dem Widerstand aller Großen des Reichs. Man beneidet mich, man legt mir Fallstricke, man zettelt Verschwörungen an, ja man schreckt nicht vor offenbaren Beleidigungen zurück, denen mein Gleichmut unmöglich gewachsen ist. _Rasumowsky_ Ja, ja, ja. Es ist geblieben, wie es immer war. _Orlow_ Ich habe mich beherrschen gelernt, Erlaucht. Mein Vater hat mich in Demut und Gehorsam erzogen. Niemals, in meinen verwegensten Träumen nicht, konnte ich ahnen, daß der Blick meiner gnädigen Herrscherin auf mich fallen würde. Wer kann es mir verargen, Erlaucht, daß mein ganzes Blut sich in Hingebung für diese Frau entflammte, daß ich bereit bin, meine Seligkeit für sie zu opfern, daß mir nichts mühevoll, nichts unerreichbar mehr erscheint, seitdem sie mich erwählt hat? _Rasumowsky_ Wohl kann ich dies verstehen, Graf Orlow. _Orlow_ (schwärmerisch) O, ich wußte es, Erlaucht, ich wußte es. Dank, allen Dank meines armen Herzens. _Rasumowsky_ Ein Herz wie das Ihre ist nicht arm, Graf Orlow. _Orlow_ Doch scheint mir’s so in Ihrer Nähe. Aber hören Sie weiter, Erlaucht. Vor wenigen Tagen wurde die Zarin, deren Geist in quälender Unschlüssigkeit irgend einen Weg suchte, von einem ruchlosen Ratgeber auf Ihre Ehe – _Rasumowsky_ (unterbricht hastig) Ich weiß, ich weiß ... _Orlow_ Sie wissen, Erlaucht? Ich atme auf. Dies mindert die Schwierigkeit meiner Sendung. _Rasumowsky_ Ich bin erstaunt, daß Ihre Majestät ein solches Mittel nötig zu haben glaubt. Jede Handlung ist gerechtfertigt, die sie gutheißt. _Orlow_ Ganz meine Meinung, Erlaucht. Aber Katharina ist gewissenhaft und dankbar, zwei Eigenschaften, die den Fürsten das Regieren erschweren. _Rasumowsky_ Und Ihre Mission ist also – _Orlow_ Der Plan war, den Großkanzler zu schicken – _Rasumowsky_ (nickt) Auch dies ist mir bekannt. _Orlow_ Ich wollte es um jeden Preis verhindern, selbst auf die Gefahr, ungehorsam gegen meine Wohltäterin zu sein. Der Kanzler Woronzow ist ein vortrefflicher Diener, aber er ist nur ein Diener. Seine Rauheit, sein mürrisches Wesen, seine Unfähigkeit, zarte Dinge zart zu packen, hätte Sie unbedingt verletzt, Graf Alexei. Ich begriff das Ungeheuerliche des Auftrags wie die Delikatesse, mit der er behandelt werden mußte, vom ersten Augenblick an. Ich habe tief mit Ihnen gefühlt, Erlaucht, ich fürchtete die Dazwischenkunft des Kanzlers, und – ich habe ihn gefangen setzen lassen. _Rasumowsky_ Was Sie getan haben, ist höchst tadelnswert, Graf Orlow, doch kann ich dem Edelmut, der Sie antrieb, meine Bewunderung und meinen Dank nicht versagen. _Orlow_ Und so bin ich gekommen – (zaudert.) _Rasumowsky_ Gekommen –? _Orlow_ (leise, als schäme er sich) Sie um die Dokumente Ihrer Ehe mit der Zarin Elisabeth Petrowna zu bitten. _Rasumowsky_ Mein Erstaunen wächst, Graf Orlow. Wie kann man mit einer Tatsache rechnen, mit der die Öffentlichkeit niemals behelligt worden ist, die niemals zugegeben worden ist und die daher niemals Gegenstand weder einer politischen, noch einer privaten Aktion werden kann? _Orlow_ Ich ehre diese Entrüstung, Erlaucht, und finde sie gerecht. Aber es gibt Dinge, die so lange verschwiegen werden bis jedes Kind um sie weiß. _Rasumowsky_ Wahrlich, was Sie da sagen, betrübt mich aufs äußerste, Graf Orlow. Mir ist, als sei ich bestohlen worden. Mir ist, als hätte man meine Brust durchwühlt, um ihr das Teuerste zu rauben, und als riefe man mir zu: du bewahrst es umsonst, denn die Hunde beschnüffeln es schon wie ein Aas. _Orlow_ Schwer wird es mir, Ihnen zu widersprechen, Erlaucht. _Rasumowsky_ Und wenn ich nun antworten würde: eine Ehe zwischen mir und der hochseligen Herrin Elisabeth Petrowna hat niemals stattgefunden? _Orlow_ (beißt sich auf die Lippen; dann gleißnerisch) So würde ich Ihre Beweggründe zu erforschen suchen. _Rasumowsky_ Wenn ich Ihnen versichern würde, daß ich keine Dokumente besitze –? Wie, Graf Orlow? _Orlow_ (düster) Sie würden damit mein Leben zerstören, Erlaucht. _Rasumowsky_ Und wenn ich den Besitz der Dokumente zugebe, warum soll ich sie ausliefern? Was könnte mich veranlassen, ein Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt gehaltenes Übereinkommen schmählich zu verletzen? Nur weil ein Jüngling, den die Jugend begehrlich und begehrenswert macht, in meinen Frieden tritt und die Hand ausstreckt nach meinem Gut? _Orlow_ Es ist nichts in Ihren Worten, Alexei Grigorjewitsch, was ich mir nicht auch selbst schon ins Gewissen gerufen hätte. Doch erwägen Sie, Erlaucht: mein Glück ist auch das Glück der Kaiserin. _Rasumowsky_ Ich werfe mich in den Staub vor Ihrer Majestät, aber sie hat keine Macht über die Geheimnisse meiner Seele. _Orlow_ So flehe ich, Erlaucht, um Ihr Vertrauen ... _Rasumowsky_ Mein Vertrauen zu den Menschen ist so gering, Graf Orlow, daß jeder Appell daran verschwendet ist. Ich habe zu viele Worte gehört und zu viele Taten gesehen. Ich bin meiner selbst kaum gewiß, um wie viel weniger eines andern. Ein Ozean von Geschwätz ertränkt die edelste Handlung, und die niedrigste versteckt sich nicht mehr, wenn ihr ein Vorteil winkt. _Orlow_ Bedenken Sie, Alexei Grigorjewitsch, ein Mann, für den so Ungeheueres sich entscheiden soll, muß ein Verworfener werden, wenn es mißlingt. _Rasumowsky_ Also ist es nur der Erfolg, der tugendhaft macht? _Orlow_ Ein Held jedoch, wenn er ans Ziel gelangt. _Rasumowsky_ Ein Held? Könnt ich dies glauben, Graf Orlow, dann! ja dann! Aber ich kann es nicht glauben. (Feierlich.) Zwei unschuldig Zertretene wehren mir’s. _Orlow_ Viel Blut liegt auf dem Weg der Helden, Erlaucht. _Rasumowsky_ Blut von Kindern? _Orlow_ Macht löscht den Makel aus. _Rasumowsky_ (betroffen) Furchtbares Wort! _Orlow_ (erkennt seinen Fehler, einlenkend) Als ich heranritt, Erlaucht, ich war betrunken von Freude; ich hatte die unheilvollste Meuterei erstickt, Rebellen hatte ich meiner Gebieterin in Anhänger auf Tod und Leben verwandelt, die Wirklichkeit zerrann mir vor den Augen, ich sah kein Hindernis mehr ... und als es geschehen war, hab ich nicht Buße getan vor allem Volk? _Rasumowsky_ Doch haben Sie dem Volk eine unheilbare Wunde geschlagen. _Orlow_ (mit dem letzten Aufwand seiner gleißnerischen Beredtsamkeit) Als ich zwölf Jahre alt war, Erlaucht, trieb mich mein Vater mit der Peitsche vom Hof, weil ich für einen Leibeigenen, der die Todesstrafe erleiden sollte, um Gnade gebeten hatte. Ich liebe unser Volk. Ich weiß, wie sie leben, wie sie schmachten, wie sie Unrecht leiden, wie sie stumm sind, wie sie ihre Hoffnung unermüdlich von Jahr zu Jahr tragen, wie sie in ihrer Not die Herren preisen, die mit den Früchten ihrer Arbeit Feste feiern, und wie sie auf den warten, der sie erlösen wird. Ich weiß es und will ihrer nicht vergessen. _Rasumowsky_ Ist mir doch, als ob ich Glocken hörte aus einem versunkenen Land, Graf Orlow. (Er steht versunken, von Orlow gespannt beobachtet; wie zu sich selbst) Ist es Rausch? oder Wahn? oder blinde Sucht der Jugend? Leidenschaft macht beredt den, der sie hegt, und stumm den, der sie begreift. (Laut) Sie führen eine ungewöhnliche Sprache, Graf Orlow, die mich irre werden läßt an meinem Vorsatz. _Orlow_ Ich danke Ihnen, Erlaucht. _Rasumowsky_ (geht zur Wand, wo er neben dem Kamin auf eine geheime Feder in der Täfelung drückt. Ein Türchen springt auf. Er entnimmt dem Schrein eine goldene Kassette, die er öffnet und einige in roten Atlas eingeschlagene vergilbte Papiere herauszieht) Sieh da, wie viel Staub darauf liegt ... (Er stellt das Kästchen beiseite) Staub ... Staub. Pulver der Vergessenheit. Überreste von Träumen. (Er legt den Atlas in das Kästchen zurück und liest das oberste Papier aufmerksam durch.) _Orlow_ (der sich am Ziel glaubt) Väterchen Alexei Grigorjewitsch! (Er sinkt auf die Kniee.) _Rasumowsky_ (ergriffen und ganz in die Vergangenheit verloren) Frühling und Sommer meines Lebens! (Er küßt die Papiere und erhebt, sich bekreuzigend, die Blicke nach oben.) _Orlow_ (packt in seiner Erregung mit beiden Händen die Papiere) Geben Sie, Alexei Grigorjewitsch –! _Rasumowsky_ (erschrocken) Was für ein Ungestüm, Graf Orlow! _Orlow_ (fast mit Wildheit, drohend) Ich kniee vor Ihnen, Alexei Grigorjewitsch! _Rasumowsky_ (beugt sich ein wenig vor und starrt in Orlows Gesicht) Die Augen ... die Augen ... _Orlow_ (springt empor) Wollen Sie mich auf die Folter spannen, Graf Alexei? Ich ertrag’s nicht länger. _Rasumowsky_ (kopfschüttelnd) Ei, es ist eine ganz andere Stimme, die jetzt zu mir spricht. _Orlow_ Genug gesäuselt. _Rasumowsky_ Also nur Verstellung? Und so schlecht verstellt? So schnell überdrüssig der Verstellung? _Orlow_ Wollen Sie mir den Köder nur vorsetzen, um mich zappeln zu lassen? _Rasumowsky_ Ach, Sie zeigen zu früh Ihr wahres Gesicht, Graf Orlow. _Orlow_ Ich habe viele Gesichter, warum soll dies gerade mein wahres sein. Wozu das Getändel? Zu Großes liegt vor mir. (Er zeigt seine weißen Zähne, während sich die Worte stürmisch ergießen.) Von unten heraufgestiegen, wo die Sklaven wohnen, begrüßt mich endlich das Licht, und Welt und Kreatur schreit: Herr! Herr! Gnade! Gnade! Ja, Herr will ich sein und Gnade soll von mir träufeln für alle, die sich bücken. Wollust, zu befehlen, und mit einem Atemzug die Mächtigsten zum Schweigen bringen! Alles unter mir sehen, was jetzt noch verführerisch lockt, aus der Enge heraus, wo man horchen muß, ehe man spricht, und rechnen, bevor man zahlt. Ohne Bedachtsamkeit leben, planen ohne Angst und Maß! Unten gehört alles auch dem Nachbarn, was mir gehört, oben bin ich allein und fürchte keine Grenze. Keine Grenze fürchten, das ist’s. Mit seinem Willen allein sein, frei mit jeder Tat und doch der Richtpunkt aller Aufmerksamen. Ein Reich übersehen, den Arm von Ozean zu Ozean strecken, die Willfährigen mit Provinzen lohnen, die Unzufriedenen hinschmettern, – und eine Kaiserin umschlingen, eine Kaiserin, in den Mienen einer Kaiserin Unterwerfung lesen, – das ist mein Spiel, Alexei Grigorjewitsch! Die Würfel liegen zwischen uns. Werfen Sie jetzt und zählen wir die Augen. _Rasumowsky_ (kalt) So spricht ein Spieler. Im Würfelspiel mögen Sie gewinnen, Graf Orlow, im Schicksalsspiel nicht. _Orlow_ Auch das Schicksal kann man zwingen, alter Mann. _Rasumowsky_ Wie den Teufel in der eigenen Brust. _Orlow_ Wer würde anders handeln an meiner Stelle? Nur wenn ich zaudere, verliere ich. _Rasumowsky_ Und Gott soll mit bei diesem ... Spiele sein? _Orlow_ Gott ist auf meiner Seite, weil ich will. Ich fühle die Bestimmung. _Rasumowsky_ Über Blutbestimmung und Gottes Wahl läßt sich nicht rechten. _Orlow_ Lügendunst! Zar Peter war ein Narr, ein Verräter, Affe des Preußenkönigs, ein Schwächling. Herrliche Bestimmung! _Rasumowsky_ Besser ein Schwächling als ein gewissenloser Emporkömmling. _Orlow_ (hochmütig) Die Brücke zwischen uns fängt an zu krachen, Erlaucht. _Rasumowsky_ So mag sie bersten. _Orlow_ Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren. _Rasumowsky_ Doch die Zeit wird Sie auffressen. _Orlow_ Jetzt, da Sie mich überzeugt haben, daß Sie die Dokumente besitzen und sie in Ihrer Hand halten, kann ich Sie zwingen, Alexei Grigorjewitsch. _Rasumowsky_ Sie wollen damit sagen, daß Ihre Helfershelfer mein Haus umstellt halten? _Orlow_ Leute, die mir blindlings ergeben sind, ja. _Rasumowsky_ Und wozu ich mich freiwillig nicht mehr entschließen würde, das glauben Sie mit Gewalt durchsetzen zu können. Mit eigener Faust oder mit dem Beistand fremder Fäuste. _Orlow_ Wenn Sie mich zu dieser Notwendigkeit drängen, – ja. Ich kann nicht zurück. Ich kann nur vorwärts. _Rasumowsky_ Bis zum Abgrund. – Sie vergessen nur eines, Graf Orlow. Sobald Ihre Leute diese Schwelle übertreten, oder sobald Sie selbst, von dieser Sekunde ab, eine Bewegung machen, die auf Gewalttat zielt, fallen die Dokumente hier in das Feuer. Sie sehen, es brennt loh genug, um ein paar Papiere rasch verzehren zu können. (Pause. Beide blicken einander schweigend ins Gesicht.) _Orlow_ (mit verschränkten Armen) So also steht es. _Rasumowsky_ Ja. _Orlow_ (langsam und mit Nachdruck) Eines noch, Alexei Grigorjewitsch: ich könnte Sie belohnen, wie nie ein Sterblicher belohnt worden ist. _Rasumowsky_ Lohn? Für mich? Welchen Lohn? Reichtum? Paläste? Titel und Würden? Für mich? _Orlow_ (wie oben) Wenn auch nicht für Sie, Erlaucht, so doch für einen Knaben ... _Rasumowsky_ Einen Knaben –? _Orlow_ Für Iwan, den Sohn Rasumowskys und der Kaiserin Elisabeth. _Rasumowsky_ (schwankt einen Augenblick, hält sich am Rand des Sessels, sinkt dann darauf nieder). _Orlow_ Der Pope Maximow hat mich zu ihm geführt. _Rasumowsky_ Möge Gott ihm verzeihen. Es gibt keine Treue mehr. _Orlow_ Fürchten Sie nichts mehr von der verräterischen Geschwätzigkeit dieses Priesters, Erlaucht. Ich habe dafür gesorgt, daß seine Zunge keinen Schaden mehr stiftet. Sie und ich, wir sind die beiden einzigen Menschen auf Erden, die um Iwan wissen ... _Rasumowsky_ (dumpf) Einer zu viel, Graf Orlow. _Orlow_ Ich habe den Knaben gesehn. Es war eine weite Fahrt auf das Gut Domnina im Epifanskischen Kreis. Ein schöner, blonder Knabe. Welche Einsamkeit für einen Vierzehnjährigen. Wie durstig er in die Ferne blickte! Er wußte nichts von Vater und Mutter, die Leute, bei denen er ist, halten ihn für den Sohn von Euer Erlaucht verstorbenem Bruder. Er ahnt nicht, welche Versprechungen das Leben ihm schenken könnte, und wer nur sein Gesicht sieht (deutet auf das Bild der Kaiserin Elisabeth), braucht keinen andern Beweis seiner Abkunft. Grausam schien es mir, die junge Blüte in der Steppenwüste verkommen zu lassen. Ich habe ihn über seine Geburt aufgeklärt. _Rasumowsky_ (springt auf) Das haben Sie getan? _Orlow_ Ich habe es getan. _Rasumowsky_ (sinkt wieder auf den Sessel, umklammert krampfhaft die Dokumente vor der Brust.) Großer Himmel! Sie hatten kein Mitleid mit dem arglos spielenden Geschöpf? Frevlerisch das Gift des Ehrgeizes und der ungenügenden Begierde in die junge Brust versenkt! Fruchtlose Erwartungen geweckt, die ein gläubiges Gemüt zerfleischen müssen! So war meine Entbehrung vergeblich, vergeblich, daß ich mein Herz von ihm entwöhnt habe, vergeblich das Opfer, vergeblich der Gram der Mutter, alles vergeblich! _Orlow_ (mit leisem Spott) Ist es nicht besser, wenn der Wissende sich bescheidet, als wenn der Getäuschte verkommt? _Rasumowsky_ (die Worte tief aus seiner Brust ringend) Zweiunddreißig Jahre, Graf Orlow, war ich mit Elisabeth Petrowna verbunden. Sie war eine musterhafte Christin und eine zärtliche Mutter Millionen Volks. Auch mich liebte sie, doch schien es mir so überflüssig wie sündhaft, meinen Ehrgeiz über das Maß dessen zu erheben, was sie mir als Weib gewähren konnte. Niemals in zweiunddreißig Jahren ist die Versuchung über mich gekommen, den geheiligten Glanz der Majestät für mich zu erborgen. _Sie_ war auserwählt zu herrschen. Von den Ahnen her war ihr die Gnade verliehen. Woran soll das Volk glauben, diese Zahllosen, von denen wir keine Namen wissen und die nur aufblicken in ihrer Verlassenheit, um nach dem gottbestimmten Führer zu suchen, woran sollen sie denn glauben, wenn nicht an das Mysterium, das um eine Krone webt? Das ist ja ihr Märchen, die Botschaft, das Gesetz! Gesalbtes Haupt weiht das Diadem, königliches Blut rauscht vom Vater zum Sohn, vom Gatten zur Gattin, von Geschlecht zu Geschlecht. Raubt ihnen diesen Glauben, und ihr stürzt sie in Gemeinheit und Verzweiflung, die Welt steht da, ohne Ordnung, ohne Herrn. (Er erhebt sich, bewegt.) Wenn es ein Verdienst in meinem Leben gibt, Graf Orlow, so ist es das eine, daß ich die Kaiserin zu überzeugen vermochte, unsere Ehe, für die sie den Segen der Kirche gewünscht hatte, müsse ein Geheimnis für das Volk bleiben. Und so wurde Iwan fern vom Hof und fern von den Menschen erzogen, denn es ziemt sich nicht für den Halbgebürtigen, von einem Thron auch nur zu träumen. _Orlow_ Phantome, Erlaucht, Phantome! Die Zeit hat sich verändert. Es handelt sich nicht um die Gnade, es handelt sich um die Kraft. _Rasumowsky_ Ich bin kein Starrkopf, Graf Orlow, nicht einer, der denkfaul an Vergangenem hängt. Ich kenne die Zeit. Vieles tragen die Eimer des Jahres herauf aus dem dunklen Schacht, und wer wirklich lebt, wandelt sich mit jedem Becher, den er an die Lippen führt. Das Blut wird auch in alten Körpern neu. War ich nicht bereit, Graf Orlow? Ich war bereit, mehr kann ich nicht sagen. Aber ich bin gewohnt, in Menschenaugen zu lesen, und mehr noch auf den Stirnen, Graf, auf den Stirnen. Sie sind so unbehütet, die Stirnen; man kann sie eine Walstatt der Dämonen nennen. (Den Arm mit ausgestrecktem Finger gegen Orlow, stark.) Ich sehe Schicksale auf dieser Stirn, die ungeboren bleiben sollten. _Orlow_ Alexei Grigorjewitsch! Nicht auf meiner Stirn, – in Ihrer Hand liegt jetzt ein Schicksal. Iwan ist in meiner Gewalt. _Rasumowsky_ (scheu) Iwan ... ist ... _Orlow_ In meiner Gewalt und nur mir erreichbar. _Rasumowsky_ (mit weiten Augen) Sie wollen damit sagen: um Iwan ist’s geschehen, wenn ich mich weigere ... _Orlow_ Vielleicht ist es das, was ich sagen will. _Rasumowsky_ (nähert sich Orlow mit gebeugtem Oberkörper und mit der Unterwürfigkeit eines Bauern, hält ihm mit beiden Händen die Dokumente hin) Nehmen Sie, Graf Orlow ... _Orlow_ (etwas überrascht von dem schnellen Erfolg, greift nach den Papieren). _Rasumowsky_ (demütig) Nicht weil ich für Iwan fürchte, Graf Orlow ... nicht weil ich mir sein Leben erkaufen will, ... nicht deshalb, Graf Orlow, nicht deshalb ... _Orlow_ (hält die Papiere fest, mit finsterem Trotz) Es wäre auch zu spät, Alexei Grigorjewitsch, Sie retten Iwan damit nicht. Er war zu gefährlich, als er seine Abstammung kannte. Er weilt nicht mehr unter den Lebenden. _Rasumowsky_ (schmerzvoll) Gott, dein Wille geschehe! Ich habe es geahnt! _Orlow_ Und Sie geben mir trotzdem diese Papiere –? _Rasumowsky_ (mit der Hoheit des Grames) Ja, Graf Orlow! Ein Mann, der zu solchen Mitteln greift, den muß die eigene Tat vernichten. Und wenn es die Krone selbst wäre, sie hätte kein Gewicht mehr, wenn Sie sie halten. Nichts ... ein Schemen, ein Scheinbild. Nichts. Zeigen Sie die Dokumente der Kaiserin. _Orlow_ (brütend) Darum also ... Es ist zu viel ... (als wöge er die Papiere) es scheint mir zu viel Erniedrigung für das gewährte Almosen. Bin ich denn ein Bettler? Soll es einen Menschen geben, der mich _so_ einschätzen darf? (Aufflammend.) Nein, nein, nein! Die Schmähung greift ans Herz. Wenn ich diesem erbettelten, erschlichenen Wisch alles verdanken müßte, was mir das Leben gewähren soll, es fräße mir das Mark der Tat aus den Knochen. Ein Orlow, der alles Heil auf den Inhalt einiger vergilbter Papiere gründet? Bin ich verloren ohne diese Fetzen, so wie ich jetzt besudelt bin, wenn ich sie als billige Trophäe vor die Augen Katharinas bringe? Nein, Alexei Grigorjewitsch, nein! Die Genugtuung, daß es von Ihrer Gnade abhängig war, Rußland einen Zaren zu geben, kann ich Ihnen nicht überlassen. Jede Gegenwart wäre mir vergällt, und um Ihnen den Beweis zu liefern, daß ich diese Gnade verschmähe, daß ich sie verachte, nur darum tu’ ich, was ich tue! (Er eilt zum Kamin und wirft die Dokumente ins Feuer.) _Rasumowsky_ (mit seltsam entzückter, schreiender Stimme, die zugleich etwas wie physischen Schmerz enthält) Ein Gottesurteil! Ein Gottesurteil! (Durch Rasumowskys Schrei alarmiert, kommen Lassunsky und Chidrowo mit bestürzten Mienen.) _Lassunsky_ (bleibt unter der aufgerissenen Türe stehen, hastig) Was ist geschehen, Erlaucht? _Chidrowo_ (tritt vor, zieht den Degen) Wir werden Sie schützen, Erlaucht. _Rasumowsky_ (ohne sie zu beachten) So hat eine höhere Macht Ihren Arm gelenkt, Graf Orlow, und Sie haben nur den Beweis geliefert, daß es keinen Weg gibt aus Ihrer Menschentiefe zum Licht der Majestät. (Er bückt sich, als ob er bete.) _Lassunsky_ (drängend) Erlaucht ... die Blässe Ihres Gesichts ... Sie sind krank ... _Rasumowsky_ (immer gebückt) Ehrfurcht! Der Engel des Schicksals schwebt über uns! _Orlow_ (reißt sich vom Anblick des Feuers los) Verbrannt ... (Unheilvoll.) Und nun sei auch verbrannt alle Milde, vergessen alles Zögern feiger Rücksicht und wer mich aufhält, meinen Schritt oder den Schritt meines Pferdes, der möge zittern! _Rasumowsky_ Verwirkt! Verwirkt! Wir wollen zittern, aber der Spruch ist gefallen. _Chidrowo_ (fast jubelnd) Gerettet, Mütterchen Rußland, gerettet! _Orlow_ (im Abgehen) Hütet euch! _Rasumowsky_ (richtet sich wieder empor) _Ich bin_ in meiner Hut, denn ich fürchte die Menschen nicht mehr. (Vorhang) Gentz und Fanny Elßler Personen: Friedrich von Gentz, Hofrat Felix Graf Reitzenstein Fanny Elßler Jean ) Martin } Diener bei Gentz Franz ) Lieferanten, Geldleute usw. Spielt in Wien, Herbst 1830 Ein Zimmer der Villa Gentz in Weinhaus bei Wien. Kostbare Empiremöbel, Nippsachen, Kunstwerke, geblümte Tapeten. Auf einer Kommode stehen zwei Glasglocken mit eingemachten Früchten zum Naschen. Vom Kamin leuchtet eine goldene Stehuhr. Im Hintergrund zwei Fenster, zwischen ihnen eine hohe Glastüre in den Garten. Links Türe zum Vorzimmer, rechts in das Ankleidezimmer des Hofrats; diese Tür ist offen. Hinter der Türe links wird lebhaft gesprochen. Gleich darauf _Jean_, livrierter Diener, von links durch das Zimmer nach rechts ab. Die Türe links wird geöffnet, und ein dicker Jude will herein, _Martin_, ein zweiter livrierter Diener, der im Zimmer damit beschäftigt ist, frisches Wasser in blumengefüllte Vasen zu gießen, eilt hin und schlägt dem Eindringling die Tür vor der Nase zu. Protestierende Rufe von draußen. _Martin_ steht Wache. _Gentzens Stimme_ (von rechts) Was erfrecht Er sich? Ich zahle nicht. Übermorgen. Die Schufte sollen Geduld haben. _Jean_ (eilig wieder von rechts nach links ab). _Gentzens Stimme_ Die geblümte Weste! Die geblümte! _Lebhafte Stimmen_ (hinter der Türe links). _Jean_ (kommt abermals mit verzweifelter Miene nach rechts). _Martin_ (hält die Türklinke). _Stimme Jeans_ Der Weinlieferant und der Parfümeur wollen partout mit dem Herrn Hofrat selber sprechen. _Gentzens Stimme_ Ach was, Er Esel, Er hat ja gar keine Schneid. – Die Ringe, Franz. Jetzt lauf Er zum Gärtner wegen frischer Blumen. _Franz_ (ein alter Diener, durch die Mitte ab in den Garten.) (Gleich darauf) _Gentz_ (Mann von fünfundsechzig Jahren. Hohe schlanke Gestalt. Er hat einen müden, etwas gebückten Gang. Sein Gesicht ist höchst geistreich, die ganze Physiognomie hat einen feinen, lebhaften und verführerischen Ausdruck, und der Blick ist von intensiver Kraft. Kinn und Unterkiefer sind etwas schwer, um den Feinschmeckermund liegt bisweilen ein trauriger, bisweilen ein zynischer Zug. Er ist nach der letzten Mode gekleidet: brauner, langer Rock, gestickte Weste, Vatermörder, schwarze Binde) War schon jemand vom Fürsten Metternich da? _Martin_ Niemand, Herr Hofrat. _Gentz_ (nach links ab, die Türe bleibt halb offen). _Stimmen der Lieferanten_ Küß die Hand, Herr Hofrat! – Wünsch guten Morgen, Herr Hofrat! – Küß die Hand, Euer Gnaden. _Gentzens Stimme_ Also, was soll’s – Was belästigt ihr mich? _Stimme des Parfümeurs_ Halten zu Gnaden, Herr Hofrat, hab für siebenundachtzig Gulden Kölnisch Wasser geliefert. _Stimme des Weinhändlers_ Ich für dreihundertzwanzig Gulden Sekt. _Gentzens Stimme_ Geduld, ihr Leute. Morgen schick ich zum Rothschild hin. Der Rothschild zahlt alles, das wißt ihr doch. Jetzt schert euch friedlich nach Hause. (Er tritt ins Zimmer zurück, der dicke Jude folgt ihm.) _Jude_ Euer Exzellenz, der Wechsel ist schon emal prolongiert. _Gentz_ Fort, fort, fort! _Der Schneider_ (hat sich schüchtern nachgedrängt) Ich freu mich, daß der Herr Hofrat so gut ausschaut. _Gentz_ Keine Konfidenzen! Ich hab’ gern, wenn Lieferanten was liefern. Konfidenzen sind mir verhaßt. – Hat der Gärtner schon was wegen der Rosen gemeldet? _Martin_ Nein, Herr Hofrat. _Gentz_ Ich will mal selber mit ihm reden. Wenn er frische Rosen hat, ist es besser, sie erst am Stock zu sehen. (Durch die Mitte ab.) _Der Schneider_ Herr Hofrat! – _Jean_ Na, was gibt’s denn noch? Er hat doch gehört, daß wir heut nicht bei Kassa sind. _Der Schneider_ Morgen ist die Trauung von meiner Tochter, und wenn mir halt der Herr Hofrat zwanzig Gulden geben tät ... _Jean_ Laßt eure Töchter im ledigen Stand, wenn ihr kein Geld habt’s. _Martin_ (verächtlich) Heiraten! Alle gemeinen Leute heiraten beständig. _Jean_ Und jetzt allons! marsch! (Nimmt den Besen.) Hinaus! Es wird gelüftet. _Der Jude_ Was wird sein? Wer ich den Wechsel zu Protest bringen. (Ab, desgleichen der Schneider, die Stimmen draußen verlieren sich.) _Martin_ Was macht er denn heut für an Kramuri, der Hofrat? _Jean_ Die Fanny war doch drei Tag am Land bei ihrer Schwester. _Martin_ Ah so. Froher Empfang nach schmerzlicher Trennung. _Jean_ Zu Mittag kommt s’ mit der Extrapost, die Fanny. _Martin_ Fahr’n jetzt die vom Theater auch schon mit der Extrapost? _Jean_ Die Fanny is was man eine bessere Tänzerin heißt. Hast es schon tanzen seh’n am Kärntnertor? Die Leut’ soll’n sich die Haxen abtreten hab’n. _Martin_ (düster) Der Hofrat g’fallt mir gar nicht mit seiner Verliebtheit. Das is ja schon ganz außer der Normalität. Wenn’s nur keine Mesallianz gibt. _Gentz_ (vom Garten, zwei Burschen folgen ihm, die einen kupfernen, mit Rosen gefüllten Kessel tragen.) Dorthin, ins Eck, ... auf die Säule. _Franz_ (von links) Herr Graf Reitzenstein. (Ab, auch Jean und Martin, die Gärtnerburschen durch die Mitte ab.) _Gentz_ (zur Tür) Guten Morgen, lieber Felix. Ein schöner Herbsttag heute, warm wie im August. _Graf Reitzenstein_ (fünfundzwanzig Jahre, elegante Erscheinung; er ist ein wenig Poet, und in seinen Zügen drückt sich die Schwärmerei eines vornehmen Müßiggängers aus, dessen Lieblingsautor Lord Byron ist) Guten Morgen, Gentz. Wissen Sie, daß Fanny schon aus der Brühl zurück ist. _Gentz_ Wie, schon zurück? _Graf Reitzenstein_ Ich habe sie vor einer halben Stunde mit Stuhlmüller beim Theatereingang gesehen. _Gentz_ Haben Sie mit ihr gesprochen? _Graf Reitzenstein_ Nein, sie hat mich gar nicht bemerkt. _Gentz_ Dann wird sie jeden Moment kommen. Stuhlmüller? Stuhlmüller? Wer ist das doch? Richtig, der Tänzer. _Graf Reitzenstein_ Ein exzellenter Tänzer. Er geht jetzt nach Berlin. _Gentz_ Ah, nach Berlin. – Ich erinnere mich: ein hübscher Bursche. _Graf Reitzenstein_ Ja. Beine wie ein Narziß. _Gentz_ Wie sah meine Fanny aus? _Graf Reitzenstein_ Entzückend wie immer. Wenn man sie anblickt, hat man das Gefühl, als sei man zu schlecht für die Welt, in der sie lebt. _Gentz_ Sie waren ja am vorigen Sonntag mit ihr bei der Gräfin Fuchs? Ich konnte nicht hingehen, da mich der Fürst zu einem Conseil berufen hatte. _Graf Reitzenstein_ Und am Abend zuvor fehlten Sie ja auch im Theater, Gentz – _Gentz_ Die leidige Politik! _Graf Reitzenstein_ Es war ein Triumph. Die Galerien haben geheult, das Parkett hat sich die Handschuhe zerrissen. Sogar in der kaiserlichen Loge sah man leuchtende Augen, und zwei Hofdamen, die vor lauter Gewöhnung an Feierlichkeit alles Fett an ihrem Leibe verloren hatten, wackelten mit ihren Köpfen, als ob das Theater eine Glocke und sie die Schwengel darin wären. _Gentz_ (lacht) Ja, diese Zauberin gleicht alle Gegensätze der sozialen Welt aus, und gekrönte Häupter werden – Publikum. _Graf Reitzenstein_ Als sie auftrat, ging ein glückliches Seufzen durch das Haus. Da stieg die ganze Venus aus dem Meer. Dieser Nacken, diese Schultern, dieser Hals, die Bewegung, die anmutvolle Hingabe, dies Sichverlieren in süßester Heiterkeit! Ich sah Männer zittern und Frauen bleich werden. Jede Miene will ihre angeborne Trägheit vergessen, doch ihr selbst nahen keine Wünsche, nur Vergötterung umfängt sie. Ahnungslos und unergriffen wandelt sie durch die gesammelte Bewunderung hindurch, wie wenn ihr der Traum der letzten Nacht als Schleier um die Seele gehüllt wäre, – und lächelt. _Gentz_ Sie haben recht, Felix. Ihr Lächeln ist das Wunderbarste. Es scheint aus einer tiefen Quelle aufzusteigen, wo die Genien wohnen, die den Menschen wohlwollen. Keine Heiterkeit deutet so viel Schicksal wie ihre. _Graf Reitzenstein_ Zur Fuchs kam sie spät, erst nach der Vorstellung. Man war schon ein wenig müde. Aber als sie eingetreten war, begann der Tag von neuem. Sie setzt sich neben die Hausfrau und blickt sie zärtlich und vertrauensvoll an. Sie plaudert, und Worte sind plötzlich edel. Die Luft, die sie atmet, mitzuatmen, macht glücklich. _Gentz_ Wenn man Sie hört, Felix, sollte man glauben, ein Verliebter spricht. _Graf Reitzenstein_ Und wenn ich’s wäre? _Gentz_ Sie scherzen. _Graf Reitzenstein_ Keineswegs. _Gentz_ Armer Felix, wie ist Ihnen das passiert? _Graf Reitzenstein_ Das Mitleid, Gentz, sollten Sie mir aus Großmut ersparen. _Gentz_ Nehmen Sie denn um Gottes willen Ihren Zustand ernst? _Graf Reitzenstein_ Seh ich aus wie ein Libertin? _Gentz_ Es gibt keinen lebendigen Mann, der Fanny gesehen hat und sie nicht liebt. Bei Ihnen allerdings – _Graf Reitzenstein_ Sie sprechen, Gentz, als ob Fanny Ihr Eigentum auf Leben und Tod wäre ... _Gentz_ Lieber Felix, Sie überraschen mich. Wahrlich, ich weiß nicht mehr, was ich von der menschlichen Natur halten soll. Waren Sie es nicht, der mich im Glauben an die Möglichkeit einer Liebe zwischen mir und Fanny befestigt hat? Ich habe gezweifelt, und Sie waren verschwenderisch mit Beispielen aus Leben und Geschichte, die mich beruhigen sollten. Sie waren der einzige, der verstehend in mein Herz drang, der meine Jahre auf die Rechnung der Zeit und nicht zu Lasten der Seele gesetzt hat. Ich war eifersüchtig, damals, als ich noch eifersüchtig sein mußte, und Sie lachten mich aus. Wenn ich mich quälte, ob ich würdig sei, Fanny zu gewinnen, sahen Sie darin die Koketterie eines Mannes, der wenig verspricht, um viel zu halten. Sie haben für mich Sonette an Fanny gedichtet, und in einem Brief, den ich nie vergessen werde, schrieben Sie: Wehe dem Herzen, dem die Jahre alle Blüten rauben, und wehe der Lehre, die ein Vertrocknen vor der Zeit für Würde oder Weisheit ausgibt. So dachte Anakreon nicht, schrieben Sie, erinnern Sie sich? »So dachte Anakreon nicht.« _Graf Reitzenstein_ Waren Sie nicht glücklich mit Fanny? _Gentz_ Nur ein junger Mann darf glücklich _gewesen_ sein. _Graf Reitzenstein_ Ich kannte mein Gefühl nicht. _Gentz_ So hätte der geheimnisvolle Drang in Ihnen, Felix, einen Greis beseelen wollen, und was dunkel in Ihrer jungen Brust wohnte, übertrugen Sie mutlos und edelmütig auf mich? Ist es so? _Graf Reitzenstein_ Nicht ganz so. _Gentz_ Und ich hätte sechzig Jahre unter Menschen gelebt, mit _meinen_ Augen, und habe nicht das Spiel eines Jünglings durchschaut? _Graf Reitzenstein_ Nein, nein, nein – _Gentz_ Sie haben nicht bedacht, daß kein Feuer so wütend brennt, wie das in einem alten Haus. _Graf Reitzenstein_ Ich wußte und weiß es. Fanny kam aus einer Welt, die tief unter uns liegt, aus einer kleinen, armen Welt, in der man noch an Ehren und Titel glaubt, wo von Luxus und Lebensgenuß erzählt wird wie von Märchen. Als Fanny Sie kennen lernte, als sie Ihre Protektion erfuhr, da war ihr das Tor zur großen Welt geöffnet und in Ihrer Person verehrte sie den Ruhm und die Macht, nach denen sie sich sehnte und wofür sie auch bestimmt ist. Sie trat Ihnen mit der bebenden Andacht entgegen, mit der die jungen Mädchen aus dem Volk einen Prinzen aus seiner Karosse steigen sehen. _Gentz_ (unterbricht) Und aus diesem Äußerlichsten wollen Sie etwas so Geheimnisvolles erklären, wie es mein Bund mit Fanny ist? _Graf Reitzenstein_ Sie lernte Sie näher kennen, sie wurde bezaubert von Ihrem Geist, von Ihrer Kunst des Umgangs – welche Frau von Instinkt und Kraft würde nicht diese Atmosphäre von Leben, von Abenteuer, von Bildung und Welt spüren, in der Sie atmen? Für sie, die Unerfahrene, waren Sie ein Gott an Erfahrungen. Sie konnten ihr die Tore aufriegeln, die sie fest verschlossen wähnen mußte, und Sie haben es getan. Sie sah in Ihnen einen Gebieter des Schicksals, einen, der erfüllt ist von Schicksalen und dem sie Vertrauen schenken durfte, weil er Liebe dafür gab. Sie fühlte Ihre Vergangenheit, sie begriff Ihr Leben, Gentz, dieses Leben, hingebracht in Schwärmerei und Leidenschaften, in den Verführungen der Städte wie im blutigen Dampf der Schlachtfelder, unter Königen und großen Damen, in Arbeit wie in Genuß, in der Melancholie der Einsamkeit und in der Unruhe unter den Menschen. Sie war behütet und geführt, wissend und gefeit an Ihrer Seite, und die Dankbarkeit unterwarf Ihnen ihr Herz. _Gentz_ Nur die Dankbarkeit? Das wäre also der #punctum saliens?# Soll ich zweifeln, nur weil andre zweifeln? _Graf Reitzenstein_ Nicht zweifeln; aber Sie sind allzu sicher, Gentz. _Gentz_ Fannys allzu sicher, meinen Sie? _Graf Reitzenstein_ Ja, Fannys allzu sicher. _Gentz_ Was gibt Ihnen Grund zu solcher Warnung? Ist die Medisance am Werk? Hat man in den Salons und in den Kaffeehäusern die Mäuler zu Guillotinen meines Glücks gemacht? _Graf Reitzenstein_ Man ist darüber einig, daß Gentz ein beneidenswerter Mann ist. _Gentz_ (mehr überlegen als bitter) Gentz, ein Zittergreis, ein ausgebrannter Krater, und Fanny Elßler, das blühende Wunder einer morbiden Welt. Der seufzende Diplomat und die spöttisch lachende Nymphe, das lächerliche Podagra und ein feuriger Czardas. Lassen Sie hören, Felix, das war der Text. Die Melodie dazu – pfeifen die Drosseln. _Graf Reitzenstein_ Nein. _Gentz_ Aber Sie wenigstens haben die Überzeugung gewonnen, daß über einen Abgrund von siebenundvierzig Jahren hinweg die Leidenschaft eines Weibes gefriert und ein Mann sich aus seiner Dummheit und Leichtgläubigkeit eine Gloriole webt. Sagen Sie’s nur. _Graf Reitzenstein_ (wehmütig lächelnd) Sie scheinen es also für unmöglich zu halten daß Fanny – (Er stockt, da Gentz mit scharf markierten Schritten auf ihn zugeht.) _Gentz_ Ja, Felix! Unmöglich! Unmöglich kann Sie Fanny lieben! _Graf Reitzenstein_ Ich dachte nicht an mich. Offen gestanden, lieber Gentz – _Gentz_ (ergreift die Hand des Grafen) Hören Sie mich an, Felix. Ich sage unmöglich, nicht, weil ich Ihren Wert nicht kenne. Die schönste, die vornehmste, die stolzeste Frau muß sich glücklich schätzen, Sie zu besitzen. Aber die schönste, die vornehmste, die stolzeste Frau, was tut sie am Ende, wenn sie liebt? Sie opfert Ihnen ihre Jugend. Ihre Schönheit ist nur dazu da, um von Ihnen, dem Geliebten, begehrt und genossen zu werden. Und sei sie lasterhaft wie Messalina oder eine Lucretia an Tugend, sie ist ein Weib und zwischen ihr und Ihnen ist nichts als die kleinen und großen Gefahren und Lockungen der Liebe. Fanny hingegen ist eine Tänzerin. Eine wirkliche, gottbegnadete Tänzerin. Verstehen Sie, was das heißt? _Graf Reitzenstein_ Ich denke ... warum sollt ich nicht? _Gentz_ Als ich Fanny zum ersten Male tanzen sah, da verteilten sich mir die Gewichte des Irdischen, und mein Schicksal war mir nicht mehr so lästig nahe. Ich hatte Spielraum in mir selbst, die Vergangenheit stand nicht mehr wie ein Leichnam hinter mir, die Philosophie nicht mehr wie eine Erinnye über mir, ich fühlte mich einer höheren und leichteren Ordnung der Dinge verwandt, und alles, was von schlechtem Gewissen in mir war, wurde von einer heiteren Macht beschwichtigt und zerstreut. Dem Philister ist dieser Tanz nur ein Vergnügen, an dem er vorübergeht, dem Jüngling mag er die Sinne befeuern, den reifen Mann erheben, erfreuen, doch nur der Alte, der wahrhaft Erfahrene, einer, der durch das ganze Fegefeuer der Geister- und Körperwelt gegangen ist, die ganze Hölle von Niedertracht und Stumpfsinn und alles erlebt hat, Untreue und Verrat, selbst treulos und ein Verräter war, an allem versucht worden ist, durch Leiden schamlos, durch Abwehr kalt, durch versteckte Armut listig, durch Triumphe gleichgültig geworden ist, – nur der kann die Tänzerin lieben, wie sie geliebt werden muß, so wie man eine Idee liebt, wie man Gott auf dem Sterbebett liebt. _Graf Reitzenstein_ Das klingt groß, aber die Wahrheit des Lebens verteilt sich im Kleinen. _Gentz_ Ein Aperçu beweist nichts, kaum für den, der es macht. Wie könntet ihr jungen Menschen diese Reinheit verehren, ohne sie herabzuziehen? Diese beschwingte Leichtigkeit, ohne sie zu lähmen? Wie könnt ihr besitzen, ohne mehr und immer mehr zu fordern? Man muß durstig sein können und nur vom freiwillig gereichten Becher trinken wollen. Man muß vergöttern können, indem man ein Wissen gibt, von dem ein Händedruck so voll ist wie eure erzählten Aventüren. Die Tänzerin ist in irgend einer Art heilig zu nennen, Felix, denn es ist etwas an ihr, was nie erobert werden kann und nie berührt werden darf, in den feurigsten Umarmungen nicht. Fanny opfert alle Leidenschaft ihrer Kunst. Nicht nur ihr Gliederspiel, auch ihr Seelenleben ist von dem Gesetz maßvoller Schönheit beherrscht. Man kann nicht weniger emotionsbedürftig sein als sie es ist, die sich von allem Stürmischen und Heftigen geradezu beängstigt fühlt. Der Adler wird in der Gefangenschaft traurig und verliert seine Majestät; will man sie ganz besitzen, so muß sie frei bleiben wie der Adler. _Graf Reitzenstein_ Und doch dachten Sie einst an eine Heirat – _Gentz_ Es war, als ich sie noch zu wenig liebte. Was bin ich heute? Der entlassene Kammerdiener großer Herren. Was besitze ich? Nichts. Schulden über Schulden. Sollte die Frau Hofrätin tanzen? Kann man einen Stern vom Himmel reißen, um ihn zum Schmuckstück für die Wohnstube eines Literaten zu machen? Das heißt die Ewigkeit zum Augenblick erniedrigen, und wer so handelt, dem versagt der Augenblick. Und so lang ich dem Augenblick genug tue, bin ich jung. Alt bin ich einen Augenblick vor meinem Tod. _Graf Reitzenstein_ Wie sonderbar Sie mir erscheinen, lieber Gentz. Ich möchte bewundern und muß doch trauern – _Gentz_ Trauern? Worüber? Sie suchen umsonst den frivolen Höfling in mir, dessen geprägte Malicen noch gestern halb Europa zum Lachen brachten. (Er nimmt ein mysteriöses Wesen an.) Ich bin fromm geworden. Ja, ich bete, Felix, ich bete zuweilen. Besonders in der Nacht. _Graf Reitzenstein_ Armer Freund, kaum will mir das Wort über die Lippen ... _Gentz_ Was für ein Wort? Gegen Worte bin ich gewappnet. Das ist mein Beruf. _Graf Reitzenstein_ Fanny ist nicht nur eine Tänzerin, sie ist auch ein Weib. _Gentz_ Ich gratuliere Ihnen zu dieser Entdeckung. Wollen Sie mir damit sagen, daß Sie ein Mann sind? Ich habe nie daran gezweifelt. _Graf Reitzenstein_ Nicht um mich handelt sich’s. Es tut mir leid, daß ich mich zu einem Geständnis meiner Empfindungen für Fanny habe hinreißen lassen. Es geschah, weil ich Ihnen Offenheit schuldig zu sein glaubte. Es ist von meiner Seite nichts geschehen, was mit dem Gebot der Freundschaft unvereinbar wäre, und da Sie keinen Anlaß haben, diese Freundschaft zu beargwöhnen – _Gentz_ Nicht den geringsten, teurer Felix. _Graf Reitzenstein_ – so dürfen Sie meiner Mitteilung keine falschen Motive geben. Neigung und Freundschaft haben mein Auge geschärft, das ist alles. _Gentz_ Nun, Sie machen mich neugierig. _Graf Reitzenstein_ Jener Stuhlmüller – _Gentz_ Was ist mit ihm? _Graf Reitzenstein_ Fanny liebt ihn. _Gentz_ Oh! Oh! Oh! Stuhlmüller! Felix, Sie sind gar zu treuherzig. _Graf Reitzenstein_ Sie befinden sich, lieber Gentz, in einem Rausch von Täuschung und Illusion. Ich habe die beiden beieinander gesehen, und nicht nur heute. _Gentz_ Was noch? _Graf Reitzenstein_ Ich habe Blicke gesehn, Gebärden gesehn ... O, ich kenne Fanny. Wo ihr Herz spricht, ist sie ehrlich bis zur Selbstvergessenheit. _Gentz_ Und wäre in dieser Ehrlichkeit betrügerisch gegen mich? Felix! Felix! _Graf Reitzenstein_ Ich wiederhole: sie ist ein Weib. _Gentz_ Komischer Refrain. Mann – Weib. Ist die Natur eine Maschine und sind die gröbsten Gegensätze der Begriffe nur erfunden, damit man aus einem Engel im Handumdrehen eine Dirne machen kann? _Graf Reitzenstein_ Sie beleidigen die Natur, Gentz. _Gentz_ Da sieht man, wie ihr jung seid, ihr jungen Leute. Ihr stolziert in abgestempelten Anschauungen herum wie ein Hahn auf einer Grammatik. Stuhlmüller? wer ist Stuhlmüller für mich? Was ist er für meine Welt, für mein Gefühl, was er nicht auch zugleich für Fanny wäre? _Graf Reitzenstein_ Ein Bursche wie aus Blut und Stahl, Gentz. _Gentz_ Ihr wißt nichts von Fanny, keiner. Ihr kennt nur eine Liebenswürdigkeit, bei der das Herz abwesend ist ... (Er lauscht.) Horch! Sie kommt, Felix! (Entzückt.) Ich höre ihren Schritt ... _Graf Reitzenstein_ Dann wird es Ihnen wohl bequemer sein, wenn ich mich jetzt verabschiede. _Gentz_ (mit leichtem Spott) Sie müssen ihr wenigstens in die Augen schauen, Felix. (Er lauscht angestrengter, mit geneigtem Kopf.) _Graf Reitzenstein_ Sie könnte mich glauben machen, daß ich ihr etwas bedeute, und um so weniger könnt ich sie vergessen. _Gentz_ Ist sie’s? – Ja, sie ist’s. _Graf Reitzenstein_ Vielleicht feiern wir heute abend noch ein kleines Fest zu dreien, lieber Gentz. Am Sonntag reis’ ich nach Paris. _Gentz_ (vorwurfsvoll, doch ein wenig zerstreut) Felix! _Jean_ (tritt ein, reißt die Türe auf) Demoiselle Elßler. _Fanny Elßler_ (folgt dem Diener. Sie trägt ein helles, schottisches Kleid und einen blumengeschmückten Spitzenhut mit Band und seitlich herabgebogenen Bändern. Gestalt und Bewegungen sind von vollendeter Schönheit. Die ursprüngliche Naivität, Heiterkeit und Frische kämpft bisweilen gegen eine erworbene, anmutige Würde) Grüß Gott, lieber Gentz! Endlich bin ich wieder bei dir. _Gentz_ (fast erschüttert bei ihrem Anblick) Fanny! Teuerste! Wie lang waren diese drei Tage! _Fanny_ Ei, der Graf Felix! Guten Morgen, Felix, wie geht’s Ihnen? Habt ihr ernste Gespräche gehabt? Es liegt so was in der Luft. _Gentz_ Du siehst blühend aus, Fanny. Tu doch den Hut herunter ... _Fanny_ (nimmt den Hut ab, streicht mit den Händen das schwarze gescheitelte Haar glatt, das rückwärts zu einem griechischen Knoten geknüpft ist) Gemütlich ist’s bei dir, Gentz, und ich freu mich, daß ich wieder da bin. Die schönen Rosen! _Gentz_ Findest du nicht, daß Rosen auch Schwermut erwecken können? Es gibt eine gewisse Fülle des Lebens, die traurig macht. _Fanny_ (streicht ihm über die Stirn) Laß das, Gentz. Wenn du von der Traurigkeit sprichst, krieg ich gleich ein schlechtes Gewissen. Warum so schweigsam, Felix? Ihr Männer seid komische Leute. Wenn ihr miteinander gesprochen habt, tut ihr furchtbar geheimnisvoll, und doch weiß man alles, wenn man euch nur anschaut. _Gentz_ Wie steh ich armer Diplomat nun da! _Graf Reitzenstein_ (lächelnd) Die Traurigkeit unseres Freundes hat also schon gewirkt? _Fanny_ (lacht) Auf das schlechte Gewissen, meinen Sie? So stehn die Sachen, Gentz? _Gentz_ Er ist ein gar zu grüblerischer Geist, der Felix. Denke dir, er hat mir Vorwürfe über meine leichtsinnige Wirtschaft gemacht. Er ist der Meinung, daß ich zu verschwenderisch gegen dich bin – _Graf Reitzenstein_ Gentz! Gentz! _Fanny_ Sie haben ganz recht, Felix. Neulich wollte er mir partout eine diamantene Agraffe kaufen – _Graf Reitzenstein_ Es hieße Sie beleidigen, Fanny, wollte man Edelsteine für köstlicher halten als die Freude, Sie damit schmücken zu können. _Fanny_ Wie galant! _Gentz_ Galant und wahr zugleich. Ich habe ihm gesagt, wenn man in meinem Alter zum Harpagon wird, gleicht man einem Soldaten, der nach dem Krieg desertiert. _Graf Reitzenstein_ Der Geizige hat vor dem Verschwender das eine voraus, daß er alle seine Wünsche erfüllen kann. (Greift nach seinem Hut.) _Fanny_ Gehen Sie schon, Felix? Wie schade! _Gentz_ Leben Sie wohl, lieber Freund. _Graf Reitzenstein_ Ich darf doch darauf rechnen, daß Sie heute abend mit Fanny bei mir soupieren? _Fanny_ Das wäre reizend. _Gentz_ Heut abend kann ich unmöglich, ’s ist ein Diner beim Fürsten und der französische Gesandte kommt hin. Der Fürst legt Wert auf meine Anwesenheit. Aber morgen, wenn dir’s recht ist, Fanny? Gut, wir kommen morgen. _Graf Reitzenstein_ Auf Wiedersehen denn. (Ab.) _Fanny_ (die ihm nachgeschaut hat) Er ist ganz anders als sonst, der Felix ... _Gentz_ Bist du nicht eifersüchtig auf dich selbst, da deine besten Freunde eifersüchtig auf deine besten Freunde werden? _Fanny_ Ist es so, dann tut er mir herzlich leid. _Gentz_ Nun, die Dinge liegen so einfach nicht. Du steigst empor, du richtest die Blicke der Menschen auf dich, die Männer, wie sie einmal sind: eifersüchtig selbst da, wo sie nicht lieben ... _Fanny_ Oft denk ich mir, es wäre Zeit, dem Wiener Boden Valet zu sagen – _Gentz_ Sprich’s nicht aus, Kind. _Fanny_ (schüchtern) Jetzt grade könnt ich’s tun, Gentz. Ich hab einen Antrag nach Berlin; soll an der königlichen Oper tanzen. _Gentz_ Also doch! Wie hab ich den Moment gefürchtet. _Fanny_ Ich tu’s ja nicht, Gentz, tu’s keinesfalls. _Gentz_ Hat man dir den Kontrakt schon vorgelegt? _Fanny_ Ja, ich hab ihn dabei. (Zieht das Dokument aus ihrem Pompadour und übergibt es Gentz.) _Gentz_ Laß sehn ... (liest) Ballette »Blaubart«, »die Fee und der Ritter«, »Ottavio Pinelli«, »die Stumme von Portici« ... für drei Monate ... die Summe von fünfzehnhundert Talern nebst Spielhonorar ... (laut) Das ist nicht übel. Das wäre ja durchaus nicht von der Hand zu weisen. _Fanny_ (versucht gleichgültig zu erscheinen) Nicht wahr? Verlockend ist es. _Gentz_ Du hast also Lust, zu den Berlinern zu gehen? _Fanny_ (rasch) Nein, Gentz; eigentlich ganz und gar keine Lust. _Gentz_ Den Antrag abzuweisen wäre nicht klug von dir. _Fanny_ Man kann’s ja aufs nächste Jahr verschieben. _Gentz_ Nein. Die Welt verlangt nach dir. Dein Bezirk ist Europa, der Erdball. _Fanny_ Ist denn Berlin schon Europa? _Gentz_ Für jeden beginnt Europa, beginnt die Welt da, wo er seine Heimat verläßt. _Fanny_ (mit sehnsüchtigen Blicken, trotz des entschiedenen Tons) So gern ich’s möchte, Gentz, ich kann nicht von dir weg. Bei dir weiß ich, daß ich behütet bin. Du hast alles aus mir gemacht. Du warst alles für mich, mein Vater, mein Bruder, mein Freund, mein Lehrer. Du hast mich aufgeweckt, ich hätte keinen Ehrgeiz ohne dich, ich wüßte nichts von mir ... _Gentz_ Doch kann ich dir den Ruhm nicht geben, der dich fern von mir erwartet. _Fanny_ Was soll mir der Ruhm, wenn ich ihn nicht bei dir vergessen kann. _Gentz_ Je länger ich überlege, je unverantwortlicher erscheint es mir, dich zurückzuhalten. _Fanny_ (mit unwillkürlich hingerissener Gebärde) Hinaus ins Unbekannte –! Eines ist ja wahr: zu eng wird’s mir hier. Sie glauben mir nicht ganz, ich bin ihnen nicht fremd genug. _Gentz_ Kehrst du zurück, so gebietest du denen, die dich jetzt nur dulden. _Fanny_ Und doch ... nein, ’s ist unmöglich. Schau, Lieber, mit Berlin ist’s ja nicht abgetan. Da muß ich dann weiter. Da lockt’s mich weiter. Nach Paris, wo die Taglioni tanzt. _Gentz_ Sie ist kalt, sie ist blutlos, ein Schatten gegen dich. _Fanny_ Aber dort wissen sie, was tanzen heißt. Man ist stärker, wenn’s um den höheren Preis geht. Die Franzosen, siehst du, die möcht ich behexen, und wenn die Taglioni ein Engel ist, wie sie sagen, will ich zum Teufel werden. O, ich fühle, daß ich’s kann! Ich hab’s neulich gespürt im Blaubart, das ganze Theater war so still wie eine leere Kirche, und alle Augen waren so feurig in der Dunkelheit. Ach, Gentz! Paris! Paris! _Gentz_ (der sich immer mehr in heroische Entsagung hineinlebt) Warum nicht? Paris ist nur eine Domäne des Glücksreichs, das du gründen wirst. _Fanny_ Und von Paris nach London, und von London nach Amerika. Die Amerikaner sollen ja so reich sein, da könnt ich mir viel Geld verdienen, herrliche Kostüme kaufen, die Dichter und die Komponisten bezahlen, daß sie mir wunderbare Texte und schöne Musik machen. O, ich hätte Mut. Das Meer fürcht ich nicht und die Wildnis nicht. _Gentz_ So gefällst du mir. So gärt der Most, aus dem edler Wein wird. _Fanny_ (enthusiastisch) Und lernen, lernen, lernen, Gentz! Weißt du, was man von der Taglioni und ihrem Vater erzählt? Als sie in London war, wohnte unter ihr ein Mann, der ließ ihr sagen, sie möchte sich durch die Rücksicht auf seine Nachtruhe nicht in der Arbeit stören lassen. Und was hat der alte Taglioni geantwortet? Sagen Sie diesem Herrn, hat er dem Diener zugerufen, daß ich noch nie den Schritt meiner Tochter gehört habe, und daß ich sie verfluchen würde an dem Tag, wo es geschähe. Das find ich groß! _Gentz_ Du hast Gaben, um die dich eine Taglioni beneiden wird. _Fanny_ (stockt, seufzt) Das ist’s ja eben. Es ist einem oft zu Mut, als ob die Menschen voll Haß wären gegen die Kunst. Der Neid, die Mißgunst, wie soll ich’s ertragen, wenn du mir nicht hilfst? Du bist klug, bist mächtig, sie beugen sich vor dir, und wenn ich bei dir bin, vergeß’ ich die hämischen Gesichter. Nein, ich will nicht fort. _Gentz_ Ich kann dich nur bis dahin führen, wo dir der Sinn des Daseins verständlicher wird, Fanny. Wir sind allein und müssen allein bleiben, ein jeder. Vielleicht ist es deine Aufgabe, dieses Gefühl der Einsamkeit, von dem die Menschen erfüllt sind, in Schönheit zu verwandeln. Uns beide hat das Geschick nur in einer Laune zusammengeworfen, mich am Ende, dich am Anfang eines Wegs. Es ist mehr als Liebe, was uns bindet. Du warst für mich geschaffen und fühlst es. Daß die Zeit sich in unserer Geburt verrechnet hat, kann uns nicht beirren. Nichts wird uns trennen, – weshalb so viel Wesens machen um die paar Meilen von hier bis Berlin? _Fanny_ Und unsere Gespräche, unsere Ausflüge, unsere gemütlichen Abende, wo wir das »Buch der Lieder« zusammen gelesen haben ... _Gentz_ (scherzhaft) Bst! Willst du wohl? Daß du mich nicht verrätst, denn dieser Heine ist ein Erzliberaler. _Fanny_ Doch liebt er die Tänzerinnen, so viel ich weiß. _Gentz_ Ja, das tun die Liberalen sonst nicht. Und nun setz dich an den Schreibtisch, nimm den Federkiel und schreib deinen Namen unter den Kontrakt. _Fanny_ (schalkhaft) Das heißt so viel, als du schickst mich fort? (Sie setzt sich.) _Gentz_ In dieser Minute schreibst du deinen Namen ins Firmament der Unsterblichkeit. _Fanny_ Noch ist’s nicht geschehen, Gentz. Soll ich? Soll ich wirklich? _Gentz_ (legt seine Hand auf ihre Schulter, sie blickt zu ihm empor) Ich bin stolz darauf, deinen vollen Wert, von dem deine Schönheit und deine Kunst nur Teile sind, erkannt zu haben, und die Freundschaft, mit der du meine Liebe belohnst, schätze ich höher als Güter der Erde. Ich lebe nur in dir, Fanny; sterben hat keinen andern Sinn für mich als eine Welt verlassen müssen, in der du atmest. Ich habe den Mut zu glauben, daß mich nichts aus deinem Herzen reißen kann. Wenn du mich durch einen einzigen Händedruck versicherst, daß ich mich nicht irre, so bleibt mir nichts mehr zu wünschen übrig. _Fanny_ (gibt ihm die Hand) Ja, Gentz, Freundschaft, das ist das rechte Wort. _Gentz_ Das einzige, Fanny? _Fanny_ Gibt’s ein besseres noch? _Gentz_ Ich wag es nicht auszusprechen. Doch nun ich deine Hand habe, bist du mir versprochen, Fanny. Es ist zwar nur die linke, aber es ist mir keine lieber als die andre. Ich drücke sie an die Lippen und mit der rechten schreib’. Schreib deinen Namen, verschreib dich dem Ruhm. _Fanny_ Schwer ist das Schreiben ohnehin, und erst wenn du mir den Arm wegnimmst ... Also probier ich’s (schreibt) Fanny ... Elß ... ler. Wunderlich! Da steht’s nun! Und ist nichts geschehen eigentlich ... _Gentz_ Siehst du, Fanny, so hab ich dich zu deinem Wunsch bekehrt. _Fanny_ (dankbar) Gentz! Lieber! _Jean_ (kommt) Es ist einer draußen und sagt, er will die gnä’ Fräul’n sprechen. _Fanny_ Mich? _Gentz_ Wer mag’s denn sein? Hat er den Namen nicht genannt? _Fanny_ (rasch) Ach richtig, das ist sicherlich der Stuhlmüller. _Jean_ (verächtlich) Ja. Stuhlmüller. So nennt er sich. _Fanny_ (mit blitzenden Augen) Weshalb spricht der Mensch so despektierlich, frag ich? _Jean_ Entschuldigen die gnä’ Fräul’n, aber ... _Gentz_ (streng) Nichts. Genug. Frag ihn, was er will. (Jean ab.) Wie kann der Bursch es wagen ... _Fanny_ Aber ich versteh dich gar nicht ... abholen will er mich. ’s ist Prob am Nachmittag, und außerdem ... _Gentz_ Außerdem? _Jean_ (kommt zurück) Der Monsieur Stuhlmüller läßt sagen ... _Gentz_ ’s ist gut. Weiß schon. Soll draußen warten. (Jean ab.) Außerdem, Fanny? _Fanny_ Er ist’s ja, Gentz, der Stuhlmüller, der mir den Kontrakt verschafft hat, und jetzt brennt ihn halt die Neugier zu erfahren – _Gentz_ _Er_ hat dir den Kontrakt verschafft? Wie kommt er denn dazu? _Fanny_ Er ist ja in Berlin engagiert, und ich soll seine Partnerin sein. _Gentz_ Er dein Partner, meinst du ... _Fanny_ Ja, wenn du so willst ... _Gentz_ Deshalb ist immer noch kein Grund für ihn, in mein Haus zu dringen. _Fanny_ Warum denn so feindselig, Gentz? _Gentz_ Ich mag’s nicht. Mag das Theatervolk nicht leiden. Haben alle so was Penetrantes. _Fanny_ Er war mir ein guter Kamerad. _Gentz_ (mit den Händen auf dem Rücken hin- und hergehend) Das dacht ich mir. _Fanny_ (langsam) Er war’s ... (stockend) er ist’s nimmer. _Gentz_ (bleibt stehen) Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Also habt ihr euch zerstritten? _Fanny_ Er ist mir noch was anderes. _Gentz_ (blickt sie starr an) Er ist dir sehr ergeben, hoff ich. _Fanny_ Ergeben? Nein. Eher ... stolz. _Gentz_ Der elende Komödiant! Werd ihm die Leviten lesen. _Fanny_ Willst du denn _nicht_ begreifen, Gentz? (Lange Pause.) _Gentz_ (die Hand an der Stirn, plötzlich schwer) Sprich nicht davon, Fanny. Sprich nicht davon. Du kennst dich selber nicht. Du kennst mich nicht. _Fanny_ (innig) Schau, Gentz, anders konnt’ es doch nicht, durft’ es doch nicht kommen, oder die Natur ist nicht mehr Natur und Blut nicht mehr Blut. _Gentz_ (leise) Also doch ... Felix! Felix! – Sprich nicht davon, Fanny! (Ausbrechend.) Oder sag lieber, daß alte Männer langweilig sind, daß sie graue Haare haben und schwarze Zähne, daß sie, anstatt Liebesworte zu girren, besser ihr Testament abfassen sollten, daß jung sein, nichts anderes bedeutet als grausam sein, gefräßig sein, meineidig sein und daß man nicht vergessen soll, zur rechten Zeit zu sterben ... Gott, wohin verlier’ ich mich! _Fanny_ (erregt) Gentz, hör mich an. Den Kontrakt, noch kann ich ihn zerreißen – _Gentz_ Nimmermehr, Fanny. Blieb ich darum weniger ein Greis? _Fanny_ Dir dank ich alles, Gentz, und will dir’s danken, ohne Engigkeit, nicht bloß mit Reden, sondern von Herzen gern, und da, in meinem Herzen, bist du und bleibst du allezeit. Du bist mir das Höchste auf der Welt, als Mensch, und weil du’s bist, mußt du’s verstehen, wenn ich mein Herz nicht vor dir hehle. So war ja die Abrede zwischen uns, und immer warst du darauf gefaßt. _Gentz_ (düster) Man ist nie auf ein Ende gefaßt, wenn es da ist. Der Glückliche steht immer an einem Anfang. _Fanny_ Ein Ende, Gentz! Wer spricht vom Ende? Wahrlich, du betrübst mich ganz und gar. Ich bin ganz irre jetzt. _Gentz_ Sprich nur weiter, Fanny, so hör ich wenigstens deine Stimme. _Fanny_ Dir mag’s von mindrem Wert erscheinen, was mich jetzt erfüllt; vielleicht ist’s auch so, doch was nützt Rede und Widerrede, wenn dich die Sinne zwingen und dich auf den Weg treiben, – einem in die Arme, der wartet, wartet, und den du nicht hast kommen sehn, und du mußt zu ihm, als ob’s Gott selber so beschlossen hätte. Rühmt’ ich seine Augen oder seinen Gang oder daß er’s redlich meint und ein treues Gemüt hat, so würd ich lügen, Gentz, denn dies ist’s nicht, was mich hintreibt, ’s ist vielmehr wie ein Rhythmus beim Tanz, der die Unruhe auflöst und die Luft um einen her dünner macht. Auch auf Betrug war’s nicht abgesehn, denn her bin ich gekommen, um alles frei zu sagen, nur hat’s mir weh um dich getan. _Gentz_ Wie deine Augen glänzen, Fanny ... _Fanny_ Du mußt ihn sehen, Gentz! Wie er schreitet, sich bewegt! Wie schlank er ist, wie er den Kopf wendet, wie edel er sich hält, wie die Gelenke abgesetzt sind. Mit ihm zu tanzen, ist halbe Arbeit; er trägt mich, schwingt mich so dahin. Wie mir’s bei dir geschieht, wenn ich im Leben zaghaft werde, so gibt er mir Mut und Lust beim Tanz. _Gentz_ Wann willst du reisen, Fanny? _Fanny_ (mit gesenktem Kopf) Weiß noch nicht. In der nächsten Woche, denk ich. _Gentz_ Wozu der lange Aufschub? Es wäre besser, du würdest morgen reisen. _Fanny_ Bist du so ungeduldig, mich los zu werden, Gentz? _Gentz_ Ich will dir einen Platz auf der Post bestellen. _Fanny_ Soll ich heut abend nicht zu dir kommen? _Gentz_ Heut abend laß mich lieber allein. _Fanny_ Jetzt will ich aber den armen Stuhlmüller nicht länger warten lassen. _Gentz_ Adieu, Fanny. _Fanny_ Magst ihn nicht wenigstens sehen? Sprich ein freundlich Wort mit ihm. _Gentz_ Nicht heute, nicht jetzt. _Fanny_ So leb wohl. (Reicht ihm die Hand.) _Gentz_ Komm noch einmal ... _Fanny_ Morgen komm ich wieder. _Gentz_ Und übermorgen ... _Fanny_ Übermorgen auch. _Gentz_ Wie ein gehorsames Kind! _Fanny_ Wie eine Tochter, ja. _Gentz_ (zu dem Kupfergefäß, nimmt Rosen und gibt sie ihr) Hier, die Rosen, Fanny; nimm sie mit auf den Weg. _Fanny_ Dank dir. _Gentz_ Und sei glücklich. _Fanny_ Dank dir schön. _Gentz_ Und noch etwas: geh nicht direkt die Straße entlang, – geh am Gartentor mit ihm vorbei, damit ich euch sehe. Es ist nur ein kleiner Umweg. _Fanny_ Ist recht, Gentz. (Sie beugt sich schnell, küßt seine Hand; ab.) _Gentz_ (lauscht; dann auf und ab. Er geht zur Gartentür, schaut angestrengt nach rechts hinüber) Da gehen sie hin, – die jungen Leute! (Er zieht sein Lorgnon heraus und verfolgt die sich Entfernenden mit den Blicken, bis sie verschwunden sind, dann wendet er sich ab und läßt sich in den Fauteuil sinken. In seinem Gesicht erlischt gleichsam ein Feuer, und der Ausdruck wird völlig greisenhaft.) Da gehen sie hin. Die jungen Leute. Als ob sie einen Sarg in die Erde gesenkt hätten. Wozu die Trauer? Wozu Opfer, wozu Treue, wozu Müh und Sorge? Das Leben schwindet, das Krüglein ist geleert. Kein Wort mehr, Gentz, den letzten Traum hast du dir verdient und bezahlt. Genug, genug. (Er erhebt sich, greift nach der Handglocke.) Wie noch alles hier nach ihrer Jugend riecht! Wie die Luft noch von jungem Lachen klingt ... Kein Wort, kein Wort mehr, Gentz. (Er läutet.) _Jean_ (kommt) Herr Hofrat befehlen? _Gentz_ Geh Er zum Fürsten Metternich und richt Er aus, daß ich zum Diner heut abend nicht kommen kann. _Jean_ Sehr wohl. _Gentz_ Bring Er mir meinen Schlafrock, den türkischen und mach Er Feuer im Ofen. ’s ist kalt. _Jean_ Sehr wohl. _Gentz_ Sag Er den andern draußen, daß ich für niemand zu Hause bin. Für niemand, hört Er? _Jean_ Sehr wohl. _Gentz_ Vor allem mach Er Feuer an. _Jean_ Sofort. (Ab.) _Gentz_ ’s ist kalt. ’s ist kalt. (Sinkt wieder in den Sessel.) Kein Wort mehr, Gentz. (Bedeckt das Gesicht mit den Händen.) (Vorhang) Der Turm von Frommetsfelden Personen: Der Ritter Karl Heinrich von Lang, ansbachischer Domänenrat Anna, seine Frau Frau von Hänlein, deren Mutter Leutnant Amandus Schlözer Rechnungsrat Birnkoch Kammerdirektor Mühlbach Kasteljack, Schreiber Fünf Bauern, darunter: Der Ringhofbauer, der Waldhofbauer, der Erlhofbauer Bärbel, Dienstmagd bei Langs Spielt zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Ansbach. Das geräumige Arbeitszimmer des Ritters von Lang, zugleich eine Art Wohngemach. Die Möbel im französischen Geschmack des achtzehnten Jahrhunderts. Rückwärts zwei Fenster mit Aussicht auf romantisch verwinkeltes Häuserwerk. Links Tür in die andern Zimmer, rechts in den Flur. _Frau von Hänlein_ ordnet die auf Tischen, Stühlen und Sofa herumliegenden Bücher und Hefte; _Bärbel_ kehrt mit einem riesigen Besen aus. _Frau von Hänlein_ (eine stattliche Dame in der Mitte der vierzig; sehr riegelsam, frisch, gesund, nur wenig angegraut) In aller Frühe war er also schon da? _Bärbel_ Heroben war er nit. Vorbeigangen ist er am Haus, wie ich zum Bäcker bin, und hat g’fragt, wie’s der jungen Frau geht. _Frau von Hänlein_ Scheint viel Zeit zu haben, der junge Herr. _Bärbel_ Die Herren Leutnants möchten halter gern, daß an Krieg gitt. _Frau von Hänlein_ Wenn ich der Lang wäre, ich tät ihm das Haus verbieten. Die Männer sind zu schlampig in manchen Sachen. Du kannst jetzt in die Küche gehn, Bärbel. In einer halben Stunde muß die junge Frau ihre Milchsuppe bekommen. (Bärbel ab.) Sitzt da herum. Schwatzt. Wär die Anna nicht die Anna, er könnt sie am Ende um den Verstand schwatzen. Lang, Lang! So gescheit du bist, so dumm bist du. _Anna_ (kommt von links. Blasse, schlanke, zarte, zierliche Frau von zwanzig Jahren. Sie trägt ein elegantes Morgengewand nach Pariser Schnitt; lächelnd) Sprichst für dich alleine, Mutter, und räumst schon wieder? _Frau von Hänlein_ Was zu räumen ist, räum’ ich. Guten Morgen, Kind. Bist schon aus dem Bett gehupft? ’s ist erst zehn Uhr und der Doktor hat gesagt, du sollst bis Mittag liegen. _Anna_ (heiter) Erklärt mich der Doktor für krank, dann fühl’ ich mich gleich gesund. _Frau von Hänlein_ Bist ja auch nicht krank, sollt’ ich meinen. _Anna_ Krank nicht, gesund auch nicht. Was soll man glauben! _Frau von Hänlein_ Glaub an deine Natur. _Anna_ Grad die Natur macht mich oft irre. Oft versuch ich froh zu sein, dann kommt unversehens die Traurigkeit. _Frau von Hänlein_ Wie hast denn geschlafen heute? _Anna_ Einen wunderlichen Traum hab ich gehabt, Mutter. _Frau von Hänlein_ Laß hören. Vielleicht kann ich ihn deuten. _Anna_ (setzt sich aufs Sofa, Frau von Hänlein bleibt vor ihr stehen) Mir träumte, ich war in Frommetsfelden und alles war noch so, wie ich ein Kind gewesen. Der schöne Garten mit den vielen Obstbäumen, alle voller Äpfel und Birnen und die lieben alten niedlichen Häuschen, und ich geh so und freu mich über den blauen Himmel, und wie ich so gehe, wird’s auf einmal stockfinstre Nacht, und auf einmal seh ich Flammen, und das ganze Städtchen steht lichterloh in Brand. Mir wird Angst, und ich weiß nicht wohin, da packt mich Karl Heinrich am Arm, so fest, daß mir’s durch und durch weh tut. Laß mich wenigstens noch in meinen Garten, bitt ich ihn, aber er schüttelt den Kopf, macht ein böses Gesicht und hält mich nur immer fester. Da seh ich den Leutnant Schlözer kommen, er winkt mir so freundlich, daß mir ganz warm ums Herz wird, und plötzlich kann ich zu ihm hingehen, und wie ich bei ihm bin, da sind wir im Garten, und aus einem schönen blauen Krug gibt er mir Wasser zu trinken. Dabei ist mir immer wohler und wohler geworden, und so bin ich aufgewacht. _Frau von Hänlein_ Das war das Vernünftigste, was du hast tun können, das Aufwachen. _Anna_ Sollen die Träume auch noch vernünftig sein? Schau, Mutter, ich fühl’ mich so verlassen oft. _Frau von Hänlein_ (setzt sich zu ihr, tadelnd) Und du hast doch den besten Mann von der Welt. _Anna_ (steht auf, geht zum Fenster) ’s ist wahr. _Frau von Hänlein_ Ist’s wahr mit Seufzen, so ist’s Lüge. _Anna_ Weiß wirklich nicht, wie mir zumut ist ... _Frau von Hänlein_ Hör’ zu, Anna. Du solltest dich weniger mit dem Leutnant Schlözer abgeben. Ein paar Monate seid ihr erst verheiratet, und, – es schickt sich eben nicht. Lang muß sich auch kränken. _Anna_ (bitter) Karl Heinrich? Oh nein, Mutter. Oh nein. Der kränkt sich nicht. Darüber nicht. _Frau von Hänlein_ Warum nicht _da_rüber? Etwa weil er nicht darüber spricht? _Anna_ Wüßt ich’s nur! Das ist’s ja, was mich quält. Er denkt nur an die Verwaltung. Nur seine Eingaben und Verbesserungen hat er im Kopf. _Frau von Hänlein_ (lacht) Bist eifersüchtig auf die Verwaltung? Damit mußt du dich abfinden. Ein Mann gehört seinem Beruf. _Anna_ (mit niedergeschlagenen Augen) So bin ich betrogen worden, Mutter. Man hat mir’s anders eingeredet. _Frau von Hänlein_ Als dein Vater auf dem Totenbett lag, sagte er zu mir: Schau, Rieke, du hast ja graue Haare an den Schläfen. Da hab ich ihm antworten müssen: Dummer Mann, die grauen Haare hab ich schon seit sechs Jahren. Glaubst du, wir haben uns deshalb minder lieb gehabt? _Anna_ Ach, – Liebe! Das ist viel, oder ’s ist wenig, je nachdem! Wie kann ich wissen, ob sie _mir_ gilt, (mit beiden Händen an der Brust) ob’s _meine_ Liebe ist, die erwidert wird, ganz genau meine? _Frau von Hänlein_ Warum soll es denn, um Gottes willen, ganz genau die deine sein? Wir Menschen sind doch aus verschiedenem Teig. _Anna_ Ist sie ihm mehr wert als das Amt? Was Größeres als die Geschäfte? Was anderes als eine Stunde zum Vergessen? Ich will wissen, ob sie mir gilt, mir ganz allein und ganz so wie ich bin. _Frau von Hänlein_ Kind, spiel du nicht mit Worten, denn das heißt so viel wie zum Teufel beten. (Sie steht auf.) _Anna_ Was sind mir seine Geschenke, wenn ich das nicht weiß? Er ist so verschlossen; so viel fremdes Leben bringt er mit. Seine Augen sind fremd. Sein Gesicht ist fremd. Mir ist als hätt ich sein wirkliches Gesicht noch kaum gesehen; als ob er gar nicht leiden könnte um was. Immer möcht ich grübeln, wenn er mit mir redet; indes sein Wort weiter geht, bin ich noch beim ersten und frag mich: wo bist du, Karl Heinrich? Ich find ihn nicht. Muß ich ihm nicht auch fremd sein? Wie wird er mich nehmen, wenn mein Fremdestes zu seinem Herzen will? _Frau von Hänlein_ (bekümmert) Das kommt mir alles wie Sünde vor. Auch versteh ich’s nicht. Ich bin schon froh, wenn mich die Sonne bescheint. _Bärbel_ (von rechts) A Herr is da un will unsern Herrn sprech’n. _Frau von Hänlein_ Unser Herr ist ausgegangen. _Bärbel_ Der Herr will auf unsern Herrn wart’n. _Frau von Hänlein_ Was ist’s denn für ein Herr? _Bärbel_ Birnkoch haaßt ’r. _Rechnungsrat Birnkoch_ (unter die Türe tretend; ein dicker, kleiner, geschniegelter junger Mann mit Glatzkopf und einem eiertanzähnlichen Gang) #Excusez, mes dames –# _Frau von Hänlein_ Der Herr Rechnungsrat! Bitte nur einzutreten, Herr Rechnungsrat. _Birnkoch_ Ist nicht meine Absicht, die Damen zu troublieren. #Bonjour, mesdames#. Frau Domänenrätin, meine Reverenz. Wie befindet sich dero beneidenswerter Gatte? _Frau von Hänlein_ (hastig, um Annas zerstreutes Schweigen zu verdecken) Mein Schwiegersohn ist zur Inspektion des Waisenhauses, Herr Rechnungsrat. Müssen Sie ihn dringend sprechen, so schick ich hinüber. _Birnkoch_ Inspektion in aller Frühe? Ein rühriger Beamter, der Domänenrat Lang, #un caractère de fer#. Wollen Sie hinüber schicken? Ich bitte, nein. Allerdings habe ich ein Anliegen, will sagen einen Auftrag von Seiner Exzellenz, dem Minister Haugwitz, der die Gnade hatte, mit mir in Berlin zu konferieren ... _Frau von Hänlein_ Nun, wenn es von Wichtigkeit ist, Herr Rechnungsrat ... (Will zur Tür.) _Birnkoch_ Bitte nein, Madame. Muß wohl von einiger #importance# sein, da man mich damit beauftragt hat. Aber, bitte nein. Das Vergnügen, Ihnen Gesellschaft leisten zu dürfen ... Es handelt sich um die fatale Affäre ... #une chose ridicule, au fond# ... mit dem Turm von ... von ... #quel nom abominable# ... _Frau von Hänlein_ Mit dem eingestürzten Stadtturm vielleicht –? _Birnkoch_ Ganz richtig, Madame; mit dem eingestürzten Stadtturm. In ... in ... _Frau von Hänlein_ Frommetsfelden. _Birnkoch_ #Milles mercis, madame#. Frommetsfelden. #Mon Dieu,# was für seltsame ... Bezeichnungen in Deutschland die Dörfer haben! _Anna_ (die am Fenster gesessen ist, hat erstaunt aufgehorcht) Wie, Mutter, – in Frommetsfelden ist der Turm eingestürzt? _Birnkoch_ Ganz wie Sie sagen, Frau Domänenrätin. Von oben bis unten eingestürzt. _Frau von Hänlein_ (verschüchtert durch Annas erschrockene Miene) War ja ein altes, baufälliges Gerümpel, der Turm. _Birnkoch_ #C’est ça.# Uralt. Und baufällig, jawohl. Baufällig. Unbedingt baufällig. Deshalb ist er ja eben eingestürzt. _Anna_ Wann ist denn das geschehen? _Birnkoch_ Nun ... es mögen drei bis vier Wochen sein. Eher vier. Jawohl. Vier bis fünf Wochen, jawohl. _Anna_ Davon hat mir Karl Heinrich kein Wort gesagt ... _Frau von Hänlein_ Daß dich das sonderlich interessiert, hat er nicht denken können. _Birnkoch_ So wissen Sie auch nicht, daß der Herr Domänenrat sich weigert, mit allen Gründen seiner Amtsgewalt sich weigert, den Turm wieder aufbauen zu lassen? _Anna_ Er will ihn nicht wieder aufbauen lassen? _Birnkoch_ #Une marotte! une marotte inexplicable!# Er weigert sich. Die Regierung selbst unterstützt das Verlangen der Bauern. Und er weigert sich. #C’est son entêtement.# _Anna_ Aus welchem Grund will er denn den Turm nicht bauen lassen? _Birnkoch_ #Parole d’honneur,# ich weiß ihn nicht, den Grund. Und wüßt ich ihn, so könnt ich ihn keinesfalls approuvieren. Aber ich bin erfreut, Madame, daß Sie an der Sache solchen Anteil nehmen. Da kann man ja auf Ihre Unterstützung rechnen ... _Frau von Hänlein_ Meine Tochter nämlich, Herr Rechnungsrat, hat ihre ganze Jugend dort in Frommetsfelden zugebracht. Sie hat bei ihrem Oheim auf dem Gut gelebt, während ich mit meinem Mann in der Welt herumgezogen bin. _Birnkoch_ Verstehe ... _Frau von Hänlein_ Da ist ihr natürlich jeder Baum und jeder Stein ans Herz gewachsen. _Birnkoch_ Verstehe. Die Erinnerung. #Le souvenir.# Verstehe. (Zitiert mit preziösem Tonfall.) Erinnerung taucht ihren Farbenpinsel Ins wunde Herz und übermalt den Gram. Sie fleucht mit dir auf eine Zauberinsel, Wenn das Geschick dir Mut und Freude nahm. Verstehe. _Frau von Hänlein_ Reizend, Herr Rechnungsrat. Haben Sie das selbst gedichtet? _Birnkoch_ Nicht ganz. Nicht ganz. Hab’s mir aus einer #anthologie# kopieren lassen. (Es klopft, ein kleines Mädchen tritt verschämt ein. Sie trägt einen Fliederstrauß in der Hand, blickt von einem zum andern, eilt jäh auf Anna zu und überreicht ihr den Strauß mit einem Knix.) _Birnkoch_ Sieh da, sieh da! Flieder schon, im März? _Anna_ (erhebt sich; tief errötend) Von wem ist denn der Flieder, Kind? (Schnell, ehe das Mädchen antworten kann.) Ist schon gut. Ich laß mich recht sehr bedanken. Da hast was für den Zuckerbäcker. (Gibt ihr ein Geldstück; das Mädchen geht.) _Frau von Hänlein_ (leise mahnend) Anna! _Birnkoch_ Befinde ich mich in einem #erreur,# wenn ich annehme, daß Sie den Spender kennen, Frau Domänenrätin? _Anna_ (für sich) Herrlich! Herrlich! (Steckt das ganze Gesicht in den Strauß und atmet mit Inbrunst; flüsternd.) Mein Traum!... _Frau von Hänlein_ (am Fenster) Da kommt der Domänenrat! (Sie winkt hinunter.) _Anna_ (stellt die Blumen in eine Vase vor die Spiegelkonsole, betrachtet entzückt die Wirkung). _Frau von Hänlein_ Weshalb stellst du denn den Strauß vor’n Spiegel, Anna? _Anna_ (ohne sich umzuwenden, lächelnd) Dann sieht es aus, als ob ich zwei Sträuße hätte. _Birnkoch_ #C’est drôle! c’est ravissant!# _Ritter von Lang_ (tritt ein. Er ist ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit einer starken, energischen Stimme; sein Gesicht ist der Mode der Zeit gemäß bartlos, sein Wesen hat ein kühnes Selbstbewußtsein wie das eines Menschen, der seinen Wert genau kennt und sich außerdem mit Absicht von andern Beamten, ihrem Servilismus nach oben, ihrer Brutalität nach unten, unterscheiden will) Guten Morgen, Herr Birnkoch; hab’ gestern schon gehört, daß Sie wieder in Ansbach sind. – Bist schon so frühzeitig munter, Anna? (Küßt sie auf die Stirn.) – Woher ist denn der frische Flieder da? _Anna_ Daß du’s gleich gesehen hast! (Nimmt seine Hand und sieht ihn hell an.) Er hat’s gleich gesehen, Mutter. _Frau von Hänlein_ Werden vom Hofgärtner aus dem Treibhaus sein ... (Raunt Lang in die Ohren.) Nennen Sie ihn doch nicht Birnkoch, lieber Lang! Wollen Sie ihn auf Lebenszeit zum Feind haben? _Lang_ (lacht kurz, dann sehr höflich) Warten Sie schon lang, Herr Rechnungsrat? Was gibt’s? Soll ich die Frauenzimmer fortschicken? _Birnkoch_ Beileibe, Herr Domänenrat, beileibe nicht. Die Damen und ich, wir haben uns über den Gegenstand schon ausgesprochen und sind ganz #d’accord.# Denn Sie müssen nachgeben in der Affäre mit dem närrischen Turm. _Lang_ Potz Knackwurst, lieber Birnkoch – _Birnkoch_ (indigniert und weinerlich) Aber hochgeschätzter Herr Domänenrat, warum wollen Sie mir nicht meinen sauer verdienten Titul zubilligen? _Lang_ Schön, Herr Rechnungsrat. Ich sage nur, wenn Sie einen ganzen Harem von Weibspersonen um mich aufstellen, der Lang gibt nicht nach. In _der_ Sache nicht. _Birnkoch_ Es ist der entschiedene Wunsch Seiner Exzellenz, des Ministers Haugwitz – _Lang_ Vor allem steht es so, daß ich, in meinem Ressort, Befehle nur vom Fürsten Hardenberg empfange. Es ist mir ja bekannt geworden, daß der Fürst, der mir freundlich gesinnt ist, durch allerlei Kabalen aus seinem Amt gedrängt werden soll, aber eine offizielle Mitteilung habe ich darüber nicht erhalten. _Birnkoch_ Seine Exzellenz, der Minister Haugwitz hat über den Fall eine Note abfertigen lassen – (zieht sein Portefeuille.) _Lang_ Ihr könnt Noten schmieren, so viel ihr wollt. Das lebendige Bedürfnis spricht anders. _Birnkoch_ (bestürzt) #Mon dieu!# Sie anerkennen also keine höhere Instanz? _Lang_ Instanz? Zu deutsch: Schleichweg. Der Minister Haugwitz ist von Kreaturen umgeben, die ihren Vorteil suchen. _Birnkoch_ Eine solche Verdächtigung muß ich mit aller zukömmlichen Entschiedenheit repoussieren. _Anna_ (zwischen beide tretend, sehr sanft) Warum soll denn der Turm nicht wieder aufgebaut werden, Karl Heinrich? _Lang_ (barsch) Misch du dich nicht in die Affären, Kind. _Frau von Hänlein_ (nimmt sie am Arm, leise) Er hat recht. Er muß wissen, was er tut. _Lang_ Ist dem Minister auch wahrheitsgemäß angegeben worden, was der Wiederaufbau des Turmes kostet? _Birnkoch_ (in seinen Papieren blätternd) Der Baurat Österlein hat vierhundert Gulden in Voranschlag gebracht. _Lang_ Dann ist der Baurat Österlein ein ganz gemeiner Schwindler, der einen Auftrag will und eine Versprechung leistet, die er nicht halten kann. Das sag ich ihm auf den Kopf zu. _Birnkoch_ Sie erschrecken mich, Herr Domänenrat – _Lang_ Das Vierfache reicht nicht hin. Aus meinen genauen Berechnungen geht hervor, daß bei aller Sparsamkeit achtzehnhundert bis zweitausend Gulden nötig sind. _Birnkoch_ #Eh bien,# wenn die Bauern dafür aufkommen wollen und die Regierung einen Beitrag gibt –? _Lang_ Die Bauern, die sich ohnehin unterm Steuerdruck winden? Und die Regierung, die kann das teure Geld förderlicher verwenden. _Birnkoch_ (spitz und kalt) Inwiefern förderlicher, wenn ich bitten darf? _Lang_ Herr, in Frommetsfelden ist keine Schule! _Birnkoch_ (heuchlerisch bekümmert) Ei, ei, ei ... _Lang_ Bei Regen, bei Frost, im tiefsten Schnee müssen die Kinder zwei Stunden laufen, um in die nächste Schule zu gelangen. Die Folge? Weitaus die meisten Eltern behalten ihre Sprößlinge zu Haus und erziehen dem Staat Analphabeten. Ich will Ihnen eine Schule bauen für das Geld, das der Turm kosten würde. _Birnkoch_ Unter uns, – finden Sie denn diese sogenannte Bildung wirklich so notwendig für das Volk? Durch jeden Bauern, der lesen und schreiben kann, wird uns das Regieren schwerer gemacht. _Lang_ Meine Ambition ist nicht, den Herrschaften das Regieren zu erleichtern. Was ihr gern seht, das ist eine möglichst große Armee von Nullen. Und jede Null soll zugleich ein Geldsack sein, ein Ding jedenfalls ohne Kopf und ohne Füße, und wenn ihr diese ganze Nullenkarawane gemächlich vor euch hinrollt, das nennt ihr dann regieren. _Birnkoch_ (entsetzt) #Mais, monsieur! Ce sont des idées revolutionaires!# _Lang_ Das ist meine Ansicht. _Birnkoch_ (dem nicht mehr ganz geheuer ist) Aber ... ich meine ... wenn wo ein Turm einstürzt ... wenn überhaupt wo was einstürzt, muß man’s doch wieder aufbauen. _Lang_ Ich bin dafür, daß man Ruinen wegräumt und nicht neue schafft. _Birnkoch_ (rafft sich auf; würdevoll) Sohin ist meine Mission beendet. Ich werde nicht ermangeln, höheren Orts Bericht zu erstatten. _Lang_ Das bleibt Ihnen unbenommen. _Birnkoch_ Ich habe in der leidigen Angelegenheit um elf Uhr noch eine #conférence# mit dem Herrn Präsidenten von Schuckmann – _Lang_ Weiß schon. Der Präsident hat mich dazu gebeten. Man zwickt und zwackt mich von allen Seiten. In einer halben Stunde komm’ ich hinüber. Habe vorher noch ein Referat zu erledigen. (Verbirgt mühsam seinen Ärger und begibt sich, nach einem kurzen Kompliment, unhöflicherweise sogleich an seinen Schreibtisch.) _Birnkoch_ #Mesdames#, meine ehrerbietigste Empfehlung. _Frau von Hänlein_ (macht bedauernde Gesten, um Lang zu entschuldigen, und begleitet Birnkoch. Ehe noch die Tür ganz geschlossen ist, hört man von draußen) _Birnkochs Stimme_ Seien Sie versichert, Madame, daran ist der Bonaparte schuld. Der Bonaparte sitzt ihm im Nacken. Schade, jammerschade ... _Lang_ (horcht auf, lacht vor sich hin, während er schreibt) Der Bonaparte muß allen Faulenzern den Wauwau machen. (Schreibt.) Aber sein Französisch reden sie. (Schreibt.) Und miserabel noch dazu. _Anna_ (hat sich vorsichtig genähert und schaut Lang über die Schulter. Sie schüttelt den Kopf, als ob sie sagen wollte: er spürt mich nicht. Endlich legt sie ihm die Hände auf die Schultern). _Lang_ Was gibt’s denn, Anna? (Schreibt weiter.) _Anna_ Hast du nicht ein Minütchen Zeit für mich? _Lang_ (ein bißchen ungeduldig) Sag nur, was du willst. Ich bin ja beschäftigt, wie du siehst. _Anna_ (schweigt, entfernt sich seufzend). _Lang_ (schreibt) Na sag’s nur, aber geschwind. _Anna_ Manche Dinge kann man nicht geschwind sagen. _Lang_ Dann sind’s gewiß überflüssige Dinge. _Anna_ (nähert sich von neuem, neigt sich über ihn; mit einem Versuch zur Koketterie) Weißt, von wem ich den Flieder hab’? _Lang_ (stockt; kleine Pause, scheinbar gleichgültig) Von wem ... vom Leutnant Schlözer natürlich. _Anna_ Falsch geraten. Nein, richtig geraten. Ist’s nicht nett von ihm? Er weiß, daß mich Blumen ganz toll machen vor Freude. (Naiv.) Aber das blaue Seidenkleid, das du mir vom Baron Imhoff aus Paris hast bringen lassen, ist wunderschön. _Lang_ (schreibt wieder) Sollst es tragen, wenn der Fürst kommt. _Anna_ Das dauert bis zum Herbst. _Lang_ Bis dahin wird’s nicht altmodisch. _Anna_ Ob ich aber dann noch lebe ... _Lang_ (kehrt sich rasch um) Anna! _Anna_ Flieder, der verwelkt von heut auf morgen. Der ist für den Augenblick. So ein Kleid, das soll täuschen über den Augenblick. _Lang_ Du quälst dich mit Hirngespinsten und mich nicht minder. _Anna_ Hirngespinste? Das Hirn spinnt, was das Herz bewegt. _Lang_ (steht auf) Du darfst mir nicht den Boden unter den Füßen wegziehen, Anneli. Gegen Menschen kann ich streiten, gegen Schatten nicht. _Anna_ (verzagt, sieht ihn groß an) Mir ist so bang. _Lang_ Weshalb denn, Anna? _Anna_ Um dich, um mich, um uns beide ist mir bang. Ich seh dich oft gar nicht. Du bist so fern, auch jetzt, wo du vor mir stehst. Und ich weiß, du siehst mich auch nicht. Mir ist, als ob wir zwei Blinde wären, die vergeblich mit den Händen nacheinander greifen. Du bist so tüchtig, so fest, so klug, aber es ist was in dir, was mich schreckt. Ganz, ganz nahe möcht ich oft zu dir und kann nicht, wie wenn einem das eigene Haus zugesperrt wär’. _Lang_ (kopfschüttelnd, doch heimlich erleichtert) Schau, schau, was für eine kleine Schwärmerin du bist! _Anna_ (verletzt) Nein, Karl Heinrich, wirf’s nicht mit einem Wort von dir. Bist doch sonst ein Feind von denen, die sich’s bequem machen. Mich sollst du dir auch nicht bequem machen. _Lang_ (ablehnend) Ich versteh dich nicht, Kind. Mir ist das alles Spiel, was du vorbringst. Zum Spielen ist mir der Tag zu wert. (Will sich wieder zur Arbeit setzen.) _Anna_ (schmiegt sich an ihn, mit einem jähen Entschluß, bittend) Schenk mir den Turm, Karl Heinrich! _Lang_ (verwundert) Den Turm? Was für einen Turm? _Anna_ Den Turm in Frommetsfelden. _Lang_ Was soll das heißen? – Der Turm ist ja eingestürzt. _Anna_ (leidenschaftlich schmeichelnd) So bau ihn wieder auf! Bau ihn! Für mich! _Lang_ (ruhig) Solchen Unsinn kannst du von mir im Ernst nicht verlangen. _Anna_ (beteuernd) Im tiefen, heiligen Ernst. Ist kein Unsinn, Karl Heinrich; ist ein Wunsch, nur ein Wunsch. _Lang_ Den ich unmöglich erfüllen kann; oder ich würde mich zum Windbeutel machen. Denk doch nach – _Anna_ Denk ich nach, kann ich den Wunsch nicht mehr so spüren. _Lang_ Nun also! _Anna_ Wünschen ist stärker als denken. Du nennst’s vielleicht eine Laune. _Lang_ Eine üble noch dazu. _Anna_ (ruhiger) Schau, der Turm war mir immer was Ehrwürdiges, das zum Himmel lockt. So stolz und wacker ist er gestanden, so fest und alt ins Firmament hineingegossen, und so unvergänglich, weißt du, als stünd’ er von Anbeginn der Welt bis zum Ende. Wenn ich als Kind nachts vom Schlaf erwacht bin, hab ich die Glocke gehört; dumpf und schwer und mächtig langsam und so wohllautend wie des Herrgotts Stimme selber. Wie Zeit und Ewigkeit hat’s da zusammengeklungen, zwischen Schlag und Schlag war ein ganzes Leben, gute Träume, böse Träume, und die Nacht ist so groß geworden, und der Tag so fern ... Aber wär’s nur darum, so wär’s am Ende wirklich Laune. Darum ist’s aber nicht. _Lang_ So erklär dich deutlicher. _Anna_ Ach, daß du’s nicht begreifst, daß du’s nicht ahndest! _Lang_ Und daß auch _du_ mir’s noch schwer machst, Anna, auch du! Bin ich denn nicht wie der böse Feind dahier geachtet? Jede Handlung, die dem gemeinen Wesen zugute kommen soll, braucht zwanzig Schreibereien. Wohin du blickst, die ärgsten Mißbräuche, Zehrungen und Unterschleife. Was an Steuern dem armen Volk erpreßt wird, geht für die Zeche der Herren auf. Meinst du, ich könnte nicht gleichfalls so ein Diätenfresser sein? Und sparte mir die Galle dabei. Was für Zustände, Anna! Davon hast du ja keinen Begriff! Im Alumneninstitut des Gymnasiums lauter feuchte, ungeheizte Stuben, wo die schamlos vernachlässigten Schüler öffentlichen und heimlichen Sünden frönen. Dabei muß man alljährlich das Geld aufborgen, um nur den Kostwirt bezahlen zu können. Im Waisenhaus sind den Kindern vor lauter Krätze und englischer Krankheit Hände und Füße gebogen und die Köpfe aufgeschwollen. In der elenden Baracke, genannt Seelhaus und Lazarett, liegen scheußliche Gestalten halbnackt auf muffigem Stroh. Fragt man: wo ist das Geld? Es ist nicht da. Es ist aber doch dafür bestimmt worden –? Ja, es ist aber nicht da. Keiner hält stand, keinen kannst du beim Schlafittich packen; alle, die davon fett werden, daß nichts geschieht, spritzen dir ihr Gift ins Gesicht, bei jeder nützlichen Anordnung setzen sich die Magistrate selbst entgegen; hinter denen stecken wieder die Verwalter, die Advokaten, die Gutsbesitzer, die Latifundienräuber, die Bevollmächtigten der Regierung, und so geschieht’s, daß ich im ganzen Land als unbarmherziger Mann verschrien bin, und daß man mich durch Appelle und Eingaben und Rekurse und Beschwerden und Ränke und Quertreibereien ermüden und zurückhalten will. Und nun kommst du auch noch und nagst an mir. _Anna_ Ich seh’s wohl ein; Grund und Recht sind auf deiner Seite, und als gute Frau dürft ich nicht zuwiderstimmen. Mein Grund ist unaussprechlich und liegt vielleicht nur in meinen Augen; nur in meinem Blick, wenn er deinem begegnet. Sieh mich an, Karl Heinrich! Ist’s Lüge, dann ist alles Lüge, was mich zu dir treibt. Denk, es ist ein Gebet. Oder denk, es ist eine Krankheit in dir, die du selber nicht kennst, und du mußt sie durch einen bittern Trunk heilen. _Lang_ Ich kann dir nicht helfen, Anna. Der Frommetsfelder Turm darf mir nicht gebaut werden, so lang ich hier im Amt bin. _Anna_ (wendet sich weg, läßt die Arme schlaff fallen und den Kopf tief sinken). _Lang_ Ist mir leid um dich, Anneli, denn in deinem Begehren ist was, das mir wie freventlicher Übermut erscheint. Zart bist du beschaffen, aber es ist was Verwegenes in dir, und wollt ich mich dem fügen, so wär’ ich geliefert für alle Zeit. Ihr Weiber habt oft so eine spindeldürre Phantastik in euerm Kopf; wenn man sich davon einfangen läßt, geht’s einem wie Simson, dem Propheten. _Anna_ (geht langsam gegen die Türe links, zögert noch vor der Schwelle, dann ab). _Lang_ (wandert unruhig hin und her) Ist ein feines Geschöpflein, und kann sich nicht abfinden mit ihrem begehrlichen Gemüt. Nährst du’s, frißt’s dich auf. Mußt es ziehen lassen, als ob’s ne Wolke wär’. Die eine Wolke könnt ich ja vertragen, wird nicht gleich Blitz und Donnerwetter geben. Eheweisheit ist ein ander Ding denn Amtsweisheit. (Schaut auf die Uhr.) Die Zeit ist mir schon wieder davongelaufen. (Wie er zur Tür will, klopft es.) Herein! _Leutnant Amandus Schlözer_ (tritt von rechts an. Er ist einundzwanzig Jahre alt, sehr schlank, mit einem gut markierten, charaktervollen Gesicht und Augen, in denen sich der Romantiker verrät. Sein Betragen schwankt zwischen Schüchternheit und soldatischer Offenheit und Kürze. Er trägt die preußische Infanterieuniform) Verzeihung, Herr Domänenrat, wenn ich Sie störe – (Verbeugt sich, grüßt militärisch.) _Lang_ (flüchtig) Guten Morgen, Herr Leutnant. Ich weiß nicht, ob meine Frau Sie empfangen kann ... _Schlözer_ Ich möchte, Herr Domänenrat, wenn ich Sie nicht von dringenden Geschäften zurückhalte, ein paar Worte mit Ihnen allein – _Lang_ (stirnrunzelnd) Ich habe allerdings ... ich werde beim Präsidenten erwartet ... Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Leutnant? Wollen Sie Platz nehmen? _Schlözer_ Merci. (Bleibt stehen.) Ich wollte Ihnen nur sagen, Herr Domänenrat ... es ist etwas in mir, was mich zwingt, Ihnen diese Mitteilung zu machen, ... daß ich abzureisen genötigt bin. _Lang_ (leichthin, jedoch etwas aufmerksamer) Wirklich, Herr Leutnant? Sind es Gründe privater Natur, die einen so raschen Entschluß hervorgerufen haben? _Schlözer_ (gepreßt) Ja. Gründe von der dringendsten Beschaffenheit. Mein Urlaubsgesuch ist bereits bewilligt. Die Postpferde sind bestellt. _Lang_ (konventionell) Es tut mir leid, Herr Leutnant. Wir hatten gehofft, Sie länger hier halten zu können. Freilich, – die Provinz. _Schlözer_ (mit festem Blick) Dies ist es nicht, Herr Domänenrat. Es ist schwer zu sagen ... doch kam ich deshalb her ... und so sei es gesagt: Herr Domänenrat, ich liebe Ihre Frau. _Lang_ (sieht ihn schweigend an; dann mit starker Überwindung) Das nennt man ohne Umstände deutlich sein. (Kalt.) Ich beklage diese Fatalität, Herr Leutnant, doch überschätzen Sie vielleicht ihre Tragweite für mich, – wenn Sie _des_wegen Postpferde bestellt haben. _Schlözer_ (ohne sich zu regen) Würden Sie mir eine solche Antwort auch geben, wenn Ihre Frau meine Abreise nicht ganz so teilnahmslos betrachten würde? _Lang_ (brüsk) Herr Leutnant, meine Frau ist über jede Insinuation erhaben. _Schlözer_ (verbeugt sich) Ich weiß es. _Lang_ Warum gleich Postpferde bestellen, Herr Leutnant? Und wenn Postpferde bestellt sind, warum sie zur Parade tanzen lassen? Soll ich das Almosen einer Entsagung mit Dank quittieren? Soll ich bewundern, wo ich kaum bedauern kann? (Ernst und mit Bedeutung.) Der ehrt sich selbst und seine Freunde, der durch Schweigen unerfüllbare Wünsche beschwichtigt. _Schlözer_ Ich glaubte Ihnen, in dessen Haus ich Gastfreundschaft genossen habe, eine Erklärung schuldig zu sein. _Lang_ Sie verpflichtet mich zu keinem Dank. Wenn Sie für sich fürchten, Herr Leutnant, Sie für Ihre Person und Ihre Ehre sage ich, dann nehmen Sie Postpferde. _Schlözer_ (mit zu Boden gekehrtem Blick) Ich reise, Herr Domänenrat. _Lang_ So wünsch ich glückliche Fahrt. – Vermutlich werden Sie sich von meiner Frau verabschieden wollen. (Auf eine Bewegung Schlözers.) Bitte, Herr Leutnant, meine Frau wäre gewiß verletzt, wenn Sie ohne Gruß von ihr scheiden würden. Ich werde draußen sagen lassen, daß Sie hier warten. Ich selbst muß Sie leider verlassen. (Mit stummem Gruß nach rechts ab.) _Schlözer_ (blickt düster vor sich hin. Er gewahrt den Fliederstrauß, eilt hin, nimmt ihn in die Hand und drückt seine Lippen in die Blumen. Dann läßt er das Bukett fallen, wie von einem hoffnungslosen Gedanken erstarrt) Er schickt sie zu mir! Kein Zweifel ist in ihm, kein Zweifel! _Anna_ (von links) Guten Morgen, Amandus. War nicht Lang eben hier? _Schlözer_ (zu ihr, küßt ihr die Hand) Teure Anna, wie blaß Sie heute aussehen ... _Anna_ (abweisend) Dies Betragen lieb ich nicht an Ihnen, Amandus. Sie wissen es. Mein Mann ist fortgegangen? _Schlözer_ Er sagte, er wolle Ihnen Nachricht geben, daß ich warte. _Anna_ (mit verlorenem Blick) Und ist fortgegangen. (Rafft sich zusammen.) Ich habe Sie doch gebeten, Amandus, daß Sie am Vormittag nicht kommen möchten. (Sie setzt sich, Schlözer nimmt ihr gegenüber Platz.) _Schlözer_ Es ist das letzte Mal, Anna. Ich kann den Gedanken, daß Sie in meiner Nähe weilen, nicht länger ertragen. Ich kann nicht länger in den Nächten liegen und mit lebendig-offenen Augen träumen, was mir das Herz verbrennt. Ich kann’s nicht länger, und ich komme nun, um Ihnen Lebewohl zu sagen. _Anna_ (versonnen) Ich hatt’ es erwartet. Sie reisen also. Und wohin reisen Sie? _Schlözer_ Die Erde dreht sich, und ich fühle mich so schwunglos; heruntergestürzt und in den Boden gewühlt wie in ein Grab. – Wohin ich reise? Es gibt bald Krieg, Anna. Wenn mein König keine Verwendung für mich hat, wird Bonaparte wissen, wie ein Mann zu brauchen ist, dem das Leben nichts mehr gilt. _Anna_ (aufschreckend) Haben Sie mit Lang gesprochen? _Schlözer_ War es mein Schmerz oder war es das Bedürfnis, daß es zwischen mir und ihm zum Ausgleich kommt; daß er es wissen möge, daß er Sie hüten möge, Anna, wie das kostbarste Kleinod der Welt, – ich weiß nicht mehr warum, nennen Sie es eine Verfinsterung meines Herzens, – ich habe ihm gesagt, wie es um mich beschaffen ist und weshalb ich gehe. _Anna_ (grüblerisch) Das haben Sie ihm gesagt? Wie seltsam! Und er? _Schlözer_ Er! Er war kalt und überlegen. _Anna_ (wie oben) Und er sagte, er wolle mir Nachricht geben lassen, daß Sie warten. Wie seltsam ... _Schlözer_ Als ob keine Faser in Ihnen wäre, die ohne seinen Willen sich regte. _Anna_ (wie oben) Vielleicht vertraut er mir so. _Schlözer_ Und dies Vertrauen sollte Sie nicht ein wenig kränken, teure Anna? Ist denn Liebe etwas so Unzweifelbares, daß sie einmal beschworen, jedem Feuer stand hält? Ist denn das noch Liebe, die so ruhig, so stumm, so satt werden darf? _Anna_ Wie würden Sie gehandelt haben, Amandus, wenn ein Mann Ihnen ein solches Geständnis gemacht hätte? _Schlözer_ Wie ich gehandelt hätte, weiß ich nicht. Vielleicht hätte ich den Mann erdolcht. Vielleicht hätte ich ihn in die Arme geschlossen. Wer aber darf so übermenschlich sich gebärden, daß er nichts wissen will von den Gewalten, die seiner Sicherheit ein Ziel setzen könnten? Ach, Anna, wenn! – wenn! Ich würde hinschmelzen unter jedem Blick und jedem Lächeln. _Anna_ (kopfschüttelnd) Nein, Amandus, das Hinschmelzen, das ist das Wichtige nicht. Wichtig ist, daß man nie einander vergißt. Daß man immer geborgen ist im andern, daß er die Gedanken hält und kennt, daß er die Wünsche weiß und jeden recht versteht, denn es ist eine Qual, zu reden, wenn man wünscht. Daß man nicht ein Opfer wird von einer Stunde, wo aufs Ungefähr das Blut stürmt und man dann zur schalen Erinnerung wird in den Geschäften des Lebens. Da wird alles kalt in einem. _Schlözer_ Alles ist fremd ohne Zärtlichkeit, fremd und zufällig. _Anna_ Ja, Zärtlichkeit, das ist es. Ohne Zärtlichkeit wird Liebe sündhaft. Zärtlichkeit ist wie ein treuer Hund am Herd, der nie den Herrn verkennt. _Schlözer_ Ich weiß es seit langem, Anna, daß Sie nicht glücklich sind. _Anna_ Glücklich! Ich bin noch vor dem Glück vielleicht und hab Angst, daß es vorübergeht, ohne daß ich weiß, was es ist. Ich möcht’ es ausgraben wo und kenn’ den Ort nicht, wo es liegt. – Wenn Sie mein Mann wären, Amandus, und Lang käm’ ins Haus, so wie Sie kommen, und Sie würden dazu schweigen und ich wüßte nicht, schweigen Sie aus Großmut oder aus Nachlässigkeit, die Unruh’ würde mir das Herz abdrücken. Und schwiegen Sie aus Nachlässigkeit, und ich wüßt’ es, so wär alles vorbei. Aber auch wenn Sie eifersüchtig wären und es zeigten, wär alles vorbei, denn ist ein Mann eifersüchtig, so achtet er sich selbst nicht oder die Frau nicht. – Wir müssen uns jetzt trennen, Amandus. (Sie steht auf.) _Schlözer_ (zu ihr) So gilt’s denn. Es wird Nacht in meinem Leben. _Anna_ (verloren und wie zu sich selbst; schmerzlich) Der Turm, Amandus, wird nicht gebaut. Mein Turm wird nicht gebaut. _Schlözer_ Der Turm –? _Anna_ Ach, wundern Sie sich nicht. Ich schwatze wohl zu viel. – Zu welcher Stunde wollen Sie denn fort? _Schlözer_ Zwischen zwölf und ein Uhr denk’ ich. _Anna_ Und wohin? _Schlözer_ Gen Würzburg geht die Fahrt. _Anna_ (wie aus einem Traum) Wenn ich mitginge ... wenn ich mitginge ... _Schlözer_ (leidenschaftlich, packt ihre Hände) Anna! – _Anna_ (lächelnd und verstört) Tu’ ich den Schleier ums Gesicht, erkennt mich niemand ... _Schlözer_ (außer sich) Ich lass’ den Wagen beim Mauthaus auf der Chaussee warten. Ich laß ihn bis zum Abend warten, wenn Sie wollen! _Anna_ (leise) Wie er’s tragen wird? Ob’s ihn wandeln wird ... (Schlözer mit der Linken von sich abhaltend.) Ja, warten Sie, Amandus. Beim Mauthaus zwischen zwölf und eins. Nur dies noch, – Sie sind mein Ritter. Nicht fragen werden Sie, mich nicht bedrängen ... (Hastig.) Nein, nein, nicht reden jetzt. Beim Mauthaus zwischen zwölf und eins ... Geh ich den Feldweg, sieht mich niemand. Gehen Sie, Amandus. Nichts reden! (Sie legt den Finger auf den Mund.) _Schlözer_ (geht wie ein Schlafwandler mit zurückgekehrtem Gesicht zur Tür). _Anna_ Nichts reden ... _Schlözer_ (mit einer trunkenen Bewegung ab. Während die Tür offen ist, hört man vom Flur die Stimmen der Bauern). _Anna_ (steht entgeistert mit geschlossenen Augen). _Frau von Hänlein_ (kommt) Da draußen sind die Frommetsfeldner Bauern. Wollen beim Domänenrat petitionieren wegen ihres Turmes ... Um Gott, Kind, – wie siehst du aus? _Anna_ Nichts, Mutter, es ist nichts. (Ab nach links.) _Frau von Hänlein_ (schaut ihr nach) Da ist was nicht rund in der Welt, sollt’ mich dünken. Der Schlözer ist mir auch ganz rabiat vorgekommen ... Als ob einer vom Wein aufsteht und durch die Wand steigen will. Kind! Kind!... _Bärbel_ (kommt) Könna die Bauersleit’ da herinnet wart’n? _Frau von Hänlein_ Ja, laß sie nur herein. Der Domänenrat muß gleich kommen. Die Leute sagen ja, sie hätten ihn unterwegs schon getroffen. Ich will mich nach der jungen Frau umschauen. (Links ab.) _Bärbel_ (nach draußen) No, spaziert nur da ’rein! (Es kommen der Ringhofbauer, der Erlhofbauer, der Waldhofbauer, und zwei andere Bauern. Alle tragen die urtümliche fränkische Bauerntracht: silberne Knöpfe an den blauen Westen, schwarze Jacken, schwarze Hosen in hohen Stiefeln, schwarze Zipfelmützen. Sie drücken sich scheu und ehrfürchtig herein, bleiben regungslos stehen.) _Bärbel_ Derft euch au’ niedersetzen. (Ab, läßt die Tür offen.) _Der Ringhofbauer_ Joo ... (Sie bleiben stehen.) _Der Erlhofbauer_ Wer soll’n reden? _Der Ringhofbauer_ I wer’ scho reden. _Der Waldhofbauer_ Was werst’n sog’n? _Der Ringhofbauer_ I wer scho was sog’n. (Es kommen Lang und der Kammerdirektor Mühlbach, ein älterer, würdiger Herr.) _Kammerdirektor_ Ich hab’s Ihnen gleich gesagt: der Präsident ist in dieser Sache machtlos. _Lang_ Niemand hat den Mut, für das Notwendige sich einzusetzen, wenn er gleich die Vernunft hat, es zu sehen. Es ist ein Höllenzirkel. _Kammerdirektor_ Da haben Sie Ihre Bauern ... _Lang_ Ja. Und morgen werden die Pfarrer kommen, und übermorgen die Küster. _Kammerdirektor_ Der Präsident hat nicht so unrecht, wenn er meint, daß das Wegschaffen des Turms gleichsam eine #capitis deminutio# sein würde. _Lang_ Das #Corpus juris# wird maulfeil, wo das gesunde Gefühl revoltiert. Bin ich schwächer hier als Stumpfsinn und böser Wille, dann kenn ich meinen Weg. _Kammerdirektor_ Aber Lang! Lang! _Lang_ (zu den Bauern) Hört mich an, ihr Leute! Wenn ihr einen Webstuhl habt, und der zerbricht, dann werdet ihr euch einen neuen Webstuhl anschaffen. Nicht wahr? _Die Bauern_ Joo ... joo ... _Lang_ Und wenn euch ein alter Hofhund krepiert, dann werdet ihr euch nach einem andern, einem jungen Hofhund umsehen. Ist’s so? _Die Bauern_ Joo ... joo ... _Lang_ Wenn euch aber ein Haus abbrennt, das auf einem vom Wasser unterhöhlten und durchweichten Grund gestanden ist, werdet ihr dann das Haus auf demselben Grund wieder aufbauen? Sagt mir eure Meinung. Frisch heraus! _Die Bauern_ Naa ... naa ... _Ringhofbauer_ Das wöll’n mer nit ton. Naa ... naa ... (Er nickt den andern verständnisinnig zu, als sollten sie seine Beredsamkeit bestaunen.) _Lang_ Und wenn auf euerm Acker ein großer Baum steht, der dem Getreide Licht und Sonne nimmt, den ihr aber nicht umhauen wollt, weil er dort seit Menschengedenken wächst, und der Baum bricht nun eines Tages, weil er krank ist, oder der Blitz haut ihn zu Boden, werdet ihr da nicht froh sein, daß er weg ist? _Die Bauern_ Joo ... joo ... _Lang_ Oder werdet ihr ihn von neuem in die Erde stecken? _Die Bauern_ Naa ... naa ... _Ringhofbauer_ Des tenna mer nit, Herr Råt! (Wie oben.) _Lang_ Nun also! (Der Schreiber Kasteljack, ein dürrer, langer, fusliger, schattenhafter Mensch, kommt schüchtern und eilig getrippelt, hat ein amtliches Dokument in der Hand.) _Lang_ (unwirsch) Was gibt’s, Kasteljack? _Kasteljack_ (asthmatisch) Herr Domänenrat ... (hüstelt) das Gesuch an die Regierung wegen Nichtwiederaufbaus des Frommetsfeldner Turms ... (Greift sich an die Brust, hüstelt.) _Lang_ Hurtig, hurtig, Mensch! (Entreißt ihm den Bogen.) _Kasteljack_ ... ist leider diesen Morgen als unerledigbar ... unerledig ... lich ... zurückgekommen. _Lang_ (mit verbissenem Grimm) Und der Grund? _Kasteljack_ Eine Formalität, Herr Domänenrat ... _Lang_ Was für eine Formalität? _Kasteljack_ Der Submissionsstrich fehlt. _Lang_ Der – Submissionsstrich? _Kammerdirektor_ Der Submissionsstrich? _Kasteljack_ Ja. Es ist dies eine wichtige amtliche Formalität. (Hüstelt.) Die Vorschrift lautet, daß zwischen dem Text des Gesuches oder des Referats oder des Ausweises oder des Testimoniums ... daß zwischen dem Text und der Unterschrift des betreffenden Herrn Referenten oder Berichterstatters ein dicker, gerader, deutlicher Strich gezogen werde. Diesen Strich nennen wir den Submissionsstrich. _Kammerdirektor_ Ja. ’s ist wahr, eine ganz zweifellose Institution, die Sie doch kennen müssen, Lang. _Lang_ Ich kenne sie. Jetzt kenn ich sie. Mit einem Wort: diese Unterlassung bedeutet zwei bis drei Monate Aufschub. Der Submissionsstrich soll das Seil werden, auf dem man mich tanzen lassen will. Oder der Balken, mit dem man mir um die Füße schlägt. (Er eilt zum Schreibtisch und zieht in größter Hast mit Bleistift und Lineal Striche auf einem großen Bogen Papier.) So werden hierzuland die Männer traktiert und die wahren Interessen schachmatt gemacht. (Kehrt zu Kasteljack zurück.) Hier, Kasteljack. Da ist ein ganzer Schreibebogen, reichlich versehen mit Submissionsstrichen. Schicken Sie den Bogen an die betreffende Kanzlei der Regierung, ich lasse submissest ersuchen, in einschlägigen Fällen sich aus diesem Vorrat von Submissionsstrichen bedienen zu wollen. _Kasteljack_ Aber ... _Lang_ Kein Aber. Tun Sie, was ich Ihnen befehle. Es ist Ernst. (Kasteljack unter Bücklingen rückwärtsgehend ab.) _Kammerdirektor_ Sie werden sich’s mit der hohen Regierung gründlich verderben, lieber Lang. _Lang_ Die und ich, wir können nicht in derselben Küche unser Fleisch kochen. Ihres schmeckt mir ranzig und meins ist ihnen zu zähe. Verderben! Ich mit ihnen verderben! Ich hab’ ihnen gedient, wie einer, der’s redlich meint. Sie haben mich bezahlt wie einen, der schon betrogen hat. Wer sein Schäfchen ins Trockene bringt, erregt ihnen keinen Argwohn, wer sich mausig macht und ihre verstaubten Litaneien überhört, den legen sie nackt in die Sonne und salben ihn mit dem Öl ihrer Schikanen, daß das Ungeziefer über ihn kommt. _Kammerdirektor_ Lang! Lang! mäßigen Sie sich doch. _Lang_ Ich bin am Ende meiner Fassung. Wenn man zusehen muß, daß alle Quellen hämisch verstopft werden und die Menschheit verdurstet. Daß die Früchte wachsen, um zu verfaulen. Große Männer Großes richten, um Popanze zu werden für die Phrasendrechsler. Verderb ich mir’s mit ihnen, steht’s desto besser zwischen mir und meinem Gewissen. (Zu den Bauern, die unterdessen heimlich gewispert haben.) Nun, ihr Leute! Der Baum, von dem ich euch da gesprochen habe, vergleichsweise, versteht mich wohl, der Baum ist euer alter, unnützer Turm. Was wollt ihr beginnen mit einem Turm? Könnt ihr ihn als Heuschober brauchen? Nein. Könnt ihr drinnen wohnen? Nein. Wollt ihr drinnen beten? Nein. War er besonders schön von Ansehen? Nein. Es war nichts in ihm oder an ihm, was euch hätte ergötzen oder fördern können. Und doch wollt ihr ihn wieder aufrichten. Warum? _Erlhofbauer_ Mer war’s halt so g’wöhnt, Gnaden Herr Råt. _Waldhofbauer_ ’s wär a Schand, Gnaden Herr Råt. _Lang_ Die Schande will ich euch auswetzen. Ich bau euch ein Schulhaus, das wird ein wahrer Staat sein. Seht, das ist eine Aussaat, von der ihr eine gute Ernte einheimsen könnt. Profitiert _ihr_ nicht mehr davon, so profitieren eure Kinder, die Söhne und die Töchter. ’s ist, wie wenn man Kälber auf eine fette Weide treibt. Da wächst euch kein habergasiges Vieh heran, das sich seiner Haut schämen muß, sondern ein edler Schlag. Der Bauer hat nicht nötig, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Mit dem Wissen ist’s eine eigene Sache und, glaubt mir’s oder glaubt mir’s nicht, wenn ihr eure Kinder was lernen laßt, werden eure Mühlen besseres Korn zu mahlen haben. _Ringhofbauer_ Da hab’n mer alles nichts dageg’n, Herr Råt; aber um unsern Turm woll’n mer halt fleißig gebeten hab’n. _Lang_ Holzköpfe! (Verzweifelt zum Kammerdirektor.) Das ganze Ding gleicht einem Gänsespiel, wo man sich schon nah am Ziel glaubt, und durch einen mißglückten Wurf von einem umgekehrten Schnabel zum andern wieder zum ersten Anfang zurückgewiesen wird. _Kammerdirektor_ Ich wußt es vorher. _Frau von Hänlein_ (kommt mit einem Brief, von rechts). _Lang_ Doch laß’ ich nicht nach, und wenn’s ein Jahr meines Lebens kostet. _Frau von Hänlein_ Da ist ein Brief an Sie gekommen, Lang. _Lang_ Das Siegel sollt ich kennen. ’s ist vom Fürsten Hardenberg. (Er bricht den Brief auf und liest; seine Miene verzerrt sich sichtlich, er wirft das Schreiben mit einem Laut des Schmerzes und der Wut zur Erde und schlägt die Fäuste vor die Augen.) _Frau von Hänlein_ (erschrocken) Lang! _Lang_ Geht mir aus den Augen! Geht! Fort ihr alle! – Auch er! auch er! – Nichts richten können! nichts vollenden können! _Frau von Hänlein_ Aber Lang, sein Sie doch vernünftig! (Sie hebt den Brief auf.) _Lang_ (entreißt ihn ihr) Sehen Sie, Mühlbach, – hören Sie! (Liest im Tiefsten erregt, mit zusammengebissenen Zähnen.) »Die gegnerischen Umtriebe sind so mächtig geworden, lieber Lang, daß ich Sie in Ihrem wie in meinem Interesse bitten muß, die fragliche Affäre mit dem unglückseligen Turm fallen zu lassen. Sie wissen, welchen Anteil ich an Ihren Bestrebungen nehme, ich kenne die edle Selbstlosigkeit, mit der Sie allem hingegeben sind, was Sie für recht und förderlich erkannt haben, aber das Tüchtige läßt sich auf vielen Wegen durchsetzen,« – so spricht Er! Er! So haben sie ihn zu Brei gemacht! Das Tüchtige auf vielen Wegen! – (Liest.) »Stehen Sie ab vom Unerreichbaren und wirken Sie im Möglichen« – nichts da, von Gnadenbrot will der Lang nichts wissen, – (Liest.) »Ich war gezwungen, die einschlägigen Akten einem anderen Referenten zu übertragen« – (Wirft wie von Ekel erfaßt das Papier von sich.) _Kammerdirektor_ Ich finde das Schreiben Seiner Exzellenz äußerst würdig und schmeichelhaft, lieber Lang ... _Lang_ (scheinbar gefaßt) Ja. Das ist es. Ohne Zweifel. Einem andern Referenten. Einem, der biegsam ist und Ja und Amen sagt. Gönnen Sie mir jetzt eine Stunde der Ruhe und Überlegung, lieber Mühlbach. Ich habe heute noch mancherlei zu tun, denn morgen mit dem Frühesten werde ich meine Bestallung per Extrapost an die Regierung zurücksenden. _Frau von Hänlein_ Lang! _Kammerdirektor_ (macht beschwörende Gesten). _Lang_ Lassen Sie nur, Mühlbach. Ich weiß, Sie haben die beste Meinung von mir. Aber das kann jetzt nichts nützen. Gott befohlen, ihr Leute. Gehn Sie nur, Mutter. Adieu, lieber Mühlbach. (Die Bauern, der Kammerdirektor und Frau von Hänlein ab. Lang prüft, ob die Türe zu ist, geht dann zum Schreibtisch, läßt sich nieder und stützt den Kopf in die Hand. Sein Gesicht hat einen tief verbitterten und tief erschöpften Ausdruck.) _Anna_ (kommt von links. Sie ist zum Ausgehen gekleidet, doch hat sie statt des Hutes einen schwarzen Schal über dem Kopf. Sie tritt leise auf, schaut vorsichtig durch das Zimmer. Als sie Lang so augenscheinlich gebrochen sieht, erschrickt sie und faltet unwillkürlich die Hände). _Lang_ (blickt empor, mit innerlicher Wildheit) Ja, Anna. Da bin ich nun. Kannst mich verpflegen, wenn du willst. Als Tagedieb im Haus, als Siebenschläfer im Bett. Bin zu nichts mehr nutze. Sie haben mir die Hände aus den Gelenken gedreht. _Anna_ (macht zwei Schritte, bleibt wieder stehen). _Lang_ (erhebt sich; mit verzweifelter Klage und Anklage) Es kränkt mich wahrlich um meinen Stolz. Es kränkt mich um die Ader, die mir schwillt. Möcht alle getanen Schritte bereuen und alle gesprochenen Worte wieder einschlucken. Warum bin ich nicht auch so ein Jasager und Sonnenblumen-Männlein, dann stünd’ ich nicht so da, Schmach und Spott mir selber. Der elende Mückentanz! Wohin man greift, nur Luft; wohin man schlägt, trifft’s den eigenen Leib. (Ausbrechend in heller Bitterkeit.) Schau’ mich nicht an, Frau, ich schäm mich vor dir. Was kannst du anders glauben, als daß ein Mannsbild nur dazu da ist, um zu flunkern und sich wichtig zu machen? Und wenn er sich ganz #in floribus# hat zeigen wollen und einer Sache sich verdungen hat, bei der von Recht und Wohlfahrt zu schwadronieren war, so sitzt er nun um so erbärmlicher da, mit Fußtritten heimgeschickt. _Anna_ (in deren Zügen sich eine innige Besorgnis malt, leise) Karl Heinrich! _Lang_ Und keinen Menschen! Keinen, der ’s redlich meint! So ohnmächtig sein! Geh von mir fort. Du hast nichts an mir. Geh aus meinem Hause. Ich bin kein Mann für dich. Bin deiner nicht wert. Geh zu einem, der ’s mit ehrlichen Feinden zu tun hat und ein Schwert in die Faust nehmen kann, wenn ihn die Horde bedrängt. (Er setzt sich mutlos und matt wieder in den Sessel.) _Anna_ (wie oben) Nicht so, Karl Heinrich!... _Lang_ Oder willst du nur darum bei mir bleiben, weil mein Schicksal deiner Torheit zu Hilfe gekommen ist? Trotzt ihr doch in eurer blinden Sucht, ihr Weiber, dem Himmel selber unvernünftige Taten ab. Ja, er wird gebaut, dein Turm. Er wird gebaut. _Anna_ (leise) Das wußte ich gleich, Karl Heinrich, als ich dich so sah. _Lang_ Kannst du mich darum höher estimieren, was soll ich dann von meinem Wert noch halten und was von deinem Stolz? _Anna_ (mit kaum merkbarer, schmerzlicher Schalkhaftigkeit) Soll ich aber von dir fort, nur um zu beweisen, daß mir an dem Turm jetzt nichts mehr liegt? _Lang_ (bitter) Wenn man den Kindern das Spielzeug gibt, nach dem sie verlangt haben, dann werfen sie’s beiseite. _Anna_ Ich habe ja den Turm von dir begehrt und nicht von denen, die dir ein Leids damit getan. So komm’ ich mir ja vor, als stünd ich mit ihnen im Bund. Und wenn noch dazu dein Herz gegen mich gestimmt ist, so flüstert’s dir vielleicht ein, ich hätte dich verraten, irgendwie geheimnisvoll verraten. Ach, Karl Heinrich! Plötzlich bin ich schuldig und weiß kaum wieso. Schuldig vor dir, schuldig vor mir und weiß kaum wieso. _Lang_ (schaut sie an) Was stehst du denn da mit deinem Kopftüchlein und wohin willst du denn gehen? Willst nach Frommetsfelden hinaus und zugucken, wie sie bauen? _Anna_ Ich will’s dir sagen, Karl Heinrich. Zum Mauthaus wollt ich gehn auf der Chaussee. _Lang_ Und was willst du denn dorten beim Mauthaus auf der Chaussee? _Anna_ Dort kommt der Leutnant Schlözer vorbei und will auf mich warten. _Lang_ (den Oberkörper nach vorn gebeugt, stützt den Kopf mit beiden Händen. Schweigt.) _Anna_ Es war beschlossen, Karl Heinrich, – fast wie man den Tod beschließt. _Lang_ (dumpf) Beschlossen! Dies beschlossen! So muß es Laster in mir geben, die ärger sind, als ich sie ahnte, und was dich zu mir geführt, war nur ein Gaukelspiel betrügerischer Tage. Alle Wege: abwärts. Jeder Tag nur eine kurze Dämmerung zwischen zwei Nächten. Es ist ein unheimlicher Geisterspuk, der einen so lang schaudern macht, bis die Gedanken still stehn, und was die Brust bewegt, ist Scham, Scham, Scham! _Anna_ (tief erregt) Hör mich an, Karl Heinrich – _Lang_ Hör ich dich, so bin ich schon getäuscht. Was gabst du mir freundliche Mienen und Blicke? Nur damit es jetzt offenbar wird, daß du einen brauchst, der süße Worte machen kann und immer beteuern kann und schwärmen kann und zeigen kann, was ihr mit euren kurzen Sinnen sehen müßt. Geh nur, Anna. Denk nicht, daß du einen Verzweifelten zurückläßt. Ich bin’s nicht ungewohnt, abzurechnen mit mir und meinem Leben. Was ich nie besessen habe, kann ich nicht verlieren. Freilich der Irrtum, der frißt am Mark und macht alt und krank und müde. _Anna_ Es ist hart für mich, was du sprichst, aber ich verdien’s. Doch laß es genug sein, Karl Heinrich, und vergiß, was du gesagt, damit ich vergessen kann, was ich nur halb getan. _Lang_ (steht auf) Du sollst nicht vergessen und ich kann nicht vergessen. Es sei denn, wir wollen nicht für unsere Handlungen einstehen und uns aufführen wie Knaben, die einander schön tun, nachdem sie sich geprügelt haben. Es ist von Übel, jegliches Wort von Übel. Mit Schwatzen und Auseinandersetzungen erreichen die Menschen nichts weiter, als daß sie sich so nahe rücken, daß sie keinen Platz mehr zum Atmen haben. Und um mein Glück und um meinen Frieden kann ich nicht feilschen. Was man einander gewährt und einander erläßt, kann nicht durch Abmachungen geregelt werden. Alles wahre Zusammenleben beruht auf Schweigen, Frau! Je tiefer der Bund, je tiefer das Schweigen. Bliebst du aus Mitleid bei mir, so wünscht’ ich lieber, ich hätte dich nie gesehen. _Anna_ (hat die Hand an die Stirn gedrückt, läßt sie fallen, tritt näher, frei und entflammt) Wie kommt’s nur, daß ich dich jetzt so spüre, Karl Heinrich! Schon als es mich da draußen über die Schwelle zog, war mir, als ließ ich alle Zweifel zurück. Nicht Mitleid ist’s, nein, nein! – Höchstens könnte ich dein Mitleid fordern für mich, denn ich war so klein und ich glaubte, du würfest mich hin gegen die Welt und die Welt sei dir alles und ich zu wenig, ich zu allein gegen dich und die Welt. Jetzt aber sehe ich dich auch allein und das – das! Karl Heinrich –! (Sie ergreift seine Hand und drückt ihre Stirn darauf.) _Lang_ (sinnend) Ach, du wunderliches Geschöpf von einem Weib. _Anna_ (wieder aufgerichtet) Du hast recht, Karl Heinrich. Es sollen nicht so viele Worte zwischen den Menschen hin und her geworfen werden. Es soll vielleicht bestehen bleiben, dies Fremde und dies Ferne, das mich so oft gequält hat. Vielleicht ist es gut so, daß wir nicht zu allen Zeiten alles von einander wissen, und gut ist es auch, daß ich dich suchte. Ja, es ist gut, daß ich dich suche, wenn du mich hältst! – Behalte mich! _Lang_ Ich will dich halten. _Anna_ (ohne Emphase ganz hingegeben) Was soll’s noch um den dumpfigen, stockigten Turm, Karl Heinrich? Habe ihn gewünscht, wie man ein Zeichen wünscht, ein Zeichen für etwas, das nun da ist. _Lang_ (zu ihr gebeugt) Und doch mußt du vieles dafür tragen, Kind. Mich vor allem, der eine Weile zusehn muß, untätig beiseite. Wir wollen aus der Stadt ziehen. Vom Amt will ich weg – _Anna_ (bestimmt und mit freier Heiterkeit) Nein, Karl Heinrich. Dieses wirst und kannst du nicht tun. Du bist der Mann nicht fürs Ausgeding. Mit den Wurzeln sich selber ausgraben und verdorren lassen? Du überzeugst sie ja schon von deinem Wert, indem du da bist. Könnte das Wasser schäumen ohne Damm? Hätt es solche Kraft? Kommt’s darauf an, bezahlt zu werden, Karl Heinrich, heute oder morgen bezahlt? Bezahlt dich nicht dein eigenes Blut und deine innere Flamme? _Lang_ (betroffen) Frau, – wie du das sagst! Woher kommen dir solche Worte? Also bedeutet dir mein Treiben wirklich was? Willst nimmer so scheu und zweifelhaft neben mir wandeln? _Anna_ Es hat mir nichts bedeutet, so lang ich nicht fühlen konnte, wie du mich damit umschlingst und wie ich dazu gehöre. _Lang_ So hätte mir der Aberwitz und blöde Widerstand der Welt zum Köstlichsten verholfen? _Anna_ Spürst du’s so, dann ist es mehr, als ich gesehnt. _Lang_ (packt ihre Hände, leidenschaftlich) Und doch hat dich das trübe Wesen zum Scheideweg geführt ... _Anna_ Wer am Scheideweg war, weiß besser ums Ziel. (Man hört Räder rollen auf der Straße.) Komm, Karl Heinrich – (Sie zieht ihn zum Fenster.) _Lang_ Es ist ein Wagen, der vom Posthaus abfährt ... _Anna_ Zum Mauthaus auf der Chaussee. – Gib mir die Hand, Karl Heinrich! Drück sie fest, fest ... so. Hörst du, wie mein Herz klopft? Ich glaube, es klopft vor Glück. _Lang_ Unsere Herzen sind wie zwei Schalen in der Hand eines Engels. Ist ein Auf- und Niederschwanken sondergleichen. Jeder Pulsschlag zieht’s hier hinunter, dort hinauf. Wir wägen nicht, es wird uns zugewogen. Wir müssen still halten, das ist alles. _Anna_ Ich halte still, Karl Heinrich. (Das Posthorn tönt.) Gute Fahrt, Schwager Postillon! _Vorhang._ Lord Hamiltons Bekehrung Personen: Lord William Hamilton (von der Seitenlinie der Herzoge) Sir Francis Hamilton, sein Sohn Emma Lyon Mr. Dashwood, Notar Mr. Fletcher, Uhrmacher Der Majordom Mrs. Adams, Wirtschafterin Doktor Middlewater James, ein alter Diener Drei andere Diener Spielt am Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Easton Park in der Grafschaft Suffolk. Das Frühstückzimmer in Easton Park. Nach hinten führt eine offene Flügeltür in die Halle, durch die man wiederum in den Park blickt. Rechts eine geschlossene Flügeltüre, links zwei hohe Fenster. Ein schmaler Tisch, mehr links, ist für zwei Personen gedeckt. Ein anderer, schwerer Eichentisch steht mehr rechts. In der linken Ecke eine Wanduhr in einem massiven Gehäuse, das bis zur Decke reicht. An den Wänden hängen alte Gobelins und ein paar niederländische Stilleben. Auf einer kleinen Leiter vor der Wanduhr steht Mr. _Fletcher_; er hat den mächtigen Pendel abgenommen und horcht ins Räderwerk. Der _Majordom_ hat den gedeckten Tisch inspiziert und beobachtet dann ernsthaft, mit verschränkten Armen, die Hantierung des Uhrmachers. Währenddem tritt _Doktor Middlewater_ vom Park her in die Halle, stellt seinen Medikamentenkasten auf die Bank und kramt darin, wobei er der Szene den Rücken zukehrt. Gleichzeitig kommt _Lord Hamilton_ von draußen rechts in die Halle. Er beachtet den Arzt nicht, der sich rasch umwendet und, obwohl er schon gebückt steht, eine noch tiefere Verbeugung macht. Der _Lord_ hat einen Brief in der Hand und geht unruhig auf und ab. _Lord Hamilton_ (draußen) Mister Wardle! _Der Majordom_ Mylord! (Eilt hinaus.) _Lord Hamilton_ Für welche Stunde ist Mister Dashwood bestellt? _Der Majordom_ Für elf Uhr, Mylord. _Lord Hamilton_ (die Taschenuhr ziehend) Dann muß er in sechsunddreißig Minuten hier sein. _Der Majordom_ Gewiß, Mylord. _Lord Hamilton_ Doktor Middlewater, ich bin bereit. (Mit Doktor Middlewater in der Halle rechts ab.) _Mr. Fletcher_ (hat neugierig gelauscht. Er ist trotz seiner vorgerückten Jahre ungemein eitel. Während der Lord geht und der Majordom zurückkommt, holt er einen Handspiegel aus seiner Tasche und betrachtet sich wohlgefällig). _Der Majordom_ Sie hören, Mister Fletcher, – es ist sechsunddreißig Minuten vor elf. _Mr. Fletcher_ Ich habe bemerkt, daß die Pünktlichkeit in diesem Hause etwas willkürlich gehandhabt wird. Seine Lordschaft ist imstande, der Sonne zu befehlen, welche Zeit es ist. Das erscheint mir etwas waghalsig. Es widerspricht der göttlichen Weltordnung. – Wie finden Sie mich heute aussehend, Mister Wardle? _Der Majordom_ Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Uhr gestern um neun Minuten zu spät gegangen ist. _Mr. Fletcher_ (hängt den Pendel ein) Genau das Gegenteil von dem, was ich tue. Ich bin immer zu früh daran; immer zu früh. Aber in der Liebe ist das der einzige Weg zum Erfolg. Meinen Sie nicht, Mister Wardle, daß ich noch eine ganz repräsentable Erscheinung bin? Das schöne Geschlecht ist nicht unzufrieden mit mir. _Der Majordom_ (amtlich) Sind Sie bald fertig, Mister Fletcher? _Mrs. Adams_ (kommt in Eile; sie ist eine muntere und beleibte Dame) Denken Sie nur, Mister Wardle, James ist betrunken! _Der Majordom_ James? betrunken –? Wie ist das möglich? _Mrs. Adams_ Sie müssen uns helfen, Mister Wardle. Wenn ihn Seine Lordschaft in der Verfassung sieht, geht’s dem armen alten Kerl schlecht. Erinnern Sie sich noch, wie er vor drei Jahren den unglücklichen Jimmy mit der Hundspeitsche auf die Landstraße jagen ließ, weil er benebelt war –? _Der Majordom_ Aber wie konnte das geschehen, Missis Adams? wie konnte sich James so vergessen? _Mrs. Adams_ Der Kummer, Mister Wardle. Der Kummer um den jungen Herrn. Sie wissen doch, wie er an Sir Francis hängt. Nun hat Seine Lordschaft wahrscheinlich etwas durchblicken lassen, von Enterbung oder so ... James ist ja der einzige, mit dem er hie und da ein vertrautes Wort spricht ... der Kummer, Mister Wardle. Ich gehe zu den Ställen hinüber, um Milch zu holen, da sehe ich ihn taumeln und mit den Händen fuchteln und höre, wie er wild vor sich hinmurmelt, – kurz, er ist im Zustand eines Schweines. _Mr. Fletcher_ (hat vergebens mit Missis Adams zu liebäugeln versucht) Was für ein angenehmes Wesen! welche verlockende Stimme! (Seufzt, holt den Spiegel hervor.) _Der Majordom_ (ringt die Hände, schnell durch die Halle in den Park ab) _Mr. Fletcher_ (zu Mrs. Adams, die sich anschickt, dem Majordom zu folgen) Haben Sie indessen meinen Antrag überschlafen, Missis Adams? _Mrs. Adams_ (unruhig nach der Tür schauend, hastig und verschämt). Es kann nicht sein, Mister Fletcher. Mylord ist ein so verschworener Feind von allem Heiraten, daß ich mir’s zeitlebens mit ihm verderben würde. _Mr. Fletcher_ (bekümmert) Sehr unrecht von Seiner Herrlichkeit. _Mrs. Adams_ (vertraulich flüsternd) Sie wissen ja, er hat Malheur gehabt. Mylady ist ihm nach der Geburt von Sir Francis mit einem Schmugglerkapitän durchgebrannt und in der irischen See ertrunken. _Mr. Fletcher_ Wie Sie mich hier sehen, Missis Adams, bin ich ein Mann mit einem geregelten Einkommen von zweihundertvierzig Pfund. _Mrs. Adams_ Sie brechen mir das Herz, Mister Fletcher. Ich bin so attachiert an Easton Park. _Mr. Fletcher_ Und sonst, Missis Adams, wenn ich auch den Kahlkopf nicht ableugnen kann, wer will meine Stattlichkeit bezweifeln? _Mr. Dashwood_ (tritt mit allen Zeichen eines überstandenen Schreckens in die Halle, schaut sich ängstlich um, kommt dann auf die Szene. Unterm Arm trägt er die Aktentasche. Tracht der Zeit. Quäkerhut) Guten Morgen! (Legt den Hut ab, wischt den Schweiß von der Stirn.) _Mrs. Adams_ Ist Ihnen etwas Schlimmes widerfahren, Mister Dashwood? _Mr. Dashwood_ Es muß der leibhaftige Satan gewesen sein, – Gott sei mir gnädig. _Mrs. Adams_ Was denn? wo denn? _Mr. Dashwood_ (Atem schöpfend) Während ich durch den Hohlweg reite ... Sie kennen ja diesen Hohlweg, Ma’am ... er ist so schmal, daß zwei Fußgänger einander nicht ausweichen können ... ach, das Entsetzen ist mir in alle Glieder gefahren. _Der Majordom_ (kommt nervös wie ein Mann, der nicht weiß, wo er zuerst Hand anlegen soll) Es steht wirklich verzweifelt mit dem alten Esel. Mister Fletcher, die Uhr in den Dienerwohnungen muß noch reguliert werden. Mylord erwartet Sie um elf Uhr, Mister Dashwood. _Mr. Fletcher_ (der an Mister Dashwoods Erregung keinen Anteil nimmt) In unserer zarten Angelegenheit werde ich zu passenderer Stunde wieder anfragen, Missis Adams. (Da sie ihn schmachtend anschaut.) Ach, dieser Blick! – (Wirft ihr eine Kußhand zu. Ab.) _Mrs. Adams_ (zum Majordom) Mister Dashwood hat etwas Gräßliches erlebt – – – _Mr. Dashwood_ Ich reite also durch den Hohlweg, und hinter mir her, auf einem kohlschwarzen Roß, ein Bursche mit flatternden schwarzen Haaren. Immer mir nach ... immer auf meinen Fersen, im vollen Galopp! Ich treibe mein Tier zur Eile an ... er, mit höhnischem Geschrei, tut dasselbe. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich vermute, daß es ein Räuber war. _Der Majordom_ Am hellen, lichten Tag? _Mr. Dashwood_ Ein blut- und mordgieriger Geselle. _Mrs. Adams_ Da möchte ich nicht an Ihrem Platz gewesen sein, Mister Dashwood. _Mr. Dashwood_ Ich pflege sonst nie ohne Pistole auszugehen. Weiß man doch nicht, was einem zustoßen wird. Mein Freund, Mister Sparre, – Sie kennen doch Mister Sparre, Ma’am? – ist neulich in Pall Mall von einem wütenden Hund gebissen worden. Es ist nichts Seltenes, daß jemand inmitten der Ausübung seiner Amtsgeschäfte von einem jähen Tod ereilt wurde. Solche Katastrophen treten gewöhnlich dann ein, wenn sich der kurzsichtige Mensch auf dem Gipfel seines Glücks befindet und geneigt ist, sich der wohlverdienten Ruhe hinzugeben. (Er erblickt Emma Lyon, die, mit der Reitpeitsche in der Hand, in die Halle tritt; sehr erregt.) Da ist er, Ma’am! Da ist er, Mister Wardle! Schützen Sie mich! Er verfolgt mich bis hieher! Rufen Sie die Diener zusammen! _Emma Lyon_ (hat sich in der Halle verwundert umgeschaut und kommt nun auf die Szene. Sie ist als junger Mann im Reitkostüm gekleidet. Ihre brünetten Haare quellen unter dem Hut über das schöne, von schnellem Ritt erglühte Gesicht). _Der Majordom_ (auf sie zutretend) Womit kann ich dienen, Sir? _Emma Lyon_ (gebieterisch) Lassen Sie mein Pferd versorgen. Ich weiß nicht, ob der Mensch, dem ich es übergeben habe, sich damit auskennt. Was ist denn das für ein Betrunkener draußen, um den sie alle herumstehen? _Mr. Dashwood_ Der Herr beschütze uns vor dem Übel ... Erst neulich habe ich in der Zeitung gelesen, daß der berüchtigte Thomas Field frecherweise in den Palast des Herzogs von York gedrungen ist. _Der Majordom_ Wen darf ich melden, Sir? _Emma Lyon_ Mister Rippledale aus London. Benachrichtigen Sie zuerst Sir Francis. _Der Majordom_ (argwöhnisch) Mister Rippledale –? _Mr. Dashwood_ Ein falscher Name. Ohne Zweifel ein falscher Name. _Emma Lyon_ Was murmelt der Dicke dort? Ei, sind Sie es, Sir, der auf einem Ding, mehr Ochse als Gaul, beständig vor mir hergetrabt ist? Ein andermal machen Sie Platz, wenn einer hinter Ihnen ist, der Eile hat. _Mr. Dashwood_ (demütig stotternd) Es ... ich ... der Weg war so schmal ... (Abgewendet.) Die Sprache! Er muß eine ganze Bande im Rücken haben. _Mrs. Adams_ (leise zum Majordom) Ich lasse mich hängen, wenn das kein Frauenzimmer ist. _Der Majordom_ Sir Francis kommt erst von der Jagd zurück, Sir. _Emma Lyon_ Dann führen Sie mich einstweilen in seine Zimmer. _Mr. Dashwood_ Schau, schau, wie schlau! Und doch, wie wenig schlau. Wie tollkühn vielmehr. _Sir Francis_ (kommt eilig. Ein junger Mann von zwei- bis dreiundzwanzig Jahren mit hübscher Gestalt und hübschem Gesicht. Er trägt einen roten Jagdreitrock, manchesterne Reithosen und lange Stiefel mit weiten Schäften. Mit allen Zeichen der Bestürzung.) Um Gottes willen, du hier, E – – _Emma Lyon_ (ist schnell auf ihn zugegangen, drückt die Hand auf seinen Mund) Ja, ich bin’s. Bist du nicht froh, deinen alten Rippledale hier zu sehen? _Sir Francis_ Ich sah dein Pferd draußen. Ich erkannte es gleich. Aber – – _Emma Lyon_ Wundre dich nicht länger. Jede Frage ist überflüssig. _Sir Francis_ Mein Vater – – _Emma Lyon_ Mit ihm zu reden bin ich gekommen. Ich bin von Suffolk herübergeritten, wo ich übernachtet habe und wo meine Freunde geblieben sind. _Sir Francis_ (noch immer fassungslos) Du kannst ihm doch nicht in diesem Aufzug unter die Augen treten – – _Emma Lyon_ Auch dafür ist gesorgt. Ich habe Mary mit den Kleidern vorausgeschickt. _Ein Diener_ (kommt) Es ist ein Frauenzimmer da mit einer Schachtel für Mister Rippledale. _Emma Lyon_ Also rasch, mein Lieber, bring mich in ein Zimmer, wo ich mich herrichten kann. (Sie wendet sich gegen die Halle, in der jetzt der betrunkene James erscheint, von einigen männlichen und weiblichen Dienstboten umgeben, die ihn zu verhindern suchen, ins Zimmer zu dringen.) _Sir Francis_ (Emma folgend und in sie hineinredend) Es ist sinnlos, sage ich dir. Bei ihm erreichst du nichts damit. _Emma Lyon_ Wir werden sehen, jedenfalls ist deine Angst vor ihm lustiger als du meinst. Ich liebe nicht, daß man hinter meinem Rücken über mich verfügt, und ich bin neugierig, wie er es macht, wenn ich dabei bin. (Sie geht ab.) _Mr. Dashwood_ Das Geheimnis wird immer undurchdringlicher. _Sir Francis_ (bleibt auf der Schwelle stehen, zum Majordom gewandt und auf die Gruppe um James deutend) Was ist das, Mister Wardle? _Der Majordom_ Ich weiß nicht mehr, was ich anfangen soll, Sir Francis. _Sir Francis_ Schaffen Sie ihn hinaus. – Wenn mein Vater nach mir fragt, sagen Sie ihm, ich sei noch nicht zurück. (Ratlos vor sich hin.) Mein Gott! (Ab.) _James_ (in der Halle) Die Welt ist kugelrund ... drum will ich mich vergnügen ... sauft nur in vollen Zügen ... dann bleibt ihr auch gesund ... (Erblickt Sir Francis.) Sir Francis! oh, Sir Francis! Armer Sir Francis! _Sir Francis_ (bleibt einen Moment draußen stehen, winkt dem Betrunkenen verwirrt zu, dann weiter und nach rechts ab). _Mrs. Adams_ (stürzt gegen die Schwelle, da James trotz der Diener, die ihn zurückhalten, sich dem Zimmer nähert) Nicht hier herein! _Der Majordom_ Nehmen Sie doch Vernunft an, James! Sie kommen ja von Dienst und Brot, wenn Mylord – _James_ Und wär die Welt nicht kugelrund ... (Er kämpft mit denen, die ihn halten, dringt aber dabei immer weiter vor.) _Mr. Dashwood_ Die Überwucherung der tierischen Natur kann Übeltaten im Gefolge haben, deren Tragweite sich gar nicht ermessen läßt. Für den Zuschauer ist dabei das Gedächtnis ein quälender Faktor. Ich erinnere mich eines Tuchwebers, der in der Trunkenheit seine eigene Großmutter erdrosselte. (Er verbeugt sich tief, da von rechts der Lord und Doktor Middlewater eintreten.) _Lord Hamilton_ ist eine Erscheinung von imposanter Magerkeit. Sein Gesicht hat den Ausdruck dürren Ernstes. Ihm zu widersprechen, scheint wahnsinnig. Doktor Middlewater, ein Landarzt, hat seinen Vorteil darin zu finden gelernt, dem Lord nach dem Mund zu reden. _Doktor Middlewater_ Man kann mit einem solchen Leiden neunzig Jahre alt werden, Mylord. _Lord Hamilton_ Ich hoffe es. Im Übrigen ist mein Körper dazu da, um mir zu dienen, so lange ich ihn brauche. _James_ Und wär die Welt nicht kugelrund ... so müßt ich mich erhängen ... (Er stockt, da der Lord erstaunt auf die Gruppe zugeht.) _Lord Hamilton_ Was bedeutet das, Mister Wardle? _Der Majordom_ Wir haben alles mögliche versucht, den Mann zur Besinnung zu bringen, Mylord. _James_ Eure Herrlichkeit mögen verzeihen ... ich bin ein sterblicher Mensch ... ich ... (Er zuckt unter dem Blick seines Herrn zusammen, schweigt, bemüht sich, fest zu stehen.) _Lord Hamilton_ (überlegt eine Weile; plötzlich nimmt sein Gesicht die Miene der Besorgnis an) Doktor Middlewater, der Mann ist krank. _Doktor Middlewater_ (kichert, nach einem Blick des Lords faßt er sich) Es scheint mir selber so, Mylord. _Lord Hamilton_ (strafend) Fühlen Sie ihm den Puls, Doktor Middlewater. _Doktor Middlewater_ (tut es; James fügt sich wie gebannt). _Lord Hamilton_ Der Mann hat Fieber, Doktor Middlewater. Der Mann hat hohes Fieber. _Doktor Middlewater_ (eifrig) Ohne Zweifel, Mylord. Der Mann hat beträchtliches Fieber. _Lord Hamilton_ Mister Wardle, Sie werden veranlassen, daß der Mann zu Bett gebracht werde. _Der Majordom_ Du hörst es, James –! _Lord Hamilton_ Vorher übergieße man ihn mit zwei Eimern kalten Wassers. Gegen das Fieber. _Der Majordom_ Soll geschehen, Mylord. _Lord Hamilton_ Hierauf werden Sie ihm zur Ader lassen, Doktor Middlewater. Zwei Unzen des kranken Bluts können Sie ihm gut und gern entziehen, nicht wahr, Doktor Middlewater? _Doktor Middlewater_ Ich bewundere die Sachkenntnis Eurer Herrlichkeit. _Lord Hamilton_ Sodann belegen Sie ihm Brust und Rücken mit Senfpflastern, und Sie, Missis Adams, sorgen dafür, daß ein stark purgierender Tee für ihn gekocht werde. (Missis Adams ab.) _Doktor Middlewater_ Es fragt sich allerdings, ob bei diesen Jahren eine so vehemente Kur – – _Lord Hamilton_ (ohne den Einwurf zu beachten; streng) Daß du dich widerspruchslos diesen Verordnungen fügst, James! Du bist todkrank, hörst du? Und das eine merk dir für die Zukunft: Kein solches – Fieber mehr! Hinaus mit ihm! Doktor Middlewater, tun Sie Ihre Pflicht. (Die Diener führen den schon halb ernüchterten und widerstandslosen James ab. Der Doktor folgt ihnen.) Nun zu unserem Geschäft, Mister Dashwood. (Zum Majordom.) Sir Francis soll kommen. _Der Majordom_ Sir Francis ist von der Jagd noch nicht zurück. _Lord Hamilton_ Wie viel Uhr ist es? _Der Majordom_ (mit Blick auf die Wanduhr) Elf Uhr, neun Minuten. _Lord Hamilton_ Unmöglich. _Der Majordom_ (ängstlich) Mister Fletcher hat soeben die Uhr reguliert, Mylord. _Lord Hamilton_ (ruhig) Da Sir Francis für elf Uhr bestellt ist, kann es jetzt unmöglich elf Uhr neun sein, Mister Wardle. _Der Marjordom_ (blöde; weiß nichts zu antworten). _Lord Hamilton_ (mit der Taschenuhr in der Hand) Es ist zehn Uhr fünfzig Minuten. Stellen Sie den Zeiger dort gefälligst zurück, Mister Wardle. _Der Majordom_ (rückt einen Stuhl vor die Uhr, steigt hinauf, vollzieht den Befehl, dann kopfschüttelnd ab). _Mr. Dashwood_ (schüchtern) Ich glaube Sir Francis schon hier gesehen zu haben, Mylord. _Lord Hamilton_ Sprechen wir nicht von Ihren privaten Wahrnehmungen, Mister Dashwood. Es ist für mich kein Anlaß vorhanden, über Ihre Sinnestäuschungen zu diskutieren. »Ich glaube« heißt so viel, als »ich schwätze«. _Mr. Dashwood_ (verletzt) Ohne daß ich dieser großartigen Auffassung zu nahe treten will, lassen sich doch Fälle denken, wo die Bestimmtheit der Angaben einer notgedrungenen Philosophie zuwiderläuft. Die Kleinen müssen politisch sein, wo die Großen ihrem Impulse gehorchen. Lord Gordon durfte eine Revolution anzetteln und behielt seinen Kopf, aber der arme Snatch kam an den Galgen. Was würde Eure Lordschaft sagen, wenn ich mich unterstehen wollte, im Schlafrock vor Ihnen zu erscheinen? Ich bitte um Entschuldigung, es ist dies nur vergleichsweise gesprochen: ich meine im Schlafrock der Rede. _Lord Hamilton_ (auf und ab gehend; ungeduldig) Schwätzer waren immer meine Feinde. Ich wünsche nicht, daß man in Gleichnissen zu mir spricht. Das sind Vertraulichkeiten, die ich nicht liebe. Sie wissen, weshalb ich Sie rufen ließ, Mister Dashwood. Das ungeheuerliche Heiratsprojekt meines Sohnes zwingt mich zu einem solchen schweren Schritt. _Mr. Dashwood_ Das Gesetz legt Ihnen nur geringe Hindernisse in den Weg, Mylord. Es ist ein erhebendes Gefühl für den Staatsbürger, daß die Wagschale der Justitia sich stets auf die Seite der Autorität neigt. _Lord Hamilton_ Ich habe inzwischen durch meinen Londoner Mittelsmann genaue Nachrichten über die fragwürdige Person dieser Emma Lyon einziehen lassen. Die Nachrichten bestätigen meine schlimmsten Ahnungen, und wenn Sir Francis, was sich in dieser Stunde noch entscheiden wird, auf seinem Vorsatz beharrt, werde ich keinen Sohn mehr haben. _Mr. Dashwood_ Es wird nicht an mir liegen, wenn die Inkraftsetzung der vermögensrechtlichen Maßregel einen langsameren Gang nimmt, als der Heroismus wünschbar macht, den ich an Eurer Herrlichkeit ehrfürchtig erkenne. _Lord Hamilton_ (nimmt den Brief aus der Tasche) Es wird sich zeigen. _Ein Diener_ (meldet) Sir Francis. (Ab.) _Sir Francis_ (schuldbewußt) Ich bitte Sie um Verzeihung, Vater, daß ich mich verspätet habe. _Lord Hamilton_ Nicht daß ich wüßte. Wie du siehst, ist es elf Uhr. Punkt elf Uhr. _Sir Francis_ Wirklich? – Dann muß meine Uhr falsch gehen. _Lord Hamilton_ Das leidet keinen Zweifel. Die Unterredung, zu der ich dich gebeten habe, könnte auch nicht wie ein Rendez-vous zwischen Kartenspielern behandelt werden. _Sir Francis_ (unruhig, mit Blick auf den Notar) Ich darf doch hoffen, daß eine solche Zwiesprache unter vier Augen ... _Lord Hamilton_ Mister Dashwood ist Amtsperson und hat als solche weder zu hören noch zu sehen. Betrachte ihn als abwesend. _Sir Francis_ (resigniert) Wie Sie befehlen. _Lord Hamilton_ Du hast mir gestern eine Art von Entschluß brieflich kundgegeben. Abgesehen davon, daß ich die Zulässigkeit eines schriftlichen Verkehrs zwischen uns niemals in Erwägung gezogen habe, kann ich mir auch den ... nun, sagen wir, den Mut deiner Ausdrucksweise nur durch den Gebrauch von Tinte und Feder erklären. Ein Hamilton spricht höchstens, aber er schreibt nicht. _Mr. Dashwood_ (schnupft; vor sich hin) Ein Diktum von antiker Größe. _Sir Francis_ Wenn Sie Emma kennten, Vater – – _Lord Hamilton_ Emma? Was ist das, – Emma –? Du unterstehst dich, mit sonderbarer Intimität einen Namen zu nennen, der für mich nicht mehr bedeutet als der Straßenschmutz. _Sir Francis_ (aufwallend) Durch eine solche Sprache empören Sie alle meine Gefühle! _Lord Hamilton_ (kalt) Ich statuiere deine Gefühle nicht, mein Sohn. Gefühle sind der Luxus der Unbotmäßigen. _Mr. Dashwood_ Herrlich! Unvergleichlich! Wie sagt Hamlet: Schreibtafel her. _Sir Francis_ (wütend) Könnte jener Mann nicht schweigen, da er doch – abwesend ist? _Lord Hamilton_ Wir wollen zunächst den Tatbestand ordnungsmäßig darlegen. (Setzt sich in richterliche Pose.) Mister Dashwood, seien Sie so freundlich, den Bericht über die Vergangenheit der in Rede stehenden Personage vorzulesen. Meine Zunge sträubt sich dagegen. (Reicht das Schriftstück hinüber.) _Mr. Dashwood_ (liest) Besagte Emma Lyon ist von der niedrigsten Herkunft. Man weiß weder die Zeit noch den Ort ihrer Geburt anzugeben. Zuerst war sie Gouvernante, dann ergab sie sich einem schändlichen Gewerbe. Sie durchlief die Straßen von London; auf den Trottoirs der unermeßlichen Hauptstadt irrte sie obdachlos umher und sank zur tiefsten Erniedrigung ihres Geschlechtes herab. _Sir Francis_ Dies ist eine Verleumdung! _Lord Hamilton_ Es würde wenig Konsequenz, selbst in der Verranntheit, beweisen, wenn dich meine Ermittlungen sogleich überzeugen würden. Ein Umstand, der freilich ihrer Triftigkeit nichts anhaben kann. Fahren Sie fort, Mister Dashwood. _Mr. Dashwood_ (in weinerlichem Ton) – Geschlechtes herab. Da traf sie einen schottischen Scharlatan, der sich Doktor Graham nennen ließ und der einen sogenannten Tempel der Gesundheit mit einem sogenannten himmlischen Bett eingerichtet hatte. Wer für die Nacht fünfzig Pfund bezahlte, durfte sich in das mit Gold und Seide geschmückte Bett legen und erhielt angeblich die verlorenen Kräfte der Liebe und der Männlichkeit zurück. _Sir Francis_ So viel ist richtig, daß Doktor Graham Emmas Wohltäter war. Es ist richtig, daß sie Not litt und an dem Schotten einen väterlichen Beschützer fand. _Lord Hamilton_ Ich gebe zu, daß du ein guter Schütze und ein ausgezeichneter Schwimmer bist, aber dein Verhältnis zur Welt ist ein wahrhaft kindliches. _Sir Francis_ Übrigens ist sogar der Lord Schatzkanzler in dem himmlischen Bett gelegen. _Mr. Dashwood_ (für sich) Bejammernswerte Verirrung des Menschengeistes! _Lord Hamilton_ Fahren Sie fort, Mister Dashwood. Sie würden mich verbinden, wenn Sie die persönlichen Äußerungen Ihrer sittlichen Entrüstung einstellen könnten. _Mr. Dashwood_ – der Liebe und der Männlichkeit zurück. Doktor Graham verfiel auf den Gedanken – (stockt, zieht das Taschentuch, wischt die Stirne.) Mylord, es fällt mir schwer ... _Lord Hamilton_ Überwinden Sie sich, Mister Dashwood. _Mr. Dashwood_ – verfiel auf den Gedanken, Emma Lyon völlig ... völlig unbekleidet ... _Lord Hamilton_ (scharf) Steht da »unbekleidet«, Mister Dashwood? _Mr. Dashwood_ (trostlos) Nackt. Völlig nackt! _Lord Hamilton_ (erhebt sich) So ist es. Völlig nackt. Das ist der Gipfelpunkt. _Mr. Dashwood_ – oder kaum bedeckt mit einem Schleier ... _Sir Francis_ (seine Position mit ungenügenden Mitteln stützend) Also doch mit einem Schleier bedeckt – _Lord Hamilton_ (stark) Kaum! – kaum! _Mr. Dashwood_ Der Herr bewahre mich in seiner Huld und Gnade vor diesem Sodom! _Lord Hamilton_ Er verfiel also auf den Gedanken, besagte Emma Lyon völlig nackt, oder – _Mr. Dashwood_ (mit erbarmenswürdiger Stimme) – kaum bedeckt mit einem Schleier unter dem Namen der Göttin Hygäa in das Vorzimmer zu dem himmlischen Bett zu postieren und sie für Geld sehen zu lassen ... Neugierige strömten nun in Massen herbei, um vor dem Altar der Göttin ihren Tribut niederzulegen und bald sah man überall unanständige Kupferstiche der neuen mythologischen Person, Bilder, worauf sie als Venus, als Phryne, als Olympia, als Kleopatra abkonterfeiet war. _Lord Hamilton_ Ich danke; damit ist es genug. Wir brauchen uns keine Mühe mehr zu geben, den Pfuhl weiter auszumalen. Ob du von alledem unterrichtet warst, lasse ich dahingestellt. Ich frage mich nur, wie es möglich war, daß du eine Verbindung mit diesem Auswurf des Lasters auch nur in Betracht ziehen konntest ... _Sir Francis_ (verzagt) Ich liebe sie. _Lord Hamilton_ Einfältiges Zeug! _Sir Francis_ Wenn Sie auch nicht Rechte der Leidenschaft anerkennen, Vater – _Lord Hamilton_ Lüderliche Phantasien! Ich hörte einmal einen Münzensammler sagen, daß er seine Münzen liebe. Das hatte wohl eher einen Sinn. Man habe keine Leidenschaften unter der Würde des eigenen Standes. Und wenn man sie hat, so verberge man sie wie ein unappetitliches Geschwür. Wo in aller Welt ist es erhört, daß man aus einer »Leidenschaft« die Folgerung zu heiraten ableitet? _Sir Francis_ Erfüllen Sie mir eine einzige Bitte, mein Vater, ehe Sie sich endgültig entschließen ... _Lord Hamilton_ Nun? _Sir Francis_ Sprechen Sie mit Emma Lyon! _Lord Hamilton_ (voll Verachtung) Du bist ebenso verrückt als vermessen. _Sir Francis_ (mit stoischer Gleichgültigkeit, da er keine Hoffnung mehr hat) Sie ist hier im Hause und will nicht eher fort als bis sie mit Ihnen gesprochen hat. _Lord Hamilton_ (starr und steif) Wie –? _Mr. Dashwood_ Jesus Christus steh mir bei! _Emma Lyon_ (tritt, in weiblicher Kleidung, draußen in die Halle). _Der Majordom_ (geht auf sie zu, sie spricht mit ihm, er kommt und meldet mit dummem Gesicht) Mister Theseus Rippledale bittet vorgelassen zu werden. _Lord Hamilton_ Ich kenne keinen Mister Theseus Rippledale. Bedaure. (Majordom ab.) _Emma Lyon_ (am Majordom vorüber, tritt frech ein. Ihr Kostüm ist im Stil des Direktoire gehalten; es ist äußerst geschmackvoll und bringt die Formen des Körpers verführerisch zur Geltung) Guten Morgen, Mylord. Mister Rippledale und Emma Lyon sind nämlich ein und dieselbe Person. _Mr. Dashwood_ (mit gefalteten Händen vor sich hin) Lockbild der Hölle! _Emma Lyon_ Ich konnte doch den armen Schelm nicht ganz ohne Beistand dem Sturm des väterlichen Unwillens preisgeben. Im Wortgefecht ist er leider nicht sehr gewandt. Auch muß man ihn bisweilen an der Leine halten wie einen unbesonnenen jungen Hund. _Lord Hamilton_ (schweigt angeekelt). _Emma Lyon_ (unbekümmert weiterplaudernd) Sie als Vater können freilich nicht so viel Possierliches an ihm finden wie ich. Er hat sich in letzter Zeit zu seinem Vorteil entwickelt, aber als ich ihn kennen lernte, konnte er durch die Art, wie er ein Kompliment machte, eine Methodistenversammlung zum Lachen bringen und seine Konversation hätte einen Holzhacker in Verlegenheit gebracht. Es hat Mühe gekostet, ihm eine passable Figur zu geben. Sie haben seine Erziehung entschieden vernachlässigt, Mylord. _Mr. Dashwood_ (entsetzt flüsternd) Ein Dämon! _Sir Francis_ (zerknirscht und vorwurfsvoll) Emma –! _Lord Hamilton_ (schweigt, schaut gegen die Zimmerdecke). _Emma Lyon_ (wie oben) Was Wunder, daß ich mit dem Vorurteil herkam, ein unwirtliches Waldhaus und in ihm einen bissigen Menschenfeind zu finden? Francis hat nur mit Zähneklappern von seinem väterlichen Heim gesprochen, und da endlich sagte ich mir: den Minotaurus will ich sehen. Vielleicht ist er gar nicht so fürchterlich. In der Tat er ist nicht fürchterlich. Auch mutet mich alles hier ganz behaglich an, und die Theseus-Rolle kommt mir fast schon komisch vor. (Zu Sir Francis.) Was meinst du, liebe Ariadne? _Mr. Dashwood_ Diese Vertrautheit mit der Mythologie ist nicht groß erstaunlich. _Lord Hamilton_ (ergreift die Handglocke, läutet energisch. Ein Diener kommt) Mister Rippledale wünscht seinen Wagen. Lassen Sie vorfahren! _Emma Lyon_ Mister Rippledale ist zu Pferde gekommen, Mylord. (Sie ist durchaus nicht aus der Fassung gebracht, spricht, als ob ein unsichtbarer Rippledale vor ihr stände.) Sie wollen schon gehen, Mister Rippledale? Schade. Aber ich sehe ein, daß Sie sich nicht zweimal mit dem Zaunpfahl winken lassen wollen. Ich wünsche Ihnen gute Reise. (Schüttelt dem Unsichtbaren die Hand.) Sei so freundlich, Francis, und begleite Mister Rippledale hinaus. (Da Sir Francis sie zögernd anschaut, mit einem befehlenden und vielsagenden Blick.) Hurtig, mein Lieber! Mister Rippledale ist nicht gewöhnt, unhöflich behandelt zu werden. (Zu Mr. Dashwood.) Und Sie, mein dicker Reitersmann, Sie würden gut daran tun, wenn Sie draußen die Identität meines Freundes Rippledale feststellen würden. Nehmen Sie ihn in ein Kreuzverhör und lassen Sie sich eine kleine Magenstärkung reichen. (Zum Diener, der mit aufgerissenen Augen wartet.) Ein Glas Sherry für den Herrn! Er bedarf der Kräftigung. _Mr. Dashwood_ (erhebt sich, starrt den Lord ratlos an, weicht vor der Berührung Emma Lyons zurück, die ihn unterm Arm fassen will, und da der Lord wie versteinert ist und keine Miene macht zu sprechen, geht er in weitem Bogen ängstlich um sie herum nach der Tür, wo ihm Sir Francis durch eine mürrische Geste bedeutet, daß er gehen solle. Er schlägt die Hände zusammen, als sei der Untergang der Welt angebrochen, und verläßt das Zimmer. Der Diener folgt ihm, dann, nach kurzem Zaudern und unter allerlei Versuchen, stumm mit Emma Lyon zu korrespondieren, auch Sir Francis). _Emma Lyon_ (schließt die Türe zur Halle hinter ihnen) Auf Wiedersehen, lieber Rippledale! (Öffnet noch einmal die Tür und winkt.) Addio! (Kehrt zurück.) Darf ich jetzt von Ihrer Einladung, Platz zu nehmen, Gebrauch machen, Mylord? (Sie setzt sich, lächelt gewinnend.) _Lord Hamilton_ (ist vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben vollkommen konsterniert. Er greift sich wie träumend an den Kopf. Seine Stimme klingt heiser, während er stotternd beginnt) Wer sind Sie? Wer gibt Ihnen das Recht, vermittelst einer schamlosen Komödie in mein Haus zu dringen? _Emma Lyon_ (blickt ihn mit unschuldiger Miene lächelnd an, winkt, als ob sie ihn ermuntern wolle). _Lord Hamilton_ (immer noch mühsam nach Worten ringend, wobei er sich bestrebt, das junge, schöne Geschöpf nicht zu sehen) Sie erteilen Befehle an meine Dienerschaft. Ich erkläre diese Befehle für ungültig. _Emma Lyon_ (harmlos) Das dacht ich mir gleich. _Lord Hamilton_ Sie haben mich überfallen, aber ich weigere mich, mit Ihnen zu sprechen. Ich fordere Sie auf, Sir Francis und Mister Dashwood wieder hereinzurufen. _Emma Lyon_ Daß ich eine Närrin wäre! Es hat Arbeit genug gekostet, sie hinauszubringen. _Lord Hamilton_ Ich kenne Sie nicht, ich – – _Emma Lyon_ Tut nichts, Mylord. Es ist ja der Zweck meiner Anwesenheit, daß Sie mich kennen lernen. _Lord Hamilton_ Ihre Gegenwart ist mir unerwünscht, und wenn Sie nicht gehen wollen, so werde ich einem meiner Diener befehlen müssen, Sie hinauszubegleiten. _Emma Lyon_ Ah? wirklich? würden Sie das wirklich tun? _Lord Hamilton_ (nimmt die Handglocke, läutet). _Emma Lyon_ (fast fröhlich) Ich bin gespannt, ob Sie dazu den Mut finden werden. _Ein Diener_ (kommt) Mylord befehlen? _Lord Hamilton_ (heftet plötzlich einen etwas verzagten Blick auf Emma Lyon; er zaudert). _Der Majordom_ (kommt) Mylord befehlen? _Emma Lyon_ (lächelnd) Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Gentleman sich auf diese Weise einer Dame entledigt. _Lord Hamilton_ (zum Majordom, gepreßt) Sagen Sie Mister Dashwood, er möge warten. (Winkt den beiden, das Zimmer zu verlassen.) _Der Majordom_ Sehr wohl. (Ab mit dem Diener.) _Emma Lyon_ Jetzt bleibt Ihnen nichts übrig, als daß Sie selbst die Flucht ergreifen, Mylord. _Lord Hamilton_ (bleibt unwillkürlich stehen) Ich fliehe nicht, ich ignoriere bloß. _Emma Lyon_ Aber Sie haben mich doch nicht ignoriert, als Sie Spione auf meine Spur geschickt haben, die meine Vergangenheit durchschnüffeln mußten, – wie kommt das? _Lord Hamilton_ Es geschah für die Ehre der Familie. _Emma Lyon_ Und sind Sie überzeugt davon, daß man Ihnen die Wahrheit berichtet hat? _Lord Hamilton_ Man hatte keinen Grund zu Entstellungen. _Emma Lyon_ So war es nicht gemeint. Ich bezweifle nur, daß man imstande gewesen ist, Ihnen die _ganze_ Wahrheit zu enthüllen. Vielleicht hätten Sie dann eine Kompagnie Soldaten aufgeboten, um Sir Francis’ Unschuld vor mir zu schützen. _Lord Hamilton_ Dieser Zynismus entwaffnet mich nicht. (Finster.) Sagen Sie in aller Kürze, was Sie noch zu sagen haben. Ich will versuchen, Sie anzuhören, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, als ob ich ungehört verdammte. _Emma Lyon_ Warum sollten Sie mich denn verdammen, Mylord? Ist es etwa nicht erlaubt, daß einer von dem Kapital lebt, das er besitzt? Ziehen Sie nicht mit Hilfe Ihrer Pächter aus Ihren Ländereien so viel Gewinn, wie Sie daraus ziehen können? Sie würden lachen, obwohl Sie vermutlich ungern lachen, wenn ich Sie bitten würde, mir eine Wiese oder ein Stück Wald zu schenken. Warum also sollte ich mich verschenken? Ich habe nur mich selbst. Ich beleidige Ihr keusches Ohr, ich weiß es. Es gibt keinen Kiebitz, der nicht die Tugend preist. O ja, die Tugend ist eine ganz schöne Sache, wenn das Lebensspiel sie nicht als Einsatz fordert. Wenn mir das Schicksal die Versprechungen erfüllt, die ich ihm abgerungen habe, will ich so tugendhaft sein wie ein zahnloses altes Weib. Bis dahin kann mich nicht einmal Ihre Verachtung hindern, meine – Wälder und Ländereien zinstragend zu verwerten. _Lord Hamilton_ (begegnet endlich ihrem Blick, wendet jedoch sofort wieder die Augen ab. Die schlaue Emma Lyon bemerkt, daß er nicht mehr daran denkt, sie durch Hinausgehen zu brüskieren. Diese Sicherheit gibt ihr noch mehr Impertinenz. Der Lord zieht die Brauen zusammen und versetzt widerwillig) Das alles interessiert mich nicht. Auch sehe ich keinen plausiblen Grund darin, weshalb Sie Ihre Netze gerade nach meinem Sohn werfen mußten. _Emma Lyon_ Na, einer muß es doch sein. _Lord Hamilton_ Die vernünftige Erwägung muß Ihnen sagen, daß diese Spekulation verfehlt ist. _Emma Lyon_ Keineswegs. Weshalb denn? Was können Sie ihm anhaben? Sie werden ihn aufs Trockene setzen. Gut. Sie werden ihn des baren Geldes berauben, mehr ist Ihnen nach den Gesetzen unseres Landes nicht verstattet. Grund und Boden muß er erben. Sie sehen, auch ich habe mich unterrichtet. _Lord Hamilton_ Francis ist nicht der Mann, um einer Torheit willen zwanzig Jahre lang zu hungern. Denn so lange gedenke ich mindestens noch auf Easton Park zu wohnen. _Emma Lyon_ Das glaub ich. Aus lauter Trotz werden Sie am Ende hundert Jahre alt. Aber auf die Dauer können Sie nicht so verblendet sein, der friedlichen Fortpflanzung Ihres Geschlechts unnötige Hindernisse zu bereiten. _Lord Hamilton_ Sie irren. _Emma Lyon_ Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Lady Hamilton sein werde, – so oder so. _Lord Hamilton_ (kalt) Dann werde ich Ihnen beweisen müssen, daß es noch Mittel in England gibt gegen Abenteuerinnen Ihres Schlags. _Emma Lyon_ Nein, Mylord, die gibt es nicht. Und wissen Sie, warum nicht? Weil in England Männer regieren. _Lord Hamilton_ Ja, glauben Sie denn im Ernst, daß Ihnen kein Mann im Königreich gewachsen ist? _Emma Lyon_ Ach, Mylord, Sie tun mir leid! Sie ahnen nicht, wie sie alle schmelzen, wie die stolzesten Hähne klein werden und sich die Federn putzen und wie gefällig sie mit den Füßen scharren und wie einladend sie krähen, wenn ich bloß am Horizont auftauche. Neulich hatte ich in Kings bench zu tun; na, da war ein Richter, – ich kann Ihnen sagen, sein Gesicht war saurer als Essig, und er hatte eine Art dreinzublicken, als läge es in seiner Macht, die ganze Christenheit um einen Kopf kürzer zu machen. Ich war angeklagt, weil der Sohn des Lord Hervey idiotisch genug war, hunderttausend Pfund in meiner Gesellschaft zu verspielen, als ob es meines Amtes wäre, erst nachzufragen, wie lang ein Grünspecht vom Wickeltisch zum Pharaotisch sich Zeit lassen muß. Kaum hatte ich angefangen, mich zu verteidigen, kaum hatte ich mein seidenes Tuch gezogen, um meinen Tränen ein anständiges Quartier zu verschaffen, da zerging der Gestrenge schon wie Butter, er machte Zeichen mit den Händen, grinste wie ein Hökerweib am Feierabend und hatte Augen so lang wie ein Hummer, wenn man ihn ins heiße Wasser tut. Ich konnte nicht widerstehen, ich mußte ihn durch ein paar freundliche Worte aufmuntern. _Lord Hamilton_ (dem plötzlich unbehaglich wird) Ich bin nicht fähig, Ihrer Suada zu begegnen, Madame. Ich bekenne offen, daß ich ein schlechter Redner bin. Selbst das Zuhören ermüdet mich, und meine Gedanken schweifen haltlos umher. Haben Sie doch die Güte, mich jetzt allein zu lassen. Vielleicht erteilen Sie Mister Wardle Auftrag, daß er Ihnen den Lunch serviere, bevor Sie Easton Park den Rücken kehren. _Emma Lyon_ Wenn ich in Easton Park den Lunch nehme, Mylord, werde ich es entweder in Ihrer Gesellschaft oder gar nicht tun. _Lord Hamilton_ (setzt sich mit versorgtem Gesicht) Also wie soll das enden? _Emma Lyon_ (mit versteckter Schelmerei) Ist Ihnen nicht wohl, Mylord? Sicherlich ist Ihnen nicht wohl. Es wäre grausam, wenn ich Sie jetzt allein ließe. _Lord Hamilton_ Es scheint, Sie treiben ein Spiel mit mir ... _Emma Lyon_ Gott bewahre. Dazu ist mein Respekt viel zu groß. Ich habe ein bißchen Revolution auszuführen versucht, das ist alles, aber Ihre Unerschütterlichkeit flößt mir Bewunderung ein. Mit Ihnen kann man nicht paktieren. Trotzdem schlage ich Ihnen ein Kompromiß vor. Überzeugen Sie mich davon, daß Ihr Geschlecht zu keiner Zeit und unter keiner Bedingung ein plebejisches Reis auf seinen erlauchten Stammbaum gepfropft hat, und ich will mich bescheiden. Ich gebe Sir Francis den Laufpaß, wenn Sie mir beweisen können, daß Ihre adeligen Vorfahren keinen andern Ehrgeiz gehabt haben, als eine fehlerlose Genealogie zu fabrizieren. _Lord Hamilton_ (in die Enge getrieben, vornehm) Wenn ich eine Erörterung hierüber für möglich hielte, würde ich die Fundamente untergraben, auf denen ich stehe. _Emma Lyon_ Und damit soll ich mich zufrieden geben? Die Klatschbase, die man Geschichte nennt, behauptet ganz frech, daß hin und wieder eine ziemlich zweifelhafte Lady ins Ehebett eines leichtsinnigen Lords geschlüpft ist. Oder ist es Schwindel, daß Lord James eine arme irische Schauspielerin geheiratet hat? Sie soll freilich so schön gewesen sein, daß während ihrer Vorstellung bei Hof der Scharlach der Aristokratie auf Tische und Stühle stieg, um sie zu sehen. Douglas Hamilton vergaß sich so weit, die Tochter eines Akziskommissärs mit seiner Hand zu beglücken. Von einigen Ladies habe ich mir gar sagen lassen, daß sie mit Kutschern, Schreibern, Schmugglerkapitänen ... _Lord Hamilton_ (nervös) Nicht weiter, Madame! Genug der Indiskretionen. _Emma Lyon_ Die Wahrheit wird immer beschimpft, wenn sie unbequem ist. Sehen Sie mich doch einmal an, Mylord! Kommt es Ihnen nicht so vor, als ob ein Frauenzimmer meiner Kategorie geeigneter wäre, die verdickten Ahnensäfte wieder zum Moussieren zu bringen, als irgend eine hochgeborene Kuh aus einem sublimen Stall –? _Lord Hamilton_ Stall –? Kuh –? Um Himmels willen, was für Worte! _Emma Lyon_ Ich habe jetzt nicht Lust, auf meine Worte zu achten. Sehen Sie mich an, sage ich. _Lord Hamilton_ (irritiert) Nun ja ... ja ... ich sehe. _Emma Lyon_ Was finden Sie an meinem Wuchs zu tadeln? _Lord Hamilton_ (noch mehr irritiert) Ich habe ... offengestanden ... darüber kein Urteil. _Emma Lyon_ Wer verstände nicht zu tadeln, auch wenn er kein Urteil hat! So schauen Sie wenigstens. Was haben Sie an diesen Schultern auszusetzen? was an der Büste? Diese Linien (mit den Fingerspitzen an den Hüften entlang streifend) sind edler als jeder Name. Der Fuß, Mylord, (hebt ihr Kleid ein wenig) zeigen Sie mir einen aristokratischen Fuß, vor dem er sich verstecken müßte. Und der Nacken, – (wendet sich) mißfällt er Ihnen? Die Haare, – braucht man sich ihrer zu schämen? Die Hand, – läßt sie auf eine schlechte Rasse schließen? Ohr, Nase, Stirn, Zähne, Lippen, – vertragen sie nicht jede Kritik? Romney hat mich vierzehnmal porträtiert, Mylord. _Lord Hamilton_ (bestürzt und im Anfangsstadium einer verhängnisvollen Narkose) Romney ... jawohl. Mister Romney ist ein Meister seines Handwerks. Er hat auch die Königin gemalt, wenn ich nicht irre ... Aber würden Sie nicht die Freundlichkeit haben, Miß Lyon, sich in größerer Entfernung von mir aufzuhalten? Ihr Parfüm ist es, glaube ich, das mich schwindlig macht. _Emma Lyon_ (diebisch) Soll ich das Fenster öffnen, Mylord? _Lord Hamilton_ Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir ein Glas Wasser reichen wollten. _Emma Lyon_ (tritt beflissen zum Tisch, schenkt aus einer Karaffe Wasser in ein Glas, bringt es ihm). _Lord Hamilton_ Ich danke Ihnen. _Emma Lyon_ (nachsichtig) Sie sind an die Nähe von Frauen nicht mehr gewöhnt, Mylord. _Lord Hamilton_ Durchaus nicht. – Durchaus nicht. _Emma Lyon_ Schade. Dabei vertrocknet das Temperament. Ist Ihnen besser? (Sie faßt seine Hand.) Die arme kalte Hand! _Lord Hamilton_ (scheu) Die Ihre freilich, Miß Lyon, die Ihre ist hinlänglich warm. _Emma Lyon_ Wie pedantisch! Hinlänglich warm! O Gott! _Lord Hamilton_ Es ist außerdem eine begehrliche Hand; sie ist allzu begehrlich. _Emma Lyon_ Wer nicht zehnmal so viel begehrt als ihm gewährt wird, der soll nicht zu leben anfangen. Weiter, Herr Chiromant? Was sehen Sie noch? Daß ich neugierig bin? Stimmt. Eitel? Stimmt. Treulos? Stimmt. Aber treulos machen uns nur die, die kraftlos sind. _Lord Hamilton_ Was ist das für eine Narbe hier neben dem Daumen? _Emma Lyon_ Sie stammt von den Zähnen des Prinzen von Wales. _Lord Hamilton_ Wieso? Ist er bissig? _Emma Lyon_ Er beißt aus Enthusiasmus. Aber er steht in meiner Schuld dadurch. Die Narbe ist unter Brüdern eine Einladung nach St. James wert. _Lord Hamilton_ Was doch alles geschieht! Sonderbar. Ich muß gestehen, ich fasse nicht die Existenz, die Sie führen. Da reiht sich wohl Fest an Fest und Genuß an Genuß, und für Genauigkeit und Regelmäßigkeit bleibt nichts mehr übrig. Und dabei kann man leben ... es macht wohl gar Spaß? Sonderbar. Eine sonderbare Welt! _Emma Lyon_ Die zu beklagen ist, weil Sie sich von ihr fern halten, Mylord. _Lord Hamilton_ Keine Flatterien, Miß Lyon! Ich liebe nicht die Exaltationen des Vergnügens. _Emma Lyon_ (heuchlerisch) Eigentlich haben Sie recht, Mylord. Es gibt nichts, was so anstrengend ist wie das Laster. _Lord Hamilton_ Sehen Sie! Sehen Sie! _Emma Lyon_ (versonnen) Oder vielleicht doch ... Ich glaube, daß die Tugend _noch_ anstrengender ist. _Lord Hamilton_ Versuchen Sie es doch einmal ... _Emma Lyon_ Meinen Sie? _Lord Hamilton_ Fangen Sie damit an, daß Sie Ihre auf Sir Francis zielenden Absichten fallen lassen. _Emma Lyon_ Aha, Sie wollen schon ein Geschäft mit meiner Tugend machen. Das ist ja eben das Verdächtige an der Sache. _Lord Hamilton_ (steht auf) Im Ernst, Miß Lyon: – Was kann Sie an dem Jüngling locken? Seine Geistesgaben, Sie müssen es selbst zugeben, sind keineswegs blendend. Er würde Sie langweilen, Sie würden ihn betrügen, und was wäre die Folge? Der Skandal in gesteigerter Häßlichkeit. Sie brauchen eine starke Hand. Einen reifen Mann brauchen Sie, der durch Erfahrung und Charakter befähigt ist, Ihrem ungebundenen Wesen Schranken zu setzen. _Emma Lyon_ (zerknirscht) Es ist wahr. Wenn Sie wüßten, Mylord, wie ich dieser jungen Leute satt bin, die ihre Leidenschaften mit so viel Lärm und Prätension zur Schau tragen! Ich sehne mich nach einem verschwiegenen und klugen Mann, so an der Grenze der Fünfzig, nach einem Mann, der nicht immer nur etwas haben will, sondern auch etwas gibt. _Lord Hamilton_ (erfreut) Nun also ... _Emma Lyon_ Würden Sie mir helfen? _Lord Hamilton_ Ich ... ja, gewiß ... Ich würde sehen, was sich tun läßt. _Emma Lyon_ Aber Sie haben doch hoffentlich nicht vergessen, daß ich vor zehn Minuten geschworen habe, Lady Hamilton zu werden? Ich gedenke, das Gelübde unter allen Umständen zu erfüllen. _Lord Hamilton_ Das versteh ich nicht ... _Emma Lyon_ Verständlicher kann nichts auf der Welt sein. _Lord Hamilton_ (vor Schrecken gelähmt) Sie meinen –? _Emma Lyon_ Ja! _Lord Hamilton_ Ich? – Ich –? Ich sollte –? Sie träumen wohl, Miß Lyon? (Er fällt in den Stuhl zurück.) _Emma Lyon_ (läßt sich in einer reizenden Magdalenen-Stellung vor ihm auf die Kniee nieder. Da er nicht zurückweichen kann, preßt er den Rücken gegen die Lehne und drückt den Kopf in den Nacken) Sie wären schwerlich, trotz meines ununterbrochenen Geschwätzes, bis zu diesem Augenblick im Zimmer geblieben, wenn ich Ihnen nicht gefallen hätte, Mylord. Und jetzt ist es leider zu spät. Fängt dieses Gift einmal zu wirken an, dann ist man verloren. _Lord Hamilton_ (klagend) Zweifellos. Ich habe es an der nötigen Festigkeit fehlen lassen. _Emma Lyon_ Und mir sprechen Sie jedes Verdienst ab? _Lord Hamilton_ Ich kann nicht leugnen, daß Ihnen eine ... wie soll ich mich nur ausdrücken? – eine seltsame Gewalttätigkeit eigen ist. _Emma Lyon_ Gut. Ich akzeptiere das Kompliment. _Lord Hamilton_ Nichtsdestoweniger befinden Sie sich mit Ihrer Vermutung, was meinen Seelenzustand betrifft, auf dem Holzweg. Ich will es wenigstens hoffen. _Emma Lyon_ Sie kennen die menschliche Natur nicht so gut wie ich, Mylord. Ich will Ihnen sagen, was Ihnen bevorsteht, wenn Sie jetzt eigensinnig sind. Ich reise ab. Ihre Gedanken verursachen Ihnen ein unangenehmes Kribbeln, Sie sind unzufrieden mit sich, Sie haben keinen Appetit mehr, des Nachts flieht Sie der Schlaf, und plötzlich, Sie wissen selbst nicht wie, fassen Sie den Entschluß, mich aufzusuchen. Da erscheint eines Tages Lord Hamilton im Salon von Emma Lyon. Aber Emma Lyon wird durchaus nicht auf die Kniee fallen, so wie jetzt. Emma Lyon wird spöttisch lächeln; sie wird Seiner Herrlichkeit einen Stuhl bieten, sie wird mit Mister Jennings plaudern und wird die Albernheiten von Mister Davis entzückt anhören und wird Sir Roberts empfangen, und Mylord wird gehen, verdrießlich, aufgebracht, wütend gegen sich und mich, aber er wird wiederkommen, er wird Blumen bringen, er wird Geschenke bringen, all die Laffen und Schmeichler und Dandies werden ihm lästig sein, aber Emma Lyon wird sagen: Platz genug im Hause! Dort unter der Treppe ist für die Mißgelaunten Platz, und unterm Dachboden für die Hochmütigen, und im Keller für die Moralisten. Und mein kleiner Schoßhund wird kläffen, wenn Sie nahen, und diese weiße begehrliche Hand wird ihre Finger spreizen, – so, denn ich, Mylord, (sie erhebt sich) ich würde Sie zappeln lassen. Und davor möge Gott Sie bewahren. _Lord Hamilton_ (murmelnd) Niemals würde ich mich so tief erniedrigen. _Emma Lyon_ (kategorisch) Sie werden es tun! Ihre Augen versichern es mir. Ich erspare Ihnen demnach eine unabsehbare Reihe von Qualen und Kränkungen durch ein freimütiges Anerbieten. _Lord Hamilton_ (schüttelt den Kopf) Ich vermute, Miß Lyon, Sie ahnen nicht, was ich durchzusetzen vermag, selbst gegen meine heftigsten Wünsche und Triebe. Insofern bleibt also Ihr Schreckbild ohne Wirkung. Aber Sie verfechten Ihre Sache mit Bravour und nicht ohne Geist. Ich liebe das. In diesem hübschen kleinen Kopf rumort ein Teufel, den zu zähmen der Mühe vielleicht verlohnen könnte. Wie Sie richtig bemerkten, bin ich des Elements entwöhnt, das, in Ihnen personifiziert, meinen Frieden so geräuschvoll unterbrochen hat. Ich habe jedoch gerade dadurch erkannt, daß zwischen mir und der Welt eine gewisse Entfremdung besteht, und ich könnte Ihren Vorschlag in Betracht ziehen, wenn nicht Hindernisse vorlägen, die für mich beinahe unüberwindlich sind. Der Doktor Graham ... das himmlische Bett ... die Mystifikation als Göttin Hygäa ... (Schüttelt wieder den Kopf.) Das sind üble Dinge ... üble Dinge. _Emma Lyon_ Die mich vor dem Verhungern geschützt haben, Mylord. _Lord Hamilton_ Sie hätten eine minder exponierende Abhilfe wählen sollen. _Emma Lyon_ Ich hatte keine Wahl. Ich bin auch nicht schlechter geworden dadurch. Es war eine Hülle, die ich angelegt habe. _Lord Hamilton_ Verzeihen Sie, die Hülle, – die haben Sie abgeworfen. _Emma Lyon_ Man kann alle Hüllen abwerfen und doch undurchdringlicher sein als in Panzern. _Lord Hamilton_ Das ist Rabulismus. _Emma Lyon_ Sie haben wenigstens die Sicherheit, daß ich gegen jede künftige Verführung und Verlockung gefeit bin. Alles was andere lüstern macht, davon habe ich genug und übergenug. _Lord Hamilton_ Das ist ein Argument. _Emma Lyon_ Die Welt ist vergeßlich. Ein Name, wie der Ihre Mylord, deckt jugendliche Torheiten zu. _Lord Hamilton_ (mit einem Rest von Bedenklichkeit) Ich bin fünfundfünfzig Jahre alt ... _Emma Lyon_ Man hat mir erzählt, und ich habe mich darüber amüsiert, daß Sie es bisweilen nicht verschmähen, der Zeit Gewalt anzutun. Ich, sehen Sie, ich kann das auch. (Sie steigt auf einen Stuhl, öffnet das Uhrgehäuse und dreht den großen Zeiger sehr schnell und mehrere Male über das Zifferblatt zurück.) _Lord Hamilton_ Was tun Sie da, junge Hexe! (Das Uhrwerk knackt, der Pendel hört auf zu schwingen.) _Emma Lyon_ Ich drehe die Jahre zurück, Mylord, und wenn ich will, – sehn Sie! – bleibt die Zeit stehen! (Sie springt herab.) Wir gehen nach Italien, Mylord! (mit ausgebreiteten Armen, bacchantisch.) Illuminationen! Barken auf dem Meer! Mondschein und Liebeslieder! Fackeltanz und Tarantella! _Lord Hamilton_ (vor sich hin) Es bliebe noch zu erwägen, ob hier ein freier Entschluß oder die Macht einer Bezauberung vorliegt. – Gönnen Sie mir, Miß Lyon, gönnen Sie mir Frist bis morgen. _Emma Lyon_ So lang Sie wollen. Nur bedenken Sie, daß auch ich Dispositionen zu treffen habe – _Lord Hamilton_ Ich könnte es versuchen ... _Emma Lyon_ Schön, versuchen wir es. _Lord Hamilton_ Begleiten Sie mich für zwei Monate nach dem Süden. _Emma Lyon_ Zwei Monate? Das ist etwas wenig. _Lord Hamilton_ Sagen wir vier Monate. _Emma Lyon_ Wenn ich so durchtrieben wäre wie man mich Ihnen geschildert hat, wäre ich mit drei Tagen zufrieden. Aber ich bin eine ehrliche Person und sage Ihnen ohne Umschweife: drei Tage Probezeit oder drei Jahre oder dreißig Jahre, das ist für mich im Grunde gleichgültig, denn nach dem ersten Tag werden Sie vom letzten nichts mehr wissen wollen. _Lord Hamilton_ Ihre Prophezeiung ist sehr kühn. Immerhin bleiben wir vorläufig bei den vier Monaten. _Emma Lyon_ Vergessen Sie nicht, daß Sie Ihren Sohn vor eine unwiderrufliche Tatsache stellen müssen, sonst komme ich ihm gegenüber in eine schiefe Position. _Lord Hamilton_ Eine bedeutende Schwierigkeit. Wie soll ich ihm eröffnen –? _Emma Lyon_ Sie überschätzen ihn doch. Die Schwierigkeit ist mit zwei Worten aus der Welt geschafft. (Sie nimmt die Handglocke, läutet.) _Lord Hamilton_ (verwundert) Oh! Sie ergreifen die Initiative mit großem Feuer. _Der Majordom_ (tritt ein) Mylord befehlen? _Emma Lyon_ Sir Francis soll kommen. _Der Majordom_ (erstaunt über den diktatorischen Ton von dieser Seite) Mylord wünschen Sir Francis? _Lord Hamilton_ (kalt) Sie haben gehört. _Der Majordom_ Mister Dashwood läßt gehorsamst fragen, ob er sich entfernen kann. Er hat dringende Geschäfte. _Emma Lyon_ Er soll warten. – Ist nicht Frühstückszeit? _Lord Hamilton_ Es dürfte Frühstückszeit sein. _Der Majordom_ (schaut auf die Wanduhr) Jawohl; es ... (Stockt verblüfft.) Die Uhr steht. _Lord Hamilton_ Ja. Die Uhr steht. _Emma Lyon_ Es soll serviert werden. _Der Majordom_ (bekümmert und fast vorwurfsvoll) Soll serviert werden, Mylord? _Lord Hamilton_ Sie hören. _Emma Lyon_ Auch fehlt noch ein Gedeck. _Der Majordom_ Noch ein Gedeck, Mylord? _Lord Hamilton_ Noch ein Gedeck. _Der Majordom_ Sehr wohl. (Ab.) _Emma Lyon_ Der Mann scheint auf dem rechten Ohr taub zu sein. _Lord Hamilton_ (in ziemlicher Unruhe) In welche Form soll ich also Francis gegenüber die Mitteilung kleiden? _Emma Lyon_ Sie sagen ihm, daß Sie seine Schulden bezahlen und mich dafür in Ihre Obhut nehmen. _Lord Hamilton_ (zieht die Stirn in Falten) Das wäre ja ein regelrechter Handel! _Emma Lyon_ Ich habe noch nie gehört, daß ein Engländer in Ohnmacht fällt, wenn von einem Handel die Rede ist. _Lord Hamilton_ Wie viel betragen seine Schulden? _Emma Lyon_ Eine Lappalie. Vierzigtausend Pfund. _Lord Hamilton_ Wie? Und das nennen Sie eine Lappalie? _Emma Lyon_ (lacht) Also fange ich schon an, Ihnen teuer zu werden? _Lord Hamilton_ Wenigstens geben Sie mir einen starken Begriff von Ihrer – Weitherzigkeit. _Emma Lyon_ Wo geknausert wird, kann ich nicht froh sein. _Lord Hamilton_ Ich werde trachten, Sie bei guter Laune zu erhalten. _Emma Lyon_ (streckt den Arm aus) So küssen Sie mir die Hand. _Lord Hamilton_ (beugt sich mit steifer Galanterie; während er ihr die Hand küßt, kommt) _Sir Francis_ (bleibt bei diesem Schauspiel wie angewurzelt stehen. Gleich hinter ihm kommen: der Majordom, dem ein Diener mit dem fehlenden Gedeck folgt; hinter diesem ein zweiter Diener mit dem Tablett, auf dem sich die Speisen befinden. Gleich darauf erscheint auch Mister Dashwood auf der Schwelle. Die Tür zur Halle bleibt offen). _Lord Hamilton_ (geht zum Tisch, gibt dem Majordom Anweisung über die Sitzordnung, dann tritt er zu Mister Dashwood und spricht mit ihm. Dieser lauscht aufmerksam und verbeugt sich oft zum Zeichen seines Eifers. Indessen ist Sir Francis zu Emma Lyon getreten). _Sir Francis_ (bewundernd; leise) Das war ein Meisterstück, Emma. Wie hast du ihn denn herumgekriegt? _Emma Lyon_ Still, lieber Freund. Keine Elogen. Du wirst alles hören. Jetzt hab ich Hunger wie ein Matrose. _Sir Francis_ Und zahlt er die fünfundzwanzigtausend Pfund –? Du weißt, meine Gläubiger drängen ... _Emma Lyon_ Fünfundzwanzig und noch fünfzehntausend dazu. _Sir Francis_ (entzückt) Du bist umsichtig wie ein Kaufmann! _Lord Hamilton_ (zu Mister Dashwood) Die Informationen waren falsch. Es ist dies eine Gewissenlosigkeit, die ich ahnden muß, und Sie tun gut daran, Mister Dashwood, wenn Sie den Londoner Herrn darauf aufmerksam machen, daß ich ihn wegen böswilliger Verleumdung bestrafen lassen werde. _Mr. Dashwood_ Gewiß, Mylord, gewiß. Die Zunge der Menschen ist ein giftiges Instrument und unheilvoll in ihren Wirkungen – _Lord Hamilton_ (unterbricht den drohenden Redeschwall und wendet sich auch an Sir Francis) Miß Emma Lyon hat mich davon überzeugt, daß alles, was wir von ihrem früheren Leben gehört haben, nichtswürdige Lügen sind. _Sir Francis_ Das hab ich ja gleich gesagt – _Lord Hamilton_ Es gibt keinen Doktor Graham ... Es gibt kein himmlisches Bett, und sie hat niemals eine Göttin Hygäa dargestellt. Genug davon. Es sei von solchen Dingen nicht mehr die Rede. Sie können gehen, Mister Dashwood. _Mr. Dashwood_ (mit tiefer Verbeugung ab). _Lord Hamilton_ (mit der Taschenuhr in der Hand) Darf ich zu Tisch bitten? Es ist zwölf Uhr, fünf Minuten. (Mister Dashwood hat sich entfernt.) _Emma Lyon_ Ihre Präzision, Mylord, verspricht meinem Magen ein Dasein von angenehmer Sorglosigkeit. _Lord Hamilton_ Zuerst den Bordeaux, John. (Emma Lyon und Sir Francis haben Platz genommen, der Lord bleibt stehen.) Mein lieber Sohn, erlaube mir, dich von einem freudigen Ereignis zu unterrichten. Miß Emma Lyon ist von heute ab keine Fremde mehr für dich. Verehre in ihr (stockt; Pause, dann mit ruhiger Sicherheit) deine zukünftige Mutter, Lady Hamilton. _Sir Francis_ (springt auf, läßt sich aber unter dem hoheitsvollen und bannenden Blick seines Vaters wieder aus den Sessel nieder). _Lord Hamilton_ Den Fisch, Mister Wardle! _Vorhang._ Hockenjos Personen: Karinkel, Bürgermeister Bienemann, Redakteur Mettenschleicher, Bildhauer Hockenjos Hannewickel, Stadtrat Abendrot, Amtsschreiber Binder, Kommissär Ein Amtsdiener, ein Kellnerbursche Spielt in einer kleinen süddeutschen Stadt. Kanzlei des Bürgermeisters. Rechts und links Türen. Hinten zwei Fenster mit Aussicht auf einen von altertümlichen Häusern umgebenen Platz, in dessen Mitte das noch umhüllte Denkmal steht. _Abendrot_ (schlägt mit einem Aktenheft Fliegen tot) Hin muscht werde! Pardon gibt’s net ... hätt’scht es vorher überlegt, mei Schätzle ... hin muscht werde, sag’ ich ... _Karinkel_ (ein untersetzter, glattrasierter, eiliger Mann, kommt; er ist im Frack) Was treiben Sie denn da, Abendrot? _Abendrot_ Die Fliege schlag’ i tot, Herr Bürgermeischter. _Karinkel_ Die Fliegen schlagen Sie tot? Sind Sie verrückt, Mensch? Wo wir bis an den Hals in Arbeit stecken! _Abendrot_ Ich hab’ ja bei der Denkmalsenthüllung nix zu tun, Herr Bürgermeischter. _Karinkel_ Scheren Sie sich an die Arbeit. Und wenn Sie nichts zu tun haben, dann tun Sie wenigstens so, als ob Sie was zu tun hätten. Das fordert die Würde des Amtes. Der Professor Mettenschleicher muß jeden Moment kommen, – was soll er sich denken, wenn Sie Allotria treiben. _Abendrot_ Isch scho guet, Herr Bürgermeischter ... _Karinkel_ Keine Widerrede! Diese Biederkeit, diese ewige Treuherzigkeit! wie sie mir auf die Nerven geht! Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, und der Mensch schlägt Fliegen tot. (Es klopft.) Herein! _Mettenschleicher_ (tritt ein; ein großer, würdevoll aussehender, schwarzbärtiger, seriöser Mann, ebenfalls im Frack) Guten Morgen. _Karinkel_ Guten Morgen, lieber Professor. Wie geht’s? wie steht’s? Gut geschlafen? gut geträumt? Hat unser bescheidenes Hotel Ihren Ansprüchen genügt? Oder haben Sie irgend welche Rekriminationen? Ich lege großen Wert darauf, daß es Ihnen bei uns gefällt. _Mettenschleicher_ Danke, ich bin zufrieden. In so einem Städtchen wird mir immer behaglich zumut. _Karinkel_ Na, na, Professor ... Städtchen ... _Mettenschleicher_ Nun ja, es ist doch eine sehr kleine Stadt ... _Karinkel_ Eine sehr kleine Stadt? – Eine kleine Stadt, das eher. Aber es ist gut, daß Sie sich wohl fühlen. Man hat nicht oft die Freude, einen so berühmten Meister bewirten zu dürfen. Noch dazu bei so feierlichem Anlaß ... _Mettenschleicher_ (steif) Zu viel Ehre. _Karinkel_ Sagen Sie mal, verehrter Professor, um unser gestriges Gespräch fortzusetzen ... (Zögert, da er sich der Gegenwart Abendrots erinnert.) Gehen Sie hinüber in den Schwan, Abendrot, und bestellen Sie mir ein Gabelfrühstück. Fragen Sie, – aber fragen Sie Herrn Gumpelmaier selber – was man haben kann. Etwas Warmes natürlich. Am liebsten etwas vom Kalb. _Abendrot_ Oder vielleicht Schweinsrippche? _Karinkel_ (tiefsinnig) Schweinsrippchen ... nicht übel. Schweinsrippchen oder Kalbsherz. Auch saure Nieren wäre eine Idee. Beraten Sie sich nur mit Herrn Gumpelmaier, der kennt meinen Geschmack. Der Kellner soll laufen, damit die Sache unterwegs nicht kalt wird. Dann gehn Sie in die Redaktion des Tagesboten und fragen Sie Herrn Bienemann, ob er meine Rede schon fertig hat. Er soll sich sputen, um zwölf Uhr kommt der Prinz, da muß alles auf dem #qui vive# sein. _Abendrot_ Isch guet, Herr Bürgermeischter. (Ab.) _Karinkel_ (seufzend) Du lieber Gott, bis man so der schwerfälligen Welt Beine macht, Professor –! (Knipst, eilig zur Tür, ruft.) Hallo! – Abendrot! – Abgebratene Kartoffel soll er mitschicken! Wie? Sie Esel! Der Schwanenwirt natürlich. (Kehrt zurück, abermals seufzend.) Ein Mann, der nur für sich selber verantwortlich ist, ist ein glücklicher Mann. _Mettenschleicher_ Wir dienen alle dem öffentlichen Wohl, Verehrtester. Jeder auf seine Weise. _Karinkel_ Aber nicht auf jeden sind beständig die Augen des Publikums gerichtet, teurer Freund. So wie auf Sie und auf mich. Wenn ich noch einmal auf die Welt käme, – wissen Sie, wonach es mich gelüsten würde? (Ausdrucksvoll.) Es würde mich darnach gelüsten, das Leben eines einsamen, unverheirateten Privatgelehrten zu führen. Was brauchte ich da Belobungen? Anerkennung von unten oder von oben? – Da hätte man sein Genügen in sich selber, da hätte man keinen Orden nötig. In meiner Position freilich muß ich dergleichen haben, um meinen Mitbürgern den Beweis zu liefern, daß ich ihres Vertrauens würdig bin. _Mettenschleicher_ Zweifellos. Sie sind ja auf dem besten Weg – _Karinkel_ (erregt) Es besteht also Aussicht –? _Mettenschleicher_ Gewiß. Man muß es nur delikat behandeln ... _Karinkel_ Wissen Sie, was ich mir überlegt habe, Professor? Ich könnte ja, falls man mir den Michaelsorden verweigert, auch mit dem Friedrichsorden vorlieb nehmen. _Mettenschleicher_ (vornehm belustigt von solcher Unwissenheit) Der Friedrichsorden steht keineswegs niedriger im Rang als der Michaelsorden, mein lieber Bürgermeister. Der eine wie der andere wird nur dann verliehen, wenn sich der Betreffende in hervorragender Weise verdient gemacht hat. _Karinkel_ (in wachsender Erregung) Seit zwanzig Jahren mache ich mich verdient, Professor. Ich tue ja überhaupt nichts anderes. Ich habe eine elektrische Beleuchtung, eine Wasserleitung, ein Findelhaus, einen Veteranenverein geschaffen; ich habe die Fortschritte der Sozialdemokratie nach Kräften aufgehalten, ich habe niemals und nach keiner Seite hin Anstoß erregt, weder bei der Geistlichkeit, noch bei der Regierung, – aber man kann sich doch nicht ausbieten! – Man hat doch seinen Stolz! Man wirkt in der Stille – und hofft, daß es bemerkt wird. _Mettenschleicher_ Alterieren Sie sich nicht, lieber Freund. _Karinkel_ Ich würde mich nicht beklagen, wenn es mir an loyaler Gesinnung gefehlt hätte. Denn ich begreife, daß die höchsten Kulturtaten nicht ins Gewicht fallen, wenn die loyale Gesinnung mangelt – _Mettenschleicher_ Freilich. Die loyale Gesinnung, die wird vorausgesetzt. Wohin kämen wir denn sonst! _Karinkel_ Das sagt sich leicht –: vorausgesetzt. Aber bis man sie erwirbt, bis man sie sozusagen einkeltert, damit sie süß und schmackhaft bleibt in all den Jahren, das ist nicht so einfach. Und nun habe ich noch dieses Denkmal gebaut – _Mettenschleicher_ Eben. Das war dringend nötig. Es gibt kaum mehr eine deutsche Stadt, die nicht ihre marmorne Attraktion hätte, wenn ich mich so ausdrücken darf. Man ist höhern Orts sehr geneigt, solche Bestrebungen, soweit sie sich auf die Kunst beziehen, zu unterstützen. Sie sänftigen die Sitten, sie lenken die Instinkte des Volkes nach ungefährlichen Regionen. _Karinkel_ Ehrlich gesagt, es ist ein Sorgenkind, dieses Denkmal – _Mettenschleicher_ Warum denn? Lassen Sie sich nur nicht irre machen ... _Karinkel_ Sie haben mich ja so weit gebracht, Professor ... Ihrer Energie haben wir es ja zu danken, daß ... _Mettenschleicher_ Nun ja, ich fand es dringend geboten, daß auch Sie in diesem stillen Winkel Ihr Scherflein beitragen zur Vermehrung der nationalen Ideale. _Karinkel_ Das klingt sehr hübsch – _Mettenschleicher_ Erlauben Sie, das sind tiefste Lebensüberzeugungen! _Karinkel_ Allerdings – _Mettenschleicher_ Heraus mit der Farbe! Weshalb sind Sie so kleinlaut, heute, an Ihrem großen Tag? _Karinkel_ Es wird von gegnerischer Seite behauptet, – haben Sie nicht den Ochsenfurter Anzeiger gelesen? Da steht es drin – _Mettenschleicher_ Ich lese solche Käsblätter nicht. Was steht drin? _Karinkel_ Daß wir dem Hockenjos das Denkmal nur aus Wichtigtuerei errichtet haben ... _Mettenschleicher_ Das ist der Neid. _Karinkel_ Und daß es eine Blamage sei. _Mettenschleicher_ Die Wühler muß man wühlen lassen. _Karinkel_ Und daß der Hockenjos gar nicht in Neuguinea gewesen ist und daß er gar nicht bei der Expedition des Doktor Rittersteig war und daß er infolgedessen auch nicht von den wilden Papuanern erschlagen worden ist. Im Gegenteil, so behaupten diese Schurken, er sei in einer australischen Matrosenkneipe bei einem Raufhandel umgekommen. _Mettenschleicher_ Leeres Geschwätz. _Karinkel_ Na ja, ein Säufer _war_ ja der Kerl. Der Wahrheit die Ehre. _Mettenschleicher_ Es ist vollkommen gleichgültig, was der Hockenjos _war_. Die Hauptsache bleibt, daß er tot ist. – Was sagt denn Bienemann zu diesen Sudeleien? Er hat doch damals die Nachricht von dem Ende des Hockenjos zuerst gebracht ... _Karinkel_ Ach, mit dem Bienemann weiß man nie, wie man dran ist. Ich fürchte, er glaubt gar nicht an das Genie von dem Hockenjos. _Mettenschleicher_ Es ist das Kennzeichen eines guten Journalisten, daß er in einem solchen Fall eine Sache umso überzeugender vertritt. _Karinkel_ Und ich selbst habe auch meine Zweifel ... _Mettenschleicher_ Glauben Sie denn, lieber Freund, daß der Ruhm anders fabriziert wird als auf diese Art? Neun Zehntel unserer Berühmtheiten verdanken ihren Glanz dem Notizenmangel einer Zeitung oder dem Hang nach Redensarten, der in den Leuten von der Feder steckt. Es ist nicht meines Amtes, das wirkliche Verdienst vom erlogenen zu trennen. Ich denke, es liegt eine viel höhere Sendung darin, die häßliche Realität in einen angenehmen Schein zu verwandeln. Je verworfener, unwürdiger und unfähiger dieser Hockenjos in Wirklichkeit war, desto mehr Grund für uns, der Welt ein so trauriges Faktum vorzuenthalten und sein Bild zu veredeln. Wenn man einem Menschen wie Hockenjos ein Denkmal setzt, geschieht es nur, um seine wirkliche Gestalt zu verschleiern. Dadurch eben bereichert man den Bestand an nationalen Idealen. _Karinkel_ Na ja, seine Gestalt mögen Sie am Ende verschleiern, aber die Bilder, die der Kerl gemalt hat, die können Sie nicht verschleiern. Wir haben ja eine Ausstellung veranstaltet, und was ich da von den hiesigen Damen zu hören bekommen habe, – wahrhaftig, der ganze Appetit auf die Kunst ist mir vergangen. Schamlose nackte Weiber hat er gemalt. Die können Sie doch nicht verschleiern. _Mettenschleicher_ Wenn ein Künstler tot ist, verlieren seine Arbeiten den moralischen Charakter, wenn ich mich so ausdrücken darf. Schamlos waren die Weiber eigentlich nicht, nur nackt waren sie. Aber wer wird schließlich darnach fragen, was für Bilder der Hockenjos gemalt hat, wenn er vor seinem Denkmal steht? Keine Katze wird darnach krähen. _Karinkel_ Kein Hahn, meinen Sie ... _Mettenschleicher_ Kein Hahn, natürlich. Sie können sich in diesem Punkt getrost meiner Erfahrung überlassen, lieber Bürgermeister. Der Umstand, daß Hockenjos tot ist, verschafft ihm einen unbeschränkten Kredit an guter Meinung. Ich kannte eine ganze Reihe von Idioten, die bloß dem Zufall, daß sie gestorben waren, Bewunderer und Anhänger zu verdanken hatten. Dem Publikum sind nämlich die Künstler so ungeheuer gleichgültig, daß man ihm, wenn einer stirbt, weismachen kann, was man will. _Karinkel_ Ich verstehe nicht viel von der Kunst, aber das eine muß man doch von ihr fordern: daß sie den Menschen bessert und erhebt. _Mettenschleicher_ Das ist richtig, hat aber mit unserer Angelegenheit momentan nichts zu schaffen. Sie müssen stark sein, lieber Freund. Sie dürfen sich in Ihrer Überzeugung nicht erschüttern lassen. _Karinkel_ In welcher Überzeugung meinen Sie? _Mettenschleicher_ In _Ihrer_ Überzeugung. Ein Mann hat doch nur eine. _Karinkel_ (etwas stupid) So. – Im allgemeinen bin ich ja stark. Aber einen Menschen muß man doch haben, dem man sein Herz eröffnen kann. (Es klopft.) Herein! _Bienemann_ (kommt; schmaler gelbgesichtiger Mann von etwa dreißig Jahren. Tartarenbart, Zwicker. Er hat das Phlegma intelligenter Leute, die viele überflüssige und langweilige Dinge reden müssen. Hinter diesem Phlegma verbergen sich Neugier, Bosheit, Resignation und Menschenverachtung). _Karinkel_ Guten Morgen, Bienemann! Sind Sie schon fertig? _Bienemann_ Guten Tag, meine Herren. – Ja, ich wollte noch einige Punkte mit Ihnen besprechen ... _Karinkel_ Darf ich die Herren miteinander bekannt machen, Redakteur Bienemann, Professor Mettenschleicher von der königlichen Akademie der bildenden Künste. _Bienemann_ Freut mich, freut mich. _Mettenschleicher_ Ich bin Ihnen für den schmeichelhaften Artikel im Tagesboten sehr zu Danke verpflichtet, Herr Doktor. _Bienemann_ Noch nicht, Herr Professor, noch nicht. _Mettenschleicher_ (verdutzt) Was –? was, – noch nicht? _Karinkel_ (ebenso) Ja ... was – noch nicht? _Bienemann_ Noch nicht Doktor, meine ich. Die #Honoris causa# ist noch nicht gegeben. Bienemann, ganz schmucklos Bienemann. Karinkel und Mettenschleicher (sehen einander an). _Karinkel_ (mit dem Daumen über die Schulter weisend) Stolz? wie? Demokrat! Ganz schmucklos Bienemann! (Lacht.) Ausgezeichnet! _Mettenschleicher_ (geniert) Na, na! (Klopft Karinkel mit fürstlicher Leutseligkeit auf die Schulter.) (Klapperlärm. Ein Kellner kommt mit einer Platte, auf der das Frühstück in zwei Tellern dampft. Ein Amtsdiener eilt geschäftig voraus und säubert den Tisch. Beide entfernen sich wieder. Karinkel setzt sich mit strahlendem Gesicht, bindet die Serviette um den Hals und vergißt alle Sorgen.) _Bienemann_ Mein Artikel hat Ihnen also gefallen, Herr Professor? _Karinkel_ (kauend; taktlos) Na, hören Sie, Bienemann, wenn mir so viele Elogen gemacht würden, wäre ich auch nicht unzufrieden. Es war famos. Und sehr aktuell. _Bienemann_ Das schon; einige giftgeschwollene Schlangen können sich nämlich nicht darüber beruhigen, daß das Denkmal so rasch fertiggestellt worden ist. Vor sechs Wochen hatten wir die Todesnachricht in der Zeitung, und heute thront bereits der Marmor da draußen. Es ist ja wirklich die reine Hexerei. _Karinkel_ (kauend) Was geht die Leute das an? – Diese geschmorten Stückchen da sind köstlich. Wollen Sie nicht zugreifen, Professor? Nein? Schade. _Bienemann_ (tut verlegen) Freilich, das sag ich auch. Aber ein Mensch wie ich besteht aus lauter Ohren. Und so hör ich denn unter anderm das blödsinnige Gerücht, daß das Denkmal schon vorher fertig gewesen ist. _Karinkel_ Wieso? Vor dem Tod des Hockenjos? Mit solchen Dummheiten sollten Sie uns nicht kommen, Bienemann. Ich verstehe ja nichts von der Bildhauerei, aber unser verehrter Meister hier konnte doch nicht die Unsterblichkeit des Hockenjos voraussehen. _Bienemann_ Das sag ich auch; es sei denn, man macht Denkmäler auf Lager. Was meinen Sie, Herr Professor? _Mettenschleicher_ (windet sich) Ich will nicht hinterm Berg halten ... es hat mit dieser Sache eine eigene Bewandtnis. Ich hatte doch, wie Ihnen vielleicht erinnerlich ist, den Auftrag, ein Monument für den verstorbenen Sanitätsrat Ulfinger zu schaffen – _Bienemann_ (roh) Der die Schweinereien gemacht hat ... _Mettenschleicher_ Schweinereien ist eine etwas starke Bezeichnung. Er war ein bedeutender Gelehrter, lebte aber leider Gottes über seine Verhältnisse, und ein halbes Jahr nach seinem Tod kamen die gefälschten Wechsel zum Vorschein. Es geschah alles, um den Skandal zu vermeiden, schließlich drang die Geschichte doch an die Öffentlichkeit, und das Denkmal konnte nicht aufgestellt werden. Meine ganze Arbeit war umsonst, der Marmor lag da – _Bienemann_ Außerordentlich interessant! _Mettenschleicher_ Und da traf ich gerade unsern Freund Karinkel, der den noch unbestimmten Plan hegte, etwas zur Verschönerung des hiesigen Stadtbildes zu tun. _Bienemann_ Aha! und weil der Hockenjos eben das Zeitliche gesegnet hatte – _Mettenschleicher_ Ja, so kamen wir überein – _Karinkel_ (dankbar) Sie waren es, teurer Meister, der mir die Idee gab! _Bienemann_ Wirklich, eine Fügung des Himmels, dieses Zusammentreffen der Umstände! Da hat also der gute Hockenjos quasi ein von Herrschaften abgelegtes Denkmal bekommen. _Karinkel_ (zornig) Witzeln Sie nicht, Bienemann. _Bienemann_ Aber Sie mußten doch Ihrem marmornen Sanitätsrat einen andern Kopf aufsetzen –? _Mettenschleicher_ War merkwürdigerweise überflüssig. Die beiden Leute hatten eine gewisse Ähnlichkeit. Beide groß, ziemlich fett, langbärtig ... Außerdem, ein Denkmal ist doch ein Symbol. _Bienemann_ Toll! einfach toll! Man lernt nie aus. _Mettenschleicher_ Ich rechne selbstverständlich auf Ihre Diskretion. Außer Ihnen beiden weiß nur noch mein erlauchter Freund, der Prinz Albert, davon, ohne dessen Rat und Zustimmung ich etwas Derartiges überhaupt nicht unternehmen würde. _Bienemann_ Das ist derselbe, der heute zur Enthüllung kommt? _Mettenschleicher_ Derselbe. Er liebt die schönen Künste. Sie können sicher sein, daß er auch auf Sie ein Auge haben wird. _Bienemann_ (verbeugt sich) Oh! Danke sehr. – Müssen Sie nicht auf den Bahnhof, Herr Bürgermeister? _Mettenschleicher_ Seine königliche Hoheit trifft ja erst um zwölf Uhr ein. _Karinkel_ Ja, aber um viertelzwölf kommt der Regierungspräsident. Weiß der Stadtrat Hannewickel, daß er sich mit den Ehrenjungfrauen aufzustellen hat? _Bienemann_ Die Ehrenjungfrauen und der Veteranenverein sind schon in vollem Wichs. _Mettenschleicher_ Noch einen Vorschlag, meine Herren. Wie wäre es, wenn man heute noch ein Extrablatt drucken ließe, durch dessen Inhalt das Volk einige Aufklärung über die künstlerischen Verdienste des Malers Hockenjos erhielte? _Karinkel_ Nicht schlecht ... _Mettenschleicher_ Es ist in dieser Beziehung vieles versäumt worden – _Karinkel_ Und man könnte die Verleumder damit zum Schweigen bringen. Nicht schlecht. Was meinen Sie, Bienemann? _Bienemann_ Ein ziemlich teurer Spaß. Es fragt sich, ob die Interessen, die dabei im Spiele sind, eine solche Ausgabe fordern. _Karinkel_ Es sind _ideale_ Interessen, mein Lieber. Dafür ist nichts zu teuer. _Bienemann_ Ideale Interessen? Entschuldigen Sie, meine Herren, aber an ideale Interessen glaub ich nicht. Sie auch nicht. Das Publikum auch nicht. Das ist eben das Heikle mit den idealen Interessen, daß niemand daran glaubt, weil zu viele ihren Vorteil daraus ziehen. _Karinkel_ Pfui, Bienemann! Beständig gießen Sie Ihr nüchternes Öl in die Wogen unserer Begeisterung. _Bienemann_ Das ist mein Beruf. _Mettenschleicher_ Ein trauriger Beruf. _Bienemann_ Sie dürften damit den Nagel auf meinen Kopf getroffen haben, Herr Bürgermeister. Wer mit Papier gefüttert wird, dem wachsen keine Blumen auf der Zunge. _Karinkel_ Wenn Ihnen an meinem ferneren Vertrauen gelegen ist, so unterstützen Sie uns jetzt mit allen Ihren Kräften, Bienemann. _Bienemann_ Ich soll also gewissermaßen die öffentliche Meinung beruhigen ... _Mettenschleicher_ Ja ... wenn Sie es so betrachten ... obwohl, – öffentliche Meinung gibt es nicht. _Karinkel_ (bürstet seine Kleider) Die öffentliche Meinung sind wir. _Mettenschleicher_ Öffentliche Meinung ist die Konspiration der Dummköpfe. _Bienemann_ Die Herren sind entschlossen, wie ich sehe. Allen Respekt. Nun, was an mir liegt, soll geschehen. Die Druckerpresse hat schon ganz andere Dinge gerechtfertigt als Denkmäler. Die Ingredienzen, aus denen man den Brei der Zeitungsunsterblichkeit kocht, sind billig zu haben. Die Hauptsache ist der Superlativ. Das ist das Universalrezept. Der Superlativ ist für den Leser, was neunzigprozentiger Fusel für einen Gewohnheitstrinker ist. Leider nützen sich die Superlative jetzt so stark ab, daß eine neue Steigerung, ein Über-Superlativ eine wahre Wohltat für die Menschheit wäre. _Karinkel_ Das ist mir zu hoch, davon versteh ich nichts. _Bienemann_ Na, schön. Ich will Ihnen einen Hockenjos hinstellen, der sich gewaschen hat. Ich werde Ihnen mit einer Verklärung aufwarten, daß der Mann in seinem Grab noch Lust zu einer Himmelfahrt bekommt. Ich tue einfach, als ob Tizian ein Zimmermaler und Feuerbach der kleine Moritz gegen ihn wäre. _Mettenschleicher_ Ich hoffe, daß diese Übertreibungen nur Ausflüsse einer momentanen Laune sind. _Bienemann_ Nein, Herr Professor. Sie kennen den Abonnenten nicht. Wenn man dem Abonnenten einen neuen Mann glaubhaft machen will, muß man erst einen alten in Stücke reißen. Der Abonnent ist grausam, er will Blut sehen. _Karinkel_ Ich denke, wir überlassen Bienemann da am besten seinem Genius. _Bienemann_ Keinesfalls werde ich etwas davon wissen, daß der arme Hockenjos in unserer Mitte beinahe verhungert ist. Daß er mit Hohn abgefertigt wurde, als er sich vor vier Jahren um das Staatsstipendium bewarb. Apropos, waren Sie es nicht selbst, Herr Professor, der diese Sache damals hintertrieb –? _Mettenschleicher_ (ärgerlich) Mein Gott ja, ... ich kann nicht leugnen ... der Mann war mir _persönlich_ unsympathisch. _Karinkel_ (ebenso) Wozu kramen Sie denn die alten Sachen aus? _Bienemann_ Ich werde auch davon schweigen, daß das Publikum vor seinen Bildern Lachkrämpfe bekam und der Magistrat ihm das Atelier auf der Schanze kündigen ließ, aus Gründen, die der Anstand zu erwähnen verbietet. _Karinkel_ (wie oben) Das war wegen der Modelle. Aber die Kunst, lieber Bienemann, wie soll ich sagen, die Kunst braucht eben keine Moral. _Mettenschleicher_ Na! na! Da muß ich bitten – _Karinkel_ Das heißt, ich meine: die Moral braucht keine Kunst. _Bienemann_ Um seine Auswanderung plausibel zu machen, werde ich sagen, daß ihn malerische Probleme in die Tropen zogen. _Karinkel_ Sehr gut. _Bienemann_ Und während er das Gefieder der Paradiesvögel studierte, um bisher unerhörte Farbenmischungen für seine Palette zu gewinnen, haben ihn die Eingeborenen erschlagen und verspeist. _Karinkel_ (der sich die Zähne stochert, erschrocken) Verspeist –? _Bienemann_ Höchstwahrscheinlich. _Karinkel_ Wissen Sie was? Setzen Sie sich gleich hier an meinen Schreibtisch und fangen Sie an. (Das Telephon klingelt, er eilt hin.) Hier Karinkel! Ja? Ja. Bitte. – In der Redaktion will man Sie sprechen, Bienemann. (Während Bienemann zum Apparat geht.) Für uns ist es jetzt Zeit, lieber Professor. _Mettenschleicher_ Also gehen wir. _Bienemann_ (am Telephon) Hier Bienemann. (Pause.) _Karinkel_ (setzt sich den Zylinder auf) Ich bin neugierig, ob der Präsident eine Rede halten wird. _Mettenschleicher_ Er kann Seiner königlichen Hoheit nicht vorgreifen. _Bienemann_ (am Telephon) Unsinn! – Wie? Gesehen worden? Wo? In Aßmannshausen? Da lebt ja die Frau jetzt? So. Einen Liebhaber. So. Natürlich. Durchgeprügelt? Nein! Nicht möglich! Da hat man Ihnen einen Bären aufgebunden. Einen Bä–ren! Das wäre ja unerhört. _Karinkel_ Was ist denn los? _Bienemann_ (am Telephon) Ich gebe nichts auf solche Gerüchte. Schicken Sie einen verläßlichen Menschen hin. Schluß! (Läutet ab.) Recht heiter. Der Hockenjos soll in Aßmannshausen gesehen worden sein. _Karinkel_ (wie erstarrt) Um Gottes willen, Mensch, was reden Sie da! _Mettenschleicher_ Das fehlte nur noch! _Bienemann_ Er soll seine Gattin mit einem Viehhändler erwischt und den Galan windelweich geschlagen haben. _Karinkel_ Aber lieber Bienemann, – das ist ja um den Verstand zu verlieren ... _Bienemann_ Ich halte das Ganze für einen blinden Alarm. _Karinkel_ Sie nehmen mir einen Stein vom Herzen. _Bienemann_ Man will uns ins Bockshorn jagen. _Mettenschleicher_ Eine Frivolität sondergleichen. _Bienemann_ Kümmern wir uns nicht darum. _Karinkel_ Wenn aber doch was Wahres dran ist ... _Bienemann_ Bah! meine Informationen waren immer verläßlich. Wenn der Tagesbote jemand als tot meldet, dann ist er tot. _Karinkel_ Es ist höchste Zeit. Wir müssen zur Bahn. Machen Sie sich nur gleich an die Arbeit, Bienemann. Lassen Sie uns nicht im Stich. _Bienemann_ Auf Wiedersehen, meine Herren. _Karinkel und Mettenschleicher_ (ab). _Bienemann_ (setzt sich vor den Schreibtisch, zündet eine Zigarre an; behaglich) Was der Sybarit für einen weichen Lehnsessel hat! Wenn ich nicht Bienemann wäre, möchte ich Karinkel sein. (Legt das Papier zurecht.) Los also! Her mit euch, ihr bebänderten Adjektiva und geschniegelten Substantiva! ihr großmäulichen Interjektionen und schmetternden Exklamationen! ihr Metaphern, Hyperbeln und Epitheta! Ich rühr euch zusammen wie Mandeln und Rosinen in einem Kuchenteig, von dem die ganze Welt Verdauungsbeschwerden kriegt. _Abendrot_ (tritt mit verstörtem Gesichtsausdruck unter die Türe; winkt) Herr Bienemann! – Herr Bienemann! _Bienemann_ Was gibt’s? Ich habe keine Zeit. _Abendrot_ (flüsternd) ’s isch was Schreckliches passiert, Herr Bienemann ... _Karinkel_ (kommt im Sturmschritt zurück, den Zylinder schief auf dem Kopf) Bienemann, wir sind verloren! _Mettenschleicher_ (seine Würde mühsam bewahrend, ist Karinkel gefolgt) Eine Katastrophe! _Karinkel_ (mehr heulend als redend) Der Abendrot hat ihn zuerst gesehen. In der Bahnhofsstraße hat er ihn gesehen. Mitten unter den Leuten. _Bienemann_ Und hat ihn jemand erkannt? _Abendrot_ Noi, noi ... _Bienemann_ War er allein? _Abendrot_ Ganz alleine. _Mettenschleicher_ Was für Maßregeln gedenken Sie zu treffen? _Karinkel_ Er muß auf der Stelle fort. _Bienemann_ Ist bis jetzt etwas unternommen worden? _Karinkel_ Kommissär Binder ist mit zwei Wachleuten ausgerückt. Hoffentlich gelingt es, den Kerl festzuhalten. _Mettenschleicher_ Es ist eine entsetzliche Blamage. _Karinkel_ Ich lasse ihn einsperren. _Bienemann_ Überlegen wir die Sache gut, meine Herren, sonst kann’s uns an den Kragen gehn. _Karinkel_ (wild) Lassen Sie mich in Frieden mit Ihrem Kragen, Sie, Sie ... Unerschütterlicher! _Mettenschleicher_ Es gibt nicht viel zu überlegen, hier heißt es handeln. _Bienemann_ Also handeln wir. _Karinkel_ Tun Sie mir nur den Gefallen, lieber Professor, und empfangen Sie den Präsidenten. Der Zug muß ja jeden Moment eintreffen. Irgend ein Würdenträger muß ihn doch begrüßen. (Das Telephon klingelt.) Großer Gott, was ist denn das schon wieder? (Bienemann eilt zum Telephon.) _Mettenschleicher_ Gut ich gehe. (Ab. Ein Polizist tritt unter die offene Tür.) _Bienemann_ (am Telephon) Ja? – Ja! Eine Stunde früher? Danke. Schluß. (Läutet ab.) Der Hoftrain mit dem Prinzen trifft also um eine Stunde früher ein. _Karinkel_ (der mit dem Polizisten gesprochen hat) Also der Kommissär Binder hat den Hockenjos verhaftet und ihn gleich in einen Wagen setzen lassen. Er ist jetzt in der Wachtstube. _Bienemann_ Dort kann er nicht bleiben. _Karinkel_ Wie sagten Sie? Der Hofzug kommt um eine Stunde früher? Dann ist ja kein Augenblick mehr zu verlieren. Es ist elf Uhr. Mir ist ganz wirblig im Kopf. Wenn ich nur wüßte, wer an alledem schuld ist! (Ausbrechend.) Sie sind schuld, Bienemann! Sie haben seinerzeit die schwindelhafte Todesnachricht in die Zeitung gebracht. _Bienemann_ Ich weise Ihre Anschuldigungen zurück. Meine Pflicht ist zu schweigen und zu schreiben, aber nicht den Sündenbock zu machen. _Karinkel_ Sie sind ein ganz gefährliches Subjekt. _Bienemann_ (verdrossen) Ich bin kein Subjekt, ich bin ein Prinzip. _Karinkel_ Großer Gott, warum hast du mir das angetan! Bienemann, liebster Herzensbienemann, laufen Sie schleunigst auf die Wache. Sehen Sie zu, daß keine Dummheit begangen wird. Keine Menschenseele darf dem Hockenjos nahe kommen. Niemand darf mit ihm sprechen. Nehmen Sie noch ein paar Polizeileute zu Hilfe. Nötigenfalls lassen Sie ihn binden – _Bienemann_ In Ketten legen – _Karinkel_ Was Sie wollen ... (Man vernimmt Glockenläuten.) Um Himmels willen, mir scheint, der Hofzug fährt schon ein. Ich komme zu spät. (Ab.) _Bienemann_ Es ist am besten, wir lassen den Delinquenten hierher transportieren. Hier ist er am sichersten. _Abendrot_ Da hawe Se recht, Herr Bienemann. _Bienemann_ Rennen Sie hin und sagen Sie es dem Binder. _Abendrot_ (zur Tür, lauscht, kehrt um) Er bringt ihn schon von selber, der Kommissar ... _Bienemann_ Na, der Mann denkt wenigstens. Denkende Menschen ersparen einem immer Laufereien. (Hockenjos und Kommissar Binder kommen.) _Binder_ So, Meister Hockenjos. Jetzt habe ich Ihren Wunsch, Sie aufs Bürgermeisteramt zu führen, erfüllt, nun müssen Sie sich aber auch ganz ruhig verhalten. _Hockenjos_ (großer, breitschultriger Mann. Haar und Bart sind stark ergraut. Er spricht schwer, aber nachdrücklich, in tiefem, meist humoristisch sordiniertem Baß; trägt vernachlässigte Kleider, einen breitrandigen Filzhut) Der Teufel soll Sie holen, Mann! Können Sie auf eine anständige Art erklären, weshalb Sie mich wie einen Sträfling behandeln, he? _Abendrot_ P–scht! p–scht! _Binder_ Sie müssen sich den behördlichen Anordnungen fügen. _Hockenjos_ Ich füge mich, weil es mir paßt. So steht die Sache. In die Suppe werd’ ich euch schon spucken, darauf könnt ihr euch verlassen. Aber anders als ihr denkt. Wo ist denn der Oberkoch? Ah, Herr Bienemann! Freut mich, Sie zu sehen, Herr Redakteur. Sind Sie jetzt avanciert, weil Sie in der Bürgermeisterkanzlei sitzen? _Bienemann_ (schmunzelnd, süßlich) Sprechen wir nicht von mir, Meister Hockenjos. Die interessante Person sind Sie. Wie kommen Sie denn her? von wo? Sie erscheinen ja wie ... wie ... _Hockenjos_ Wie das Gespenst am Hochzeitstag, jawohl. Aber ich fühle mich gar nicht gespensterhaft. Zunächst will ich mich mal – unaufgefordert, Sie verzeihen schon – hier niederlassen. So. Hier sitze ich, ich kann nicht anders. _Bienemann_ Bitte sehr. Ruhen Sie sich nur aus. (Zu Abendrot, leise.) Suchen Sie den Bürgermeister auf und sagen Sie ihm, daß ich ihn hier in Gewahrsam halte. Aber Vorsicht! – (Zu Binder.) Sie brauchen nicht hier zu bleiben. Es genügt, wenn Sie im Korridor einen Polizeidiener als Wache aufstellen. Es soll niemand hereingelassen werden. (Während Binder und Abendrot abgehen.) Wie ich aus Ihrem Verhalten schließen darf, ist Ihnen also die ganze Komplikation schon bekannt, Meister? _Hockenjos_ Komplikation nennen Sie diese Schurkerei? Auch recht. _Bienemann_ Nun, man meint es gut mit Ihnen. Man sorgt für Ihren Nachruhm. _Hockenjos_ Hanswurste seid ihr. _Bienemann_ Unterschreib ich unbesehen. _Hockenjos_ Aber mit meinem Leichnam werdet ihr nicht so kurzen Prozeß haben wie mit meinem lebendigen Korpus. _Bienemann_ Ich fürchte. Ich fürchte. Sie waren also in Aßmannshausen bei Ihrer Frau? _Hockenjos_ Reden Sie meinetwegen von meinem Nachruhm, Herr, obwohl das ein Gemüse ist, das keinem mehr schmeckt, wenn man’s ihm auftischt, aber von meinem Weib reden Sie nicht. Die Fäuste tun mir noch weh, und das ist alles, was ich an Erinnerung behalten will. Ich sage Ihnen, ein Vieh ist der Mensch. Allerwegen treibt’s ihn zum Stall zurück. Und wenn draußen die beste Weide ist, er denkt bloß an den Stall. Das schönste Futter läßt er liegen, das ihm der Herrgott spendet, und rennt zur Krippe, wo der Bauer spart und mit der Peitsche knallt. _Bienemann_ (echt) Ja, zum Henker, warum sind Sie denn nicht dort geblieben in den wilden Gegenden, wenn es Ihnen schon nicht gefallen hat, das Zeitliche zu segnen? Es wäre besser für Sie und für uns. Jetzt haben wir bloß die Scherereien. _Hockenjos_ Glauben Sie, ich hätte den Ehrgeiz, Ihnen Scherereien zu ersparen? Im Gegenteil. Sie werden Ihre blauen Wunder erleben. _Bienemann_ (resigniert) Na, wohl bekomm’s. _Hockenjos_ Wie flink ihr seid, einen Toten leben zu lassen, während ihr dem lebendigen Menschen die Haut abzieht! _Bienemann_ Mein Gott, die Zivilisation bringt eben manchen Übelstand mit sich. Sind Sie denn nun eigentlich dort unten gewesen bei den wilden Völkern? _Hockenjos_ Und ob, mein lieber Herr, und ob! War dabei, wie sechzig wackere Burschen aufgerieben worden sind von den braunen Satansbrüdern, und wäre nicht ein malaiisches Mädchen gewesen, das mich auf Gebirgswegen zur Küste führte, dann könnt ich heute eure Kirchweih dahier nicht stören. _Bienemann_ Sie betrachten unsere Angelegenheit etwas zu vergnügt, scheint mir. Da haben Sie wohl große Strapazen erlitten? Aussehen tun Sie ja wie der leibhafte Odysseus. _Hockenjos_ Was wollen Strapazen schließlich bedeuten? Ist eine Herrlichkeit, wenn einem die Sonne immerfort bis in den Magen leuchtet. Dort ist der Mann ein Mann. Von Polizei nirgends die Spur. Und Blumen! und Vögel! und Bäume! Da weiß man erst, was Gott der Herr erschaffen, und warum er am siebenten Tag ausgeschnauft hat. Hier guckt einer dem andern auf die Finger, und schockweis fressen sie aus demselben Tiegel. Und ein Eifer, und ein Fleiß, und eine Wichtigkeit, aber ist’s denn irgend jemandem Ernst? Tinte schwatzen sie. _Bienemann_ Ganz meine Meinung. _Hockenjos_ Sie sind auch so ein Kalfakter. _Bienemann_ Verurteilen Sie mich nicht. Ich diene dem Gemeinwohl. _Hockenjos_ Gemeinwohl ... ein richtiges Tintenwort. _Bienemann_ Durchaus nicht. _Hockenjos_ Möchten Sie mir nicht erklären, was Sie unter Gemeinwohl verstehen? _Bienemann_ (trocken) Gemeinwohl ist das, was viele tun müssen, um einen einzelnen zu fördern. _Hockenjos_ Der Tausend! Mensch, Sie sind ja ein Zyniker! _Bienemann_ Gott sei Dank, das bin ich. Diese Eigenschaft hab ich mir im Umgang mit Leuten erworben, die sich dadurch von mir unterscheiden, daß sie den Begriff Gemeinwohl anders definieren. (Stimmenlärm von der Straße.) _Hockenjos_ Jetzt geht’s los da drunten. _Bienemann_ Ja. Ich bin nur neugierig, was wir mit Ihnen da oben anfangen werden. _Hockenjos_ Ich auch. _Bienemann_ Sie haben also keine bestimmte Vorstellung über Ihre zukünftige Rolle bei dieser immerhin ungewöhnlichen Verwicklung? _Hockenjos_ Ich? Nein. Ich habe nur nicht die Absicht, mir meinen Platz in der Welt so ohne weiters wegstibitzen zu lassen. Wenn’s auch nur ein ganz lumpiger Platz war, so ein Fünfzigpfennigplatz, auf dem Olymp ... _Bienemann_ Das kann ich Ihnen nachfühlen. Als deklarierter Toter lebt sich’s nicht sehr bequem. _Hockenjos_ Und noch dazu auf solche Manier deklariert ... (Erregt sich.) Wenn ihr wenigstens das Denkmal von einem anständigen Kerl hättet machen lassen. Aber von diesem Zuckerbäcker, dem Mettenschleicher! diesem Pfründner, der von der Kunst ungefähr so viel versteht wie ich vom Koloratursingen, diesem Eunuchen, der mit seiner Nase immer an den unanständigsten Gegenden prinzlicher Personen schnuppert, – daß ihr mich von dem habt verewigen lassen, das wurmt mich. _Bienemann_ Wir haben halt Pech mit Ihnen. Jetzt ist es zu spät. _Hockenjos_ Mir wird schon übel, wenn ich das Zeugs da unter den Hüllen sehe. Wahrscheinlich so ein Marzipan-Engel, was? _Bienemann_ Natürlich, was glauben Sie denn! Wir werden uns doch die Muse nicht entgehen lassen, die den Künstler auf die Stirne küßt! _Hockenjos_ Und mit zwei Flügeln, was? _Bienemann_ Zwei Flügel. Ganz richtig. Wie sich’s gehört. _Hockenjos_ O, du Schuft! _Bienemann_ Achtung, jetzt hör ich den Bürgermeister kommen. _Karinkel_ (stürzt in höchster Eile herein) Das ist er also! (Starrt Hockenjos an.) _Hockenjos_ (ironisch) So echauffiert, Herr Bürgermeister? _Karinkel_ Sie spotten wohl? Mir ist gar nicht spötterisch zumut. _Hockenjos_ (brüsk) Was steht dem Herrn zu Diensten? _Karinkel_ (wischt den Schweiß von der Stirn) Es wird Ihnen doch bekannt sein, daß wir eben im Begriff sind, die Enthüllung Ihres Denkmals zu feiern. _Hockenjos_ Jawohl. Ist mir zu Ohren gekommen. Das ist auch der Grund, weshalb ich da bin. _Karinkel_ (einschmeichelnd) Sie werden doch einsehn, lieber Meister, daß Sie unmöglich in der Stadt bleiben können. _Hockenjos_ Sehe ich ohne weiters ein. _Karinkel_ (hocherfreut) Das lob ich mir. Sie sind ein prächtiger Mensch. _Hockenjos_ Gewiß. Man muß bei mir nur den Herzpunkt treffen. _Karinkel_ Es wäre ja auch ein Mord, lieber Freund, ein moralischer Mord. _Hockenjos_ Ei wieso denn? _Karinkel_ Sehr einfach. Jeder, der über diesen Platz an diesem Denkmal vorübergehen wird, eifert Ihnen nach, schaut zu Ihnen hinauf, bringt ebenfalls Großes hervor und nützt so wieder seinen Mitbürgern und der Stadt. _Hockenjos_ Das leuchtet mir beinahe ein. _Bienemann_ Es ist so klar wie zweimalzwei. _Karinkel_ (immer eifriger) Sie sind heute ... wie alt sind Sie? _Hockenjos_ Vierundfünfzig. _Karinkel_ Vierundfünfzig. Wie alt wird der Mensch? Siebzig. Sagen wir fünfundsiebzig. _Hockenjos_ Gut. Sagen wir fünfundsiebzig. _Karinkel_ Wegen dieser erbärmlichen zwanzig Jahre wollen Sie Ihre Unsterblichkeit aufs Spiel setzen? _Hockenjos_ Hm ... Finden Sie nicht, daß ein Sperling in der Hand besser ist – _Karinkel_ Nein, nein, nein, vom idealen Standpunkt nein. _Bienemann_ Durchaus nicht. _Hockenjos_ Was habe ich also nach Ihrer Ansicht zu tun? _Karinkel_ Sie müssen fort. _Hockenjos_ Es haben mich aber doch einige Leute gesehen ... _Karinkel_ Das macht nichts; wir geben Sie für Ihren Doppelgänger aus. Wir bringen in der Zeitung eine kleine scherzhafte Notiz. Nicht wahr, Bienemann? Wir nennen ihn Mister Koch aus Pennsylvanien. Hahaha! _Bienemann_ Das geht, das geht. »Ein heiteres Spiel des Zufalls fügte es« – und so weiter. _Karinkel_ Sie müssen Deutschland verlassen. _Hockenjos_ Mit Vergnügen. _Karinkel_ Sie müssen Europa den Rücken kehren. _Hockenjos_ Mehr kann ich aber unmmöglich für Sie tun. _Karinkel_ (glücklich) Sie sind ein Engel von einem Mann. Mit Ihnen kann man ja ausgezeichnet reden. Da sieht man erst, wie schlecht man im Leben einander kennen lernt. _Hockenjos_ Langsam, langsam, bester Herr – _Karinkel_ Sie fahren also nach Amerika. Sie benutzen den Schnellzug, der um drei Uhr hier hält. Die Reisekosten – _Hockenjos_ Langsam. Jetzt komme ich. _Karinkel_ Die Reisekosten zahlen wir selbstverständlich – _Hockenjos_ So billig denken Sie mich loszuwerden? _Karinkel_ Na ja, man kann noch ein Übriges tun ... _Bienemann_ (aus dem Hinterhalt hetzend) Ein kleines Douceur ... _Hockenjos_ Ihre Propositionen haben Sie gemacht. Jetzt will ich die meinen machen. _Karinkel_ (ängstlich) So ... Sprechen Sie nur frei von der Leber weg. _Hockenjos_ Wie viel hat Sie der Marmorhaufen da draußen gekostet? _Karinkel_ Viel Geld; schändlich viel! _Hockenjos_ Na ... dreißigtausend –? _Karinkel_ Mehr! _Hockenjos_ Also. Ich verlange nur so viel. _Karinkel_ (wie mit der Nadel gestochen) Was? Sie sind toll! _Hockenjos_ Kommt denn das gegen die Unsterblichkeit in Betracht, verehrter Bürgermeister? _Karinkel_ Mensch, es handelt sich ja um _Ihre_ Unsterblichkeit! _Hockenjos_ Mit der _Sie_ ein Geschäft machen wollen. So viel wie Sie für mein Denkmal ausgegeben haben, lieber Herr, habe ich mein ganzes Leben lang mit meiner Hände Arbeit nicht verdient. Ich verkaufe Ihnen meinen Leichnam für weniger Geld als Sie für seine Glorifikation ausgegeben haben. Ist das nicht kulant? Sie haben ja eine Ausstellung meiner Bilder veranstaltet. Sie haben ja allen möglichen blumeranten Quatsch darüber schreiben lassen. Die Bilder gehören Ihnen. Bezahlen Sie sie mir, so daß ich endlich einmal leben kann, denn hierzulande hab ich bis jetzt kein Leben geführt. _Karinkel_ (jammernd) Aber, Mann! was kümmern mich Ihre Bilder! _Hockenjos_ Endlich ein Wort aus dem Herzen. Also kurz und bündig, Herr: ist Ihnen meine Willfährigkeit so viel wert oder nicht? Den Hanswurst spiel ich nimmer länger. _Karinkel_ (verzweifelt) Wo soll ich so eine Menge Geld hernehmen? Bienemann helfen Sie mir doch! Überreden Sie ihn doch – _Hockenjos_ (greift nach seinem Hut) Genug geredet. Ich werde jetzt eine kleine Unterhaltung mit meinem – Doppelgänger führen. _Karinkel_ Halt! halt! Ich will ja ... genügt eine Sicherstellung des Kapitals? _Hockenjos_ Die genügt. (Sehr ernst.) Wenn ich nur was Sicheres habe. Was Sicheres brauch ich jetzt. Brot! Und Frieden. _Karinkel_ (das Folgende sehr rasch) Man muß eine Anleihe aufnehmen. _Bienemann_ Gibt es keine geheimen Fonds? _Karinkel_ Wenn wir nur ein paar reiche Juden hätten ... (Beißt sich in die Finger.) _Bienemann_ Zu überlegen ist keine Zeit. _Karinkel_ Ich habe eine Idee. Ich beantrage im Gemeinderat den Bau eines Hockenjos-Museums, und das Geld verwend’ ich einstweilen, um den Mann zu befriedigen. _Bienemann_ Vortrefflich. Rechnen Sie auf mich. _Hockenjos_ (am Fenster, mit Blick gegen das Denkmal) Da faseln sie von Kunst. Von Kunst faseln sie, die Hunde. Ruhm! Ha. Mich verlangt nach keinem Ruhm. Selbst wenn’s ernst damit wäre. Alle Vorbehalte gehn dabei flöten. Ich will meine Vorbehalte haben. Will nicht von jedem Narren angesturt werden. Da ist man ja wie das Tor von einem Pfandhaus. Ich pfeif auf die Kunst. Sie ist viel zu groß für den schwachen Schädel. Kannst du den Großen groß sein? Die wandeln im Elysium, während du im Dreck kutschierst. Nützlich muß man sein. Und kaltblütig. Adieu, Städtchen! Dieses Amerika ist ja bloß ein paar Stunden weit von hier. Am Samstag, eh ich sterbe, komm ich mal übern Sonntag herüber. _Karinkel_ (hat die Tür geöffnet, Abendrot hereingewinkt und mit ihm lebhaft geflüstert. Abendrot nickt mehrmals und geht wieder hinaus, Karinkel zu Hockenjos) Vom Fenster weg, um aller Heiligen willen! _Hockenjos_ (gemächlich) Aber lieber Herr, wer denkt denn da drunten an mich! _Karinkel_ Also, es wird alles geordnet. Nur noch eine Bedingung habe ich zu stellen. _Hockenjos_ Die wäre –? _Karinkel_ Sie müssen sich den Bart abrasieren lassen. _Hockenjos_ Wenn es sein muß – (Abendrot kommt mit einer Seifenschüssel, Pinsel und Rasiermesser.) _Karinkel_ Es muß sein. Ich habe schon mit Abendrot gesprochen. Er versteht sich auf die Hantierung. Wir dürfen keinen Fremden mehr ins Vertrauen ziehn. _Kommissär Binder_ (kommt) Herr Bürgermeister, es ist die höchste Zeit. Der Herr Professor Mettenschleicher führt soeben Seine königliche Hoheit zum Festplatz. _Karinkel_ Ich komme. _Bienemann_ (am Fenster) Das Volk ist schon versammelt. _Karinkel_ Geben Sie mir das Konzept meiner Rede, Bienemann. _Bienemann_ Jaso, die Festrede. Hier. (Reicht ihm das Manuskript.) _Karinkel_ Wie seh ich aus? _Bienemann_ Tadellos. _Karinkel_ Ist es wahr, Binder? Keine Flecken? _Binder_ Da am Knie ist ein Spritzer ... (Bückt sich, reibt.) _Bienemann_ Von der Bratensauce. _Karinkel_ Schnell, schnell. Kommen Sie, Binder. Und Sie Bienemann, bleiben hier und passen gut auf. (Ab mit Binder.) _Abendrot_ Wolle Se gefälligst Platz nehme, Herr? _Hockenjos_ (setzt sich; zu Bienemann) Sie sind also der Verfasser der Festrede? _Bienemann_ Jawohl. Ich bin des Bürgermeisters Tintenfaß. Er verschwendet geradezu meinen Geist. Eines Tages werde ich wegen Gehirnschwund der Armenkasse zur Last fallen. Vielleicht bekomm ich dann auch einen Denkstein. Die Inschrift wird lauten: Dem treuen Hohlkopf Bienemann sein väterlicher Blutegel Karinkel. _Hockenjos_ Der Mann ist sehr strebsam. _Bienemann_ Strebsam, ja; das ist er. Für mich ist er vorbildlich. Geradezu ein Gattungsbegriff. Er war ein einfacher Schneider. _Hockenjos_ (bereits mit abgeschnittenem Bart) Davon hat er was beibehalten. _Bienemann_ Die ganze Stadt könnte man Karinkelei nennen. Der Schneider siegt auf der ganzen Linie. _Hockenjos_ Sie sind bitter. _Bienemann_ Bitter und (mit Blick auf Abendrot) unvorsichtig. (Musiktusch von draußen.) Aha, der Prinz! _Hockenjos_ Na, Abendrot, was denken denn Sie bei dem Rummel? _Abendrot_ (einseifend) Ich hab mer nie Gedanke gemacht über meine vorgesetzte Behörde. _Stadtrat Hannewickel_ (tritt ein; ein schlottriger, schwerhöriger Greis) Entschuldige die Herre, ich möcht mir die Festlichkeit von owe ansehe. (Stutzt.) No, no, was isch denn das? _Bienemann_ (ihm ins Ohr schreiend) Ein berühmter Zeitungsberichterstatter aus Amerika, Herr Stadtrat. Hat Eile, will dem Prinzen vorgestellt werden. Muß sich hier rasieren lassen. Mister Koch – Herr Stadtrat Hannewickel. _Hannewickel_ Merkwürdig, merkwürdig ... _Hockenjos_ #How do you do,# Sir? _Bienemann_ (ihm ins Ohr) Er erkundigt sich nach Ihrem Befinden. _Hannewickel_ Dank schön. Dank schön. (Geht ans Fenster, öffnet es.) _Stimme Karinkels_ Zum ersten Mal tritt die hohe Aufgabe an uns heran, dem Namen eines Mitbürgers zu huldigen, eines Mannes, der in unserem engsten Kreis gestrebt und geschaffen hat, eines großen, gottbegnadeten Künstlers. _Abendrot_ Sie müsse den Kopf e bissele rechts halte ... _Stimme Karinkels_ Wir sehen noch im Geist seine herrliche Gestalt durch unsere Gassen schreiten, wir können sein feuriges Auge nicht vergessen, wir spüren noch mit Ehrfurcht den Hauch seiner Gegenwart, die uns erhoben und über den Alltag entrückt hat ... _Hockenjos_ Daß dich der Satan beiße ... _Abendrot_ Nu müsse Se ’n Kopf e bissele links halte ... _Hannewickel_ (zu Bienemann) Wie heischt jetz der Künschtler, dem Se’s Denkmal g’setzt hawe? _Bienemann_ (schreit ihm ins Ohr) Hockenjos! _Hannewickel_ Richtig. Ich hab halt gar koi Gedächtnis mehr. Drei Sachen kann i mir überhaupt nimmer merke. Erschtens Zahlen. Zweitens Namen. Drittens ... Herrjeses, ’s dritte haw’ i vergessen. _Karinkels Stimme_ Der Ruhm seines lichtstrahlenden Pinsels wird durch die Zeiten schimmern und unsern Söhnen ein Vorbild sein – – – – (Der Vorhang fällt.) [Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buch wurde auf Grundlage der Erstausgabe erstellt. Die nachfolgende Tabelle enthält eine Auflistung aller gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen. S. 021: sind die Geschehnisse wie Träume .. -> ... S. 021: Erzähle, Fedor Alexandrowitsch .. mir -> ... S. 050: die um Iwan wissen .. -> ... S. 062: Gleich darauf -> (Gleich darauf) S. 076: Die schönste die vornehmste -> schönste, die vornehmste S. 098: Händen anf dem Rücken -> auf S. 099: konnt’ es doch nicht durft’ es doch nicht kommen -> nicht, durft’ S. 173: geht nruhig auf und ab. -> unruhig S. 174: Pünklichkeit -> Pünktlichkeit S. 193: Herrlicheit -> Herrlichkeit S. 277: Begriff Geweinwohl -> Gemeinwohl Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Textauszeichnungen wurden folgendermaßen ersezt: Sperrung: _gesperrter Text_ Antiquaschrift: #Antiquatext# ] [Transcriber’s Note: This ebook has been prepared from scans of a first edition copy. The table below lists all corrections applied to the original text. p. 021: sind die Geschehnisse wie Träume .. -> ... p. 021: Erzähle, Fedor Alexandrowitsch .. mir -> ... p. 050: die um Iwan wissen .. -> ... p. 062: Gleich darauf -> (Gleich darauf) p. 076: Die schönste die vornehmste -> schönste, die vornehmste p. 098: Händen anf dem Rücken -> auf p. 099: konnt’ es doch nicht durft’ es doch nicht kommen -> nicht, durft’ p. 173: geht nruhig auf und ab. -> unruhig p. 174: Pünklichkeit -> Pünktlichkeit p. 193: Herrlicheit -> Herrlichkeit p. 277: Begriff Geweinwohl -> Gemeinwohl The original book is printed in Fraktur font. Marked-up text has been replaced by: Spaced-out: _spaced out text_ Antiqua: #text in Antiqua font# ] End of Project Gutenberg's Die ungleichen Schalen, by Jakob Wassermann *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE UNGLEICHEN SCHALEN *** ***** This file should be named 19940-0.txt or 19940-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/1/9/9/4/19940/ Produced by Markus Brenner, Marina Lukas and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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