The Project Gutenberg EBook of Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten.
Band 2, by Johann Konrad Friederich

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Title: Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 2
       Hinterlassene Papiere eines französisch-deutschen Offiziers

Author: Johann Konrad Friederich

Editor: Ulrich Rauscher

Release Date: November 23, 2019 [EBook #60768]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Vierzig Jahre
aus dem
Leben eines Toten

Zweiter Band

Sechste Auflage

Vierzig Jahre
aus dem
Leben eines Toten

Hinterlassene Papiere
eines französisch-preußischen Offiziers

In drei Bänden

Zweiter Band

Egon Fleischel & Co.
Berlin
1916

Inhalt
des zweiten Bandes.

  Seite
I.
Zweiter Aufenthalt zu Neapel. – Ende der Frankfurter freireichsstädtischen Herrlichkeit. – Ich werde von der Terzana befallen. – Das Einstürzen der Häuser in Neapel. – Madame Gasqui. – Ein Vexiermarsch nach Capua. – Großes Avancement im Regiment. – Die Vicaria und ihre Höllenkerker. – Marietta und Teresina. – Neapolitanisches Volksleben unter freiem Himmel. – Hazardspiele und Liebhabertheater. – Die hübsche Apothekersfrau. – Das Aqua Tofana 1-35
II.
Abmarsch nach Civita-Vecchia. – Die Pontinischen Sümpfe. – Civita-Vecchia. – Ich werde Platzkommandant zu Albano. – Meine Ausflüge nach Rom. – Bankier Torlonia. – Prinzessin Cesarini. – Angelika Kaufmann. – Rom. – Die schönen Römerinnen und die deutsche Männertreue. – Ein Rendezvous in der Kirche San Sebastian vor den Mauern 35-49
III.
Die Katakomben. – San Sebastian fuori le mura. – Das Abenteuer in den Katakomben. – Die Karnevalsfreuden. – Noch ein Mordanfall. – Die junge Witwe. – Antiquar Vasi und seine Tochter. – Canova. – Beendigung des Karnevals. – Die Entführung einer Nonne. – Der Kardinal-Bischof und der Impressario. – Ich werde zum dritten Bataillon versetzt. – Herzbrechender Abschied und Abreise von Rom 49-100
IV.
Reise über Florenz nach Genua. – Ankunft zu Florenz. – Eine Überraschung. – Ein Abenteuer. – Die Kathedrale San Maria del Fiore. – Die mysteriösen Schönen. – Lady Mary. – Das Arnotal. – Die schönen Strohflechterinnen. – Abreise nach Genua 101-120
V.
Zweiter Aufenthalt in Genua. – Alte und neue Bekanntschaften. – Signora Palatini. – Ein sentimentales Rendezvous. – Die Brigantenjagd in den italienischen Alpen. – Bocchetta. – Ich nehme fast eine ganze Bande gefangen. – Rückkehr nach Genua. – Das Konservatorium Fieschino. – Albertine. – Ich entdecke eine furchtbare Verschwörung. – Ich avanciere zum Kapitän und werde wieder zum ersten Bataillon versetzt. – Abreise nach Civita-Vecchia 120-153
VI.
Reise über Mailand nach Rom. – Mailand. – Die Einwohner. – Der Advokat Mazetti. – Eine Spielhölle. – Ich rette Graf G... aus den Klauen falscher Spieler. – Bellina. – Abreise von Mailand nach Rom. – Ankunft zu Rom. – Wiedersehen. – Abfahrt nach Neapel 154-165
VII.
Ankunft in Neapel. – Das Liebhabertheater in Giesù nuovo. – Besteigung des Vesuvs. – Der Hof des Königs Joseph. – Eine deutsche Vorstellung. – Helenchen Cramer. – Caserta. – Nocera de pagani. – Die Ruinen von Pestum. – Zweiter Feldzug in Kalabrien. – Niederlage des Prinzen von Hessen-Philippsthal. – Die Brigantenhäupter Francatrippa und Benincasa. – Monteleone. – Ermordung eines Kuriers. – Fondaco del Fico. – Mehrtägiges hartnäckiges Gefecht mit den Briganten. – Die hübsche Kalabreserin. – Mileto. – Belagerung der Festungen Scilla und Reggio. – Schrecklicher Zustand des Belagerungskorps. – Rückmarsch nach Neapel. – Abreise nach Genua 165-202
VIII.
Reise von Neapel nach Genua und von da zur See nach Marseille. – Marsch von Marseille nach Perpignan. – Perpignan. – Eine spekulative Spröde. – Toulouse. – Formierung des zweiten Observationskorps an den Pyrenäen. – Ich werde zum dritten Reservekorps versetzt. – Bayonne. – Bordeaux. – Bazas. – Hasparren. – Napoleons Intrigen gegen Spanien. – Abmarsch nach diesem Land. – St. Jean de Lüz 202-213
IX.
Einmarsch in Spanien. – Die baskischen Provinzen. – Miranda de Ebro. – Der Engpaß Garganta Pancorbo. – Briviesca. – Burgos. – Quintana de la Puente. – Valladolid. – Ein Autodafé. – Eine schöne Andalusierin. – Ungewißheit und Gerüchte über Napoleons Absichten hinsichtlich Spaniens. – Marsch nach Segovia. – Biwak bei Segovia. – San Lorenzo. – El Pardo. – Glänzender Einmarsch in Madrid 213-234
X.
Ferdinand VII. Einzug in Madrid. – Der Friedensfürst. – Der Aufstand zu Aranjuez und Madrid. – Karl IV. Abdankung. – Napoleon zu Madrid erwartet. – Ferdinand vom Volk angebetet und von Savary nach Bayonne gelockt. – Karl IV. protestiert gegen seine Abdankung. – Donna Calvanillas und Rosa Maria. – Theater. – Cortesanos, Majos und Muchachas. – Sitten der Einwohner. – Der Fandango vor Gericht. – Wohnungen. – Der Adel. – Autodafés. – Die Erstürmung von Amors Schloß 234-257
XI.
Drohende Stimmung der Einwohner zu Madrid. – Aufstand zu Toledo. – Der blutige Aufstand am 2. Mai zu Madrid. – Wegnahme des Artillerieparks. – Ich rette einem Insurgenten das Leben und werde dabei verwundet. – Ein Renkontre mit Murat. – Eine gefährliche Zusammenkunft. – Abmarsch nach Toledo. – Abmarsch über Madrid nach Aragonien. – Unterwürfigkeit der Madrider Behörden und des Inquisitionsgerichts gegen die Franzosen. – Fast ganz Spanien im Aufstand. – Die Junta zu Sevilla und die Provinzialjuntas erklären Frankreich den Krieg. – Wir stoßen zu dem Belagerungsheer vor Saragossa 258-277
XII.
Erste Belagerung von Saragossa. – Palafox. – Außerordentliche Verteidigungsanstalten der Aragonier. – Vorgänge bis zur Belagerung. – Überblick der Geschichte Saragossas. – Heldenmütige Verteidigung dieser Stadt durch ihre Einwohner. – Eine Heroine. – Ein seltsames Stiergefecht. – Furchtbarer Straßen- und Häuserkampf. – Die gefangenen Nonnen. – Aufhebung der Belagerung. – Marsch nach Barcelona. – Ich werde stark verwundet und krank. – Aufenthalt zu Barcelona. – Spanische Sitten, Tänze, Theater usw. – Abreise zur See nach Frankreich 278-310
XIII.
Ankunft zu Montpellier. – Ich werde zum 29. Regiment versetzt. – Murat, König von Neapel. – Ermordung einer Kompagnie Voltigeurs. – Der neue König macht sich beim Volk beliebt. – Einnahme der Insel Capri. – Ich werde dekoriert. – Helenes Hochzeitsfeier. – Castellamare. – Dritter Feldzug in Kalabrien. – Rückkehr nach Neapel, wo ich das Ehrenkreuz erhalte. – Ich werde nach Nola detachiert und daselbst beinahe erschossen. – Neue Bekanntschaften. – Eine durch eine beabsichtigte Leichenberaubung entdeckte Verschwörung. – Murats Politik und Reformen. – Abmarsch nach dem Kirchenstaat 310-340
XIV.
Besitznahme des Kirchenstaates. – Ende der weltlichen Herrschaft des Papstes. – Die Kommandantur zu Velettri. – Der Bischof und der Fournisseur. – Gewaltsame Entführung Pius VII. – Ich gehe als Kurier nach Wien. – Ich übergebe Napoleon meine Depeschen. – Kurze Unterredung mit demselben. – Schönbrunn. – Parade daselbst. – Wien. – Volksstimmung daselbst. – Das Napoleonsfest in Österreichs Hauptstadt gefeiert. – Quartierfreuden. – Liebenswürdige Wirtinnen. – Rückreise nach Italien. – Klagenfurt. – Udine. – Treviso. – Mestre. – Ankunft zu Venedig 340-369
XV.
Venedig. – Sankt Markus-Kirche und Turm. – Der Dogenpalast. – Die Pozzi und Piombi. – Die Rialtobrücke. – Das Arsenal. – Die Vermählungszeremonie mit dem Adriatischen Meer. – Venedigs Flor und Verfall. – Der St. Markusplatz. – Die Venezianerinnen. – General Menou. – Dessen religiöse Ansichten. – Ein Mordanfall. – Abreise von Venedig. – Padua. – Ferrara. – Ravenna. – Der Domgeist daselbst. – Eine schöne Reisegefährtin. – Velettri. – Jagd in den Pontinischen Sümpfen. – Abreise nach Paris 369-415
XVI.
Paris im Jahre 1810. – Das Palais Royal. – Unvermutetes Zusammentreffen mit dem Fürsten Y... – Der Konkordienplatz. – Notre Dame. – Das Hotel de Dieu. – Der Justizpalast. – Meinungen über Napoleons Ehescheidung. – Unerwartete Begegnung einer früheren Bekannten. – Eine Interimsehe. – Die Spielhöllen im Palais Royal. – Eine Wache wirft einen jungen Menschen in die Seine. – Der Pariser Karneval. – Die Ochsenprozession. – Stimmung des französischen Volkes bei der Nachricht von der bevorstehenden Vermählung Napoleons mit Marie Louise. – Ein verfänglicher Calembourg aux français. – Das Totenmahl beim Fürsten Y... 416-449

I.
Zweiter Aufenthalt zu Neapel. – Ende der Frankfurter freireichsstädtischen Herrlichkeit. – Ich werde von der Terzana befallen. – Das Einstürzen der Häuser in Neapel. – Madame Gasqui. – Ein Vexiermarsch nach Capua. – Großes Avancement im Regiment. – Die Vicaria und ihre Höllenkerker. – Marietta und Teresina. – Neapolitanisches Volksleben unter freiem Himmel. – Hazardspiele und Liebhabertheater. – Die hübsche Apothekersfrau. – Das Aqua Tofana.

Den Tag nach unserer Ankunft suchte ich Vetter Moritz auf, der mehrere Briefe von meinen Eltern und Verwandten an mich hatte, die schon längere Zeit angekommen waren, welche er mir aber nicht hatte nachschicken können, da man nie genau wußte, in welcher Gegend Kalabriens wir uns befanden. In einem derselben schrieb mir mein Vater aus Frankfurt:

‚Mit unserer republikanischen und freireichsstädtischen Herrlichkeit hat es ein trauriges Ende genommen, Napoleon hat ein Großherzogtum Frankfurt geschaffen, von dem unsere Stadt die Hauptstadt ward, und Karl von Dalberg ist unter der Benennung: Fürst Primas, unser Großherzog. Das Schlimmste bei der Sache ist, daß alle bedeutenden Ämter und Stellen jetzt von Ausländern besetzt werden und man die Frankfurter, namentlich auch die Senatoren, ihre Familien und Verwandten, fast unberücksichtigt hintenansetzt und so weiter.‘

Was mein guter Vater als das Schlimmste bezeichnete, war eigentlich das Beste an der Sache und gereichte Frankfurt zum Vorteil; denn bisher hatte man, wie später wieder, alle Stellen durchaus nur nach Gunst und Protektion an Söhne und Verwandte der einflußreichsten Familien vergeben, ohne nur im geringsten darnach zu fragen, ob das Subjekt einige Fähigkeiten zur Verrichtung der ihm obliegenden Funktionen besitze; so konnte zum Beispiel ein Talent, ein Genie wie Klinger, nicht eine Torschreiberstelle erhalten, sondern wurde schnöde an allen Senatorstüren mit Impertinenzen und Grobheiten abgewiesen. Er hatte freilich nicht einmal die Protektion einer Senators- oder Bürgermeisters-Köchin oder Base (oft die beste). Daß er den wohlfürsichtigen, hochgelehrten und so weiter Herren in seinem Faust und später als kaiserlich russischer Generalleutnant ein wenig arg mitgespielt, kann ihm niemand verargen. Die Wohlregierenden und Konsorten wurden da oft nach mehrstündigem Antichambrieren abgewiesen und wieder beschieden und mußten vor dem in der demütigsten Stellung supplizieren, den sie unter ihrer Würde gefunden hatten, nur anzuhören! – Hier herrschte von jeher und herrscht noch die vortreffliche Ämterverteilung, die Schiller so meisterhaft in seinem Fiesko schildert, wo Wölfe die Justiz, Füchse die Finanzen, Esel die Polizeigerichte und so weiter verwalten, in Summa, wo die wichtigsten Ämter durch Dummköpfe, Ignoranten oder Schurken bekleidet werden, wenn diese nur Ratsverwandte sind.

Außer den Briefen empfing ich auch etwas Geld von meinen guten Eltern, das mir jetzt sehr zu statten kam, denn ich war so wie meine Kameraden fast ganz abgerissen aus Kalabrien zurückgekommen, und das Gouvernement schuldete uns obendrein schon vier Monate Gage. Indessen hatte ich in den nächsten vierundzwanzig Stunden alles überstandene Ungemach und Elend rein vergessen; in den ersten Tagen konnte von Diensttun noch keine Sprache sein, das Bataillon wurde durch dreihundert vom Depot angekommene Rekruten verstärkt, die nun einexerziert werden mußten.

Die noch immer in Giesù nuovo wohnenden Damen besuchte ich in den ersten Tagen nach meiner Zurückkunft. Die liebenswürdige Madame Gasqui klagte über Langeweile und Migräne, ich tröstete sie, ihr versprechend, beides zu vertreiben; aber auch mich befiel kurz darauf eine Unpäßlichkeit, so daß ich mehrere Tage das Bett hüten mußte, die Krankheit löste sich endlich in eine Terzana (dreitägiges Fieber) auf, das ich sehr lange und immer wiederkehrend behielt, was mich aber, außer den wenigen Stunden, die der Anfall dauerte, von nichts abhielt; dies waren die Folgen des allerdings sehr anstrengenden Feldzugs in Kalabrien. Nach vielen vergeblichen Versuchen, mich von dem Fieber zu befreien, und nachdem ich sowohl die mir vom Regimentsarzt, als die von dem berühmten Arzt meines Vetters Moritz verschriebenen Droguen vergeblich verschluckt hatte, gab mir endlich der Kommandant der Fortezza del Carmine ein Mittel an, durch welches ich wenigstens nach jedem Anfall auf vier bis sechs Wochen von dieser Plage befreit wurde. Ich mußte nämlich gleich nachdem der Paroxismus vorüber war, eine halbe Unze zu Pulver gestoßene Chinarinde in gutem Wein nehmen, setzte mich dann zu Pferd und ritt ein paar Stunden so starken Trab, daß ich recht gerüttelt wurde; das Fieber verließ mich dann auf längere Zeit, stellte sich aber immer nach einem, auch zwei Monaten wieder ein, und zwar während fünf Jahren.

Im Kastell Carmine bewohnte ich ein Zimmer, dessen Terrasse die Aussicht auf das Meer und auf einen kleinen Platz vor demselben hatte, hier brachte ich manche Morgenstunde mit dem Lesen der italienischen Dichter zu, besonders war es Ariost’s rasender Roland, der mich, nebst Tasso’s befreitem Jerusalem und Dante’s göttlicher Komödie, am meisten ansprach. Den famösen achtundzwanzigsten Gesang des Orlando furioso lernte ich ganz auswendig. Auch die Gitarre nahm ich wieder zur Hand und studierte neapolitanische Lieder und Weisen, unter denen die sizilianische Romanze: „Un giorno Giove in collera“ eine sehr witzige Kanzonette war, die damals ganz Neapel exaltierte.

Eines Tages, als ich gerade in der Lektüre des Orlando vertieft war, hörte ich plötzlich ein entsetzliches ajuto, ajuto! (zu Hilfe, zu Hilfe!) von Frauenstimmen aus einem der meiner Terrasse gegenüberliegenden Häuser erschallen, und gleich darauf sah ich mehrere Damen händeringend an den Balkonen jenes Hauses erscheinen, die „ajuto per l’amor di dio schrieen. Ich begriff nicht, was den Frauen sei und glaubte zuerst, es befänden sich Mörder in dem Hause, eilte deshalb die Terrasse hinab, stürzte zum Fort hinaus und fand schon eine Menge Menschen, aber in einiger Entfernung vor dem Hause versammelt, in das sich niemand wagen wollte. Auf mein Befragen, was da vorgegangen sei, erfuhr ich, daß das Haus dem Einsturz nahe wäre und in dessen Innern schon mehrere Wände und ein Teil der Treppe wirklich eingestürzt seien. Die Einwohner desselben standen jetzt alle an den Balkonen des zweiten und dritten Stockwerks, um Hilfe rufend. Ich ließ eilig mehrere im Fort befindliche Leitern durch unsere Soldaten herbeiholen, mit deren Hilfe die geängstigten Bewohner sämtlich in die Straße hinabstiegen und gerettet wurden. Die Leute atmeten erst wieder auf, als sie auf ebener Erde waren und konnten mir nicht genug danken, denn ihr Leben hing an einer Nadelspitze. Ich hörte nun, daß in Neapel das Einstürzen der Häuser gar nichts Seltenes sei und weit öfter vorkomme als Feuersbrünste an andern Orten. Die Ursache davon ist, daß die ganz aus Steinen erbauten und sehr hohen Häuser durch die häufigen Erdbeben so sehr erschüttert werden, daß sie sämtlich große Risse und Sprünge haben und mehr oder weniger baufällig sind. Das Zusammenstürzen eines solchen Hauses ist oft so schnell geschehen, daß an Rettung gar nicht zu denken, in wenig Sekunden liegt es als ein Steinhaufen da, unter dem alles, was sich in dem Augenblick darin befand, begraben ist. Ein paar Tage nach diesem Vorfall stürzte auf dem Markt mitten in der Nacht ein solches Haus ein, wobei dreiundzwanzig Menschen das Leben verloren.

Ich bot den armen Leuten fürs erste ein Asyl in unserem Fort an, sie suchten und fanden indessen noch denselben Tag Unterkunft in einem anderen Teil der Stadt.

Meine meisten Mußestunden brachte ich jetzt in Giesù nuovo zu, wo noch immer unsere verheirateten Offiziere und mehrere andere wohnten. Herr von Gasqui war meistens kränklich, und seine junge, lebenslustige Frau ennuyierte sich mitten in der Hauptstadt des neapolitanischen Paradieses. Ich musizierte jetzt recht fleißig mit ihr, diese tödliche Langeweile zu verscheuchen, öfters blieben wir so auf kurze Zeit allein und wechselten dann Küsse, um einige Veränderung in unsere Unterhaltung zu bringen. Ist man einmal so weit mit einer hübschen Frau gekommen, so ist das Übrige eine Kleinigkeit, man nähert sich mit Riesenschritten dem Ziel, und es fehlt dann nur noch die Gelegenheit, um dasselbe zu erreichen. Eine solche herbeizuführen war nun mein Bestreben, und da der gute Gasqui durch seine öftere Entfernung in Dienstangelegenheiten, wo freilich der Zufall wollte, daß ich mich meistens zu solchen Stunden einfand, an denen ich ihn im Dienst beschäftigt wußte, uns oft selbst überließ, indem er mir noch obendrein beim Weggehen empfahl, seine liebe Frau, die sich hier langweile, bestens zu unterhalten, so hätten wir gutes Spiel gehabt, wenn wir in Giesù nuovo nicht so häufig durch die Besuche anderer Offiziersdamen und ihrer Männer gestört worden wären. Besonders war es Madame Grenet, die es verstand, sich immer zu der Zeit einzufinden, wo sie mich anwesend wußte. Eines Vormittags jedoch war diese mit noch einigen anderen Damen und deren Männern von unserem Großmajor Omeara zu einem Frühstück in der Villa Reale eingeladen, dem die gleichfalls gebetene Madame Gasqui unter dem Vorwand von Unpäßlichkeit entsagte; ihr Mann hatte aber die Einladung akzeptiert. – Wir hofften nun endlich ein paar Stunden ganz ungestört unter vier Augen zubringen zu können, aber diese Hoffnung wurde vereitelt, denn kaum hatten wir begonnen, uns im zweiten Zimmer, dem Schlafgemach der liebenswürdigen Louise, die unzweideutigsten Beweise unserer gegenseitigen Zuneigung zu geben, als wir die Türe des ersten Zimmers öffnen hörten. Madame Gasqui sprang, ein großes Tuch überwerfend, aber in einem sehr erhitzten Zustand, schnell hinaus, die Türe hinter sich abschließend, und ließ mich als Arrestanten im hintern Gemach. – Ich erkannte bald die Stimme des Kapitäns Linange, wie man ihn im Regiment nannte, eines Grafen Leiningen, den Fürst Y. erst vor wenig Monaten als Hauptmann angestellt und zum Regiment nachgeschickt hatte. Er war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, der früher, ich weiß nicht mehr in welchen deutschen Diensten gestanden und nun unserem zweiten Bataillon zugeteilt war, das bis jetzt Neapel noch nicht verlassen hatte. – Gleich nach seiner Ankunft schloß er mit Herrn Gasqui eine dicke Freundschaft und machte nebenher seiner jungen Frau den Hof. – Auch er war zu dem Frühstück in der Villa Reale eingeladen, hatte sich aber losgemacht. Madame Gasqui allein in Giesù nuovo vermutend, war er hierher geeilt. Ich mußte nun in meinem Versteck alle Süßigkeiten anhören, die der halbhundertjährige Liebhaber meiner Schönen vorleierte, welche ihn verlegen anhörte, da sie wußte, daß ich kein Wort von dieser Unterhaltung verlieren würde. Es kam zu einer förmlichen Liebeserklärung und sogar zu einem Kniefall, aber meine Louise spielte nicht nur die Unerbittliche und Grausame, sondern schien im Ernste böse und aufgebracht zu sein, und drohte mit ihrem Mann; ob sie ebenso gehandelt haben würde, wenn ich nicht im Schlafzimmer gewesen wäre, oder dann vielleicht den guten Linange derb ausgelacht hätte, muß ich dahingestellt sein lassen; denn wer vermag Weiberherzen zu ergründen? – ebensowenig wie deren oft so bizarren Geschmack; aber jetzt mußte ihr alles daran gelegen sein, den Herrn Grafen baldmöglichst zu entfernen. Wie leicht konnte nicht ihr Mann, Madame Grenet oder sonst jemand noch dazu kommen, und dann steckte ich in einem Cul de sac, aus dem kein anderer Ausweg war, als durch das vordere Zimmer. Es war nicht so leicht, den Herrn von Linange los zu werden, und Louise konnte dies endlich nur dadurch bewirken, daß sie ihm, wenn er gehorsam sei, in weiter Ferne einen Hoffnungsschimmer blicken ließ. Nachdem sie ihm noch eine Romanze vorgesungen, denn er bestand darauf, wenigstens ihre Engelsstimme hören zu wollen – sie war boshaft genug, ihm ein Spottlied auf einen alten Gecken vorzutragen –, entfernte er sich mit einem ehrerbietigen Handkuß, ich wurde endlich aus meinem Gefängnis erlöst; aber auch ich mußte fort, wenn wir nicht zum zweitenmal überrascht werden sollten. Linange war über eine gute Stunde geblieben, und es war hohe Zeit, daß ich ging. Ich verließ die Dame mit einer heißen Umarmung, mir vornehmend, jetzt auf passendere Gelegenheit zu unseren Zusammenkünften zu sinnen. –

Zwei Tage darauf lud ich Herrn und Madame Gasqui zu einem kleinen Souper in die Villa Reale ein[1], und da sich Linange gerade bei ihnen befand, so konnte ich nicht umhin, auch diesen zu invitieren, der die Einladung mit Dank annahm. – Bei diesem Souper ließ ich zum Dessert die köstlichsten Weine, Cyprier und Christuszähren auftragen, und munterte die beiden alten Herrn auf, wacker zuzusprechen, wozu es des Nötigens eben nicht bedurfte. Als man recht im Train und allegro allegrissimo war, machte ich den Vorschlag, das Theater zu besuchen. – Gasqui aber meinte, es gefiele ihm weit besser hier, wenn aber seine Frau Lust habe, so könne sie dies Vergnügen mit mir genießen, er wolle noch eine Weile mit seinem guten Freund Linange recht behaglich der Ruhe pflegen und sich dann direkt nach Giesù nuovo begeben, wohin ich ihm seine Frau nach beendigtem Schauspiel bringen solle. Dies war Wasser auf meine Mühle. Linange machte zwar ein griesgrämiges Gesicht dazu, konnte aber seinem Kameraden nicht gut abschlagen, ihm Gesellschaft zu leisten, und mußte nolens volens bleiben. Auch mochte wohl der gute Wein, dem er eben nicht Feind war, ein Übriges dazu beigetragen haben, genug, er blieb zu meiner großen Freude, und wir machten uns davon. Wir waren so eilig, daß ich sogar vergaß, die Zeche zu bezahlen, und die beiden alten Krieger gewissermaßen im Pfand zurückließ. Vor der Villa angekommen, bemerkte mir Madame Gasqui, daß sie ihre Lorgnette nicht bei sich, und da sie kein sehr gutes Gesicht habe, sie das Vergnügen des Theaters ohne diese nur halb genießen würde.

„Ei, dann wollen wir vorher schnell nach Giesù nuovo, sie zu holen.“

„Wo denken Sie hin, es ist über eine halbe Stunde Wegs.“

„Die wir in einem Kalesso[2] in zehn Minuten zurücklegen.“

Ich nahm nun das erste vor der Villa haltende Fuhrwerk, versprach dessen Führer noch ein Trinkgeld, wenn er uns recht rasch befördern würde, und in acht Minuten stiegen wir vor Giesù nuovo aus, wo ich dem braven Wagenlenker das doppelte der Taxe einhändigte, der uns vergnügt mit einem felicissima notte dankte.

Madame Gasqui eilte in ihr Schlafzimmer, das sie aber hinter sich zuriegelte, mich im vorderen Zimmer stehen lassend, angeblich ihre Lorgnette zu holen. Des Harrens müde, bat ich sie, mich einzulassen, aber siehe da, der Eintritt wurde mir gegen alles Erwarten verweigert, und nur erst nach einigem Hin- und Herkapitulieren an der verschlossenen Türe, wobei ich hatte versprechen müssen, mich recht fein und artig zu benehmen, wurde sie mir geöffnet; was dieses kleine Zwischenspiel zu bedeuten hatte, war mir kein Rätsel, auch stürzte ich, sobald die Türe offen war, der liebenswürdigen Dame in die Arme, erstickte ihren Mund mit Küssen, trug sie auf das schwellende Bett und – eine halbe Stunde darauf half ich der verschämten Frau die Lorgnette suchen, fuhr mit ihr nach dem kleinen Theater San Karlino, wo wir in einer geschlossenen Loge, einem chiaroscuro, denn das Haus war schlecht beleuchtet, das tolle Zeug, das man aufführte, unter Lachen und Schäkern mit ansahen. – Nach Mitternacht verließen wir das Theater, ich brachte meine Dame wieder in einem Kalesso nach Giesù nuovo zurück, wo uns Gasquis Bursche empfing, und mitteilte, daß sein Herr noch nicht zurück sei und er ihn schon seit zwei Stunden, da er ihn um zehn Uhr bestellt habe, erwarte.

„Alle Wetter,“ rief ich aus, „ich habe ja die Zeche in der Restauration nicht bezahlt, am Ende hatten die Herren nicht soviel Geld bei sich und sind dort im Versatz geblieben!“

Madame Gasqui lachte und lispelte: „Wohl möglich, wenigstens hat mein Mann keine zehn Lire bei sich.“

„Und Linanges Kasse ist auch nicht zum besten bestellt,“ versetzte ich, „er verspielt alles. Da muß ich gleich wieder in die Villa Reale zurück.“

Ich wollte mich nun der Madame Gasqui empfehlen, aber diese sagte: „Wollen Sie mich denn nicht mitnehmen? – Ich glaube, es ist besser, wenn wir zusammen hinfahren, ein allenfallsiges kleines Donnerwetter abzuwenden. Sie wissen ja, wie mir der unausstehliche Linange zusetzt, er könnte leicht meinem Mann allerlei Dinge in den Kopf setzen.“

Ich gab ihr recht und dem Burschen ein gutes Trinkgeld, ihm verbietend, seinem Herrn zu sagen, daß wir zuerst hier waren, bevor wir nach der Villa zurückkehrten; von unserer ersten Zusammenkunft aber wußte er nichts, denn man hatte ihn weislich weggeschickt. Als wir in der Villa Reale ankamen, trafen wir die Herren noch beim Zechen und mit glühenden Gesichtern. Gasqui empfing uns freundlich und wohlwollend, Linange aber mit einem mürrischen Gesicht, und sagte mir mit zornigem Blick: „Wenn man die Leute einladet, so sorgt man auch für die Zahlung, wir sitzen vier Stunden hier wie angenagelt, und können nicht vom Fleck, da wir nicht darauf vorbereitet waren, die Zeche bezahlen zu sollen.“

Ich entschuldigte mich tausendmal, indem ich sagte, daß es meine Absicht gewesen, wieder hierher zu kommen; Gasqui fiel mir auch mit einem: „c’est bon, c’est bon“ ins Wort, Linange aber brummte in den Bart; Madame Gasqui fing vom Theater zu erzählen an und konnte ihrem Mann nicht genug versichern, wie viel Vergnügen ihr die Späße des Arlechino und Pulcinello gemacht hätten.

„Das glaub’ der Teufel,“ murmelte Linange auf deutsch, „ich wollt’ dich bespaßen, wenn ich dein Mann wäre.“

„Und wie artig war nicht Kolumbine,“ fiel ich ein, tuend, als hätte ich Linanges Worte nicht gehört, der noch ein Himmelsakrament brummte.

Ich rief nun schnell dem Aufwärter, befahl einen Ananas-Punsch, und dies erheiterte selbst des Herrn Grafen Gesicht wieder, die Unterhaltung wurde fröhlicher, Pulcinello und Arlechino mußten das ihrige redlich beitragen, und erst um zwei Uhr nach Mitternacht dachten wir an das Heimkehren. – Beim Abschied sagte Linange, mit dem Finger drohend, zu mir: „Sie sind mir ein loser Vogel, nehmen Sie sich aber vor der Leimrute in Obacht!“

„Das tue ich auch, Herr Graf.“

Ich hatte der Madame Gasqui versprochen, sie nun, wenn es der Dienst erlaube, jeden Tag zu besuchen, um mit ihr zu musizieren, auch wollten wir noch gemeinschaftlich Gitarre-Unterricht bei einem neapolitanischen Lehrer nehmen, und dies alles war ihr guter Mann nicht nur zufrieden, sondern er war sogar seelenvergnügt darüber. Ich brachte jetzt die meiste Zeit, die ich ermüßigen konnte, in Giesù nuovo zu, führte Madame Gasqui oft allein, bisweilen aber in Begleitung ihres Mannes in das eine oder andere Theater und nach demselben in restaurierende Kaffees, wo wir uns besondere Kabinette geben ließen, in denen wir dann, wenn wir allein waren, dem frivolen Gott Cupido und seiner Frau Mutter Weihrauch streuten.

Eines Abends, als ich wieder von so einer Partie um ein Uhr nach Mitternacht im Kastell del Carmine ankam, fand es sich, daß meine Kompagnie mit noch drei anderen schon seit drei Stunden nach Kapua abmarschiert war. Ich hatte zwar dem Sergeanten von der Wache hinterlassen, daß ich immer in Giesù nuovo zu finden sei, aber da wußte man nicht, wo ich mit Madame Gasqui hingeraten war. Ich trieb schnell einen Fiaker auf, mit dem ich so rasch wie möglich den abmarschierten Truppen nachfuhr, deren Arrieregarde ich in Averso einholte, und mit der ich in Kapua ankam. Dennoch ging es nicht ohne Verweis ab, ich war aber nicht der einzige Offizier, dem es so gegangen war, noch ein halbes Dutzend waren in demselben Fall und kamen meist erst nach mir an. – Müde und erschöpft warf ich mich ganz angekleidet auf das Bett in dem mir angewiesenen Quartier und einem erquickenden aber festen Schlafe in die Arme, aus dem ich erst gegen Abend wieder erwachte. Ich sah eine Zeitlang durch das Fenster die Straße hinab, wobei es mir auffiel, daß ich nicht einen von unseren Soldaten erblickte, die doch sonst in allen Straßen herumschwärmten, sobald sie in einem Orte eingerückt waren. Es ward mir jetzt nicht wohl bei der Sache, ich verließ mein Quartier, und hörte bald, daß die Truppen seit ein paar Stunden schon wieder abmarschiert seien, und zwar nach Neapel zurück. – „Ei, da soll ja eine Bombe dreinschlagen,“ sagte ich zu einem Sergeant-Major, der, so wie noch mehrere Offiziere, die ich auf dem Marktplatz traf, auch den Abmarsch verschlafen hatte, keiner von uns hatte die Rappelle schlagen hören. Wir rotteten uns zusammen und bildeten noch eine Extra-Arrieregarde, die, zum Teil beritten, beinahe zu gleicher Zeit oder doch nur wenige Minuten nach dem Truppenkorps in Neapel eintraf. – Es war ein Marsch für die Affen, wie man zu sagen pflegte, den wir gemacht hatten, denn auf ein leeres Gerücht hin, daß die Galeerensklaven und Gefangenen in Gaëta revoltiert hätten, waren wir zum Marsch dahin beordert worden; aber bald nach unserem Abgang waren Berichte angekommen, welche dartaten, daß an der ganzen Sache nichts, und sie aus der Luft gegriffen war. Glücklicherweise war unser abermaliges Zurückbleiben weder bemerkt noch gemeldet worden, da so viele nachkamen und wir den größten Teil des Weges in der Nacht zurücklegten. Ich war froh, daß alles so gut ablief, denn ich fürchtete Arrest zu erhalten. Damit mir aber künftig nichts Ähnliches mehr passieren möge, befahl ich meinem Burschen, der mit verschlafen hatte, sich künftig, nachdem er mich bedient, immer in der Kaserne oder dem Ort aufzuhalten, wo das Gros des Bataillons einquartiert sei.

Ich lebte nun meinen lustigen Train in Neapel fort und erteilte der Madame Gasqui auch Unterricht im Italienischen, das ich jetzt schon gut sprach und durch das Lehren noch besser lernte; ich hatte in allen Dingen eine gelehrige Schülerin an der hübschen Frau, mit der ich fast jeden Abend ein anderes Theater, bald San Carlo, Fiorentino, Fondo, Nuovo und so weiter besuchte. Trotzdem Madame Grenet und Linange intrigierten, ließ sich ihr Mann doch nicht irre machen und uns alle Freiheit, bisweilen begleitete er uns in die Theater, verließ uns aber immer spätestens zur Hälfte der Vorstellung, denn es lag ihm gewaltig viel daran, vor elf Uhr in seinem Bett zu ruhen. – Nach den ausgestandenen schweren Strapazen führte ich ein Leben in dolce giubilo, aß bisweilen doch selten bei Moritz, den ich fast nur besuchte, wenn totale Ebbe in meinen Beutel eingetreten, was bei meiner Lebensart nicht selten war.

Nachdem unsere Rekruten einexerziert waren, wurde der Dienst wieder beschwerlicher, und namentlich die Wachen, die jetzt häufiger an mich kamen.

Wir mochten ungefähr vier Wochen aus Kalabrien zurück sein, als ein großes Avancement in dem Regiment stattfand, bei dem alle Offiziere, die wir verloren hatten, ersetzt wurden; viele Sergeanten, die tauglichsten Subjekte, wurden zu Unterleutnants befördert, und ich wurde bei dieser Gelegenheit Oberleutnant; ein gutes Avancement bei kaum anderthalb Jahren Dienst und für mein Alter. – Wenn dies so fortgeht, dachte ich, dann kannst du bald den Marschallstab erhalten. – Zu gleicher Zeit verkaufte mir der junge Stock ein sehr schönes Reitpferd um einen Spottpreis, den sein Onkel bestimmt hatte und für meine Rechnung bezahlte, mir dabei bemerkend: daß, da sich in meinem Fort keine Ställe befänden, er ihm einstweilen einen Platz in dem seinigen nebst der Kost geben wolle, die er mir gehörig in Anrechnung bringen würde, wozu ich ihn jedoch nie bewegen konnte.

Jetzt gefiel es mir unendlich besser in Neapel, als das erstemal. Kein Wunder, denn ich amüsierte mich königlich und suchte mich nebenbei auch noch möglichst in der Musik, namentlich im Gesang zu vervollkommnen, in welchem ich bei einem berühmten Kastraten, Matuccio, Unterricht nahm, um mir die italienische Schule völlig anzueignen. Einen Zechino mußte ich diesem Musico, wie man hier die Kastraten nennt, für jede Stunde bezahlen.

Bald darauf hatte ich zum erstenmal die Wache in der Vicaria, dem ehemaligen Kastell Capuano, das jetzt in einen Justizpalast umgewandelt war, in welchem die Tribunale und verschiedene Gerichte ihren Sitz aufgeschlagen hatten, auch die Zahlenlotterie wurde daselbst gezogen, und sie enthielt zugleich die furchtbarsten und scheußlichsten Kerker, in denen vielleicht über tausend Unglückliche, Verbrecher und wohl manche Unschuldige schmachteten. Diesen Wachtposten, der mir sehr unangenehm schien, da man die ganze Nacht hindurch unaufhörlich das Klirren der Eisenstäbe an den Gittern, welche die Aufseher anschlagen, um zu sehen, ob keine durchfeilt sind, und das Ächzen und Stöhnen der Gefangenen hört, hatte ich längere Zeit zu meiden gewußt, mit anderen Kameraden tauschend, was sich aber diesmal nicht hatte tun lassen. Die Vicaria ist eines der schrecklichsten Gefängnisse, die ich in meinem Leben gesehen, und der Palast bietet ein schaudererregendes Bild des menschlichen Elendes und aller Verworfenheit dar, er war der Schlupfwinkel der niedrigsten und teuflischsten Intrigen und Kabalen einer feilen Justiz und ihrer infamen Schleichwege. Schon das Äußere dieses Gebäudes, das auf einem kleinen, freien Platze steht, ist abschreckend genug. Diese ehemalige Residenz der Könige von Neapel, von Wilhelm I. bis Ferdinand I., war mit Mauern und mit von faulem Wasser angefüllten Gräben umgeben; ringsherum waren an den schwarzgrauen Mauern eiserne Käfige angebracht, in denen man die Köpfe hingerichteter Verbrecher aufbewahrte, die halb oder ganz entfleischt noch von Raben und andern Raubvögeln heimgesucht wurden, die daran hackten. Scharf geladene Kanonen mit brennenden Lunten daneben bewachten den Eingang zu dieser Hölle, auf welche Dantes berühmte Inschrift sehr gut gepaßt hätte; denn nur wenigen der Gefangenen, die zu jener Zeit diesen Schauerort betraten, blieb noch der Schimmer einer Hoffnung, ihn wieder lebendig zu verlassen.

In den obern Stöcken desselben befanden sich die Archive und Gerichtssäle, von denen einer, der sogenannte Audienzsaal, so groß ist, daß er an zweitausend Menschen fassen kann. Im Erdgeschoß saßen die weniger gefährlichen und nicht so schwer angeschuldigten Gefangenen, aber tief unter der Erde wurden diejenigen, denen man schwere Verbrechen, Rebellion und Verschwörung gegen die Regierung zur Last legte, oder die mächtige Feinde hatten, in feuchten Kerkern und Höhlen aufbewahrt, in welche nie ein Sonnenstrahl drang; in den untersten derselben, deren Boden ganz schlammartig war, hatten die Unglücklichen Schlangen, Kröten, Skorpione und Unken, die ihr Lager auf längst verfaultem Stroh mit ihnen teilten, zur Gesellschaft, und kein frischer Luftzug erneuerte je die verpestete faule Atmosphäre dieser Behälter.

Sobald die Sonne hinunter war, gingen die Gefängnisaufseher von Gitter zu Gitter, mit Stangen an den Stäben klopfend, um sie zu prüfen; dies Manöver erneuerte sich jede halbe Stunde und währte, bis der Tag wieder zu grauen begann. Eine wahrhaft höllische Nachtmusik. Oft übersteigt die Zahl der hier Eingekerkerten vier- bis fünftausend, und mancher schmachtete, von der ganzen Welt vergessen, schon über ein halbes Jahrhundert hier; andere saßen unter der früheren Regierung zwanzig und dreißig Jahre, ohne daß ihre Sache nur zum Spruch kam, und litten, in verfaulte Lumpen gehüllt, vom Ungeziefer bei lebendigem Leib aufgefressen, mit Geschwüren und Beulen bedeckt, tausendfachen Tod, bis sie der wirkliche endlich erlöste. Gott, wie ist man doch mit der Menschheit schon umgegangen! – Die Bastille in Paris war noch ein Lusthaus gegen diese Vicaria, wo sich auch noch die scheußlichsten Folterkammern mit all ihren Marterwerkzeugen befanden.

Da sich bei jedem Tumult und Aufruhr das Volk immer zuerst der Vicaria zu bemächtigen sucht, so zählte die Wache daselbst über achtzig Mann und wurde jeden Abend noch durch eine zum Patrouillieren bestimmte Abteilung, über hundert Mann, verstärkt. An den Hauptgerichtstagen finden sich hier ganze Heere von Richtern, Anwälten, Prokuratoren, Advokaten, Rechtsverdrehern und Rabulisten ein, ich sah Leiterwagen voll Akten in die Höfe fahren und zählte die an einem Morgen ankommenden, mit Litiganten besetzten Kutschen zu Hunderten. Alle Richter, Advokaten und so weiter waren in lange Mäntel und Perücken gehüllt und ließen ihre Akten in großen Körben die Treppen hinauftragen. An solchen Tagen, oder wenn die Zahlenlotterie gezogen wurde, war das Gedränge so groß, daß die Hälfte der Wache immer unter dem Gewehr stehen mußte. Nimmer hätte ich mir träumen lassen, daß ich an diesem Ort der Greuel noch so manche selige Stunde wonnetrunken zubringen würde.

Bei meiner ersten Wache daselbst vernahm ich ein paar Stunden nach Sonnenuntergang plötzlich aus einem Fenster der mittleren Gebäude, welche meiner Wachtstube gegenüberlagen, den Klang einer Mandoline und Gitarre, und bald darauf hörte ich zwei schöne klangreiche Sopranstimmen neapolitanische und sizilianische Volkslieder mit Begleitung dieser Instrumente singen. Ich horchte hoch auf und war recht verdrießlich, als die liebliche Musik, die gewiß auch manchem der Gefangenen auf einige Augenblicke seine Qualen erleichterte, durch das mißtönende Klirren der Eisenstäbe unterbrochen wurde. Indessen fuhr der Gesang fort, und um ihn besser zu hören, ging ich in den Hof hinab, wo ich hinter einem Balkon die Schatten zweier niedlicher Frauengestalten sah, welche diese sonoren Töne erschallen ließen. Auf meine Erkundigung, wer die Damen seien, welche diesen traurigen Ort durch ihre Musik so erheiterten, erfuhr ich, daß die eine die Tochter, die andere aber die Nichte des Oberverwalters oder Kastellans der Vicaria, und beide ein paar junge, muntere, recht artige Mädchen seien. Begierig, deren Bekanntschaft zu machen, ließ ich meine Gitarre durch meinen Burschen holen und stimmte, nachdem sie aufgehört, einige italienische Kavatinen, namentlich das schelmische „Una povera ragazza“ an. Die Mädchen horchten, wie ich wohl merkte, hoch auf und waren mäuschenstill, auch sangen sie diesen Abend nichts mehr, sondern spielten später, nachdem auch ich wieder still geworden, noch eine Tarantella und verschwanden. Ich aber spazierte noch lange beim Mondschein in dem Hof auf und nieder und ging endlich nach Mitternacht auf mein Wachtzimmer, wo ich mich auf das lederne Ruhebett warf und phantasierend mir die Gesichter und Figuren der beiden Sängerinnen ausmalte, mit Ungeduld den Tag erwartend, der, wie ich hoffte, mich die Mädchen von Angesicht zu Angesicht würde sehen lassen. Endlich brach die ersehnte Dämmerung heran; als der Tag kaum erschienen war, sah ich durch mein Fenster die jenseitige Haustüre öffnen, aus der zwei niedliche Gestalten in schwarzer, neapolitanischer Nationaltracht, mit Gebetbüchern in der Hand, traten, die über den Hof und durch das Tor zur Frühmesse in die nächste Kirche eilten. Dies sind ohne Zweifel meine charmanten Sängerinnen, dachte ich, und hatte recht. Es ärgerte mich nun, nicht im Hof gewesen zu sein, als sie durch denselben schritten; um sie aber bei der Rückkehr nicht zu verfehlen, die unmöglich lange dauern konnte, spazierte ich unter dem Tor auf und nieder, sie erwartend. Es dauerte auch kaum eine halbe Stunde, so kamen sie zurück; ich grüßte sehr freundlich, als sie an mir vorübergingen, und hatte das Vergnügen, meinen Gruß recht artig, wenn auch etwas verschämt und mit niedergeschlagenen Augen, erwidert zu sehen; eine derselben war allerliebst und die andere wenigstens sehr leidlich. Noch denselben Morgen machte ich die Bekanntschaft des Herrn Papas und Oheims, den ich unter dem Vorwand, ihn um etwas in Dienstangelegenheiten fragen zu wollen, zu mir herunterbitten ließ. Der Kastellan war so gefällig, sich einzufinden, und nachdem ich mich über mancherlei, die Sicherheit der Gefängnisse und so weiter betreffend, bei ihm erkundigt, bot ich ihm ein kleines Frühstück an, das er anzunehmen und sich schmecken zu lassen die Güte hatte. Er gab mir manche nicht uninteressante Notizen über die Vicaria und ihre Gefangenen und erzählte mir, daß er bereits seit sechsundzwanzig Jahren den Verwalterdienst hier versehe, ein geborener Palermitaner und Witwer sei, zwei Söhne, die sich in Sizilien bei Verwandten aufhielten, und eine Tochter habe, die mit seiner Nichte, auch einer Palermitanerin, bei ihm wohne. Noch teilte er mir einige gräßliche Geschichten mit, die unter der vorigen Regierung in der Vicaria vorgefallen und so empörend waren, daß sie mir das Blut in Wallung brachten.

Während dieser Unterhaltung schielte ich öfters nach den gegenüberliegenden Fenstern, aber von den Mädchen ließ sich keine blicken, doch glaubte ich zu bemerken, daß sich ein Vorhang manchmal ein wenig lüfte, woraus ich schloß, daß sich meine Schönen hinter demselben befänden, und zwar ganz richtig, wie ich später von ihnen selbst erfuhr. – Nach drei Viertelstunden verließ mich der Alte recht vergnügt, um seinen Amtsgeschäften nachzugehen, und sagte beim Abschied, er hoffe mich recht bald wieder in der Vicaria zu sehen, wo er mir dann noch gar manches Merkwürdige mitteilen wolle. Ich spazierte eine Zeitlang im Hof auf und nieder, aber meine grausamen Schönen ließen sich nicht mehr blicken, und schon hörte ich die Trommel der ankommenden Wache, ein Klang, der mir sonst immer erwünscht war, mich aber diesmal ärgerte. Als jedoch die Schildwache ‚aux armes‘ rief und die neue Wache im Paradeschritt anmarschierte, da zeigten sich auch die beiden Signoras wieder am Balkon, das Schauspiel der Ablösung mit anzusehen, was mich so sehr zerstreute, daß ich statt rechts, links in die Flanken zum Abmarsch kommandierte, doch lachend den Fehler reparierte und im Abmarsch die Damen mit dem Degen salutierte, was beide über und über erröten machte. – Ich nahm mir nun vor, von jetzt an, so oft unser Regiment diesen Posten zu besetzen hatte, mit dem Offizier, der diese Wache bezog, zu tauschen, und ging dies nicht an, die hier wachthabenden Offiziere fleißig zu besuchen.

Den kommenden Morgen fand ich mich in aller Frühe vor der Vicaria ein, aufzupassen, wenn die beiden Mädchen wieder in die Messe gehen würden, um ihnen daselbst das Weihwasser zu präsentieren. Zur nämlichen Stunde wie den Tag vorher traten sie aus dem Tor und gingen nach der Kirche San Pietro ad Arano, in welcher der heilige Petrus die nicht minder heilige Candida getauft haben soll. Ich eilte ihnen zuvor, da ich mich schon den Tag vorher bei dem Herrn Papa erkundigt hatte, in welcher Kirche sie die Messe hörten, placierte mich an den Weihkessel, ihnen das Weihwasser auf meinen Fingerspitzen reichend, das sie auch dankend und wieder errötend von mir annahmen und sich nun überzeugt hielten, daß ich ein gut katholischer Christ sein müsse. – Ich nahm ein paar Schritte von den Mädchen Platz, so daß ich imstande war, sie während der Dauer der Messe mit aller Bequemlichkeit zu beobachten, und bemerkte, daß bald die eine, bald die andere verstohlen nach mir herüberschielte. – Nach gehörig vollbrachter Andacht leistete ich beim Herausgehen den beiden Mädchen denselben Dienst wie beim Eintritt und wurde nicht minder dankbar belohnt, hütete mich aber wohl, sie heim zu geleiten, da eine Neapolitanerin im Nationalkostüm mit einer französischen Uniform gesehen, sich allen möglichen Unannehmlichkeiten aussetzte; den nächsten Tag aber war ich so klug, mich in Zivilkleidern in die Messe zu begeben, unterhielt mich nach beendigtem Gottesdienst recht angenehm mit ihnen, sie jetzt heimbegleitend, und teilte ihnen mit, daß ich in zwei Tagen wieder die Wache an der Vicaria beziehen, so das Vergnügen haben würde, sie daselbst zu sehen und hoffentlich auch singen zu hören. Etwas verlegen fragte mich die Nichte, wie es denn komme, daß ich so schnell wieder an diese Wache käme, worauf ich ihr gestand, daß ich deshalb mit einem Kameraden getauscht habe. – Statt den geraden Weg nach der Vicaria zu gehen, schlugen wir einen ziemlich krummen Umweg nach der Porta Capuana zu ein, und ich begleitete dann die Mädchen bis an das Ende der Straße Carbonara, wo ich mich ihnen in der Hoffnung eines baldigen Wiedersehens bestens empfahl. – Ich hatte von ihnen herausgebracht, daß die hübscheste, die sich Teresina nannte, die Nichte, und die andere, die anmutigste, Marietta, die Tochter des Kastellans war. Den nächsten Morgen verhinderte mich der Dienst, die Messe zu besuchen, und den folgenden hielt ich es nicht der Mühe wert, da ich ein paar Stunden später die Wache an der Vicaria beziehen sollte. Als ich mit derselben anmarschiert kam, fand ich die beiden Mädchen schon auf ihrem Balkon sitzend und grüßte sie wieder mit dem Degen, ohne diesmal einen Fehler im Kommando zu machen. Nachdem sämtliche Posten abgelöst und die alte Wache abmarschiert war, kam der alte Kastellan recht freundlich auf mich zu, freute sich, mich wiederzusehen, da ich der einzige Offizier sei, der von den Franzosen diese Wache beziehe, mit dem man doch ein Wort sprechen könne, indem die anderen keine Silbe Italienisch verstünden, und wurde so gesprächig, daß es mir fast lästig war. Ich leitete die Unterhaltung auf den Gesang und die schönen Stimmen, die ich bei meiner letzten Wache hier gehört.

„Corpo di Bacco,“ fiel er ein, „das waren meine Mädchen! Nicht wahr, Signor Uffiziale, meine Ragazza singt schön; es hat mich aber auch Geld gekostet, denn ich ließ sie bei einer der ersten Choristinnen des Fiorentino lernen.“

Als ich ihm sagte, daß auch ich musikalisch sei und singe, rief er aus: „Ei, das ist ja scharmant, da können Sie mit meinen Mädchen musizieren,“ und bald hatte ich ihn so weit, daß er mich bei den artigen Kindern einführte, die unter der Aufsicht einer ehrbaren Tante standen, welche die Haushaltung besorgte. Ich brachte nun fast den ganzen Nachmittag bei diesen Mädchen zu, meine Wache immer im Auge habend, und spielte und sang bis nach Mitternacht mit ihnen. Marietta, die Tochter, war eine maronenfarbige Brünette, mit schalkhaften Feueraugen, munter und fast wild, Teresina, die Nichte, hatte ganz schwarzes Haar, einen feinen, sehr niedlichen Wuchs und eine äußerst liebliche Gesichtsbildung, war auch weit sanfter. Beide sprachen mich fast gleich an, und ich wußte anfänglich nicht, welcher ich den Vorzug geben sollte, bald entschied ich mich jedoch für die Nichte, ohne deshalb der Tochter gerade abhold zu sein. Noch denselben Abend brachte ich es bei beiden zum Händedruck und Handkuß, ohne merken zu lassen, welche mir am besten gefiel; als wir uns endlich um Mitternacht trennten, küßte ich beide auf die Stirn und der ehrbaren Tante die Hand, der Papa war fast immer in seinen Berufsgeschäften abwesend und freute sich, wenn er dann und wann auf einige Augenblicke eintrat, uns so vergnügt und einig zu sehen. – Noch längere Zeit, nachdem ich mich entfernt hatte, sah ich Licht in dem Zimmer der Mädchen und ihre Schatten an den Fenstern vorübergleiten. Den anderen Morgen sprach ich sie nochmals an dem Tor und bat um die Erlaubnis, sie am Nachmittag besuchen zu dürfen, die mir auch auf das verbindlichste erteilt ward. Ich versprach neue Musik mitzubringen und fuhr mit meinem Don Juan unter dem Arm in die Vicaria, wo wieder „la ci darem la mano“ seine Schuldigkeit tun mußte, das ich den beiden Mädchen um die Wette einstudierte. Jetzt war der Weg gebahnt, ich brachte nun meine meisten Nachmittage und Abendstunden in der furchtbaren Vicaria zu, Giesù nuovo fast ganz vernachlässigend und mich bei Madame Gasqui unter allerlei Vorwänden bestens entschuldigend, sie nicht mehr so häufig auf Promenaden und in die Theater führen zu können. – Beide Mädchen hatten noch nicht das fünfzehnte Jahr erreicht und waren wirklich zum Ersticken naiv, aber dahin konnte ich es sobald nicht bringen, sie mit mir in die Theater oder sonst wohin nehmen zu können, dies wollte der Vater und Oheim nicht zugeben, so großes Vertrauen er auch sonst in mich zu setzen vorgab, nicht einmal in Begleitung der Tante. Dagegen aber durften sie ganz allein allen Kirchenfesten beiwohnen, so spät es auch schon in der Nacht sein mochte. – Diese Abendandachten waren in Neapel äußerst anziehend und durch die trefflichste Musik verherrlicht, schade nur, daß diese schönen Töne aus den Kehlen der häßlichen und widerlichen Kastraten kamen.

Schon zehn Tage lang besuchte ich die Vicaria und hatte es immer noch nicht weiter als zu wechselseitig abwechselnden Küssen gebracht, denn ich hatte die Mädchen noch nicht dahin bringen können, die Kirche zu verlassen und irgendwo andershin einen Abstecher mit mir zu machen, obgleich sie schon mancherlei artige Geschenke von mir erhalten hatten. Auch wußte ich sie nicht zu trennen, da jede von ihnen überzeugt schien, meine Aufmerksamkeit gelte ihr allein. – Des Nachmittags war mir indessen doch gestattet, sie in Zivilkleidern auf der Promenade und durch die Straßen begleiten zu dürfen, wobei ich dann Gelegenheit hatte, das neapolitanische Volksleben genauer kennen zu lernen, indem die Mädchen meine Ciceroni machten, mir alle gewünschte Aufklärung gaben und mir alle Laster, Tugenden, Sitten und Gebräuche dieses Volkes erklärten. Wir besuchten vorzugsweise die Kirchen und Klöster, in welchen gerade religiöse Feste gefeiert wurden, wobei die Böller immer eine große Rolle spielten und so stark geladen waren, daß ihr Abfeuern einen Knall wie eine zwölfpfündige Kanone hervorbrachte. Anfänglich glaubten auch wir in den Kasernen jedesmal Kanonendonner zu hören, wenn in einer der näheren Kirchen ein Fest gefeiert wurde, wo oft fünfzig und mehr Böller vor derselben aufgepflanzt waren und Schlag auf Schlag gelöst wurden. Am höllischsten war der Lärm, wenn eine Nonne ihr Gelübde ablegte und eingekleidet wurde.

Am häufigsten besuchten wir Toledo, wo ich meine Signoras mit Eis regalierte und sie dann in die Villa Reale, an den Hafen, auf den Molo und so weiter führte. Von dem Leben und Treiben in Neapel auf offener Straße kann sich niemand einen deutlichen Begriff machen, der es nicht selbst mit angesehen, es geht über alle Vorstellung; da wird fast alles unter freiem Himmel verrichtet, was sonst nur hinter den Mauern verborgen geschieht. Man kocht, siedet, bratet, ißt, trinkt, schläft, schreibt, liest, barbiert und frisiert, verrichtet seine Notdurft und zeugt sogar Kinder, – wenigstens bei Nacht, alles unter der Himmelsdecke und dem gestirnten Firmament; dies tun wenigstens fünfzigtausend Menschen, und unter den Hallen oder Portalen der Kirchen und Paläste oder auf den Stufen und Bänken derselben wird manches Wochenbett gehalten, weshalb man auch die hier zur Welt gekommenen Kinder sowie überhaupt diese beständig auf Bänken herumfahrenden Leute oft scherzweise banchieri nennt. Diese Bankiers laufen, flöhen und reinigen sich von Kot und Ungeziefer, ohne sich im mindesten zu genieren vor dem vorübergehenden Publikum, das, an solche Szenen längst gewöhnt, nicht den geringsten Anstand an denselben nimmt.

Wer sich in Neapel glücklich fühlen will, muß sich ganz dem Vergnügen des süßen Nichtstun überlassen, denn dies ist eine Huldigung, die man dem dortigen Klima zu bringen hat, das heißt, man muß sein Glück in dem fast immer heiteren Himmel, der majestätischen See und den balsamischen Lüften, die uns sanftsäuselnd umwehen, finden, aber alle ernsteren Gedanken und Gefühle möglichst zu entfernen suchen.

Endlich war ich, und zwar mit Marietta, so weit gekommen, daß sie mir versprach, ein Mittel ausfindig zu machen, sie einmal ganz ohne Zeugen sprechen zu können, und zwar in der Vicaria selbst, in der kleinen Kapelle, in welcher gewöhnlich die zum Tod Verurteilten die letzten Stunden vor ihrer Hinrichtung zubringen. Schon den kommenden Tag sprach ich sie daselbst, jedoch ohne mehr als einen Händedruck zu erlangen, da die Türe des Gotteshäuschens immer offen stand und alle Augenblicke Leute vorübergingen; es gelang mir, sie zu überreden, mich auf meiner nächsten Wache an der Vicaria gegen Morgen zu besuchen, auch riet ich ihr, Teresina zu ihrer Vertrauten zu machen, weil sie sich nicht wohl ohne deren Wissen, da beide in einer Stube schliefen, entfernen konnte. Erst zwei Tage später konnte ich es veranstalten, daß ich diese Wache wieder bezog, nach der ich mich noch nie so sehr wie diesmal gesehnt hatte. Teresina war bereits in das Geheimnis eingeweiht, wie sie mich selbst hatte merken lassen, als ich den Nachmittag vorher bei meinen liebenswürdigen Schülerinnen zubrachte, und daher das weitere ganz offen mit beiden verabredete. Als endlich der ersehnte Tag und die noch ersehntere Nacht herankam, gab ich eine halbe Stunde nach Mitternacht, als eben wieder eine Visitation der Gefängnisse vorüber war, und ich alles ruhig fand, den beiden Mädchen das verabredete Zeichen zum Herabsteigen mit einem weißen Tuch. Ein paar Augenblicke darauf kamen sie auch, in dunkle Tücher gehüllt, und ich führte sie ganz unbemerkt auf meine Wachstube, die in einer Art Entresol lag und ein eigenes Treppchen hatte. Vorsichtig hatte ich die ohnehin düster brennende Lampe in einen Winkel hinter einen Tisch gestellt, und so ein herrliches Chiaroscuro hervorgebracht. Die erst vierzehn Jahre zählende Marietta zog ich neben mich auf mein ledernes Ruhebett, während Teresina gedankenvoll in den Hof hinabsah, um zu beobachten, was daselbst vorging oder vorgehen konnte. Die bald in meinen Armen ruhende Marietta sträubte sich indessen ganz gewaltig und ließ mich ihre Gunst nur bis zu einem gewissen Grad genießen, was mir indessen dennoch weit mehr Vergnügen gewährte, als die baldige gänzliche Ergebung verheirateter und routinierter Frauen, denn Marietta war völlig Anfängerin, die liebe Unschuld selbst, und seitdem war: „la mia passione predominante, sempre la giovin principiante.“

Mehrere Stunden hatten wir bereits vertändelt, und schon verkündete ein lichter Schein die herannahende Dämmerung, als die noch immer am Fenster sitzende und von Zeit zu Zeit seufzende Teresina uns ernstlich ermahnte, daß es hohe Zeit sei, sich zu trennen. Ich fand, daß sie vollkommen recht hatte, ging in den Hof hinab, um allenthalben zu rekognoszieren, ob sich die Mädchen ohne Gefahr und unbemerkt wieder hinüberschleichen könnten, begleitete sie alsdann bis an ihre Haustüre, wo ich beiden einen feurigen Abschiedskuß gab, meine letzte Ronde machte, worauf der Tambour die Diane schlug, und ich mich zur Ruhe auf mein Feldbett warf, das soeben noch der stumme Zeuge meines Glücks gewesen; allerlei phantasierend, schlief ich so gut, als hätte ich eben einen forcierten Marsch zurückgelegt.

Gegen zehn Uhr brachte mir der Bursche der Madame Gasqui ein Billet, in welchem mich die Dame dringend einlud, sie doch gleich nach abgelöster Wache zu besuchen, da sie mir etwas von großer Wichtigkeit mitzuteilen habe. – Was mag sie wollen? dachte ich bei mir selbst; denn was es mit so einer Damenwichtigkeit auf sich hat, war mir längst bekannt. Unterdessen frühstückte Papa Kastellan mit mir auf der Wache, und als ich mit der Mannschaft abmarschierte, salutierte ich die beiden, verschämt hinter der Fenstergardine hervorsehenden Mädchengesichter. Kaum hatte ich die Mannschaft dem Unteroffizier zum Heimführen übergeben und den Degen in die Scheide gesteckt, so war ich auch schon auf dem Weg nach Giesù nuovo, wohin mich die Neugierde trieb, wo ich aber für meinen pünktlichen Gehorsam mit Vorwürfen, daß ich mich gar nicht mehr sehen lasse, von Louise empfangen ward. Sie sagte, dies habe ihr Madame Grenet alles vorausbemerkt, sie aber nimmermehr glauben wollen; nun sehe sie wohl ein, daß jene recht gehabt und deren Warnung gut gemeint gewesen sei. Ich entschuldigte mich mit dem so anstrengenden Dienst, der mir Tag und Nacht keine Ruhe mehr lasse, und bat sie, daß wenn sie meinen Worten nicht glauben wolle, sie sich beim Adjutant-Major erkundigen könne, ob ich nicht dreimal in einer Woche die Wache an der Vicaria, die beschwerlichste und unruhigste in ganz Neapel, gehabt, und wenn dies nicht wahr, so wolle ich in meinem ganzen Leben keinen Kuß mehr von ihr erhalten; um sie noch besser von der Wahrheit meiner Aussage zu überzeugen, küßte ich die schmollende Dame auf der Stelle ein halbes Dutzendmal. Sie glaubte mir nun und endigte sogar damit, mich wegen meiner gehabten schweren Strapazen herzlich zu bedauern, fügte dann hinzu, dies sei nicht der Grund gewesen, warum sie mich eigentlich zu sich gebeten, sondern sie habe es nun soweit gebracht, daß ein französisches Liebhabertheater in Giesù nuovo gebildet werden solle, zu dem sich schon mehrere Damen und Offiziere als aktive Teilhaber gemeldet hätten, ich möchte jetzt nur die weiteren Schritte tun und die Leitung des Ganzen übernehmen. Mit Vergnügen vernahm ich diese Mitteilung und willigte freudig in das an mich gestellte Begehren, da ich schon lange eine gleiche Absicht gehabt, aber andere Dinge und auch der Dienst mich verhindert hatten, an die Ausführung derselben zu denken. Noch sagte mir Madame Gasqui, daß ihr Mann im Sinn habe, nächstens mit einigen guten Freunden den Vesuv zu besteigen, ich möge doch auch mit von der Partie sein. Auch dies war längst mein Wunsch und mir willkommen, nur aus den angeführten Gründen hatte ich bis jetzt diesen und noch andere Ausflüge in die Umgegend von Neapel, wie nach Herkulanum und Pompeji und so weiter, zu meinem Leidwesen unterlassen müssen.

Ich verließ nun die jetzt nicht mehr schmollende Dame, mit dem Versprechen, mich baldmöglichst wieder einzufinden und beschäftigte mich, so weit es die Umstände erlaubten, mit der Ausführung der projektierten Partie, wobei ich mir bei Vetter Moritz Rat holte, ohne jedoch meine Wachen an der Vicaria und die damit verknüpften Vergnügungen aufzugeben. Indessen fing ich bald an, mehr Gefallen an der Nichte als an der Tochter des Kastellans zu finden; aber für meine Absichten auf Teresina war Marietta ein schwer zu überwindendes Hindernis, da ich niemals die eine ohne die andere sah.

In einer Nacht, als die beiden Mädchen kaum einige Minuten auf meiner Wachtstube waren, gab es plötzlich Lärm im Hof der Vicaria, und man schrie, daß mehrere Gefangene entsprungen seien, die Wache trat unter das Gewehr, alles wurde lebendig und die lieben Kinder wollten verzweifeln, da sie fürchteten, man möchte auch ihre Abwesenheit entdecken und sie gar bei mir finden. Über das letztere beruhigte ich sie und schloß, indem ich hinabeilte, die Türe hinter mir ab. Vor der Wache traf ich schon den Oberaufseher der Gefängnisse und den Kastellan, die mir meldeten, daß zwei Gefangene eines Kellergefängnisses fehlten, dessen auf das Pflaster des Hofs gehende Gitter durchsägt seien, aber die Kerls müßten sich noch im Palazzo befinden, da sie weder durch das geschlossene Tor, noch über Dächer, Mauern und Gräben hätten entwischen können. Ich tröstete die geängstigten Leute, indem ich ihnen sagte, daß, da die Gefangenen nicht aus dem Schloß sein könnten, wir sie wohl auffinden würden, und ersuchte sie, mit vier Mann Wache, die ich ihnen gab, alle Winkel zu durchsuchen und bei den entferntesten anzufangen, ich wolle einstweilen hier alle in den Hof gehende Türen mit Schildwachen besetzen lassen. Sie befolgten meinen Rat, und ich ließ unterdessen die Mädchen in den Hof entschlüpfen, die aber unglücklicherweise von ein paar Soldaten, welche die Entflohenen in ihnen zu wittern glaubten, angehalten wurden, ehe sie noch ihre ebenfalls besetzte Türe erreicht hatten; ich kam jedoch dazu und befreite sie von der momentanen Haft, brachte sie an ihre Türe, wo die Tante herausstürzte, um die Mädchen, deren Abwesenheit sie schon entdeckt, zu suchen. Ehe aber weder die Tante noch die Nichten zu Wort kommen konnten, sagte ich zu der ersten: „Hier, Signora, Ihre Kinder, welche in der Angst über den entstandenen Lärm die Unvorsichtigkeit begingen, ihre Wohnung zu verlassen, ich bringe sie Ihnen unversehrt zurück, sie können unter allen Umständen nicht besser aufgehoben sein als bei Ihnen.“ „Mille grazie, signor Uffiziale,“ erwiderte die Tante und sagte zu den Mädchen: „Aber wie geht es zu, daß ihr euch noch gar nicht schlafen gelegt hattet, es ist doch längst Mitternacht vorüber.“

Oh cara zia,“ versetzte Marietta schnell, „wir saßen noch am offenen Fenster, der Musik lauschend, die der Signor Tenente machte.“

„Sonderbar, ich habe doch gar nichts gehört.“

„Vermutlich schliefen Sie gut, Signora, auch spielte und sang ich nur pianissimo.“

„Ja, das ist etwas anderes, mit zunehmendem Alter werden auch alle Sinne schwächer. Ich lag zwar schon längst im Bett, war aber noch nicht eingeschlummert, als der Lärm anging.“

„Hier sind sie, ich habe sie,“ rief nun plötzlich eine Donnerstimme, es war die eines der wachthabenden Sergeanten, der die beiden Entwischten in der Kapelle hinter einem Beichtstuhl gefunden hatte, und zwar in geistlichem Gewande, welches sie daselbst aus einem Schrank, den sie aufgebrochen, genommen und mit dessen Hilfe sie ganz in der Frühe unangehalten zum Tore hinausgehen zu können hofften.

Eine Stunde nach diesem unangenehmen Intermezzo war alles wieder in der besten Ordnung, die Gefangenen in einem tieferen Kerker angeschmiedet, und der Kastellan kam zu mir, sich bei mir zu bedanken, daß ich seine naseweisen Dinger, welche die Dummheit begangen, wegen dem Lärm aus der väterlichen Wohnung zu laufen, so heil zurückgebracht habe.

Kurz nach dieser Begebenheit, als ich wieder einen Nachmittag bei den Kindern zubrachte, gab ich Teresinen verstohlen einen Kuß, was ich schon öfter praktiziert hatte; aber diesmal wollte es mein Unstern, daß es Marietta bemerkte, und diese wurde von dem Augenblick an so zänkisch und mürrisch, eigensinnig und bissig, daß es gar nicht mehr mit ihr auszuhalten war und ich sie bald nichts weniger als liebenswürdig fand.

Eines anderen Tages brachte ich den Mädchen zwei sehr schön fassonierte Körbchen von Schokolade, wie ich mich überhaupt nie ohne etwas Naschwerk bei ihnen einstellte; diese Schokoladearbeiten wurden schon damals zu Neapel in der höchsten Vollkommenheit fabriziert. In jedes Körbchen hatte ich etwas Bonbon gelegt, aber in das der Teresina noch obendrein einen kleinen goldenen Ring, eine Allianz, wie ich Marietten schon längst eine verehrt hatte, die neben den anderen Bonbons in Papier gewickelt war. Die beiden Mädchen untersuchten ihre Geschenke und die schon längst argwöhnische Marietta auch die ihrer Cousine und fühlte unglücklicherweise sogleich das Papier, in welchem die Allianz eingewickelt war, ohne daß ich es hindern konnte, denn Teresina hatte die Zeichen, die ich ihr machte, nicht bemerkt oder nicht verstanden, nahm es weg, öffnete es, fand den Ring und las auf dem Papierchen die Worte: alla piu amabile, die ich mit Bleifeder darauf geschrieben hatte. Nun geriet das Mädchen in einen solchen Zorn, daß sie die beiden Körbchen mit ihrem Inhalt zur Erde warf, mit ihren kleinen Füßen zerstampfte und zertrümmerte und den Ring mit den Zähnen zerbiß. Vergeblich gab ich mir alle Mühe, sie zu besänftigen, indem ich sie versicherte, daß das Ganze auf einem Irrtum beruhe und ich die Körbchen verwechselt habe, sie hörte gar nicht darauf, fuhr so zu wüten und zu toben fort, daß ihr zuletzt der Schaum vor dem Munde stand und sie nach mir und ihrer Cousine biß, bis sie die heftigsten Krämpfe bekam und sich in denselben auf dem Boden wälzte, so daß mir bange wurde, sie möchte in dem Anfall bleiben. Ganz erschöpft fiel sie endlich in eine starke Ohnmacht und blieb beinahe eine halbe Stunde bewußtlos; wir brachten sie in diesem Zustand auf ihr Bett. – Nun aber fing auch Teresina heftig zu weinen an, machte mir Vorwürfe, daß ich den Frieden und die Eintracht zwischen ihnen beiden gestört habe, ich hätte mich an die eine oder die andere allein halten und nicht beiden zugleich die Kur machen sollen und so weiter. Ich hatte jetzt alle Mühe, dieses sonst so sanfte Mädchen zu besänftigen und zu trösten, die mir noch mitteilte, daß sie schon seit einiger Zeit wegen mir viel von ihrer Cousine zu leiden habe, die sie gleich einem Schatten verfolge, ihr das Leben verbittere, ja wohl imstande wäre, ihr Arges anzutun; denn ich kenne diese Sizilianerinnen und Neapolitanerinnen noch nicht, die zu allem fähig seien, wenn sie sich hintergangen und betrogen und wegen einer anderen zurückgesetzt fänden, sie werde nun wohl Neapel verlassen müssen oder gar fortgeschickt werden.

Endlich schlug Marietta die Augen wieder auf, war aber so matt und erschöpft, daß sie kaum leise zu sprechen vermochte. Ich gab mir nochmals alle Mühe, sie zu beruhigen, konnte es aber nicht dahin bringen, sie ganz zu besänftigen und ein wohlwollendes Wort von ihr zu hören. Nachdem sie sich wieder ziemlich erholt hatte, entfernte ich mich, ihr zum Abschied sagend, daß es unter solchen Umständen wohl das Beste sei, uns künftig zu meiden. Diese Worte ärgerten sie so, daß sie beinahe einen zweiten Anfall bekommen hätte. Um dies zu vermeiden, eilte ich schnell zur Tür hinaus. Von jetzt an mied ich die Wachen an der Vicaria ebenso sehr, wie ich sie früher gesucht hatte. Einige Zeit darauf erfuhr ich, daß ihr Vater beschlossen habe, einen Advokaten, der sich in das Mädchen verliebt, mit ihrer Hand zu beglücken, und dieser sie auch bald darauf als sein eheliches Gespons heimführte. Ich vermied nun zwar diese Wachen nicht mehr, drängte mich aber auch nicht dazu, obgleich ich wußte, daß jetzt Teresina allein in dem Hause ihres Oheims mit der Tante hauste.

Unterdessen hatte ich Madame Gasqui wieder viel öfter besucht und mir viel Mühe gegeben, das beabsichtigte Liebhabertheater instand zu bringen; es war endlich so weit gediehen, daß wir es mit Beaumarchais Figaro, in dem ich die Rolle des Figaro und Madame Gasqui die Gräfin spielte, eröffnen konnten. Die Einrichtung der Bühne und des Raumes für die Zuschauer war allerliebst, und es wurde uns sogar die Ehre zuteil, daß König Joseph unsere Vorstellungen einigemal zu besuchen würdigte. Ich bin überzeugt, die ehrwürdigen Väter Jesu hätten ebenfalls ihre Freude daran gehabt, wenn sie diesem Schauspiel in ihrem alten Betsaal hätten beiwohnen können; im Grunde hatte das Lokal seine ehemalige Bestimmung wieder erhalten, man spielte nur Komödie in anderer Manier.

Durch unseren Bataillonschirurgen hatte ich zufällig die Bekanntschaft einer hübschen jungen Apothekersfrau, einer geborenen Römerin, gemacht. Der Doktor nahm seine Medikamente für die Kunden, die er sich in der Stadt erworben, meistens sogenannte geheime Kranke, bei ihrem Eheherrn und hatte dadurch Zutritt im Haus erlangt. Diese Apotheke lag in der Nähe unseres Forts, und ihr Besitzer war ein gastfreundlicher Mann, der die Musik liebte. Eines Tages hatte ihm der Doktor gesagt, daß sich beim Regiment ein junger Offizier befände, der sehr musikalisch sei, Klavier und Gitarre spiele, gut singe und sogar komponiere, den er, wenn es dem Signor Speziale angenehm sei, einmal mitbringen wolle. Der Apotheker hatte ihm erwidert, er würde ihm dankbar dafür sein. Doktor Kullmann, so hieß der Bataillonschirurgus, lud mich daher ein, ihn doch einmal zu seinem guten neapolitanischen Freunde zu begleiten, und teilte mir dann ganz im Vertrauen mit, daß dieser eine sehr schöne Frau habe, der er den Hof mache; aber obgleich er manchmal eine ganze Stunde, während der Mann in der Apotheke beschäftigt, mit ihr allein gewesen, doch nicht viel weiter gekommen sei, da er mit der verteufelten Sprache nicht fort könne und er oft die größte Mühe habe, sich dem Manne mit seinem Rackerlatein verständlich zu machen; er meinte daher, ich könne ihm wohl behilflich sein, wenn ich den Dolmetscher (also den Kuppler) machen wolle. Ich lehnte es längere Zeit unter allerlei Vorwand ab, den Herrn Doktor zu begleiten; aber er hörte nicht auf, mich so lange darum anzusprechen und erzählte mir soviel von der Liebenswürdigkeit der Signora, die auch ganz vortrefflich singe, daß mich die Neugierde bewog, endlich nachzugeben und den Wunsch des Äskulap zu erfüllen.

Wir wurden von dem Signor Speziale recht artig aufgenommen, der uns sogleich in sein Wohnzimmer führte, wo seine Frau mit kleinen Handarbeiten beschäftigt war. Ich fand die Signora hübsch genug, um ihr Artigkeiten zu sagen, und daß der Doktor gar keinen so üblen Geschmack hatte, auch es wohl der Mühe wert sei, ihm und dem Mann zugleich eine Nase zu drehen; letzterer bat mich, da er von seinem Amico gehört, daß ich ein großer Virtuos sei, ihm und seiner Frau doch das Vergnügen zu machen, sie etwas von mir hören zu lassen; ich entschuldigte mich, indem ich erwiderte, man habe ihm viel zu viel von mir gesagt, so daß er zu große Erwartungen hege, denen ich niemals entsprechen würde, und es also nicht wagen könne, ihm etwas vorzutragen. Er ließ aber nicht ab, mich zu bestürmen, sowie der Doktor ebenfalls in mich drang, und da die Signora ihre Bitte mit denen der beiden Herren vereinigte, so konnte ich nicht umhin, sie zu erfüllen, um so mehr, da mir der Apotheker versprochen hatte, ich solle dann auch die Stimme seiner cara Moglie hören. Ich sang nun einige italienische Lieder, unter denen auch die Romanze des Pagen aus Mozarts Figaro, mit Gitarrebegleitung; die Leute hatten kein Klavier, da die Dame dies Instrument nicht spielte. Nun kam die Reihe an diese, welche dann nach einigem Zieren ebenfalls ihre Kunst zum besten gab, aber bei einer allerdings schönen und klangreichen Stimme doch nur ganz Naturkind im Gesang war, ja, wie ich bald erfuhr, nur nach dem Gehör sang und nicht einmal die Noten kannte, wie dies so häufig in Italien, selbst bei Sängerinnen vom Fach und bei dem Theater angestellt, der Fall war, denen ihre Partien mit der Violine eingegeigt werden mußten. Ich versprach der Signora Golia, der Name ihres Mannes, bei meinem nächsten Besuch einige recht hübsche neue Kanzonette mitbringen zu wollen und ihr diese einzustudieren, worüber sie und ihr Mann ganz vergnügt waren, wozu aber der Doktor ziemlich scheel sah. So hatte er es nicht gemeint, und er sah bald ein, daß er einen Eselsstreich gemacht und den Bock zum Gärtner gesetzt habe, mich in das Haus einzuführen, in dem ich bei meinem ersten Besuch schon weiter gekommen war, als der Pflastermann, ein ehrlicher, recht bedächtiger Schwabe, die jeden Tritt und Schritt hundertmal erwägen und überlegen, ehe sie ihn zu tun wagen, seit Monaten. Aber der Bock war nun einmal geschossen und ließ sich nicht wieder rückgängig machen. Der Signor Golia wurde häufig in die Apotheke abgerufen, und ich benutzte seine kurze Abwesenheit, der Signora Fleuretten mit Occhianten begleitet zu sagen, die mein ehrlicher Kullmann nicht einmal verstand. Endlich empfahlen wir uns, wobei ich der Dame die Hand küßte, etwas, das mein Äskulap noch nicht einmal gewagt hatte und mir jetzt zum erstenmal nachmachte; ich versprach baldiges Wiederkommen. Als wir das Haus verlassen hatten, machte mir der Doktor Vorwürfe, daß, statt sein Interesse zu wahren, ich mir alle Mühe gegeben, ihn aus dem Sattel zu heben.

„Freund, das ist unmöglich, Sie sitzen ja noch gar nicht darin.“

„Spotten Sie nur, aber das ist kein Freundschaftsstückchen, einem Freunde den Bissen vor dem Maul wegschnappen zu wollen.“

„Aber wer will denn das, seien Sie doch kein Kind, alles was ich tat, geschah nur einzig und allein in Ihrem Interesse, wenn Sie nur verstanden hätten, was ich der Signora gesagt, so würden Sie nicht so reden und sich dankbarer gegen mich bezeigen. Ich sprach nur zu Ihrem Lobe und zu Ihren Gunsten.“

„Den Teufel auch, ich müßte ja blind sein, wenn ich Ihr Augenspiel nicht bemerkt hätte.“

„Das war ja auch in Ihrem Interesse; hörten Sie denn nicht, wie sehr ich Ihre Geschicklichkeit pries und hervorhob.“

„Mag sein, aber ich verstand kein Wort davon, es kam mir aber so vor, als wollten Sie sich bei der Signora Golia beliebt machen.“

„Mein Gott, das muß ich ja, wenn ich für Sie wirken soll.“

„Nehmen Sie sich in acht, wenn Sie mich hintergehen und Sie einmal krank werden, dann ...“

„Dann werden Sie mir doch kein Gift verschreiben?“

„Das nicht, aber ich lasse Sie im Stich.“

„Oh, darüber tröste ich mich, denn ich weiß, wie ich es mit euch Herren Medizinern zu halten habe:

Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;

Ihr durchstudiert die groß’ und kleine Welt,

Um es am Ende gehn zu lassen

Wie’s Gott gefällt.“

„Ach, das ist albernes Zeug.“

„Ei, ei, Herr Doktor, Sie blamieren sich. – Doch allen Scherz beiseite, ich werde mein möglichstes tun, den Doktor bei der Apothekerin beliebt zu machen.“ –

Wir trennten uns nun, und jeder ging seinen Weg, der meinige führte mich nach Giesù nuovo zur Probe eines neu einzustudierenden Vaudevilles, das ich mit Madame Gasqui zusammengeflickt, „Les français à Naple“ betitelt hatte und das den Beifall unseres Publikums und selbst Seiner Majestät erhielt, obgleich es manchen Seitenhieb auf dessen Gouvernement gab, den Joseph jedoch nicht zu verstehen schien oder nicht verstehen wollte. Übrigens fing es an, wenigstens etwas leidlicher in der Verwaltung zu gehen, namentlich seit Röderer das Finanzwesen und ein neues Abgabensystem organisiert hatte; aber verhindern konnte er die fortdauernde unnütze Prodigalität nicht.

Schon den folgenden Tag besuchte ich meinen braven Apotheker wieder und musizierte mit seiner Frau, die bald das Steckenpferd, mit dem ich alle meine Intrigen con amore einleitete, Don Juans Duettino, mit mir singen konnte, worüber sich Herr Golia königlich freute. – Ich dachte: ‚Nun sage mir noch einer, die neapolitanischen Ehemänner seien Teufel der Eifersucht!‘ Aber es war noch nicht aller Tage Abend. Mein guter Doktor war doch bald überzeugt, daß ich ihn zum besten gehabt, und setzte nun dem Mann Flöhe ins Ohr, so daß dieser mich immer kälter empfing und auch ein paarmal unter dem Vorwand, seine Frau sei ausgegangen und er sehr beschäftigt, ganz kurz abwies. Das erstemal blieb ich jedoch noch eine geraume Zeit in der Apotheke, die Zurückkunft der Signora abwartend, brachte bei dieser Gelegenheit die Sprache auf die italienischen Gifte und namentlich auf das berüchtigte Aqua Tofana, ein Thema, das den Signor Golia ansprach, über welches er, trotzdem daß er mich bereits nicht mehr mit den wohlwollendsten Augen ansah, so gefällig war, mir manche Aufklärung zu geben. Ich erzählte ihm nun, welche abenteuerlichen Vorstellungen man sich in Deutschland von demselben mache, daß man glaube, es werde aus dem Schaum rasend gewordener Menschen fabriziert, die man, um sie zum höchsten Grad der Wut zu bringen, unter den Fußsohlen kitzle, daß man vermittelst dieses Giftes genau Tag, Stunde und Minute, in welcher der seit Monaten schon Vergiftete seinen Geist aufgeben müsse, bestimmen könne und so weiter. Der Apotheker lächelte über diese Mitteilung und erklärte mir, daß die Hauptingredienzien des Acquetta, wie man hier dieses Gift nennt, aus Arseniksäure, mit etwas Laudanum, bitterer Mandelessenz und einigen anderen Liquiden vermischt, um die Bestandteile desselben besser zu verbergen, bestände; daß man allerdings nach der Quantität der beigebrachten Dosis den Tod des Vergifteten früher oder später herbeiführen, aber nie genau den Tag, viel weniger die Stunde angeben könne, in welcher dieser erfolgen müsse, da dies von gar mancherlei Umständen abhinge, wie von der Konstitution, der Nahrung und sogar der Beschäftigung des Vergifteten. Ich erkundigte mich später noch bei anderen Personen nach diesem berühmten Gift, mehrere leugneten dessen Bestehen gänzlich, andere sagten, die Kunst, es zu bereiten, sei längst verloren gegangen, Moritz versicherte mir, es sei durchaus nichts weiter als künstlich präpariertes Arsenik. Dies Resultat ergab auch später eine unter Mürat auf meine Veranlassung angestellte polizeiliche Untersuchung, und die über dasselbe verbreiteten Märchen sind nichts weiter als Erfindungen abenteuerlicher Reisebeschreibungen und Romanschreiber.

Als ich am anderen Tag wiederkam, wurde ich noch kälter von dem Signor Speziale empfangen, der mir diesmal fast gar kein Gehör gab, welches Thema ich auch immer aufs Tapet bringen mochte. Aber es war zu spät; der gute Mann, der anfänglich mit Entzücken zuhörte, wenn ich seiner Frau Singunterricht ohne Noten erteilte, hatte erst Lunte gerochen, als das Feuer schon lichterloh brannte. Längst wußte ich, daß Signora Golia alle Morgen die Messe bei den Karmelitern besuchte, und sprach sie nun hier, ohne daß es ihr Mann oder der Doktor ahnten. Dagegen besuchte ich die Apotheke nur noch sehr selten und auf einen Augenblick im Vorübergehen. Gewiß waren beide erfreut, mich so schnell losgeworden zu sein, während ich so weit schneller zum Ziel gelangte. Die Signora mochte den Merluzzo (Stockfisch) von einem Doktor, der kein gescheites Wort mit ihr reden konnte, nicht leiden, war über ihren Marito (Eheherrn) erbost, daß er mich so auswies, und gab mir Rendezvous bei einer Amica, die sich Signora Rapisarda nannte, in der Strada Pignosecca, deren Adresse sie mir auf einem mit Bleifeder beschriebenen Papierchen mitteilte. Ich suchte das angegebene Haus zur bestimmten Stunde auf und fand in einem Gemach des dritten Stockes beide mich erwartenden Freundinnen, graziös auf einem Sofa sitzend. Als sie mich erblickten, standen beide auf, und Giulietta, dies war der Taufname der Apothekerin, sprang auf mich zu und ließ mir kaum Zeit, der Dame des Hauses meine schuldige Höflichkeit zu bezeigen. Sie stellte mir diese endlich als die Frau eines Beamten vor, welcher dem Hof Ferdinand IV. nach Sizilien gefolgt sei, und seine Gattin, die sich nicht von Neapel habe trennen wollen, wo sie alle ihre Freunde und Bekannten habe, verlassen hätte. Die Amica war so aufmerksam, uns mit Rosolio und Pane di Spagna aufzuwarten und sich dann zu entfernen. – Nun wurde die Türe verschlossen, und wir schwelgten ein paar Stunden im Hochgenuß, nach denen sich die Amica wieder einfand, die zwar äußerst angenehm, aber doch schon etwas verblüht war, und die ich nicht reizend genug fand, um ihr zu Gefallen eine Untreue gegen meine neue Freundin zu begehen, was nur zuweilen bei dem tête-à-tête mit der Madame Gasqui geschah, die dann immer so liebenswürdig war, daß schwerlich der heilige Antonius selbst der Versuchung widerstanden haben würde.

Als Krönung unseres heiteren Lebens in Neapel beschlossen wir, den Vesuv zu besteigen; aber anders hatte es das Schicksal oder vielmehr das Gouvernement beschlossen, und ich sollte abermals Neapel verlassen, ohne zu meinem großen Leidwesen nähere Bekanntschaft mit dem alten Feuerspeier gemacht zu haben; denn das Bataillon erhielt Order, nach dem Kirchenstaat und zwar nach Civita-Vecchia abzumarschieren. Ich tröstete mich indessen damit, Rom wiederzusehen, von dem ich kaum erst einen Schatten im Vorübergehen erblickt hatte.

II.
Abmarsch nach Civita-Vecchia. – Die Pontinischen Sümpfe. – Civita-Vecchia. – Ich werde Platzkommandant zu Albano. – Meine Ausflüge nach Rom. – Bankier Torlonia. – Prinzessin Cesarini. – Angelika Kaufmann. – Rom. – Die schönen Römerinnen und die deutsche Männertreue. – Ein Rendezvous in der Kirche San Sebastian vor den Mauern.

Mich meinen Schönen bestens und auf hoffentlich baldiges Wiedersehen empfehlend – Madame Gasqui, deren Mann beim zweiten Bataillon stand, blieb zurück und bedauerte hauptsächlich, daß unser Liebhabertheater durch diese grausame Order zerrissen wurde, denn außer mir waren noch mehrere Mitglieder desselben beim ersten Bataillon –, verließ ich Neapel mit leichtem Herzen und ziemlich schwerem Beutel (Moritz hatte die Sorge, mich auf Kosten meiner Eltern mit dem nötigen nervus rerum gerendarum vor dem Abmarsch zu versehen, übernommen) und mit dem festen Vorsatz, daß das erste, wenn ich je wieder nach Neapel zurückkommen sollte, was sehr wahrscheinlich war, da wir immer noch zu dem dort stehenden französischen Armeekorps gehörten, sein solle, den Vesuv zu besteigen.

Wir marschierten auf demselben Weg Etappe für Etappe zurück, auf dem wir von Rom nach Neapel gekommen waren, nämlich über Capua, Sessa, Molla, Terracina, durch die Pontinischen Sümpfe über Velettri und Albano. Diesmal hielten wir aber, da der Marsch keine Eile hatte, Rasttage zu Fondi und Velettri. Unterwegs machten wir öfters Jagd auf wilde Enten, Schnepfen, Wasserhühner und anderes wildes Geflügel, das in der Gegend von Terracina und den Pontinischen Sümpfen in so ungeheurer Menge vorhanden ist, daß man eine fette wilde Ente oft mit zwei Bajocchi (kaum einen Groschen) bezahlt, so daß sich unsere Soldaten von Terracina bis Albano dieses Wild, das sie an ihren Ladestöcken brieten, trefflich schmecken ließen. Bei Treponti schoß ich einmal ein Voltigeurgewehr aufs Geratewohl in einen Rohrsumpf ab, aus dem sich sogleich eine schwarze Wolke von Wildgeflügel erhob und fast die Luft verfinsterte; auch die Soldaten feuerten ihre Gewehre ab, und es stürzten eine Menge verschiedener Vögel aus der Luft, die wir aber nicht bekommen konnten, da wir keine Hunde hatten, die sie aus den Sümpfen holten.

In Rom hatten wir diesmal keinen Ruhetag und mußten sogar die Stadt umgehen, was beinahe für eine Etappe hätte gelten können. Diesmal suchte ich aber mein Quartier auf, da ich zu Pferde und also nicht so marode war. Es wurde mir auf dem Korso bei – den Jesuiten angewiesen! – Aber die Zeit war so kurz zugemessen, daß ich diesmal außer dem Korso und der Piazza Popolo, die ich schon kannte, fast nichts von Rom zu sehen bekam. Von hier marschierten wir nach Pallo oder Palo ab, ein altes Kastell in einer sehr ungesunden und ganz öden Gegend am Gestade des Meeres, in dessen Nähe aber viele und große altrömische Ruinen liegen. Hier übernachteten wir, und der folgende Tag brachte uns bei sehr ungünstigem Wetter nach unserem neuen Bestimmungsort Civita-Vecchia.

Civita-Vecchia, das im Sommer ein sehr ungesunder Aufenthalt sein soll, ist befestigt, hat einen Hafen und ein Zeughaus, mehrere Klöster, war aber ein sehr öder und langweiliger Ort, der etwa sechstausend Einwohner zählen mochte. Nur daß es der Aufenthalt der päpstlichen Galeerensklaven, ein Toulon im kleinen ist, dessen Bagnos mit den in jeder Hinsicht höchst unglücklichen Sträflingen angefüllt sind, bringt einiges Leben in den Ort, aber welches!? – das, welches das Kettengerassel der Elenden verursacht.

Als ich die Kaserne besichtigte, in der unser Bataillon einquartiert wurde und die erst vor wenigen Tagen ein Bataillon Dalmatiner verlassen hatte, war ich in ein paar Sekunden mit Millionen Flöhen bedeckt, so daß meine Beinkleider auf einmal in couleur de puces verwandelt waren. So sehr ich auch schon in Italien und dem südlichen Frankreich an dieses Ungeziefer gewöhnt worden, so war es mir doch nie in solcher Masse vorgekommen, und nur durch eine Überschwemmung mit siedendem Wasser konnte man dasselbe in den Sälen etwas vermindern, vom Vertilgen war keine Rede; in den baumwollenen Bettdecken der Soldaten hatten sich diese quälenden Springer hauptsächlich eingenistet, und kein Klopfen noch Waschen konnte sie aus ihren bequemen Nestern vertreiben; tagelang waren die Leute auf der Flohjagd und knackten, und doch sahen diese weißen Decken immer wie Kümmel und Salz aus.

Kaum waren wir ein paar Tage in Civita-Vecchia, als ich mit vierzig Mann nach Palo beordert wurde, das daselbst befindliche Detachement der Dalmatiner abzulösen. Dieser Posten war so ungesund, daß man selbst im Winter die Leute alle zehn Tage, im Sommer aber alle vierundzwanzig Stunden ablösen mußte, und demungeachtet kam die Mehrzahl der Soldaten fieberkrank zurück und wanderte ins Lazarett; drei Tage Aufenthalt daselbst in der heißen Jahreszeit brachte unfehlbar den Tod. Der Posten mußte jedoch fortwährend stark besetzt werden, und eine Batterie von sechs Feuerschlünden war beständig mit Mitraille geladen, weil die Engländer und Korsaren hier öfters zu landen versucht und ganze Herden Büffel weggenommen hatten.

Einige Tage, nachdem ich in dieser ungesunden Einöde verweilt hatte, kamen mehrere Kompagnien der Dalmatiner auf ihrem Marsch nach Rom hier durch und übernachteten daselbst. Dieses Regiment bestand aus solchen, die in französischem Dienste waren, rote Uniform, Hüte à la Henri IV. trugen und wie die Raben stahlen. Es war meine Schuldigkeit, die Offiziere nach meinen Kräften bei ihrer Anwesenheit zu bewirten, aber wo etwas hernehmen? Brot, Wein, etwas Fleisch und Zugemüse brachten sie selbst mit, von Wein hatte ich zwar auch einigen Vorrat, aber was ihnen sonst vorsetzen? Als ich mich mit meinem Burschen deshalb beratschlagte, gab mir dieser zur Antwort: „Lassen Sie mich nur machen, Herr Leutnant, ich will schon für eine gute Schüssel sorgen.“ Und in der Tat trug er bei dem Mittagessen eine große Schüssel von ihm selbst gar nicht übel zubereitetes Ragout auf, das uns allen vortrefflich schmeckte; als ich ihn nachher vornahm und examinierte, was er uns denn eigentlich vorgesetzt habe, gestand er mir, es sei ein aus Eulen, Dohlen und Fröschen, die er in dem alten Gemäuer des Kastells gefangen, bestehendes Ragout gewesen. Ich lachte und dachte: ‚Nun, wenn es uns nur wohl bekommt!‘ Und das tat es.

Kaum war ich von meinem Eulennest abgelöst, als ich mit der Voltigeurkompagnie, die ihren Kapitän verloren und auch keinen Oberleutnant hatte, nach Albano beordert wurde, um daselbst den Posten als Platzkommandant zu versehen. Unser Bataillonschef Düret selbst wurde mit dem Stab und ein paar Kompagnien als Kommandant nach Corneto, die übrigen Kompagnien nach Porto d’Anzo, Piperno und Velettri beordert, deren Chefs in diesen Orten alle Platzkommandanten wurden, so daß das ganze Bataillon rings um Rom zerstreut lag. Den dritten Tag traf ich, abermals durch Rom marschierend, am Ort meiner Bestimmung ein, der nur drei kleine Stunden davon entfernt lag.

Auf dem Rathaus zu Albano, wo ich mich bei dem Sindico wegen meiner Order auswies, war über der Eingangstür des Saales der Kampf der Horazier und Curiatier in Fresko gemalt. Zu meiner Wohnung wies er mir einen ganzen, einem Kardinal zugehörigen Palazzo an, der eine Reihe von ziemlich schlecht möblierten Zimmern und Sälen hatte. Fast in jedem Gemach desselben aber hingen die in Kupfer gestochenen Bilder sämtlicher Päpste, die auf dem heiligen Stuhl gesessen. Eine alte Frau, eine Art von Hausverwalterin seiner Eminenz, war die einzige Mitbewohnerin in diesem geräumigen Gebäude. Es waren wenigstens einige zwanzig Zimmer, die sie mir zur Disposition stellte, und in mehreren derselben fanden sich große Himmelbetten, die ebenso breit wie lang waren, so daß ich jede Nacht nach Belieben mit meinem Schlafzimmer hätte wechseln können; fast ebenso geräumig war der Unterleutnant logiert, auch der Sergeant-Major sowie alle Sergeanten hatten verhältnismäßig große Quartiere; die Korporale mit ihren Eskadern wurden in verschiedenen Gebäuden einquartiert. Die Stadt mußte mir täglich drei römische Scudi (über sieben Gulden) Tafelgelder geben, außerdem erhielt ich dreifache Rationen an Lebensmitteln und hatte sonst noch allerlei kleine Vorteile, welche mir diese Kommandantur einbrachte: es ging ja alles auf Kosten Seiner Heiligkeit, dessen Gebiet Napoleon militärisch besetzen zu lassen für gut befunden hatte; nur Rom selbst war immer noch mit französischer Garnison verschont. Die Leute wurden sehr gut verpflegt, und ich sah strenge darauf, daß die ihnen verabreichten Lebensmittel von guter Qualität waren, wodurch ich sie mir sehr geneigt machte, auch ließen sie den Papst und unseren Herrgott einen guten Mann sein und hoch leben. Ich machte fast jeden Tag einen Spazierritt nach Rom, das genauer kennen zu lernen ich mir nun vornahm.

In den ersten Tagen meiner Kommandantur, die ich eigentlich dem Wohlwollen Dürets zu verdanken hatte, besuchte ich Rom nur wenig und immer nur auf ein paar Stunden, denn ich wagte es nicht, mich auf längere Zeit zu entfernen, obgleich dieser Posten von keiner großen Wichtigkeit war und hauptsächlich darin bestand, den durchkommenden Militärs die Marschrouten zu visieren, ihnen Quartiere anweisen zu lassen und dergleichen. Nachdem ich aber ein paar Wochen hier war, nahm ich es nicht so genau, sondern brachte längere Zeit, oft ganze Tage in Rom zu, dem Sergeant-Major meine Funktionen während meiner Abwesenheit überlassend.

Zu dieser Zeit erhielt ich Briefe von Haus, die mir das Ableben eines alten Großoheims anzeigten, sowie, daß mich derselbe mit einem Legat von einigen tausend Gulden besonders bedacht habe, die man zu meiner Verfügung stelle, indem ich, was ich bedürfe, bei dem Bankier Torlonia in Rom, an den ich außerdem noch einen Empfehlungsbrief erhielt, erheben könne. Auch Moritz, dem ich von Albano aus schrieb, sandte mir eine Empfehlung an denselben. Dies waren traurig-gute Nachrichten, denn das Ableben des guten alten Oheims, bei dem ich als Kind gar manche vergnügte Stunde gehabt – er hatte mich in besondere Affektion genommen –, tat mir leid, auf der anderen Seite kam mir das Geld und die Empfehlungen bei meinen Exkursionen nach Rom trefflich zu statten. Torlonia lud mich zu seinen Conversazioni ein, die wohl mit die glänzendsten in ganz Rom waren und bei denen ich die angesehensten Familien dieser Stadt persönlich kennen lernte, wie die Cerevetri, Doria, Chigi, Odeschalchi und so weiter. Das Schicksal dieses Bankiers, der sich vom Lohnbedienten oder armen Cicerone, was er zuerst war, bis zum reichsten Mann im ganzen Kirchenstaat und zum Herzog von Bracciano hinaufgeschwungen, ist merkwürdig. Er hatte sich ein geringes Kapital gespart, das er dem Kardinal Braschi in Verwahrung gab oder vielmehr lieh. Als dieser unter dem Namen Pius VI. Papst wurde, beauftragte er Torlonia mit seinen Geldgeschäften; dieser errichtete jetzt ein Bankhaus und wurde bald darauf der Staatsbankier des heiligen Vaters, wobei er sich ein unermeßliches Vermögen erwarb. – So ziemlich ein Pendant zum alten Rothschild. – Pius VII. machte ihn später zum Herzog von Bracciano. Der Mann mochte damals einige fünfzig Jahre zählen und hatte ein sehr gravitätisches Ansehen, in seinem Kontor sitzend: ein schwarzer Samtrock mit großen vergoldeten Knöpfen, eine goldgestickte Weste, ein paar kurze Samtbeinkleider von einer bläulichen Farbe, blaßgelbe seidene Strümpfe, Schuhe mit Steinschnallen und eine schneeweiß gepuderte Perücke war sein alltäglicher Anzug. In seinen Abendgesellschaften glänzten Roms erste Schönheiten, und er selbst hatte zwei hübsche Töchter, unter allen aber strahlte wie eine Sonne unter Sternen die junge Principessa Cesarini so gewaltig schimmernd hervor, daß aller Augen auf sie gerichtet waren, sobald sie eintrat, und auch die meinigen bis zum Verbrennen geblendet wurden. Diese Schönheit, die erst kürzlich an den Fürsten Cesarini verheiratet war, hatte ebenfalls ein originelles Schicksal gehabt. Ihr Vater hieß Conti, sie war von niederer Herkunft und armen Eltern, die so herabgekommen waren, daß sie ein Blumenmädchen werden mußte, das ihre hübsch gewundenen Sträußchen am Nachmittag auf dem Korso zum Verkauf ausbot; ihre Schönheit zog weit mehr als ihre Blumen, die man teuer bezahlte, die Käufer an, und so machte auch der reiche Fürst Cesarini ihre Bekanntschaft, den sie klug genug so hinzuhalten und in ihre Netze zu ziehen wußte, daß er ihre höchste Gunst nur durch das Band der heiligen Ehe und den Schritt ins Brautgemach erlangen konnte; sie war noch nicht fünfzehn Jahre alt, als er sie heiratete. Hinsichtlich ihrer Schönheit war sie die Recamier Roms.

Den ersten Abend oder vielmehr die erste Nacht, denn erst spät in derselben begannen die Soireen, die ich bei Torlonia zubrachte, verhielt ich mich sehr still und ruhig und machte nur den Beobachter, um mit dem hier herrschenden Ton bekannt zu werden. Spiel und Musik waren auch hier die Haupthebel der Unterhaltung der Gesellschaft, wie zu jener Zeit in ganz Italien. Diese beiden so verschiedenen Dinge, das eine ein der Hölle entwischter Dämon, die andere eine entzückende Himmelstochter, müssen die Langeweile der Sterblichen unter Qualen und Lust töten. Dem Spiel habe ich manche, wenn auch nicht gerade bittere, doch unangenehme Stunde zu verdanken gehabt, denn das einmal verspielte Geld focht mich wenig mehr an, während mir die herrliche Tonkunst die seligsten und glücklichsten Momente meines Lebens schuf; ohne sie würde ich gewiß nicht den hundertsten Teil des genossenen Vergnügens gehabt haben, und noch jetzt macht sie mir manchen frohen Augenblick, namentlich waren es des unsterblichen Meisters der Töne, des großen Mozart Schöpfungen, die mich immer begeisterten.

Don Juan war in Rom noch ebenso unbekannt wie in Genua und dem übrigen Italien, auch von der Zauberflöte, der Entführung, selbst dem Titus wußte man nichts, nur vom Figaro und Cosi fan tutte kannte man einzelne Stücke. Mir war es vorbehalten, den durch Mozarts Musik so liebenswürdig gewordenen Wüstling Don Juan in dem liebeglühenden Italien einzuführen.

Am ersten Abend verhielt ich mich, wie gesagt, sehr passiv in Torlonias Soiree und verlor mit allem Anstand ein Dutzend Zechinen; wenn ich nicht in Uniform gewesen wäre, würde ich schwerlich nur bemerkt worden sein, obgleich mich Torlonia mehreren Gästen als einen ihm gut empfohlenen Tedesco vorstellte. Als ich mir aber nach einigen Tagen wieder fünfundzwanzig Louisdor geben ließ und mich der Bankier abermals zu einer Soiree einlud, fragte ich ihn, ob es wohl erlaubt sei, einige Musica tedesca mitzubringen und vorzutragen, was er mir mit einem: „Vi saremo molto grato!“ beantwortete.

Ich kam diesmal mit meinem Don Juan unter dem Arm und trug, von der Dame des Hauses aufgefordert, das brillante Prestissimo „fin ch’an del vino calda la testa“ mit italienischem Feuer vor, und zwar so rasch, daß mir der mich akkompagnierende Maestro kaum folgen konnte; es wurde mit einem allgemeinen Bravissimo und Dakapo belohnt, ebenso erging es mir mit Figaros „non piu andrai“ und dem Ständchen aus dem zweiten Akt Don Juans, das ich später sang. „Cosa stupenda, questa musica!“ rief selbst der Bankier aus, der auch noch Ohr für einen anderen Klang als den der Piaster und Zechinen hatte. Besser als durch diese Musik hätte ich mich in Rom nicht empfehlen können, und wenn ich als Obergeneral durch eine siegreiche Schlacht ein ganzes Reich erobert haben würde. Es gab nun bald in der ganzen Stadt keine Soiree von Bedeutung mehr, zu welcher der Leutnant, Platzkommandant von Albano, nicht durch einen Expressen eingeladen worden wäre. Es ging wie in Genua, ich studierte Duette und andere Ensemblestücke mit römischen Damen, die herrliche Stimmen hatten, ein und sang mit Donna Annen, Elviren und Zerlinen, deren Anblick allein schon in Ekstase versetzte. Auch Leporellos Aria buffa „Signorina, il Catalogo è questo“ sang ich mit großem Erfolg, wenn auch etwas höher transponiert; die Introduktion und die beiden Finale wurden bald von den musikalischen Individuen der Gesellschaften einstudiert und vorgetragen. Don Giovanni machte Furore, und ich, sein leibhaftiger Repräsentant, wenigstens Aufsehen, verliebte mich, so wie ich mich zu verlieben imstande war, in die wunderholde Principessa Cesarini, obgleich diese keine oder doch nur unbedeutende musikalische Talente hatte, aber desto mehr für die praktische Liebe geschaffen war. Übersättigung hatte, wie dies so oft der Fall ist, das eheliche Glück der jungen Fürstin bald gestört; die Ehe ist und muß notwendig das Grab der Liebe sein, da eine so fortwährend nahe Berührung, in der sich die Gatten unter allen Verhältnissen befinden und sehen, alle Illusion schnell schwinden macht. So ging es auch hier; nach wenigen Monaten wurde der Fürst gleichgültig, und die junge Frau sah sich nach anderen Zerstreuungen um, als mich gerade mein Glücksstern nach Rom führte und ich die schöne Signora kennen lernte, deren Rang hier, wo es so viele Bettelprinzen gibt, daß man, wie in Deutschland, mit Baronen die Schweine mästen könnte, kein Hindernis war, mich ihr zu nähern, ob sie schon auch hinsichtlich des Vermögens sich in sehr glänzenden Umständen befand.

Ich hatte unter anderen auch die Bekanntschaft eines jungen venetianischen Edelmannes gemacht, der sich damals in Rom aufhielt und sich Dandolo nannte. Durch diesen erfuhr ich, daß der Fürst Cesarini eine eben nicht mehr sehr junge und gerade nicht schöne Mätresse unterhalte, die in der Nähe des Spanischen Platzes wohne, deren Gunst er sich nicht einmal allein zu erfreuen habe, die aber eine äußerst verschmitzte und auch witzige Dirne sei und namentlich mit einem gewissen Abbate intrigiere.

Jeden Abend ritt ich nun auf den Korso, wo sich alle Notabilitäten und Schönheiten Roms in ausgesuchter Toilette, in glänzenden Equipagen auf- und niederfahrend, präsentieren und auf der Piazza Popolo stillhalten, um miteinander zu konversieren. Viele dieser Damen hatte ich schon in den Soireen kennen gelernt, grüßte sie, an ihnen vorüber kurbettierend, und hörte öfters zischeln: „Ecco l’Uffiziale francese chi canta cosi bene!“ Auch die berühmte Angelika Kaufmann sah ich hier einigemal und ließ mich bei ihr einführen; obgleich schon hoch in den Sechzigern und kränklich, war sie doch noch sehr liebenswürdig; da ich aber von ihrer Kunst, der Malerei, sehr wenig oder nichts verstand und dies wie natürlich das Steckenpferd ihrer Unterhaltung war, so wiederholte ich meine Besuche nicht oft. Die geniale Dame starb drei Vierteljahre darauf und wurde mit großem Pomp begraben. Ihr Sarg ward von den berühmtesten Professoren und Künstlern, die sich damals zu Rom aufhielten, abwechselnd getragen; unter ihnen war auch Canova. Zwei ihrer besten Gemälde wurden vor ihrer Leiche hergetragen. Das eheliche Schicksal dieser ausgezeichneten Künstlerin ist sonderbar genug, um hier erwähnt zu werden. Während ihres Aufenthaltes zu London, wo sie Mitglied der Königlichen Kunstakademie war, verliebte sich ein Engländer in sie, dem sie aber kein Gehör schenkte. Dieser brütete nun einen seltsamen und abscheulichen Racheplan aus; er suchte nämlich einen ganz gemeinen, aber körperlich sehr wohlgestalteten Menschen auf, den er gehörig instruierte, mit Geldmitteln versah und der, so ausgestattet, unter dem Aushängeschild eines Grafen die Bekanntschaft Angelikas machen sowie dann um ihre Hand anhalten mußte. Dieser listige Plan glückte vollkommen, und das arme Mädchen war bald die Gattin des rohen Gesellen; als sie sich aber über dessen Gemeinheiten und Rohheiten bitter beklagte, deckte der Urheber dieser Rache selbst den ihr gespielten Betrug auf. Eine baldige Scheidung erfolgte darauf, unter der Bedingung, daß sie ihrem getrennten Gatten eine ansehnliche Pension aussetze, welche dieser aber nicht lange genoß, da er glücklicherweise bald starb. Später heiratete sie in Rom wieder, einen Maler namens Zucchi, den sie ebenfalls überlebte. Im Jahre 1808 wurde ihre Büste im dortigen Pantheon aufgestellt.

Da ich mich jetzt so häufig in Rom, und zwar weit mehr als in Albano aufhielt, so hatte ich mir in der ersteren Stadt ein kleines Logis gemietet, das mir zum Absteigequartier diente und in welchem ich, wenn ich es für gut fand, meine Uniform mit einem schlichten bürgerlichen Kleid vertauschen konnte, was besonders bei meinen nächtlichen Streifereien in der alten Weltstadt ratsam war, wo ich oft auf gut Glück in den damals noch fast gar nicht erleuchteten Straßen herumschwärmte und die Kaffeehäuser, in denen die Damen Eis zu sich nahmen, besuchte. Gegen die Straßenbeleuchtung Roms hatten sich die hohen Geistlichen, namentlich auch die Eminenzen von jeher sehr energisch erklärt, damit man deren nächtliche Schliche und Gänge nicht beobachten oder die hübschen Nipotinnen, die sie abends an ihrer Seite in den Karossen sitzen hatten, nicht sehen sollte. Aber unbewaffnet ging ich nicht aus, da keine Woche verging, in der man nicht von ausgeteilten Dolch- oder Messerstichen hörte, und der Unsinn, daß die Mörder in jeder Kirche, an jedem Madonnenbild, ja in ganzen Quartieren, wie an dem Spanischen Platz und in dem Revier der Inquisition, eine Freistätte fanden, wo sie nicht verhaftet werden konnten, bestand noch in seiner ganzen Kraft. Die Angehörigen oder Freunde der Mörder wußten hier die Verbrecher gewöhnlich so lange zu versorgen, bis sie sie ohne alle Gefahr in Sicherheit bringen konnten.

In der Regel ritt ich erst gegen Morgen nach Albano zurück, wo ich dann wenige Stunden ruhte, den Rapport erhielt, dem Sergeant-Major Verhaltungsbefehle erteilte, die vorgefallenen Disziplinarsachen ordnete, frühstückte, und schon gegen Mittag war ich wieder in Rom. Jedoch gebrauchte ich die Vorsicht, meine Adresse zu hinterlassen, damit man mich von etwa außerordentlichen Vorfällen sogleich durch einen Expressen benachrichtigen konnte.

Von den Theatern war, als ich nach Rom kam, zuerst nur eines, das des Apollo geöffnet, bei dem die ausgezeichnete Festa als Primadonna figurierte; aber gleich nach Neujahr wurde Tordinone zuerst mit einer Opera buffa eröffnet, bald darauf auch Argentina und Aliberti, das größte von allen, mit sechs Galerien, von denen eine jede sechsunddreißig geräumige Logen hat, und das della Valle. Während des Karnevals sind alle täglich bis zum Ersticken angefüllt, ebenso mehrere Marionettentheater, mit deren Darstellungen man es hier sowie in Neapel zu einer staunenswürdigen Vollkommenheit gebracht hat. Maschinerie, Gelenkigkeit der Puppen, Dekorationen, alles harmoniert und ist vollendet schön. So sah ich unter anderem ein Ballett ‚La fierra di Sinigaglia‘ aufführen, wo das Gewühl der Messe auf das täuschendste nachgeahmt war. Mitten unter das Volk sprang ein wütender Stier, der sich von der Fleischerbank losgerissen, die natürlichsten und possierlichsten Sprünge machend, alles über den Haufen rannte, wobei sich das Volk ebenso natürlich in die Häuser flüchtete. Hierauf erschien ein marktschreierischer Zahnarzt, der seinen Sitz auf einer hohen Tribüne nahm und den Leuten vermittelst einer Beißzange die Zähne mit schuhlangen Wurzeln zur großen Freude des Publikums auszog; auch sehr kunstreiche Tänze führten diese vier bis fünf Schuh hohen Marionetten graziös aus. Gewöhnlich sind die Sujets zu diesen Marionettenstücken der Tausend und einer Nacht, während der Weihnachtszeit aber der Bibel und dem Neuen Testament entlehnt; namentlich wird dann die Geburt Christi dargestellt, wobei immer der arme Teufel eine klägliche Rolle spielen muß. Was mich anfänglich am meisten in den Theatern Roms wunderte, war, daß man Geistliche und Mönche in großer Menge in den ersten Reihen unter den Zuschauern sitzen sieht, die sich an all dem Hokuspokus recht zu ergötzen scheinen, ohne daß dies im geringsten auffiele. In den ersten Logenreihen erblickt man Eminenzen in Gesellschaft hübscher Mühmchen und Nipotessen; auch ist es dunkel in den Theatern, da fast nur die Bühnen erleuchtet werden.

Ich lebte nun in der Tat in Albano und Rom ein wahres Schlaraffenleben, an Geld fehlte es mir für den Augenblick nicht, das Legat und die Kommandantur, so unbedeutend sie an und für sich war, versorgte mich reichlich, und der immer vertraulicher werdende Umgang mit der schönen Prinzessin Cesarini, die in ihrem ganzen Tun und Sein und durch ihren glänzenden lebhaften Verstand so unwiderstehlich hinreißend und anziehend war, daß sie mich wie alles, was sie umgab, bezauberte, machte mir meinen Aufenthalt in Rom wirklich zu einem Paradies. Schon längst hatte sie bemerkt, daß ich ihr alle mögliche Aufmerksamkeit schenke, ich bot alle erdenkliche Galanterie auf, mich ihr angenehm zu machen, und brachte es auch endlich dahin, mich ihres besonderen Wohlwollens zu erfreuen. Wahrlich keine Kleinigkeit, da ich die halbe Männerwelt Roms, und unter dieser hohe Prälaten, nicht die am wenigsten Gefährlichen, zu Nebenbuhlern bei dieser berühmten Schönheit hatte, denn Geistlichkeit und Weltlichkeit betete diesen Stern erster Größe in dem Reich der Schönheit an, und nur der Musik, meinem dramatischen Talent, vielleicht auch dem Umstand, daß ich mein Roß auf dem Korso und dem Volksplatz gut zu tummeln verstand und prächtige Lançaden und Kapriolen machen ließ, verdankte ich den Sieg über meine großen und gefährlichen Nebenbuhler und daß die Schöne ihre strahlenden Augen auf mich zu werfen würdigte. Noch ein anderer Umstand, wie sie mir nachher selbst gestand, hatte dazu beigetragen, mich in ihre Gunst zu setzen. Eines Abends kam in einer brillanten Konversation bei Colonna die Sprache auf die Deutschen, von denen man unter mehreren guten Eigenschaften, die sie haben sollten, besonders auch die deutsche Treue (germana fede) in der Liebe hervorhob, und die Frauen versicherten in allem Ernste, ein untreuer deutscher Ehemann sei ein ebenso seltenes Phänomen, als ein treuer italienischer, und einen Deutschen zu verführen, der verheiratet sei oder eine Geliebte habe, dazu gehöre mehr als irdische Schönheit, ja die Allmacht einer Göttin. Wie mußte ich nicht innerlich ob diesen seltsamen Behauptungen lachen, welche wenigstens die Frauen für ganz zuverlässig ausgaben, was für Einwendungen die Männer auch machen mochten. Es grenzt wirklich an das Komisch-Romantische, welche Vorstellungen die Römerinnen, und überhaupt die Italienerinnen, von der deutschen Treue in diesem Punkt haben; sie halten es eher für möglich, einen Strom rückwärts fließen, als einer Gattin den deutschen Mann abspenstig machen zu können. Ich ließ sie natürlich bei diesem Glauben, und während ich ihnen vollkommen beipflichtete und diese fede germana als unerschütterlich bestätigte, versicherte ich ihnen, daß, wenn ich jemals das Glück hätte, eine Geliebte zu besitzen, ich mir sogar ein Gewissen daraus machen würde, eine andere Dame nur anzusehen. Dabei faßte ich die Cesarini, die keine zwei Schritte von mir stand, scharf ins Auge. Man verglich nun die französische Flatterhaftigkeit und den italienischen Leichtsinn mit dieser deutschen Beständigkeit, bedauerte nur, daß die Signori tedeschi nicht mit derselben auch die französische Liebenswürdigkeit verbänden und weniger Phlegma hätten.

„Alles läßt sich nicht vereinigen,“ sagte ich lachend.

„Und dann gibt es ja auch Ausnahmen,“ versetzte die Principessa Cesarini, mich ansehend, und ich verbeugte mich tief.

Es wurden nun andere Gegenstände auf das Tapet gebracht, und ein Teil der Gesellschaft setzte sich zum Spiel nieder; da auch die Principessa Cesarini an dem Spieltisch pointierte, so placierte ich mich ganz in ihre Nähe, besetzte dieselben Karten wie sie und gewann so in kurzem einige fünfzig Zechinen. Sie hatte es gleich anfangs bemerkt und sagte lächelnd zu mir: „Sehen Sie, so geht es, wenn Sie mir folgen, ich bin ein guter Führer,“ und fuhr hieran sotta voce fort: „Wollen Sie die Katakomben besuchen, so finden Sie sich morgen vormittag zu San Sebastian fuori le mura ein, wo Sie einen Führer zu dieser gefährlichen Partie finden werden, der Ihnen vielleicht nicht ganz unangenehm ist.“ – Wie mich diese Worte elektrisierten, vermag ich nicht zu sagen, mein Blut begann zu sieden, und für das Spiel hatte ich weder Augen noch Ohren mehr, ich war dadurch in den dritten Himmel versetzt worden und stand dennoch wie auf glühenden Kohlen. Obgleich Schüchternheit eben nicht mein Fehler war, so hatte ich bis jetzt doch noch nicht einen leisen Händedruck gewagt, nur meine Augen und Artigkeiten mit Worten konnten meine Wünsche verraten haben, und nun sah ich mich mit einem Male und ganz unerwartet an dem Ziel derselben. Gerne hätte ich gefragt: „A che ora, illustrissima?“ Aber es war nicht passend, und ich fand nur noch Gelegenheit, en passant ein „Certo non mancherò!“ ihr zuzuflüstern; ich mußte hier mit der größten Behutsamkeit zu Werke gehen, denn der Lauscher und Aufpasser waren zu viele, wenn es der Herzogin Cesarini galt, die Hunderte von Anbetern hatte, besonders seitdem man wußte, daß sie nicht mehr in sehr großer Einigkeit mit ihrem Gatten lebte. Nach Mitternacht ritt ich nach Albano zurück, um mit dem frühen Morgen schon wieder in Rom sein zu können, wo ich, nachdem ich in dem großen Kaffeehaus auf dem Korso mit Schokolade und pane tedesco[3] gefrühstückt, nach der mir bezeichneten Kirche San Sebastian in fuori le mura fuhr.

III.
Die Katakomben. – San Sebastian fuori le mura. – Das Abenteuer in den Katakomben. – Die Karnevalsfreuden. – Noch ein Mordanfall. – Die junge Witwe. – Antiquar Vasi und seine Tochter. – Canova. – Beendigung des Karnevals. – Die Entführung einer Nonne. – Der Kardinal-Bischof und der Impressario. – Ich werde zum dritten Bataillon versetzt. – Herzbrechender Abschied und Abreise von Rom.

Eine ziemliche Strecke vor den Mauern Roms, etwas rechts von der Via Appia, liegt die Kirche des heiligen Sebastian fuori le mura, bei der man zu dem größten Grab der Erde, den Katakomben Roms hinabsteigt, denn nur das Meer mag eine größere Menge von Leichen bergen; ein finsteres Labyrinth, dessen endlose Irrgänge noch kein Sterblicher genau ermessen konnte, die wenigstens sechs Miglien im Umfang haben müssen, sich nach allen Seiten hin unter Rom verlieren und mit noch anderen unterirdischen Gewölben und kleinen Katakomben in Verbindung stehen. Bald kommt man durch schmale, enge Gänge, in denen keine zwei Personen nebeneinander Raum haben, bald befindet man sich in schauerlichen, mit Schädeln und Knochen angefüllten Gewölben, in denen nicht selten unabsehbare Abgründe, Löcher und Gruben vorhanden sind, weshalb man ohne Fackeln oder Laternen und Führer nicht wagen darf, diese Souterrains zu betreten. Viele Tausende der ersten Christen fanden hier ihr Grab, und die Knochen von nicht weniger als 170000 Märtyrern sollen hier liegen, ohne die der gewöhnlichen Toten zu rechnen.

Es war kaum acht Uhr des Morgens, als ich mich schon unter der Tür der San Sebastianskirche harrend befand und mit unbeschreiblicher Sehnsucht meine Blicke dem Weg nach Rom zuwandte, von wo mir die höchste Glückseligkeit kommen sollte. Mit so großer Ungeduld und so heißem Verlangen hatte ich noch nicht auf die Erscheinung einer geliebten Dame gewartet, als diesen Morgen, der mich unnennbar glücklich machen sollte. Wäre mir in diesem Augenblick die heilige Jungfrau in ihrer ganzen Glorie selbst erschienen, so hätte dies schwerlich eine so entzückende Wirkung auf mich gemacht, als das Kommen der heißersehnten Prinzessin Cesarini, auch zitterte ich, daß es unterbleiben möchte.

Nach beinahe zwei Stunden Harrens sah ich endlich einen unansehnlichen altmodischen Fiaker ziemlich langsam von Rom aus antraben, so daß ich zweifelte, daß dieser den mir so teuren Schatz enthalten könne. Bald hielt er vor der Kirchentür still, und zwei verschleierte Frauengestalten, von denen die eine einen göttlichen Wuchs verriet, entstiegen dem alten Rumpelkasten und traten in die Kirche. Sie ist’s, flüsterte mir mein Genius zu, und sie war es. Schnell eilte ich, als mir kein Zweifel übrig war, an den Weihkessel, mich tief verneigend ihr das Wasser reichend, das sie, den Schleier zurückwerfend, mir auf das freundlichste abnahm, indem sie mir ein „Ben venuto“ mit einem vielsagenden Blick zuflüsterte. Sie kniete nun mit ihrer Begleiterin nieder, und nachdem sie ein kurzes Gebet verrichtet hatte, stand sie auf, drehte sich zu mir um – ich hatte dicht hinter ihr Platz genommen – und sprach: „Nun kommen Sie, wir wollen in die Katakomben hinabsteigen.“ – Ich winkte dem Kustoden, der, schon von mir unterrichtet, eine Fackel brachte und auch mir eine angezündete Kerze reichte. Wir folgten unserem Führer und stiegen durch die sich in der Nähe der San Sebastian-Kapelle befindliche Tür in das unermeßliche Totenreich hinab. Auf der Treppe angekommen, reichte ich der schönen Fürstin die Hand, deren Berührung mich durch Mark und Bein elektrisierte; ihre Begleiterin, eine gefällige Freundin und vertraute Gesellschafterin, mußte auf ihr Geheiß mit einem Laternchen vor uns und dicht hinter unserem Führer gehen. Unten in dem ersten Gang angekommen, drückte ich die in der meinigen ruhende Hand beinahe zitternd an mein schon hochpochendes Herz und dann auf den Mund einen Feuerkuß, streifte aber dabei mit der Kerze an die Mauern, so daß ihr Licht schnell erlosch.

Unser Führer eilte indessen unaufhaltsam voran, und bald wurden die Gänge so eng, daß wir nicht mehr nebeneinander gehen konnten, ohne uns fest aneinander zu schmiegen, und nun schlang ich meinen Arm um die schönste und schlankste aller Taillen Roms, die ich mit jedem Schritt vorwärts fester und inniger an mich drückte, so daß bald ein glühendes Feuer alle meine Adern durchzuckte, meine Pulse beben machte, und als ich endlich den Führer mit der ihm folgenden Schönen, denn häßlich war der Prinzessin Begleiterin nicht, in ziemlicher Entfernung von uns sah – ich war absichtlich langsam gegangen –, da wagte ich einen langen Kuß auf den niedlichsten Rosenmund, den ich noch gesehen, und die reizende Nymphengestalt fester und fester an mich zu drücken; ich fühlte den Kuß mit brennenden Lippen erwidert und ein klopfendes Herz an meinem Busen pochen. Mehrere Sekunden blieben wir in dieser Stellung und würden Minuten und Viertelstunden so verweilt haben, wenn nicht der Kustode, immer von Märtyrern und Heiligen faselnd, endlich stillgestanden wäre und sich nach uns umgesehen hätte, um uns auf die Inschrift eines Steins aufmerksam zu machen. Als er sah, daß ich kein Licht mehr hatte, rief er mir zu: „Was ist Ihnen begegnet, Ihre Kerze brennt ja nicht mehr.“

„Hat nichts zu sagen, Signor; ein Windzug hat sie gelöscht, nur immer vorwärts.“

Nun hielt er wieder an, um uns einen Haufen Knochen zu zeigen, lauter heilige Märtyrerknochen, von denen etwas wegzunehmen bei Strafe des Kirchenbannes verboten war. Niemand von uns spürte einige Lust, sich diesem auszusetzen, und wir ließen die Knochen unberührt. Es ging weiter die Kreuz und die Quere in diesem Knochenlabyrinth, in dem ich endlich so weit mit meiner schönen Principessa zurückblieb, daß wir zuletzt Fackel- und Laternenschein, die sich in den krummen Seitengängen verloren, aus dem Gesicht bekamen und, Aphroditen huldigend, den Hauch der Liebe in vollen Zügen atmend, uns so ganz vergaßen, daß es uns nicht im entferntesten in den Sinn kam, daß wir hier Gefahr liefen, wenn wir unseren Führer verlieren möchten, das Tageslicht nicht mehr zu schauen. Nach einigen Minuten ließ jedoch der gute Mann seine Stimme mehrmals kreischend erschallen, aber wir waren in diesem Augenblick ganz außerstande, ihm zu antworten, da der Mund des einen dem des anderen ein absolutes Stillschweigen auferlegte und mit Glutküssen bedeckte. Endlich fanden wir die Sprache wieder, aber die Stimme des Kustoden war jetzt verstummt, und nach gepflogener Götterlust war es uns doch nicht so ganz einerlei, uns ohne Führer und Licht in diesen stockfinsteren unterirdischen Irrgängen zu befinden.

„Das wäre die Lust zu teuer gebüßt,“ meinte Gertrude (der Taufname der Prinzessin), halb scherzend, halb ernst, „wenn wir zur Strafe hier verhungern sollten.“

„Dahin soll es nicht kommen, mia dolcissima,“ erwiderte ich und schrie nun aus vollem Halse mit einer Donnerstimme: „Signor Kustode! Signor Kustode!“

Aber alles blieb still und stumm.

Ich wiederholte mein Rufen, keine andere Antwort, als der Widerhall meiner Stimme.

„Das beginnt bedenklich zu werden,“ meinte die Cesarini.

„Bewahre der Himmel,“ versetzte ich; „wie, wenn es dem Herrn Kustode eingefallen wäre, sich einstweilen so auf seine Faust mit Ihrer hübschen Begleiterin zu verlustieren?“

Die Cesarini lachte und sagte: „Wo denken Sie hin; der Kustode der heiligen Märtyrer ist schon ziemlich betagt und Bianchetta auch nicht mehr in der ersten Jugendblüte.“

„Das will nichts sagen, im Gegenteil ein Grund mehr für beide, sich gegenseitig zu trösten.“

„Allen Scherz beiseite, mir fängt an bange zu werden.“

Die Wahrheit zu gestehen, fing es auch mir an, nicht ganz wohl bei der Sache zu werden, da mein mehrmals wiederholtes starkes Rufen noch immer ohne Erfolg blieb und von allen Todesarten mir das Verhungern oder Lebendigbegrabenwerden die schrecklichste schien; doch tröstete ich mich, in diesem Fall wenigstens in den Armen der Liebe eines Engels und mit demselben zu sterben.

Unsere Lage wurde aber immer bedenklicher, denn wir konnten nur mit der äußersten Vorsicht einen Schritt vor-, rück- oder seitwärts wagen, aus Furcht, in eine der Gruben oder Abgründe zu fallen. Wir schmiegten uns nun inniger aneinander und hielten uns so fest umschlungen, daß wir nur noch ein Leib und eine Seele schienen, die Furcht schwand abermals in einem seligen Vergessen, aus dem aber das Erwachen um so ängstlicher war, da immer noch kein Kustode und kein hoffnungsvoller Lichtstrahl erscheinen wollte. Jetzt verdoppelte ich mein Rufen und Schreien, wir schritten endlich aufs Geratewohl vor- oder rückwärts, jedoch mit aller Behutsamkeit mit den Händen längs den Wänden streifend, denn ich hatte weder Stock noch Degen, da ich, um Aufsehen zu vermeiden, in Zivilkleidern gekommen war. Es mochten etwa drei Viertelstunden sein, abwechselnd Augenblicke der höchsten Wonne und der höchsten Pein, und nachdem ich mich matt und heiser geschrieen und meine schöne Gefährtin schon einen Strom von Tränen aus ihren holden Augensternen, die mir aber jetzt nicht leuchteten, vergossen hatte, als wir plötzlich einen Lichtstrahl in weiter Ferne gewahrten, der aber auch ebenso schnell wieder verschwand, so daß ich nicht einmal Zeit zum Rufen gehabt. Jetzt schrie ich aus allen Kräften, und wir hatten das Vergnügen, den Strahl zum zweitenmal zu erblicken; endlich wurden wir gehört, und immer schreiend näherten wir uns dem Licht, aber erkannten bald, daß dasselbe nicht unserem Kustode und seiner Begleiterin angehörte, sondern einer anderen Gesellschaft von Fremden, die ebenfalls die Katakomben mit einem Führer besuchten.

„Mein Gott, wenn es nur keine Personen sind, die mich kennen,“ rief die Principessa aus.

„Und wenn auch, immer noch besser, dem Teufel selbst hier zu begegnen, als so elend umzukommen.“

Als wir uns der Gesellschaft näherten, erkannte ich die Familie des dänischen Gesandten, der in Albano wohnte, wandte mich an den Führer, um meine, wie ich sagte, durch den Wind ausgelöschte Kerze anzuzünden, und erzählte den dänischen Fräuleins, daß mich und die fremde Dame – die Prinzessin hatte ihren dichten Schleier herabgezogen und hielt sich möglichst im Düstern, um nicht erkannt zu werden – ein unglücklicher Zufall von unserer Gesellschaft getrennt habe. Ich bat um die Erlaubnis, uns anschließen zu dürfen, was freundlich gewährt wurde. Nachdem wir der Gesellschaft stumm durch einige Gänge gefolgt waren, kam plötzlich unser Kustode aus einem Seitengange mit Bianchetta zum Vorschein, und wir verließen dankend die Dänen, erfreut, nicht genötigt zu sein, uns vielleicht noch lange in ihrem Gefolge hier herumtreiben zu müssen.

Als wir allein waren, sagte der Führer, daß sie uns schon seit einer Stunde mit der größten Angst und Sorgfalt, ebenfalls beständig schreiend und rufend, gesucht hätten und Bianchetta bereits der Verzweiflung nahe gewesen sei. Froh, uns so wieder gefunden zu haben, schlugen wir jetzt den kürzesten Weg nach der Oberwelt ein und waren alle entzückt, als wir das Tageslicht erblickten. Die beiden Damen verrichteten abermals ihr Gebet vor einer Madonna, deren Schutz sie sich inbrünstig empfahlen, und eilten sodann nach dem sie erwartenden Wagen.

„Und wann und wo werden wir uns wiedersehen?“ fragte ich, meine Schöne an den Wagen geleitend.

„Finden Sie sich um ein Uhr nach Sonnenuntergang in der Kirche della Trinità de Monte ein.“

Sie fuhr mit dem Fiaker nach der Wohnung ihrer Freundin Bianchetta, von wo sie sich durch ihre Equipage, die sie auch dahin gebracht hatte, damit man ihr nicht auf die Spur kommen konnte, wieder abholen ließ.

Daß ich auch das zweite Rendezvous nicht verfehlte und mich schon eine halbe Stunde früher in Trinità de Monte einfand, kann man sich denken. Um es bequemer zu haben, nahm ich mein Pranzo (Mittagessen) bei einem Restaurateur auf dem Spanischen Platz gegen Abend ein, wartete nach diesem, auf einer Ottomane behaglich ruhend, im Vasi lesend, ohne zu wissen, was ich las, Zeit und Stunde ab und verfügte mich dann in die mir angegebene Kirche, wo mir meine Ungeduld die Zeit so lang werden ließ, daß ich abermals an dem Kommen meiner Dame verzweifelte. Doch sie fehlte auch diesmal nicht, kam aber allein, unterließ nicht, ihre kurze Andacht zu verrichten, worauf sie mir ein Zeichen gab, ihr zu folgen. Wir bestiegen einen auf dem nahen Spanischen Platz haltenden Fiaker und fuhren nach der Kirche San Nicolo a Cesarini, die sich ganz nahe bei dem Palazzo Cesarini befand, unterwegs gaben wir uns die unverkennbarsten Zeichen unserer gegenseitigen Zuneigung, und sie teilte mir mit, daß sie mich in ihren Gemächern empfangen wolle. Wir stiegen in der Nähe der Kapelle Cesarini ab, traten, jedoch nicht zusammen, in dieselbe ein, und sie verließ mich bald darauf, sich durch eine kleine Tür entfernend, nachdem sie mir noch in dem Wagen gesagt hatte, daß ich einer Donzella folgen solle, die mir in der Kapelle das Zeichen dazu mit einem blauen Tuch geben würde. Es dauerte nicht lange, so trat ein solches Mädchen durch die kleine Tür ein, kniete ein paar Augenblicke betend nieder, erhob sich dann, das bewußte Tuch in die Höhe und vor das Gesicht haltend, und ich folgte dem leitenden Genius durch den Ausgang, den er gekommen war. Aus der Kapelle traten wir unbemerkt in den Palazzo, gingen eine ziemlich finstere Treppe hinan, durch eine Reihe von Stanzen, ebenfalls nicht erleuchtet; endlich öffnete Priscilla, der Name der Zofe, die Tür eines durch eine Alabasterlampe nur düster erhellten Zimmers, wo sie mich eine kleine Weile zu warten bat, da ihre Herrin, die noch Besuch habe, dessen sie sich bald zu entledigen wissen werde, in wenigen Minuten erscheinen würde. Hierauf ließ sie mich allein. Trotz der Sehnsucht, mit der ich diese Erscheinung erwartete, kam mir doch in meiner Einsamkeit der Gedanke, wie leicht es möglich sei, daß ich hier vom Herzog oder durch von ihm angestellte Leute überfallen werden und, da ich durchaus unbewaffnet, mich nicht einmal verteidigen könnte. Ich nahm mir vor, mich den anderen Tag mit einem Stockdegen zu versehen und bei solchen Gelegenheiten auch immer ein paar geladene Terzerolen in der Tasche zu tragen, was in Italien bei dergleichen Intrigen unumgänglich notwendig ist, um sich, wenn man überfallen wird, gehörig verteidigen zu können; denn wenn es auch längst keine zünftigen Banditen, wie sie uns in so vielen Romanen und in Zschokkes Abällino geschildert werden, mehr gab, so ist doch nicht zu leugnen, daß man in Rom für Geld, ohne viel zu suchen, leicht ein paar Kerle dingen kann, die einen Menschen mit dem größten Anstand, noch größerer Gewandtheit und dem besten Humor von der Welt durch ein paar gut treffende Messerstiche in die andere Welt spedieren. Würde man aber in Rom, Venedig, Genua und so weiter nach jenen handwerkszünftigen Roman-Banditen fragen, so würde man sich ebenso lächerlich machen, als wenn man sich in Köln, Koblenz oder Mainz nach den Raubrittern erkundigte, welche von ihren Burgen den reisenden Kaufleuten auflauern, um sie zu überfallen und zu plündern, und sich deshalb ein Geleit ausbitten wollte. Beide gehören vergangenen Zeiten an. An Straßenräuberbanden fehlte es indessen nicht, namentlich im südlichen Teil des Kirchenstaates und im Königreich Neapel, doch wußten wir auch diesen bald das Räuberhandwerk zu legen.

Bald den Banditengedanken Raum gebend, bald an die Heißersehnte denkend, ging ich unruhig in dem düsteren Gemach auf und nieder, bei dem geringsten Geräusch die Ohren spitzend. Jetzt knarrte und öffnete sich leise eine Tapetentür, und Madonna trat in einem blendend weißen faltenreichen Gewand herein. Ich wähnte Ariosts Alcine zu erblicken, so reizend nahm sich diese Erscheinung in dem chiaroscuro aus. Sie schloß die Tür hinter sich und lag in meinen Armen, ich umschlang sie glühend und sank mit ihr auf die schwellenden Kissen einer seidenen Ottomane. Ich glaube, wenn Rom in diesem Augenblick durch ein Erdbeben untergegangen wäre, wir hätten in unserem Dahintaumeln nichts davon wahrgenommen, sondern stöhnten nur in abgebrochenen Silben: carissima, dolcissima, angelina. Rom blieb aber stehen, wenn schon die Ottomane gewaltig erschüttert wurde, bis wir endlich nach drei Viertelstunden wieder eine zusammenhängende Sprache fanden.

Bei Sinnen und etwas abgekühlter, fragte ich Gertrude, ob sie sich auch hier vollkommen sicher glaube, da ich unbewaffnet, und ob kein Überfall vom Herzog zu befürchten sei. – „Oh, der Herzog,“ fiel sie mir lächelnd ein, „der fragt nichts mehr nach mir, ich bin ihm so gleichgültig und gleichgültiger wie die schlechteste Statue seines Palastes, gräme mich aber deshalb nicht im mindesten, wie ich es anfänglich getan; wir gehen jetzt jedes seiner Wege, ohne daß sich eines um das andere kümmert. Es sei fortan nicht mehr die Sprache von ihm, caro Fernando.“ Sie fiel mir um den Hals, und ich küßte und tröstete sie abermals. – „Doch,“ fing sie später wieder an, „wenn wir auch nichts von meinem Manne zu fürchten haben, so mußt du dennoch auf deiner Hut sein, anima mia, denn du hast Nebenbuhler, die wir weit mehr zu fürchten haben. Dies der Grund, warum ich unser intimes Verhältnis möglichst geheim zu halten suche, sonst läge mir wenig daran, daß es die ganze Stadt wüßte, ich wäre im Gegenteil noch stolz darauf. Aber da ist der Kardinal L..., wenn auch ein starker Vierziger, der Marchese T..., der Conte G... und noch ein paar Dutzend andere Kavaliere und Prälaten, die mich mit ihrer widerlichen Liebe und ihren Nachstellungen verfolgen und die ich alle bisher zum besten gehabt oder mit Spott und Verachtung zurückgewiesen habe. Aber ich kenne diese Menschen ganz: ahnen sie in dir den von mir begünstigten Geliebten, so sind mehrere unter ihnen, deren Rachsucht keine Grenzen kennt, und ich muß dann jede Minute für dein Leben fürchten. Ohne diese Furcht würde ich dich bitten, mich von jetzt an nicht mehr zu verlassen und mich allenthalben und an jeden öffentlichen Ort zu begleiten, denn ich möchte dich gerne gleich meinem Schatten um mich sehen, ohne mich im mindesten nach dem Gerede der Leute zu kehren, was ohnehin hier, wo jeder in dieser Hinsicht, Geistlicher wie Weltlicher, ganz nach Lust und Gefallen lebt, nichts sagen will. Als französischer Offizier betrachtet man dich mit doppelt mißgünstigen Augen. Deshalb, wenn du mich liebst, wenn dir dein und mein Leben wert ist, gehe nur mit der größten Vorsicht zu Werke und nimm dich in acht, in der Gesellschaft nie mehr als die gewöhnlichen Höflichkeitsbezeugungen, die man gegen jede Dame beobachtet, auch mir zu erweisen.“ Ich versprach, was Gertrude begehrte, und erhielt dagegen die Versicherung von ihr, daß sie es wohl zu veranstalten wissen werde, daß selten ein Tag verginge, an dem wir uns nicht insgeheim sehen und sprechen würden. So geschah es auch, denn außer, daß sie mich häufig in der Abendzeit in ihren Gemächern empfing, machten wir auch nächtliche Promenaden in dem ödesten Teil der Stadt, wo die alte Römerwelt gehaust, zwischen den Trümmern, Gräben und Gärten derselben. Mehr als einmal betrachteten wir erstaunt im Mondschein das Kolosseum, die Ruinen des Friedenstempels und auch den Petersplatz, die sich dann unendlich größer und imposanter ausnehmen.

Die eingetretene Karnevalszeit begünstigte unser häufiges Zusammensein außerordentlich, und bald in türkischem, bald in spanischem und anderen Kostümen fuhren wir des Nachmittags über den Korso und durch die anderen Straßen Roms in Mietwagen oder gingen auch bisweilen zu Fuß, restaurierten uns in Kaffeehäusern und kehrten nicht selten erst gegen Morgen heim, wobei Bianchetta und Priscilla, die zwei Vertrauten unseres Einverständnisses, alle Hindernisse aus dem Weg räumen halfen, was übrigens in der Karnevalszeit nicht schwer war, da sich dann die römischen Damen der unbeschränktesten Freiheit zu erfreuen haben. Die Donzelleta kleidete ihre Gebieterin oft in meinem Absteigequartier in persische oder indische Gewänder, während sie den Palazzo im Kolombinenkostüm verlassen hatte und ich einen Tartarenfürsten vorstellte.

Ich hatte unterdessen auch die Bekanntschaft eines wegen einer unbedeutenden galanten Krankheit im Lazarett zu Rom, einem wahren Palast in der Nähe des Petersplatzes, in dem die kranken Offiziere fürstlich bedient wurden und wohnten, befindlichen Dragonerleutnants namens Bonnier in einem Kaffeehause gemacht und denselben mehrmals wiedergesehen. Wir schlossen bald engere Freundschaft, und er erwies mir bei meinen Intrigen zu Rom mehr als einmal wesentliche Dienste durch Wachehalten, Patrouillieren und so weiter, wenn ich mich an gefährlichen Orten befand, was ich ihm durch einen außerordentlichen Dienst, den ich ihm leistete, wieder vergalt, wie wir bald sehen werden.

Indessen wird nichts so fein gesponnen, es kommt an die Sonne, sagt ein deutsches Sprichwort und sollte sich auch hier bewähren; denn trotz aller List, Vorsicht und Verschlagenheit kam ein junger Abbate, Anverwandter des Hauses Cesarini, unserm Verhältnis auf die Spur, ohne es geahnt zu haben. Hier war es nicht die Rache verschmähter Liebe oder eines zurückgewiesenen Liebhabers, die ihn antrieb, die geheimen Gänge seiner Cugina zu erforschen, ihr nachzustellen und Fallen zu legen, sondern ein gekränkter Familien- und Adelsstolz, den er wie die ganze Verwandtschaft des Cesarini besaß, die ihre Abstammung nicht weiter als bis zu Cäsar selbst zurückzuführen suchte, von dem aber auch kein männliches Glied ein Äderchen hatte. Diese Verwandtschaft konnte es dem Fürsten Francesco, dem Gatten Gertrudens, nicht vergeben, das alte, wenn auch faule Haus der Cesarini mit unedlem Bürgerblut vermischt und verunreinigt zu haben, wie sie sich auszudrücken beliebte. Das war wohl mit ein Grund, daß sich die junge Frau in dieser Familie so unglücklich fühlte, und ihr Gatte, von seinen Verwandten fortwährend angeregt, sie so bald vernachlässigt hatte. Der Abbate schöpfte zuerst Verdacht, weil seine schöne Cugina während dieses Karnevals nicht wie in den vorhergehenden Jahren jeden Nachmittag den Korso in prächtiger Equipage und brillantem Kostüm auf- und niederfuhr, um dort die Huldigungen der großen und eleganten Welt zu empfangen und alle Blicke auf sich zu ziehen, sondern sich kaum einigemal daselbst auf kurze Zeit hatte sehen lassen, was nicht allein ihm, sondern allgemein auffiel, da man sie als eine der ersten lebenden Zierden Roms ungern vermißte. Im allgemeinen schrieb man es jedoch dem Mißverständnis mit ihrem Gatten, das bekannt war, zu. Eines Abends, als wir maskiert in einem Wagen den Korso verlassen hatten, um uns in meine Wohnung zu begeben, daselbst die Kostüme zu vertauschen und spanische Trachten anzulegen, in denen wir ein Festino besuchen wollten, hatte ich bemerkt, daß uns eine Maske in dem Anzug eines peruanischen Sonnenpriesters in einiger Entfernung gefolgt war und stille stand, uns nachsehend, als wir in das Haus traten, in dem ich mein Absteigequartier hatte. Ich teilte es der Cesarini mit, die mir ein gleichgültiges: „non sarà niente“ erwiderte. Ich hatte meinen Spanier schon angezogen, aber die Herzogin konnte mit ihrem Kostüm nicht fertig werden und beschloß nun, sich als Kolombine, was ihr so allerliebst stand, zu kleiden und einen Rosa-Domino über diesen Anzug zu werfen. Als der wiederbestellte Fiaker kam und wir in denselben steigen wollten, bemerkte ich in geringer Entfernung wieder den Sonnenpriester, sowie, daß, als wir abfuhren, sich zwei als türkische Sklaven verkleidete Masken hinten auf den Wagen schwangen. Ich rief dem Kutscher zu, die beiden Kerls herunterzupeitschen, wozu er aber den Mut nicht hatte, sondern sie nur ziemlich höflich ersuchte, herabsteigen zu wollen, wovon sie aber keine Notiz nahmen, sondern blieben ruhig hinten sitzen. Einen Straßenskandal wollte und mußte ich vermeiden und befahl dem Kutscher, nach einem kurzen Umweg wieder an meiner Wohnung vorzufahren. Die Cesarini sagte mir, sie vermute, daß dies Nachstellungen von dem jungen Sforza seien, dessen Gestalt auch der Priester gehabt. Angekommen, sprang ich aus dem Wagen und rief meinem Burschen Louis, der mutig und gewandt weder Gefahr noch Händel fürchtete, von denen ich ihn eher zurückzuhalten als dazu anzufeuern hatte. Diesem befahl ich, sich hinten aufzusetzen. Die beiden Türkensklaven waren, während ich aus dem Wagen sprang, gleichfalls hinten abgesprungen und standen wieder observierend in einiger Entfernung. Leutnant Bonnier hatte sich auch in meiner Wohnung eingefunden, um daselbst eine Zeitlang zu verweilen, wie er die Gewohnheit hatte. Ich sagte ihm mit einigen Worten, daß uns ein paar verdächtige Masken verfolgten. Als ich nun wieder abfahren wollte, trieben die Kerls die Frechheit so weit, sich abermals neben Louis hintenaufsetzen zu wollen, dieser aber stieß den ersten mit einem so kräftigen Fußtritt zurück, daß er hinterrücks niederfiel, und dem zweiten drohte er mit seinem derben Knotenstock, so daß dieser sich nicht mehr zu nahen wagte. Wir fuhren jetzt auf mein Geheiß in möglichster Schnelle auf die Piazza Kolonna, wo wir ausstiegen, in, einer Masken-Bodega weite graue Kambridgemäntel überwarfen, weiße Larven vormachten, schwarze Federhüte aufsetzten und so mehrere Festini und Theater besuchten. Nach Mitternacht brachte ich meine teure Amica in ihren Palazzo zurück, wo sie die getreue Zofe an der kleinen Pforte empfing und von wo ich mich zu Fuß in meine Wohnung begeben wollte. Ich mochte ungefähr noch einige dreißig Schritte von derselben entfernt sein, als ich von zwei verlarvten Kerls angefallen wurde, in deren Händen blanke Dolche schimmerten; etwas dergleichen vermutend, hatte ich schon den Degen gezogen, noch ehe sie mir an den Leib konnten, und ein gespanntes Terzerol in der linken Hand. Die Kerls, hierdurch stutzig gemacht, schienen sich einen Augenblick zu besinnen, versuchten indessen doch mit ihren ziemlich langen Dolchen auf mich einzudringen, ich versetzte aber einem derselben einen Hieb auf die rechte Hand, daß er das Messer schnell und mit einem Schrei zur Erde fallen ließ, der zweite wagte es nun nicht, auf mich loszugehen, sondern gab Fersengeld. Ich sah noch einen dritten, der sich bis jetzt verborgen, eine passive Rolle gespielt hatte und nun ebenfalls Reißaus nehmen wollte, dem ich aber nacheilte und einen tüchtigen Hieb auf den Kopf versetzte, so daß er mit einem lauten: „Ajuto, ajuto!“ davon zu springen versuchte, aber meinem Louis und Bonnier, die, den Lärm hörend, beide bewaffnet gerannt kamen, in die Hände fiel. Ich wollte den Kerl auf die nächste Wache bringen, er fiel mir aber zu Füßen, bat flehentlich um Gnade, ein Illustrissima, Eccellenza, Monsignore nach dem anderen stammelnd und mit einem „fatemi grazia voglio tutto confessare“ endigend.

Unter der Bedingung, daß er mir die volle und ganze Wahrheit haarklein gestehe, versprach ich, ihn nach seinem Geständnis laufen zu lassen, bemerkte aber, daß, wenn er von mir auf der geringsten Lüge ertappt würde, ich ihn ohne weiteres nach Albano transportieren ließe, um ihn dort vor ein Kriegsgericht zu stellen und erschießen zu lassen, denn ich sei der Kommandant von Albano. Dies wirkte, der dumme Teufel glaubte in allem Ernst, daß dies in meiner Gewalt stünde, und rief aus: „Ah in che malanno mi sono precipitato.“ Wir nahmen ihn nun zwischen uns, führten ihn in meine Wohnung, um daselbst ein förmliches Verhör mit ihm vorzunehmen. Hier gestand er, daß er mit noch ein paar anderen seines Gelichters wirklich vom jungen Sforza gedungen worden, mir für einhundertundfünfzig Zechinen das Lebenslicht auszublasen, er sei aber ein Galantuomo, der kein Mestiero von solchem Handwerk mache und sich nur deshalb habe verleiten lassen, weil man ihm gesagt, ich sei ein französischer Vagabund, ein Glücksritter und Ketzer, den in die andere Welt zu spedieren ein Verdienst um die Jungfrau sei, er sähe aber wohl ein, daß man ihn hintergangen habe; denn er würde es nimmer gewagt haben, seine Hand an einen Signor Uffiziale und gar an die geheiligte Person des Kommandanten von Albano zu legen. Der arme Teufel, der ziemlich viel Blut aus der Kopfwunde, die ich ihm beigebracht, verlor, wurde zuletzt ganz matt und schwach. Ich ließ ihm etwas Wein geben und Louis verband ihm, nachdem er die Haare an dieser Stelle abgeschnitten und die Wunde gehörig ausgewaschen hatte, dieselbe. Noch immer hatte er Angst, daß ich ihn nach Albano bringen und dort erschießen lassen werde. Ich suchte ihn zu beruhigen, stärkte ihn mit noch einigen Gläsern Albanerwein, und kündigte ihm dann an, daß es ihm freistünde, hinzugehen wo er wolle. Diese Großmut hatte er nicht erwartet, und es kostete Mühe, ihn davon zu überzeugen. Er war dadurch so gerührt, daß er sich mir abermals zu Füßen warf und sich ganz zu meiner Disposition stellte, indem er sagte, der junge Sforza sei ein gran birbone, der ihn betrogen, und daß er mir fortan von allem Nachricht geben wolle, was derselbe noch gegen mich im Schilde führen möge, so daß ich, gehörig präveniert, immer meine Maßregeln nehmen könne. Der Kerl hielt wirklich Wort und warnte mich, sich fortwährend in Sforzas Vertrauen erhaltend, vor allen Fallstricken, die der Cesarini und mir von dieser Seite gelegt werden sollten, so daß wir sie durch unsere Gegenminen immer nichtig zu machen wußten, was jenem unerklärbar war, und er unbegreiflich fand. Sforza war einer der gefährlichsten Feinde der Cesarini und glaubte sich als naher Verwandter des Herzogs Francesco zurückgesetzt, auch hatte ihn Gertrude immer in gehöriger Entfernung zu halten gewußt, und da er durch seine Spione endlich Wind von dem Verhältnis, indem wir miteinander stehen müßten, erhalten hatte, so warf er nun seine ganze Wut auf mich. Ich fand aber für gut, dies alles zu ignorieren und nur immer mehr auf meiner Hut zu sein, was jetzt nicht mehr schwer war, da sein Hauptagent in meinem und Gertrudens Sold stand und wir denselben reichlich beschenkten. Nur einmal ließ ich mich verleiten, bei einer Abendgesellschaft im Palast des Fürsten Oldeschalchi im Vorübergehen die Worte: „Die Zeit ist nicht mehr fern, wo alle Banditen und Meuchelmörder den Galgen zieren werden,“ mit großem Nachdruck an Sforza zu richten. Monsignore schien etwas verlegen, zwang sich zu lächeln, aber seine Lippen bebten, versagten ihm diesen Dienst, und das Lächeln artete in ein konvulsivisches Verzerren des ganzen Gesichts aus.

Unbekümmert über diese Nachstellungen, fuhren wir nach wie vor fort, uns den Vergnügungen zu überlassen; die Cesarini selbst versicherte mich, daß ich dem Menschen nun unbedingt alles Zutrauen schenken könne; denn dies läge im Charakter eines braven Römers, besonders wenn man so wie wir von Zeit zu Zeit seinen guten Willen durch kleine Regali anfeuerte. Ja er trieb seine Ehrlichkeit so weit, daß sich sein zartes Gewissen Skrupel machte, solche Geschenke anzunehmen, da er uns eigentlich noch keine reellen Dienste geleistet habe.

Es waren nun schon beinahe zwei Monate vergangen, daß ich mit der Cesarini auf dem vertrautesten Fuß lebte und ihr ganz treu geblieben war, aber ewig konnte es nicht dauern, dies war wider meine Natur und lag nun einmal nicht in meinem Charakter. Im Theater Aliberti machte ich eines Abends die Bekanntschaft einer noch ganz jungen, kaum siebzehnjährigen Witwe namens Vernetti, die ihren Mann erst vor wenigen Monaten, und zwar schon vier Wochen nach der Hochzeit, verloren hatte. Ich befand mich diesen Abend zufällig allein im Theater, Gertrude, an Migräne leidend, hütete Bett und Zimmer. Die blutjunge Frau hatte noch eine ältere Schwester und beide einen alten Herrn, ihren Oheim, bei sich. Das Ungefähr führte mich in eine Loge mit den Damen, die ich beide noch für Mädchen hielt. Ich war erstaunt, als ich erfuhr, in der jüngsten schon eine Witwe zu finden. Eine Unterhaltung war bald angeknüpft, das Theater selbst lieferte den Stoff dazu; ich erlaubte mir, den Damen einige Erfrischungen anzubieten, die mit Dank akzeptiert wurden, und so war die Bekanntschaft schnell gemacht; nicht nur erhielt ich die Erlaubnis, die Signora in Begleitung des Oheims nach Haus geleiten, sondern auch die, ihr am anderen Tage meine gehorsamste Aufwartung machen zu dürfen. Ich wurde auf das freundlichste empfangen, die ältere unverheiratete Schwester, auch ein recht hübsches Mädchen, wohnte seit dem Tode ihres Schwagers mit der jungen Witwe zusammen, beide sangen artig, spielten, wie alle Römerinnen, Gitarre und Mandoline, wir musizierten, scherzten, es dauerte nicht lange, so küßten wir auch, und bald brachte ich fast alle meine Vormittage hier zu, während ich die Nachmittage und den Abend noch immer meistens der Cesarini widmete. Diese Abwechslung war mir sehr wohltuend; denn das ewige Einerlei, und wenn es auch toujours perdrix ist, tötet, sobald der Reiz der Neuheit vorüber ist, und macht jeder ewigen Liebe ein baldiges Ende.

Meine neue Bekanntschaft, die Signora Vernetti, war wieder von einer allerliebsten Naivität und in der Blütezeit einer eben aufbrechenden Rose, sie hatte sehr regelmäßige, schöne Züge, und dennoch viel Ausdruck im Gesicht, Hals und Nacken waren ganz zum Küssen geschaffen. Schon in den ersten Tagen entdeckte sie mir, daß sie sich schon beinahe seit drei Monaten in der Hoffnung befände und sich ihre Taille zu runden beginne, weshalb wir uns ohne alle Gefahr für sie ganz den innigsten Vergnügungen der Liebe hingeben könnten. Das gute Kind hatte mir ohne Zweifel diese Entdeckung gemacht, um mich zu ermutigen; denn ich hatte mich bis jetzt noch immer ziemlich zurückhaltend bei ihr benommen, was ihr, da sie die geheimen Freuden der Liebe schon kannte, aber nur so kurze Zeit genossen hatte und deshalb um so lüsterner darnach war, gerade nicht sehr gefiel, weshalb sie mir auch das naive Geständnis gemacht haben mochte. Ich war aber nicht der Mann, der sich von einer hübschen jungen Frau so etwas zweimal sagen ließ, sondern vertrat noch in derselben Stunde die Stelle des verstorbenen Ehemannes; nach einem Duett, das wir zusammen sangen, verirrten wir uns zu einem tête-à-tête in das Kamerino, während die Schwester Patience im Wohnzimmer spielte, und wiederholten solche Verirrungen so oft, daß diese zuletzt alle Patience verlor und uns einmal zürnend überraschte, weil wir sie doch gar zu lange ganz allein ließen. Ich küßte nun auch diese, um ihren gerechten Unwillen zu besänftigen, und – weil sie eben küssenswert war. Endlich aber machte ich noch eine dritte weibliche Bekanntschaft zu Rom, und zwar meine passion predominante, una giovan’ principiante, das fünfzehnjährige scharmante Töchterchen des Buchhändlers und Antiquars Vasi, die ich, in dessen Bottega manches Buch, römische Ansichten, Karten und Pläne kaufend, kennen lernte. Während ich mit dem Papa mich in gelehrte Disputationen einließ, führte ich mit dem Töchterchen einen verstohlenen Augenstreit, lancierte Occhiaten und wechselte Blicke. Ich ließ den Alten manche lateinische und altitalienische Scharteke in seinem antiquarischen Magazin suchen und holen, nahm die Augenblicke seiner Abwesenheit wahr, dem schönen Mädchen meine unnennbare Liebe zu gestehen, und wußte mich bald so sehr in des caro Papa Gunst zu setzen, dem ich seine Bücher zu raisonnabeln Preisen bezahlte, daß er mir gestattete, mit der holden Eurichetta manches Stündchen Musik zu machen, wobei denn auch noch manche andere Saite als die der Gitarre gegriffen wurde, wenn wir uns unter vier Augen in dem hinteren Zimmer befanden und neue Käufer den Antiquarius in seinem Laden zu unserer großen Freude oft sehr lange beschäftigten. So hatte ich nun der Schönen drei, unter denen mir oft die Wahl wehe tat, und ich wußte manchmal nicht, zu welcher ich zuerst meine Schritte wenden sollte.

Indessen machte ich damals auch eine Bekanntschaft, die nicht minder von Interesse als die meiner Schönen, ja wohl noch von höherem und bleibenderem war, nämlich die des berühmten Canova. Vasi war es, der mich bei diesem Fürsten der modernen Bildhauerkunst einführte, in dessen Werkstätte wir einen kolossalen, ganz nackten Napoleon, aus kararischem Marmor gehauen, sahen, an den der berühmte Meister nur noch die letzte Meißelfeile zu legen hatte. Diese Statue, die nächstens nach Paris abgehen sollte, sprach mich nicht sehr an, dagegen entzückte mich die vollendete Bildsäule einer Nymphe von weißem Marmor, die einen Wuchs und Formen hatte, welche, trotzdem sie von Stein waren, dennoch das Blut der Lebendigen in Wallung und Glut zu versetzen vermochten; ich habe keine Statue mehr gesehen, die einen so lebhaften Eindruck wie diese Nymphe, eine Auloniade, auf mich gemacht hätte, und glaube schwerlich, daß sich in der Wirklichkeit eine solche Gestalt auffinden läßt. Auch eine Bildsäule Ferdinand IV., des verjagten Königs von Neapel, stand in Canovas Atelier, die letzte Feile erwartend, die sie aber vorerst nicht erhielt. Wir sahen noch mehrere andere Schöpfungen des hochberühmten Meisters, die zum Teil erst halbvollendet waren, und mit der liebenswürdigsten Gefälligkeit zeigte uns derselbe seine Säle, uns alle nur zu wünschenden Erklärungen gebend. Noch führte mich Vasi in die Werkstätte eines anderen berühmten Bildhauers namens Massimiliano; auch dieser hatte einen kolossalen Napoleon, aber im kaiserlichen Ornat, mit Zepter und Krone, beinahe fertig, der mir minder mißfiel als der nackte, obgleich Arbeit und Kunst jenem bei weitem nicht gleichkamen. Was Canova besonders auszeichnete, war daß er die Natur mit den idealischen antiken Schönheiten so zu verschmelzen wußte, daß alle seine Schöpfungen eine Lieblichkeit atmeten, wie keine anderen mehr; und dabei war er selbst von der liebenswürdigsten Bescheidenheit, er schien fast beschämt, so viel Verdienst, Talent und Genie zu haben.

Der Karneval ging nun zu Ende, ich hatte ihn gottlob ordentlich mitgetobt, werde mich aber hüten, eine Beschreibung desselben zu geben, da ihn mein berühmter, wenn auch etwas steifer Landsmann so meisterhaft als lebendig geschildert hat, und er außerdem dieses Jahr (1807) bei weitem nicht so glänzend und lebhaft ausfiel, wie dies gewöhnlich der Fall ist, woran die Okkupation des Kirchenstaates durch die Franzosen schuld war.

Die nun beginnenden Fasten, die ich mir recht langweilig vorgestellt hatte, vergingen mir indessen außerordentlich angenehm.

Ich hatte meine Damen und machte jeden Morgen in Bonniers Gesellschaft weite Spaziergänge in dem öden, verwilderten und romantisch gelegenen Teil der Stadt, wo man nur Weingärten, Ruinen, Palmen, Lorbeerhecken, hier und da ein Kloster oder eine Kirche antrifft.

Eines Morgens nahmen wir unsere Richtung nach dem Lateran, bewunderten die Raritäten dieser Kirche, in der sich, wie zu Loretto, Beichtstühle für die Sünder aus allen Nationen befinden, in denen der Deutsche, der Pole, der Franzose, der Spanier und so weiter seine Sünden in seiner Muttersprache bekennen und auch in dieser zu seinem großen Trost absolviert werden kann. – Von hier begaben wir uns zu der ganz nahen Scala Santa, die mein Freund noch nicht gesehen hatte. Obgleich wir beide gute Christen waren, so schien uns doch die Ersteigung der heiligen Treppe auf den Knieen etwas zu umständlich und langweilig, auch würden wir der vielen Gebete wegen, die man auf jeder Stufe herzusagen hat, in große Verlegenheit gekommen sein, da weder der eine noch der andere ein Paternoster oder Ave-Maria wußte, und außerdem würden unsere schönen, mit Silber besetzten Uniformbeinkleider dabei sehr Not gelitten haben; wir faßten demnach ein Herz und stiegen festen und sicheren Trittes, auf die uns für Ketzer haltenden Leute nicht achtend, die rechts angebrachten profanen Treppen hinauf. Vor dem heiligsten aller Altäre angekommen, knieten wir jedoch nieder und staunten das von Engel gepfuschte Bild an, richteten aber auch mitunter einen weltlichen Blick auf die heranknieenden Sünder und besonders auf die Sünderinnen. –

Wir waren noch nicht lange in dieser Position, als eine Prozession andächtiger Klosterfrauen, von ihrer Äbtissin angeführt, an der untersten Stufe der Scala Santa erschien und sich bereitete, dieselbe knieend zu erklimmen. – Vier und vier beknieten nebeneinander eine Stufe, ihre Schleier hatten sie, da sie viel küssen mußten[4], natürlich zurückgeworfen, und ihre Gesichter ganz enthüllt. Daß wir nun nicht mehr auf das heilige Bild, sondern auf die ankommenden lebendigen schauten, unter denen sich manch reizendes Madonnenköpfchen befand, brauche ich nicht erst zu versichern, und wir hatten alle Zeit, die frommen Schwestern, die so langsam Stufe für Stufe betend zu uns heranknieten, gehörig zu mustern. Gleich müssen uns die guten Kinder nicht bemerkt haben, wenigstens die Frau Äbtissin nicht, denn sie hatte schon ein Dritteil der Stufen überkniet, als sie mit Schrecken zwei französische Uniformen mit Epauletten und Mordgewehren, und dabei einen schwarzen Schnurrbart gewahrte. Aber was sollte die gute Frau machen? – An ein Umkehren war nicht mehr zu denken, eine Retirade auf den Knieen unmöglich, ohne zu riskieren, die Hälse zu brechen, und stehenden Fußes wieder hinabzugehen, hätte Bann und vielleicht ewige Verdammnis bewirkt; die fromme Herde, die schon etwas durch unsere bunten Uniformen in ihrer Andacht gestört worden, mußte samt der Hirtin nolens volens vorwärts, wobei manches Schäfchen auf uns Sünder einen neugierigen aber verstohlenen Blick warf, der nicht verloren ging.

Je näher die Nonnen dem heiligen Altar und folglich uns kamen, desto häufiger schielten sie nach uns, wahrscheinlich waren wir die ersten französischen Militärs, welche die guten Kinder zu Gesicht bekamen, und der Glanz unserer Uniformen muß den des heiligen Bildes noch übertroffen haben, da sogar die älteren Schwestern ihren Rosenkranz ziemlich verwirrt abzubeten schienen. Meinem Freund und mir fiel bald eine junge, kaum sechzehnjährige Nonne von ausgezeichneter Schönheit auf, die in der vierten Reihe auf der linken Seite kniete, ein wahres Engelsgesichtchen, dessen überaus feine Züge, blendend weißer Teint und seelenvoller Blick ihr das Ansehen einer halb Verklärten gaben, wozu ein etwas schwermütiger Zug, der sie noch um so interessanter machte, das seinige beitrug, sowie das sie sehr gut kleidende Nonnengewand. Je näher sie herankam, je mehr ruhten unsere Blicke auf ihr, die sich zuletzt unbeweglich fixierten. Auch sie schien es bald bemerkt zu haben, daß sie ausschließlich der Gegenstand war, der unsere Augen fesselte; bei der Erknieung einer jeden neuen Stufe sah sie uns zuerst nur flüchtig und dann immer etwas länger an; als sie endlich die letzte erreicht hatte, warf sie uns noch einen vielsagenden und bedeutungsvollen Blick zu, der von einem halbunterdrückten Seufzer begleitet war. Der Saum ihres Gewandes hatte das Kleid meines Freundes berührt, dem diese Berührung einen elektrischen Schlag gegeben zu haben schien; denn ein sehr merkliches Zittern durchbebte in diesem Augenblick seinen Körper, welches von der schönen Büßenden gleichfalls bemerkt worden sein muß; ihr Gesicht färbte sich in demselben Augenblick glühend rot, sie neigte sich hierauf zur Erde und schien in tiefster Andacht vor dem Altar zu beten. Als endlich alle Nonnen oben angekommen und auch die letzte ihr Gebet verrichtet hatte, standen sie sämtlich, auf ein von der Äbtissin gegebenes Zeichen, auf, und gingen auf der entgegengesetzten Seite, wo wir standen, die profane Treppe hinab. Noch einen flüchtigen Blick warf das holde Kind im Vorübergehen auf uns und verschwand. – Auch wir gingen bald darauf die andere Treppe hinab und folgten der frommen Herde in einiger Entfernung. – Mein Freund gestand mir sogleich, daß dies überirdische Wesen, wie er sich ausdrückte, einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn gemacht, und da er auf keine Weise Hoffnung habe, zu ihrem Besitz zu gelangen, ja sie je wieder sehen zu können, so mache ihn dies zum unglücklichsten Menschen von der Welt.

Der Zug nahm nun seine Richtung nach San Balbino zu; wir folgten ihm gewissermaßen mechanisch, und bemerkten deutlich, wie manche der Nonnen sich öfters umsahen. Hinter San Balbino kam die Prozession durch lauter einsame, von Mauern, Gärten und Ruinen begrenzte Straßen; endlich gelangte sie an ein von hohen Mauern umgebenes und mit fest verwahrten Gitterfenstern versehenes Gebäude, das wir seiner Bauart und den Türmen nach zu urteilen, sogleich für ein Frauenkloster erkannten. An der eisernen Pforte angekommen, zog die Äbtissin eine Klingel, worauf sich sogleich die schwere Türe knarrend öffnete, sämtliche Schwestern folgten ihrer Gebieterin, nachdem einige von ihnen noch einen sehnsuchtsvollen Blick rückwärts in die freie Natur getan hatten, die sich ihnen nun wieder auf eine halbe Ewigkeit verschloß. Wir beobachteten dies alles, ungesehen hinter einem Gesträuch verborgen.

Endlich war auch die letzte Nonne über die verhängnisvolle Schwelle getreten, die Pforte drehte sich abermals zentnerschwer in ihren Angeln, fiel prasselnd zu, und wir hörten deutlich, wie das schwerfällige Schloß dreimal herumgedreht und drei Riegel vorgeschoben wurden. Mein Gefährte stieß, als die Türe zugefallen war, einen tiefen Seufzer aus, stützte sich auf meine Schultern, und wir blieben einige Minuten bewegungslos in dieser Attitüde.

Endlich richtete er sich wieder auf, indem er tief Atem holend sagte: „Nun ist sie auf immer für mich und die Welt verloren!“ – Ich sprach ihm Mut ein und stellte ihm vor, daß Rom ja so viele außerordentliche Schönheiten besitze, die man täglich sehen, sprechen und bewundern könne, es demnach töricht sei, sich in eine lebendig begrabene Klosterschwester zu verlieben. Doch ich predigte tauben Ohren und muß aufrichtig gestehen, daß das Engelsgesicht auch auf mich einen gewaltigen Eindruck gemacht hatte, der, wenn ich nicht die Bekanntschaft der Prinzessin Cesarini gemacht, der ich mit ganzer Seele zugetan war, auch mich leicht zu Torheiten hätte verleiten können. Langsamen Schrittes und Arm in Arm entfernten wir uns beide, nachdem wir durch einen vorübergehenden Gärtnersjungen erfahren hatten, daß das Kloster, welches die seltene Perle auf Lebenszeit in Verwahrung genommen hatte, der heiligen Ursula angehörte. Alle drei Schritte wurde ein Halt von einigen Minuten gemacht, wobei wir die grauen düsteren Mauern anstarrten, was so lange dauerte, bis auch die höchsten Zinnen und Spitzen der Türme unseren Blicken entschwunden waren. Da schon längst die Essenszeit vorüber war, gingen wir zu einem Restaurateur, wo ich mir’s trefflich schmecken ließ, denn die Promenade hatte mir großen Appetit gemacht; mein verliebter Kamerad brachte aber kaum einen Bissen über den Mund und saß, den Kopf auf die Hände gestützt, gedankenvoll und stumm da. Der arme Teufel erregte wirklich mein Mitleid, so sehr es sonst meine Gewohnheit ist, mich über solche schmachtende Seladons lustig zu machen. – Ich wandte alles mögliche an, ihn aufzuheitern, ließ San Giorgio und Champagner bringen, doch alles vergeblich; ich mußte allein trinken; von da besuchten wir mehrere Kaffeehäuser, in denen wir manche schöne Römerin trafen, die in Gesellschaft eines Violettstrumpfs oder eines Abbate ihren Sorbett zu sich nahm, aber auch diese machten nicht den mindesten Eindruck auf meinen Freund; wir verließen die Kaffeehäuser, und ich schlug einen Spazierritt auf dem Korso vor, da die Stunde herangekommen war, wo sich die ganze schöne Welt Roms daselbst zeigt. Mein gemütskranker Freund nahm es an, und wir ritten, Kapriolen und Lanzaden neben den zahlreichen Wagen machend, daselbst auf und nieder. Bald erschien auch meine schöne Cesarini in einem Halbwagen mit ihrer Tante, sie sah schöner wie je aus, und ich hatte Nonnenkloster und die ganze Begebenheit rein vergessen, schloß mich dem Wagen an, und vertiefte mich so in ihr Anschauen und ein angeknüpftes Gespräch, daß ich die Abwesenheit meines Kameraden erst dann bemerkte, als wir auf der Piazza Popolo Halt machten, um der Konversation besser pflegen zu können, wie es daselbst gebräuchlich ist. Nach Verlauf einer Stunde sah ich Bonnier in gestrecktem Galopp, sein Roß mit Schweiß bedeckt und ihn sehr erhitzt, von der Piazza Venezia hersprengen, und hätte, wenn er mir’s auch nicht gestanden, doch erraten, wo er herkam; er hatte unterdessen eine Runde zu Pferd um das Ursulinerkloster gemacht und die hohen Mauern und eisernen Gitter angeseufzt. Ich empfahl mich nun, nachdem ich versprochen, mich im Apollotheater einzufinden, wohin ich denn auch meinen so schwer verwundeten Freund beredete. Um ein Uhr nach Mitternacht war das Schauspiel beendigt; der Mond stand hoch und hell am Horizont. Bonnier erklärte mir, daß er unmöglich schon zu Bette gehen könne und gar keinen Schlaf verspüre, sondern noch eine Promenade au clair de la lune machen wolle, wozu er mich dringend einlud.

Ohne eine besondere Divinationsgabe zu besitzen, war es leicht zu erraten, wo diese Promenade hingehen sollte; lächelnd und kopfschüttelnd hing ich mich an seinen Arm, und ehe eine halbe Stunde verging, waren wir unter den bewußten Mauern. Das hohe Kloster mit seinen Kuppeln und Türmen nahm sich im Mondschein recht schauerlich aus, und dreimal machten wir die Runde um dasselbe. Jetzt schlug die Turmuhr, es war die zweite Stunde nach Mitternacht, und nur mit Mühe brachte ich meinen ächzenden und stöhnenden Freund dahin, sich endlich mit mir zur Ruhe zu begeben.

Von den Strapazen des Tages ermüdet, fiel ich bald in einen festen Schlaf, der mir trefflich bekam; doch kaum graute der Morgen, so wurde ich auch schon durch ein ziemlich fühlbares Rütteln aus dem besten Schlummer geweckt, und meine kaum halb geöffneten Augen erblickten wieder den verliebten Narren Bonnier, der mir mit möglichster Beredsamkeit die Schönheiten des anbrechenden Tages vordemonstrierte und mich mit aller Gewalt zu einem romantischen Morgenspaziergang bereden wollte. Ich schlug es ihm aber schlaftrunken ab, legte mich unwillig auf das andere Ohr und schlief, auf die verliebten Narren scheltend, wieder ein.

Es war beinahe Mittag, als Bonnier von seinem Spaziergang zurückkehrte und mich noch im Bette antraf. Er rief aus: „Wie ist es möglich, so die schönste Zeit seines Lebens zu verschlafen, ich habe schon das ganze alte Rom durchwandert.“ Ich sprang nun aus dem Bette und erwiderte: „Ebensoviel wert, als diese Zeit wachend in fruchtlosen Träumereien hinzugeben.“ Dies brachte den guten Bonnier ein wenig in Wallung, und er äußerte mir, daß seine Liebe ebensowenig frucht- als hoffnungslos sei. Klostermauern seien noch lange keine Festungsmauern, er habe die des Ursulinerklosters heute Morgen hinlänglich rekognosziert und gefunden, daß man sie mit Feuerhaken und Strickleitern bequem übersteigen könne, es wäre nicht das erstemal, daß eine Nonne entführt worden sei, ein guter Soldat müsse sich durch nichts abschrecken lassen, und je größer die Schwierigkeiten, desto mehr Ehre, sie zu überwinden. Ich gab dies alles gerne zu, endigte aber damit, ihm zu bemerken: er wisse ja noch gar nicht einmal, ob seine Geliebte ebensolche Gesinnungen hege, ja ob sie nur etwas für ihn fühle, das man Liebe nennen könne, sogar ihr Name sei ihm unbekannt. – „Das könnte wohl der Fall sein, wenn ich so lange wie du geschlafen hätte,“ gab er mir zur Antwort; „es ist eine Tochter aus der Familie Narelli zu Pesaro, die erst seit vier Monaten eingekleidet, und was die Liebe anbetrifft, so habe ich auf der Scala Santa hinlänglich gesehen, woran ich mich zu halten habe.“ Voll Verwunderung fragte ich ihn, wie er ihren Namen erfahren hätte. – „Durch den Klostergärtner, den ich diesen Morgen über eine Stunde sprach,“ versetzte er, „und nachdem ich ihm eine deutliche Beschreibung meiner Geliebten gemacht, ohne ihn jedoch die Ursache ahnen zu lassen, warum ich nach ihr forsche, versicherte er mich, daß es keine andere als die Narelli sein könne. Ich erkundigte mich noch nach manchen von den übrigen Schwestern, um Verdacht zu vermeiden, und er nannte mir noch viele Namen, die ich bereits wieder vergessen habe. Auch über die inneren Verhältnisse des Klosters gab er mir Aufschluß, und da ich ihn fragte, ob ich den Klostergarten nicht einmal sehen dürfe, antwortete er mir, daß dies ohne eine besondere Erlaubnis der Frau Äbtissin nicht angehe, die er jedoch darum fragen und mir morgen schon Bescheid geben wolle, in jedem Fall aber könne dies nur zu einer Stunde geschehen, in welcher die Nonnen in ihren Zellen seien. – Du siehst also, Freund, daß ich schon um einige Schritte dem Ziele näher gerückt bin und daß ich es mit deiner Hilfe wohl noch erreichen kann.“ – „Das muß ich gestehen, du hast schon Riesenschritte gemacht,“ erwiderte ich lächelnd, „und wenn es so fortgeht, so bist du übermorgen in der Zelle der Geliebten, nur sehe ich nicht recht ein, was dir das Besehen des Klostergartens nützt und was ich bei der Sache viel tun kann.“

„Wie magst du nur so fragen! Wenn ich den Garten kennen lerne, so orientiere ich mich im Innern, ersehe mir die Stelle, wo meine Angebetene am leichtesten zu entführen ist, und dies ist schon viel, sehr viel. Du kannst mir vermittelst deiner intimen Bekanntschaft mit der Cesarini von außerordentlichem Nutzen sein. Damenbesuche dürfen die Nonnen zu jeder Zeit annehmen, die Cesarini hat, wie du weißt, in mehrern Frauenklöstern Verwandte, sie ist mit den Gebräuchen in denselben bekannt, durch sie könnte man leicht die Narelli erforschen und dann ein Einverständnis mit ihr anknüpfen.“

„Du siehst, Lieber,“ fuhr Bonnier fort, „daß ich alles wohl überlegt habe, und du mußt mir dein Wort geben, heute noch mit der Cesarini über diese Angelegenheit zu sprechen, oder ich sehe dich nicht mehr als meinen Kameraden an, hoffentlich hast du noch nicht vergessen, wie manche Schildwache ich bei deinen verliebten Abenteuern schon gestanden, wie manche Runde und Patrouille ich bei solchen Gelegenheiten für dich gemacht habe, und bin ferner bereit, dir zu dienen, wo ich nur immer kann.“ – „Schon gut,“ unterbrach ich den immer ungestümer werdenden Bonnier, „hier meine Hand darauf, heute abend spreche ich noch die Cesarini, und du sollst morgen früh das Resultat wissen.“ „Warum morgen früh? Ich erwarte dich heute nacht wachend, und so wie du zurückkommst, und wenn es erst gegen Morgen wäre, mußt du mir Bericht von dem Erfolg abstatten.“ Ich versprach alles, kleidete mich an, machte meine gewöhnlichen Touren, auf den Korso, ins Theater und so weiter, erfuhr aber zu meinem größten Leidwesen von der Cesarini, daß es ihr heute unmöglich sein würde, mich zu sprechen, da ihr Mann und ihre Schwägerin den ganzen Abend mit ihr zuzubringen sich vorgenommen hätten, wir müßten daher das Rendezvous auf den anderen Tag verschieben. Bonnier war gleich wieder nach St. Ursula gegangen, wo er durch Hecken, Gesträuche, Ruinen und Gärten patrouillierte, das finstere Gebäude, welches seine ganze Seligkeit einschloß, von allen Seiten anstöhnte, und erspähte, wo er wohl die Laufgräben am besten eröffnen könnte. Erst eine Stunde nach Mitternacht kam er zurück und traf mich zu seiner Verwunderung schon wieder schlafend im Bette an.

Er weckte mich sogleich auf und fragte mich nach dem Resultat meiner Unterredung mit der Cesarini; als ich ihm sagte, daß ich sie gar nicht habe sprechen können, stampfte er mit dem Fuß so gewaltig auf den Boden, daß alle Fenster klirrten, und nur mit der größten Mühe gelang es mir, ihn zu besänftigen, ihm die Ursache mitzuteilen und ihm verständlich zu machen, daß ich den kommenden Abend unfehlbar die Sache abmachen, und keine Verhinderung denkbar wäre, was ihn endlich etwas beruhigte; er warf sich nun angekleidet auf sein Bett, welches er mit den ersten Morgenstrahlen schon wieder verließ, um nach dem bewußten Ort zu eilen. Ich sah ihn den ganzen Tag nicht wieder. Am Abend hatte ich endlich die ersehnte Zusammenkunft mit der Cesarini, der ich die ganze Sache mitteilte und mir ihren Rat erbat. Sie erschrak nicht wenig über den tollkühnen Plan meines Freundes, und ihr Rat war, diesen zu bereden, denselben als unausführbar aufzugeben, da uns beiden die Geschichte höchst verderblich werden und uns in die größte Gefahr bringen könne. Dagegen wandte ich den unerschütterlichen Vorsatz Bonniers, dessen heiße, grenzenlose Liebe ein, und brachte es endlich so weit, daß sie mir versprach, in einigen Tagen das Kloster unter irgendeinem Vorwande zu besuchen, um die nötigen Erkundigungen wegen der Narelli einzuziehen und mir den Erfolg alsdann mitzuteilen, weiter würde sie sich aber auch in nichts einlassen, denn sie habe keine Lust, der heiligen Inquisition in die Hände zu fallen und ihre Seligkeit auf das Spiel zu setzen; die Sünde, eine Braut Christi zu verführen, sei die größte von allen, die der Papst selbst nicht einmal vergeben könne.

Mit diesen schlimmen Aussichten mußte ich sie verlassen; ich teilte sie Bonnier bei meiner Nachhausekunft mit, der um so untröstlicher wurde, da ihm auch die Hoffnung, das Innere des Gartens zu sehen, gänzlich fehlgeschlagen war. Die Äbtissin wollte zwar anfänglich die Erlaubnis dazu geben, als sie aber hörte, daß der Fremde ein Franzose und gar ein Offizier sei, verbot sie dem Gärtner bei Strafe des Wegjagens und des Bannes, ihr je wieder einen ähnlichen Antrag zu machen; dieser war weder durch Versprechungen noch durch Geschenke zu irgend etwas zu bewegen und die Unternehmung jetzt viel schwieriger, da man gewiß schon aufmerksam geworden war. Eine Ewigkeit schienen Bonnier die wenigen Tage, in denen die Cesarini das Kloster besuchen sollte; er strich während der Zeit wie gewöhnlich von Sonnenaufgang bis Mitternacht um dasselbe herum, jedoch in Bürgertracht verkleidet, mit abgeschorenem Schnurrbart und eine Perücke auf dem Kopf, was ich ihm geraten hatte, um sich unkenntlich zu machen. Endlich kam der Tag heran, an dem ich Antwort von der Cesarini haben sollte; ich selbst konnte kaum die Stunde erwarten. Sie war wirklich dagewesen und hatte zur Ausrede genommen, eine alte Bekannte ihrer verstorbenen Großmutter, die in diesem Kloster war, wegen einiger Familienangelegenheiten zu besuchen. Der guten alten Schwester wußte sie auch trefflich einen blauen Dunst vorzumachen, sie wurde sehr gesprächig, erzählte viel und mancherlei; endlich brachte sie die Cesarini auch auf die jungen Schwestern und auf die Narelli, an der sie besonderen Anteil zu nehmen affektierte, und sie vermochte Beatrice (so hieß die Alte), sie ins Sprechzimmer zu bringen und der Narelli vorzustellen. Dort knüpfte sie mit dem jungen Mädchen ein ziemlich vertrauliches Gespräch an, ließ sich von ihr die Zeremonien ihrer Einkleidung erzählen, welche diese mit mancher unterdrückten Träne vortrug; endlich kam sie auch auf ihr Klosterleben und auf die vor einigen Tagen stattgehabte Prozession nach der Santa Scala. Mit Willen ließ sich die Cesarini auch die kleinsten dabei vorgefallenen Umstände berichten, und die Nonne sagte ihr, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben bei dieser Gelegenheit Franzosen gesehen, die ihr außerordentlich gefallen hätten (dies begleitete sie mit einem tiefen Seufzer); besonders der eine schien ein sehr guter Mensch gewesen zu sein und habe sie unaufhörlich angesehen. Auch sie habe nicht umhin gekonnt, manchmal nach ihm zu blicken und sei dadurch in ihrem Gebete etwas gestört worden; indessen hoffe sie, daß ihr die Madonna diese Sünde vergeben werde, sie sei so schon unglücklich genug; sie sprach noch ferner und viel von uns, und zwar so, daß die Cesarini deutlich merkte, daß auch sie von derselben Leidenschaft wie Freund Bonnier gequält wurde, nur schien es der Cesarini, daß nicht dieser, sondern ich der Gegenstand sei, der ihr Herz erfüllte; doch konnte sie darüber keine vollkommene Gewißheit erlangen. Sie versprach, sie wieder zu besuchen, und entfernte sich, ihr ein herzliches Lebewohl wünschend; die Alte begleitete sie bis an die Treppe, die Äbtissin war nicht sichtbar. Ich erzählte meinem Freunde alles Wort für Wort wieder, bis auf den letzten Umstand, den ich ihm zu verschweigen für nötig erachtete. Er schwamm in Entzücken und glaubte sich schon im Besitz der Geliebten. Unter Plänen und Projekten brachte er abermals die Nacht zu.

Noch einmal gelang es meiner Überredungskunst, die Cesarini ins Kloster zu persuadieren, um die Denkungsart der Narelli und ihre Meinung über eine Klosterentführung so beiläufig und nur von weitem zu erforschen. Sie sprach dieselbe abermals und glaubte bemerkt zu haben, daß das Mädchen, wiewohl mit einiger Mühe, dazu zu bewegen sei, beteuerte mir aber zu gleicher Zeit, daß sie nun ein für allemal nichts mehr mit dieser Sache zu schaffen haben wollte und daß, wenn ich nur noch einen Funken von Liebe für sie fühle, ich sie mit allen ferneren Auf- und Anträgen der Art verschonen möchte; auch würde sie auf den Fall, daß die Sache zur Ausführung käme, darin verwickelt werden, wenn sie noch ferner Besuche im Kloster machte, welches natürlich einen dringenden Verdacht auf sie werfen müsse. Die Wichtigkeit dieses Grundes sah ich nur allzugut ein und hätte um keinen Preis der Welt der mir so teuern Cesarini die geringste Unannehmlichkeit verursachen mögen. Doch schlug sie folgenden Ausweg vor, der mir auch der einzige und beste schien: Eine junge Französin, die sich bei einer ihrer Freundinnen seit einiger Zeit aufhalte und der italienischen Sprache vollkommen mächtig sei, müsse man in das Geheimnis ziehen; auf ihre Verschwiegenheit dürfe man bauen, diese habe man erprobt, und in Religionssachen sei sie eben auch nicht sehr skrupulös; ich solle selbst mit ihr reden, und dann wolle sie durch Aufträge an Beatrice ihr den Eingang ins Kloster verschaffen, käme dann die Entführung zustande, so könnte sie sich zugleich mit entführen lassen, und alle Schuld fiel alsdann auf sie. – Ich bewunderte meiner Freundin Scharfsinn, sowie ich über ihre sonderbare Gewissensängstlichkeit staunte, da sie sich ganz unschuldig glaubte, wenn sie nur nicht selbst Hand ans Werk legte, dabei aber die trefflichsten Ratschläge zur Vollbringung desselben erteilte. Noch erfuhr ich von ihr, daß auch nahen Anverwandten männlichen Geschlechts der Eingang in das durch ein Gitter getrennte Sprechzimmer gestattet sei, um ihre Schwestern, Töchter oder Cousinen zu sprechen, jedoch nur im Beisein und unter der Aufsicht älterer, eigens dazu bestimmter Nonnen. Wenn wir uns also für Anverwandte der Narelli aus Pesaro ausgäben, uns gehörig verkleideten und unkenntlich machten, so könnten wir wohl selbst einigemal mit ihr reden, natürlich müsse sie aber auf alles erst durch die Französin vorbereitet sein und einwilligen. – Diese unerwartete Entdeckung überraschte mich sehr und machte mir viele Freude; nun erst fing ich an, an die Möglichkeit einer Entführung zu glauben, die ich bis jetzt immer bezweifelt hatte. – Als ich Bonnier dies alles mitteilte, war er ganz außer sich, nannte mich einmal über das andere seinen besten Freund, für den er jeden Augenblick das Leben lassen wolle, packte mich beim Kopf und küßte mich, so daß ich Mühe hatte, mich seiner gewaltigen Zärtlichkeit zu entziehen. Demoiselle Lenier, so hieß die Französin, wurde nun durch die Cesarini zur Vertrauten gemacht, und sie gab sich nicht nur sehr gerne zu allem her, sondern das Abenteuer schien ihr sogar viel Vergnügen zu gewähren, und was die Sünde sowie die Verdammnis jenseits anbelangte, so wollte sie die Verantwortung und die Schuld herzlich gern auf sich nehmen, – sie war eine Pariserin! –

Sowohl ich als Bonnier hatten nun öfters Unterredungen mit der Lenier, wo wir uns gegenseitig unsere Meinungen und Gedanken mitteilten. Endlich kam der Tag, wo sie zum erstenmal ins Kloster fuhr, um sich ihrer fingierten und wirklichen Aufträge zu entledigen. – Es ging alles glücklich vonstatten, sie sprach nicht nur Beatrice, sondern auch die Narelli, und zwar lange und viel, und ließ sie merken, daß sie jene Offiziere kenne und öfters spräche und daß der eine von ihnen, wie es schien, in eine junge Nonne dieses Klosters sterblich verliebt sein müsse; dies brachte sie scherzend und lachend hervor, indem sie ihn einen Narren schalt, der sich ohne die mindeste Hoffnung, den geliebten Gegenstand je wieder zu sehen, so unsinnig verlieben könne. – Die junge Nonne wurde dabei blutrot, was die Lenier bemerkte und sie sogleich, ebenfalls scherzend, damit aufzog, indem sie ihr geradezu sagte, es schiene, als sei auch sie nicht gleichgültig bei dieser Erzählung; sie sprach ihr nun Mut und Trost ein und wußte sich schon bei diesem ersten Besuch ganz in ihr Vertrauen einzuschleichen, so daß jene sie sehr dringend bat, doch ja bald wiederzukommen und sie oft zu besuchen, was die Lenier denn auch recht gerne versprach.

Beim zweiten Besuche, den die Lenier zu St. Ursula machte, rückte diese näher mit der Sprache heraus und sagte zu Angelika (dies war der Narelli Klostername), daß, wenn es ihr Vergnügen mache, die beiden Offiziere noch einmal zu sehen, so könne schon Rat dazu werden, sie müsse sich aber um Himmelswillen nichts merken lassen und äußerst verschwiegen sein. Angelika schien anfänglich über den Vorschlag zu erschrecken, konnte jedoch zu gleicher Zeit ihre Freude darüber kaum verbergen und fragte nun, wie dies wohl möglich sei. – Die Lenier gab ihr allen erforderlichen Aufschluß und sagte, sie würden sich als ein paar nahe Anverwandte aus Pesaro bei ihr anmelden lassen und so verkleidet im Sprechzimmer erscheinen, dann müsse sie aber auch die Unbefangene so gut als möglich spielen und die neuen Vettern wie alte Bekannte mit Herzlichkeit empfangen. Angelika meinte, das sei eine schwere Aufgabe, aber die Lenier sprach ihr Mut ein und gab ihr die gehörigen Instruktionen, so daß nach manchen Unterredungen mit jener sie einwilligte, uns zu sehen und auf alles gefaßt zu sein versprach. – Um die Sache noch leichter zu machen, waren wir überein gekommen, daß wir uns als junge, angehende Geistliche aufführen lassen wollten, welche auf einige Zeit nach Rom gekommen seien, um sich Protektoren wegen baldiger Beförderung zu verschaffen und angesehene Bekanntschaften aus der höheren Geistlichkeit zu machen. – Endlich war der verhängnisvolle Tag herangekommen, an dem wir die heiligen Mauern betreten sollten. Schon den Tag vorher hatten wir uns als Angelikas Vettern bei der Frau Äbtissin anmelden lassen, und die elfte Stunde vormittags war zu unserem Empfang bestimmt. In aller Frühe eilten wir zur Lenier, wo wir unsere neuen Uniformen vorfanden, welche diese nach einem ungefähren Maß für uns hatte verfertigen lassen, indem sie dem Schneider sagte, sie seien zum Geschenk für ein paar junge Geistliche in Civita-Vecchia bestimmt. Wir kostümierten uns mit Hilfe der Lenier, sahen einander an und lachten; mein Kamerad hatte seinen Bart abrasiert, was bei mir noch nicht nötig war, und wir fanden uns in den geistlichen Kleidern ganz bequem; als wir angekleidet waren, erschien auch die Cesarini. Sie lachte zwar, äußerte aber zugleich, sie wolle nichts davon wissen, wir seien die größten Sünder, die es je gegeben. Endlich rollte der Wagen vor, der wohl verschlossen war; wir stiegen ein, und man wünschte uns eine glückliche Reise. Unterwegs stellten wir allerlei Betrachtungen an, unter anderen auch, was man wohl mit uns anfangen werde, wenn man uns erwischte und für das erkennen würde, was wir wirklich seien. Bonnier meinte, dann würden wir ohne weiteres der heiligen Inquisition überliefert und verbrannt werden, ich aber glaubte, wir würden als Franzosen wohl glimpflicher davonkommen, besonders da wir einem Kaiser angehörten, der Geniestreiche liebte und deren selbst täglich ausführe, genug, ich war von der muntersten Laune der Welt, denn das Abenteuer fing an, mir das größte Vergnügen zu machen. Doch hatten wir uns auf alle Fälle jeder mit ein paar scharf geladenen Terzerolen versehen. – Unter diesen und ähnlichen Gesprächen gelangten wir an die Pforten der Wohnung der heiligen Jungfrauen. Der Wagen hielt an, wir stiegen recht ehrenfest heraus und klingelten. Die Tür drehte sich knarrend in ihren Angeln. – Husch waren wir drin, und die Falle hinter uns fiel zu. – Daß mir in diesem Augenblick ganz sonderbar zumute war, will ich nicht leugnen, auch mein bis über die Ohren verliebter Freund schien etwas betreten. Dies gab uns aber gerade ein gewisses frommes und schüchternes Ansehen, was uns in diesem Augenblick sehr gut zustatten kam, und die Schwester Pförtnerin führte uns durch lange, düstere Gänge, graue Hallen und enge Stiegen hinauf in das Sprechzimmer, wo sie uns warten hieß, indem sie sagte, sie gehe, uns der Frau Äbtissin zu melden. Diese war, nach ihren Äußerungen, von der Absicht unseres Besuches schon unterrichtet und wußte, daß wir der Narelli Anverwandte seien.

Wir waren jetzt allein und hatten Zeit, das Sprechzimmer zu besehen, uns vorzubereiten und unsere Betrachtungen anzustellen. Daß die Äbtissin selbst kommen würde, wie es schien, war uns eben nicht sehr angenehm; wir fürchteten, da man sie uns als eine sehr schlaue Frau geschildert hatte, durch ihre Fragen in Verlegenheit zu kommen. Jetzt hörten wir Tritte, eine Tür jenseits des Gitters wurde geöffnet, und vier verschleierte Nonnen traten ein, von denen sich jedoch die eine, die Pförtnerin, sogleich wieder entfernte; die übrigen drei traten nahe ans Gitter. Wir erkannten bald Angelika und zwei ältere Schwestern; die Äbtissin war zu unserer großen Freude nicht dabei. Ich redete erstere sogleich mit „carissima cugina“ an, schüttete eine Tasche voll Empfehlungen von ihren Eltern und Geschwistern zu Pesaro aus, so daß niemand zu Worte kommen konnte und mein verlegener Freund sowohl wie Angelika Zeit gewannen, sich zu sammeln. Anfangs konnte das schöne, fromme Kind nichts anderes als si und no stammeln, bald aber wurde ihr die Zunge etwas geläufiger, und sie fing an, sich nach ihren Anverwandten zu Pesaro zu erkundigen, was ich so gut als möglich beantwortete; endlich hatte Bonnier auch ein Herz gefaßt und knüpfte eine Konversation an. Ich nahm die Gelegenheit wahr und unterhielt mich recht eifrig mit den beiden anderen Damen von himmlischen und irdischen Dingen und wußte sie so gut zu amüsieren, daß sie weder von den Worten noch von den Blicken etwas gewahr wurden, welche man auf der anderen Seite wechselte; mir aber war es nicht entgangen, daß das Briefchen, welches Bonnier schon seit vierzehn Tagen dreißigmal umgeschrieben, glücklich durch das enge Gitter in Angelikas niedliche Händchen passiert und von dieser schnell unter dem Busenschleier verborgen ward. Über eine gute Stunde waren wir bereits da, als ich meinem Freund durch Zeichen und Worte zu erkennen gab, daß es nun Zeit sei, sich zu entfernen. Wir empfahlen uns den frommen Schwestern bestens, welche uns ihren reichlichen Segen mit auf den Weg gaben und unseren gottesfürchtigen Vorsatz, recht fromme Geistliche zu werden, über die Maßen lobten, uns auch baten, den Besuch recht bald zu wiederholen, was wir gerne versprachen. – Noch einen Blick auf Angelika, und wir waren zum Sprechzimmer hinaus, wo uns die Pförtnerin empfing und bis vor die äußeren Klosterpforten geleitete.

Freund Bonnier schwamm abermals in Entzücken und beteuerte wiederholt, er müsse Angelika besitzen und wenn er, ein zweiter Nero, das Kloster und ganz Rom in Brand stecken solle. – „So arg wird es hoffentlich nicht werden,“ fiel ich ein und bat ihn, mir zu sagen, wie weit er mit ihr gekommen sei. Hierauf erzählte er mir, was ich schon wußte, nämlich daß er das Billett glücklich angebracht, aber mündlich nur mehr im allgemeinen gesprochen und es nicht gewagt habe, ihr eine förmliche Liebeserklärung zu machen, aus Furcht, die anderen hätten etwas merken können, morgen aber müsse die Lenier ins Kloster, um die Wirkung zu erfahren, welche unser Besuch und der Brief gemacht habe, und demnach die weiteren Vorkehrungen so bald als möglich zu treffen. Bei unserer Zurückkunft trafen wir die Damen an, welche uns mit der gespanntesten Neugierde erwartet hatten, um das Resultat unseres Besuchs zu erfahren, das wir bis jetzt selbst noch nicht wußten. Es wurde nun einstimmig beschlossen, daß Mademoiselle Lenier den kommenden Morgen dahin fahren sollte, um sich davon zu unterrichten. Wir wechselten unsere Kleider und ritten gegen Abend auf den Korso; um allen möglichen Verdacht zu vermeiden, waren wir übereingekommen, daß weder Bonnier noch ich uns wieder in Uniform in der Nähe des Klosters dürften blicken lassen. Den Tag darauf erwarteten wir die Lenier mit eben der Ungeduld, als sie uns gestern erwartet hatte; es war beinahe Mittag, als sie zurückkam und Bericht über ihre Ambassade erstattete.

Alles stand zum Besten, man hatte nicht den geringsten Verdacht auf uns geworfen, die alten Schwestern waren von mir und die junge Nonne von Bonnier entzückt. Letztere hatte lange und viel mit der Lenier gesprochen und sich so gut wie zu allem bereit erklärt; diese versicherte uns, daß, wenn wir noch einige Besuche machten, die Sache mit Angelika gewiß in Richtigkeit sein würde, auch habe sie ihr zugeredet, doch einige Zeilen an ihren Freund zu schreiben und ihm solche bei der nächsten Zusammenkunft zu übergeben, was sie ihr nach einigem Sträuben endlich versprochen. – Genug, es ging bis jetzt alles nach Wunsch, wir wiederholten unseren Besuch, so oft es möglich war, ohne Argwohn zu erregen, in der geistlichen Tracht, und ein vollkommenes Einverständnis sowie ein regelmäßiger Briefwechsel zwischen Angelika und Bonnier war bald hergestellt, und ebenso schnell waren beide Liebende einig. Angelika willigte in alles, und jetzt war nur noch die Schwierigkeit, die Entführung aus dem Kloster zu bewerkstelligen, was freilich keine leichte Aufgabe war. Doch welche löst nicht Liebe und List? – Daß das Entkommen aus dem Kloster über die Gartenmauern vollbracht werden müsse, darüber waren alle einig, sowie daß dies nur kurz vor oder nach Mitternacht geschehen könne. Wegen der ungeheuren Höhe dieser Mauern sei dies auf jeden Fall eine halsbrechende Arbeit, deren Gefahr die Finsternis der Nacht noch vergrößere; indessen war dies unsere Sorge und mein Plan schon gemacht. Die größere Schwierigkeit bestand darin, wie Angelika durch drei Türen, welche zum Garten führten und jeden Abend wohl verschlossen und verriegelt wurden, gelangen könne. – Aber auch dafür erdachte die erfinderische Liebe bald Hilfe. Angelika mußte die Größe und Form aller dieser Schlüssellöcher in Wachs abdrücken, und wir ließen fünf Hauptschlüssel verfertigen, mit denen sie die Türen öffnen und so den Weg in den Garten finden sollte. Um das Übersteigen der Mauern möglich zu machen, ließ ich in Civita-Vecchia, wohin ich selbst ritt, Strickleitern verfertigen und kaufte Seile auf, denn außerdem, daß man schwerlich solche hohe Leitern gefunden hätte, wie sie hierbei erforderlich waren, würde deren An- und Herbeischaffung auch weit mehr Umstände und Verdacht verursacht haben.

Diese Strickleitern mußten nun auf eine solide Art auf der äußeren und inneren Seite befestigt werden. Zu dem Ende hatte ich einen Franzosen von der zu Civita-Vecchia liegenden Marine mitgenommen, welcher ein Schlosser von Profession war (einem Italiener wäre hier nicht zu trauen gewesen), der zu diesem Zweck einhundertundzwanzig sehr lange und starke eiserne Haken geschmiedet hatte, die er bei Nachtzeit zuerst von außen an der Mauer befestigen mußte, und zwar so, daß jedesmal in einem Zwischenraum von dritthalb Schuhen drei dieser Haken nebeneinander eingeschlagen wurden. Glücklicherweise waren die Mauern fast überall dicht mit Efeu und anderen Gesträuchen bewachsen, und man konnte die Eisen fast alle so anbringen, daß man, wenigstens bis zu einer beträchtlichen Höhe, nichts davon wahrnehmen konnte. Natürlich mußte sich der Mann mit Hilfe der Seile und seiner eingesetzten Haken hinaufarbeiten, welches, je höher er kam, desto schwieriger wurde und das umgekehrt auf gleiche Weise jenseits der Mauer bewerkstelligen, als er oben angekommen. Zehn Nächte dauerte diese gefährliche Operation, wobei jedesmal eine Stunde vor Mitternacht angefangen und eine Stunde vor Sonnenaufgang geendet wurde. Während dieser ganzen Zeit standen Bonnier und ich Schildwache in der Nähe und unsere Bedienten auf Vorposten, um uns von dem geringsten Geräusch zu benachrichtigen; das Kloster lag aber so einsam und abseits, daß wir auch keine lebende Seele außer uns gewahrten. Als endlich alles so weit in Ordnung war, kamen wir überein, daß wir acht Tage vor der zur Entführung bestimmten Zeit unsere Abschiedsvisite im Kloster machen, sowie auch das Lazarett verlassen und uns als Fremde in einem Privathause die letzte Zeit verborgen halten müßten, damit man nicht sogleich Verdacht gegen uns haben könnte, indem wir angeblich schon einige Zeit vorher abgereist waren. – Dies alles war in Ordnung, nur die Lenier besuchte noch fast täglich das Kloster, um Angelika in ihrem Vorsatz zu bestärken und ihr Mut einzusprechen, da sie, je näher der entscheidende Zeitpunkt heranrückte, desto ängstlicher wurde. Endlich war die verhängnisvolle Nacht da, Angelika hatte noch am Morgen ihrer Freundin versprochen, alles zu versuchen. Um elf Uhr hielt ein Wagen mit vier Postpferden, in dem die Lenier saß, in der Nähe des Klosters, um alle drei nach Civita-Vecchia zu bringen, von wo sie sogleich mit einer segelfertigen Felukke nach Genua abgehen sollten, wohin sich Bonnier Urlaub zu verschaffen gewußt. Angelika hatte versprochen, mit dem Schlag Mitternacht in den Garten zu kommen; alle Schlüssel waren ihr eingehändigt worden. Bonnier und der Marinesoldat überstiegen die Mauern, ich blieb diesseits, um auf alles acht zu haben, und die Bedienten standen wieder auf ihren Lauerposten. Schon lange hatte die Klosterglocke Mitternacht geläutet, eine, zwei, drei Stunden vergingen, und Angelika erschien nicht, der Tag fing zu grauen an, und sie erschien noch immer nicht. Es war nun die höchste Zeit, an die Retirade zu denken, – schon fing es an, sich im Kloster zu regen. Endlich gelang es mir, meinen der Verzweiflung nahen Freund zum Zurücksteigen zu bewegen, nachdem ich selbst hinüber geklettert war, um ihn zu holen, was mir nur durch die Vorstellung gelang, daß dies das einzige Mittel sei, nicht alles zu verderben; ich würde noch heute die Ursache von Angelikas Ausbleiben erforschen. – Der Wagen wurde heimgeschickt, und wir begaben uns in einem mißmutigen, sehr traurigen Zustande in unsere Wohnung.

Daselbst angelangt, war mein erstes Geschäft, mit der Lenier Rücksprache zu nehmen, wie man den Grund von Angelikas Nichterscheinen erfahren könne. Die Sachlage war nun viel mißlicher geworden, gerne wäre ich mit Bonnier ins Kloster geeilt, aber da wir schon Abschied genommen hatten, war es nicht mehr möglich. Zum Glück war dies nicht der Fall mit der Lenier; aber diese fürchtete, die ganze Intrige sei entdeckt, man habe vermutlich Angelika auf der Tat ergriffen, und sie getraute sich nicht, in das Kloster zu gehen. Bonnier geriet bei dieser Vermutung außer sich, und ich hatte alle Mühe, ihn von tollen Streichen abzuhalten. Wir kamen endlich überein, da auf die Cesarini gar kein Verdacht habe fallen können, diese zu bitten, sogleich einen Besuch in dem Kloster zu machen; aber auch sie war auf keine Weise dazu zu bewegen, indessen war sie wie gewöhnlich mit vortrefflichem Rat bei der Hand und schlug vor, ihr Kammermädchen mit einem Auftrag an Beatrice abzuschicken, wodurch man alsbald erfahren würde, ob etwas Außerordentliches unter den Nonnen vorgefallen sei; das Mädchen solle sich nur ganz unbefangen nach der Narelli erkundigen, was um so eher tunlich, da wir verabredet hatten, daß sie sich zwei Tage vor der beabsichtigten Flucht krank stellen und das Bett hüten solle. Die Gesandte wurde abgeschickt, und wir blieben sämtlich eine lange Stunde in der äußersten Spannung und Erwartung. Endlich kam der Wagen zurück, wir eilten ihr entgegen, und sie konnte uns nicht schnell genug berichten, daß nichts Besonderes vorgefallen sei, aber daß die Narelli noch als krank im Bett läge und nach Beatricens Versicherung wirklich sehr übel aussehe. Nun war uns allen ein schwerer Stein vom Herzen, ich schrieb Angelikas Ausbleiben keinem anderen Umstande als ihrer großen Ängstlichkeit zu und hatte recht; denn als die Lenier von einem Besuch, den sie ihr auf unsere Bitten hatte machen müssen, zurückkehrte, erzählte sie, daß das arme Mädchen jetzt in der Tat unwohl sei und Fieber gehabt habe; sie sei zur bestimmten Stunde durch die langen öden Klostergänge an die Pforten, welche nach dem Garten führten, geschlichen, wobei sie schon unterwegs die tödlichste Angst befallen habe, und als sie endlich bei der ersten angekommen, sei es ihr unmöglich gewesen, das Schlüsselloch zu finden, und noch weniger hatte sie Kräfte gehabt, den Riegel zurückzuschieben, nur mit der größten Anstrengung habe sie sich wieder bis in ihre Zelle schleppen können und sei fast ohnmächtig auf ihr Bett niedergefallen, wonach sie den übrigen Teil der Nacht in einem beständigen Fieberschauer zugebracht; sie sehe wohl ein, daß es ihr unmöglich wäre, das Vorhaben auszuführen, sie würde einen zweiten Versuch wahrscheinlich mit ihrem Leben bezahlen müssen. Nun war abermals guter Rat teuer; Bonnier wollte verzweifeln. Verliebte verlieren gewöhnlich bei Widerwärtigkeiten alle Besinnung, machen dann einen dummen Streich nach dem anderen, wenn sie auch sonst Verstand und Scharfsinn besitzen.

Er wollte auf der Stelle zum Papst, sich Seiner Heiligkeit zu Füßen werfen, alles eingestehen und um Angelikas Entbindung vom Klostergelübde anhalten; nur mit vieler Mühe konnten wir ihm den unsinnigen Vorsatz ausreden, indem wir ihm vorstellten, das wäre der gerade Weg, sie ohne Rettung zu verlieren und ihr vielleicht gar zum Einmauern zu verhelfen. Die unerschöpfliche Cesarini fand wieder einen Ausweg und meinte, man würde es der Lenier schwerlich abschlagen, einige Tage bei ihrer kranken Freundin zuzubringen und wohl auch einige Nächte an ihrem Bette zu wachen, ihr von neuem zuzureden und mit ihr vereint in der wieder zu bestimmenden Nacht das Kloster zu verlassen. Die Aufgabe wäre wirklich für ein so junges, unerfahrenes Mädchen zu schwer gewesen, aber mit Hilfe der mutigen und schlauen Freundin würde sie solche gewiß lösen; denn es sei ein ganz anderes, wenn man bei solchen Unternehmen zu zwei sei und sich einander Mut und Trost einsprechen könne. Auch diesen Vorschlag fanden wir sehr zweckmäßig und überredeten leicht der Lenier kleine Bedenklichkeiten. Sie eilte den kommenden Morgen wieder nach St. Ursula, teilte den neuen Plan Angelika mit, die in der Tat schon wieder auf dem Wege der Besserung war und herzlich gern einwilligte, in Gemeinschaft zu fliehen. Nun mußte sie sich noch kränker stellen und gewaltige Sehnsucht nach ihrer Freundin äußern; es gelang auch, von der Äbtissin die Erlaubnis zu dem Aufenthalt der Lenier im Kloster sowie zu den Nachtwachen zu erlangen, und täglich stattete sie uns Bericht über den guten Fortgang der Sache ab; endlich wurde zum zweitenmal die Stunde der Flucht bestimmt, alle Anordnungen wie das erstemal getroffen, und um vier Uhr (elf nach unserer Uhr) stand wieder alles auf seinem Posten; wir warteten wieder und warteten abermals vergeblich, der Tag graute schon, als wir notgedrungen die zweite Retirade antraten.

Noch waren wir über das abermalige Ausbleiben in der größten Bestürzung und erschöpften uns in Mutmaßungen, als die Lenier zu uns ins Zimmer trat und das Rätsel löste. Beide Mädchen hatten um elf Uhr die Zelle verlassen und waren bis an die innere Tür gekommen, die sie zu öffnen versuchten, konnten aber den rechten Schlüssel nicht gleich herausfinden, und während sie probierten und drehten, glaubten sie ein Geräusch zu hören, liefen beide davon und in die Zelle zurück, wo sie außer Atem ankamen und sich ganz erschöpft auf das Bett warfen; selbst die Lenier hatte eine gewaltige Herzensangst gehabt, auch hätten mehrere Nonnen heute morgen von einem Geräusche, was sie die Nacht gehört, gesprochen. – Ich machte ihr Vorwürfe und stellte ihr vor, daß man so lange zaudern würde, bis alles entdeckt wäre, denn mit jedem mißglückten Versuch werde die Gefahr größer. Dies sah sie wohl ein und versicherte, sie würde die kommende Nacht gewiß entschlossener sein, sie habe nochmals mit Angelika darüber gesprochen, beide sich wechselseitig über ihre Furcht Vorwürfe gemacht und würden, es koste auch, was es wolle, die Sache durchsetzen; sie müsse bald wieder zurück und habe die Schlüssel mitgebracht, damit wir die letzte Tür von außen aufschließen möchten und sie alsdann nur noch den Riegel wegzuschieben hätten; ferner würden sie sich in große weiße Bettücher hüllen, damit im Falle die anderen Nonnen etwas merkten, man sie für Gespenster halte und es nicht wage, sich ihnen zu nähern. – Dürfte man die große Klosterpforte, welche auf die Straße führt, öffnen, so hätte man freilich weit weniger Umstände, meinte die Lenier, doch dies sei zu gefährlich, weil die Pförtnerin und noch ein Wächter in der Nähe schliefen. Sie fuhr abermals ab, mit der kräftigsten Versicherung und dem heiligsten Versprechen, daß diese Nacht oder nie die Geschichte beendigt und sie die Türen öffnen würde. Wir alle und besonders ich, der ich anfing, der Sache herzlich müde zu werden, wünschten ihr den besten Erfolg mit auf den Weg.

Es wurde Nacht, und wir begaben uns zum drittenmal auf unsere Posten, überstiegen die Mauern, probierten die Schlüssel und sperrten endlich das Schloß der äußeren Tür glücklich auf, doch der innere Riegel verhinderte das Öffnen derselben; wir lauschten, hörten aber nicht das mindeste Geräusch; schon verzweifelten wir an dem Kommen der Mädchen, als wir ganz leise Schlösser aufgehen und Riegel zurückschieben hörten. Bonnier bebte vor Verlangen und Entzücken, man kam näher, wir hörten Tritte und endlich den Riegel der letzten Tür gehen, sie öffnete sich, und – beide Geister fielen uns halb ohnmächtig in die Arme. – Wir verloren indessen keine Zeit, sondern trugen sie in den Garten an den Ort, wo die Strickleitern angebracht waren. Es war wahrhaftig keine kleine Arbeit, die beiden Damen, eine nach der anderen, mehr tot als lebendig über die himmelhohen Mauern zu bringen; die junge Pariserin, welche zuerst den seltsamen Weg antrat, kletterte noch so ziemlich, aber Angelika mußten wir einen Strick um den Leib befestigen und Bonnier und ich nachhelfen, so daß wir nur jeder einen Arm für uns übrig hatten. Doch wurde auch diese saure Arbeit, ob mit Gottes oder des Bösen Hilfe, will ich hier nicht entscheiden, vollbracht, und wir standen in Zeit von einer halben Stunde sämtlich jenseits des Gartens auf festem Boden, warfen uns in den Wagen und jagten mit verhängtem Zügel über die Engelsbrücke und durch das nach Civita-Vecchia führende Tor voran, die beiden Bedienten zu Pferde hinterdrein und der Marinesoldat auf dem Bock.

Als wir Rom eine Miglia weit im Rücken hatten, ließ ich halten, nahm zärtlichen Abschied von Freund Bonnier, seiner Geliebten und der Lenier, wünschte allen eine glückliche Reise, warf mich auf mein Pferd und sprengte mit meinem Bedienten ventre à terre durch Rom zurück nach Albano, wo ich mich schon seit acht Tagen als présent sous les armes gemeldet und fast jeden Morgen ein Stündchen zugebracht hatte. Bei Tagesanbruch kam ich daselbst an, und schon gegen zehn Uhr wußte man auch hier, daß die vergangene Nacht eine Nonne aus dem Ursulinerkloster entflohen sei. Die Sache machte in der Hauptstadt der christlichen Welt ein ungeheures Aufsehen, der heilige Vater schickte erst den Kardinal-Staatssekretär nach dem Kloster, den Tatbestand zu untersuchen, und fuhr dann selbst dahin. Alle Sbirren und Karabiniere wurden in Bewegung gesetzt, St. Ursula förmlich geschlossen, Haussuchungen veranstaltet, besonders in der Lenier Wohnung und bei ihren Hausleuten; kurz, kein Mittel blieb unversucht, die Täter herauszukriegen und die Entwichenen wieder zu erwischen, doch alles vergeblich, es kam nichts heraus, und Angelika mit Bonnier waren bereits auf der hohen See in Sicherheit. Man mußte sich damit begnügen, einen geistlichen Bannfluch auf die Entflohenen und alle dabei beteiligten Verbrecher zu schleudern. Alle möglichen Vorkehrungen wurden nun in sämtlichen Frauenklöstern getroffen, damit dergleichen sobald nicht wieder passieren könne. (Wenn das Brot gestohlen, schließt man den Schrein zu.) Die armen zurückgebliebenen Nonnen mußten am meisten dadurch leiden, und die Frau Äbtissin entging nur mit Mühe schwerer Strafe und der Absetzung. Alle Schlosser, Maurer und Seiler Roms wurden scharf inquiriert, ob sie nicht Haken, Seile und so weiter geliefert. Die Cesarini stand Todesangst aus, doch ritt ich nach wie vor täglich zu ihr nach Rom. Von Bonnier erhielt ich bald Briefe aus Genua, worin er mir seine glückliche Ankunft daselbst meldete. –

An fünf Monate hatte ich nun schon in Albano und Rom recht unbekümmert zugebracht und in den Tag hineingelebt, außer den erwähnten Intrigen noch so manche kleine nebenher gehabt, namentlich auch mit einem hübschen Albanermädchen, einer giovan principiante, und dies Schlaraffenleben fing endlich an, mir langweilig zu werden, als mich plötzlich eine sehr unangenehme Begebenheit, bei der ich wider Willen und halb gezwungen eine aktive Rolle gespielt, aus demselben riß und ihm ein tragikomisches Ende machte.

Gleich nach Ostern kam eine wandernde Schauspielertruppe nach Albano, um daselbst Vorstellungen zu geben. Eines Morgens in aller Frühe besuchte mich der Impressario derselben, um sich und sein Theater mir zu empfehlen. Als Verehrer und womöglich Protektor aller dramatischen Kunst, versprach ich ihm auch meinen besonderen Schutz, sowie zu tun, was in meiner Macht stünde, seinem Unternehmen förderlich zu sein; ich nahm ihm auch gleich ein paar Dutzend Billetts für einige Scudi ab. Der Mann sah ärmlich und gedrückt aus, hatte eine fast kalabresische braune Hautfarbe und einen ungeheuren Backenbart. Der Zufall oder mein Unstern wollte, daß in diesem Augenblick gerade der Kapitän Caguenec, der mit seiner Kompagnie in dem nahen Velettri lag, wo er Platzkommandant war, zu mir kam, um mich zu einer Jagd einzuladen und mir zugleich anzuzeigen, daß dieser Tage unser Bataillonschef Düret eine Rundreise machen würde, um alle detachierten Kompagnien zu inspizieren. Er wollte wissen, wer der so elendwild aussehende Mann sei. Ich teilte ihm das Anliegen desselben mit, und wir fragten ihn, was er diesen Abend, es war gerade ein Sonntag, aufzuführen gedenke.

Ah eccellenza illustrissima,“ erwiderte der Impressario, „wenn ich so glücklich wäre, am Sonntag spielen zu dürfen, dann wäre mein Glück gemacht.“

„Und warum dürfen Sie das nicht?“

„Seine Eminenz, der Herr Bischof-Kardinal, haben es bei Bann- und Gefängnisstrafe verboten, man würde mir sogleich das Theater schließen; auch dürfen keine Frauen auftreten, sondern alle Frauenrollen müssen von Männern gespielt werden.“

Wir fanden dies sonderbar, besonders da doch in Rom selbst alle weiblichen Rollen mit Frauen besetzt wurden, und machten dem Signor Impressario diese Bemerkung, der aber nur mit Achselzucken antwortete. Da man gerade das Frühstück auftrug, so lud ich den armen Teufel ein, teil daran zu nehmen, was er mit großem Dank und freudig akzeptierte. Wir waren zu fünf, denn Caguenec hatte seine Geliebte, ein artiges Mädchen aus Velettri, mitgebracht, Leutnant Felix, mein Unterleutnant, der Impressario und ich, und ließen uns das Frühstück und den Albanerwein so trefflich schmecken, daß wir alle äußerst munter wurden und, bis auf das Mädchen und ich, etwas in dem Dach vulgo Kopf hatten; Caguenec aber trank sich nach seiner löblichen Gewohnheit wieder einen bösen Rausch an und war bald so en train, daß er übersprudelte; dieser Mensch war mein böser Geist.

„Höre,“ fing er beim Nachtisch an, „sage mir doch, wer ist denn eigentlich hier Kommandant? – Du oder der Bischof? – So ein Pfaffe sollte sich in Velettri unterstehen, zu verbieten, daß man am Sonntag Komödie spiele, ich wollte ihm seine Bischofsmütze zurechtsetzen, daß er daran denken sollte. Befiehl du nur, daß heute abend Komödie gespielt werde, du hast das Recht dazu!“

Ich hatte auch den Kopf etwas warm, Felix noch mehr, er gab dem Caguenec vollkommen recht, und wir sagten dem Impressario, er müsse diesen Abend eine Vorstellung geben, was er jedoch abzulehnen suchte, sich mit dem Verbot der geistlichen Behörde entschuldigend; das Mädchen pflichtete ihm bei, sie meinte, der poveretto würde ja ewig verdammt, wenn er sich so etwas unterstünde. Caguenec wollte, daß wir zum Bischof gehen und diesem befehlen sollten, seine Einwilligung zu geben; wir, die vier Männer, fanden diesen Vorschlag vernünftig und machten uns nach dessen Palazzo auf, wo aber der Impressario unten an der Tür stehen blieb, während wir dessen Stufen hinaufeilten. Der Gang durch die Luft hatte uns und besonders Caguenec noch mehr erhitzt, und die Köpfe glühten. – Nachdem wir die Treppen hinaufgestürmt waren, begegneten wir einem geistlichen Diener, den wir nach seinem Herrn fragten und ihm befahlen, uns zu ihm zu führen, der Kommandant von Albano habe mit ihm zu sprechen; dieser wollte uns erst melden, indem er sagte, er wisse nicht, ob Seine Eminenz schon zu sprechen sei.

„Was sollen die Umstände,“ fiel ihm Caguenec ins Wort, „für französische Offiziere muß er immer zu sprechen sein!“ Wir folgten alle drei dem Diener auf dem Fuß in das Gemach, wo Seine Eminenz noch im tiefsten Negligé auf einem Faulbett ausgestreckt Schokolade zu sich nahm.

Ohne alle weitere Entschuldigung brachte ich sogleich mein Gesuch vor, aber der erschrockene Prälat gab mir nach einigen Augenblicken zur Antwort, daß er unmöglich in dasselbe einwilligen könne, und schützte geistliche Verordnungen vor.

„Was Verordnungen,“ fiel ihm Caguenec ins Wort, „hier hat niemand etwas zu verordnen als der Platzkommandant von Albano, und Sie haben sich um das Messelesen und sonst um nichts und den Teufel um das Komödienspielen zu bekümmern.“

Questo è vero,“ fiel ich ein und begehrte seine Einwilligung, damit diesen Abend gespielt werden könne, schriftlich, wozu er sich aber schlechterdings nicht verstehen wollte.

„Wer wird so viele Umstände mit dem Pfaffen machen!“ rief jetzt Caguenec, faßte die Eminenz, ehe wir’s uns versahen, beim Kragen, riß sie vom Ruhebett herab und schrie: „Pfaffe, jetzt schreib, oder es setzt Hiebe.“ Aber der arme Bischof schrie aus vollem Halse: „Ajuto, ajuto, son assassinato!“ Caguenec, wütend, versetzte dem geistlichen Herrn nun derbe Püffe und Stöße mit geballter Faust, drei bis vier Diener sprangen zwar ins Gemach, blieben jedoch vor Schrecken, als sie ihren Herrn so behandeln sahen, unbeweglich an der Tür stehen. Endlich gelang es uns, dem Leutnant Felix und mir, den tollen Caguenec von dem Kardinal abzuhalten, den ich nun noch einmal ersuchte, das an ihn gestellte Begehren zu bewilligen, indem er sich sonst noch größeren Unannehmlichkeiten aussetzen würde. Jetzt gebot er einem seiner Diener, ihm das Calamajo (Schreibzeug) zu geben, und schrieb nieder, daß er dem Impressario für diesen Abend eine Vorstellung erlaube. – Caguenec sagte: „Warum tatest du dies nicht gleich, dummer Pfaffe, dann würdest du dir die Püffe erspart haben.“ – Wir empfahlen uns, das Papier in der Hand, dem Bischof einen buon giorno wünschend, und zeigten es triumphierend dem unten harrenden Impressario, der, ignorierend, wie wir dasselbe erlangt hatten, darüber ganz entzückt war und uns ein vortreffliches Schauspiel, ‚I brigandi‘ betitelt, versprach. Caguenec und Felix gingen Arm in Arm zu dem nach Rom führenden Tor hinaus bis zu dem Grabmal des Ascanius, wo sie sich niedersetzten und einschliefen, während ich mich heim begab, um auf ein paar Stunden nach Rom zu reiten, mir aber vornahm, zur Vorstellung der Brigandi wieder zurück zu sein. Als ich in das Zimmer trat, sprang mir Caguenecs Geliebte entgegen, mich fragend, wo ich ihren Capitano gelassen habe und wie die Sache abgelaufen sei. Ich gab ihr über beides die gehörige Auskunft und fand jetzt, daß Regina eine recht hübsche, schlanke Brünette sei und ein Paar recht feurige, funkelnde Augen habe, was ich vorher gar nicht wahrgenommen. Ich ließ mich in ein Gespräch mit ihr ein und erfuhr, daß sie die Tochter einer Uhrmacherswitwe in Velettri wäre, die einige Wein- und Obstgärten daselbst besaß, in denen sie zufällig Caguenecs Bekanntschaft gemacht und er ihr den Antrag gestellt, sie als seine Geliebte zu unterhalten, worin ihre Mutter auch eingewilligt, da er viel versprochen habe und ihre Umstände nicht die glänzendsten seien; bis jetzt aber habe er von den Versprechungen keine gehalten, außer Nahrung und Wohnung habe sie noch nichts von ihm bekommen und ihm doch ihre Jungfrauschaft gebracht, dazu sei er noch obendrein sehr oft imbriaco, da hätte sie denn ihre liebe Not mit ihm, sie habe sich schon die unsäglichste Mühe gegeben, ihm diese Sünde abzugewöhnen, aber vergeblich, öfters komme er in einem solchen Zustand heim, daß er sich ganz angekleidet auf das Bett fallen lasse und ohne sich zu rühren bis zum anderen Morgen schlafe.

Die naive Einfalt, mit der mir Regina diese Erzählung machte, brachte mich zum Lachen. Ich nahm sie in meinen Arm, küßte sie und sagte zu ihr, es sei gewiß recht fatal, daß der Mann einen so festen Schlaf habe. – „Freilich,“ erwiderte sie, „und das Fatalste ist, daß ich dabei nicht einschlafen kann.“ – „Du mußt dich dafür rächen und entschädigen,“ versetzte ich ihr, sie auf meinen Schoß ziehend. – „Ei, das möchte ich wohl, wenn ich nur Gelegenheit dazu hätte.“ – „Oh, die soll sich leicht finden,“ meinte ich, küßte das schon glühend werdende Mädchen recht innig, verriegelte die Stubentür und zog sie in mein anstoßendes Schlafgemach. – Nach einer halben Stunde verließen wir dasselbe wieder, und um bei Caguenec allen Verdacht zu vermeiden, schwang ich mich auf mein Pferd und ritt zum Tor hinaus, der Landstraße nach Rom zu, wo ich die beiden Schläfer noch an Ascanius’ Mausoleum schnarchend fand, sie mit einem lauten Hallo aufweckte und ihnen verkündete, daß ich nach Rom reite, dem Caguenec lachend zurufend: „Du bist mir ein sauberer Held, deine Regina sitzt bei mir verlassen und seufzt und langweilt sich.“

„Himmelsapperment,“ schrie Caguenec, sich die Augen reibend, „ich habe ganz vergessen, daß ich die Hexe bei mir habe; höre, du wirst mir doch keine Streiche gemacht haben, sonst könntest du mir leicht vor die Klinge müssen.“

„Wo denkst du hin, ich habe mehr zu tun, als mich um deine Geliebte zu bekümmern.“

„Wenn auch, ich kenne dich, du bist mir ein sauberer Zeisig.“

Ich sprengte indessen mit einem: „Albernes Zeug!“ davon, suchte in Rom die Vernetti auf, bei der ich über Mittag blieb und sie dann gegen Abend in einem Wagen mit nach Albano nahm, damit sie der vom Impressario versprochenen Extravorstellung beiwohnen könnte. Das war sie in jedem Betracht, ich hatte noch nie so etwas gesehen. In einer Art Scheune war eine Erhöhung von einigen Holzblöcken und Brettern gemacht und mit alten Lumpen behangen, deren Farbe der beste Chemiker nicht mehr hätte ausfindig machen können; einige abgerissene und davor gestellte Baumzweige sollten einen Wald vorstellen. Und nun erst die Schauspieler! Die Briganten in Kalabrien waren noch wie Fürsten im Vergleich mit diesen gekleidet. Das Ärgste waren aber die rot- und schwarzbärtigen Aktricen und deren Kostüme, schmutzige Tücher auf Poissardenart um die Köpfe gewunden, Unterröcke um die Hüften hängend, welche hinten und vorn so große Löcher hatten, daß man einen Kopf durchstecken konnte. Zerrissene Hemdärmel und ein über das Hemd und den bloßen Hals geworfenes lumpiges Tuch vervollständigten das Erbärmliche ihrer Garderobe; diese vom Galgen gefallenen Burschen machten die zärtlichen Liebhaberinnen. In den ersten Reihen des Publikums saßen Caguenec und seine Geliebte, die Vernetti, ich, Felix, ein paar Lieferanten und so weiter und dann noch einige zwanzig andere Zuschauer, Einwohner aus Albano, aber kein einziges weibliches Wesen außer den beiden angeführten. Der Herr Impressario hatte sich verrechnet, die Leute in Albano waren zu devot, um eine Sonntagskomödie zu besuchen. Um den Saal, eine Art Stall, zu füllen, ließ ich sämtlicher Mannschaft und den Unteroffizieren der Kompagnie, die nicht im Dienst waren, Gratisbilletts geben, für die ich zwei Scudi bezahlte. Nicht leicht wieder wird sich eine solche Künstlergesellschaft und ein solches Publikum zusammenfinden, und dennoch amüsierte ich mich, wenigstens eine Zeitlang, königlich, denn die Geberden, Grimassen, Deklamationen, Zärtlichkeiten und das Herumvagieren der Schauspieler mit Händen und Füßen war über alle Maßen komisch-heroisch und possierlich; Blicke warfen sie um sich, welche auch Steine zum Erbarmen, zum Schaudern und zum Lachen hätte bringen können. Das Sujet des Stücks war schwer zu erraten, Mord und Raub aber der Hauptinhalt. Wir blieben bis zur Hälfte der Vorstellung, nahmen dann eine Cena ein, und Caguenec mit seiner Dulcinea blieben über Nacht bei mir, an Zimmern und Betten fehlte es mir ja nicht, ich hätte noch ein paar Dutzend solcher Paare beherbergen können. Am anderen Morgen empfahlen sich meine Gäste, nachdem sie noch gehörig gefrühstückt hatten, und gegen Abend brachte auch ich meine junge Witwe wieder in ihre Wohnung zurück.

Drei Tage nach dieser Vorstellung, als ich eben im Begriff war, meinen gewohnten Ritt nach Rom zu machen, fuhr eine Postchaise an meiner Wohnung vor, aus der mein Bataillonschef Düret und sein Adjutant-Major sprangen, die zu mir heraufstürmten. Ersterer begrüßte mich mit den Worten: „Voilà une belle affaire, que diable avez-vous fait?“ Er zog dabei einen Bericht aus der Tasche, der den Vorgang bei dem Kardinal mit den grellsten Farben aufgetragen enthielt und in dem zugleich von seiten der päpstlichen Regierung auf die strengste Untersuchung und Bestrafung angetragen wurde. Ich erzählte Düret den Zusammenhang der ganzen Geschichte, der dann ausrief: „Das wird eine saubere Sauce werden, toujours ce diable de Caguenec, aber über Sie wird das ganze Wetter kommen, denn Sie sind hier Kommandant; der kommandierende General in Civita-Vecchia ist sehr aufgebracht, und ich habe sogar den Auftrag von ihm, nach Befinden der Umstände Ihnen sogleich arrêts forcés zu geben. Ich will indessen mein Möglichstes tun, diese unangenehme Sache so glimpflich, als es tunlich, zu beseitigen, aber ganz mit heiler Haut werden Sie nicht davonkommen.“ Nachdem er ein Frühstück genommen, fuhr Düret nach Velettri ab, um auch den Caguenec zu verhören, setzte dann seine Inspektionsreise nach Biberno, Porto d’Anzio und so weiter fort und kehrte nach Beendigung derselben nach Civita-Vecchia zurück.

Indessen war mir diese Sache nicht gleichgültig, ich teilte den Vorfall der Cesarini mit, die mir den Rat gab, dem Kardinal einen Besuch zu machen und mich bei ihm zu entschuldigen. Hierzu konnte ich mich aber nicht entschließen, und während ich so zwischen dem, was ich zu tun und zu lassen hätte, schwankte, kam eines Morgens der Kapitän Stahl an und verkündete mir, daß er die Order habe, mich abzulösen, indem ich zum dritten Bataillon, das noch in Genua lag, versetzt sei, und Düret schrieb mir dazu, ich könne Gott und ihm danken, daß die Sache so gelinde abgelaufen sei, der General habe anfangs durchaus auf einem Kriegsgericht bestanden, und nur mit großer Mühe habe man ihn davon abgebracht. – So unangenehm mir auch diese Versetzung war, so wurde ich denn doch jetzt von aller peinlichen Ungewißheit befreit, die mich seit acht Tagen quälte. Ich erhielt meine Marschroute mit der Order, mich sogleich an meinen neuen Bestimmungsort zu verfügen. Hier blieb nichts übrig, als zu gehorchen. Nicht ohne Wehmut nahm ich von all meinen Bekannten und den Familien in Rom, in deren Häusern ich so manche Freude, soviel Annehmlichkeiten genossen und mit so liebenswürdiger Liberalität aufgenommen worden war, Abschied. Torlonia, dem ich die Ursache meiner Versetzung gesagt, antwortete, daß, wenn ich ihm den Vorfall gleich mitgeteilt, er die Sache gewiß ausgeglichen haben würde und es dann zu keiner Klage gekommen wäre. Aber wer sich meine Abreise am meisten zu Herzen nahm, war die Cesarini, trotzdem ich sie in der letzten Zeit so ziemlich gleichgültig behandelt oder doch sehr vernachlässigt hatte. Sie wollte sich anfänglich gar nicht darein finden und entwarf allerlei Pläne, mich nach Genua zu begleiten, daselbst zu wohnen und so weiter. Ich hatte große Mühe, ihr die Unausführbarkeit eines solchen Vorhabens begreiflich zu machen, und um sie einigermaßen zu beschwichtigen, beschloß ich, noch acht bis zehn Tage inkognito in Rom zu bleiben und dann, statt mich an die Marschroute zu halten, mit Extrapost nach Genua zu reisen, wodurch ich beinahe einen ganzen Monat Zeit gewann. Dies schien sie etwas zu beruhigen, aber nun machte sie mir eine Eröffnung, die mich nicht wenig überraschte. Sie gestand mir nämlich, daß sie in der Hoffnung sei und daß sie, seit sie mich kenne und schon vorher, durchaus keinen vertrauten Umgang mit ihrem Gatten mehr gehabt habe, daher nicht wisse, was dies noch für Folgen nach sich ziehen könne; sie mache sich indessen gerade deshalb keine großen Sorgen, denn der Herzog halte sich ja auch Mätressen und bekümmere sich gar nicht um sie, auch könne sie es wohl veranstalten, ihre Niederkunft geheim zu halten. Ich verkaufte jetzt mein Pferd, schaffte mir dafür eine schon gebrauchte Kalesche an, indem ich einen Wagen, den mir Gertrude zum Geschenk machen wollte, ausschlug, und brachte die wenigen Tage, die ich noch in Rom war, fast ausschließlich in ihrer Gesellschaft zu. – Noch hatte ich die Trajanssäule nicht bestiegen, und als ich diesen Wunsch äußerte, versetzte sie: „Das können wir ja noch zusammen tun.“ Bei der Ausführung dieses Planes fiel mir Madame Gasqui und die Antoninsäule ein, bei deren Besteigen ich die erste Veranlassung zu einer intimeren Bekanntschaft mit ihr gehabt. Als wir kaum oben waren, sah mich meine Begleiterin plötzlich mit einem grellen Blick an und sprach: „Wie, wenn ich mich da hinabstürzte, dann hätten auf einmal alle Sorgen und alle Pein ein Ende.“ – „Sind Sie toll,“ fiel ich ihr ins Wort und faßte sie schnell am Arm, sie sah mich aber nur lachend an und sagte: „Habe keine Angst, so weit ist es noch nicht, wenigstens müßtest du dich mit mir hinabstürzen wollen.“ – „Dazu spüre ich noch keine Lust,“ erwiderte ich ihr, „es wäre ein dummer und nicht einmal gewisser Tod, ich will doch zehnmal lieber durch eine Kugel fallen.“ Ich umfaßte und küßte sie und machte, daß wir bald wieder hinabkamen.

Am Abend vor meiner Abreise fand sich Gertrude zum letztenmal bei mir ein und brachte die Nacht bis zwei Uhr morgens mit mir zu, mir zum ewigen Andenken eine über vier Schuh lange Locke von ihrem schönen Haar und einen goldenen Ring gebend, auf dem das Kolosseum, wo wir so manche trauliche Stunde zugebracht hatten, in Mosaikarbeit abgebildet war; andere prächtigere Geschenke hatte ich mir durchaus verbeten. Ich führte sie endlich in ihre Wohnung zurück, wo ich ihr den letzten langen Abschiedskuß in ihrem Schlafgemach gab und sie in Tränen gebadet verließ. – Ihre letzten Worte waren: „Non dimenticarmi!“ Ich erwiderte, daß ich hoffe, sie bald wiederzusehen. Ich hatte ihr versprochen, mein Möglichstes zu tun, um wieder meine Versetzung zum ersten, im Kirchenstaat liegenden Bataillon zu bewirken, was ich mir auch vornahm.

Um vier Uhr morgens hatte ich die Pferde bestellt, als aber der Wagen vorfuhr, sah ich statt der alten Kalesche, die ich gekauft, einen ganz eleganten modernen Reisewagen, und als ich meinen Burschen fragte, was dies zu bedeuten habe, gestand mir derselbe, daß diese Verwechslung gestern nachmittag auf die dringende Bitte einer Dame geschehen sei, die ihm zu gleicher Zeit ein Geschenk von zehn Zechinen gemacht und ihm dabei gesagt habe, der Wagen komme aus so lieben Händen, daß er seinem Herrn die größte Freude, die man ihm heimlich zu machen wünsche, verursachen würde. Zugleich stellte mir der Bursche noch ein Schlüsselchen zu, das zu einem Wagenkistchen gehöre, was außerdem noch versiegelt war. Hier blieb nichts übrig, als mich des Geschenks zu bedienen, von dem ich wohl denken konnte, wo es herkam. Der Koffer war gepackt, die Pferde angespannt, meine Kalesche fort, und ohne die splendide Geberin zu beleidigen und tief zu kränken, konnte ich das Geschenk nicht wohl zurückschicken. Ich stieg in den Wagen, befahl dem Postillon, im starken Trabe davon- und zur Porta Popolo hinauszufahren und warf mich, tief in meinen Mantel gehüllt, in den Hintergrund des Wagens, über die seltsamen Wege des Schicksals meditierend, Rom mit Bedauern verlassend, ohne mich noch einmal nach der ewigen Stadt umzusehen, in der ich so viele Freuden genossen, deren Erinnerungen ich nun an meiner Phantasie vorübergehen ließ.

IV.
Reise über Florenz nach Genua. – Ankunft zu Florenz. – Eine Überraschung. – Ein Abenteuer. – Die Kathedrale San Maria del Fiore. – Die mysteriösen Schönen. – Lady Mary. – Das Arnotal. – Die schönen Strohflechterinnen. – Abreise nach Genua.

Da ich als Partikulier und nicht als Militär, das heißt, wenigstens nicht nach meiner Marschroute reiste, die mir volle fünfunddreißig Tage bis zu meiner Ankunft in Genua gestattete, so hatte ich beschlossen, meinen Weg über Florenz zu nehmen.

In Siena verweilte ich einen Tag, um mich auszuruhen, und fuhr mit einbrechender Nacht nach Florenz ab, wo ich noch lange vor Tag ankam und Mühe hatte, das dienende Personal eines Gasthofs aus dem Schlaf zu wecken, um mir ein Zimmer anweisen und eine erquickende Schokolade bereiten zu lassen. Letzteres versteht man nirgends so gut als in Italien. Ich hatte mir vorgenommen, vierzehn Tage bis drei Wochen in Toscanas schöner Hauptstadt zuzubringen, da ich durch mein schnelles Reisen diese Zeit vollkommen wieder einbringen und jedenfalls zu dem auf der Marschroute bezeichneten Zeitpunkt in Genua eintreffen konnte. Nachdem ich ein paar goldene Morgenstunden verschlafen, ließ ich meinen Koffer und auch das verschlossene und versiegelte Wagenkistchen auf mein Zimmer bringen, das zu öffnen ich bis jetzt noch keine Muße gefunden hatte, da die Sehenswürdigkeiten Sienas alle meine Zeit daselbst in Anspruch nahmen. Ich entsiegelte und schloß das Kästchen auf und war vor Verwunderung starr, als ich es mit der feinsten Battistwäsche, gestickten Taschentüchern und Hemden angefüllt fand. Oben lag ein in rosenfarbiges Seidenpapier gewickeltes Portefeuille von blauem Samt, auf dem mit Perlen Gertrudens Namenszug von einem Blumenkranz umgeben gestickt war. Als ich dasselbe öffnete, fiel mir ein auf Velinpapier mit Goldrand geschriebenes Briefchen in die Hand, das mit einer Brillantnadel, mit einem von Rubinen umfaßten prächtigen Solitär, zugesteckt war. Ich nahm die Nadel herunter, entfaltete es und las:

‚Carissimo Fernando!

Nimm dies kleine Geschenk als ein Andenken von mir und der unvergeßlich seligen Stunden, die ich mit Dir zubrachte, gütig auf; wohin Dich auch immer die Verhältnisse und des Schicksals Wege führen mögen, gedenke Deiner Dich so innig liebenden Freundin in Rom. Sie hat erst zu lieben begonnen, als sie Dich kennen lernte, vergiß sie nicht, dies würde sie unglücklich machen, gieb mir wenigstens einmal jeden Monat Nachricht, die Du mir durch die mit Dir verabredete Adresse zukommen lassen kannst. Deine Briefe werden mir mindestens ein Schattentrost sein. Deine Abwesenheit macht mein Leben zur Einsamkeit und es wird traurig genug dahinfließen, nur Nachrichten von Dir können mir einige heitere Augenblicke gewähren. Lebe wohl, sei glücklich und vergiß nimmer Deine Dich bis zum letzten Atemzug liebende Gertrud.‘

Schreiben an zurückgelassene Geliebte war meine Sache sonst nicht; aber hier mußte ich doch eine Ausnahme machen, antwortete ihr sogleich und meldete ihr meine glückliche Ankunft in Florenz. Während ich schrieb, packte mein Bedienter das Kistchen aus, plötzlich rief er: „Ach, sehen Sie doch, Herr Leutnant, was da für ein schönes Kästchen ist,“ ich drehte mich um und erblickte eine wunderschön gearbeitete Schatulle von Ebenholz mit Perlmutter und Silber ausgelegt, an der ein goldenes Schlüsselchen an einem himmelblauen Bande herabhing. „Wie schwer es ist,“ sagte der Bursche, mir es darreichend, ich öffnete es und fand zu meiner nicht geringen Verwunderung das sehr wohlgetroffene Porträt der Principessa Cesarini in Miniatur gemalt und mit Rosetten eingefaßt; aber noch weit mehr erstaunte ich, als ich unter demselben zehn Rollen, jede mit einhundert Zechinen vorfand. Dies war zuviel, wenigstens das Gold hätte sich nicht vorfinden sollen, auch ein Zettelchen lag in der Schatulle, auf dem geschrieben stand: ‚Nicht wahr, lieber Fernando, Du zürnest mir nicht, daß ich mich unterfing, Dir einen Pfennig für die Not beizulegen, und wenn Du zürnest, so sieh mich nur an (mein Porträt), und ich bin eitel genug zu glauben, daß Dir dann aller Unwille vergehen wird.‘ In der Tat war das Bild so lieblich lächelnd und so sprechend ähnlich gemalt, die Züge dem reizenden Original so bezaubernd gleich, daß ich es einigemal küßte, und mir zum erstenmal der Gedanke kam: wie ist es möglich, daß man auch gegen solche Reize gleichgültig werden kann, und mit der Natur schmälte, daß sie mich mit einem so veränderlichen Herzen geschaffen hatte; denn was kann am Ende der Mensch für sein Temperament, für seine Leidenschaften, für seine Art zu fühlen und zu empfinden; nicht mehr als der Bucklige für seinen Höcker, der Krumme für seinen Wuchs, er kann sich ebensowenig von seinen moralischen Auswüchsen befreien wie dieser von seinen physischen.

Nachdem ich von meiner Überraschung zurückgekommen, nahm ich mir vor, dieses mir mit so unendlicher Liebe zugetane Wesen nicht zu dem großen Haufen zu werfen, und beinahe machte ich mir über die zu Rom und Albano gegen sie begangene Untreue und Vernachlässigung Vorwürfe. Während ich solchen Gedanken Raum gab und im Vornehmen und Vorwerfen begriffen war, hörte ich plötzlich die Akkorde auf einem sehr wohlklingenden Pianoforte anschlagen, und bald darauf die Romanze ‚Solitario bosco ombroso‘ durch ein liebliches Silberstimmchen aber mit fremdem Akzent vortragen, deren Refrain ‚per trovar qualche risposo, nel silenzio nel orror‘ mit ganz besonderem Ausdruck gesungen wurde.

Dieser Gesang, der mich, sowie jede Musik in der frühen Morgenstunde, in eine ganz eigene Stimmung versetzte, brachte mich schnell wieder auf andere Gedanken, ich vergaß Bild und Schreiben und lauschte nur auf die Silbertöne, die aus einem in meiner Nähe befindlichen Gemach zu kommen schienen. Ich erkundigte mich bei einem Aufwärter nach der singenden Dame und erfuhr von demselben, daß es die junge Gattin eines vornehmen Engländers sei, die mit ihrer Schwägerin die anstoßenden Gemächer bewohne und deren Mann sich dermalen in Paris befände, um daselbst die Erlaubnis zu seiner Rückkehr nach England auszuwirken, da alle Engländer, die sich auf dem europäischen Festlande befanden, so weit der napoleonische Einfluß reichte, Kontinentalarrest hatten.

E bella?“ fragte ich den Cameriere. „Bellissima ed assai giovine.“ – „Und ihre Umgebung?“ – „Die beiden Ladys haben nur zwei Kammerfrauen und einen Bedienten um sich, fahren jeden Tag spazieren, gehen aber zu niemand und empfangen auch keine Gesellschaft.“ – „Besuchen sie auch keine Kirchen?“ – „O ja, alle, aber nur um die Bilder zu sehen, denn es sind unglückliche Ketzerinnen.“ – „Gut, bestellen Sie mir jetzt den berühmten Haarkräusler der Stadt, ich will mir die Haare schneiden lassen.“ Mit einem: ‚Illustrissimo sara servito‘ empfahl sich der Cameriere, und sobald ich allein war, trillerte ich: ‚God save the King‘ und ‚Rule Britannia‘, die einzigen englischen Lieder, die mir bekannt waren und die ich auswendig wußte. Man hatte mich gehört, denn die Zofen streckten ihre niedlichen Köpfe aus der Tür im Korridor, um zu erforschen, wer wohl hier englische Nationalgesänge anstimme. Bald darauf vernahm ich auch, wie man sich bei einem Aufwärter nach dem Fremden erkundigte, der nebenan logiere und englisch singe. – „Non so,“ lautete die Antwort, „aber ich werde es bald wissen und Ihnen dann mitteilen.“ Ein paar Minuten darauf kam der primo Cameriere zu mir, mich nach Stand, Herkommen, Reiseabsicht und so weiter im Namen einer hochlöblichen Polizei inquirierend. Lächelnd befriedigte ich den neugierigen Burschen, wissend, welche Polizei ihn abgeschickt. „Ah Mosiou est Oufficier français?“ versetzte er sich verneigend, und mit einem ‚Umilissimo servo‘ komplimentierte sich der dienstbare Geist wieder zum Zimmer hinaus, um die Neugierde der Zofe und durch diese die ihrer Herrschaft zu befriedigen. Ich packte nun die erhaltenen Geschenke wieder sorgfältig ein, worauf der bestellte Signor Peruchiere erschien, mich frisierte oder vielmehr nur durchkämmte, die Spitzen der Haare abschneidend, und mich für eine ihm gespendete Zechine vollkommen mit den Verhältnissen der schönen Welt von Florenz bekannt machte. Ich warf mich sodann in grande tenue, um die Sehenswürdigkeiten der schönen Stadt aufzusuchen, ging jedoch noch vorher drei bis viermal aus meinem Zimmer auf den Korridor, bis an die Treppe und wieder zurück, indem ich tat, als hätte ich etwas vergessen, und jedesmal hatte ich das Glück, einem der englischen Kammermädchen zu begegnen, die ich mit einer freundlichen Verbeugung grüßte und von denen ich eben so freundlich wieder gegrüßt wurde.

Gegen einundzwanzig Uhr in mein Hotel zurückgekommen, ließ ich mir auf meinem Zimmer ein Pranzo servieren, das sehr splendid aufgetragen wurde, denn man stellte mir wenigstens ein paar Dutzend Platten vor, von denen ich kaum vier berührte, aber destomehr ließ sich mein Bursche die anderen schmecken, wogegen ich nichts hatte; denn bezahlen mußte ich sie doch, da sie aufgetragen waren, verbat mir aber in Zukunft einen so reichlichen Service.

Kaum hatte ich den letzten Bissen im Mund, so eilte ich wieder fort, die Promenaden aufzusuchen, auf denen sich die schöne Welt von Florenz und namentlich die schönen Florentinerinnen zeigen. Ein paar Tage nach meiner Ankunft verfolgte ich zwei schlanke, tief verschleierte weibliche Gestalten, denen ich gegen abend auf der Brücke della Trinità begegnet war, in einiger Entfernung; sie schienen es bald bemerkt zu haben und eilten längs dem Quai hinab, gingen über Ponte Vecchio wieder über den Arno, an dem Palast Pitti vorüber, über die Piazza San Spirito, dann wieder einige Straßen zurück und machten so fortwährend vergebliche Gänge hin und her. Es leuchtete mir ein, daß sie mir zu entgehen und zu verhindern suchten, daß ich in Erfahrung bringe, wo sie sich hinbegeben würden; aber dadurch wurde meine Neugierde nur noch weit mehr angeregt, ich folgte ihnen jetzt fast auf dem Fuß nach und betrat beinahe zu gleicher Zeit wie sie die Gärten des Palastes Pitti, in die sie endlich ihre Schritte lenkten. Hier suchten sie die einsamsten Gänge hinter den dichtesten Gebüschen auf, wohin ich ihnen immer nachging. Als sie unter den schwarzgrauen Mauern der Fortezza angekommen waren, welche diese Gärten auf der einen Seite begrenzen, die sich dort recht pittoresk an Alleen und Bosketten hinziehen, wandten sich die beiden Damen plötzlich um, und die eine fragte mich: „ma che cosa ci volete, Signoro?“

„Nichts als Ihre Reize bewundern.“

Ah é un forestiero,“ sagte die, die mich angeredet zur anderen, nun waren beide plötzlich freundlich und gestanden mir, daß sie mich für einen Spia gehalten, den man ihnen nachgeschickt, um ihnen aufzupassen.

„Aber, meine Damen, sehen Sie mich doch recht an, habe ich denn die Miene eines Spions?“

„Das nicht, mein Herr,“ versetzte die eine etwas verlegen, „aber wir konnten Sie ja auch nicht recht ansehen, übrigens,“ setzte sie lächelnd hinzu: „sehen Sie doch aus wie ein Schalk, dem nicht so ganz zu trauen ist.“

„Ich ein Spion, wo denken Sie hin? Ich spioniere höchstens nach den Reizen der schönen Damen, und in diesem Sinne mögen Sie recht haben.“

Ich begleitete nun die beiden Signoras mit ihrer Erlaubnis an die anmutigsten Orte des Gartens Boboli und hatte bald von ihnen herausgebracht, daß die eine die unterhaltene Geliebte eines Principe und die Tochter eines untergeordneten Beamten sei, die andere, ihre Freundin, ebenfalls von einem reichen Edelmann ihre Subsistenz habe; indessen schien es, daß sie auch noch andere Liebhaber nebenbei hatten, beide wollten jedoch nicht recht mit der Sprache heraus. Nachdem ich etwa eine Stunde mit ihnen herumspaziert war, fanden sie, daß es jetzt Zeit sei, sich nach Haus zu begeben; auf meine Frage, ob ich nicht das Vergnügen haben könne, sie heim zu begleiten, antworteten sie mit einem impossibile, und die eine fügte hinzu: „wir werden zu sehr beobachtet und wohnen an der Piazza di Santa croce“. Sie redeten noch leise miteinander, und die hübscheste sagte endlich: „Da Sie ein so artiger Kavalier zu sein scheinen und, wie Sie sagen, Ihnen soviel daran liegt, unsere nähere Bekanntschaft zu machen, so will ich Ihnen ein Mittel angeben, wie Sie diesen Abend in unserer Gesellschaft zubringen können. Begeben Sie sich, sobald es Nacht ist, in den Dom, dort sollen Sie uns treffen, und von da können Sie uns in einer kleinen Entfernung folgen, Sie müssen uns aber versprechen, uns jetzt zu verlassen, sonst sehen Sie uns nicht wieder.“ Ich ging diesen Vertrag ein, bat mir aber ein Unterpfand aus, die eine zog einen kleinen Ring vom Zeigefinger, den sie mir darreichte, indem sie sagte: „Hier, Signore,“ blickte mich jedoch dabei ein wenig mißtrauisch an. Beide entfernten sich jetzt eilig. Meine Neugierde war zu groß, als daß ich mein Versprechen so unbedingt hätte halten können, ich versuchte doch zu erforschen, wohin sie sich begeben würden, um zu erfahren, ob sie mir die Wahrheit gesagt. Ich hatte sie bis beinahe an den Ausgang des Gartens begleitet, dann aber verfolgte ich sie mit den Augen, und sah, daß sie wieder den Weg nach dem Ponte Vecchio einschlugen. Ich eilte schnell auf der anderen Seite des Palastes Pitti vorüber, sah sie dann über diese Brücke gehen, und beauftragte einen Jungen, der sich mir gerade darbot, und dem ich ein gutes Trinkgeld versprach, den Damen unbemerkt nachzuschleichen und mir zu rapportieren, in welches Haus sie gegangen seien, ich aber wollte seine Rückkunft auf der Brücke della Trinità abwarten. Es dauerte nur wenige Minuten, so kam derselbe zurück und berichtete mir, daß er die Signoras aus dem Gesicht verloren hätte, als sie um eine Straßenecke gegangen seien, da er ihnen aber ziemlich nahe gewesen, so müßten sie notwendigerweise in ein Haus dieser Straße getreten sein, aber in welches, habe er nicht ermitteln können. Ich fand den Schluß des dummen Jungen zwar logisch, aber keineswegs für mich genügend, gab ihm verdrießlich die versprochene Belohnung, und hieß ihn sich trollen. Dem Abenteuer weiter nachzugehen und mich in den Dom zu begeben, würde ich jetzt unterlassen haben, hätte ich nicht den Ring gehabt, den ich doch restituieren mußte.

Die Nacht kam endlich heran, ich machte mich, bevor sie völlig eintrat, auf den Weg nach dem Dom, in dem ich vergeblich eine ganze Stunde auf meine Schönen wartete und unterdessen die Sehenswürdigkeiten desselben, soweit es eine, obschon spärliche Beleuchtung zuließ, betrachtete. Bewunderung verdient die achteckige Kuppel dieses Gebäudes, von der selbst Michel Angelo sagte: daß wenn es auch nicht unmöglich sei, dieses Baukunststück nachzumachen, es doch eine Unmöglichkeit wäre, dasselbe zu übertreffen.

Bald fing ich an die Geduld zu verlieren, als ich die erwarteten Schönen noch immer nicht kommen sah, machte einigemal die Ronde außerhalb der Kirche, die auf einem großen Platz liegt, so daß man sie von allen Seiten gehörig sehen und den Prachtbau bewundern kann, und staunte den hohen, mit schwarzem, rotem und weißem Marmor bekleideten, sich in der nebligen Dämmerung majestätisch emporhebenden Glockenturm an; er wurde nach der Zeichnung des berühmten Giotto erbaut, der vom Ackerpflug weg in die Werkstätte des Cimabus trat, bald seinen Lehrer und Meister weit hinter sich lassend, durch sein Talent sich die Freundschaft Dantes und Petrarchs in hohem Grade erwarb und mit Reichtümern und Ehren beladen starb.

Noch einmal ging ich in die Kirche mit dem Vorsatz, wenn jetzt die Damen nicht erschienen, mich weg und in das Theater zu begeben. Als ich eintrat, erblickte ich zwei schwarz gekleidete Frauen mit zurückgeschlagenen Schleiern in einer Seitenkapelle knieend; ich umging sie und erkannte meine Erwarteten. Als sie mich erblickten, warf mir die eine eine Occhiata zu, bald darauf erhoben sie sich und flüsterten, an mir vorübergehend, die Worte: „Ora venite.“ Ich befolgte dies sogleich und begann die Unterhaltung noch in der Kirche. Das Weihwasser nehmend, standen sie still, die eine sah mich nochmals mit forschendem Blick an, und sagte dann: „Dürfen wir Ihnen auch gewiß trauen?“ – „Meine Signora, ich bin französischer Offizier.“ – Die andere fiel nun ein: „Ich traue ihm, komm, laß uns gehen.“ – Wir verließen den Dom, die Damen führten mich durch eine Menge kleiner und schmaler Winkelgassen, so daß ich bald alle Richtung verloren hatte und ich nicht mehr wußte, in welchem Stadtteil ich mich befand. – Jetzt erst kam mir der Gedanke, ob auch ich ihnen wohl trauen dürfe, in den Sinn; ich hatte indessen meine geladenen Terzerolen bei mir, und dachte: „Mit diesen magst du es schon wagen.“ Endlich kamen wir bei einem ziemlich großen Gebäude an, an welchem die eine Signora eine kleine Seitentür mit einem Schlüssel öffnete, wir schritten durch einen schmalen langen Gang wieder an ein Pförtchen, das in einen Garten führte, wo wir durch Gebüsche und Irrwege endlich in eine Allee gelangten, an deren Ende sich ein kleiner Pavillon befand, den man auftat, ohne zu leuchten, so daß wir fortwährend im Dunkeln tappten. Ich fragte nun nach Licht, man antwortete mir aber, dies sei unnötig. Ich fing doch an die Möglichkeit eines Fallstricks zu denken, und daß ich wohl in eine Trappoleria (Mausefalle) geraten sein könne. Auf meine wiederholte Bitte um Licht, wurde mir: „Si fa l’amore senza lumen, setzen Sie sich,“ zugleich zog mich ein zartes Händchen auf ein Sofa nieder. Ich hatte einen Beutel ziemlich mit Gold gefüllt bei mir, der wohl die Raubsucht eines Banditen lüstern machen konnte, doch das konnten die Signoras nicht wissen; indessen wollte ich mich vorsehen, wenn ich wirklich in eine solche Mordhöhle gefallen sei, und nahm ein Terzerol in die rechte Hand, um auf alle Fälle gefaßt zu sein. Zufällig betastete die unsichtbare Dame das Instrument und rief, mich fahren lassend, mit einem Schrei des Entsetzens aus: „Cosa è questo?“ – Die Angst, mit welcher ihr diese Worte entfuhren, sowie daß die andere Stimme ganz leise mit einem: „ma per l’amor di dio cosa avete“ einfiel, schien mir jedoch zu sagen, daß mein Verdacht unbegründet sei, und ich erwiderte nun ebenso leise ein: „niente, Signore, seien Sie ruhig,“ und gestand den Damen dann offen, daß, weil sie Licht verweigert hätten, ich mich eines Verdachts nicht habe erwehren können. Sie erklärten mir nun, daß sie kein Licht anzünden wollten, damit niemand wisse, daß Leute im Pavillon seien und sie nicht verraten werden könnten. So beiderseits beruhigt, überließen wir uns anderen Gefühlen, als denen der Furcht und des Argwohns, und ich fand bald, daß im Dunkeln ganz gut munkeln sei, denn auch im Finstern wußte ich die Rosalippen und die verborgenen Reize meiner Schönen zu finden, die ich abwechselnd an den Busen drückte, ohne die Eifersucht gegen die andere rege zu machen, da sie sich im Gegenteil gegenseitig animierten, meine Gunstbezeigungen zu teilen. Endlich aber waren wir alle drei so ziemlich schachmatt, und die Damen bemerkten mir, daß es wohl ora di partire sein möge, weil nach zehn Uhr sich oft ihre Signori einfänden. Ich küßte beide zum Abschied, griff sodann in die Tasche und wollte ihnen einen Teil des bei mir habenden Goldes einhändigen, aber man wies es nicht nur mit großem Unwillen zurück, sondern sagte zürnend: „Mein Herr, für was halten Sie uns?“ – „Für sehr liebenswürdige Damen, wovon ich Ihnen soeben die Beweise gegeben habe; nehmen Sie nur hin, es ist Gold.“ – Nun wurden sie noch zorniger, und die eine rief aus: „Glauben Sie, daß wir ... sind? Sie haben sich sehr in uns geirrt, und wir hätten nicht geglaubt, daß Sie fähig sein könnten, uns so zu beleidigen, sonst würden wir Ihnen sicher nicht erlaubt haben, mit uns zu gehen, wir bedürfen Ihres Goldes nicht.“ – Ich hatte alle Mühe, meine mysteriösen Schönen zu besänftigen, die mir nicht ohne Schwierigkeit das Wiederkommen am nächsten Donnerstag, früher sei es unmöglich, gestatten wollten. Ich wurde denselben Weg, den ich gekommen war, und ebenso im Finstern zurückgeleitet; hinter mir wurde das letzte Pförtchen verschlossen und verriegelt. Als ich mich auf offener Straße befand, suchte ich mich, soviel es die Nacht erlaubte, zu orientieren und mir das Haus, das ich noch soeben verlassen, und seine nächsten Umgebungen zu merken. Einigemal ging ich auf und nieder und erkundigte mich bei mehreren Vorübergehenden, wem dasselbe gehöre, konnte aber keine genügende Auskunft erhalten. Ich entfernte mich nun, mir die Straße bestens merkend, sah noch ein paar Akte einer Opera buffa und begab mich dann in mein Hotel, wo ich bei offenem Fenster, den italienischen heiteren Sternenhimmel betrachtend, die englischen Ladys musizieren hörte. Die Damen sangen Kavatinen mit zwar englischem Akzent, aber auch mit englischer Stimme. Mein Bedienter erzählte mir während des Auskleidens, daß sich das Kammerkätzchen abermals bei ihm sehr dringend nach mir erkundigt habe, namentlich wo ich meine Zeit zubringe, wie lange ich wohl noch hier bleibe, was eigentlich meine Geschäfte hier seien und so weiter, was er alles bestens und auf das Klügste beantwortet habe. Ich legte mich zu Bett und schlief, während die englische Musik noch fort dauerte, ermüdet ein. Den anderen Morgen war mein erster Gang, die Straße und das Haus aufzusuchen, in dem ich den Abend vorher in den Armen einer zweifachen Liebe geschwelgt hatte; aber vergeblich war all mein Forschen und alle meine Bemühungen fruchteten nichts, es war mir unmöglich, dieselben wiederzufinden, da ich versäumt hatte, mich nach dem Namen der Straße zu erkundigen, glaubend, daß ich sie keinenfalls fehlen könne, so daß mir jetzt die ganze Begebenheit wie ein lebhafter Traum erschien. Hätte ich nicht den Ring noch am Finger gehabt, den ich im Freudentaumel zurückzugeben vergessen hatte, so würde ich am Ende wirklich geglaubt haben, daß das ganze Abenteuer nur ein Traum und ein Spiel meiner Phantasie gewesen sei. Nachdem ich lange genug vergeblich gesucht, nahm ich mir fest vor, das nächstemal – die Damen hatten mir wieder Rendezvous im Dom gegeben – gewiß dieses geheimnisvolle Haus so gut zu bezeichnen, daß es mir unmöglich entgehen könne, und sollte ich einen Ariadnischen Knäuel dazu verwenden, dessen Faden man mir freilich in der Nacht abschneiden und so den Rückweg in dieses Labyrinth unmöglich machen konnte. Ärgerlich über meine wenige Vorsicht, ging ich wieder in den Dom, dessen Schönheiten ich nochmals bewunderte, und bestieg den Kampanile, mich an dem Anblick des zu meinen Füßen liegenden prächtigen Florenz und seiner reizenden Umgebung weidend.

Nachdem ich mich noch eine Zeitlang an dem Tag, an welchem ich das Haus des vornächtlichen Abenteuers vergeblich aufgesucht, in den Straßen der Stadt herumgetrieben hatte, kehrte ich zum Mittagessen in mein Hotel zurück und nahm es wieder auf meinem Zimmer ein, wobei ich unentgeltlich das Vergnügen einer Tafelmusik genoß, mit der mich meine Nachbarinnen zu erfreuen geruhten, und mein Bedienter rapportierte mir während desselben, daß man sich abermals nach mir erkundigt habe und daß die Damen diesen Abend das Theater Pergola, wo man eine Opera seria aufführte, besuchen würden, was ihm das Kammerfräulein wohl zwei oder dreimal wiederholt hätte. So viele Aufmerksamkeit konnte nicht umhin, endlich auch die meinige rege zu machen. Ich trug dem Burschen auf, sich zu erkundigen, in welchen Palco die Damen wohl gingen und mir wo möglich einen Platz in demselben zu verschaffen. Dies erfuhr er durch einen der Kameriere, der mir auch den gewünschten Platz gab und einen Schlüssel zu dieser Loge einhändigte. Als ich in dieselbe, die sich im ersten Rang befand, trat, hatten die beiden Damen schon in einer zwar einfachen, aber doch sehr eleganten Toilette in derselben Platz genommen; ich grüßte sie mit einer stummen Verbeugung, die mir ebenso stumm erwidert wurde. Nach einer kleinen Pause wagte ich sie französisch anzureden, das mir aber mit einem: „I don’t understand“ erwidert wurde; dies war schlimm, denn das Englische war mir nicht sehr geläufig, da ich nie viel Gelegenheit gehabt hatte, mich in dieser Sprache praktisch zu üben. Indessen wußte ich mich dort nach und nach so ziemlich verständlich zu machen und brachte von den Damen heraus, daß ihnen der gezwungene Aufenthalt in Florenz zwar nicht unangenehm sei, sie sich aber doch häufig sehr langweilten. Die Unterhaltung wurde von jetzt an belebter, die Ladys verstanden auch einige Worte italienisch, und den Hauptstoff mußte die Vorstellung der Oper und des Ballets liefern, in denen eine hübsche Cantatrice und eine noch schönere Ballerina, erstere als Zelina, die andere als Psyche, wohl des Lorgnettierens wert waren. Die beiden Engländerinnen besaßen recht hübsche englische Gesichter, die, wenn sie auch nicht das Ausdrucksvolle der Italienerinnen, noch das schelmische Wesen der Französinnen, doch eine große Lieblichkeit hatten. Schön war wirklich Lady Mary, die Gattin eines Lords T..., die mit einem junonischen Wuchs das verklärte Gesicht der skandinavischen Freya verband; die andere Dame, ihre Schwester, eine halbblonde Engländerin, Miß Betty, hatte zwar auch manche Liebeswürdigkeiten, stand jedoch der Schwester weit nach. Mylady hatte die Güte, mir nach beendigtem Schauspiel einen Platz in ihrem Wagen anzubieten, „da wir ja doch unter einem Dach wohnen,“ wie sie hinzusetzte, was ich dankbar annahm. Ich leistete den Damen noch über eine Stunde Gesellschaft auf ihren Zimmern, wo man abwechselnd einige Romanzen sang und dann an den Balkon trat, den nächtlichen Sternenhimmel Italiens zu bewundern. Auf einige Sospiri der Lady Mary ließ ich ein leises Händedrücken und endlich einen gehorsamsten Handkuß folgen, mir weitere Freiheiten herauszunehmen gestattete mir die Anwesenheit der Schwester nicht. Die Damen machten mich mit ihrem Vorhaben bekannt, nächsten Donnerstag eine Fahrt in das Arnotal zu unternehmen, um dasselbe, sowie seine berühmten Strohflechterinnen kennen zu lernen, und fragten mich, ob ich es schon besucht habe. Auf mein Nein luden sie mich ein, ihr Begleiter zu sein, was ich mit Vergnügen annahm; sie sagten mir noch, daß sie gerne öfters einen Spazierritt machen würden, aber dieses Vergnügen aus Mangel eines Kavaliers oder passenden männlichen Begleiters entbehren müßten; auch hierzu bot ich mich ergebenst an, und ritt nun fast jeden Tag mit den schönen Töchtern Britanniens in den herrlichen Umgebungen von Florenz spazieren. Nachdem ich noch den Tee mit ihnen genommen und es längst Mitternacht vorüber war, empfahl ich mich, beiden ehrerbietigst die Hand küssend, und eingeladen, mich morgen wieder einzufinden. Als ich auf meinem Zimmer war und noch lange kein Schlaf in meine Augen kam, fiel es mir erst ein, daß ich meinen Unbekannten versprochen, mich den Donnerstag Abend wieder im Dom einzufinden, dachte es jedoch einrichten zu können, daß ich zur bestimmten Zeit von der Partie ins Arnotal zurück sein würde. Am nächsten Tage wartete ich gegen Mittag wieder auf, frühstückte auf ihre Einladung auf echt englische Weise mit ihnen, und ritt dann zwei Stunden mit den hübschen Ladys spazieren, die beide sehr gute, graziöse und anmutige Reiterinnen, zum Entzücken schön gewachsen waren, und denen die Amazonenkleider und runden Federhütchen allerliebst standen. Ich besuchte auch noch einige Kirchen und Gärten mit ihnen und fand in einem derselben Gelegenheit, die Lady zu versichern, daß ich durchaus nicht gleichgültig gegen ihre Reize sei; in einem Moment in welchem die Schwester durch ein kleines Gebüsch von uns getrennt war, wagte ich es, ihre niedliche Hand fest an mein Herz zu drücken, und da ich nur geringen Widerstand fand, ihre schlanke Taille mit meinem Arm zu umfassen, sowie einen Kuß auf ihren kleinen Mund zu drücken, der ihre sonst blassen aber zarten Wangen plötzlich rötete. Jetzt rief uns die Schwester zu: „But, where are you staying,“ und als wir wieder zu ihr kamen, bewies mir ihr Lächeln, daß sie zwar nicht gesehen, doch geahnt, was vorgefallen war, wenn es auch die noch gerötete Wange der Lady nicht verraten hätte. „My sister is extremely happy,“ fuhr sie nun lachend fort, „jemand gefunden zu haben, der sie in der Abwesenheit ihres etwas hölzernen Gatten so gut zu unterhalten imstande ist. Denn der edle Lord, schon beinahe ein fünfziger, ist ein recht langweilig trockener Ehemann, der noch obendrein einen starken Spleen hat.“ Aus diesem und ähnlichem Gerede der Miß konnte ich entnehmen, daß Lord T... ein echter bockssteifer Engländer sein müsse. Ich war nun für den Rest des Tages der unzertrennliche Begleiter der Damen, küßte die Lady jetzt auch in Gegenwart der Schwester, was diese nicht anzufechten und jene nicht zu erschrecken schien, und bat um die Erlaubnis, auch in der Nacht mich bei ihr einfinden zu dürfen, was mir zwar nicht bewilligt, aber auch gerade nicht verboten wurde; als ich sie hierauf ersuchte, doch ihre Stubentüren nicht verschließen zu wollen, da spielte sie die Stumme, ich versicherte sie indessen, daß ich so leise auftreten wolle, daß gewiß niemand mein Kommen hören solle. Die Miß schlief zwar in demselben Zimmer, das neben der Wohnstube lag, aber nach ihrem Benehmen zu urteilen, schien sie mir kein Hindernis mehr, sondern eher die Beförderin meiner Absichten zu sein; die Kammerfräuleins aber schliefen in einer höheren Etage. Ich entfernte mich diesmal schon eine Stunde vor Mitternacht mit einem good night, um den Damen Zeit zum Entkleiden und Wegschicken der Dienerinnen zu geben, machte sodann zwei Stunden lang an meinem Fenster philosophische Betrachtungen über den besternten Himmel, das Wesen der Gestirne und den sonderbaren Lauf des menschlichen Lebens. Als es endlich auf der Straße und in der Albergo stiller und stiller geworden und auch der letzte Türschlag verhallt war, schlich ich mich eine Stunde nach Mitternacht, halb entkleidet, in einem leichten Oberrock und von Gertrudens Händen gesticktem schneeweißen Batisthemd, über den Korridor und drückte leise an die Türe, welche zu den Gemächern der Engländerinnen führte, die ich nicht verschlossen, sondern nachgebend fand. – Ich befand mich nun im Vorzimmer, tappte im Finstern durch die Wohnstube in das nur sehr matt durch eine Veilleuse erleuchtete Schlafgemach, in dem ich beide Schwestern dem Anschein eingeschlafen fand. Mit leisen Tritten schlich ich mich an das Bett, in welchem Lady Mary recht sanft zu ruhen schien, und drückte einen Kuß auf ihre Purpurlippen. Sie schien recht schlaftrunken zu erwachen, und ich flüsterte: „Are you asleep?“ erhielt aber keine Antwort und schloß nun die verschlafene Lady in meine Arme ... Der Tag begann schon zu grauen, als ich den Rückzug in mein Zimmer antrat, um ein paar Stunden der Ruhe zu genießen. Aber kaum war ich eingeschlafen, so klopfte man mich schon wieder aus den Matratzen und dem Schlaf auf, indem man mir meldete, daß der Wagen angespannt sei und man den Ladys schon das Frühstück serviere. Ich sprang rasch aus dem Bett, kleidete mich an, eilte dann zu meinen Reisegefährtinnen, die wirklich schon frühstückten, und als sie mich gewahrten, beide etwas verlegen unter sich sahen, aber nach einigen Artigkeiten und Pläsanterien, die ich mir erlaubte, sich bald wieder faßten. Fröhlich, wenn auch nicht ganz so munter, bestiegen wir nun den Wagen, der uns in raschem Trabe in das Arnotal brachte.

Hier sitzen unter Laubdächern und Reben vor den niedlichen und reinlichsten Bauernhäuschen die zierlichsten und schmucksten Dirnen, in die feinsten schneeweißen Linnen gekleidet, mit seidenen Korsetten und blumenbekränzten Strohhüten auf den allerliebsten Köpfchen, und flechten mit zarten Händen – Stroh zu den in der ganzen Welt berühmten Hüten. Denn wie manche Schöne in Newyork und Kalkutta, in Paris und London, am Missisippi und Ganges, am Rhein und an der Newa, schmückt sich nicht mit diesem Produkt, welches sie den sie besuchenden Fremden mit einer Manier anzubieten wissen, die das Abschlagen des Ankaufens nicht nur unmöglich macht, sondern man gibt ihnen auch gerne noch mehr als sie fordern, wenn man nicht zur Rasse jener lederzähen Filze und Zinsenmenschen gehört, die sich nur mit dem letzten Lebenshauch von ihrem Mammon trennen können, und keine andere Farbe als die des Geldes, keine andere Berechnung als die der Zinsen kennen. Mir wenigstens ging es so; ich kaufte vorerst zwei der feinsten dieser Hüte, bezahlte sie mit Gold, mir alle Herausgabe des mir zukommenden Geldes verbittend, und verehrte sie meinen beiden Begleiterinnen, die außerdem noch für eigene Rechnung und auch für ihre dienstbaren Geister, für die letzteren Hüte von geringerer Qualität, kauften. Die Verkäuferinnen, besonders eine derselben, gefielen mir so wohl, daß ich mir sogleich vornahm, sie schon den nächsten Tag, und zwar inkognito zu Pferde wieder zu besuchen und noch mehr Hüte und einen ganz besonders schönen für Gertrude zu kaufen, ihr denselben durch ihre Freundin zukommen zu lassen, als ein geringes Äquivalent für die außerordentlichen Geschenke, die ich von ihr empfangen hatte und über die ich ihr zärtliche Vorwürfe gemacht, denn ich hielt mein Versprechen wenigstens darin, daß ich ihr ziemlich regelmäßig schrieb. Wir brachten den ganzen Tag in dem großen, reizenden Arnotal zu, von dem wir einen kleinen Teil zu Fuß durchstrichen.

An diesem Abend sollte ich meine Unbekannten wieder im Dom treffen, aber die Stunde war verpaßt. Ich eilte dennoch gleich nach unserer Ankunft, mich unter einem Vorwande bei den Ladys entschuldigend und baldige Rückkehr verheißend, in die Kirche, zu der mich diesmal nicht sowohl Liebe und Sehnsucht nach Genuß, als die Neugierde führte, endlich zu erforschen, wer meine mysteriösen Schönen eigentlich seien. Aber vergeblich, die Zeit war verstrichen, und in Santa Maria del Fiore keine Spur von ihnen zu finden. Nachdem ich eine Stunde daselbst umsonst harrend zugebracht, schlug ich mir die Sache aus dem Kopf und eilte zu meinen hübschen Engländerinnen zurück, mit denen ich den Rest des Abends und einen großen Teil der Nacht, nachdem wir den Tee unter fröhlichen Scherzen und Rückerinnerungen an das schöne Arnotal genommen, zubrachte. Den andern Tag machte ich eine Tour zu Pferde mit ihnen in die nächsten Umgebungen der Stadt und nach Pratolino, dem ehemaligen Versailles der Medici, das aber beinahe in Ruinen lag. Auch die schönen Villen der Bardi, Pitti, Palmieri, Corsini, sowie die berühmte Karthause von Vallombrosa und andere Orte besuchte ich in ihrer Gesellschaft. Demungeachtet fühlte ich einen Drang, meine schöne Contadina im Arnotal wiederzusehen. Eines Morgens machte ich mich unter dem Vorwande dringender Geschäfte für den ganzen Tag von meinen englischen Fesseln frei und ritt in gestrecktem Trabe zu der schönen Strohflechterin, der ich noch drei wunderschön gearbeitete Hüte abkaufte, von denen einer nach Rom und die beiden anderen nach Frankfurt wanderten; einer für meine Mutter und der andere für eine noch sehr junge Schwester. Das Mädchen, das ich auf das Generöseste in Gold bezahlt hatte, war dagegen äußerst freundlich und nannte mich: il suo signor cavaliere forestiero, ihre nicht sehr großen, aber blitzenden Augen verrieten nur zu sehr, daß sie eben kein für die Liebe unempfindliches Temperament habe. Im Lauf der Unterhaltung gestand sie mir auch, daß sie bereits schon anderthalb Jahre Sposa, das heißt mit einem jungen Mann versprochen sei, der einen Dienst in der Stadt habe; sie wolle noch anderthalb Jahre Hüte flechten, um ihre Aussteuer ganz zusammen zu bringen, bevor sie sich verheirate. Da ich sie fragte, in was diese denn bestehen müsse, zählte sie mir alles auf, was sie sich schon angeschafft und noch ferner erforderlich sei. Ich bat sie nun, mir das erstere zu zeigen, worin sie mit einem freundlichen „con molto piacere“ willigte, was der so wohlklingende florentinische Dialekt bezaubernd machte. Ich trat mit ihr in das Haus, das sie mit ihrer Mutter, einer Witwe, bewohnte, und dann in das Stübchen, in welchem sie mir schon ziemlich viel aufgespeichertes Linnen und anderes Hausgerät, Geschirr und dergleichen zeigte. Hier, so nahe mit ihr in Berührung, wie hätte ich der Versuchung widerstehen können, das seidene Mieder, das eine so schlanke Taille umschloß, zu umfassen? – Aber das Mädchen sträubte sich, und als ich sie an mich drücken und küssen wollte, hob sie in einem so gar leisen Ton zu schreien an, daß man es unmöglich in der nächsten Kammer hören konnte; ich raubte ihr mehrere Küsse, mit denen ich die Worte, die sie ausstoßen wollte, erstickte. Als ich aber mehr wagen wollte, warf sie mir so bedenklich zornige Blicke zu, daß ich für gut fand, von weiteren Versuchen abzustehen, und sie sagte mit fast weinerlicher und ängstlicher Stimme: „Per l’amor di dio, vorreste farmi infelice?“ „Um alles in der Welt nicht, mein charmantes Mädchen, man kann sich auch lieben, ohne sich gerade unglücklich zu machen; und wenn du es mir gestatten wolltest, so könnte ich dir auch Unterricht in dieser geheimen Kunst erteilen. Auf jeden Fall wirst du mir das Wiederkommen erlauben, um dir noch einige an deiner Ausstattung fehlende Dinge mitzubringen.“ Verschämt unter sich blickend und an dem Schürzchen zupfend, antwortete sie: „Das Wiederkommen kann ich Ihnen nicht wehren, nur müssen Sie fein fromm und artig sein, auch nicht zu oft kommen, sonst würde es Verdacht bei den ohnehin neidischen Nachbarn erregen.“ – Mit ein paar Küssen und ihr klopfendes Herzchen an meine Brust drückend, nahm ich für heute Abschied von meiner florentinischen Schäferin, welche mir die erkauften Hüte sauber in ein Papier rollte, die ich an der Türe mit Ostentation, mit einer seidenen Schnur, die mir das Mädchen gegeben, an den Sattelknopf band, wobei mir die freundliche Mutter behilflich war, und ich das Pferd allerlei Bewegungen machen ließ, damit die Nachbarn sahen, daß ich, um Einkäufe zu machen, gekommen war. Sodann sprengte ich mit einem lauten Addio und leisem a rivedere davon.

Schon am anderen Abend fand ich mich wieder bei meiner holden Vilanella ein, ihr allerlei Kleinigkeiten mitbringend, unter denen ein goldenes, mit Granaten gefaßtes Kreuzchen war, das ich Gattina, so nannte sich die hübsche Schäferin, an einem Samtbändchen um den Nacken hing. Sodann steckte ich ihr einen kleinen Goldreif mit emaillierten Blumen an den Finger und gab ihr Bänder und ähnliche Dinge, alles unter dem Aushängeschild einer Aussteuer. Das Mädchen freute sich kindisch über diese Geschenke, zu deren Annahme sie sich gerne nötigen ließ. Ich bat sie, mir noch einmal ihre Schätze in der Kammer zeigen zu wollen, wozu sie sich, und zwar auf Zureden der Mutter, herbeiließ. Sie war bei weitem nicht mehr so scheu und spröde wie das erstemal; ich hatte sie mit allerlei Geheimnissen bekannt gemacht und verließ sie erst spät in der Nacht, wobei wir verabredeten, daß ich künftige Besuche nur nach eingetretener Finsternis abstatten dürfe; ich sah sie aber nur noch einmal, da ich während der kurzen Zeit, die ich in Florenz zubringen konnte, auch einen Abstecher in das Chianatal mit den Ladys machen mußte. Meine beiden Unbekannten konnte ich aber trotz aller Mühe, die ich mir gab, ich ging wenigstens noch drei oder viermal in den Abendstunden in den Dom, nicht wieder entdecken. Vielleicht in einer anderen Welt wieder, dachte ich, für dieses Leben sind sie für mich verloren. Daß sie, wie sie mir angegeben, ein paar unterhaltene Mätressen seien, wollte mir nicht recht einleuchten und stimmte nicht ganz mit der Zurückweisung des Goldes überein; es blieb mir von ihnen nichts übrig als das Andenken an einen abenteuerlichen Abend und der goldene Ring; mir die Sache aus dem Kopf schlagend, hatte ich sie bald vergessen.

Beinahe drei Wochen hatte ich in Florenz zugebracht und es war die höchste Zeit, an meine Abreise zu denken. Auch hoffte ich nicht lange in Genua zu bleiben, da mir Düret versprochen, sobald die fatale Geschichte von Albano ein wenig verraucht sei, auf meine Zurückversetzung zum ersten Bataillon anzutragen und mich so wieder in die Nähe von Rom zu bringen. Meinen liebenswürdigen Ladys teilte ich meine Abreise nach Genua nur vierundzwanzig Stunden vor derselben mit, einen soeben erst deshalb erhaltenen Befehl vorschützend. Beide schienen über diese unerwartete Nachricht betroffen, und ich mußte am Ende auf Marys dringende Bitten noch zweimal vierundzwanzig Stunden zugeben. Sie eröffnete mir, daß sie an ihren Mann nach Paris schreiben und diesem mitteilen wolle, daß sie ihren Aufenthaltsort Florenz mit Genua zu vertauschen wünsche, wovon ich ihr zwar abriet, indem ich bemerkte, ich wisse ja gar nicht, ob und wie lange ich daselbst verweilen würde, im Grunde aber, weil ich ihre Anwesenheit teils wegen meiner älteren, teils wegen allenfallsiger neu anzuknüpfender Intrigen fürchtete. Sie ließ es sich jedoch nicht ausreden und so schieden wir ziemlich getröstet, ein baldiges Wiedersehen hoffend und fürchtend, voneinander.

Am Abend des fünften Tages nach meiner Abreise von Florenz traf ich wohlbehalten in Genua ein.

V.
Zweiter Aufenthalt in Genua. – Alte und neue Bekanntschaften. – Signora Palatini. – Ein sentimentales Rendezvous. – Die Brigantenjagd in den italienischen Alpen. – Bocchetta. – Ich nehme fast eine ganze Bande gefangen. – Rückkehr nach Genua. – Das Konservatorium Fieschino. – Albertine. – Ich entdecke eine furchtbare Verschwörung. – Ich avanciere zum Kapitän und werde wieder zum ersten Bataillon versetzt. – Abreise nach Civita-Vecchia.

Da es zu spät war, als ich in Genua ankam, um mich noch nach einem Quartier umsehen zu können, so stieg ich in einem Gasthof ab, wo ich bis zum hellen Morgen recht ausschlief und mich dann bei meinem nunmehrigen Bataillonschef, Herrn von Brüge, meldete, der mich, durch Düret schon hinlänglich unterrichtet und empfohlen, mit den Worten empfing: „Das Glück, Sie bei meinem Bataillon zu haben, verdanke ich der hohen römischen Geistlichkeit. Sie werden die Voltigeur-Kompagnie kommandieren, die jetzt vakant ist, und sind für heute bei mir zu Tische eingeladen, wenn Sie mit meiner Suppe vorlieb nehmen wollen.“ – Brüge war ein Elsässer, in der Gegend von Kolmar zu Haus, und hatte ein allerliebstes Kind, ein kaum zehn Jahre altes Mädchen, deren Mutter eine ziemlich heroische Frau war. Nachdem ich dem, was der Dienst heischte, Genüge geleistet und mir ein Quartierbillett für drei Tage hatte geben lassen, war mein erster Gang zu meinem alten Gitarrelehrer Guercino, um mich bei ihm oder vielmehr bei seiner Frau nach meinen alten Bekannten zu erkundigen. Den alten Mann fand ich unwohl und bettlägerig, und seine Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie mich erblickte. „Ah siate ben venuto,“ rief sie endlich aus, die Arme in die Höhe streckend. Nach gehöriger Bewillkommnung erfuhr ich, daß die Marchesa P... seit meiner Abreise kränkele, daß die mutwillige Peretti im letzten Karneval an einem Nervenfieber gestorben, Signora Doria sich mit ihrem Mann in Paris befinde, die Costa noch immer ein Heer von Anbetern habe, die Spinola aber vollkommen wohl und munter sei. So wurde ich schnell von dem au fait gesetzt, was sich während meiner etwa anderthalbjährigen Abwesenheit zugetragen. Der Tod der fröhlichen Peretti schmerzte mich, das Kränkeln der Marchesa P... tat mir leid, und das Wohlsein der Spinola freute mich. Den alten Guercino und seine Frau, die mir wieder ihre untertänigsten Dienste anbot, beschenkte ich mit ein paar Zechinen, ihr lachend bemerkend, daß ich leicht in den Fall kommen könnte, ihrer zu bedürfen, und bat sie einstweilen, die Marchesa P... von meiner glücklichen Ankunft in Kenntnis setzen zu wollen, was sie mir noch im Lauf des Tages zu tun versprach. Bei der Parade stellte mich Brüge meinen neuen Kameraden vor, von denen ich nur noch wenige kannte, und zum Diner fand ich mich seiner Einladung zufolge bei ihm ein. Madame Brüge, eine noch sehr rüstige Dame von kaum vierzig Jahren, bot mir den täglichen Tisch, versteht sich gegen gehörige Vergütung an, den ich auch akzeptierte; sie führte eine gute französische Küche. Während des Essens kam die Rede auf die Musik, und sie meinte, daß es wohl jetzt bald Zeit sei, daß ihre Tochter Unterricht in dieser Kunst erhalte, was sie schon früher veranstaltet haben würde, wenn sie einen Lehrer in Genua gefunden hätte, der französisch spreche. Dies war so ziemlich ein Wink mit einem Mastbaum, denn sie kannte mein musikalisches Talent. Ich erbot mich mit Vergnügen, der Kleinen Unterricht im Klavierspiel zu geben, was mit großem Dank angenommen wurde und mehrere Jahre später allerlei Folgen hatte. Für jetzt aber sollten diese Lehrstunden, die mir Freude machten, da das Mädchen viel musikalische Anlagen hatte, bald wieder unterbrochen werden. Am Abend begab ich mich abermals zu Guercinos, wo ich erfuhr, daß die noch immer leidende Marchesa P... die unerwartete Nachricht meiner Ankunft sehr erschüttert habe und mich dieselbe baldmöglichst zu sehen wünsche, wozu aber vorerst wenig Hoffnung, da sie immer noch sehr schwach sei. Ich machte jetzt meine Besuche in all den Häusern, in denen ich früher Zutritt gehabt, und erhielt bald wieder eine Menge Einladungen. Die Spinola sah ich zuerst bei Dorias wieder, wo ich mich lange mit ihr unterhielt und sie mir eine junge Dame, Signora Palatini, die erst kürzlich verheiratet und ihre liebe Freundin sei, vorstellte. Dieses war eine schmächtige, nicht sehr große, aber sehr niedlich gewachsene Frau, mit einer originellen pikanten Gesichtsbildung, die, wenn auch nicht schön, doch etwas sehr einnehmend war. Ich machte beiden Damen den Hof und ließ die Spinola merken, daß es mir nicht unangenehm sein würde, die so kurz vor meiner Abreise von Genua mit ihr in Gesellschaft der Marchesa P... gemachte Bekanntschaft weiter auszuspinnen. Ich hatte mir wieder eine Wohnung unweit der Kaserne ausgesucht, die ganz geeignet war, geheime Besuche zu empfangen. Mich diesen Abend noch deutlicher zu erklären, war nicht gut möglich, da ihr die Palatini nicht von der Seite wich und sich mit einer auffallenden Lebhaftigkeit in alle Gespräche mischte, die ich mit der Spinola anzuknüpfen versuchte. In einem Gartensaal musizierte man, ich wurde angegangen, mich hören zu lassen und trug mehrere neue Cavatini vor, die ich in Rom und Neapel gelernt; als die Dame vom Haus und noch einige andere den Wunsch ausdrückten, ich möchte doch wieder etwas aus dem Don Giovanni singen, und da ich einige Augenblicke anstand, wandte sich Signora Palatini mit einer großen Zudringlichkeit an mich, diesem Wunsch nachzugehen, indem sie einige dutzendmal wiederholte: „Si Signore, il Don Giovanni, il Don Giovanni, Sie müssen ihn singen, denn ich kenne ihn noch nicht und habe doch so viel davon sprechen hören.“ Dieses Benehmen setzte mich in Erstaunen und fast in Verlegenheit. An Subordination gewöhnt, befolgte ich die gestrenge Order, das ‚Fin ch’an del vino‘ singend, und erhielt dafür einige danksagende Blicke von der kleinen Tyrannin, die sich nun auch spielend und singend hörbar machte, eine sehr hohe, sonore Sopranstimme hatte und mich dann ohne Umstände vor der ganzen Gesellschaft einlud, sie doch ja recht bald und oft zu besuchen, um mit ihr zu singen, sie erwarte mich morgen vormittag nach der Messe, ich möge doch einige Duette mitbringen. Dieses so ganz ungenierte und überaus freie Benehmen war mir noch gar nicht und am wenigsten in Italien vorgekommen, wo die Damen im Gegenteil die meiste Ursache haben, ihre Intrigen geheim zu halten und möglichst zu verbergen oder doch passend zu bemänteln. Es machte mich immer verlegener, weil ich wohl bemerkte, daß sich die Gesichter aller, die es mit angehört, zu einem hämischen Lächeln verzogen und man sich in die Ohren flüsterte. Als dies die Spinola sah, trat sie zu mir und sagte: „Das Benehmen der Palatini darf Sie nicht wundern, sie ist ja noch ein halbes Kind, kaum sechzehn Jahre alt, und dabei sehr verzogen, von einem überaus reizbaren und heftigen Temperament, das sich nichts übel nimmt, alles, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt, um jeden Preis auch durchsetzen will, ohne über die Folgen nachzudenken. Ihrem schon ältlichen und schwachen Mann, an den sie ihre Verwandten verkuppelt haben, hat sie eine halbe Million di dotta mitgebracht und dem ihr ebenfalls aufgedrungenen Cicisbeo, dem Conte M..., jenem noch gepuderten Pavian, den Sie dort am Pharotisch pointieren sehen, so mitgespielt, daß er sich schon einigemal für das Cicisbeat bedanken wollte, allein der Ehemann und die Verwandten gaben es nicht zu, aber er hat die Hölle ...“ In diesem Augenblick sprang die Palatini, die gerade sang, ihre Noten hinwerfend und wild auf die Tasten des Cembalos schlagend, die Musik unterbrechend auf, stellte sich vor die erschrockene Marchesa hin und sagte dieser überlaut: „Ich finde es höchst unartig, Signora, daß, wenn ich singe, Sie sich mit Herren unterhalten. Nun singen Sie der Gesellschaft etwas vor.“ – Die Spinola war dadurch so verblüfft, daß sie nichts erwidern konnte, ich aber nahm schnell das Wort und sagte zu der aufgebrachten zornglühenden Dame: „Signora, es war nur von Ihnen und Ihrem eminenten Talent die Rede, das uns entzückte und das mir die Marchesa nicht genug rühmen konnte. Ich war die Veranlassung dazu, indem ich die Signora zuerst fragte, welcher Meister Ihre herrliche und unvergleichliche Stimme zu einem so hohen Grad ausgebildet habe, worüber man im Begriff war, mir Auskunft zu geben, als Sie uns gerade unterbrachen.“

„Wenn dies ist, so bitte ich um Vergebung für meine gewiß sehr verzeihliche Neugierde, aber Sie werden mir selbst zugestehen, daß nichts unangenehmer ist, als wenn man sich alle Mühe gibt und sich anstrengt, einer Gesellschaft Vergnügen zu machen und andere dabei plaudern.“ – Sie hatte nicht unrecht.

Der Zorn des kleinen Teufelchens hatte sich mit jedem Wort, das ich gesprochen, mehr gelegt. Ihren Cicisbeo, der sich jetzt auch eingefunden, um zu sehen, was die Unterbrechung und diese Szene herbeigeführt, schickte sie mit den Worten heim: „Mein Herr, Sie haben sehr unrecht, sich von Ihrem Spiel zu entfernen, die ganze Sache darf Sie gar nicht interessieren, haben Sie die Güte, sich sogleich wieder an Ihren Spieltisch zu verfügen; ich bitte Sie darum, hören Sie, sogleich.“ – Der Signor trollte sich, den befehlenden Bitten folgend, ohne ein Wort zu erwidern, an seinen Platz, und Signora Palatini ergriff ihr Notenblatt wieder und beendigte das Morceau. Die übrige Gesellschaft, obgleich über diesen sonderbaren Auftritt erstaunt und Gruppen bildend, wo man sich in die Ohren zischelte, schien es doch nicht sehr zu befremden. Bald darauf begann der Tanz mit einer Monfarina, welche ich mit der Spinola antrat, die mich aber, nachdem wir einigemal die Tour im Saal gemacht hatten, aufforderte, die jetzt nicht tanzende Palatini zu engagieren, der sie mich abtrat. Ich tanzte mit dem kleinen Satan, der mir gleich bei der ersten Tour eröffnete, daß er Giulietta heiße, ich ihn künftig nur bei diesem Namen nennen solle und sich böse gebärdete, als ich es nicht augenblicklich tat. Ich wiederholte jetzt dreimal in einem Atemzug „Signora Giulietta“ und sie nach dem Tanz, während dessen die Unterhaltung wunderlich genug war, an ihren Platz führend, abermals: „mille grazie, Signora Giulietta.“ Ehe sich die Gesellschaft trennte, kam sie noch einmal in Begleitung ihres cavaliero servente auf mich zu und sagte: „Daß Sie ja das Kommen morgen nicht vergessen und sich pünktlich einfinden; ich erwarte Sie eine Stunde vor Mittag, um mit Ihnen zu musizieren.“ – „Ich werde von Ihrer gütigen Einladung Gebrauch machen und mich zur bestimmten Zeit einfinden.“ – „Sie sind Zeuge,“ sagte sie zu ihrem Begleiter, der mit einem Schafsgesicht zuhörte, und beide empfahlen sich. Die Marchesa Spinola flüsterte mir im Weggehen zu: „Nehmen Sie sich in acht, der kleine Teufel wird Ihnen zu schaffen machen.“ – „Ich werde ihn zu zähmen wissen,“ erwiderte ich. Kaum waren diese Worte gesprochen, so trat die Palatini nochmals in den Saal zurück und rief der Spinola zu: „Auch Ihre Portandina erwartet Sie, wollen Sie nicht kommen?“ Sie nahm die Marchesa beim Arm, sie mit sich fortziehend und mir noch eine felice notte zurufend.

Ehe ich mich den anderen Morgen, wie ich versprochen, zu ihr begab, ging ich zu Guercinos, um bei diesen vielleicht etwas näheres über dies sonderbare, aber dennoch pikant liebenswürdige Wesen zu erfahren. Diese wußten mir aber weiter nichts zu sagen, als daß Signora Palatini wegen ihres unbändigen Eigensinns und ihrer ausschweifenden Phantasien, die sie oft die tollsten Streiche begehen ließen, in ganz Genua bekannt sei. Ich begab mich zu der kleinen Wilden, die, als sie mich erblickte, auf mich zusprang, laut rufend: „Es ist brav, daß Sie Wort gehalten; wir werden auch ganz ungestört sein, mein Mann mußte auf meine Veranlassung eine Vileggiatura ins Gebirge machen, und den Signor Leonardo habe ich für den ganzen Tag verabschiedet; jetzt kommen Sie.“ Sie nahm mich bei der Hand, führte mich in ein Zimmer, wo ein Flügel stand, und nötigte mich, ihr zuerst etwas vorzusingen. Ich trug ihr die Arie ‚Oh Idol mio, quando mai‘ und so weiter vor; nach wenigen Takten fiel sie mit einem „Bravissimo!“ dazwischen, schlug in die Hände, und ich hielt ein, ihre Rechte ergreifend und küssend. Jetzt hatte Klavierspiel und Gesang ein Ende, und ein anderes Spiel sollte beginnen; aber zweimal schlüpfte sie mir unter dem Arm durch, laut lachend, endlich aber umfaßte ich die kleine Blindschleiche, deren Taille ich mit meinen Händen umspannen konnte, hob sie in die Höhe, daß sie zappelte, und sagte lachend: „Was nun? – Jetzt sind Sie ganz in meiner Gewalt, Giulietta.“ – „Die Sie doch wohl nicht mißbrauchen werden?“ – „Gewiß nicht, bella fanciulla,“ antwortete ich, sie sanft auf den Boden niedersetzend. Aber wieder ging sie mir durch, in ein zweites, drittes und viertes Zimmer, aus dem aber kein Ausgang mehr war. „Jetzt sind Sie gefangen und werden mir nicht mehr entwischen.“ – „Mama –“ stöhnte sie bald mit hochklopfendem Herzen, und ihre Wangen waren mit jener Röte gefärbt, die einladender ist als das schönste Morgen- und Abendrot. Ich küßte sie, aber sie biß mich in die Lippen, daß es mich schmerzte und fast blutete; ich ließ mich indessen dadurch nicht stören und fuhr zu küssen fort, sie auf ein Ruhebett bringend, bis uns beiden der Atem fast ausging ...

Der kleine Tollkopf war jetzt ziemlich zahm geworden, und nachdem wir einige Zeit geruht, setzten wir uns an das Klavier, um nun wirklich zu musizieren. Endlich war es Zeit, mich zu entfernen, und ich durfte es auch, indem ich baldiges Wiederkommen versprach, denn Giulietta wollte durchaus, daß ich den ganzen Tag bei ihr zubringen sollte, und hätte mich nicht der Dienst abgerufen, so würde ich es mit Vergnügen getan haben, denn Langeweile hatte man bei dem unruhigen Geist auch keine Minute. Bei dem zweiten Besuch wiederholte sich die Szene des ersten, und so ging es einige Zeit fort, ohne daß ich mich weder um die Spinola noch um die P..., die ich noch nicht wieder gesehen hatte, bekümmerte. Eines Morgens aber besuchte mich die alte Guercino in meiner Wohnung und machte mir Vorwürfe, daß ich mich gar nicht nach der armen Marchesa P... erkundige, die jeden Tag nach mir frage und mich nur noch einmal zu sehen wünsche, sehr leidend sei und sich vielleicht nicht wieder von ihrer Krankheit erholen würde. Ich verabredete mit der darauf dringenden Guercino, der es wohl nur um die Präsente zu tun war, die es bei dieser Gelegenheit absetzte, daß man eine Zusammenkunft veranstalten möge, wozu, wie sie mir sagte, die Marchesa Spinola schon alles vorbereitet habe, in deren Haus dieselbe stattfinden solle, wohin sich die P... in einer Portandina bringen lassen würde. Wir setzten nun diese Entrevue auf den Abend des nächsten Tages fest, wo ich mich ein Uhr nach Sonnenuntergang in dem bezeichneten Hause einfinden wollte. Giulietta verlassend, bei der ich den Tag wieder zugebracht hatte, begab ich mich zur bestimmten Stunde zu dem verabredeten Rendezvous in den Palazzo Spinola. Eine niedliche Cameriera empfing mich und führte mich über eine Hintertür in abgelegene, spärlich erleuchtete Gemächer. In dem letzten derselben fand ich eine weibliche Figur, in weiße Gewänder gehüllt, in einem Armstuhl sitzen, die, als ich eintrat, eine zusammenfahrende Bewegung machte und in deren blassen und leidenden Zügen ich dennoch die Marchesa P..., die vor nicht ganz anderthalb Jahren noch so blühend schöne Tonina erkannte. Ich stürzte auf sie zu, wollte ihre Hand fassen, die sie aber schnell zurückzog, indem sie sprach: „Oh, lassen Sie diese nichtssagenden Flatterien. Wir sind von allem genau unterrichtet; kommen Sie nicht eben erst von der tollen Palatini?“ – „Ganz gewiß,“ fiel hier die Spinola ein, „seit seiner Zurückkunft bringt er alle Stunden, die er ermüßigen kann, dort zu.“ – „Wie freute ich mich,“ fuhr die andere wieder fort, „als ich hörte, daß Sie wieder in Genua angekommen seien, und hoffte von diesem Ereignis eine baldige Genesung, aber wie furchtbar bin ich enttäuscht.“ – „Es ist unverzeihlich und recht abscheulich,“ sagte nun die Spinola, und ich stand in der Tat vor den beiden Signoras wie ein Schulknabe, den der Herr Inspektor herunterputzt, weil er unartig gewesen. Gern hätte ich mich wie gewöhnlich durch einen Scherz lachend und spottend aus der Affäre gezogen, aber der Zustand Toninas war doch zu ernsthaft – sie litt besonders an Nervenübeln –, als daß ich es wagen durfte, und ich suchte durch ein halbes pater peccavi mich aus der Klemme zu befreien, indem ich meine Besuche bei der Palatini zwar nicht leugnete, aber behauptete, sie seien durchaus ganz unschuldiger Natur und gälten bloß ihrem musikalischen Talent, indem ich nichts treibe, als mit ihr singe. – „Wer so etwas glauben wollte,“ fiel mir die Spinola wieder ins Wort, „ja, wenn die Signora nicht ganz ohne Hehl und ohne Scham selbst von ihrem Verhältnis mit Ihnen spräche! Halten Sie uns doch nicht für so einfältig.“ – „Und schonen Sie doch um Himmelswillen Ihre Freundin,“ unterbrach ich die Marchesa, „sehen Sie denn nicht, wie die Arme leidet?“

In der Tat hatte die P... in diesem Augenblick Konvulsionen und Krämpfe bekommen und stöhnte: „Oh, mir ist sehr übel!“ Wir sprangen ihr beide zu Hilfe; sie bekam eine förmliche Ohnmacht. – „Sehen Sie, was Sie gemacht haben,“ sagte die Spinola zu mir, meine Hilfe zurückweisend – „Das ist einzig und allein nur Ihre Schuld,“ erwiderte ich etwas aufgebracht, „Sie kannten den Zustand Ihrer Freundin und führen eine solche Szene herbei; wenn Sie dergleichen Klatschereien erfuhren, mußten Sie sie eher verheimlichen, als mitteilen und bekräftigen.“ – „Nicht von mir hat es die Marchesa zuerst erfuhren, ganz Genua redet von den Tollheiten Ihrer Charmanten. Sie sind samt ihr die Mär der Stadt. Wo dachten Sie hin, sich mit einer solchen Törin einzulassen und darüber Ihre besten Freundinnen zu vernachlässigen? Nein, Sie können kein Deutscher sein, so etwas tut kein Deutscher, dies verzeiht man nicht einmal einem leichtsinnigen Franzosen.“ – Ich suchte die aufgebrachte Signora zu besänftigen, welche die Schläfe und Stirn der noch immer bewußtlosen Freundin mit starken wohlriechenden Wassern rieb, ihr Diebsessig unter die Nase hielt, indem sie ihren Kopf an ihren Busen legte. Als sie sich so beschäftigte, die Ohnmächtige wieder zu sich selbst zu bringen, drückte ich einen leisen Kuß auf deren Stirn, indem ich noch leiser sagte: „Dies wird sie vielleicht am ehesten erwecken.“ – „Was unterfangen Sie sich,“ fuhr mich die Spinola zwar heftig, aber ebenfalls kaum hörbar an, „glauben Sie, wir würden uns von Ihnen betören lassen? Gehen Sie zu Ihrer Pazza, dort ist es besser angewandt, und lassen Sie uns in Ruhe.“ – „Nicht so böse, meine schöne Signora, Sie haben mir zuerst die Palatini bei Dorias zugeführt, ich bitte ja aufrichtig um Vergebung, werfe mich reuevoll zu Füßen.“ Ich wollte nun auch ihr die Hand küssen, als Tonina plötzlich ein Lebenszeichen von sich gab und bald darauf wieder die Augen aufschlug. Als sie sah, wie wir beide um sie beschäftigt waren, lächelte sie wehmütig, und ich bat sie, vor ihr kniend und ihre Hand fassend, innig um Vergebung, nochmals beteuernd, daß nur der Schein gegen mich sei, und jetzt unterstützte mich die Spinola in meinem Vorgehen, indem sie sprach: „Eine Möglichkeit ist es immer, wenn auch schwer zu glauben. Ich will ihn doch nicht ganz verdammen, denn das tolle Weib ist wohl fähig, Dinge zu sagen, die nicht sind.“ – Abermals küßte ich feurig Toninas Hand, die mich jetzt mit einem bedeutenden Blick ansah und lispelte: „Aber wenn Sie mich dennoch betrügen?“ – Der Ton, mit dem sie dies sagte, ging mir durch Mark und Bein, und ich fühlte mich so zerknirscht und über mich selbst angehalten, daß ich in diesem Augenblick vielleicht alles bekannt, wenn man mich noch weiter inquiriert hätte. Ich suchte die Leidende indessen immer mehr zu beruhigen, bekam endlich wieder den Mut, ihr meine unerschütterliche Treue zu beteuern und bei allen Göttern zu versichern, daß ich nur sie liebe und hoffentlich von meiner Unschuld klar überzeugen werde, sie möge sich jetzt nur beruhigen und so ihre schnelle Genesung herbeiführen. Noch beinahe eine ganze Stunde brachte ich in dieser mir sehr peinlichen Lage zu und verließ die Damen, nachdem die Marchesa P... wieder so weit hergestellt war, um sich in ihrer Portandina fortbringen lassen zu können. Ehe ich mich entfernte, hatte man von mir das Versprechen verlangt, meine Bekanntschaft ganz aufzugeben und die Palatini nicht mehr zu besuchen, ich stellte aber den Damen vor, daß dies bei dem bekannten Charakter der Donna nicht wohl tunlich sei, ohne sich allem Möglichen von ihrer Seite auszusetzen, und ich nur allmählich und mit großer Vorsicht abbrechen könne, was man endlich auch einzusehen beliebte, mir aber einschärfte, Wort zu halten, wenn ich nicht böse Folgen erleben wolle. Ich empfahl mich bestens, froh, als ich wieder freie Luft schöpfte, dieser Szene enthoben zu sein. Die Sache war mir aber doch nicht ganz gleichgültig, denn ich kannte die Genueserinnen mit als die rachsüchtigsten Frauenzimmer Italiens, befand mich zwischen zwei Feuern und wußte noch nicht, wie ihnen zugleich Face und Front zu machen. Als ich mir gerade den Kopf zerbrach, was ich wohl in dieser Verlegenheit für einen Operationsplan entwerfen müsse und mit aller Taktik und Strategie nicht zu Ende kommen konnte, zog mich ein Deus ex machina, wenigstens für den Augenblick, aus derselben. Ich besuchte noch den nämlichen Abend die Opera Buffa, wo ich Giulietten versprochen hatte, mich einzufinden, und traf hier den Herrn von Brüge, der, als er mich sah, auf mich zukam und mir verkündete, daß ich schon den nächsten Morgen mit meiner Kompagnie in die Gebirge zur Verfolgung der immer dreister werdenden Briganten abmarschieren müsse; gerne hätte er mich zurückbehalten, allein da es ausdrücklicher Befehl vom kommandierenden General sei, daß die Voltigeurkompagnien zu diesem Zweck verwendet werden sollten, so müsse er mich wohl ziehen lassen. Die Order kam mir erwünscht. Giulietta hatte mich, während der Bataillonschef mit mir sprach, unverwandt angesehen, und als ich mich in ihre Loge begeben wollte, um sie mit dem erhaltenen Befehl bekannt zu machen, kam sie mir schon auf dem Korridor entgegen und fragte mich, was denn der Kommandant so angelegentlich mit mir gesprochen und von mir gewollt habe. Ich teilte ihr den Inhalt unseres Gesprächs mit, worüber sie außer sich geriet und in die Worte: „Das dulde ich nicht, ich gehe selbst zum General!“ und ähnlichen Unsinn ausbrach. Lachend bedeutete ich ihr, daß gegen militärische Order eine weibliche schlechterdings nicht aufkommen könne, sondern daß sie hier durch jeden unüberlegten Schritt nicht nur sich, sondern auch mich und meine militärische Ehre kompromittieren würde, ohne dadurch irgend etwas zu ändern, da gegen solche Befehle gar keine Einwendungen, selbst die begründetsten nicht angehört würden. – „Gut, dann gehe ich mit und reite auf einem Maultier an der Spitze deiner Kompagnie.“ – Diesen tollen Gedanken suchte ich ihr auszureden, indem ich ihr sagte, daß dies nicht gelitten würde und außerdem die Expedition schwerlich länger als ein- oder ein paarmal vierundzwanzig Stunden dauern würde. – „Wenn es aber länger dauert, komme ich doch nach,“ versetzte sie nun, und ich sah, wie recht die Spinola gehabt, als sie mir gesagt, der kleine Teufel würde mir zu schaffen machen, denn ich fürchtete irgendeinen tollen Streich, den abzuwehren nicht in meiner Gewalt stünde. Ich entfernte mich jetzt unter dem Vorwande, Anordnungen treffen zu müssen, und versprach, vor dem Abmarsch Abschied von ihr zu nehmen. Statt dessen schrieb ich ihr einen Brief, mich mit der Unmöglichkeit und der übereilt befohlenen Entfernung entschuldigend, den ich ihr erst zukommen ließ, als wir schon einige Stunden von Genua entfernt waren. Ebenso benachrichtigte ich die Spinola schriftlich von diesem Ereignis, mit der Bitte, es ihrer Freundin schonend mitzuteilen, und vertröstete auch sie auf baldige Zurückkunft. In der Tat war ich froh, als ich den anderen Morgen Genua, aus dem ich absichtlich schon vor Sonnenaufgang mit meiner Kompagnie abmarschiert war, im Rücken hatte und sah mich jeden Augenblick um, fürchtend, den kleinen Satan auf seinem Maultier hinter mir angesprengt kommen zu sehen.

Schon seit einiger Zeit war es in den italienischen Alpen sehr unruhig geworden, es hatten sich starke Banden zusammengerottet, die so verwegen wurden, daß sie in den letzten Tagen sogar einen französischen Posten von einigen zwanzig Mann überfallen und die Leute sämtlich ermordet hatten. Dies war in einer geringen Entfernung von Genua geschehen. Die italienischen Alpen sind in dieser Gegend ebenso unwirtsam, voll Schluchten und sicherer Zufluchtsorte für Räuber und Insurgenten, wie die Waldgebirge Kalabriens. Jeder Mann hatte sechzig scharfe Patronen und für vier Tage Brot bei dem Ausmarsch erhalten.

Eine besondere Instruktion hatte ich nicht und konnte sie nicht erhalten haben, sondern sie lautete nur im allgemeinen, die Spuren der Briganten aufzusuchen, sie zu verfolgen und wo möglich tot oder lebendig einzufangen, mich dabei so viel es sich tun ließ der Bauern in den Dörfern zu bedienen und Führer aus denselben zu nehmen. Das weitere blieb meiner Einsicht überlassen, indem ich nach Umständen agieren müsse. Ist man einmal über die Riviera – so wird das Uferland genannt, welches den Meerbusen umgibt – hinaus, so werden die Berge immer öder, steiler und kahler, Felsen türmen sich auf Felsen, seltener werden Bäume und Gebüsch, und nur hier und da sieht man noch einige Kastanien, der Weg, dessen Rand sich oft an unabsehbaren Abgründen und Schlünden hinzieht, über welche mitunter sehr gebrechliche Brücken führen, kann nur noch durch sehr sichere Pferde und Esel betreten werden. Viele dieser Brücken waren durch die Briganten abgebrochen, so daß ich häufig wieder umkehren und andere Wege aufsuchen mußte. Als ich den zweiten Tag zu Ovada ankam, erfuhr ich, daß erst vor ein paar Tagen hier drei Gendarmen überfallen und ermordet worden waren; um an diesen Ort zu gelangen, hatte ich einen Führer aus dem Flecken Campo Marone mitgenommen, der mich auf großen Umwegen hierher gebracht, wo ich mich auf vierundzwanzig Stunden einquartierte, um Erkundigungen über den Aufenthalt und die Spuren der Briganten einzuziehen. Ovada ist ein ziemlich großer Ort, der an der Orba liegt und etwa tausend Einwohner zählen mag. Wo ich aber auch anklopfte und forschte, niemand wollte mir Auskunft über die Banden geben können; die Stimmung der Einwohner und Landleute war uns überhaupt sehr ungünstig, allenthalben zeigte sich große Unzufriedenheit mit der Regierung, Haß gegen die französische Herrschaft und ein Geist des Aufruhrs und der Widerspenstigkeit, der unter Umständen sehr gefährlich werden konnte. Zu den zahlreichen Räuberbanden, die sich in den italienischen Alpen umhertrieben, gesellte sich fortwährend alles Gesindel, und alle, welche irgend etwas begangen hatten, flüchteten sich zu ihnen in unzugängliche Schlupfwinkel im Gebirge. Dabei hatten sie fortwährend geheime Verbindungen in Genua, Turin, Piemont und der Lombardei. Was mir sehr im Wege stand, war die abscheuliche Sprache, die in dieser Gegend geredet wird; überall wollten die Einwohner kein Italienisch sprechen und stellten sich, als verstünden sie mich nicht. In Ovada suchte ich einen Geistlichen auf, der doch den Sprachunwissenden nicht machen konnte, wenigstens meine Fragen beantworten mußte, aber auch von diesem konnte ich nichts weiter herausbringen, als daß man zwar viel von den Briganten höre, aber ihren Aufenthalt nicht wisse noch erspähen könne. Überhaupt zweifle er an dem Bestehen dieser Banden, wie man sie in Genua schildere; es seien höchstens nur einzelne Straßenräuber vorhanden, und es sei ganz vergebliche Mühe, diese aufsuchen zu wollen, da kein Mensch ihre Schlupfwinkel kenne. Aber der geistliche Herr wußte sie gewiß. Von Ovada marschierte ich mit ebensowenig Erfolg nach Casaleggio und von da nach den Dörfern Acquata und Isola, ganz abscheulichen Nestern, in denen alle meine Bemühungen ebenfalls erfolglos blieben, so daß ich schon verzweifelte, jemals auf die Spur der Briganten zu kommen. In Ronco brachte ich einen Tag und zwei Nächte zu und erfuhr am Morgen nach der letzten, daß in der verwichenen Nacht abermals ein Gendarm zwischen hier und dem nahen Fornaro ermordet worden sei. Seinen Leichnam habe man schrecklich verstümmelt auf der Landstraße gefunden. Ich machte mich nun mit meiner Kompagnie eilig nach Fornaro auf, das ziemlich nahe an der Bocchetta liegt, stellte rings um das Dorf Piketts und drohte es anzuzünden, wenn mir nicht in Zeit von zwei Stunden die Mörder der Gendarmen ausgeliefert würden, denn ich hatte einige Indizien, daß es Bewohner dieses Ortes waren. Um meiner Drohung mehr Nachdruck zu geben und zu zeigen, daß es mir Ernst damit sei, ließ ich von den Soldaten Brennmaterial zusammenbringen und auf einen Haufen legen; aber vergeblich, die Einwohner heulten, schrieen und winselten, beteuerten ihre Unschuld, und von den Mördern war keine Spur aufzufinden. So zog ich schon sieben Tage vergeblich in diesen Öden und zwischen Schluchten umher, wobei die Nahrung auch nicht die beste war und ich mehrere Marode zählte, die ich nach Bocchetta führen ließ, von wo sie ins Lazarett nach Genua gebracht wurden. Ich selbst fing an, höchst mißmutig zu werden und an irgendeinem günstigen Erfolg meiner Mission zu verzweifeln, als ich auf eine List verfiel, die wenigstens teilweise gelang. Ich suchte die entschlossensten und mutigsten Leute meiner Kompagnie heraus, ließ sie ihre Säbel scharf schleifen und so zu zwei und drei Mann streifen, während ich mich mit den übrigen in einem nahen Dorf verweilte, in dessen Mitte ich ein Pikett aufstellte und dessen Ausgänge so besetzte, daß sich keine Seele aus demselben ohne meine Erlaubnis entfernen durfte. Die Leute, die ich auf die Streifereien ausschickte, instruierte ich dahin, daß sie sich nicht weiter von dem Ort entfernen sollten, als man das Abfeuern eines Gewehrs hören könne, und wenn sie Bauern oder sonstige Individuen auf sich zukommen sähen, sollten sie dieselben bis auf gefällte Bajonettweite herankommen lassen, dann aber ihnen das Gewehr vorhalten und sie nach ihrem Begehren fragen; sollten jene aber Miene machen, noch weiter vorzudringen oder irgendeine feindliche Bewegung versuchen, losschießen, und wenn das Gewehr nicht mehr zur Verteidigung geschickt sei, dasselbe von sich werfen und sich mit dem blanken Säbel verteidigen, bis der nicht lange ausbleibende Sukkurs käme; würde man aber aus der Ferne auf sie schießen, so sollten sie das Feuer erwidern, doch immer nur einer nach dem anderen, um sich zu soutenieren. Andere Soldaten hieß ich, nur mit dem Seitengewehr bewaffnet, ganz in der Nähe des Orts spazieren gehen. Aber auch dieses Manöver hatte ich schon einige Tage umsonst versucht; endlich hörte ich, nachdem ich zwei Stunden vor Tagesanbruch, denn ich marschierte nur nachts und immer unvermutet ab, damit die Briganten so wenig als möglich von ihren Spionen unterrichtet werden konnten, in dem sehr einsam im Gebirg gelegenen Dorf Ritegno angekommen war und die Streif- und Lauerposten abgeschickt hatte, plötzlich einen Schuß und gleich darauf noch acht bis zehn fallen. Ich jagte jetzt mit einem Teil der übrigen Mannschaft nach dem Ort zu, von wo das Schießen herkam, und fand fünf von meinen Leuten im Handgemenge mit wenigstens zwanzig Briganten. Als mich diese ankommen sahen, ergriffen sie die Flucht, bis auf drei, welche von den Voltigeurs festgehalten wurden; einer derselben stach jedoch einen Mann mit einem Dolchstoß nieder. Dies sehend, sprang ich hinzu und versetzte dem Kerl mit solcher Kraft einen Hieb über den Kopf, daß er einen zweiten beabsichtigten Dolchstoß nicht führen konnte, sondern mehrere Schritte zurücktaumelte und von seinem Blut überströmt ohnmächtig niedersank; aber auch der gestochene Voltigeur war gefährlich verwundet. Die beiden anderen Briganten wurden unterdessen entwaffnet und festgehalten. Den Entflohenen setzten wir zwar eine Strecke nach, mußten jedoch bald umkehren, da wir jede Spur von ihnen verloren. Ich ließ alle drei, auch den Schwerverwundeten, der wieder zu sich gekommen war und nebst dem von ihm gestochenen Soldaten zur Not verbunden wurde, knebeln und sagte ihm, daß er ohne Absolution und Segen zur Hölle fahren solle, wenn er nicht gestände, wo sich seine Spießgesellen aufhielten und wer sie seien. Ebenso drohte ich den anderen mit augenblicklichem Erschießen, wenn sie nichts gestehen würden, und ließ jeden gehörig bewacht einzeln und von den andern getrennt führen, so daß sie sich weder durch Worte noch durch Blicke oder Zeichen miteinander verständigen konnten. Der Verwundete ward aber mit jedem Augenblick schwächer und flehte um einen Tropfen Wasser zur Labung, den ich ihm aber verweigerte, bis er gestanden, was ich begehrte. Ich hielt ihm nochmals seine bevorstehende Höllenfahrt vor, worauf er mir mit matter Stimme erwiderte: „Gewiß nicht, denn ich habe schon im voraus Absolution und Vergebung aller Sünden erhalten und bin im Gegenteil gewiß, daß ich für meine Ermordungen der Feinde unseres Landes sogar dem größten Teil der Pönitenz des Fegfeuers entgehen werde.“ – Jetzt fragte ich ihn, wer ihm denn solche Albernheiten glauben gemacht, und reizte ihn, noch mehr zu beichten, mich über seinen Aberglauben lustig machend. Ich brachte auch noch so viel von ihm heraus, daß er erst vor vierundzwanzig Stunden in Asconi, einem Dorf im Gebirge, gebeichtet habe. Hierauf ging ich zu einem anderen Gefangenen und sagte zu diesem: „Ah, Briccone, du bist auch aus Asconi?“ Er erblaßte und leugnete. Nun teilte ich ihm mit, daß mir sein sterbender Kamerad dies gestanden, worauf er versetzte: „Er hat gelogen, ich bin nicht aus Asconi, sondern der andere, mein Geburtsort ist Cento Croce.“ – „Du hast aber doch erst vor vierundzwanzig Stunden in Asconi gebeichtet und Absolution erhalten.“ – „Ha, der Verräter,“ knirschte der Brigant. Auch den dritten nahm ich nun ad coram und erfuhr genug, um überzeugt zu sein, daß die Kerls in Asconi und Cento Croce zu Hause waren, und brach, nachdem ich die Verwundeten und Gefangenen nach Bocchetta expediert, mit dem Rest meiner Leute, noch über hundert Mann, durch öde und kahle Wildnisse mit einem gezwungenen Führer nach Asconi auf, sah aber den Ort ganz verlassen und keine lebendige Seele. Auch fand sich in den erbärmlichen Hütten desselben nicht das mindeste vor, was uns zur Nahrung und Labung hätte dienen können, und wir mußten uns an das mitgebrachte Brot und Wasser halten. Einige der Leute hatten noch etwas Aquavit bei sich, auch fingen wir ein halbes Dutzend Hühner und ein paar Hähne weg, die sich uns zufällig darboten und nun an Ladestöcken gebraten und mit Pulver zubereitet wurden, da wir kein anderes Salz hatten. Gegen Abend marschierte ich unter Hörnerklang – die Voltigeurs hatten statt der Trommeln eine Art kleiner Wald- oder Posthörner – und mit möglichstem Geräusch ab, ließ aber drei Viertelstunden von dem Dorf hinter einer Felsenwand Halt machen und befahl den Leuten, sich möglichst ruhig und still zu lagern. Brot und Wasser war wieder unsere Kost, obgleich wir ein paar aufgefangene Ziegen bei uns hatten, die ich aber nicht zu töten gestattete, weil kein Feuer gemacht werden durfte, wenn mein Plan gelingen sollte. So kampierten wir bis um zwei Uhr nach Mitternacht; zwar hatte mir schon einer der ausgestellten Lauerposten einige Stunden nach Sonnenuntergang berichtet, daß man Licht in Asconi wahrnehme, ich fand aber für gut, noch eine spätere Zeit abzuwarten, um mein Vorhaben auszuführen. Jetzt kehrten wir in aller Stille nach Asconi zurück, wo wir noch Licht in einigen Häusern sahen. Wir schlichen uns ganz leise und unbemerkt heran, und mit der Hälfte der Mannschaft besetzte ich alle Zugänge des Orts, während ich mit der anderen Hälfte in denselben einrückte und ein Haus, eine Art Osteria, aus dem ein ziemlich bacchanalischer Lärm ertönte, umzingelte. Wir entdeckten, daß sich einige zwanzig wohlbewaffnete Banditen nebst mehreren Weibern und Mädchen in einer großen Stube desselben befanden, sich ganz unbekümmert Orgien überlassend. Nachdem ich meine Mannschaft auf das beste geordnet und instruiert hatte, ließ ich die Trompeter ins Horn stoßen und die Leute auf dieses Signal plötzlich die Gewehre gegen die Fenster und Türen abfeuern, die letzteren darauf mit Gewehrkolben einstoßen und zur Attacke blasen. Ich drang nun mit einem Teil der Mannschaft in das Haus, während die anderen, ihre Bajonette in die Fenster haltend, dasselbe fortwährend umgaben. Die Briganten, durch diesen unerwarteten Überfall verblüfft und an vierzig Läufe gegen sich gerichtet sehend, durch das Geschrei der Weiber und Kinder noch mehr außer Fassung gebracht, dachten im ersten Augenblick nicht daran, Widerstand zu leisten, als aber einige ihre Büchsen abfeuerten, folgten die anderen diesem Beispiel, worauf meine Leute ebenfalls ein mörderisches Feuer auf sie gaben. Ich drang, an der Spitze zwei Sergeanten, in das Zimmer; dem Unterleutnant hatte ich den Befehl der Leute vor dem Haus und im Dorf über lassen, und es entspann sich ein mörderisches Gefecht in der Stube selbst, in der sich die Briganten wie Verzweifelte wehrten, und erst nachdem mehrere von ihnen tot niedergestreckt, auch viele verwundet waren und ich ihnen dann bei augenblicklichem Niederschießen gebot, die Waffen zu strecken und auszuliefern, hatte der Kampf ein Ende. Mehrere von meinen Leuten waren gleichfalls verwundet, doch keiner sehr gefährlich, und keiner war geblieben, ich selbst aber mit einem Dolch in den linken Arm geritzt worden. Ich ließ ihnen nun Gewehre, Pistolen, Säbel und Dolche abnehmen und sie, während sie noch vor Wut schäumten, mit Gewehrriemen binden, da ich keine Stricke auftreiben konnte, und so bis zu Tagesanbruch bewachen, während sich Unteroffiziere und Soldaten mit den hübschesten der Weiber und Mädchen, wenn auch etwas gewaltsam, vergnügten, was die Gefangenen, die es wenigstens mit anhörten, bis zum Rasendwerden in Wut versetzte. In ein paar anderen Häusern fingen wir noch ein halbes Dutzend von dieser Bande, sehr viele aber waren entsprungen und hatten sich durch die Flucht gerettet. Wir fanden in dem einen Haus auch noch einen ziemlich vollen Weinschlauch, gebratenes Ziegenfleisch, Polenta, Öl, woran sich die fast verhungerten Voltigeurs gütlich taten. Mit Tagesanbruch verließ ich das Dorf mit meinen Gefangenen, deren Arme ich auf dem Rücken hatte zusammenschnallen und binden lassen. Als wir ausmarschierten, warfen sich mir die Weiber zu Füßen, um die Freilassung ihrer Männer und Geliebten flehend und sich an die Soldaten klammernd, die sie transportierten, so daß wir alle Gewalt nötig hatten, sie los zu werden und ich nur durch die Drohung, auf sie und die Gefangenen schießen zu lassen, verhindern konnte, daß sie uns folgten. Ich marschierte nun nach Cento Croce, fand aber dieses Nest ganz ausgestorben; von da mit meinem Fang über Ritegno und Bocchetta, wo ich erst den folgenden Mittag ankam und die Gefangenen nebst einem ausführlichen Rapport nach Genua abschickte und mich dann in Ronco einquartierte, die Zurückkunft meiner Leute und der zwei Sergeanten, die ich mit abgesandt, erwartend. Wir bedurften der Ruhe, uns von den Strapazen und Entbehrungen zu erholen. Ich erhielt aber den anderen Tag Order, mit meiner Kompagnie gleichfalls wieder in Genua einzurücken, um dort bei den Verhören der Gefangenen gegenwärtig zu sein und die nötige Auskunft zu geben, zugleich wurde mir aber für meine erfolgreichen Bemühungen eine Belobung und noch zwei Rasttage in Ronco gestattet.

Ungefähr sechzehn Tage hatte ich mich in diesen Gebirgen umhergetrieben, und meine Abberufung war mir daher willkommen, da bei einer solchen, immer mit den größten Entbehrungen und Gefahren verknüpften Expedition doch nur wenig Ruhm zu erwerben ist, während eine weit weniger beschwerliche Waffentat gegen einen gewöhnlichen Feind im offenen Felde mit Eklat ausposaunt und belohnt wird. Dagegen ist aber wohl keine Art Krieg zu führen so unterrichtend und so reich an Erfahrungen, als gerade diese. Man lernt dadurch besonders jedes Terrain gehörig benutzen, erlangt einen großen Scharfblick und eine richtige Übersicht in allen Gefahren und weiß jeden kleinen Vorteil bestens wahrzunehmen. Die beständige Aufmerksamkeit, welche man bei allen Streifzügen in so kupiertem Terrain notwendig haben muß, schärft den Blick und Verstand außerordentlich. Jeder einzelne Mann kommt da oft in die Lage, alle seine Intelligenz und Fähigkeiten aufbieten zu müssen, um nicht das Opfer irgendeiner Versäumnis oder Nachlässigkeit zu werden, die oft mit dem Leben bezahlt werden muß. Die Erfahrungen und Gefahren eines solchen Krieges machen dann auch zu allen größeren Kommandos und zum Anführen der wichtigsten Expeditionen fähig.

In Genua zurück, verfügte ich mich zuerst zu meinem Bataillonschef, Herrn von Brüge, der mich freundlich empfing und meinen Erzählungen mit vieler Teilnahme zuhörte und von diesem zum kommandierenden Divisions-General Montchoisy, dem ich einen vollständigen Bericht abstattete und wurde darauf von ihm zur Tafel geladen, ebenso bei dem Kommandanten General Mouret. Die Verhöre fanden bald statt, und zehn dieser Briganten wurden zum Tode verurteilt, die übrigen kamen auf die Galeere.

Ich hatte eben keine große Eile, mich nach meinen Schönen zu erkundigen oder sie aufzusuchen, sondern fürchtete vielmehr, Neuigkeiten von ihnen zu hören und wollte hinsichtlich ihrer wenigstens eine Zeitlang das Inkognito in Genua bewahren, aber am Morgen des dritten Tages erhielt ich in aller Frühe ein Billettchen von Giulietta, in welchem sie mich in sehr gebieterischen und dringenden Ausdrücken aufforderte, sie noch diesen Vormittag zu besuchen. Ich mußte dem Gebot wohl Folge leisten, begab mich zu ihr und erlebte einen Auftritt, der weit ärger war, als ihn sich meine ausschweifende Phantasie gedacht und ich gefürchtet hatte. Der kleine Satan rief mir entgegen: „Also zitieren muß man Sie, wenn man Sie sehen will,“ redete nur von Dolch und Gift, von Herzen durchbohren und Augen ausstechen, Gurgel abschneiden und in Stücke zerreißen und so weiter. Zuerst hielt sie mir meine Abreise ohne Abschied, wie ein Dieb in der Nacht, vor, dann aber wollte sie hinter mein intimes Verhältnis, das es denn doch noch nicht war, mit der Spinola gekommen sein, und schwur hoch und teuer, daß dieses blutig enden würde, wenn ich es fortsetze. Ich suchte die halb Rasende zu beruhigen, indem ich ihr ebenfalls hoch und teuer schwur, daß ich noch nie ein intimes Verhältnis mit der Spinola gehabt, und das konnte ich mit gutem Gewissen; ich wußte sie endlich so weit zu besänftigen, daß wir uns so ziemlich im Frieden, der gehörig gefeiert worden war, trennten, indem ich alles versprach, was sie versprochen haben wollte. Sie gestand mir ein, wie sie meine Ankunft in Genua erfahren; ein Kammermädchen, das einen Unteroffizier des Regiments kannte, hatte denselben angehen müssen, ihr meine Zurückkunft sogleich zu melden; nun war er aber gerade den Tag auf der Wache, und sie erfuhr es doch erst achtundvierzig Stunden später. Ich fand für gut, mich jetzt auch bei Guercino nach der Marchesa P... und der Spinola zu erkundigen und hörte, daß erstere im ganzen etwas besser sei, aber noch immer so sehr an den Nerven leide, daß sie auch die geringste Erschütterung oder Gemütsbewegung, die sie um jeden Preis vermeiden müsse, in den traurigsten Zustand versetze. Ich hatte bald auch eine Zusammenkunft mit der Spinola, bei der wir gemeinschaftlich den Zustand der armen Marchesa bedauerten, uns gegenseitig deshalb trösteten und so gerührt waren, daß wir, ohne zu wissen wie, bald einander in den Armen lagen; und was die Palatini nur vermutet hatte, verwirklichte sich schneller, als ich geglaubt. – Nun war aber die schwere Aufgabe, einer jeden von beiden glauben zu machen, daß sie die einzige Auserwählte sei, etwas, das weder so leicht noch gefahrlos war, da alle diese Damen ihre Kundschafterinnen hatten, die das Spionenhandwerk trefflich verstanden. Wenige Tage vor meiner Ankunft war ein junger französischer Artillerieoffizier das Opfer der Eifersucht einer Frau geworden, der, nachdem er eine Zeitlang ein vertrautes Verhältnis mit ihr gehabt, Anstalt machte, eine junge Französin, die Tochter eines Artillerieobersten, zu heiraten. Kurz vor dem schon festgesetzten Vermählungstage hatte sie ihn bei einer letzten Zusammenkunft, um die sie ihn gebeten, mit eigenen Händen erdolcht und so gut zu treffen gewußt, daß er fast lautlos niedergestürzt war, sich dann selbst als seine Mörderin angegeben und den Gerichten überliefert, die sie für eine Wahnsinnige erklärten. – Ich nahm meinen Tisch wieder bei Herrn von Brüge, setzte den musikalischen Unterricht mit der kleinen Josephine fort, an der ich eine sehr fleißige und talentvolle Schülerin hatte, die mir mit kindischer Liebe so sehr zugetan war, daß mir diese Stunden eher eine Unterhaltung, eine Erholung, als eine Mühe waren. Öfters auch führte ich das liebenswürdige Kind spazieren und zeigte ihm Genuas Kuriositäten; so besuchte ich eines Tages das Conservatorio Fieschino mit ihm, ein Nonnenkloster, welches ein Domenico Fiesco im Jahr 1760 stiftete und das durch die künstlichen Blumen, die die Nonnen desselben verfertigen und die von einer seltenen Schönheit und Frische sind, nicht nur in ganz Italien berühmt, sondern selbst bis nach Amerika, wohin sie versendet werden, bekannt ist. Von diesen Blumen, welche die heiligen Mädchen zum Schmuck der sündhaften Weltkinder verfertigen, bietet man den Fremden an, die das Kloster besuchen, und verkauft sie ihnen sehr teuer; der Handel findet im Sprechzimmer durch ein doppeltes Gitter statt. Ich kaufte Josephinen ein solches Bukett, wobei die Nonnen das Kind so allerliebst fanden, daß sie es zu sich hinter das Gitter nahmen und es noch mit einem anderen Strauß solcher Blumen beschenkten, es auch aufforderten, sie öfters zu besuchen, was wir versprachen, und es brachte von jetzt an oft ganze Tage in diesem Kloster bei den frommen Schwestern zu, unter denen mehrere so liebenswürdig waren, daß ich das Mädchen um dieses Glück beneidete. Doch sah und lernte sie auch manche Dinge dort, wie ich später von ihr erfuhr, die eben nicht sehr klösterlich waren. – Zu dieser Zeit war der Dienst bei unserem Bataillon wegen des Einexerzierens der neuangekommenen Rekruten, fast ausschließlich Preußen, die in dem unglücklichen Krieg von 1807 nach der Schlacht bei Jena, der Übergabe von Magdeburg und so weiter gefangen worden waren und Dienste genommen hatten, wieder beschwerlich, wenigstens für mich, da ich eine wahre Antipathie gegen dieses so ganz geistlose und mechanische Einochsen der Handgriffe, Wendungen und des Marschierens hatte; auch wußte ich mich die meiste Zeit davon zu dispensieren. Selbst die Pelotons- und Bataillonsschule langweilte mich, weil sie sich in zu engen Grenzen bewegte; ich hätte gar zu gern Heere manövrieren lassen.

Bis jetzt war es mir geglückt, mein Verhältnis mit den beiden Damen so zu verheimlichen, daß keine von ihnen daran zweifelte, daß ich den Umgang mit der anderen aufgegeben, aber jeden Tag konnten mir die Karten aufgedeckt werden. In der letzten Zeit hatte ich einigemal bei Giulietta eine sehr liebenswürdige Dame, eine nahe Anverwandte von ihr, die Signora Albertina Palatini getroffen, die ganz das Gegenteil von ihrer wilden Cousine und eine sehr sanfte und ruhige Frau, von blassem, schmächtigem Aussehen, eine geborene Venetianerin war, die sich hierher verheiratet hatte. Sie besaß ganz das zierliche, fein-graziöse Wesen, das die Venetianerinnen besonders auszeichnet, Schönheiten, denen das Heroische der Römerinnen, das Blühende der Florentinerinnen abgeht, die dagegen fast verklärte, oft sehr geistreiche Gesichter und die zarteste weiße, fast durchsichtige Haut von der Welt haben. Die Signorina Albertina hatte ein raffaelisches Madonnenantlitz, ihre Unterhaltung war von der Art, daß sie unwiderstehlich für sie einnahm, und nie habe ich hinsichtlich des Kontrastes zwei verschiedenartigere Wesen kennen gelernt, als diese beiden Cousinen, die sich dennoch sehr gut miteinander vertragen, und, was das Sonderbarste war, daß, obgleich ich Albertinen eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit in Gegenwart Giuliettens schenkte und mich, soviel es tunlich war, fast ausschließlich mit ihr unterhielt, diese doch keine Idee von Eifersucht oder Mißtrauen blicken ließ, sondern das größte Vertrauen in ihre sanfte und sentimentale Verwandte setzte, nicht bedenkend, daß es die Sentimentalen oft ganz gewaltig hinter den Ohren sitzen haben, denn stille Wasser sind tief. – Ein bloß geistiges Einverständnis hatte sich auch bald zwischen mir und der neuen Bekannten entsponnen, und in den Gesellschaften, in denen ich sie traf und die sie frequentierte – sie wurde weit mehr als ihre Cousine zu denselben gezogen und eingeladen –, unterhielt ich mich und tanzte viel mit ihr; ein gegenseitiges Wohlwollen, ohne Drang nach sinnlicher Lust, war bald entstanden, und jedes bezeigte große Teilnahme für das, was dem anderen widerfuhr; wie sehr dies von Albertinens Seite der Fall war, hatte ich bald Gelegenheit, auf das unzweideutigste zu erproben.

In ganz Italien ist hinsichtlich Genuas eine Redensart im Munde des Volkes, die heißt: Uomini senza fede, donne senza vergogna, mare senza pesce, bosco senza legna. Mit derselben hat es, wie es mit so mancher ähnlichen abgeschmackten sprichwörtlichen Redensart der Fall ist, gleiche Bewandtnis, sie ist fast ganz falsch und irrig. – Was das erste anbetrifft, Uomini senza fede, so sind die Genueser in dieser Hinsicht nicht schlimmer als die anderen Italiener, was freilich kein Lob ist, und ebenso ist es mit den Frauen der Fall, die übrigens auch bei dem vertrautesten Verhältnis noch immer eine gewisse Dezenz beobachten, sich nie so ganz schamlos hingeben, wie zum Beispiel die Französinnen, die, wenn man einmal auf einen gewissen Punkt mit ihnen gekommen ist, gar keine Zurückhaltung mehr kennen, was sie denn auch, trotz ihres geistreichen und witzigen Geplauders, ihres so aufgeweckten munteren Verstandes, gar schnell bis zum Ekel widerlich erscheinen läßt, sobald man intim mit ihnen geworden. – Das Meer ohne Fische ist nun vollends eine offenbare Lüge; ich habe nirgends bessere und dabei sehr billige Fische gegessen wie hier, namentlich die Triglia, ein köstlicher Rotfisch, Sardellen, frischen Tunfisch, die kleinen köstlichen rosenfarbigen Bianchetti, die man auch Rosetti nennt, und so weiter. – Ein Wald ohne Bäume aber ist barer Unsinn, man findet hier die herrlichsten Zitronenwäldchen, deren Duft die Lüfte parfümiert. – Ich erwähne dieses alberne Sprichwort hauptsächlich in Betracht der Frauen, die nicht mehr intrigieren als alle Italienerinnen und Spanierinnen, fast eher schamhaft als schamlos sind, wenigstens habe ich sie so gefunden, sogar die sonst so ausgelassene Giulietta war in gewissen Dingen sehr dezent, und selbst die öffentlichen Dirnen, denen ich nur auf den Straßen begegnete, da ich vor solchen immer den größten Abscheu und Ekel hatte, haben es bei weitem noch nicht zur Unverschämtheit der Pariser Boulevardnymphen gebracht; man konnte zu jeder Zeit durch alle Gassen Genuas gehen, ohne von ihnen angehalten zu werden.

Etwa vier Wochen nach meiner Zurückkunft aus den Alpen war wieder ein großes Fest bei Dorias, zu dem das ganze Offizierskorps der Garnison sowie die ganze schöne Welt und der Adel Genuas, den ich zum erstenmal so vollständig versammelt sah, eingeladen war. Im hellen Glanz strahlten die Damen, die ihre Toilette mit großer Sorgfalt gewählt hatten; auch Albertina Palatini war zugegen, aber ganz einfach weiß, jedoch in die feinsten Spitzen gekleidet, ohne Brillanten oder Perlen, weiße Rosen im Haar. Ihre feine blasse Haut und dieser Anzug gaben ihr das Ansehen einer Halbverklärten. Ich hatte fast nur Augen für sie und war mit der ebenfalls anwesenden Spinola und Giulietta übereingekommen, daß ich beide ignorieren und ihnen nur die ganz gewöhnlichen Höflichkeitsbezeigungen erweisen würde. Ich hielt mich hauptsächlich in Albertinens Nähe auf, deren elegante Anmut beim Tanz bewundernd. Sie blickte mich einigemal so bedeutungsvoll an, daß es schien, als hätte sie mir etwas Besonderes mitzuteilen. Ich trat bald darauf eine Monfarina mit ihr an, und nachdem dieselbe beendigt war, drückte sie mir ein Billettchen verstohlen in die Hand, indem sie mir zuflüsterte: „Leggete subito!“ Ich eilte in ein entlegenes Gemach unter eine Fensterhalle und las:

‚Signor, finden Sie sich eine Stunde vor Mitternacht in der Grotte der Calypso der Villa Doria ein, wo ich Ihnen Dinge von der größten Wichtigkeit mitteilen werde, meiden Sie mich aber den Rest des Abends, damit jeder Verdacht eines Einverständnisses fern bleibt. Um der Madonna willen, verlieren Sie das Billett nicht, wenn Ihnen Ihr und mein Leben teuer ist, vor allem hüten Sie sich vor meiner Cousine und meinem Bruder; suchen Sie die Grotte auf und placieren Sie sich bei der zweiten Monfarina in meiner Nähe.‘

So sehr ich auch über den Inhalt dieses seltsamen Schreibens erstaunt war und nachdachte, so glaubte ich dennoch aus demselben nichts weiter vermuten zu können, als einen gefährlichen Anschlag Giuliettas, die hinter meine Schliche gekommen, oder ein gewöhnliches Rendezvous. Etwas zerstreut kehrte ich in den großen Saal zurück, begegnete bisweilen den Blicken Albertinens, die alsdann ihre Augen verlegen niederzuschlagen schien. Ich suchte nun die bezeichnete Grotte auf, die in dem entlegensten Teil der Bosketts lag, mir die dahin führenden Wege merkend, und tanzte dann abwechselnd mit der Spinola, Giulietta, Teresina Doria und anderen. Bei der zweiten Monfarina placierte ich mich neben den Tänzer Albertinens, die mich während der Tour leise und schnell fragte: „Wissen Sie die Grotte? Haben Sie das Billett vernichtet? – Verfehlen Sie die Zeit nicht!“ – Ich beantwortete alles mit gleicher Heimlichkeit und begab mich eine Viertelstunde vor der festgesetzten Zeit an den bestimmten Ort. Kaum hatte ich Posto daselbst gefaßt, so hörte ich mehrere Männerstimmen eifrig im Gespräch begriffen, und da ich fürchtete, sie möchten in die Grotte kommen, so trat ich schnell aus derselben und hinter ein nahes Gebüsch. Meine Vermutung war nicht ganz falsch, denn sie blieben vor dem Eingang der Grotte stehen und schienen sich im genuesischen Jargon ziemlich heftig zu streiten. Ich verstand nur einzelne und abgebrochene Worte, wie Il Commandante, teatro, francese und so weiter. Gerne wäre ich aus meinem Hinterhalt hervorgegangen, um Albertinen aufzusuchen und sie zu verhindern, sich hierher zu verfügen, aber es war unmöglich, ohne von diesen Personen bemerkt zu werden, die dann glauben mußten, ich habe sie belauscht. Über eine gute Stunde mußte ich in dieser peinlichen Lage bleiben, jeden Augenblick fürchtend, die Signora kommen zu sehen, als sich die Männer, es waren ihrer wohl einige zwanzig, entfernten, sich in mehrere Gruppen verteilten und auf verschiedenen Wegen wieder in den Palazzo begaben. Sobald ich sie weit genug glaubte, eilte auch ich wieder in den Tanzsaal zurück, Albertinen mit scharfen Blicken im Gewühl suchend, konnte sie aber nirgends entdecken; ich rannte nun wieder zur Grotte, aber auch hier keine Spur von ihr, ich lief durch alle Gänge und Alleen des Gartens, alles vergeblich. Eben wollte ich wieder in die Haustür treten, als mich eine Frauengestalt, in einen Mantel gehüllt, bei der Hand nahm und einige Schritte mit sich fortzog; es war Albertine. Ich wollte reden, aber sie fiel mir schnell ins Wort: „Ich weiß alles, was Sie mir sagen wollen, und habe nur zwei Minuten Zeit, denn schon werde ich vermißt. Wenn Ihnen Ihr Leben und das aller Ihrer Kameraden teuer ist, so verfehlen Sie morgen nicht, in die Frühmesse der Annunziata zu kommen.“ Mit diesen Worten verlor sie sich schnell ins Gebüsch, da man Leute kommen hörte. Es waren Gäste, die sich schon entfernten. Ich trieb mich noch eine geraume Zeit in dem Garten umher, über dieses Abenteuer und was es zu bedeuten habe nachdenkend; als ich endlich wieder in den Saal trat, war es schon drei Stunden nach Mitternacht und die Kerzen beinahe heruntergebrannt; die Generalität und alle Offiziere waren längst weg, ich fand nur noch wenige Nobili unter einer Fensterhalle in so eifrigem Gespräch vertieft, daß sie mich kaum zu bemerken schienen, und entfernte mich ebenfalls. Zu Hause angekommen, warf ich mich auf das Bett, meinem Bedienten befehlend, mich mit Tagesanbruch, der nicht mehr sehr entfernt war, zu wecken. Ich konnte aber nicht einschlafen, und erst gegen Morgen schloß ich die Augen, in einen leisen und unruhigen Schlummer versinkend, aus dem ich, durch einen beängstigenden Traum erschreckt, bald wieder erwachte, mich schnell ankleidete und zur Annunziatakirche eilte. Außer einigen alten Frauen und verschleierten Damen, die hin und wieder an Altären knieten, war noch niemand in der Kirche. Nach einer halben Stunde trat die von mir heiß Herbeigewünschte ein. Ich hatte sie an der Tür erwartet und reichte ihr das Weihwasser, worauf sie mir ein Zeichen gab, ihr zu folgen. In einer kleinen Seitenkapelle öffnete sie eine ziemlich verborgene, stark mit Eisen beschlagene Tür, die sie leise anlehnte; ich folgte ihr unbemerkt und befand mich samt ihr in einem sehr kleinen, von hohen Mauern umgebenen Kirchengärtchen oder vielmehr Höfchen, mit Bäumen besetzt. Nachdem ich auf ihr Geheiß die Tür hinter mir zugemacht, sagte sie: „Signor, mein Benehmen muß Ihnen sehr seltsam vorkommen, aber das Interesse, welches Sie mir von dem ersten Augenblick, da ich Sie sah, einflößten, wird, verbunden mit dem, was ich Ihnen nun entdecken werde, mich nicht nur entschuldigen, sondern Sie mir auch für immer verpflichten. Erst aber schwören Sie mir, daß Sie weder mich noch meinen Mann noch meinen Bruder, so groß auch die Schuld des letzteren sein möge, verraten oder ins Verderben stürzen wollen.“ – Lächelnd fragte ich sie, ob es wohl noch eines solchen Schwures bedürfe, und reichte ihr die Hand, mein Ehrenwort deshalb gebend. Ihre Hand ruhte zitternd in der meinigen, als sie fortfuhr: „Es ist eine gräßliche Verschwörung gegen Ihre Truppen und die Garnison im Werk und dem Ausbruch so nahe, daß keine Zeit mehr zu verlieren ist, wenn Sie sich retten wollen. Heute abend sollen mit dem Beginn des zweiten Akts die sich im Augustinertheater befindlichen Generale und Offiziere ermordet, zugleich auf ein Signal die Kasernen in Brand gesteckt und sich von den Verschworenen der Wälle und Tore bemächtigt werden. Die Anstalten sind so gut getroffen und alles so vorbereitet, daß wohl niemand leicht entkommen kann. Mehrere tausend Briganten und Landleute vom Gebirge befinden sich schon seit gestern abend in der Stadt versteckt, noch weit mehr werden im Augenblick der Ausführung von den Bergen herunterströmen; mehrere englische Kriegsschiffe werden sich mit anbrechender Nacht der Küste nähern und unfern der Stadt Truppen ans Land setzen. Das Signal wird sogleich nach der im Theater erfolgten Ermordung durch eine vom Fanal aufsteigende Rakete gegeben werden. Dies alles habe ich teils durch meinen Mann, teils durch eine Instruktion, die ich in der Schreibtafel meines Bruders fand, die er bei jenem zurückgelassen, erfahren. Namen kann und werde ich Ihnen keine nennen, auch weiß ich nicht, wer die eigentlichen Urheber und Lenker der Verschwörung sind, und erinnere Sie nochmals an Ihr Versprechen.“ – „Das ich heilig halten werde, teuerste Signora,“ unterbrach ich sie, hinzusetzend: „denn es soll Sie nicht gereuen, die Retterin so vieler tapferen Leute geworden zu sein.“

Albertine nahm mit Tränen in den Augen Abschied und entfernte sich durch eine andere Tür, während ich mich durch die Kirche zurück und nach Haus begab. Hier überlegte ich, wie ich es anzufangen habe, die Sache dem kommandierenden General zu entdecken, ohne die Palatini und ihre schuldigen Verwandten zu kompromittieren. Nach einigem Nachdenken war mein Entschluß gefaßt, ich eilte zuerst zu Herrn von Brüge, teilte ihm flüchtig mit, was ich ungefähr wußte und sagen durfte, ohne mein Wort zu brechen, sowie daß ich durch einen Zufall hinter die furchtbare Sache gekommen sei, indem ich diesen Morgen in einer Villa spazieren gegangen, in einem Gebüsch ungesehen zehn bis zwölf Männer belauscht habe, die sich in einem von dichtem Gesträuch umgebenen Rondel beratschlagt hätten, ohne daß es mir möglich gewesen, nur einen derselben zu erkennen; soviel sei aber gewiß, daß noch diesen Abend der Tanz im Theater angehen solle. Herr von Brüge ging sogleich mit mir zu dem kommandierenden General Montchoisy, dem ich dasselbe noch umständlicher wiederholen mußte. Da die Zeit so kurz war, man auch nicht ein einziges Individuum kannte, an das man sich hätte halten können, so war guter Rat teuer. Der General sagte mir, warum ich denn nicht wenigstens den Männern nachgegangen sei, um zu erforschen, wer einer oder der andere gewesen; ich entschuldigte mich mit der Dringlichkeit der Sache und daß ich sie zu schnell aus den Augen verloren habe. Es wurde jetzt in meiner Gegenwart über die Maßregeln beratschlagt, die zu ergreifen seien, da man mit aller Vorsicht zu Werke gehen mußte, um die Verschworenen, die man nicht kannte, nicht aufmerksam zu machen und ahnen zu lassen, daß man etwas von ihren Absichten wisse, weil, wenn sie sich verraten geglaubt, sie leicht einen Desperationscoup ausführen konnten, dem man bei der Unbekanntschaft mit den näheren Verhältnissen nicht hätte gehörig begegnen können. Ich stand wie auf Kohlen und kämpfte mit mir selbst, ob ich nicht lieber die Wahrheit gestehen und wenigstens den Corbetti, so hieß Albertinens Bruder, nennen solle; aber ich hatte das Ehrenwort gegeben, und dies konnte ich nicht brechen. Nach manchen in Beratung gezogenen und wieder verworfenen Plänen machte ich Vorschläge, die denn auch mit wenig Modifikationen vorgenommen und ausgeführt wurden, und man kam endlich über folgendes überein, nämlich: die Chefs der Regimenter und Bataillone sogleich in den Gouvernementspalast zu bescheiden, die verschiedenen Korps nach dem Mittagsappell mit wenigen Ausnahmen, damit die Straßen nicht ganz von Militär entblößt würden, in den Kasernen zu konsignieren, allen Zutritt zu denselben von diesem Augenblick an zu untersagen, damit von dieser Konsignierung in der Stadt nichts verlaute, eine Stunde vor dem Beginn des Schauspiels sämtliche Truppen unters Gewehr treten zu lassen und, sobald das Theater angefangen, die Artillerie auf den Wällen und Bastionen verteilen, die Kanonen gegen die Stadt zu richten, nachdem man sie scharf geladen, auch Kugeln auf dem Rost glühend zu machen, alle Wachen sowie die Hauptwache allmählich zu verstärken, die Theaterwache zu verdoppeln und gehörig mit scharfen Patronen zu versehen, sodann jedermann den Eintritt in das Schauspielhaus zu gestalten, aber keinem Zivilisten erlauben, dasselbe wieder zu verlassen, sondern beim Aufziehen des Vorhangs alle Bürger, bei denen man Waffen finden würde, zu verhaften. Diese Maßregeln wurden mit äußerster Geheimhaltung vorbereitet, so daß selbst kein Offizier, der nicht in das Geheimnis eingeweiht war, etwas von einer Verschwörung ahnte. Die Bataillonschefs ordneten selbst die Konsignierung an, und zur gewöhnlichen Zeit strömte man ungewöhnlich zahlreich ins Theater. Ein Aide du camp des Generals hatte mit mir die Bewerkstelligung der Verhaftungen übernommen, der ersten Wache am Theater war eine zweite, hundert Mann stark, gefolgt, doch wurde der freie Ausgang noch bis zum Aufziehen des Vorhangs gestattet und erst dann den jetzt doppelt aufgestellten Schildwachen geboten, denselben zu wehren. Die Ouvertüre war verhallt, und der Vorhang rollte in die Höhe, aber statt der Akteurs erblickte man eine in zwei Treffen gestellte Abteilung von Grenadieren. Ich trat jetzt mit gezogenem Degen vor, kommandierte: „Apretez-armes, joue!“ Auf fast allen Gesichtern der Zuschauer las man eine große Bestürzung und auf vielen Todesblässe. Jetzt trat der General-Adjutant vor und rief mit lauter Stimme: „Den Herren Offizieren wird im Namen des Herrn Generals befohlen, sich sofort auf die rechte und linke Seite des Parterres zu begeben und ihre Degen zu ziehen, die übrigen Zuschauer aber haben bei Strafe des augenblicklichen Erschießens die strengste Ruhe und Ordnung zu beobachten, denn bei der geringsten zweideutigen Bewegung wird eine Generalsalve auf die dichtesten Haufen gegeben.“[5] Jetzt kommandierte ich wieder: „Redressez vos armes!“, und die Grenadiere brachten ihre Gewehre wieder in die Lage des ‚Fertigmachens‘. Die Offiziere hatten getan, wie ihnen befohlen war, und zwei Genueser erdolchten sich im Parterre. Die Bestürzung war allgemein. Den Damen wurde nun insinuiert, sich zu entfernen, die Wachen traten ins Parterre, man visitierte jeden Mann streng, und alle, bei denen man Dolche, Stockdegen, Terzerole oder sonstige Waffen fand, nicht weniger als hundert und einige neunzig, wurden auf der Stelle verhaftet, die anderen entlassen. Während dies im Theater vorging, wurde draußen Generalmarsch geschlagen, die Truppen marschierten auf den Plätzen und Wällen auf, die Fanale wurden besetzt und starke Patrouillen streiften durch alle Straßen. Auf solche Art wurde diese gefährliche Verschwörung, welche eine Wiederholung der Sizilianischen Vesper geworden wäre, im Moment, wo sie ausbrechen sollte, erstickt. Es wurden Militärkommissionen zur Untersuchung niedergesetzt und bald darauf acht Rädelsführer zum Tode verurteilt und guillotiniert, die übrigen meistens auf die Galeeren geschickt; viele der Teilnehmer waren entwischt und zu den Briganten in die Gebirge entflohen. Der Gatte Albertinens war gar nicht vorgefordert worden, da niemand etwas auf ihn ausgesagt, er auch nicht im Theater gewesen war, aber dem jungen Corbetti hatte ich nicht nur durchgeholfen, sondern ihn sogar drei Tage lang in meiner Wohnung verborgen und ihm dann Gelegenheit verschafft, sich nach Sizilien einzuschiffen.

Alles ging bald wieder seinen geregelten Gang fort, und ich arbeitete an meiner Versetzung zum ersten Bataillon, denn der Aufenthalt in Genua war mir wegen meinen Verhältnissen mit den verschiedenen Frauen, die nimmer einen guten Ausgang erwarten ließen, verleidet; ich schrieb deshalb oft an Düret. Eben hatte ich wieder einen solchen Brief beendigt, als ein Lohnbedienter zu mir in das Zimmer trat und mir sagte, es seien gestern abend ein paar fremde Damen in dem Hotel Croce di Malta angekommen, die mich zu sprechen wünschten und bitten ließen, sie doch diesen Vormittag zu besuchen, indem sie mir vermutlich sehr angenehme Mitteilungen zu machen hätten. Auf meine Fragen, wer denn die Damen seien, erwiderte der Abgesandte: „Non le conosco,“ und mehr war aus ihm auch nicht herauszubringen. Ich konnte mir gar nicht denken, welche Donna Elvira mich in Genua aufsuchen möchte, denn daß es die Cesarini nicht sein konnte, wußte ich, da ich erst vor wenigen Tagen Briefe von ihr erhalten hatte, die keineswegs einen solchen Schritt vermuten ließen. Nachdem ich meine Dienstgeschäfte verrichtet, eilte ich neugierig in das Maltheserkreuz und fand – meine Engländerinnen aus Florenz, die mir gar nicht in den Sinn gekommen waren. So sehr ich auch überrascht war, hieß ich sie doch freundlich willkommen, frühstückte mit ihnen und versprach, sie verlassend, gegen Abend wieder zu erscheinen. Als ich zu Hause angekommen war, dachte ich: ‚Immer besser, meine hiesigen Verhältnisse verwickeln sich mehr und mehr; die Götter mögen wissen, welches Ende das nehmen wird.‘ Ich überlegte, durch welche Mittel ich den sicher bevorstehenden, höchst unangenehmen Begebenheiten wohl entgehen könne, als mich eine Ordonnanz zum Bataillonschef beorderte. Dieser empfing mich ungewöhnlich freundlich und überreichte mir mehrere Papiere, indem er sagte: „Ich gratuliere von Herzen!“ Das eine war meine Ernennung zum Kapitän, das andere ein Schreiben von Düret, aus Civita-Vecchia datiert. Das letztere brach ich hastig auf, durchflog es und las unter anderem seine herzlichen Glückwünsche zu meinem Avancement sowie die Meldung, daß er zugleich meine Versetzung zum ersten Bataillon bei dem Oberst Omeara durchgesetzt habe, wobei ihm besonders das Vorgeben genutzt, daß das Musikchor seit meiner Abwesenheit ganz verwahrlost und kein Offizier beim Bataillon sei, der mich in dieser Hinsicht ersetzen könne, man alles dem Maître de musique zu überlassen genötigt und ich in dieser Hinsicht gewissermaßen unentbehrlich wäre. Er schloß noch mit einer väterlichen Warnung hinsichtlich Caguenecs und daß er mich recht bald erwarte. Herr von Brüge hatte auch schon meine Versetzungsorder erhalten und bedauerte, besonders wegen seiner Tochter, mich sobald wieder zu verlieren. Auch ich tat, als sei es mir leid, war aber innerlich über das Ereignis seelenvergnügt, und zu Hause angekommen, setzte ich mich an das Klavier und komponierte einen recht munteren pas redoublé, machte dann sogleich Anstalten zu meiner Abreise und ließ mir meine feuille de route ausfertigen. Nun blieben mir noch die sauersüßen Abschiedsszenen übrig. Der Marchesa Spinola sagte ich bei Guercinos, wohin ich sie zitiert und wo ich sie auch in der letzten Zeit öfters gesehen hatte, ein zärtliches Lebewohl, der Marchesa P..., die noch immer krank war, schrieb ich einen herzbrechenden Abschiedsbrief, bei den kaum angekommenen Ladys spielte ich den Verzweifelnden, indem ich zu Lady Mary sagte: „Da sehen Sie, was es heißt, ein Soldat sein; auch keine Minute ist man Herr über sein Leben und seine Zeit; aber hatte ich es Ihnen nicht in Florenz gesagt, daß es so kommen würde?“ Mary war wirklich außer sich und rief aus: „Wie! nachdem ich mir alle Mühe gegeben und Gott weiß was alles vorgebracht habe, um meinem immer noch in Paris weilenden Gatten plausibel zu machen, daß ich meinen Aufenthalt in Genua nehmen möchte, verlassen Sie es? Oh, wäre ich doch lieber in Florenz geblieben; vorerst kann ich nicht daran denken, von hier wieder wegzureisen.“ „Gott sei Dank!“ erwiderte ich in Gedanken und brachte noch eine recht zärtliche halbe Nacht mit ihr zu. Auch Albertinen, der ich soviel zu danken hatte, schien meine Abreise durchaus nicht gleichgültig zu sein, auch sie schwamm in Tränen. Nun aber kam noch der schwierigste und von mir am meisten gefürchtete Abschied von allen, der von meiner tollen Giulietta, der ich erst den letzten Abend vor meiner Abreise, als sie mich, wie es sehr häufig geschah, in meiner Wohnung besuchte, dieselbe mitteilte. Es setzte eine zweite, womöglich noch tollere Szene, als die, bevor ich zur Brigantenjagd abging, und nur durch die Versicherung, daß ich ganz gewiß, ehe vierzehn Tage vergingen, wieder in Genua sein und in ihren Armen liegen würde, gelang es mir, sie einigermaßen zur Raison zu bringen und von albernen Streichen, mir diesmal gewiß folgen zu wollen und so weiter, abzubringen.

Da ich noch immer bei Kasse war, auch meinen schönen Reisewagen noch hatte, so beschloß ich diesmal über Mailand nach Rom zu gehen und rollte mit Tagesanbruch zu dem nach Alessandria führenden Tor hinaus, mit der Hoffnung, vielleicht den mir so angenehmen Posten in Albano wiederzuerhalten.

VI.
Reise über Mailand nach Rom. – Mailand. – Die Einwohner. – Der Advokat Mazetti. – Eine Spielhölle. – Ich rette Graf G... aus den Klauen falscher Spieler. – Bellina. – Abreise von Mailand nach Rom. – Ankunft zu Rom. – Wiedersehen. – Abfahrt nach Neapel.

Meine Marschroute gestattete mir wieder einen Monat Zeit, um den Ort meiner Bestimmung zu erreichen; da ich mit Extrapost ganz bequem in fünf bis sechs Tagen und noch früher in Civita-Vecchia eintreffen konnte, so benutzte ich die dadurch gewonnene Zeit, die merkwürdigsten Städte der Lombardei und Oberitaliens, die ich noch nicht gesehen hatte, zu besuchen, so vor allem Mailand.

Ich hatte mir vorgenommen, vierzehn Tage in dieser merkwürdigen Stadt zuzubringen, mein Aufenthalt dehnte sich aber beinahe drei Wochen aus.

Das gesellige Leben war zu jener Zeit noch immer freundlich, obgleich man sich sehr vor dem napoleonischen Spionenwesen fürchtete und seine Worte gewaltig auf die Wagschale legte. Dennoch war man gegen Fremde zuvorkommend, artig, gastfrei und selbst dienstfertig. Ich hatte durchaus keine Empfehlungen mit nach Mailand gebracht, ging auch fast immer nur in Zivilkleidern und hatte doch in den ersten paar Tagen schon im Theater und im Kaffeehause die Bekanntschaft einiger angesehener Bürger gemacht, die mich zu sich einluden und in ihren Familien einführten. Die Schönheit der Mailänderinnen ist in Oberitalien sprichwörtlich, sie haben eine sehr frische Hautfarbe, einen äußerst wohlproportionierten Wuchs, schöne Augen, meistens ein rabenschwarzes, dickes, langes Seidenhaar, das freilich oft sehr frühe ins Graue übergeht, dabei viel Anmut und angenehme Manieren, lieben Putz und Pracht leidenschaftlich, wissen sich aber mit Geschmack und gewählt zu kleiden und trugen damals sehr die Pariser Moden, die man acht bis zehn Tage später, als sie in Frankreichs Hauptstadt erschienen, gewiß war, auf dem Korso und in der Skala bewundern zu können. Auch in Equipagen, deren man Hunderte in einer Reihe begegnete, wurde großer Aufwand gemacht. Mailand war damals diejenige Stadt Italiens, wo man die Franzosen am wenigsten ungern sah, selbst die Männer waren ihnen nicht gerade abhold. Ich war in einem Gasthof abgestiegen, den ich jedoch nach zwei Tagen mit einer Privatwohnung in der Nähe des Domplatzes vertauschte, von wo ich meine Ausflüge in alle Teile der Stadt bequem machen konnte.

Als ich das Canobbiana-Theater zum erstenmal besuchte, machte ich die Bekanntschaft eines ältlichen Mannes, der sich mir als einen Advokaten namens Mazzetti zu erkennen gab und, nachdem er mich nach meiner Wohnung gefragt hatte, mir schon den anderen Tag in den Vormittagsstunden einen Besuch abstattete; er versicherte, daß er sehr für mich eingenommen sei und bedauerte nur, mich nicht früher gekannt zu haben, weil er mir sonst eine Stanza in seinem Hause angeboten haben würde. Über diese außerordentliche Zuvorkommenheit und teilnehmende Gefälligkeit erstaunt, deren Grund ich mir nicht wohl zu erklären vermochte, war ich auf meiner Hut. Daß es meine liebenswürdige Persönlichkeit nicht sein konnte, die den alten Rechtsverdreher anzog, war mir klar, und am allerwenigsten hielt ich einen Italiener, wenn auch einen Mailänder, einer so schnell auflodernden uneigennützigen Freundschaft fähig, obgleich mich Signor Mazzetti auf corpo und anima versicherte, daß er sich nur zu mir hingezogen fühle, weil ich ein noch mit den italienischen Sitten unbekannter Signor Cavaliere forestiere und in dem gefährlichen Mailand so ganz unbekannt sei; mein offenes Wesen und meine Liebenswürdigkeit, ich müsse charmanter Eltern Kind sein, habe ihn so angesprochen, daß er sich vorgenommen, mir den Aufenthalt in seiner Vaterstadt möglichst angenehm zu machen. Der alte Fuchs hatte während der Zeit seine Späherblicke in meinem Zimmer umherspazieren lassen, meine Koffer und das Wagenkistchen wohlgefällig betrachtet und gefragt, ob ich mit eigenem Wagen und Extrapost reise, und mich dann dringend gebeten, ihn doch ja noch denselben Abend mit einem Besuch beehren zu wollen, wo ich eine angenehme und sehr unterhaltende Gesellschaft bei ihm antreffen würde, namentlich auch einige sehr liebenswürdige Damen von seiner Bekanntschaft, ausgezeichnete musikalische Talente. Als ich ihm erwiderte, daß auch ich dieser Kunst nicht ganz fremd sei, versicherte er mir mit einem Faunenlächeln, daß ihn diese Entdeckung entzücke, und schmunzelte dabei satanisch unter seinen buschigen Augenbrauen. Als ich versprach, seinem Divertimento beiwohnen zu wollen, konnte er kaum die Freude, die aus seinen grimassierenden Mienen hervorleuchtete, die mir aber nicht entging, verbergen. Er blieb, während ich mich ankleidete, bat mich dann, ihm doch die Ehre zu erzeigen, die Schokolade mit ihm in einem nahen Kaffeehause nehmen zu wollen, wobei ich bemerkte, wie der alte Fuchs mit gierigem Wohlbehagen seine Augen auf die gefüllte Börse warf, die ich zu mir steckte. Während wir die Schokolade tranken, unterhielt er mich mit allerlei Stadtneuigkeiten, die mir nicht uninteressant schienen, und ich begleitete ihn dann auf sein Verlangen bis an seine Wohnung in der Straße San Giuseppe, damit ich, wie er meinte, sie den Abend um so weniger verfehlen könne, und die er mich wohl zu merken bat. Er hatte sich unterdessen auch nach meinem Namen und Stand erkundigt. Ersteren teilte ich ihm mit, und er machte ein Signor Federico daraus. Aber ich verschwieg ihm, daß ich französischer Offizier sei, und gab mich für einen zu seinem Vergnügen reisenden Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes aus, der besonders Italien kennen zu lernen wünsche. Zur übereingekommenen Stunde verfügte ich mich zu meinem überartigen Patron und fand daselbst eine, wie es mir schien ziemlich gemischte Gesellschaft von einigen zwanzig Personen, unter denen mehrere recht hübsche Damen, eine junge Sängerin, seconda Donna della Canobbiana, und eine reizende Tänzerin della Scala. Mein freundlicher Wirt stellte mich den Damen als einen Cavaliere forestiere von sehr guter Familie vor. Die Unterhaltung ward bald animiert genug, man reichte Eis, Limonade und Süßigkeiten herum, sodann wurde musiziert; Signora Bellina, so hieß die Cantatrice, trug allerliebste Cavatinen und Canzonette buffe vor, so daß alle davon entzückt waren, besonders als sie das damals so beliebte ‚Una povera ragazza tutt’ onesta‘ und so weiter mit einem parlando espressivo sang. Auf des Hausherrn Ersuchen, der, ohne mich noch gehört zu haben, mich seinen Gästen als einen virtuoso famosissimo anpries, sang ich zuerst einige französische Romanzen, unter denen der von mir selbst komponierte Troubadour ‚Brulant d’amour en partant pour la guerre‘, die nur wenige verstanden, dann ein komisches Duett mit der Signora Bellina. Ich wurde nun auch mit Komplimenten bis zum Ekel überhäuft, bis endlich Signor Mazzetti, der Musik ein Ende machend, ein kleines Spielchen arrangierte, wobei eine schon ziemlich ältliche und hochgeschminkte Schöne den Bankier und ein neben ihr sitzendes konfisziertes italienisches Gaunergesicht ihren Croupier machte. Jetzt glaubte ich schnell den Schlüssel zu der zuvorkommenden Freundlichkeit des Advokaten gefunden zu haben, und hatte mich nicht geirrt. Man war so aufmerksam, mich zuerst zu fragen, ob ich vielleicht gerne selbst Bank halten wollte. Es war das beliebte Faráone reale (Basetta), das gespielt wurde. Ich dankte ergebenst für die mir zugedachte Ehre. Man gab die Kartenbücher aus, ich gewann ziemlich oft, und nur selten schlug mir eine Karte fehl, doch ließ ich mich nicht durch diesen Gewinn verführen, höher als einen Zechino zu pointieren, obgleich man mich von verschiedenen Seiten aufforderte, da ich in der Glücksader sei, es zu benutzen; auch hatte ich bemerkt, daß der Bankier schon einigemal verstohlene Blicke mit dem Herrn vom Hause gewechselt hatte, ich aber wechselte solche mit der schönen Sängerin, die mich mehr als alle Könige, Paroli sept, quinze, trente-un et le va interessierte, um mich ebenfalls in eine Augenkorrespondenz mit dieser zu setzen, was ich auch zustande brachte. Ich mochte ungefähr einige dreißig Zechini gewonnen haben, als mich dieses Spiel unausstehlich zu langweilen anfing, da es mich hinderte, ein anderes zu beginnen. Ich ließ nun einige Taillen vorübergehen, ohne zu pointieren. Dem Mazzetti, der mich bereden wollte, mein Glück zu poussieren, erwiderte ich, daß mich das Spiel langweile. Dies schien man eben nicht sehr artig zu finden, die Dame Bankhalter und einige andere Spieler verzogen ihre Gesichter, und ihre Stirnen umwölkten sich, ich kehrte mich jedoch nicht daran; um aber den Herren zu zeigen, daß ich nicht aufhören wollte, um den Gewinst in die Tasche zu stecken, setzte ich, was ich gewonnen, jetzt auf eine Karte, Herzdame, und – gewann wieder, ich bog ein Paroli auf die Coeurdame und – gewann abermals. Nun fing mir die Sache bedenklich zu werden an, und ich setzte bald zehn, zwanzig und dreißig Zechinen auf verschiedene Karten, abwechselnd gewinnend und verlierend, endlich erklärte ich, daß ich für diesen Abend zu spielen müde sei, und trat mit einem Gewinn von mehr als neunzig Zechinen ab. Man reichte nochmals Erfrischungen, worauf einige der Damen Tanzlust bekamen, und ich tanzte mehrmals mit der Signora Bellina und der Ballerina von der Scala, die, sonderbar genug, nicht walzen konnte. Es war längst Mitternacht vorüber, als sich die Gesellschaft trennte. Die beiden Theaterprinzessinnen fuhren zusammen in einem Wagen fort; nachdem sie weg waren, erkundigte ich mich bei Mazzetti nach ihren näheren Verhältnissen und erfuhr, daß die Sängerin zwar die Geliebte eines Kommissär-Ordonnateurs sei, der sie unterhalte, aber nichtsdestoweniger zu den Unerbittlichen gehöre; übrigens sei sie noch sehr jung und die Tochter einer Exballerina, die sie dem Kommissär als Jungfrau überliefert habe. Signora Mazzetti – der Advokat war verheiratet –, eine reifere Schönheit, fragte mich noch beim Weggehen, wie es mir bei ihr gefallen habe, und als ich ein „Vortrefflich!“ entgegnet hatte, lud sie mich zudringlich ein, doch den folgenden und alle Abende, wenn mir es angenehm, meine Besuche zu wiederholen. Ich versprach es, zog aber am anderen Morgen durch mein altes Mittel, einen renommierten Haarkräusler, Erkundigungen über dies Haus und seinen Besitzer ein und erfuhr, daß meine Vermutungen nur zu begründet waren, daß nämlich aus dem praxislosen Rabulisten Mazzetti ein Spieler von Profession geworden, der in Verbindung mit einigen Helfershelfern Jagd auf alle bemittelten Fremden mache, diese Zugvögel in seinen Netzen zu fangen und ihnen dann die Federn auszurupfen suche, was ihm auch meistens gelänge, indem er die verführerischsten Frauen von zweifelhaftem Ruf und namentlich Aktricen zu diesem Zweck in sein Haus ziehe. Von den ersteren ständen mehrere förmlich in seinem Sold und seien der Köder, mit dem er seine gefährlichen Angeln umwinde, in den gar manche Gimpel so gewaltig bissen, daß sie sich ganz verbluteten. Ich nahm mir vor, den mir ebenfalls behagenden Köder vorsichtig abzunagen und doch nicht an dem Angelhaken hängen zu bleiben. Bellina war es, die mich anzog. Diese sowie die Tänzerin und noch einige andere Schönen waren mit die unschuldigen Werkzeuge des verdorbenen Rechtsfeindes, das heißt, sie besuchten nur aus Koketterie und Vergnügungssucht Mazzettis Haus, in dem sie sich trefflich unterhielten und lustige Kurzweil fanden, ohne sich um die Spielangelegenheiten und den eigentlichen Zweck dieser Zusammenkünfte weiter zu bekümmern, wenn sie nur ihre Privatabsichten erreichten. So von allem hinlänglich unterrichtet, konnte mir dieses Raubnest unmöglich gefährlich werden, und ich beschloß, dasselbe zu meiner Unterhaltung bestens zu benützen und der liebenswürdigen Sängerin faute de mieux den Hof zu machen, mit der ich dann auch, wenn sie im Theater beschäftigt war, erst nach demselben dort eintraf. Ich spielte unterdessen das Königsspiel in derselben Weise, wie ich es begonnen hatte, fort, ohne zu biegen, jetzt aber mit auffallendem Unglück, so daß mich diese Abende doch ziemlich teuer zu stehen kamen und ich meine Dulzinea bald an einem anderen Ort als in dem teueren Lokal Mazzettis zu sehen suchte, wo ohnehin auch die Nebenzimmer keine ungestörte Unterhaltung erlaubten. Wir waren schnell einig, daß wir uns in der Wohnung einer anderen Aktrice, ihrer Freundin, trafen. Indessen fuhr ich fort, von Zeit zu Zeit die Abende Mazzettis zu besuchen, doch wenig, oft gar nicht spielend, was Ursache war, daß man mich jetzt sehr kalt daselbst aufnahm und am Ende mein gänzliches Wegbleiben gerne gesehen hätte, da es der sauberen Gesellschaft klar war, daß sie eben keinen großen Fang an mir gemacht. – Eines Abends traf ich einen blondlockigen, blauäugigen jungen Mann dort, an dessen Akzent – er sprach nur sehr gebrochen italienisch, aber ziemlich gut französisch – ich sogleich einen Norddeutschen zu erkennen glaubte. Ich hatte mich nicht geirrt, es war ein Kurländer von sehr guter Familie. Dasselbe Manöver, das man mit mir gemacht, wurde auch bei diesem genau wiederholt, nur mit dem Unterschied, daß, da er die Karten immer bog, Paroli und Lapes machte, die Summen, die er gewann und verlor, weit bedeutender waren; er spielte, da er anfänglich gewann, immer kühner, bald aber fing er zu verlieren an. Dabei hatte ich bemerkt, daß Mazzetti, der nie selbst Bank hielt und den ich scharf beobachtete, verschiedene Zeichen gegeben hatte. Es dauerte nicht lange, so war der junge Mann schon in einem Verlust von mehr als fünfhundert Zechinen und von allem baren Geld entblößt. Dies war gegen den gewöhnlichen Gang, den man in dieser Spielhölle zu befolgen pflegte. Aber man sah, daß ich öfters mit dem Fremden sprach, auch hatte ich einigemal deutsche Worte mit ihm gewechselt, die jedoch keinen Bezug auf das Spiel gehabt, und so fürchtete man, daß ich den Fremdling unterrichten und abspenstig machen könnte und dachte: ‚Man muß ihn rupfen, solange er sich noch in unseren Klauen befindet.‘ Ich war daher den Herren ein lästiger Aufpasser, den sie gern los gewesen wären. Der Graf G..., so nannte sich der Goldvogel, nahm nun den Wirt beiseite und bat ihn, ihm gegen Versatz eines schönen Solitärs und einer Brillantnadel eine Summe vorstrecken zu wollen; man lieh ihm hundert Zechinen darauf, und als auch diese verloren waren, noch fünfzig auf eine prächtige mit Perlen besetzte goldene Repetieruhr. Der Graf war desperat, als er auch dies letzte Geld verloren hatte, und rief unwillkürlich auf deutsch aus: „Jetzt bin ich verloren!“ Ich unterhielt mich jetzt in seiner Muttersprache mit ihm, und alle, besonders aber der Fuchs Mazzetti, spitzten gewaltig die Ohren, und Ärger und Wut drückten sich auf dem Gesicht des letzteren aus, daß er nicht verstand, was da in einer Sprache verhandelt wurde, die kein anderer der Anwesenden sprach und einige nicht einmal kannten. Der Graf entdeckte mir, daß er jetzt aller Mittel beraubt sei, um weiter zu reisen, und daß er erst in vier Wochen im günstigsten Falle wieder neue Wechsel erhalten würde, die er in Rom vorfinden solle. – Auf meine Frage, wie er in dies Haus gekommen sei, erzählte er mir, daß er die Bekanntschaft eines der anwesenden Herren, er bezeichnete mir ihn, in einem Kaffeehause gemacht, der ihn mit großer Artigkeit und Zuvorkommenheit hier eingeführt habe; er wisse nun für den Augenblick keinen Rat und schäme sich vor dieser ehrbaren Gesellschaft. – Ich ersuchte ihn, sich zu beruhigen, und erbot mich, ihm zwanzig Zechinen zu leihen, ihm bemerkend, daß man mit geliehenem Geld gewöhnlich Glück habe, bat ihn aber, nicht eher fortzuspielen, als bis er auch mich pointieren sehen würde. Ich ersuchte nun den Signor Mazzetti, mir einen Augenblick Gehör schenken zu wollen, da ich ihm etwas Wichtiges unter vier Augen mitzuteilen habe. Wir begaben uns in ein Nebenzimmer, wo ich ihm zuerst eröffnete, daß ich kein durchreisender Cavaliero, sondern ein französischer Kapitän wäre, der im Begriff sei, sich zu seinem im Kirchenstaat stehenden Regiment zu verfügen, und bat ihn sodann, mir doch die Freundschaft erweisen zu wollen, den jungen Fremden, der ein Landsmann von mir sei, sein verlorenes Geld wiedergewinnen zu lassen. Der Rabulist tat zuerst, als verstände er nicht, was ich wollte, und als ich ihm mein Begehren so deutlich auseinandersetzte, daß er nicht mehr gut ein Mißverständnis affektieren konnte, spielte er den Beleidigten, den Galant-Uomo, dem man Satisfaktion für solche Schmähung schuldig sei und so weiter. Ich fiel ihm aber sehr ernst ins Wort, indem ich ihm ohne alle Umstände rund heraus erklärte, daß hier alle seine Rabulistenschwänke vergeblich seien, indem ich schon längst außer allem Zweifel über das Metier sei, das er und seine Spießgesellen trieben, und daß, wenn der von ihnen in die Falle gelockte junge Mann nicht diesen Abend sein Geld wiedergewönne, ich mich noch in der Nacht oder doch morgen mit Tagesanbruch zu dem Platzkommandanten verfügen und diesem die Sache anzeigen würde, wo dann er und alle seine Helfershelfer zum Galgen oder zur Galeere reif sein würden. – „Sie wissen, daß wir wenig Federlesens machen,“ setzte ich noch hinzu, „und es uns auf ein paar Kugeln nicht ankommt.“ – Der alte Gauner wollte zwar noch allerlei Umstände machen, die ich aber mit einem: „Wohlan, ich gehe zum Platzkommandanten, der dann die Polizei requirieren wird,“ beseitigte, und gab ihm, auf die Uhr sehend, genau eine halbe Stunde Zeit, dem Grafen wieder zu seinem Verlust zu verhelfen, indem ich bemerkte, daß ich vollkommen die Kunstgriffe kenne, die hier angewendet würden, um das Spiel nach Gefallen zu lenken. (Dies war ein ben trovato und non vero.) Dem verstockten Sündenknecht fiel jetzt das Herz in die Schuhe, er bat um Schonung und versprach meinen Wunsch zu erfüllen, ersuchte mich aber demütig, ihm mein Wort zu geben, von der Sache gegen niemand etwas zu erwähnen, was ich auch tat. Ich kehrte mit ihm in das Spielzimmer zurück, nahm ein Libretto in die Hand, fing an zu pointieren, nachdem ich dem Grafen deutsch gesagt hatte, er möge jetzt nur ganz mir nachsetzen. Wir verloren noch dreimal, als ich aber beim drittenmal dem Mazzetti einen bedeutungsvollen Blick zuwarf, fingen wir zu gewinnen an, und ich bog nun die Karten gegen meine Gewohnheit. In weniger als zwanzig Minuten war mein Kurländer wieder zu all seinem Geld gekommen und imstande, auch seine Pretiosen einzulösen; ich hatte an siebenhundert Zechinen gewonnen. Wir empfahlen uns bald darauf mit einem felicissima notte, die hochansehnliche Gesellschaft mit langen Gesichtern zurücklassend. Den Grafen G... begleitete ich bis in sein Hotel, gab ihm den guten Rat, sich diese Begebenheit zur Warnung für ganz Italien dienen zu lassen, wo man allen bemittelten Fremden unaufhörlich solche Fallen stelle, und wir schieden unter Versicherung einer unverbrüchlichen Freundschaft.

Als ich Bellina am anderen Morgen diesen Vorfall mitteilte – sie war an dem Abend nicht bei Mazzetti gewesen – und ihr dabei vorhielt, daß sie sich von dem alten Spitzbuben zu einem der Lockvögel gebrauchen lasse, womit man die Fremden auf die Leimrute ziehe, versicherte sie mir mit Tränen in den Augen, daß sie dies in aller Unschuld getan, von diesen Umtrieben nicht das geringste geahnt und nur der angenehmen Unterhaltung halber diese Soireen besucht habe. Daß sie Wahrheit sprach, davon war ich schon früher überzeugt. Noch denselben Morgen machte ich eine Promenade mit ihr und bestieg die höchste Spitze des Doms in ihrer Gesellschaft, wo wir uns an der entzückenden Aussicht in die schöne Lombardei weideten.

Einige Tage später setzte ich meine Reise über Florenz fort, denn es zog mich mit aller Macht nach Rom, und je näher ich dieser Stadt kam, desto mehr brannte ich vor Ungeduld, die Cesarini wiederzusehen, da ich, seitdem ich sie verlassen, noch kein zweites, ihr ähnliches weibliches Wesen wieder kennen gelernt hatte. Ich fuhr von Florenz denselben Weg, den ich vor etwa einem halben Jahr gemacht, in der entgegengesetzten Richtung zurück, oft an dem Rande der schaurigsten Abgründe der Apenninen vorbei, aber von den Räubern und Banditen, vor denen man mich so sehr gewarnt, sah ich keine Spur, obgleich mein Louis in jedem vorüberwandernden Bauer einen solchen wittern wollte und sich schlagfertig machte. Vor Viterbo brach die Vorderachse meines Wagens, wodurch ich genötigt war, mich beinahe drei Stunden in diesem Orte aufzuhalten, weshalb ich auch erst spät in der Nacht zu Rom ankam und mein Vorhaben, Gertrude noch denselben Abend aufzusuchen und zu überraschen, denn ich hatte ihr zwar mein Kommen geschrieben, aber nicht die Zeit bestimmt, vereitelt wurde. Ich stieg in einem Albergo an dem Spanischen Platz ab und eilte am anderen Morgen, so früh es tunlich war, zu Torlonia, der über meine unerwartete Ankunft erstaunt schien. Als ich ihm aber meine Hoffnung, die Kommandantur von Albano wieder anzutreten, vertraute, teilte er mir die ganz unerwartete Nachricht mit, daß das Bataillon schon seit zehn Tagen den Kirchenstaat verlassen und in das Regno, so nennen sie gewöhnlich in Rom das Königreich Neapel, abmarschiert sei. Dies warf mit einem Schlag meine Projekte über den Haufen, und alle meine Pläne wurden zu Wasser. Ich erkundigte mich jetzt zuerst nach der Cesarini und hörte, daß der Herzog und seine Gattin so gut wie völlig getrennt lebten. Ich ließ ihr ein Billettchen zustellen, in dem ich ihr meine Ankunft meldete und sie bat, mich wissen zu lassen, wann ich das Vergnügen haben dürfe, sie zu besuchen. Eine halbe Stunde darauf fuhr ein Wagen vor mein Hotel, dem zwei schwarz gekleidete, verschleierte Damen entstiegen, gleich darauf öffnete eine Cameriera meine Zimmertür, und Gertrude lag in meinen Armen. Wir blieben einige Minuten lang im stummen Entzücken des Wiedersehens, und war es von meiner Seite auch nicht mehr das Feuer der Liebe, das mich beseelte, so fühlte ich doch eine wahrhaftige, aufrichtige und dankbare Freundschaft für die Principessa. Aber die schlanke Nymphentaille, die mich früher so entzückte, war verschwunden, und der Leib hatte sich gewaltig arrondiert, auch die Gesichtszüge waren weniger fein und etwas aufgedunsen, wie dies bei den Frauen gegen das Ende einer Schwangerschaft meist zu sein pflegt. Nichtsdestoweniger schloß ich sie zum zweiten- und drittenmal in meine Arme und drückte sie fest an meine Brust, ich war ja der Urheber dieses Zustandes. Sie fragte mich endlich lächelnd: „Nicht wahr, du findest mich sehr verändert?“ Dabei sah sie mich mit forschenden Augen an. Ich erwiderte die Frage nur durch Küsse. Nachdem endlich des Bewillkommens genug, kamen andere Dinge zur Sprache, und sie war außer sich, als ich ihr mitteilte, daß sich mein Aufenthalt in Rom nur auf wenige Tage erstrecken könne, da ich dem Bataillon nach Neapel folgen müsse. Sie brachte fast die ganze Nacht bei mir zu, und erst gegen Morgen geleitete ich sie heim. Wir sahen uns nun jeden Tag, und ich machte nirgends Besuche, um die wenige kostbare Zeit nicht mit unnützen Dingen verstreichen zu lassen. Nicht einmal Vasis suchte ich auf; die Vernetti lag in den Wochen.

Schnell waren die zehn Tage verstrichen, die ich längstens in Rom verweilen durfte und durch Extrapost wieder gut machen konnte. Ich fürchtete mich vor dem Abschied, der auch wieder herzbrechend genug war. Ernstlich verbat ich mir diesmal jede Geschenke und verbot auch meinem Bedienten, hinter meinem Rücken etwas anzunehmen; dennoch bestach ihn Gertrude wieder, und in Neapel angekommen, fand ich abermals das Wagenkistchen mit allen möglichen Dingen gefüllt, auch wieder mehrere Rollen Gold vor. Wir hatten die letzte Nacht noch bis zum grauenden Morgen zusammen zugebracht, und es war heller Tag, als ich zu dem nach Albano führenden Tor hinaus, und ohne mich weder bei Tag noch bei Nacht länger, als es das Umspannen erforderte, aufzuhalten, bis nach Neapel fuhr, wo ich mich sogleich bei Düret und dann bei dem jetzigen Oberst des Regiments, Omeara, meldete. Ersterer empfing mich wie immer sehr wohlwollend und freundschaftlich und erzählte mir als Neuigkeit, daß Caguenec abermals in strengem Arrest auf dem Fort sitze, weil er wieder einen Straßenunfug im Verein mit einigen jungen Leuten, meist Kadetten, in der Trunkenheit verübt habe, wobei sie des Nachts die Laternen in Toledo und die Gläser und Scheiben in einigen Eisbuden zerschlagen hätten.

VII.
Ankunft in Neapel. – Das Liebhabertheater in Giesù nuovo. – Besteigung des Vesuvs. – Der Hof des Königs Joseph. – Eine deutsche Vorstellung. – Helenchen Cramer. – Caserta. – Nocera de pagani. – Die Ruinen von Pestum. – Zweiter Feldzug in Kalabrien. – Niederlage des Prinzen von Hessen-Philippsthal. – Die Brigantenhäupter Francatrippa und Benincasa. – Monteleone. – Ermordung eines Kuriers. – Fondaco del Fico. – Mehrtägiges hartnäckiges Gefecht mit den Briganten. – Die hübsche Kalabreserin. – Mileto. – Belagerung der Festungen Scilla und Reggio. – Schrecklicher Zustand des Belagerungskorps. – Rückmarsch nach Neapel. – Abreise nach Genua.

Der Oberst Omeara hielt mir, als ich mich bei ihm gemeldet, einen kleinen Sermon wegen der Geschichte in Albano und gab mir das Kommando der noch vakanten Voltigeurkompagnie, die sich freute, ihren alten kreuzfidelen Kommandeur, wie die Leute sagten, wiederzuerhalten, und der ich fünfzig Dukati (etwa hundert Gulden) zum besten gab, damit sie sich einen guten Tag mache. Zugleich übergab mir der Oberst auch das Musikchor wieder, das, wie er behauptete, seit meiner Abwesenheit sehr vernachlässigt worden, und bat mich, doch einige neue Märsche zu komponieren; ich schrieb ein halbes Dutzend pas redoublés nieder, welche zum Geschwindschritt recht animierten, und dedizierte sie dem Herrn Oberst, der mich dafür manchmal zur Tafel lud.

Diesmal wurde auch mir mein Quartier in Giesù nuovo angewiesen, wo ich noch die mir wohlbekannten Damen Gasqui, Alphonse, Grenet und so weiter antraf, die, wie es schien, ihr permanentes Hauptquartier in dem alten Palazzo der ehrwürdigen Väter Jesu aufgeschlagen hatten, während ihre Männer alle möglichen Kreuz- und Querzüge machen mußten. Das französische Liebhabertheater bestand immer noch, und man veranstaltete von Zeit zu Zeit Aufführungen, allein es fehlte ihm gerade ein erster Liebhaber. Ich wurde daher von den Damen freudig als ein solcher empfangen. Die Freude sollte aber nicht von sehr langer Dauer sein; daß ich indessen die mir gemachten Offerten nicht abschlug, kann man sich denken. Ich erhielt sogleich ein ganzes Dutzend Rollen, aus Lustspielen von Molière, Mercier, Beaumarchais und so weiter, aber auch der hohe Cothurn wurde angeschuht, und man wagte sich an Crébillon, Corneille, Racine und so weiter. Ich studierte meine Rollen meistens mit Madame Gasqui tête-à-tête ein, und da dieser in den meisten Stücken die Rolle meiner Geliebten zugeteilt war, so wurden unsere Proben mit vielem Feuer gehalten, dem natürlich zuletzt Ermüdung und Erschlaffung folgen mußte. In Molières Tartüffe hatte ich mich sogar an die Titelrolle gewagt, und in seinem Cocu imaginaire spielte ich den Lelie, beides mit Beifall.

Auch meine Signora Speziale suchte ich wieder auf und fand freundliche Aufnahme, vor allem aber war mir jetzt daran gelegen, endlich einmal den Vesuv zu besteigen, was ich bei meiner früheren zweimaligen Anwesenheit in Neapel versäumt hatte, und da ich fürchtete, es möchte abermals ein Deus ex machina oder die Marschorder dazwischen kommen, so drang ich auf die Ausführung dieses Projekts, das auch von den Damen in Giesù nuovo unterstützt wurde, da sie es bis jetzt bei ihren Männern nicht hatten dahin bringen können, dem alten Feuerspeier einen Besuch abzustatten. Außer den Damen Gasqui, Grenet, Cramer, Mutter und Tochter, und deren Männern, war auch noch der junge Stock, der Neffe des Herrn Moritz, und dessen Arzt mit seiner Gattin von der Partie, so daß wir im ganzen fünfzehn Personen zählten. Wir fuhren bis Resina, wo man die Wagen verließ, um Maultiere und Esel zu besteigen, mit deren Führern der bei uns befindliche neapolitanische Doktor einen förmlichen Vertrag, jedoch nur mündlich abschloß; er mußte dabei gewaltig debattieren, und es dauerte beinahe eine halbe Stunde, bevor er ihn zustande brachte. Das Hin- und Herhandeln wollte kein Ende nehmen, es war ein wahres Gezänk, alle Augenblicke glaubte ich, daß man sich bei den Köpfen nehmen würde, und wollte mich einigemal ins Mittel legen, was sich aber der zu sehr knickernde Medico verbat, indem er meinte, dann wäre gar kein Ende abzusehen. – Nachdem endlich der Eselshandel abgeschlossen war, setzte sich die nun berittene Karawane in Marsch. Die Patrone der Langohren hörten nicht auf, diese durch ihr gellendes Geschrei zum Voranschreiten aufzumuntern, und wenn sie ihre Schritte ralentando nehmen wollten, zogen sie sie bei den Schwänzen an, was dann einen kurzen Trab bewirkte. Gleich anfangs passierten allerlei kleine Malheurs; der Esel, welcher das Glück hatte, Madame Grenet zu tragen, gebärdete sich sehr ungezogen und warf sich endlich gar nieder. Kaum hatte die Dame noch Zeit gehabt, sich loszumachen, als sich das unflätige Tier auf den Rücken legte und, mit greulichem Geschrei alle Viere in die Höhe streckend, sich wälzte. Das unvernünftige Tier nahm gar keine Räson mehr an, da half weder Zureden noch Stoßen, auch wollte Madame Grenet um keinen Preis mehr dasselbe besteigen, und seinem Führer blieb nichts anderes übrig, als zurückzulaufen und ein anderes, gehorsameres Tier herbeizuschaffen, was ziemlich schnell abgemacht war, da der die ganze Gesellschaft belustigende Auftritt noch ganz nahe bei Resina vorgefallen war. Ich hatte der Dame mein Maultier angeboten, das ihr aber zu hoch war. Sie bestieg jetzt nach vielem Zureden den neuen Esel, aber zwei Kavaliere mußten ihr beständig zur Seite reiten und der Patron das Tier am Zaum führen; wir setzten uns wieder in Bewegung, der ergötzliche Vorfall hatte uns einen Aufenthalt von beinahe einer halben Stunde verursacht. Gleich hinter Resina kamen wir auf die schwärzliche Lava, und bald schien die Natur öde und ein düsteres Trauergewand angelegt zu haben; es war, als habe hier eine verheerende, alles verdorrende Hand gewütet. Bäume und Sträucher wurden immer seltener, bald sah man nur hier und da noch ein Stückchen angebautes Land, gleich einer Oase in der Wüste. Der Anblick des Ganzen stimmt sentimentale Gemüter leicht zur Schwermut und Melancholie; aber hier wachsen auch die berühmten Christustränen (Lacrimae Christi), denen nicht mehr wie billig die neapolitanische Geistlichkeit und die Mönche so zugetan sind, wie dereinst die Pfaffen am Rhein der Liebfrauenmilch. – Bald waren wir ganz von Lava umgeben, aber eben diese Lava ist es, welche den Boden um den Vesuv herum zum fruchtbarsten und ergiebigsten der Welt macht, der nie des Düngers bedarf und bei wenig Zoll Tiefe das Vortrefflichste und Köstlichste, was Landwirtschaft hervorbringen kann, gibt. Kein Fleck der Erde ernährt im Verhältnis seines Umfanges eine solche Seelenzahl, wie dieser, und nicht mit Unrecht sagt der Neapolitaner: „Der Berg speit Gold aus.“ Auf der hundertjährigen Lava bildet sich zuerst eine Art Moos, das sich dann in Staub und Erde verwandelt, aus welcher bei geringer Pflege erst Pflanzen, dann Sträucher und endlich Bäume hervorsprießen, und aus dem ödesten Ort wird der fruchtbarste, wenn ihn nicht neue Lavaströme verwüsten. Von den hohen Ulmen hängen die Purpurtrauben in nie gesehener Fülle und Schönheit herab. Wir kamen nun an Schluchten und Abhängen vorbei, über Lavabrücken zu dem Piano delle Ginestre, einer kleinen Fläche, von der aus man ein unabsehbares düsteres, schwarzgraues Schlackenmeer erblickt, wo weder das Hälmchen einer Pflanze noch der Flug eines Vogels zu sehen noch das Summen eines Insekts zu hören ist und nicht die mindeste Abwechslung das ewige Einerlei unterbricht, eine gräßliche Öde, wie sie die Edda am Ende der Eiswelt beschreibt. Jetzt gelangten wir zur Einsiedelei San Salvatore auf der Somma, wo uns der schon sechzigjährige aber noch sehr rüstige Eremit recht freundlich empfing, und hier eröffnete sich dem ermüdeten Auge eine entzückende, unbeschreiblich schöne Aussicht. Diese Eremitage besteht aus einigen Kammern und einer kleinen Kapelle. Wir stärkten uns in derselben durch einen guten Imbiß für die noch zu bestehenden Strapazen. Die mitgenommenen Provisionen wurden ausgepackt und unter einigen Bäumen vor der Einsiedelei verzehrt. Der Eremit lieferte uns außerdem noch Salami, Brot, Käse, Eier und Lacrymä Christi, und zwar echten, reinen und unverfälschten, wofür wir ihn unsererseits mit ein paar Zechinen beschenkten, wodurch seine Freundlichkeit noch erhöht wurde. Der gute Greis führte gar kein übles Leben in seiner Einsamkeit, und während der langen Zeit, die er daselbst zugebracht, haben ihn gar manche hübsche Bauernmädchen und junge Bauernweiber besucht, ihn immer reichlich mit nahrhaften Lebensmitteln versehend; in der guten Jahreszeit kommen jeden Tag Fremde, die ihn beschenken, auch hatte er schon ein artiges Kapitälchen bei einem Bankier in Neapel stehen. Sein Vorgänger hätte über zwölftausend Ducati hinterlassen. Dieser letztere war ein Franzose und ehemaliger Kammerdiener der Pompadour gewesen, der in dem hohen Alter von einundneunzig Jahren hier starb. Bevor wir uns zur Weiterreise anschickten, brachte uns der Eremit sein Fremdenbuch, in das wir alle unsere Namen einschrieben und in dem sich Namen aus allen Weltgegenden und von allen Nationen, mitunter manche berühmte und berüchtigte, befanden. Wir ritten jetzt längs der Somma auf schmalen Höhen, Lavaschluchten zu beiden Seiten, bergan, bis wir an das Atrio del Cavallo kamen, einen zwischen der Somma und dem Vesuv liegenden Talgrund, den Ort, an dem man bis zum Jahre 1630 Halt machte, weil er zu jener Zeit mit üppigen Bäumen und Pflanzen bewachsen war, ja sogar eine fette Fütterung für Maultiere und Pferde bot; seitdem wurde er aber von der Lava überströmt und ist jetzt nur noch ein versteinertes Lavameer. Hier stiegen wir alle ab, da der noch übrige Teil des Weges, der jetzt sehr beschwerlich wurde, zu Fuß zurückgelegt werden mußte. Unsere von Resina mitgenommenen Führer banden uns besondere Gurten, auch den Damen, um den Leib und befestigten Stricke daran, an die sie sich selbst festbanden. So zogen sie uns durch das mit jedem Schritt vorwärts immer tiefer werdende Aschenmeer; der Boden schien unter unseren Tritten zu weichen, die Luft wurde, je mehr wir voran kamen, schwefelgeschwängerter, so daß sie bei denen, die keine sehr guten Lungen haben, zuletzt Bangigkeit und Beängstigung der Brust hervorbringt. Die Asche wurde so tief, daß die Damen genötigt waren, ihre Kleider bis beinahe über die Knie hinaufzuheben; sie hatten sich aber alle mit grauen Unterbeinkleidern versehen. Unsere zweibeinigen Zugtiere trieften von Schweiß, auch uns, die sie zogen, standen dicke Tropfen auf der Stirne. Alle Augenblicke mußte Halt gemacht werden, damit die Damen Atem schöpfen konnten. Sie hatten sämtlich ihre sonst so süßen Gesichter in saure Falten gezogen, nur die junge Cramer, meine halbe Landsmännin, ein Offenbacher Kind, machte noch immer ein freundlich lächelndes Gesicht. Je höher wir stiegen, desto schwieriger wurde das Vorankommen und desto gewaltiger pochten die Herzen der Damen, aber diesmal nicht vom Feuer der Liebe, sondern von der Hitze und Asche des Vulkans getrieben.

Dennoch konnten manche der Herren ihre boshaften Späße nicht lassen, die Waden und etwas krummen Beine einiger Frauen bekrittelnd, doch erlaubten sich nur die Ehemänner dergleichen Unziemlichkeiten. Ich machte meine Betrachtungen nur im stillen, ohne sie durch Tadel oder Spott kundzugeben, auch meinten die sich getroffen fühlenden Schönen ärgerlich, es sei jetzt keine Zeit zu solchen Scherzen, und hatten recht, denn wir waren bereits auf einem Terrain angekommen, in welches unsere Führer mitgebrachte, mehrere Zoll lange Späne steckten, die sie rauchend und endlich glühend wieder hervorzogen, so nahe waren wir dem höllischen Feuermagazin.

„Bis hierher und nicht weiter,“ sagten unsere Ciceroni, nachdem sie das Experiment einigemal vorgenommen hatten. Ermüdet genug, machten wir einen allgemeinen Halt. Kaum ein paar hundert Schritte von uns wogte noch flüssige Lava. Mit einigen mitgebrachten Orangen erquickte ich die nach Labung lechzenden Gaumen unserer Schönen, wofür mir vielsagende dankende Blicke wurden, und die letzte teilte ich mit dem freundlichen Helenchen Cramer, die ich als giovine principiante auf dieser beschwerdevollen Reise in ganz besondere Affektion nahm. Wir standen nun nahe am Rand des flammenwirbelnden Höllenrachens, dem die glühenden Feuerregen und Fluten entströmen, die alles, was sie berühren, verheeren und vernichten; ihr Gang ist zwar langsam und schwerfällig, aber um so sicherer erreichen sie Verderben bringend das Ziel. Hat die flutende Glut einen Baum umschlungen, so sieht man alsbald dessen grüne Blätter sich zuerst gelb, dann braun und endlich schwarzgrau färben, Stamm und Zweige fangen bald zu glühen an, und in kurzer Zeit ist der Baum in Asche verwandelt. Majestätisch, ohne sich zu eilen, wälzt sich der Strom herab, ohne jedoch eine Minute zu versäumen; kommt die Lava an einen Gegenstand, der sie am Voranschreiten hindert, so steigt sie an demselben empor, bis sie ihn überreicht und umgeben hat, und setzt dann ihren Lauf wieder ungestört fort. Die brennenden Massen überwältigen alles, selbst Mauern und Felsen. Fliehend entgeht ihnen zwar der Mensch und das Tier, doch darf keines der anscheinenden Langsamkeit allzusehr trauen, sonst ist er verloren.

Hier, am Rand dieses Kraters, findet man es begreiflich, wie Dichter und Völker den Abgrund oder Eingang zur Hölle vermuten konnten, denn furchtbar schauerlich liegt es zu des Menschen Füßen, und er erkennt sein erbärmliches Nichts. Gräßlich gezackte, mit Schwefel und Asche bedeckte Lavarinde umgibt den höllischen Schlund, dem unzählige Rauchsäulen unaufhörlich entsteigen, ihn fast immer dem Auge entziehend. Man ist geneigt, an das Dasein eines infernalischen Spukes zu glauben. Hier ist man abgeschieden von allem, was atmet und lebt, es sei Tier, Insekt oder Pflanze, und nur ein donnerähnliches Getöse läßt sich von Zeit zu Zeit vernehmen. Wirft man einen Stein mit Kraft auf den Boden, so dröhnt es hohl, wie über einem Gewölbe. Ich stand, das seltsame Schauspiel anstaunend, dicht neben Helenchen, die sich vor demselben grausend, so fest an mich schmiegte, daß ich das kleine Herzchen pochen hörte, und nicht umhin konnte, das geängstigte Täubchen mit meinem schützenden Arm zu umfangen. Da der unaufhörlich aufsteigende Rauch manchmal so dicht wurde, daß er uns gleichsam in eine Wolke hüllte und vor den übrigen unsichtbar machte, so konnte ich selbst an den Pforten der Hölle der Versuchung nicht widerstehen, meinem kleinen Engel durch Küsse Mut einzuflößen. Man muß in allen Dingen die sich darbietende Gelegenheit schnell benützen, denn sie kommt oft nie wieder. Dies hatte ich aus Lafontaines Fabeln, aus der, wo der Geliebte, um das Brautkleid der Schönen zu schonen, die ihn vor ihrer Vermählung mit einem anderen noch glücklich machen will, einen Teppich holt und so um das ihm zugedachte Glück und eine Jungfernschaft kommt. – In einem hübschen Salon oder gewöhnlichen Wohnzimmer würde sich die junge Taube vielleicht gesträubt haben, aber hier, vor dem furchtbaren Naturschauspiel, wo sie kaum zu atmen wagte, ließ sie sich das Herzen und Küssen recht willig gefallen, dachte nicht an ein Widerstreben, und so war die Einleitung zu weiteren Bewilligungen schnell gemacht.

Nachdem wir wohl zwei Stunden hier zugebracht und uns dennoch kaum satt gesehen hatten, traten wir den uns leichter werdenden Rückzug an, der fast in ein Laufen durch die Asche ausartete. An dem Ort angekommen, wo die Langohren unserer harrten, bestiegen wir wieder das liebe Vieh, und ich ritt vergnügt und heiter an Helenens Seite bis Resina, wo wir eine bestellte Cena einnahmen und uns sodann in den Wagen setzten. Ich hatte zwar versucht, mich vis-à-vis dem Fräulein Cramer zu placieren, aber die Damen Gasqui und Grenet, welche meine Absicht merkten, wußten sie zu vereiteln, und ich mußte mit ihnen und Herrn Grenet einen Wagen besteigen. Eine Stunde vor Mitternacht waren wir in Giesù nuovo angekommen und unterhielten uns bei Madame Gasqui, die ihrem daheimgebliebenen Gatten die gesehenen Wunder rapportierte, noch lange bis nach Mitternacht von den gehabten Genüssen.

Den nächsten Morgen hatten wir Probe von der „Phädra“, die in einigen Tagen aufgeführt werden und deren Vorstellung der Hof beiwohnen sollte. Unser Liebhabertheater fing an, immer mehr Aufsehen zu erregen; die Gasqui und Grenet spielten sehr gut, erstere besonders in dem Lustspiel und in den Vaudevilles, in denen sie hübsche Romanzen, trefflich vorgetragen, einlegte. Auch noch zwei andere aktive Damen waren seit kurzem der Gesellschaft beigetreten, die beide nicht minder gefielen; eine machte wirklich Furore. Madame Damiette war die Gattin eines Kriegs-Kommissärs, die sich mehr für heroische Rollen und Anstandsdamen eignete, die andere, Madame Detrée, war die junge Frau eines Obersten von der Linie und als semimentale Liebhaberin unübertrefflich; daß sie aber auch außer der Szene dieses Fach vorzüglich bekleidete, sollte ich bald erfahren. Der Oberst war mit seinem Regiment in Kalabrien, und was war natürlicher, als daß sich die junge Frau, eine kaum zwanzigjährige Französin aus Orleans, zu entschädigen und zu trösten suchte? Zur „Phädra“ hatte ich die Rollen so verteilt, daß Madame Damiette die Titelrolle, Herr Damiette den Theseus, Madame Detrée Aricie, Madame Gasqui Ismene, Madame Grenet Oenone und ich den Hippolyte spielte. Die Gasqui wollte sich zuerst durchaus diese Rollenverteilung nicht gefallen lassen und die der Aricie übernehmen. Nur mit großer Mühe brachte ich es dahin, daß sie sich mit der Ismene begnügte, indem ich ihr vorstellte, daß sie ja doch die Königin des Lustspiels und des Vaudevilles sei und der Madame Detrée wohl die Freude lassen könne, eine traurige Liebhaberin zu machen. Dies half, – ich ging jetzt fleißig die Rollen bald mit der Phädra, bald mit der Aricie, mit letzterer etwas leidenschaftlicher, durch, und nach einem Dutzend Proben und ein paar Generalproben glaubten wir uns imstande, vor einem allerhöchsten Publikum produzieren zu können, denn die beiden Majestäten mit glänzendem Gefolge geruhten, derselben, wie gesagt, beizuwohnen. Namentlich war die Königin von jungen und schönen Damen umgeben, und dies machte, daß wir uns alle die größte Mühe gaben, etwas nicht ganz Gewöhnliches zu leisten. Die Vorstellung fiel auch wenigstens leidlich aus, ihre Majestäten hatten sich amüsiert, und mein Hippolyt hatte dem König Joseph so gefallen, daß ich bald nach dieser Vorstellung eine Einladung an den Hof bekam, wo es so ziemlich ungeniert, durchaus nicht steif herging und bei weitem kein so ängstliches und oft komisches Zeremoniell beobachtet wurde, wie an dem Hof seines kaiserlichen Bruders. Joseph war ein ziemlich natürliches Menschenkind, hatte sogar etwas Treuherziges in seinem Benehmen, er würde als Privatmann gewiß ausgezeichnet und ein guter Familienvater geworden sein, und man hätte dann seine Schwächen weniger oder gar nicht bemerkt. Seine Stellung auf dem Thron von Neapel war nicht die beneidenswerteste, ja fast peinlich zu nennen. Er sollte und durfte nur das gehorsame Werkzeug seines ihn tyrannisierenden Bruders sein, dessen Ab- und Ansichten selten mit den seinigen harmonierten, der auch in großer Entfernung von Neapel keineswegs den Zustand der Dinge daselbst so kannte, um ihn richtig beurteilen und leiten zu können. An Ort und Stelle fanden sich nicht zu überwindende Schwierigkeiten, die er in Paris oder seinen Hauptquartieren kaum ahnte. Er geriet aber in Wut und Zorn, wenn man sie in Neapel nicht wie er wollte, augenblicklich aus dem Wege räumte. Joseph hatte nicht verlangt, König zu sein, ja er war es fast gegen seinen Willen geworden. „Lasse mich in meiner Familie regieren,“ hatte er zu seinem Bruder gesagt, ehe er Frankreich verließ.

Die Königin Julie, Tochter des Kaufmanns Clairet zu Marseille, war in diesem Stück ganz mit ihrem Gatten einverstanden und eine vortreffliche, herzensgute Dame, die mit Engelsgeduld die Untreue und Schwächen ihres Gemahls nicht nur ertrug, sondern sogar entschuldigte und zu beschönigen suchte. Sie war erst kürzlich von Frankreich gekommen, und von allen Schwiegertöchtern der Kaiserin-Mutter, Madame Lätitia, diejenige, welche diese am meisten und aufrichtigsten liebte. Am Hof des Königs Joseph zu Neapel herrschte ein etwas militärischer Ton, wozu die fortwährenden Unruhen im Königreich und namentlich in Kalabrien, welche machten, daß man ewig auf dem qui vive sein mußte und ab- und zuging, das ihrige beitrugen. Die königliche Tafel verlassend, stiegen die Generale und Stabsoffiziere nicht selten in die Wagen oder zu Pferde, um sich nach Kalabrien und so weiter zu begeben, da von dort oder aus anderen Gegenden des Reiches während der Mahlzeit schlimme und bedenkliche Nachrichten eingelaufen waren. Von Josephs Hofhaltung in ihrem Innern wurde ich damals nicht genauer unterrichtet, da auch mich das Schicksal bald wieder aus Neapel rief, nachdem ich nur einigemale am Hofe erschienen und also noch ziemlich fremd war. Erst in ihrem Exil zu Frankfurt lernte ich die daselbst unter dem Namen einer Gräfin von Survillier mit ihren beiden Töchtern wohnende Exkönigin und ihren vortrefflichen Charakter näher kennen.

Auf Anstiften meines Vetters Moritz, der ebenfalls unseren Aufführungen in Giesù nuovo beiwohnte, arrangierte ich auch eine deutsche Vorstellung, und zwar „Kabale und Liebe“, bei der eine Frau von Gemmingen, die Gattin eines Kapitäns, die Lady Milford, Helene Cramer die Luise und eine Madame Reisinger die Mutter, der junge Stock den Vater spielten und ich mein altes Paradepferd, den Major Ferdinand, hervorsuchte. Die Vorstellung war, trotzdem sich die Liebe zwischen mir und Helenchen ins Spiel mischte, nicht sonderlich, obgleich die sehr nachsichtigen deutschen Zuschauer, die Franzosen und Italiener räumten den Saal alle gleich nach dem ersten Akt, sich trefflich unterhalten haben wollten. Damit hatte es aber sein Bewenden mit dem deutschen Theater, obgleich Moritz gerne noch andere ältere Stücke als angenehme Erinnerungen an seine Jugend aufgeführt haben wollte. Die Sache war zu schwierig, Akteurs und Aktricen zu schlecht, so daß ich selbst einen Degout an deutschen Vorstellungen bekam. Denn obgleich Helene Cramer mit großer Naivität und vielem Feuer spielte, so zog ich es doch vor, außerhalb der Bühne die Liebhaberrollen bei ihr zu übernehmen, und teilte jetzt mein Herz hauptsächlich zwischen Madame Detrée und ihr. Sie wohnte bei ihren Eltern in der Fortezza nuova, wo ich sie oft sah, und zwar unter der sehr strengen Aufsicht der Frau Mama, die das Goldtöchterchen auch keinen Schritt allein tun ließ und so unrecht nicht hatte. Wir besuchten zwar fast alle Theater miteinander, aber immer in Gesellschaft der Mama, die nicht von der Seite wich. Ich hatte also fast nur ein theoretisches, platonisches Verhältnis mit Demoiselle Cramer, während das mit Madame Detrée vollkommen materiell war. – Madame Cramer ließ mich nicht undeutlich merken, daß ihr Töchterchen eine vortreffliche Partie für mich wäre. Aber an das Heiraten und gar an das Heiraten als Offizier, deren Weiber, um den ewigen Gelegenheiten der Verführungen zu widerstehen, ganze Engel oder Mütter Gottes sein müßten, dachte ich so wenig, als ein Kapuziner zu werden. – Ohne die Mutter gerade vor den Kopf zu stoßen, wußte ich dennoch solchen Anspielungen gehörig auszuweichen und suchte noch einige Lustpartien zu veranstalten, in der Hoffnung, dabei Gelegenheit zu finden, der Mama Argus ein X für ein U vormachen zu können. Ich lud die Familie zu einer Fahrt nach dem schönen königlichen Schloß zu Caserta, einem der herrlichsten Schlösser der Welt, ein. Aber auch hier kam ich nicht viel weiter. Nur einmal gelang es mir in dem mit Statuen bevölkerten Park, Mutter und Tochter auf einige Augenblicke zu trennen, daß ich letzterer zu den Füßen einer marmornen Aphrodite, durch eine flüchtige, aber feurige Umarmung versichern konnte, wie liebenswürdig ich sie finde. Aber kaum hatte ich sie ein paarmal geküßt, als schon ein: „Helene, wo steckst du denn?“ sich ganz nahe vernehmen ließ, und mit einem „Hier, Mama,“ wand sich die Taube aus meinen Armen, der Mutter entgegenspringend.

Bei der Heimfahrt war es zwar schon düster und endlich dunkel, aber Madame Cramer hatte so scharfsehende Augen, daß ich kaum von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Händedruck wagen durfte. Mehr hoffte ich von einer zweiten Partie, die ich nach dem weiter entfernten Pestum veranstaltete, wozu mehrere Tage erforderlich waren. Nachdem Madame Cramer eingewilligt hatte, nahm ich viertägigen Urlaub, und wir fuhren ohne den Papa, der als Adjutant-Major nicht wohl abkommen konnte, den uns schon bekannten Weg über Portici und Resina, dann wie in einem Garten durch das Tal Scafati, über den Sarno, durch Nocera de Pagani, das alte, von Hannibal zerstörte Nuceria Alphaterna, wo ein Cybeletempel in den ersten Zeiten der Christenheit in eine Kirche, jetzt San Mariamaggiore, umgewandelt wurde, die noch von einer doppelten Reihe Säulen aus Giallo antico und Alabaster umgeben ist.

Von hier fuhren wir über Vietro nach Salerno, das an dem Ufer des Meeres in einer freundlichen, von heiteren Hügeln umgebenen Ebene liegt und das ich schon aus unserem ersten Feldzug in Kalabrien kannte, sowie Eboli, wo wir nächtigten, aber die Mutter ihren Schatz gleich einem Drachen bewachte. Am anderen Morgen machten wir uns in aller Frühe nach den Ruinen von Pestum auf, wohin ein ziemlich einsamer Weg führt. Nachdem wir durch eine ausgedehnte Heide gekommen waren, entdeckten wir verschiedene isoliert stehende Gebäude, die, wenn man ihnen nahe ist, kolossal und imponierend hervortreten. Erst im Jahre 1775 wurden diese schönen Ruinen einer grauen Vorzeit, vielleicht die herrlichsten der griechischen Baukunst, entdeckt. Diese unermeßlichen Säulenreihen der Tempel, die noch aus der heroischen Sagenzeit stammen und Jahrtausende, in einsamer Wüste trauernd, an sich vorübergehen, Roms Entstehung, Größe und Herrlichkeit, seinen Verfall und dessen christliche Erhebung bis auf unsere Zeiten sahen, geben manchen Stoff zu ernstem Nachdenken.

Hier endlich wurden wir durch die Gunst des Zufalls auf eine halbe Viertelstunde von der Mama getrennt, die sich auf kurze Zeit zu entfernen genötigt war. Ich benutzte diesen Umstand so gut als möglich, und dem aus Eboli mitgebrachten Führer befehlend, auf die Mutter zu warten, verirrte ich mich mit Helenchen hinter die dicken Neptunssäulen und versicherte sie bei dem Dreizack des mächtigen Weltbeherrschers meiner feurigsten Liebe, von der ich ihr, so viel es die Umstände erlaubten, die handgreiflichsten Beweise gab. Im Taumel der Wonne vergaßen wir Pestums und der Welt, bis uns endlich die kreischende Stimme der Mama aufschreckte, die, als wir unter den tausendjährigen Trümmern hervorkrochen, ausrief: „Aber Mädchen, was hast du denn, du bist ja so rot wie ein gesottener Hummer!“ –

„Nichts, Mama, das Steigen über die dicken Steine des Venustempels hat mich so erhitzt.“

Ob Mama Cramer glaubte oder nicht, ist mir ein Rätsel geblieben, jedenfalls war sie so klug, zu tun, als glaubte sie es. Wir hatten wohl an drei Stunden in Pestums Ruinen verweilt und eine mitgebrachte kalte Küche unter den Vorhallen des Neptuntempels eingenommen, als wir unsere Rückreise antraten und bis Salerno fuhren, wo wir übernachtetem. Den anderen Tag trafen wir wieder wohlbehalten in Neapel ein. In meinem Hauptquartier in Giesù nuovo angekommen, erfuhr ich von meinem Bedienten, den ich zurückgelassen hatte, daß Madame Gasqui wenigstens schon zehnmal nach mir geschickt habe. Als ich hierauf zu ihr eilte, empfing sie mich mit einem artigen Donnerwetterchen, weil ich, ohne ihr etwas zu sagen, nach Pestum, und zwar mit deutschen Damen, gefahren sei. Nach einem ziemlich langen Hadern kam es endlich wieder zu einem wohlbesiegelten Frieden, und nun eröffnete mir die Dame, daß wir Voltaires „Zaïre“ geben müßten, weil die Königin bei einer ihrer Hofdamen den Wunsch geäußert habe, dieses Trauerspiel von uns aufführen zu sehen. Louise wollte aber diesmal durchaus die Titelrolle spielen. Der Himmel oder das Schicksal oder der Kriegsminister, gleichviel, hatte aber beschlossen, daß ich in einem anderen Trauer- und Schauspiel auftreten würde, dessen Bühne abermals Kalabrien sein sollte. Das Bataillon erhielt Order, in vierundzwanzig Stunden nach Cosenza abzumarschieren, und der Stab des Regimentes wurde samt dem Oberst Omeara nach Castelamare verlegt. Kaum hatte ich noch soviel Zeit, mir ein paar gute Pferde zu kaufen; während meines diesmaligen Aufenthaltes hatten mir wieder Vetter Moritz und Stock die ihrigen zur Verfügung gestellt. Den Abend vor dem Ausmarsch machte ich meine Abschiedsronde, da, wo es anging, küssend und umarmend, auch Helenchen mußte mir ein Küßchen geben, auf das ich freilich das der Mama drein nehmen mußte.

Es sah neuerdings wieder sehr unruhig im südlichen Teil des Königreiches aus, obgleich man fast tagtäglich in der Hauptstadt darauf loshängte, verurteilte und hinrichtete. Als wir diesen Marsch nach Kalabrien antraten, ging es schon dem Winter zu, und die fatale Regenzeit war vor der Türe. Wir marschierten damals über Portici, Salerno und so weiter. Seit unserer ersten Expedition nach Kalabrien und nach der Schlacht bei Maida hatten sich die Engländer Reggios und des Schlosses von Scylla bemächtigt. Der Feind war abermals mit einem Armeekorps von ungefähr achttausend Mann, welches der tapfere Prinz von Hessen-Philippsthal befehligte, gelandet. General Regnier, der noch immer in Kalabrien kommandierte, hatte bei der ersten Nachricht, die er hiervon erhielt, in aller Eile so viel Truppen als möglich zusammengebracht, es waren kaum über viertausend Mann, damit das feindliche, freilich größtenteils aus Banditen und Raubgesindel bestehende Heer schon Ende Mai 1807 auf das Haupt geschlagen und so seinen Fehler bei Maida wieder gut gemacht. Selbst der Prinz von Hessen-Philippsthal hatte sich nur mit Hilfe seines schnellen Pferdes retten können und büßte beinahe seine ganze Artillerie ein, die er in Stich lassen mußte. Die ihn verfolgende französische Kavallerie verfehlte ihn nur um zwanzig Minuten. Sein Heer wurde gänzlich gesprengt und ein großer Teil desselben zu Gefangenen gemacht. Der Prinz landete mit kaum hundert Mann an den Küsten Siziliens. Dieser Sieg war sehr zur gelegenen Zeit gekommen, denn ohne ihn würde nicht nur Kalabrien, sondern sehr wahrscheinlich das ganze Königreich in Masse gegen die neue Regierung aufgestanden sein. Nun wurde gegen Reggio marschiert, dasselbe bald darauf belagert und das Schloß Scylla von der Landseite blockiert. Das letztere ist indessen außerordentlich fest, und da viel daran gelegen war, diesen, die Meerenge von Sizilien beherrschenden Punkt wieder zu besitzen, um Herr der Küste zu sein, so mußte man schweres Belagerungsgeschütz von Neapel kommen lassen, um das Fort gehörig beschießen zu können. Dies war aber zu Land ohne die außerordentlichsten Anstrengungen nicht wohl fortzubringen, weshalb man es einschiffte, wo ein Teil desselben auf der See von den Engländern weggenommen wurde.

In Cosenza angekommen, blieb das Bataillon zwei Tage daselbst, den dritten Tag marschierten wir gegen Abend nach Rogliano, wo wir den übrigen Teil der Nacht bis gegen Morgen verweilten, dann aber aufbrachen und durch ein schauerlich wildes, von steilen Felsen umgebenes Tal kamen, in dessen Umgegend jetzt der berüchtigte Banditenchef Francatrippa, der die Rolle des Fra Diavolo übernommen hatte, sein Wesen trieb. Hier mußten wir, Mann für Mann, einen ganz schmalen Felsensteig im Zickzack, wie von einem Theaterberg, zwischen steilen Felswänden hinabsteigen, wobei die bepackten Maulesel und Pferde von ihren Führern und abgestiegenen Reitern vorsichtig an der Hand geführt wurden, sodann einen Waldstrom passieren, über den nur ein sehr schmaler und geländerloser Fußsteig führte. Dann kamen wir nochmals an furchtbaren Abgründen vorüber. Diesen Tag führte ich wieder die Avantgarde des Bataillons, doch war an Seitenpatrouillen bei diesem Terrain nicht zu denken. Kaum waren ungefähr zwanzig Mann von meinen Leuten, an deren Spitze ich marschierte, auf dem schmalen Pfade an den Rand eines solchen Schlundes herangeschritten, als sich die Briganten oben auf dem Felsen zeigten und eine Decharge auf uns abfeuerten, dann gleich Gemsen wieder verschwanden, auf ihren Sandalen davonspringend. Großen Schaden hatten sie nicht angerichtet, nur ein paar Leute hatten leichte Streifschüsse erhalten. Ich ließ indessen sogleich Halt machen, und wir kletterten mit Hilfe des Gesträuchs den am Eingang der Schlucht weniger steilen Felsen hinan, hoffend, so den Briganten in den Rücken zu fallen. Aber als wir hinaufkamen, war keine Spur mehr von ihnen zu sehen. In die weg- und pfadlosen Wildnisse zwischen Klippen und Gesträuch konnten wir uns nicht wagen, ohne Gefahr zu laufen, in einen Hinterhalt des Francatrippa zu geraten. Das Terrain war hier den Briganten so günstig und uns, die wir es nicht kannten, so nachteilig, daß wir gewiß verloren gewesen wären, wenn die Bewohner desselben in Übereinstimmung gegen uns agiert haben würden, selbst wenn wir hätten bedeutendere Streitkräfte entwickeln können. Leicht war es, die Truppen in Abteilungen zu überfallen und zu vernichten. Glücklich kamen wir in Scigliano an, von wo wir nach Nicastro und von da in die Ebenen von Sanveria marschierten. Hier waren wir in der Nähe eines alten Gebäudes, das eine traurige Berühmtheit erlangt hatte, da in demselben gleich nach der verlorenen Schlacht bei Maida eine ganze Kompagnie Franzosen, die sich in dasselbe geflüchtet, von den Bewohnern der Umgegend und den sizilianischen Briganten bis auf den letzten Mann ermordet worden war. Jetzt lag wieder ein französisches Detachement in dem Gebäude; es war befestigt worden, verpallisadiert und auf mehrere Monate mit Proviant versehen. Nichtsdestoweniger trieben in der Nähe dieses Tales Francatrippa und seine Banditen ihr Wesen auf das frechste, und keine Patrouille unter zwanzig bis dreißig Mann durfte sich an Streifereien wagen, wollte sie nicht überwältigt werden. Die Aussicht von den dieses Tal umgebenden Höhen auf den Golf von St. Euphemia ist entzückend. Von hier aus sowie von Nicastro wurden fortwährend Abteilungen auf die Brigantenjagd abgeschickt, ohne daß sie sehr ergiebig gewesen wäre. An diesem geringen Erfolge war hauptsächlich das Einverständnis der Räuber mit den Einwohnern schuld, die ihnen allen Vorschub leisteten, während sie uns flohen und mit einem ewigen: „non capisco“ oder „non so niente“, das zum Verzweifeln war, abspeisten, während unsere fast unerreichbaren Feinde die vollkommene Kenntnis des Terrains besaßen. Nach mehreren Tagen des vergeblichen Hin- und Hermarschierens in den den Golf umgebenden Bergen und Wäldern, brachte ich mit meinen Voltigeurs zwei Tage in dem Städtchen Pizzo zu, am südlichen Ende des Golfs, in dessen Umgegend außerordentlich viel Mais und Reis, die Hauptnahrung der Einwohner, gepflanzt wird. Das Klima ist so warm, daß selbst das Zuckerrohr hier sehr gut fortkommt und gedeiht, wie mich der Augenschein überzeugte. Das Bataillon hatte sich einstweilen in die zahlreichen Landsitze, die von Pomeranzen- und Zitronenhainen umgeben, in der Nähe von Nicastro liegen, einquartiert. Die hier vorhandenen Wälder sind seit undenklichen Zeiten der Aufenthalt von Räuber- und Banditenhorden, mit denen sich die Gutsbesitzer, wenn sie einige Sicherheit genießen wollen, verständigen und abfinden müssen, indem sie ihnen von Zeit zu Zeit nicht unbedeutende Summen einhändigen. Namentlich ist der Wald von Sankt Euphemia, und zwar mit Recht, sehr berüchtigt. In dieser Wildnis hatten auch jetzt die Briganten und ihre Banden und Spießgesellen ihr Hauptquartier aufgeschlagen und wurden noch obendrein von den Engländern und Sizilianern unterstützt und besoldet, mit denen sie beständig kommunizierten und welche in der Nacht fast gefahrlos landeten und ausschifften, was wir nicht wohl verhindern konnten, da der so nahe an der Küste gelegene Wald ein geheimnisvolles Labyrinth war, und nur die Räuber und Banditen den in dasselbe leitenden Faden in Händen hatten, auch alle Zu- und Ausgänge kannten, die außerdem durch gut verborgene, mit Gesträuch und Dornen bedeckte Gruben fast unzugänglich gemacht waren. Und so bot dieser Wald die erwünschteste Leichtigkeit und Gelegenheit, uns aufzulauern. In diesem Walde, den zu reinigen jetzt unsere Aufgabe war, hauste damals ein alter berüchtigter Kalabrese, Benincasa genannt, welcher der oberste Chef aller Banden war, die, sowie Francatrippa selbst, mit ihm in genauer Verbindung standen und seine Befehle auf das pünktlichste befolgten. Es war ein wahrer Assassinen-Fürst, ein zweiter Alter vom Berge. Schon lange Zeit vor der französischen Okkupation hatte er sein blutiges Räuber- und Mörderhandwerk in diesem furchtbaren Walde getrieben, wo ihn die Arme der elenden neapolitanischen Justiz nicht hatten erreichen können, und von wo aus er die ganze Umgegend brandschatzte. Unser Bataillon erhielt nun Befehl, diesen gräßlichen Menschen und seine Banden zu zerstreuen, auf ihren Höhlen und Mordsitzen aufzuscheuchen und sie womöglich zu vernichten. Aber vergeblich blieben alle Versuche. Die List, die ich in den italienischen Alpen und den Gebirgen von Genua angewendet hatte, die Briganten zu fangen, würde bei diesem alten schlauen Fuchs nichts gefruchtet haben, und wenig fehlte, so wäre ich bei einem Versuch, in diese Wildnis zu dringen, samt meinen Voltigeurs ein Opfer der Fallstricke des listigen und blutdürstigen Benincasa geworden. Ich hatte mich bei dem Verfolgen einiger verdächtiger Individuen verleiten lassen, zu Pferde an der Spitze der Mehrzahl meiner Kompagnie in den Wald zu dringen, und zwar da, wo sich scheinbar ein ziemlich breiter Eingang zeigte. Der Mannschaft einige Schritte voransprengend, fühlte ich plötzlich den Boden unter mir wanken und stürzte samt meinem Pferde in eine über sechs Schuh tiefe Grube, die wohl fünfzig Fuß breit war und über hundert im Umfang haben mochte und wahrscheinlich darauf berechnet war, eine Abteilung verfolgender Reiterei stürzen zu machen, die man dann in der Grube leichter zusammenschießen konnte. Da ich allein in dieselbe gestürzt war, ohne daß jedoch ich noch mein Pferd bedeutend beschädigt worden wären und meine Leute gleich herbeirannten, so hatte es, da der Sturz so glücklich abgelaufen war, keine weitere Gefahr mehr für mich, nur kostete es viele Mühe, das Pferd wieder aus der Grube zu schaffen, da sie senkrechte Wände hatte, in welche die Soldaten sogleich eine so schiefe Abdachung gruben, daß das erschrockene Tier herausgeführt werden konnte. Dieser Vorfall war ein Warnungszeichen, besser auf der Hut zu sein. Noch mehrere Versuche, die Banden aus dem Walde zu jagen, scheiterten ebenfalls, und Düret hielt es für das beste, mit dem Banditenfürst zu unterhandeln, nachdem er seine Berichte gemacht und Vollmacht dazu begehrt und erhalten hatte. Aber die Unterhandlungen zerschlugen sich, obgleich man dem Benincasa und seinen Banden große Versprechungen gemacht und bedeutende Vorteile eingeräumt hatte. Wahrscheinlich traute der alte Fuchs, der selbst nie ein Versprechen gehalten, uns nicht. Sodann trat jetzt die Regenzeit in ihrer ganzen Kraft ein und machte, daß wir wenigstens auf ein paar Monate alle ferneren Versuche gegen diese aalartigen Feinde einstellen mußten, die aber gerade deshalb um so kühner aus ihren Schlupfwinkeln hervortraten, großen Schaden zufügten und mordeten und raubten, wo sie sich die Stärkeren wußten. Ohnedies ist ein friedliches und gemächliches Leben den rohen Naturkindern der kalabrischen Wildnisse verhaßt, Gefahren, Raub und Mord ihr Element. Dabei besitzen sie eine außerordentliche Gewandtheit und Behendigkeit und wissen ihre Gewehre trefflich zu gebrauchen, jedoch immer nur aus dem Hinterhalt. In offener Schlacht taugen diese Briganten nicht und halten nicht Stich gegen wohldisziplinierte Truppen, nur die neapolitanischen Krieger fürchten sie wenig, schätzen sie gering und werden von diesen gefürchtet. Wir verließen, hauptsächlich durch den sich unaufhörlich in Strömen ergießenden Regen gezwungen, die Gegend am Golf von Sankt Euphemia und marschierten zuerst nach Monteleone, wo wir mehrere Tage weilten und Kleider und Waffen in möglichst besten Stand zu setzen suchten, denn beide hatten sehr gelitten. Wieder waren es Schuhe oder doch Sohlen, die uns am meisten not taten, und viele der Leute gingen schon fast auf bloßen Füßen. Dies war bei dem ewigen Hin- und Hermarschieren auf solchem Boden und in solchem Wetter kein Wunder. Tag und Nacht wurde patrouilliert, und alle von Neapel kommenden oder zurückkehrenden Kuriere, Adjutanten, Stabsoffiziere und so weiter mußten von einer Stadt zur anderen eine Eskorte von wenigstens dreißig Mann haben. Dies alles machte den Felddienst außerordentlich beschwerlich. Auch kam es vor, daß manche Kompagnien acht bis vierzehn Tage bei diesem Regenwetter biwakieren mußten, wie es mir selbst einmal erging, so daß wir fast ganz im Wasser und Kot lagen und schliefen. Die Lebensmittel waren dabei ebenso schlecht wie in der ersten Kampagne und mangelten manche Tage gänzlich. Viele Ortschaften waren ganz menschenleer und bis auf wenige Hütten zerstört; auch hatten wir seit unserem Abmarsch aus Neapel keinen Sold mehr erhalten, und ich hatte schon fast meine ganze Barschaft der Kompagnie vorgeschossen, ein Vorteil, den keine andere Kompagnie hatte und worum die meinige beneidet wurde. Aber ich konnte auch mit meinen Leuten den Teufel austreiben, in die Hölle wären sie mir gefolgt, während die anderen Soldaten des Bataillons, besonders Böhmen und Österreicher, knurrten und murrten, denn an Knödel war da nicht zu denken. Polenta und Reis gab es nur, und auch dieses nicht immer. Fleisch war eine seltene Kost. Viele Soldaten hatten, aus der Not eine Tugend machend, das Beispiel der Kalabresen befolgt und statt der mangelnden und ganz zerrissenen Schuhe sich Sandalen aus Ziegenfellen, oder was sie sonst haben konnten, um die Füße gewunden. Die Offiziere waren oft noch weit schlimmer daran als der gemeine Mann, der raubte und wegnahm, wo er etwas fand, was jene nicht konnten und froh waren, wenn ihnen der Soldat etwas von dem Geraubten mitteilte. Meine Leute versorgten mich jedoch trefflich und ließen mir oft Eier, Käse, Brot, Speck und dergleichen zukommen, so daß ich an Lebensmitteln nur selten Mangel litt, da sie mir immer das Beste brachten. Der französische Soldat war bei all dem Mangel und Elend doch immer lustig und guter Dinge, machte Bonmots und war unerschöpflich in Scherzen. Eine solche Munterkeit unter allen Umständen ist in der Tat ein kostbares Geschenk des Himmels. Unsere Leute und namentlich die Russen und Polen vergaßen nur dann ihr Elend, wenn sie Aquavit genug haben konnten, wonach sie in einem Dorf oder einer Meierei immer zuerst forschten. Machten sie einen solchen Fund, dann war auf kurze Zeit wieder alles gut.

Da man in Sizilien glaubte, was auch die Engländer und wir selbst vermuteten, daß man diesseits des Kanales eine Landung auf jener Insel beabsichtige und vorbereite, wozu es allen Anschein hatte, so sandte die sizilianische Regierung unaufhörlich Briganten in großen Haufen herüber, die von den Engländern des Nachts an das Land gesetzt, sich dann sogleich in die Wälder und Gebirge verloren und die französischen Truppen auf alle Weise verfolgten, um ihnen die Gelüste nach der reichen und schönen Insel vergehen zu machen. Wir wurden nun wieder mehr denn je von den Insurgenten beunruhigt und in Atem erhalten. Während unseres Aufenthaltes in Monteleone, einer nicht unbedeutenden Stadt von etwa sechzehntausend Einwohnern, mit einem ehemals befestigten Schloß, das Friedrich II. erbaute, wurde bei Fondaco del Fico, einem in der Nähe jenseits Pizzo befindlichen, alten, halbverfallenen, sehr weitläufigen Gebäude, welches das Aushängeschild: „Osteria di Cicerone“ führte, ein von Neapel kommender Kurier mit sehnsüchtig erwarteten Depeschen und Briefen für das ganze Armeekorps angefallen, beraubt und samt seiner Eskorte, aus einer Abteilung von einem Sergeanten befehligter Infanterie bestehend, einigen zwanzig Mann, ermordet. Nur zwei, und davon der eine noch schwer verwundet, waren so glücklich, dem Tode durch eine schnelle Flucht zu entgehen und brachten die traurige Nachricht dieser Begebenheit nach Pizzo und Monteleone. Aus ihrem Bericht ergab sich, daß die Eskorte selbst mit schuld an ihrem Unglück sei, denn die Leute waren nicht beisammen geblieben und zum Teil durch eine bedeutende Strecke getrennt. In dem Augenblick, als sie überfallen wurden, waren keine zehn Mann beisammen. Ungefähr ein halbes Jahr darauf wiederholte sich derselbe Vorfall mit einem Detachement vom neunten Linienregiment in der Gegend von Nicastro. Ich erhielt jetzt Befehl, mit meiner Kompagnie ungesäumt nach Fondaco del Fico aufzubrechen und Jagd auf die Räuber zu machen. Etwa eine Miglie davon stießen wir auf die schrecklich verstümmelten Leichen der Ermordeten. Eine Menge zerrissener Papiere, die ich sammelte, lagen nebst dem Felleisen des Kuriers umhergestreut. Aber die Waffen der Unglücklichen, sowie deren Tornister hatten die Briganten mit fortgeschleppt, die Leichen auch zum Teil ihrer Kleider beraubt. Fondaco del Fico liegt an dem Eingang eines dichten Waldes und, wie die Altertumsforscher behaupten, genau auf der Stelle, wo das alte, vom Meer verschlungene Hipponicum gestanden haben soll, von dem noch Tempelruinen in der Nähe sind. Cicero hat sich hierher geflüchtet, um den Verfolgungen des Clodius zu entgehen, und schrieb aus dem nahen Fundus sicae mehrere Briefe an den Atticus. Ich stellte zuerst die nötigen Wachen um das Gebäude herum und gegen den Wald, ließ dann die Leichen der Ermordeten durch Bauern nach Monteleone bringen, untersuchte alle Zugänge und Schlupfwinkel des Eulennestes auf das sorgfältigste und drang dann mit einer Abteilung meiner Leute, jedoch mit großer Vorsicht, einige hundert Schritte in den Wald vor, ohne eine Spur von den Briganten entdecken zu können, worauf ich mich wieder auf Ciceros Osteria zurückzog. Mit einbrechender Nacht traf ich alle Vorkehrungen, um mich gegen einen Überfall sicher zu stellen, und die Folgen bewiesen bald, daß meine Vorsicht nicht unnötig war. Als es dämmerte, zündeten meine Leute Feuer an und brieten das von Monteleone mitgebrachte Ziegenfleisch an demselben. Wir waren mit Lebensmitteln auf drei Tage versehen. Ich ließ fortwährend starke Patrouillen in geringer Entfernung um unser Rattennest gehen, stellte mehrere Posten nach allen Richtungen, jedoch immer à portée einer vom anderen aus, und machte selbst einigemale die Runde an der Spitze einer Patrouille. Es blieb aber alles ruhig, bis kurz vor Mitternacht, wo plötzlich eine ungeregelte, aber starke Decharge von Flintenschüssen auf die Posten abgefeuert wurde, deren Kugeln um ihre Ohren pfiffen. Der Angriff geschah von der Seite des Waldes, und kaum waren wir aufgesprungen, die Leute lagerten noch um das Feuer, als ein Schuß ganz in unserer Nähe, keine fünfundzwanzig Schritte entfernt, fiel, dessen Kugel einen Sergeanten mitten auf die Brust, aber glücklicherweise da traf, wo sich dessen Büffetterie (Riemenzeug) kreuzte, und ihm so keinen Schaden verursachte. Ich brach nun mit etwa fünfzig Mann in der Richtung gegen den Wald auf, aber es war, als seien unsere Feinde wie durch einen Zauberschlag verschwunden. Man hörte und sah nichts mehr von ihnen. Den Wald selbst durfte ich nicht zu betreten wagen, wollte ich nicht abgeschnitten werden; denn ich kannte ja die Zahl der Gegner nicht und würde bei der herrschenden Finsternis auch ohne allen Erfolg das Wagnis unternommen haben. Ich zog mich wieder auf unsere Osteria zurück, besetzte gehörig alle Zugänge des Gebäudes, ließ die ganze Mannschaft, alle Posten einziehend, in dasselbe einrücken und verbarrikadierte dann die Hauptzugänge mit Holz, Erde und Steinen. Bald nach Mitternacht gab die an einer kleinen Pforte stehende Schildwache Alarm, und wir hörten nun deutlich das Annähern vieler Fußtritte, sowie ein Summen von verworrenen Stimmen. Da man auf ein dreimaliges Qui vive! der Schildwache keine Antwort hörte, so feuerte diese ab, worauf sogleich eine Salve von den sich nähernden Feinden erfolgte, deren Kugeln aber an den Mauern unserer extemporierten Feste abprallten. Daß die Bande sehr bedeutend sein mußte, war mir jetzt klar, denn es schienen mindestens ein paar hundert Schüsse zu sein, die zumal gefallen waren. Ich traf daher meine Anordnungen so, daß wir uns wenigstens bis zum Anbruch des Tages in der Defensive hielten, denn in dieser Dunkelheit einen unsichtbaren Feind angreifen zu wollen, dessen Stärke und Position man nicht kannte, wäre Unsinn gewesen. Ich machte mich aber auf einen Angriff und guten Empfang von meiner Seite gefaßt. Letzteres war nicht nötig, da der erstere unterblieb und sich die Briganten begnügten, von Zeit zu Zeit gegen das Gebäude zu feuern, aber jedesmal aus einer anderen, ganz verschiedenen Richtung. Die Nacht war sehr finster, stürmisch und regnerisch, und hätten die Briganten mehr Mut und Entschlossenheit gehabt, so konnten sie uns viel zu schaffen machen, besonders da die allenthalben verfallenen Mauern unserer Feste wenig Schutz gewährten und ich sie nicht an allen Orten zugleich stark besetzen konnte. Auch ließ ich alle Lichter löschen. Bald darauf sahen wir dagegen viele Feuer an und in dem Walde auflodern, die der alte Fuchs Benincasa, denn kein anderer als er war es, der diese Banden in Person befehligte, hatte anzünden lassen und durch welche er mich in die Falle und aus meiner Feste zu locken hoffte. Ich erkannte aber gleich, was die Feuer zu bedeuten hatten, übersah meines listigen Gegners Absicht und verließ Fondaco del Fico nicht. Nach anderthalb Stunden erloschen die Feuer allmählich wieder. Als aber der Tag zu grauen begann, erblickten wir zahlreiche Brigantenhaufen am Ausgange des Waldes postiert, die, wie es den Anschein hatte, sich anschickten, uns jetzt offen und am Tage anzugreifen. Ich hielt es für besser, einen solchen Angriff nicht hinter den Mauern abzuwarten, obgleich ihre Zahl wenigstens dreimal stärker war als die unsrige. Ich formierte meine Kompagnie in Sektionen und rückte dann in geschlossener Kolonne gegen die Haufen, die sich, als sie uns herankommen sahen, schlagfertig machten. Im Geschwindschritt vormarschierend, ließ ich, noch einige dreißig Schritte von dem Feinde entfernt, Halt machen, dreimal abfeuern, nachdem ich die Kompagnie schnell in ein Peleton formiert hatte, und dann kommandierte ich: „Fällt’s Bajonett, Sturmschritt, vorwärts, marsch!“ Die Briganten hatten unser Feuer heftig erwidert, mir zehn Mann mehr oder weniger schwer verwundet und einen getötet. Aber auch von ihrer Seite hatten wir mehrere fallen gesehen. Als wir ihnen aber schon dicht auf dem Leibe waren, zogen sie sich laufend in den Wald zurück, hinter den Bäumen hervorfeuernd. Hier konnte ich sie nicht verfolgen, da der Kampf in jeder Hinsicht zu ungleich geworden wäre, und zog mich, als ich auf meiner rechten Seite in einer ziemlichen Entfernung neue Haufen hervorbrechen sah, deren Absicht war, sich Fondacos, wo ich nur einen schwachen Posten zurückgelassen hatte, zu bemächtigen oder mich wenigstens davon abzuschneiden, schnell dahin zurück. Der übrige Teil des Tages verstrich nun, ohne daß wir weiter beunruhigt worden wären. Als aber die Nacht wieder angebrochen war, hörten wir deutlich ein großes Getümmel im Walde, was mir anzudeuten schien, daß die Feinde große Verstärkungen erhalten haben mußten. Etwa drei Stunden nach Sonnenuntergang sahen wir plötzlich mehr als hundert Fackeln ähnliche Lichter hellodernd aus dem Walde hervorkommen und sich gegen unsere Feste zu, deren Barrikaden ich während des Tages noch möglichst hatte verstärken lassen, in Bewegung setzen. Wir erkannten bald, daß die Feuerbrände, welche ein Teil der Briganten in der Hand trug, während sie in der anderen ihre Gewehre zum Abfeuern fertig hielten, große Stücke von fettem, dürrem Nadelholz waren. Als sie sich beinahe auf Schußweite unseren Mauern genähert hatten, ließ ich Feuer auf sie geben, das sogleich erwidert wurde, worauf sie, zum Teil ihre Feuerbrände von sich werfend, einen allgemeinen Angriff auf der Südseite von Fondaco begannen. Dieser war jedoch nur fingiert, wie ich auch gleich vermutet hatte, da ich andere Haufen ohne Fackeln, gleich Schatten, in einer geringen Entfernung von den ersteren gesehen und recht gut bemerkt hatte, daß sich diese, von der Dunkelheit begünstigt, aber doch durch den wenn auch entfernten Fackelschein verraten, von einer anderen Seite Fondaco näherten. Ich ließ sogleich auch die anderen, nach dem Meer zu gehenden Teile der Gebäude möglichst stark besetzen und bewachen. Während wir mit den bereits herangekommenen Briganten im Handgemenge waren, nachdem sie ihre Gewehre und Pistolen abgefeuert, hatten wir uns hauptsächlich ihrer Dolchstöße zu erwehren, denn der Kampf wurde an den Eingängen und Breschen geführt, vernahmen wir plötzlich das Alarmgeschrei auf der anderen Seite, wohin ich jetzt eilte, meinem Leutnant überlassend, die fingierten, aber doch ernstlichen Angriffe zurückzuschlagen. Bald war der Kampf ringsum allgemein, und meine Voltigeurs schlugen mit den Gewehrkolben auf die Feinde los, während ich von einem Posten zum anderen sprang, die Leute zur tapferen Verteidigung aufmunternd. Als ich so hin und her lief, vernahm ich plötzlich an einer etwas von mir entfernten Stelle, wo die Mauer sehr hoch, noch unversehrt und nicht bewacht war, ein Geräusch. Ich näherte mich leise auf den Zehen, blieb dann bewegungslos stehen und entdeckte bald, wie sich zwei Briganten schon an der inneren Mauer sachte herabließen, denen andere, die auch bereits die Köpfe über die Mauer streckten, folgen sollten. Jetzt sprang ich auf den ersten, als er beinahe den Boden erreicht hatte, zu und rannte ihm meinen Säbel durch den Leib, so daß er furchtbar brüllend zu Boden stürzte. Der ihm folgende aber kletterte eiligst wieder das Seil hinan, an dem er sich herabgelassen und das jenseits der Mauer festgehalten wurde. Mit dem Säbel konnte ich ihn nicht mehr erreichen, dagegen schoß ich eine Pistole auf ihn ab, traf ihn aber nicht so, daß er am Entkommen verhindert gewesen wäre. Doch war er, nach dem Blut, das er verlor, zu urteilen, stark verwundet. Der am Boden Liegende winselte und schrie: „Misericordia, misericordia!“ Ich rief nun nach Licht, entwaffnete den schwer verwundeten Gefangenen vollends, ließ ihn vorerst da liegen und beorderte einen Korporal, so lange das Gefecht dauere, die Runde mit drei Mann fortwährend innerhalb der Mauern zu machen, um jedem Versuch eines Übersteigens sogleich zu begegnen. Und wirklich wurde noch zweimal ein solcher gemacht, während der Kampf an den teilweise eingerissenen Barrikaden auf das wütendste fortwährte. Einer der Übersteigenden hatte sich in das Bajonett eines Voltigeurs gespießt, mit dem ihn derselbe aufgefangen hatte. Noch mehrere Stunden dauerte das verzweifelte Gefecht fort, da immer frische Brigantenhaufen in das Gebäude zu dringen versuchten. Schon waren meine Leute sehr ermüdet, sieben derselben außer Kampf gesetzt und zwei getötet, mehrere leicht verwundet. Aber auch die Briganten hatten schon ziemlich viel Tote und Verwundete. Nachdem die Feinde wenigstens zehn- bis zwölfmal ihre Attacke, meistens unter den stärksten Regengüssen, erneuert, auch schon einmal einen scheinbaren Rückzug gemacht und eine halbe Stunde darauf wiedergekommen waren, um mit erneuerter Wut ihre Angriffe zu beginnen, zogen sie sich endlich gegen Morgen, an einem günstigen Erfolg ihrer vergeblichen Anstrengungen zweifelnd, zurück. Was mich hauptsächlich gegen ihre große Übermacht schützte, denn es mochten wohl über tausend Mann sein, die uns gegenüberstanden, war die Regellosigkeit ihrer Angriffe, Mangel an Einheit und Zusammenwirken, da fast jeder nur auf seine Faust tat, was ihm eben das Beste deuchte, und wenig auf ein Kommando hörte. Nur darin stimmten sie überein, daß sie das Gebäude erstürmen und uns ermorden wollten. Hätten sie bei ihrer Übermacht und dem elenden Zustande unserer Befestigungen zumal und auf allen Seiten zugleich den Angriff begonnen, so würden wir einen schlimmen Stand gehabt haben. Durch die Aussagen der zurückgebliebenen Verwundeten, sie hatten deren einige zwanzig nebst elf Toten zurückgelassen, erfuhr ich, daß Benincasa wieder die Seele dieser Expedition war und allem Vermuten nach weitere Versuche der Art machen würde. Indessen waren die mitgebrachten Lebensmittel aufgezehrt, mein ferneres Hierbleiben also unmöglich, auch so ziemlich zwecklos. Meine Instruktion lautete ohnehin, daß, wenn ich binnen drei Tagen nicht durch andere Truppen abgelöst würde, ich zurückzumarschieren habe, weshalb ich beschloß, nach Pizzo und Monteleone aufzubrechen. Aber auch mein Abzug war gefährlich genug, denn die Banden im Walde wurden beständig durch neu hinzukommende Briganten verstärkt und würden uns sicher, unser kleines Häufchen erkennend, jetzt auch im freien Felde überfallen haben. Als ich so überlegte, wie unser Rückzug am besten zu bewerkstelligen sei und mich deshalb auch mit den Unteroffizieren beriet, hörten wir auf einmal Trommelschlag und sahen hinter einem nahen Gebüsch unsere Karabinier-Kompagnie, vom Kapitän Czerny angeführt, zu unserer großen Freude mit blinkenden Gewehren anmarschieren. Jetzt waren wir erlöst. Fast zu gleicher Zeit traf auch noch ein vierzig Mann starkes Detachement von Royal-Corse, das einen anderen, von Neapel kommenden und nach Reggio bestimmten Kurier geleitete, ein, und als ich im Begriff war, abzumarschieren, kamen noch vier Kompagnien vom neunten Linienregiment an, die zur Verstärkung des Belagerungskorps nach Scylla bestimmt waren. Letztere blieben jedoch bei Fondaco über Nacht, während ich mit meinen Voltigeurs und der Eskorte des Kuriers nach Monteleone abging, nachdem ich den Kapitän Czerny noch vorher von allem gehörig instruiert hatte. Die Wege hatten sich durch den vielen Regen seit drei Tagen so verschlimmert, daß ich, obgleich zu Pferde, Mühe hatte, durchzukommen. Ein kleiner Bach, den wir passieren mußten und der uns beim Hermarsch kaum bis an die Waden gegangen, war schon so angeschwollen, daß uns das Wasser bis an die Brust reichte, und so reißend, daß wir wieder, Mann an Mann dicht geschlossen, durch denselben waten mußten. In der Nähe von Pizzo stießen wir auf drei gräßlich verstümmelte Leichname französischer Soldaten, denen Nasen und Ohren abgeschnitten waren und welchen man zum Hohn die Zeugungsglieder in den Mund gesteckt hatte; sogar die Augenhöhlen waren ihnen ausgebohrt. Dieser Anblick versetzte uns in die größte Wut. Das Tschakoschild und die Platten der Patrontaschen, die wir in der Nähe fanden, denn die Leichname waren aller Kleider beraubt, verkündeten uns, daß es Chasseurs vom zwanzigsten Linienregiment waren, von dem eine kleine Abteilung in Pizzo lag. Hier machte ich einen kurzen Halt und ließ Erfrischungen aus dem Städtchen holen, worauf ich, immer unter dem heftigsten Regen, nach Monteleone aufbrach. Aber kaum mochten wir fünfhundert Schritte zurückgelegt haben, als sich eine starke Brigantenbande, wohl an vierhundert Mann, unseren Blicken zeigte und Miene machte, uns das Weitermarschieren ersparen zu wollen. Daß die Übermacht der Kalabresen im Freien eben nicht sehr zu fürchten ist, wußte ich nun schon aus Erfahrung, sowie, daß Entschlossenheit und ein herzhafter Angriff sie schnell zum Wanken bringt. Ich besann mich daher nicht lange und marschierte im Sturmschritt auf den Schwarm zu, der, als wir nahe genug waren, Gewehre und Pistolen auf uns abfeuerte. Auch ich ließ Feuer geben, aber die meisten Gewehre versagten von beiden Seiten wegen der durch das Regenwetter verursachten Nässe. Dennoch hielten die Briganten stand, auf die wir nun mit gefälltem Bajonett eindrangen. Nach geringem Widerstand, wobei sie ihre Dolche wenig gebrauchen und ihre Pistolen, die ohnehin meistens versagten, nicht wieder laden konnten, da wir ihnen keine Zeit dazu ließen, ergriffen sie die Flucht und zerstreuten sich, ihre Toten und Verwundeten im Stiche lassend, die uns in die Hände fielen. Ich verfolgte sie zwar eine kleine Strecke, ließ jedoch bald davon ab, da es unmöglich war, sie zu erreichen. Wir setzten nun unseren Marsch nach Monteleone fort, wo wir am Nachmittag eintrafen. Die gefangenen und verwundeten Briganten, die ich zu Fondaco und bei Pizzo gemacht, wurden noch denselben Tag auf Dürets Befehl erschossen, wie alle Bewohner Kalabriens, die mit den Waffen in der Hand gefangen wurden. Die Banden hörten nicht auf, alle Städte und Ortschaften, in denen sich französisches Militär befand, zu umschwärmen, und machten sich oft mit unglaublicher Frechheit bis vor die Tore der Städte, so daß es keinem einzelnen Soldaten zu raten war, sich nur auf hundert Schritte von denselben zu entfernen. Noch vierzehn Tage blieb das Bataillon, von dem aber beständig zwei Dritteile detachiert oder auf Streifzügen begriffen war, in Monteleone. Diese Stadt, welche eine sehr angenehme Lage in einer schönen Ebene, einer der fruchtbarsten und üppigsten von ganz Kalabrien, hat, ist ziemlich wohlhabend und war kein unangenehmer Aufenthalt für die Kompagnien, die sich nach ihren Strapazen in derselben erholen durften.

Trotz des wütenden Franzosenhasses der Kalabresen, den sie auch ihren Weibern und Kindern einprägten, gelang es mir dennoch, die junge Frau eines Krämers zu Monteleone auf meine Seite zu bringen, mit der mich der Zufall in nähere Berührung gesetzt hatte. Als ich eines Morgens aus meiner Wohnung trat, sprang gleich einem gescheuchten Reh ein junges weibliches Wesen mit feurig schwarzen Augen in dem zierlichen Kostüm dieser Gegend über die Straße hinüber zu einer Nachbarin und verlor dabei ihre große silberne, mit einem dicken Knopf versehene Haarnadel, mit welcher hier zu Lande die Frauen und Mädchen ihr dickes, seidenes Haar aufstecken und zusammenhalten, ohne daß sie ihren Verlust bemerkte. Als glücklicher Finder nahm ich mir vor, den Fund selbst wieder zu übergeben. Sie war aber schon in das Haus getreten, und als ich ihr folgen wollte, kam sie wieder mit aufgelösten Haaren zurück, das Kleinod ängstlich suchend, das ich ihr mit einem: „Ecco signorina quel che cercate!“ überreichte, worauf mir ein „Grazie molto!“ mit einem wohlgefälligen Blick wurde. – „E la buona mano?“ fragte ich nun. – „L’avrete!“ erwiderte sie, sich lächelnd entfernend, mir noch einen seelenvergnügten Blick zuwerfend, indem sie sagte, ihr Mann werde nicht ermangeln, für die buona mano zu sorgen. Was sie damit sagen wollte, begriff ich nicht. Aber eine Viertelstunde daran brachte mir der Mann ein kleines Körbchen mit allerlei Spezereien, womit er mich belohnen wollte, seiner Gattin die silberne Nadel wiedergegeben zu haben. Diese hatte es mit der buona mano ernstlich gemeint, und auch geglaubt, daß es mein Ernst gewesen, als ich eine solche begehrte, worüber ich herzlich lachen mußte. Dem Überbringer aber erklärte ich, daß, wenn ich die Sachen behalten solle, er ein Gegengeschenk dafür annehmen müsse, und ich gab ihm ein neapolitanisches Goldstück, das wenigstens den dreifachen Wert hatte. – „Alle Francesi sind doch keine Diavoli, wie unser Beichtvater versichert,“ meinte der gute Mann.

Die Feuerblicke der jungen Frau hatten indessen mein leicht entzündbares Herz in Flammen gesetzt, und ich spähte bald die Zeit aus, wann sie in die Kirche ging, wo ich aber das Weihwasser zur näheren Bekanntschaft nicht anwenden konnte, da die guten Kalabreserinnen diese Galanterie nicht kannten. Das Kirchengehen hätte mich nicht weiter gebracht, wenn mich nicht ein altes armes Weib beobachtet und bemerkt hätte, daß meine Augen immer mit Wohlgefallen auf der jungen Krämersfrau ruhten. Auch hielt sie mich für einen guten katholischen Christen, da ich, wie ich es schon seit meiner Ankunft in Italien getan, die hauptsächlichsten Zeremonien der katholischen Kirche mitmachte, was die wenigsten anderen Offiziere, wenn sie auch wirklich katholisch waren, taten. Ich gab dem alten Weib einige Male ein Almosen von ein paar Kupfermünzen; die zeigte sich dafür so erkenntlich, daß sie mir beim dritten Male ganz sotto voce sagte, wenn sie mir in irgend etwas dienen könne, ich es ihr nur anvertrauen möge, sie wolle es bestens besorgen, denn sie sähe wohl, daß ich ein buon christiano und kein diavolo francese sei. Ich ließ mich in ein Gespräch mit ihr ein und erfuhr, daß die hübsche Krämersfrau Bettina Bergella heiße und die Tochter eines Seidenwebers sei, die sie als Kind gewartet und oft auf ihren Armen getragen habe, sie erhalte auch immer noch kleine Geschenke von ihr. Ich gab der Alten einen Ducato, der sie noch weit gesprächiger machte, so daß sie mir ohne weitere Umstände erklärte, daß, wenn ich es wünsche, sie die Unterhändlerin zwischen der Signora Bergella und mir machen und die Sache schnell zu einem erwünschten Ziel bringen wolle. Ich nahm das Anerbieten dankbar an, und die alte Hexe hatte es schon in den nächsten vierundzwanzig Stunden so weit gebracht, daß ich eine Zusammenkunft in ihrer Kammer mit der jungen Frau hatte, welche sie zu bereden gewußt und versichert hatte, wie sie mir sagte, daß ich kein Diavolo francese sei, wie ihr Vater, ihr Mann und ihr Beichtvater vorgaben, auch würde sie durch den Umgang mit mir weder länger im Fegfeuer oder gar in der Hölle schmachten, da ich vom Papst selbst, den ich kenne, Absolution für alle Sünden für uns beide erhalten würde. Genug, sie hatte das Weibchen zu beschwatzen gewußt, die sich auch vielleicht gerne beschwatzen ließ und die Gründe der Alten mit Wohlgefallen anhörte. Ich schlich mich in der Dämmerung in die Wohnung der Unterhändlerin, und bald darauf fand sich auch die artige Kalabreserin, direkt von ihrem Vater kommend, daselbst ein. Sie sträubte sich zwar anfänglich ein wenig gegen meine Liebkosungen, aber es war mehr Ziererei als Verschämtheit, und während ich sie mit kalabresischem Feuer in die Arme schloß, machte die Alte die Aufpasserin, damit wir nicht überrascht werden konnten. Ich hatte auf diese Weise wohl ein halbes Dutzend Zusammenkünfte mit Bettina während meines Aufenthaltes in Monteleone. Die alte Hexe, die sich vortrefflich dabei stand und von beiden Seiten Geschenke erhielt, bot sich an, mir noch andere junge Weiber aus dem Orte zuzuführen, wenn es mir Vergnügen mache. Aber ich verbat es mir, auch währte mein Hiersein nur noch wenige Tage, denn ich wurde nochmals mit der Kompagnie, und zwar nach Mileto detachiert, wo wir indessen nur drei Tage blieben. Monteleone war, Cosenza ausgenommen, wohl mit der angenehmste Aufenthalt in ganz Kalabrien, und muß vor dem furchtbaren Erdbeben von 1783, welches die ganze Provinz schrecklich verwüstete und vielen tausend Einwohnern das Leben kostete, noch weit bedeutender gewesen sein. Noch waren hier sowie in Mileto die Spuren von diesem entsetzlichen Naturereignis sichtbar, und allenthalben stieß man auf in Ruinen verwandelte Gebäude. Auch zählten vor diesem Unglück diese Städte mehr als die doppelte, ja dreifache Einwohnerzahl, kaum daß der dritte Teil der zerstörten Häuser wieder aufgebaut war.

Mileto liegt auf einer Anhöhe unfern den Ruinen des alten Miletus. In dieser Gegend war es, wo vor wenigen Monaten der Prinz von Hessen-Philippsthal von Regnier geschlagen worden war. Ich besuchte das Schlachtfeld, auf welchem damals der Besitz des Königreiches entschieden wurde; denn wurde Regnier nochmals geschlagen, so war Neapel für den neuen Herrscher verloren. Von hier wurden wir sowie das ganze in Monteleone, Nicastro und so weiter stehende Bataillon nach Seminara beordert. Der Marsch dahin über Rosarno, Drosi und so weiter und die Wege waren abscheulich. Oft war kaum durchzukommen, und wir mußten ungeheure Umwege machen, um Stellen aufzufinden, wo wir die hoch angeschwollenen Wald- und Bergströme passieren konnten, was immer mit großer Gefahr verbunden war. In Rosarno, sodann in Gioja und Drosi wurde Nachtquartier gemacht, und zu Seminara angekommen, ein Teil des Bataillons nach Palma detachiert. Alle diese Orte waren bei dem schrecklichen Erdbeben von 1783 fast gänzlich zerstört worden und noch weit entfernt, sich nach einem Vierteljahrhundert wieder erholt zu haben. Überall stieß man auf Trümmer, und Seminara, das vor dem Erdbeben mehr als zwölftausend Einwohner zählte, hatte deren jetzt kaum dreitausend, war nur an einer Stelle wieder aufgebaut, und mehr als viertausend Menschen waren unter dem Schutt der eingestürzten Häuser begraben worden. Auch Palma, das an dem Ufer des Meeres liegt, hatte zwei Dritteile seiner Bewohner verloren, war aber wieder sehr regelmäßig hergestellt. Kaum hatten wir zweimal vierundzwanzig Stunden geruht, so wurden zwei Kompagnien, worunter die meinige, vor Sciglio oder Scilla, und zwei andere vor Reggio beordert. Diese beiden Festungen waren noch von den Engländern und Sizilianern besetzt und wurden von uns blockiert und belagert. Scilla, welches der Tyrann Anaxilas von Rhegium gegründet, und das ebenfalls durch jenes Erdbeben stark mitgenommen wurde, liegt in einer weiten Schlucht unfern dem Kap Scilla, zu der man nur von der See aus gelangen kann. Die Stadt selbst, die etwa fünf- bis sechstausend Einwohner zählte, lehnt sich an einen hohen Felsen dieser Schlucht, und auf einem zweiten, ihr gegenüber liegt das feste Schloß, welches von ungefähr fünfhundert Briganten und Sizilianern verteidigt wurde. Eine in den steilen Felsen gehauene schmale Treppe verbindet das Fort mit der Stadt, und vermittelst den in der Meerenge liegenden englischen Schiffen unterhielt die Besatzung ihre Kommunikation ununterbrochen mit Sizilien. Von hier, wo noch wenig Aussicht war, sich dieser Feste zu bemächtigen, wurde meine Kompagnie ebenfalls vor Reggio beordert. Die Wahrscheinlichkeit war aber ebenso gering, diese Stadt zu nehmen, da sie eine gute englisch-sizilianische Besatzung hatte. Es fehlte uns immer noch an hinlänglichem Belagerungsgeschütz, das die Engländer größtenteils gekapert, und die bloße Blockade zu Land, da die Garnison mit allem Notwendigen von der See aus versorgt wurde, brachte uns nicht weiter. Wir waren zehnmal übler daran als die Belagerten, denn wir litten Mangel an allem. Das unaufhörliche Regenwetter machte diese Belagerung oder vielmehr Blockade zu dem unangenehmsten Geschäft von der Welt. Das ganze Erdreich hatte sich sozusagen in Schlamm aufgelöst, alle Waldströme waren ausgetreten. Die Wälder selbst, an vielen Orten nur auf Schußweite von der Küste entfernt, wimmelten von Briganten und Insurgenten, die nicht aufhörten, uns zu beunruhigen, ohne daß wir etwas Nachdrückliches gegen sie zu unternehmen imstande gewesen wären. Sie stürzten sich wie reißende Tiere wütend auf jede Beute, die sich ihnen darbot, und von der sie mit Sicherheit voraussehen konnten, daß sie ihnen zuteil werden mußte. Wir, die Belagerer, waren gewissermaßen wieder belagert und blockiert, da uns von diesen Wald- und Höhlenbewohnern oft die besten Zufuhren weggenommen oder abgeschnitten wurden. Trotzdem mehrere bedeutende Orte, wie Calanna, San Agata und andere Dörfer in der Nähe von Reggio lagen, welche abwechselnd von den Truppen, um sich zu erholen, besetzt wurden, mußten wir doch manchmal eine ganze Woche unter freiem Himmel und im Regen, Schlamm und Wasser kampieren, ohne daran denken zu können, die Kleider am Leibe nur einmal zu trocknen. Denn indem man das Hemd wechselte, wenn man ja eines zu wechseln hatte, wurde dasselbe schon wieder durch und durch naß. Kein Feuer brannte mehr und die aufgeworfenen Erdhütten waren voll Wasser. Man stand oder saß im Morast, während das Wasser am Körper in Strömen herabrollte, und dabei oft kein Stück trockenes Brot, viel weniger etwas Warmes zu essen. Nur Wein und Branntwein war meistens in hinlänglicher Quantität vorhanden. Man sollte kaum glauben, daß Menschen nur vierundzwanzig Stunden solche Strapazen auszuhalten imstande seien. Aber wie vermag sich der Körper nicht abzuhärten! Daß ich in meiner Kindheit und bei Breidenstein so hart und rauh gehalten worden, kam mir jetzt sehr zu statten. Zwar blieb mein Fieber nicht aus, aber China und roter Wein verscheuchten es wieder. Unsere Kranken mehrten sich übrigens bald auf eine Weise, welche Schrecken und Besorgnis einflößen mußte.

Schön ist der Anblick der Meerenge von Messina, das man mit seinem Mastenwald und dem prächtigen Hafen von der diesseitigen Küste erblickt, ebenso im Hintergrunde die Rauchwolken des kolossalen majestätischen Ätna. Bei einer späteren Fahrt durch diese Meerenge mit einer französischen Flotte, 1814, von Korfu kommend, hatte ich Gelegenheit, die herrlichen Küsten Siziliens ganz in der Nähe in Augenschein zu nehmen. Der Gipfel des alten Ätna war jetzt mit Schnee bedeckt, aus dem der Rauch emporzuquellen schien.

Nach beinahe drei Wochen, als wir fast zwei Dritteile der Leute, die nur schlecht gepflegt werden konnten, eingebüßt hatten, wurden wir endlich durch neue, von Neapel ankommende Bataillone abgelöst. Wir marschierten, noch immer unter Regen, fast schuhlos und abgerissen, über Monteleone, Nicastro und so weiter bis nach Cosenza zurück. Es war wirklich ein Jammer, anzusehen, wie die Leute auf den grundlosen Wegen, mit den mit Stricken an den Füßen befestigten Stücken von Ziegenfellen, die immer wieder rissen, bei der schlechtesten Kost, vorwärts mußten. Auch die Gamaschen und Beinkleider hingen schon ziemlich zerlumpt um die Waden. Oft bedurfte es keiner geringen Anstrengung, die Füße aus dem Morast zu bringen, wo dann die Schuhlappen oder Felle noch stecken blieben und mit bloßen Füßen weiter marschiert werden mußte, bis man wieder etwas fand, sie zu bedecken. Erst in Cosenza wurde diesen beklagenswerten Übelständen teilweise abgeholfen, neue Schuhe ausgeteilt und ein vierwöchentlicher Sold ausgezahlt. Wir befanden uns wie in einem Paradies, und die Soldaten vergaßen in den Schenken jubilierend alles ausgestandene Ungemach bei dem starken roten Wein. Nach einer fünftägigen Rast und bestmöglichster Restauration brachen wir nach Neapel auf. Aber die Wege waren nicht besser, wohl noch schlimmer, die Bäche und Flüsse kaum mehr zu passieren, und ehe wir nach Tarsia kamen, ertranken vier Mann in dem Fluß Crati, durch den Strom von der Masse weggespült, hinter Castrovillari wieder zwei in einem Waldbach. Endlich rückten wir anfangs Dezember, nach unbeschreiblichen Strapazen und Entbehrungen, ganz zerlumpt und mit kaum einem Dritteil der ausmarschierten Mannschaft in Neapel ein, wo ich mein altes Quartier in Giesù nuovo wieder bezog und mehrere Briefe vorfand, unter denen einer, der mir Gertrudens glückliche Niederkunft meldete.

Schon in den ersten zwei Tagen übergab mir Madame Gasqui die Rolle des Britannikus, mit der Bitte, sie doch möglichst schnell einzustudieren, da die Königin den Wunsch geäußert habe, dieses Trauerspiel von Racine aufführen zu sehen. – „Aber, lassen Sie mich um Gotteswillen nur zu Atem kommen,“ bat ich die in mich dringende Schöne, und acht Tage später spielte ich wirklich den Britannikus ganz zur Zufriedenheit Ihrer Majestät, wie sie mir selbst zu versichern geruhte, und hoffte nun für die ausgestandenen Leiden ein recht vergnügtes Hofleben, ein angenehmes Weihnachtsfest, und einen noch fröhlicheren Karneval in der Hauptstadt des irdischen Paradieses, in welchem ich auch mein Helenchen wieder aufgesucht und einige sehr schöne Hofdamen in Perspektive hatte, in dolce giubilo zuzubringen. Aber ich machte die Rechnung ohne den Wirt, denn acht Tage nach der Vorstellung des Britannikus eröffnete mir der Oberst Omeara, daß ich nebst noch sieben anderen Offizieren, von den beiden ersten Bataillonen, wieder nach Genua abgehen müsse, wo ein viertes Bataillon aus der dort im Depot angekommenen Mannschaft schnell formiert werden solle und zu dem ausdrücklich die tüchtigsten Offiziere des Regiments versetzt werden müßten, da, wie es schien, dasselbe eine besondere Bestimmung erhalten würde. Schon den nächsten Tag erhielten wir unsere Marschrouten nebst der Ordre, in drei Tagen abzureisen. Ich ordnete meine Sachen, nahm von Moritz und den anderen Bekannten und Damen Abschied, und machte mich an dem festgesetzten Tage mit meinen Kameraden auf dem Wege nach Rom.

VIII.
Reise von Neapel nach Genua und von da zur See nach Marseille. – Marsch von Marseille nach Perpignan. – Perpignan. – Eine spekulative Spröde. – Toulouse. – Formierung des zweiten Observationskorps an den Pyrenäen. – Ich werde zum dritten Reservekorps versetzt. – Bayonne. – Bordeaux. – Bazas. – Hasparren. – Napoleons Intrigen gegen Spanien. – Abmarsch nach diesem Land. – St. Jean de Lüz.

Ich war mit den mit mir versetzten Offizieren übereingekommen, daß wir diesmal mit ein paar Vetturini die Reise so weit es tunlich, zurücklegen wollten. Mein Pferd, eines hatte ich verloren, ließ ich durch meinen Burschen nachbringen. Wir fuhren ein paar Stunden vor Sonnenaufgang zu dem nach Aversa führenden Tor hinaus, und kamen schon am Abend des folgenden Tages in Rom an. Hier weilten wir vierundzwanzig Stunden, und ich suchte außer der Prinzessin Cesarini, die über mein unverhofftes Kommen erfreut und erstaunt war, und mit einem triumphierenden Blick mir den zur Welt gebrachten Knaben zeigte, aber trostlos schien, als ich ihr meine so nahe bevorstehende Abreise verkündete, niemand auf. Ich schied von ihr, die Hoffnung aussprechend, daß wir uns in ganz kurzer Zeit und dann gewiß auf länger wiedersehen würden. Sie erzählte mir viel von den Unannehmlichkeiten, denen sie fortwährend hauptsächlich durch die Verwandten ihres Mannes ausgesetzt sei, die ihr das Leben schrecklich verbitterten.

Wir setzten unseren Weg über Florenz, wo wir einen Tag blieben, fort, und fuhren dann rastlos über Pistoja, Lucca, Massa, Spezia, Chiavari und so weiter, später Extrapost nehmend, bis Genua, wo wir in der zweiten Hälfte des Dezembers eintrafen, und wo uns Herr von Brüge bei den neu errichteten Kompagnien einteilte. Nach und nach wurden zu jener Zeit die Regimenter bis auf sechs Bataillone, ohne das Depot, gebracht und erhielten dann noch einen Colonel en second. Mir wurde die Karabinier-Kompagnie des neuen Bataillons zuteil. Zugleich wurde uns angekündigt, daß sich dasselbe spätestens in drei Tagen einschiffen müsse, um mit dem ersten günstigen Wind nach Marseille abzufahren, wo wir vermutlich weitere Order erhalten würden. Die wenigen Tage unseres Aufenthaltes in Genua brachte ich meistens in den Kasernen und bei Brüges zu, ohne meine früheren Bekanntschaften aufsuchen zu wollen. Namentlich vermied ich es sorgfältig, mit der tollen Giulietta zusammenzutreffen. Erst den Tag vor unserem Einschiffen machte ich meinem alten Gitarrenlehrer einen Besuch, und erfuhr von diesem daß die Marchesa P... noch immer kränkle, die Spinola melancholisch sei und die Palatini sich oft nach mir erkundige. Letztere wünschte ich noch zu sehen, und die alte Guercino veranstaltete, daß ich am Abend vor unserer Einschiffung noch eine Zusammenkunft mit ihr hatte, die wegen der schnellen Trennung, mein Dasein war fast nur eine Erscheinung, recht zärtlich-traurig ausfiel. Guercinos schenkte ich eine Quadrupel. Das Geld, das ich der Kompagnie in Kalabrien vorgeschossen, hatte ich mir einstweilen in Neapel von Moritz geben lassen, und diesen deshalb auf die Regimentskasse angewiesen, sobald bezahlt würde, was auch einige Wochen nach unserer Abreise geschah. Erst den fünften Tag verließen wir mit günstigem Wind den Hafen von Genua, in mehreren Felukken und anderen Küstenfahrern eingeschifft. Es war zehn Uhr morgens, als wir die Anker lichteten. Der uns gut zu statten kommende Nordost blies tüchtig in die Segel, war aber auch Schuld, daß die kleine Flottille bald getrennt war. Einige Fahrzeuge derselben entfernten sich von der Küste und steuerten gegen Süden. Die Unglücklichen! Sie wurden noch denselben Tag von einer englischen Fregatte genommen, ohne den geringsten Widerstand leisten zu können. Die Felukke, auf der ich mich befand, hielt mit noch einigen anderen, die bei uns geblieben waren, in Albenga, Monaco und auf meine Veranlassung an der Insel Porquerolles an, um uns dort zu restaurieren. Den dritten Tag nach unserer Abfahrt von Genua liefen wir glücklich in den Hafen von Marseille ein, wo wir ein paar Tage in der Quarantäne zubringen mußten. Noch fehlte das Schiff, auf welchem sich unser Bataillonschef, Herr von St. Agneau, befand, und wir glaubten es auch von den Engländern gekapert, aber vierundzwanzig Stunden später traf es ein. Aus der Quarantäne entlassen, marschierten wir sogleich, ohne uns in Marseille aufzuhalten, nach Aix ab. Unsere Bestimmung lautete vorerst nach Perpignan. Wir kamen nun über Lambeß, Orgon, Saint Remis, Tarascon, Lünelle, lauter mir schon bekannte Orte, nach Montpellier, wo wir einen Rasttag hatten. Hier besuchte ich die Herren Michel und Gayral und fand Madame Gayral ziemlich verändert, ebenso die Verteuil, die noch bei dem Theater daselbst war. Von hier kamen wir über Gignac, Mèze, einem Städtchen von viertausend Einwohnern, nach Pezenas, das ein Schloß mit einer sehr schönen Aussicht hat und schon zur Zeit der Römer wegen seiner feinen Wolle berühmt war. In Beziers, wohin wir den folgenden Tag marschierten, hatten wir wieder Rasttag. Diese alte Stadt hatte noch Mauern und antike Türme und liegt an der Orbe und dem Kanal Du Midi. Auch ihre Lage ist entzückend und die Einwohner sind davon so eingenommen, daß sie ein Sprichwort haben, welches sagt: „Wollte Gott die Erde bewohnen, so würde er keinen anderen Ort als Beziers zum Aufenthalt wählen.“ Dagegen ist die Stadt selbst um so weniger einladend und hat meist enge, finstere, krumme und schmutzige Straßen. In einer engen Gasse liegt der gotische Palast der Montmorency. Ein Narr aus dieser Familie hatte hier jenes Gemälde, die Sündflut darstellend, verfertigen lassen, unter welchem man die Worte las: „Ah mon Dieu, sauvez la maison des Montmorency!“ Indessen gab es solche Stammbaumsnarren in allen Ländern, wo Ahnen spukten, und auf die gar oft ein stämmiger Kutscher oder tüchtiger Jäger ein Reis pfropfen mußte, sollte er nicht völlig eindorren. Als wir in Perpignan, unserem geglaubten Bestimmungsort, ankamen, nahm ich wieder mein altes Hilfsmittel, einen gewandten Haarkünstler und Bartkratzer zur Hand, hauptsächlich, um mir ein angenehmes Quartier ausfindig zu machen, da die Einquartierungsbillette nur auf drei Tage lauteten. Mit seiner Hilfe fand ich auch schon den zweiten Tag ein solches bei der artigen Frau eines Officier payeur namens Delongé, der bei der Armee in Deutschland stand und seine trauernde Gattin nur selten mit Nachrichten von sich erfreute. Ich mietete sogleich auf einen ganzen Monat für achtzehn Franken, ohne zu handeln, ein paar Zimmer. Die junge Dame war aus Bordeaux gebürtig, wo ihr Vater, früher ein reicher Kaufmann, falliert hatte, und der nun eine untergeordnete Stelle in Perpignan bekleidete. Die französischen Sitten und selbst die Sprache, das languedoquer Patois, die von den italienischen so sehr abwichen, kamen mir jetzt fast sonderbar vor. Der zweijährige Aufenthalt in Italien hatte mich denselben ganz entfremdet. Der Abstand ist so groß, als läge das Weltmeer zwischen beiden Ländern. Doch fand ich mich schnell wieder in das französische Wesen.

Meine artige Hauswirtin bat ich, mir den Mittagstisch bei ihr, versteht sich gegen gehörige Vergütung, zu geben, wozu sie sich aber nicht verstehen wollte und überhaupt gegen die Gewohnheit der militärischen und auch anderer Strohwitwen sehr spröde tat, kaum daß sie mir die Hand zum Kuß erlaubte, und wenn ich ihr dieselbe drücken wollte, gleich mit einem: „Fi donc, vous me faites mal“ bei der Hand war. Drei Tage wohnte ich schon bei ihr, hatte es aber noch nicht weiter als bis zum Handkuß beim Willkomm und beim Abschied bringen können. Den vierten wurde plötzlich bei der Parade der Befehl bekannt gemacht, daß wir in zweimal vierundzwanzig Stunden nach Bayonne abmarschieren würden. Ich teilte diese Nachricht sogleich der Madame Delongé bei meiner Nachhausekunft mit, worüber sie ganz erstaunt zusammenfuhr und zu erschrecken schien und endlich mit einem „Vous plaisantez“ herausfuhr. „Point du tout, c’est très serieux,“ erwiderte ich, und mich stellend, als setze ich dies Erschrecken auf Rechnung der Miete, fügte ich hinzu: „Aber seien Sie ganz ruhig, die Miete werde ich doch für den ganzen Monat berichtigen.“ Errötend ließ sie nochmals ein: „Fi donc, halten Sie mich für so interessiert?“ fallen. – „Also ist es wirklich an dem, daß Ihr Bataillon schon übermorgen Perpignan verläßt?“ – „Leider nur zu wahr,“ seufzte ich, ihr die Hand wieder küssend und drückend, und diesmal erfolgte kein ‚Fi donc‘, sondern man ließ das niedliche Pätschchen in der meinigen ruhen. Ich zog es nun näher an mich, drückte es, ohne Widerstand zu finden, an mein Herz und bald darauf einen Kuß auf die sich rötenden Wangen der Dame. – „Sehen Sie,“ sagte ich ihr jetzt, „was wir für eine kostbare Zeit vertändelt haben; daran ist allein Ihre unzeitige Sprödigkeit schuld.“ – „Ja, wer hätte auch denken können, daß ...“ Hier blieb sie, sich besinnend, plötzlich stecken. – „Fahren Sie doch fort, meine Schöne: daß wir uns so schnell trennen müssen? Ist es nicht das, was Sie sagen wollten?“ – „Das nicht, aber –“ „Aber es ist doch so,“ ergänzte ich nochmals, zog die immer röter werdende Madame Delongé an mich, und bald lag sie umschlungen in meinen Armen, Brust an Brust. – „Sehen Sie, so geht es, wenn man die Grausame zur Unzeit spielen will.“ Es kam nun zu einem allerliebsten Schäferstündchen, nach dem mir die Dame offen gestand, daß, da die Herren vom Militär in der Regel so sehr volage seien, sie geglaubt habe, mich besser zu fesseln, wenn sie mich lüsterner nach der verbotenen Frucht mache; „denn,“ setzte sie hinzu, „gar bald wird man vernachlässigt, wenn man sich so schnell ergibt.“ – „So, also haben Sie schon die Erfahrung gemacht,“ versetzte ich lachend. – „Das eben nicht, aber so habe ich immer gehört.“ – „Ah, das ist etwas anderes; aber lassen Sie uns die kurze Zeit, die uns noch übrig bleibt, wohl nutzen.“ Dies taten wir denn auch, und so wohl, daß ich die zwei Nächte, die wir noch in Perpignan blieben, fast kein Auge zu schließen vermochte. Auch hatte ich nun die Ehre, ihr Tischgenosse mittags und abends zu sein, wofür ich Antoinetten, so durfte ich sie jetzt nur noch nennen, ein schönes goldenes Armband mit drei Pensées und dem eingegrabenen Datum, aber ohne Namenszug, vor der Abreise zum ewigen Andenken verehrte. Auch das sie bedienende Mädchen, das in einem Kämmerchen neben der Herrin schlief und nur durch eine dünne Bretterwand von derselben geschieden war, bedachte ich großmütig, damit sie reinen Mund halte und die Blinde, Taube und Stumme spielen möchte, wenn sie mich allenfalls in den bloßen Strümpfen in das gastfreundliche Seitengemach schlüpfen sah oder hörte; doch glaube ich nicht mit Unrecht, daß sie die sehr Vertraute ihrer Dame war. Eben schlummerte ich ein wenig, als am Morgen nach der zweiten Nacht die Tambours das unerbittliche Rappellieren hören ließen. Ich nahm noch einmal Abschied, warf mich in die Uniform, schnallte den Degen um und riß mich nach einem letzten Kuß aus Liebchens heißen Armen. Eine Stunde darauf befand ich mich mit dem Bataillon auf dem Marsch nach Salces, von wo es über Narbonne nach Carcasonne, der Hauptstadt des Departements Aude, die am Fluß dieses Namens und an dem Kanal Du Midi liegt, ging.

Von hier führte uns der Weg über Villepinte nach Villefranche, einem kleinen Städtchen im Departement Haute-Garonne, und von da nach Toulouse, wo mir ein Sejour gestattete, diese alte berühmte Stadt wenigstens oberflächlich kennen zu lernen.

Toulouse liegt an der Garonne, die sie in zwei Teile teilt, von denen der kleinere St. Cyprien heißt; beide sind durch eine sehr schöne Brücke verbunden, zu der ein Triumphbogen führt, der im siebzehnten Jahrhundert erbaut wurde. Wälle und alte Mauern befestigen die Stadt, die breite, gutgepflasterte Straßen, zum Teil schöne Häuser, einige große Plätze und sehr schöne Promenaden hat, wozu man die herrliche Esplanade zählen muß. Auch ist hier eine gute Kanonengießerei. Die Zahl der Einwohner mag an achtzigtausend betragen. Die Lage und die Umgebungen der Stadt sind himmlisch. In dieser Stadt wurde 1762 der unglückliche und unschuldige Calas als ein Opfer des scheußlichen Ungeheuers, religiöser Fanatismus genannt, hingerichtet.

Von Tarbes kamen wir nach dem Geburtsort Heinrich IV., Pau, der ehemaligen Hauptstadt von Bearn, jetzt die der Basses-Pyrenées. Bernadotte, der nachmalige König von Schweden (Karl XIV.), wurde hier geboren. Sie liegt am rechten Ufer der Gave de Pau, hat ziemlich breite und gut gebaute Straßen und an neuntausend Einwohner. In den Mauern des alten, einer großen Burg ähnlichen Schlosses, das dereinst die Residenz der Könige von Navarra war, hat Heinrich IV. das Licht der Welt erblickt. Zur Zeit der französischen Revolution wurde es sehr mitgenommen und dann zum Staatsgefängnis gemacht; aber der Park, in welchem Heinrich so oft der Jagdlust pflegte, ist noch vorhanden, ebenso der Cours Bayard, der eine der besuchtesten Promenaden ist, deren es hier sehr schöne gibt. Von der Brücke, die über den Gave de Pau führt, hat man eine großartige Aussicht auf die sich riesenmäßig amphitheatralisch erhebenden Pyrenäen. Der Aufenthalt in Pau ist wegen seiner reinen und gesunden Luft sehr gesucht, und das ganze Jahr hindurch halten sich viele Fremde hier auf; auch ist das Leben angenehm und wohlfeil, die Einwohner sind leutselig und gefällig. Die Umgegend ist entzückend und sehr malerisch.

In Pau sollten wir bis auf weitere Order liegen bleiben; die ganze Umgegend, besonders nach Bayonne zu, wimmelte von Truppen jeder Waffengattung, die zum Teil auf Wagen herbeigefahren waren, was uns nicht so gut geworden. Niemand konnte noch mit einiger Gewißheit sagen, was diese abermalige Versammlung eines Heeres in dieser Gegend bezwecke, obgleich jedermann der Meinung war, daß es auf Spanien abgesehen sein müsse und wir dem Marschall Jünot folgen würden, da schon Truppen vom zweiten sogenannten Observationskorps in Spanien eingerückt waren.

Die Weihnachten und das Neujahr 1808 hatten wir diesmal auf dem Marsch zugebracht, ohne an irgendeine Feier zu denken. Jetzt erhielt das Bataillon Befehl, gegen Bayonne aufzubrechen, in dessen Nähe es verlegt werden sollte. Zu der nach Spanien bestimmten Armee hatte man besonders neu formierte Korps gebildet, welche die Benennung Legions de reserve für die Infanterie und Regiments provisoirs für die Kavallerie, Dragoner, Kürassiere, Chasseurs à cheval und so weiter erhielten. Die Mannschaft dazu hatte man teils aus den Depots anderer Regimenter, teils aus der antizipierten Konskription von dem Jahre 1808 genommen. Schon längst hatte ich eine Versetzung in ein französisches Regiment und das Regiment Y. zu verlassen gewünscht, aber bis jetzt vergeblich darnach getrachtet, und am liebsten wäre ich zur leichten Kavallerie, namentlich den Husaren oder Chasseurs à cheval gegangen. Jetzt schien mir die Formierung des nach Spanien bestimmten Heeres eine passende Gelegenheit, dieses Projekt auszuführen und die Versetzung zu einem anderen Regiment durchsetzen zu können, obgleich ich aller Protektion dazu entbehrte. Meine Dienstzertifikate hatte ich mir vor unserer Abreise nach Neapel ausfertigen lassen. Ich lag mit meiner Kompagnie in einem ungefähr anderthalb Stunden von Bayonne entfernten Weiler, besuchte aber oft diese Stadt, in welcher sich jetzt ein sehr glänzender und zahlreicher Generalstab befand. Hier war das große Depot für alle nach Spanien bestimmten Truppen, wo es beständig von Offizieren und Soldaten aller Waffengattungen wimmelte. So machte ich in einem Kaffeehause die Bekanntschaft eines Stabsoffiziers vom zweiten Regiment garde de Paris, das dem zweiten Observationskorps der Gironde zugeteilt war, welches der General Düpont en Chef kommandierte. Durch diesen Offizier, einen Bataillonschef namens Bardin, erfuhr ich, daß unser ehemaliger Oberst, Fürst Y..., ganz kürzlich als Brigadegeneral bei der ersten Division des vom Marschall Moncey befehligten Observationskorps stand. Bardin hatte den Fürsten öfters in Paris gesehen und fragte mich nach dessen Verhältnissen in Deutschland; wir waren beide bald darin einverstanden, daß sich derselbe niemals als ein großer Kriegsheld im Feld hervortun würde, auch riet mir Bardin, alles anzuwenden, um in ein anderes Regiment zu kommen, da das Regiment Y... sowie Latour d’Auvergne in einem schlimmen Ruf in der Armee stünde wegen der Desertionen und Exzesse, welcher sich Soldaten und Offiziere desselben schuldig machten. Ich erwiderte ihm, daß der Rat wohl gut und dies schon längst mein Wunsch sei, aber es mir durchaus an Bekanntschaften fehle, um ihn in Erfüllung zu bringen, und dies um so schwerer sei, weil ich kein geborener Franzose, sondern jetzt ein Untertan des Großherzogs von Frankfurt sei. Bardin erkundigte sich nach meinen bisherigen Dienstverhältnissen, nach den Kampagnen, die ich bereits gemacht, und ersuchte mich, ihm meine Etats de services den nächsten Tag mitzubringen, er könne vielleicht Mittel und Wege finden, mir in dieser Angelegenheit behilflich zu sein. Mit Freuden tat ich, was er verlangte, und brachte ihm schon den nächsten Morgen die gewünschten Papiere in sein Quartier. Nachdem er sie durchgesehen, versprach er mir, sich bei dem General Legendre, den er persönlich kenne und der Chef vom Etat-Major bei dem vom General Düpont befehligten Armeekorps von fünfundzwanzigtausend Mann sei, für mich zu verwenden und mich ihm bestens zu empfehlen. Bald versicherte er mir, daß meine Angelegenheit recht gut stünde und ich nächstens Neues erfahren werde; in der Tat wurde ich schon zehn Tage später auf Befehl des Marschall Moncey provisorisch der dritten Legion der Reserve zugeteilt und bald darauf vom Kriegsminister definitiv bei derselben angestellt.

Von Bayonne wurde ich nach Bordeaux beordert, wo noch eine Abteilung der Legion, bei der ich jetzt stand, lag. Ich fuhr mit der Post dahin und ließ meine beiden Pferde – ein zweites sehr gutes hatte ich in Pau gekauft – durch meinen Reitknecht nachbringen. Ohne mich irgendwo aufzuhalten, erreichte ich diese berühmte Handelsstadt Frankreichs und meldete mich bei dem das zweite Bataillon kommandierenden Bataillonschef, der mir die dritte Kompagnie seines Bataillons übergab. Diese Legionen hatten weder Grenadier-, Karabinier- noch Voltigeurkompagnien. Herr Marlot, so hieß mein Chef, nahm mich recht freundlich auf und teilte mir mit, daß er jeden Tag den Befehl zum Abmarsch nach Bayonne erwarte, da die vier letzten Kompagnien schon völlig organisiert und marschfertig seien. Ich ließ mir schnell die bei meiner Legion notwendige neue Uniform machen und gab meinen neuen Kameraden, die sämtlich aus verschiedenen französischen Regimentern zu derselben versetzt worden waren, ein kleines Fest, nämlich ein Dejeuner, bei dem die Bayonner Schinken und die besten Bordeauxweine die Hauptbestandteile ausmachten und in Überfluß serviert wurden. Denselben Abend besuchten wir das große schöne Theater, unstreitig das schönste in Frankreich, das 1781 erbaut wurde und ein Meisterstück des Architekten Louis sowie der Baukunst überhaupt ist. Seine prächtige Fassade ist mit zwölf korinthischen Säulen verziert, und zwölf mit den Säulen korrespondierende Statuen schmücken die Balustrade. Das Vestibül und die Prachttreppe sind majestätisch. Außer der großen Bühne, die zum Teil außerordentlich schöne Dekorationen, wirkliche Meisterstücke der Dekorationsmalerei aufzuweisen hat, sind noch viele Säle, wie der für Konzerte, der prächtige Foyer, der Malersaal und so weiter, alle der Pracht des Gebäudes entsprechend, in demselben.

Den sechsten Tag nach meiner Ankunft zu Bordeaux erhielten wir Befehl zum schleunigen Abmarsch, den wir den folgenden in aller Frühe antraten. Durch verschiedene unbedeutende Orte kamen wir nach Bayonne, wurden aber vorerst nach Hasparren, einem Kantonsstädtchen in der Nähe von Bayonne, verlegt, wo wir jedoch nur zwei Tage blieben. Es war jetzt die ganze Gegend so sehr mit Truppen aller Art angefüllt, daß nicht selten Stabsoffiziere in den elendesten Baracken einquartiert waren. Ich selbst hatte noch ein ziemlich leidliches Quartier mit noch einigen Offizieren bei einem Viehhändler.

Die Vereinigung einer solchen Truppenmasse auf diesem Punkt und der Zweck derselben war, wie gesagt, noch immer ein halbes Rätsel. Daß es Spanien gelten solle und wir den schon daselbst befindlichen Truppen folgen würden, war ein großes Geheimnis, das noch niemand zu enthüllen vermochte. Aber was dort tun, da ja Frankreich im tiefsten Frieden mit diesem Lande lebte und sein Herrscher der beste Freund Karls IV. schien. Daß das kleine Portugal eine solche Heeresmasse notwendig mache, wollte niemand einleuchten; aber niemand fiel es auch nur im Traum ein, daß es auf Spanien abgesehen sei, und keiner von uns hielt damals den Kaiser Napoleon solcher heillosen Intrigen fähig, wie er sie bald darauf anspann. Diese große Beutelschneiderei, denn wie soll man es anders nennen, durch welche er Spanien an sein Haus bringen wollte, war eine ebenso dumme wie unpolitische Büberei, ein Schurkenstreich, der bittere Früchte tragen mußte und der, als er bekannt wurde und offenbar am Tag lag, auch die eifrigsten Verehrer und Anbeter seines Urhebers tief betrübte und verletzte; dabei wurde alles so linkisch angesponnen und angegriffen, daß es kaum zu begreifen war, wo Napoleon seinen Kopf hatte; denn hätte er sich nur öffentlich gegen den mit Recht verhaßten und verachteten Friedensfürsten Godoy erklärt und dann dem spanischen Volk einige Monate Zeit gelassen, seinen angebeteten Götzen Ferdinand VII. näher kennen zu lernen, so hätte er das leichteste Spiel von der Welt und die ganze spanische Nation für sich gehabt, so wie seine erbärmliche Hinterlist und dummtückischen Streiche ihm dieselbe notwendig zum erbittertsten Feind machen mußten. – Diese verblendete Einsichtslosigkeit und Schlechtigkeit mußte Napoleon schwer büßen.

Der geheime Vertrag, der im Oktober 1807 zwischen beiden Kronen abgeschlossen war, besagte, daß ein Korps von vierundzwanzigtausend Mann französischer Truppen sich im November bei Bayonne versammeln und bereit halten sollte, in Spanien einzurücken, um nach Portugal zu marschieren und den Engländern, welche dieses Land unaufhörlich bedrohten, zuvorzukommen. Diesen Heerhaufen hatte man das erste Observationskorps der Gironde genannt, und es rückte schnell in Spanien vor. Hierauf wurde sogleich ein zweites, ebenso starkes formiert und nach Bayonne und die Umgegend verlegt, zu dem wir gehörten; auch dieses sollte nun schnell in Spanien einrücken, aber immer als Verbündete des Herrschers dieses Landes. Schon anfangs Dezember war ein Teil desselben dem ersten Korps nach Spanien gefolgt, und unsere Legion erhielt noch in der ersten Hälfte des Monats Januar denselben Befehl. – St. Jean de Lüz, ein großer Hafen im Golf der Gascogne, eine Grenzfestung gegen Spanien mit ungefähr viertausend Einwohnern, war das letzte französische Nachtquartier vor unserem Einmarsch in Spanien. Hier war es, wo Ludwig XIV. nach dem mit diesem Land geschlossenen Frieden 1660 seine Vermählung mit der Infantin Maria Theresia, der Tochter Philipps IV., feierte. 1793 hatte daselbst ein Gefecht zwischen den Spaniern und den Franzosen stattgefunden. – Es war den 13. Januar 1808, als wir über die Bidassoa gingen, die Spanien von Frankreich trennt, und so die Grenze überschritten. Auch dieser Fluß war ein verhängnisvoller Rubikon für Napoleon.

IX.
Einmarsch in Spanien. – Die baskischen Provinzen. – Miranda de Ebro. – Der Engpaß Garganta Pancorbo. – Briviesca. – Burgos. – Quintana de la Puente. – Valladolid. – Ein Autodafé. – Eine schöne Andalusierin. – Ungewißheit und Gerüchte über Napoleons Absichten hinsichtlich Spaniens. – Marsch nach Segovia. – Biwak bei Segovia. – San Lorenzo. – El Pardo. – Glänzender Einmarsch in Madrid.

Unser erstes Nachtquartier auf spanischem Boden war Irun, ein sehr altes Nest, das schon zur Zeit der Römer stand und jetzt kaum zweitausend Einwohner zählen mochte, die größtenteils von den Passanten leben, die sich von Frankreich nach Spanien und umgekehrt begeben. Diese Stadt mit ihren schmutzigen, schlecht gebauten Straßen gab uns eben keinen guten Vorgeschmack von dem, was uns in Spanien erwartete. Hier begann in einer Hinsicht so ziemlich wieder das italienische Leben, das heißt, die Leute wurden nicht einquartiert, sondern in Kasernen oder andere große Gebäude gelegt und später auch wieder in Kirchen und Klöster; sie bekamen ihre Rationen Fleisch, Brot, Wein, Zugemüse und so weiter und mußten sich alles selbst kochen und zubereiten; dies ist zwar auch der Fall in Frankreich, aber außer dem, daß der Soldat bei dem Bürger einquartiert ist, der ihm auch Holz und Licht geben muß, geschieht es nicht selten, daß letzterer noch einen Extrabraten und allerlei Zutaten in die Küche seiner Einquartierung liefert, wenn er nicht zu den Schmutzfilzen gehört. Die gelieferten Rationen waren in Spanien im Durchschnitt noch weit schlechter als in Italien, besonders das Ziegenfleisch von keiner guten Qualität. – Wenn man die auf gemeinschaftliche Kosten Spaniens und Frankreichs erbaute und unterhaltene Brücke der Bidassoa passiert hat, befindet man sich in der Guipuzcoa, die nebst Biscaya und Alava die baskischen Provinzen bildet. Hier erinnert auch nichts mehr an das eben verlassene Frankreich; Charakter, Sitten, Gebräuche und selbst die Bauart und die Wohnungen sind so himmelweit verschieden, daß man glauben sollte, beide Länder wären durch viele hundert Meilen getrennt, und man sei durch einen Zauberflug von dem einen in das andere versetzt worden. Das Hauptquartier unseres Armeekorps war in Valladolid, und die Legionen und Regimenter kantonnierten längs dem Duero. Die vier ersten Kompagnien unserer Legion wurden in die Gegend von Burgos verlegt, wohin vorerst unsere Bestimmung lautete. Von Irun marschierten wir über Hernani nach Tolosa. Der Weg ging durch ein fruchtbares und gut angebautes, lachendes Tal, in dem Hernani, ein großer von Bergen umgebener Flecken, der blendend weiße Häuser und schöne Baumgruppen hat, liegt. Tolosa ist kein unfreundliches Städtchen am Oria und Araxes, über den letzteren führt eine hübsche Brücke mit einem Turm. Die Stadt konnte ungefähr fünftausend Einwohner haben. Jeder Einwohner, jeder Bauer dieser Provinz behauptet, er sei von Adel, und wer kann ihm diese Behauptung streitig machen, als etwa ein hirnverrückter Stammbaumfabrikant?

Noch zeigten sich die Bewohner der baskischen Provinzen nicht feindselig gegen uns, obgleich manche dieser verbrannten Gesichter allerdings schon Mißtrauen ausdrückten und uns mit zweideutigen Blicken ansahen. Die Frauen und Mädchen dieser Gegend sind niedliche Geschöpfe, und die Landmädchen, welche ihre Haare in langen, mit Bändern geschmückten Flechten, die ihnen über die Schultern herabfallen, tragen, sind äußerst lebhaft und munter; auf dem Kopf haben sie dünne Musselinschleier, die um die Achseln fliegen, geheftet. Die es nur irgend aufbringen können, tragen goldene Ohrringe, mitunter auch Perlen und Halsketten von Korallen. Ihr Anzug ist sehr nett, und da sie in der Regel gut gewachsen sind, so stehen ihnen ihre Leibchen und Jäckchen allerliebst. Was mich hier am meisten ärgerte, war, daß ich mich mit den Einwohnern und also auch mit den Frauen weder verständigen noch unterhalten und deshalb an keine galanten Abenteuer denken konnte. Ich hatte geglaubt, mir mit dem Italienischen helfen zu können, wenn ich an das Ende der Wörter nur ein s oder os hinge; aber dies ging nicht, namentlich in den baskischen Provinzen, wo die Sprache eine ganz verschiedene ist; aber auch in einem großen Teil des übrigen Spaniens konnte ich mir nicht wohl damit forthelfen, da, wenn auch die Worte oft ganz ähnlich, ja sogar ganz dieselben, Aussprache und Akzent jedoch himmelweit verschieden sind und man sich erst an diese gewöhnen muß, namentlich in den Provinzen, wo das Spanische schlecht oder verdorben gesprochen wird. Ich nahm mir zwar vor, jetzt die spanische Sprache zu studieren, aber hierzu ließen mir die Kriegsbegebenheiten und Unruhen wenig Zeit, und ich konnte es nicht weiter bringen, als mich notdürftig im Spanischen auszudrücken, auch kamen wir, einige Fälle ausgenommen, zu wenig in nähere Berührung mit den Einwohnern; doch konnte ich bald den Cervantes, Calderon, Lope de Vega und andere spanische Autoren im Original lesen, namentlich amüsierte und erheiterte mich Don Quixote nicht wenig.

Von Tolosa war unser nächster Marsch nach Villa Real, einem Flecken, der eben nichts Königliches aufzuweisen hatte; ein paar Kompagnien mußten in dem nahen Dorf Zummaraya übernachten; von hier kamen wir über das Städtchen Bergara an der Deva nach Mondragon, einem Ort, der nicht unbedeutende Waffenfabriken hat. Der Weg von Bergara bis Vittoria ist fortwährend mit freundlichen Dörfern und vielen Landhäusern besät, die fast ununterbrochen zusammenhängen; überhaupt sind die baskischen Provinzen sehr bevölkert und trefflich angebaut, was sie von dem übrigen Spanien sehr zu ihrem Vorteil unterscheidet und was sie ihrer viel freieren Verfassung zu danken haben, welche die Betriebsamkeit und den Handel ihrer Bewohner anspornte. Auf diesem Wege hatten wir fast beständig den im Tale wogenden Fluß Zadorra vor Augen, der dessen reizendste Partien in Krümmungen durchschneidet. Alles kündigte hier einen gewissen Wohlstand an, die Landleute, Männer wie Frauen, waren reinlich und gut gekleidet. Von Mondragon stiegen wir auf den Berg, auf dem der Flecken Salinas liegt, von dem man noch eine Strecke über diesen Teil der Pyrenäen kommt, dann aber geht es fast beständig bergab bis Vittoria, das man nun bald vor sich liegen sieht.

Über Puebla marschierend, kamen wir durch eine sehr enge Passage in das Tal des Ebro und an eine Marmorsäule, deren Inschrift besagte, daß hier die Grenze zwischen Alava und Altkastilien sei. Diesen Weg, den zu ebnen und über die Gebirge praktikabel zu machen große Anstrengungen erforderte, da sich ungewöhnliche Schwierigkeiten zeigten, haben die baskischen Provinzen in Gemeinschaft angelegt. Besonders muß es außerordentliche Mühe gekostet haben, die jähen Abhänge wegsam zu machen, Abgründe zu umgehen und Felsenriffe wegzuräumen. Nach sechs Stunden eines mühsamen Marsches kamen wir bei Miranda de Ebro an, welches an diesem Fluß liegt, über den hier eine acht Bogen lange Brücke führt. Noch bevor wir Alava verließen, begegneten wir einem seltsamen Leichenbegängnis; man begrub nämlich in einem Dorfe ein kleines, weißgekleidetes Kind, dessen Köpfchen mit einem weißen Rosenkranz geschmückt war und das offen in der Bahre lag; das Sonderbarste aber war, daß dieser kleinen Leiche eine Musikbande voranzog, welche lustige und muntere Melodien spielte und hinter der ein Kind, ein Kreuz tragend, fröhlich einherhüpfte. Man sagte mir, daß die Kinder in den baskischen Provinzen alle auf ähnliche Weise begraben würden, weil man sie glücklich preist, zu sterben, bevor sie noch des Lebens Mühen, Beschwerden und Drangsale kennen lernten, und die Eltern trösten sich mit einem: „Es war Gottes Wille.“

Miranda ist ein kleines, nahe an den Bergen liegendes Städtchen; auf einer Höhe sieht man noch die Trümmer eines Schlosses und mehrere Türme desselben. Aus dem Felsen, auf dem diese Ruinen liegen, entspringt eine sehr reichhaltige Quelle, die mehrere Mühlen in Bewegung setzt. Das Städtchen mochte etwa zweitausend Einwohner zählen. Von hier marschierten wir über Pancorbo nach Briviesca. Miranda verlassend, hat man über eine Stunde fortwährend eine hohe Felsenwand vor Augen, von der man keinen Ausweg erblickt und die, gleich einer ungeheueren Mauer an der Welt Ende, alle Passage zu versperren scheint. Erst wenn man dicht vor dem Felsen angekommen ist, eröffnet sich eine enge Schlucht, durch welche man nach Pancorbo gelangt; dieser Engpaß führt durch zwei ungeheuer hohe Felsenmassen, deren Spitzen sich gegeneinander zu neigen scheinen und die kaum durch einen zehn Schuh weiten Raum getrennt sind. Dieser Hohlweg ist beinahe eine Viertelstunde lang. Die Felsen wölben sich so über dem Haupte des Durchgehenden, daß man fürchtet, sie jeden Augenblick herabstürzen zu sehen und von ihnen zermalmt zu werden. Dieser Engpaß heißt Garganta de Pancorbo und ist, gehörig verteidigt, uneinnehmbar; es ist eine wahre Höllenschlucht, eine Kompagnie kann hier das größte Heer aufhalten. Hat man ihn passiert, so erblickt man das Städtchen Pancorbo, das am Eingange eines Tals liegt; durch einige elende Dörfer kommt man dann nach Briviesca, welches merkwürdig ist durch die Versammlung der Cortes, die Johann I. im Jahre 1388 hierher berief und die dem Kronprinzen von Kastilien für ewige Zeiten den Titel eines Prinzen von Asturien beilegte, bis – es weder Kronprinzen noch Könige von Kastilien mehr gab, wie es mit allen menschlichen Ewigkeiten zu gehen pflegt. Die Stadt liegt an der Oca, ist mit Mauern umgeben und hat vier Tore, in ihrer Nähe sind zwei tiefe mineralische Teiche, der Pozzo negro und Pozzo blanco genannt.

Von Briviesca führte uns der Weg über Monasterio, Quintanapalla durch ein noch ziemlich gut angebautes, mit vielen Pappeln und Weiden bepflanztes Tal, immer bergauf bis Monasterio, nach Burgos.

Die nächsten Umgebungen von Burgos besuchte ich zu Pferd und ritt nach dem anderthalb Stunden entfernten Monasterium von Cardena, um das Grab des Cid und seiner Gattin Ximene zu sehen, auf dem sein Wappenschild, von einer Kette umgeben, das zwei sich kreuzende Schwerter hat, über denen sich wieder ein Kreuz erhebt, sowie das Ximenens, einen dicken, von einer Kette umgebenen Turm darstellend, befindlich ist. Später, als in diesem Krieg das Kloster von Cardena zerstört und verwüstet wurde, ließ der französische Gouverneur von Burgos die Reste des Helden und seiner Gattin in die Stadt bringen, um sie vor gänzlicher Vernichtung zu bewahren, und beiden ein Monument auf einer kleinen Insel setzen.

Der Tag unseres Abmarsches war herangekommen, und wir verließen Burgos in dem Augenblick, als ich im Begriff war, eine Intrige mit einer seiner schönen Bewohnerinnen anzuspinnen; dies machte, daß ich den Marsch über Caleda Villazopegue, wo zwei Kompagnien übernachteten – die zwei anderen blieben in Villadriga (zwei unbedeutenden Dörfern) –, nach Torrequemada etwas übelgelaunt antrat. Von Burgos bis zum Dorf Villadriga verliert man den Fluß Arlanzon fast nicht aus den Augen, auch sieht man noch viel gut angebautes Feld und ziemlich viel Ortschaften. Ehe man Torrequemada erreicht, kommt man durch das kleine Städtchen Quintana de la Puente, das an der Pizuerga liegt, über die eine schöne steinerne, achtzehn Bogen lange Brücke führt. Torrequemada selbst liegt an dem nämlichen Fluß, den man hier über eine sechsundzwanzig Bogen lange Brücke passiert. Dieses Städtchen hat eine hübsche gotische Kirche. Der Weg hierher ging über eine ziemlich kahle Ebene, in der man fast gar keine Bäume und nur selten einiges niedrige Gesträuch sah. Hier lagen nur zwei Kompagnien unseres Bataillons, die anderen in Palencia. Wir erfuhren nun, daß wir nach einem Ruhetage nach Valladolid abmarschieren sollten, wozu der Befehl soeben von dem Hauptquartier eingetroffen sei und wo die Legion zusammentreffen würde. Torrequemada ist ein trauriger Aufenthalt, ebenso die Umgegend, und der Holzmangel so groß, daß die Einwohner meistens gedörrten Mist brennen und dabei kochen. Ist es kalt, so wärmt man sich an den Glorias, eine Art Trockenöfen in den spanischen Küchen, um welche herum Bänke zum Sitzen angebracht sind. Von hier marschierten wir noch einige Zeit durch die langweilige Ebene und das Dorf Magaz; zu unserer Linken sahen wir bald das große Benediktinerkloster San Isidoro in einiger Entfernung liegen, und in dem an einem Rebenhügel liegenden Dorfe Duenas kam das ganze Bataillon wieder zusammen und setzte den Marsch in Gemeinschaft fort. Man behauptet, daß das elende Dorf Duenas das Eldana des Ptolomäus sei, wenigstens auf derselben Stelle liege. Hier bewahren die Einwohner den Wein in Gruben auf, die sie zu diesem Zweck in die Erde graben und in denen er sich sehr gut und frisch erhält. Von hier aus marschierten wir noch immer abwärts über ein sandiges und steiniges Terrain durch den Flecken Cablezon, in dessen Umgebung ein angenehmer, lieblicher, roter Wein wächst und von wo man nur noch zwei gute Stunden nach Valladolid hat. Alle unsere Märsche waren ungewöhnlich stark, fast keiner unter acht bis neun, manche wohl zehn Stunden lang. Erst wenn man ganz in der Nähe von Valladolid ist, nimmt der langweilige Weg ein Ende, auf welchem das Feld schlecht und oft gar nicht angebaut war; dies war schon oft der Fall, seitdem wir die baskischen Provinzen verlassen hatten, aber im Königreich Leon weit häufiger.

Es war anfangs März, als wir zu Valladolid ankamen, wo sowie in der Umgegend zahlreiche französische Truppenkorps von allen Waffengattungen lagen. Die verschiedenen Armeekorps, die in Portugal und Spanien einmarschiert waren, hatten jedes seinen besonderen Chef und seinen Generalstab; Mürat, damals Großherzog von Berg, hatte den Oberbefehl über das Ganze und den Titel eines Leutnants des Kaisers Napoleon. Wir erfuhren, daß derselbe bereits in Burgos angekommen sei und mit ihm ein Heer von Employés, Kriegskommissäre, Ordonnateure und Offiziere aller Grade, wohl über ein halbes Tausend Individuen, von denen viele schon in Ruhestand versetzt gewesen und fast gegen ihren Willen wieder in Aktivität gesetzt worden waren, andere aber hofften jetzt in Spanien schnell Fortüne zu machen. Nichts war den Ländern und den Heeren selbst verderblicher, als dieses Kommissarien- und Lieferanten-Geschmeiß und was daran hing, wahre Blutsauger der Völker wie der Truppen, von denen der wackere Kaiser Joseph II., der diese Kanaillen durch und durch kannte, schon mit vollem Recht sagte: „Man kann einen jeden dieser Burschen“ (wenn ich mich nicht irre, so meinte er die Proviant-Kommissäre damit) „hängen lassen, ohne sich zu fürchten, eine Sünde oder einen Fehlgriff begangen zu haben.“ Auch Napoleon wußte aus seinen italienischen Feldzügen, welch ein Diebsgesindel dies Geschmeiß ist, und dennoch hat es zu keiner Zeit und bei keinen Heeren ärger gehaust und gestohlen, als in den napoleonischen, wo von den General-Kommissären bis zu den Furieren in den Kompagnien herab alles, was mit Proviant, Verköstigung oder Lieferungen in Berührung kam, den Soldaten sowohl wie den Bürger bestahl und beraubte. Aber in Spanien bekam es den Herren doch oft schlecht, und ein wohlverdienter Lohn, den ihnen die Vorsehung bereitete, blieb selten aus.

Noch immer wußten wir nicht, was eigentlich bezweckt wurde, wir erschöpften uns in tausend Mutmaßungen, von denen keine den rechten Fleck traf, indem die meisten darauf hinausgingen, daß es, wenn auch indirekt, auf England abgesehen sei. Die Instruktionen, die uns fortwährend erteilt wurden, waren von der Art, daß man auf einen bevorstehenden Krieg schließen und sich auf alle Ereignisse gefaßt machen mußte; aber wo war der Feind? – Napoleon selbst wurde erwartet, und das Gerücht war unter sämtlichen Truppen verbreitet, daß er sich an deren Spitze stellen würde; ein großer Teil der Einwohner Spaniens aber betrachtete uns mit immer größer werdendem Mißtrauen, während andere hofften, daß wir sie von dem unerträglichen Joch des ihnen so verhaßten Friedensfürsten Godoï befreien würden, den sie sämtlich als den alleinigen Urheber aller dieser Übel betrachteten und verfluchten. Von seiten der Kommandierenden wurden sie auch in dieser Richtung bestärkt. Es ist unmöglich, sich einen Begriff von der Verachtung und dem Haß zu machen, den die ganze Nation gegen den freilich ganz verdienstlosen Günstling bei der spanischen Majestät und der Königin insbesondere nährte. Ohne alle Scheu sprach man davon, daß man diesen schändlichen Bösewicht hängen, köpfen, spießen, rädern, vierteilen und Gott weiß was alles müsse; man wollte ihn samt der Königin lebendig verbrennen und den König, die gehörnte Schlafhaube, dazu, meinten noch andere; die Gemäßigtsten aber forderten, daß man ihn einer strengen Justiz übergebe. Der Unglückliche selbst schlief schon lange nicht mehr auf Rosen und träumte nur von Galgen und Schafott, zitterte unaufhörlich für sein kostbares Leben und war nicht imstande, irgendeinen festen Entschluß zu fassen, sich zu helfen oder in Sicherheit zu bringen. Nicht leicht hat ein Sterblicher so sonderbare Schicksale gehabt; vom gemeinen Gardisten zum Günstling der Königin von Spanien und den höchsten Würden den Reiches wie in einem Zaubermärchen erhoben, dabei durch die Heirat mit einer nahen Verwandten des königlichen Hauses, wozu er seine königliche Geliebte zu bereden gewußt hatte, die, trotzdem er sich noch Mätressen hielt, was sie wußte, ihm dennoch unwandelbar ergeben blieb; so war der König selbst nur noch der gehorsame Vollstrecker der Gebote des Geliebten seiner Frau. Wer über dieses seltsame Verhältnis nähere Auskunft wünscht, muß Llorents Memorial para la historia de la revolucion espanola recogydas y compiladas por don Juan Nellerto lesen.

Valladolid, das Pintia der Alten, war die zweite Stadt Altkastiliens, aber jetzt der Hauptort der Intendanz gleichen Namens in dem Königreich Leon. Der Fluß Esgueva durchströmt sie, und der Pizuerga fließt an ihren Mauern vorbei; sie liegt in einer großen, von Hügeln mit Plattformen umgebenen Ebene. Die Stadt ist nicht so übel gebaut, aber ihre Straßen sind schlecht gepflastert und unreinlich, auch lagen manche ihrer Gebäude in Ruinen. Unter ihren sehr großen Plätzen sind der Campo-Grande und Plaza-Mayor die ansehnlichsten. Ersterer hat einen ungeheuren Umfang, und unter den ihn umgebenden Gebäuden sind nicht weniger als dreizehn Kirchen. Die von Philipp II. erbaute Kathedrale ist kaum zur Hälfte fertig, hat aber einen schönen Turm. In der Paulskirche sind unter vielen Monumenten von sehr verschiedenem Kunstwert zwei schöne Bildsäulen des Herzogs und der Herzogin von Lerma; in dieser Kirche, die den Dominikanern gehört, sieht man auch eine Erscheinung Christi bei einer Nonne dieses Ordens abgebildet; dieser Christus war wahrscheinlich ein verschmitzter Mönch. Auch noch andere, zum Teil sehr komische Heiligenbilder findet man hier. Das Colleg, welches sich zunächst dieser Kirche befindet, ebenfalls den Dominikanern gehört und von Don Alonzo von Burgos, Bischof von Palencia, im fünfzehnten Jahrhundert gestiftet wurde, ist wegen seiner sonderbaren Bauart merkwürdig; seine Fassade stellt nämlich ein Gehölz vor, dessen Zweige die Wölbung des Portals bilden, auf beiden Seiten sieht man zwei Wilde, die mit wolligen Fellen bedeckt sind und Gürtel von Laub haben; jeder hat ein Wappenschild. Über der Eingangstür ist ein Granatbaum, dessen Äste sich weithin ausbreiten; dieser soll eine Anspielung auf die Eroberung von Granada durch die katholischen Majestäten Ferdinand und Isabella, Beschützer der Kirche, sein. In diesem Colleg befindet sich auch das sehr schöne Monument des Gründers desselben, Alonzo von Burgos, Bischof von Palencia, der selbst in weißem Marmor und, wie behauptet wird, sehr ähnlich auf demselben abgebildet ist. Das Gebäude wurde im fünfzehnten Jahrhundert erbaut.

Valladolid, das noch zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts weit über hunderttausend Einwohner hatte – 1516 stellte die Stadt dreißigtausend Mann unter die Waffen, um sich den Absichten der Regierung zu widersetzen –, zählte jetzt keine vierundzwanzigtausend, die noch einen nicht unbedeutenden Handel treiben, zu dem der Ort auf das vorteilhafteste gelegen ist; auch wächst in ihrer Umgegend ein vortrefflicher Wein. In der Stadt selbst befinden sich schöne Promenaden, wie der Prado de la Magdalena, der an dem Esgueva liegt, mit schönen Bäumen bepflanzt ist und bequeme Ruhebänke hat, die Spaziergänge Espolejo Viejo und Espolejo Nuevo, die nahe an dem Ufer des Pizuerga liegen, werden mehr von Reitern und Equipagen besucht.

In historischer Hinsicht ist Valladolid außerordentlich merkwürdig und in Spaniens Annalen berühmt. Es soll nach mehreren Geschichtsschreibern auf den Ruinen des alten Pintia erbaut sein und war später die Seele des Handels zwischen Kastilien, den Königreichen Leon und Portugal. Hier kam Philipp II. traurigen Andenkens zur Welt und hielt öfters seinen Hof daselbst, und der Entdecker Amerikas, Christoph Kolumbus, starb hier. Wegen des sehr fühlbaren Holzmangels, der dadurch entstand, daß man die Dummheit beging, die Waldungen auf den umliegenden Hügeln völlig auszurotten, verlegte Philipp III. für immer seinen Hof von hier nach Madrid. Als Residenz des Herrn zweier Welten war der Hof und das Leben in Valladolid sehr prächtig, üppig und glänzend. Unter Philipp II. fand ein äußerst tragisch-merkwürdiges Autodafé im Oktober des Jahres 1559 hier statt. Es begann mit einer Prozession der Dominikanermönche, denen eine weiße Fahne vorangetragen wurde, ihnen folgten die Familiares, Kommissarien und andere Diener der heiligen Inquisition, hinter diesen wurde wieder eine achtzehn Schuh hohe Fahne von buntem Damast getragen; auf der einen Seite derselben sah man das Bild des heiligen Dominikus gestickt und auf der anderen das des heiligen Petrus Märtyrer. Hieran kam die heilige (?) Hermandad und andere bei dem heiligen (?) Officium angestellte Personen, von denen eine das Kreuz der Inquisition trug, das mit einem schwarzen Schleier bedeckt war. Bewaffnete schlossen den Zug, der sich auf die Plaza-Mayor begab. Hier angekommen, wurde das Inquisitionskreuz auf einen in dessen Mitte errichteten Altar gestellt, und man zündete grüngestrichene Kerzen um dasselbe herum an; Bewaffnete, einige Mönche und Familiares blieben zu dessen Bewachung zurück. Um Mitternacht begann man Messen für die Bekehrung der Seelen derjenigen zu lesen, die verbrannt werden sollten, was bis zu Sonnenaufgang dauerte. Mit Tagesanbruch versammelte sich eine unzählige Menge Volks auf diesem Platz, weit über dreißigtausend Menschen. Hieran erschienen in gehöriger Rangordnung die Granden Spaniens, die hohe Geistlichkeit, Bischöfe und Kardinäle, die höchsten Zivil- und Militärbehörden sowie die Gesandten der verschiedenen Mächte und nahmen Platz auf den für sie bestimmten Sitzen. Gegen acht Uhr brachte man aus dem Inquisitionsgebäude das gleichfalls in schwarzen Trauerflor gehüllte Kreuz des Kirchsprengels, dem alle Kaplane in Chorhemden folgten, dann kamen wieder Familiares und Bewaffnete und endlich die unglücklichen Verurteilten in folgender Ordnung: zuerst die Bereuenden oder Büßenden mit entblößten Häuptern, eine geweihte Kerze in der Hand, unter ihnen war eine Franziskanernonne, die zum Auspeitschen an dem folgenden Tage zur Ehre Christi verurteilt war; dann folgten die Versöhnten mit dem San Benito (das Sterbekleid der Glaubensgerichte) bekleidet, das aus einem gelben Sack mit einem darauf gehefteten Andreaskreuz besteht; auf dem Kopf trugen sie Mützen von Pappe, die mit bunten Kreuzen bemalt waren und Corosa genannt werden. Unter diesen befanden sich Isabella und Catharina von Kastilien, beide zu ewigem Gefängnis, der Konfiskation ihrer Güter und dem Tragen des San Benito verurteilt. Hinter ihnen trug man ein Reliquienkästchen mit Knochen und zwei Figuren, die ebenfalls mit dem San Benito und der Corosa bekleidet waren, auf der jedoch statt der Kreuze Teufel, Schlangen, Blindschleichen, Kröten, Unken und so weiter, in Flammen zischend, abgemalt waren. Jetzt kamen dreizehn sogenannte rückfällige Ketzer, die sämtlich zum Feuertod verurteilt waren. Auch sie trugen das San Benito und die Corosa, mit Teufeln, Flammen und so weiter bemalt. Drei von ihnen waren Geistliche und noch mit dem geistlichen Leibrock bekleidet. Zuletzt kam endlich Don Carlos von Sesa, dem man sogar den Mund verknebelt hatte, um ihn am Sprechen zu hindern, weil er nicht aufhörte, die christliche Religion zu lästern und als ein Werk des Teufels und der Verrücktheit zu bezeichnen. – Hatte er etwa unrecht, wenn er die Religion, wie sie von diesen Pfaffen zugeschnitzt wurde, damit meinte? – Auf der Mitte des Platzes angekommen, wurden sämtliche armen Sünder um die Stufen des Altars postiert, wo man ihnen nochmals ihre Verbrechen vorhielt, welche meistens darin bestanden, daß sie sich den neuen Lehren und dem abscheulichen Luthertum geneigt gezeigt oder dasselbe wohl gar gerühmt und empfohlen hatten, weshalb man es für hohe Zeit hielt, ein recht abschreckendes Beispiel zu geben, um die weitere Verbreitung dieses Ketzertums zu verhindern.[6] Die Mitglieder und Richter der Inquisition nahmen ihre Plätze auf erhöhten Sitzen, über allen aber thronte der Großinquisitor hoch erhaben. Nun erschien Philipp II., von seinem ganzen Hof gefolgt. Sobald derselbe Platz genommen hatte, hielt der Bischof von Cuenca eine erbauliche Predigt über die Unfehlbarkeit, Reinheit und Göttlichkeit der katholischen Religion, eine wahre Satyre auf Gott selbst; dieser folgte eine zweite Predigt, welche der Großinquisitor, Erzbischof von Sevilla, ganz im Sinne seines Vorgängers herbrüllte, nur daß die Satire unwillkürlich noch beißender war. Hierauf mußte der König in dessen Hand einen schweren Eid ablegen, daß er die Inquisition beschützen und ihr alles entdecken wolle, was zu seiner Kenntnis komme und gegen diese und den Glauben sei, es möge auch herkommen von wem immer, ohne irgendeine Rücksicht auf Verwandtschaft oder Stand zu nehmen. Nachdem Philipp II. diesen Eid abgelegt, mußte er ihn noch durch seine Unterschrift bekräftigen, und er wurde nochmals vor der ganzen Versammlung laut abgelesen. Hierauf wurden die drei rückfälligen Priester durch zwei Bischöfe, den von Zamora und den von Palencia, förmlich degradiert und ihnen die geistliche Kleidung vom Körper herabgerissen. Einer war ein Pfarrer in Pedrosa, der zweite ein Priester aus Villa-Onediana und der dritte ein Dominikanermönch gewesen. Sie hatten eigentlich nur gegen den Verkauf des Ablasses für schnödes Geld, also gegen einen der schändlichsten Mißbräuche der katholischen Religion, als einen der Kirche unwürdigen Schacher gesprochen. Auch sie wurden nun mit dem San Benito und der Corosa bekleidet, ihnen das Urteil nochmals verkündet und hierauf alle zum Tode Verurteilten vor die Stadt auf einen freien Platz geführt, wo man einen ungeheuren Scheiterhaufen auf einem vier Schuh hohen Fußgestell errichtet hatte; eine Prozession mit einem weißen Kreuz und das Volk folgte ihnen. Ein Henker und ein Beichtvater führten sie zum Scheiterhaufen, wo sie nochmals ermahnt wurden, zu bereuen; in diesem Fall versprach man ihnen, bevor sie dem Feuer übergeben würden, sie durch den Henker erwürgen zu lassen. Elf von ihnen, durch dieses Versprechen verführt, willigten ein, zu beichten, aber Johann Sanchese und Don Carlos von Selo ließen sich lieber lebendig verbrennen, als daß sie bereuten.

In meiner Wohnung zu Valladolid befand sich die junge Frau eines spanischen Stabsoffiziers, der bei der Leibgarde zu Madrid stand und dessen Gattin hier bei Verwandten ihres Mannes zu Besuch war. Die Senora war eine geborene Andalusierin, und zwar aus Sevilla, von guter Familie. Ihre schwarzen Feueraugen harmonierten mit dem etwas bräunlichen Teint und den glutroten Wangen trefflich; dabei trug sie das andalusische Nationalkostüm, das reizendste, das man sich denken kann, besonders für eine Spanierin. Die ersten Tage nach meiner Ankunft hatte ich nur Gelegenheit gehabt, sie ein paarmal zu sehen und im Vorübergehen mit einem Sennorita zu begrüßen; ich kannte kaum erst die gebräuchlichsten spanischen Begrüßungsformeln und Phrasen, aber glücklicherweise sprach die Senora etwas italienisch, und dies war vollkommen hinreichend, uns zu verständigen, was auch schnell der Fall war, denn in Liebesangelegenheiten rückt man in Spanien rasch voran, noch weit schneller als in Italien, nur muß man die Gelegenheit haben, mit diesen Senoras in Berührung zu kommen, was uns später, als das ganze Land gegen uns aufgestanden war und wir den Spanierinnen von den Pfaffen, ihren Beichtvätern, Vätern, Ehemännern und Brüdern als wahre Ungeheuer geschildert wurden, deren Berührung allein die ewige Verdammnis nach sich ziehe, sehr schwer, ja fast unmöglich wurde. – Ich war mit meiner schönen Isabella Andeya, ohne daß es mir viel Mühe und Beteuerungen gekostet hätte, bald so weit, daß ich sie ganz mein nennen durfte und die wenigen Tage, die wir noch in Valladolid zubrachten, keine Nacht mehr allein schlief, da mir die Mitternachtsstunde jedesmal einen holden feurigen Geist zuführte, der nicht einmal verfehlte, um diese Zeit in meinem Gemach zu spuken und dann das Bett mit mir zu teilen.

Ungefähr vierzehn Tage mochten wir in Valladolid und der Umgegend liegen, als der größte Teil der Truppen und mit ihnen unsere Legion Order zum Aufbruch erhielten. Mürat war bereits von Burgos abgegangen und hatte seine Richtung mit einem Teil der napoleonischen Garden und dem vom Marschall Moncey befehligten Korps nebst einer zahlreichen Artillerie gegen den Somasierra, der einen Teil des Gebirges Guadarrama ausmacht, genommen; die zweite Infanteriedivision nahm ihren Weg nach Segovia, während General Düpont mit der Reiterei und der ersten Division, zu der unsere Legion gehörte, die Direktion gen Guadarrama nahm. Die dritte Division blieb vorerst noch in Valladolid und der Umgegend zurück. Wir waren alle der Meinung, und man hatte sie absichtlich verbreitet, daß wir direkt nach Gibraltar marschieren würden, um diese Stadt zu belagern und womöglich den Engländern abzunehmen; diese Meinung teilten auch die Einwohner aller Orte, wo wir durchkamen, und während sich die verschiedenen Armeekorps Madrid von allen Seiten näherten, war das Gerücht von einer bevorstehenden Belagerung Gibraltars so allgemein verbreitet, daß der Herzog von Kent, Statthalter dieser Festung, seinen Vater bat, er möge ihm gestatten, sich schnell, bevor noch die Belagerung beginne, auf seinen Posten zu begeben. Alle Verbindung dieser Stadt mit Spanien war in der Tat schon abgebrochen, und man hatte sogar in Cadix eine große Anzahl Zelte für die französischen Truppen, die bei dieser Belagerung verwendet werden sollten, zu verfertigen geboten, so weit trieb man die Intrige, um die spanische Nation über die wahren Absichten Napoleons zu täuschen. Auch meine Isabella hatte zwei Tage vor unserem Abmarsch ein Schreiben von ihrem Mann erhalten, worin ihr dieser meldete, daß die königlich spanischen Garden, bei denen er stand, vor Gibraltar marschieren würden. – Die letzte Nacht vor unserem Ausmarsch erschien mir mein andalusischer Geist vom Kopf bis zu den Füßen in einen schwarzen Schleier gehüllt – in den vorhergehenden Nächten kam er jedesmal weiß verschleiert – und war in der Tat eine majestätische, verführerische spanische Schönheit. Mit einem langen Feuerkuß und einem a rivedersi nahm ich mit dem Grauen des Tages, als die Tambours schon wirbelten, Abschied von ihr und schwang mich auf mein Pferd.

Die Vorfälle, die unterdessen zu Madrid und Aranjuez stattgefunden, wurden jetzt allgemein bekannt; namentlich machte die Entsagung Karl IV. zugunsten des Prinzen von Asturien, der noch kurz vorher auf Anstiften Godoïs verhaftet und in Escurial wohlbewacht in den düsteren Gemächern, in denen auch der unglückliche Don Carlos vor seinem Tod geschmachtet hatte, gefangen gehalten wurde, weil er ohne Wissen seiner Eltern eine Gemahlin von Napoleon begehrt hatte, wodurch aber der Friedensfürst samt seinem königlichen Beschützer in große Gefahr geraten und ersterer beinahe ein Opfer der Volkswut geworden wäre, außerordentliches Aufsehen. Unser Marsch gegen Madrid wurde deshalb beschleunigt und war nun kein Geheimnis mehr; da sich aber die Franzosen unter der Zeit der Zitadelle von Pampeluna und Barcelona teils mit List, teils mit Gewalt bemächtigt hatten, so erfüllte diese Art Gaunerei die Spanier jetzt mit gerechtem Unwillen und Argwohn und steigerte das Mißtrauen gegen Napoleon auf das höchste. – Von Valladolid aus marschierten wir auch schon mit all der Vorsicht und den Maßregeln, die man in Feindesland für nötig erachtet. Wir führten Lebensmittel auf Wochen lang mit uns, biwakierten des Nachts, Vorposten und Vedetten ausstellend, und sandten auf dem Marsch beständig starke Seitenpatrouillen ab, wo es das Terrain nötig machte und gestattete. Dabei hatten die kommandierenden Generale geheime Instruktionen erhalten, die ihnen geboten, die spanischen Kuriere zu verhindern, ihre Wege fortzusetzen, wobei man oft zu den nichtigsten und einfältigsten Vorwänden seine Zuflucht nahm, und jede weitere Bewegung der spanischen Truppen, der sie begegnen würden, zu hindern.

Mürat befand sich noch zu Buytrago, als er Bericht über das, was sich in Aranjuez zugetragen hatte, erhielt, und beeilte sich, nun nach Madrid zu kommen. Wir marschierten fast unaufhaltsam von Valladolid über Olmedo, das auf einer Anhöhe in einer unermeßlichen Ebene liegt und bei kaum zweitausend Einwohnern sieben Kirchen und eine gleiche Zahl Klöster hat, kamen dann durch verschiedene unbedeutende Orte, durch steinige, oft ganz brachliegende Gegenden und Fichtenwälder, selten sah man ein Gersten- oder Kornfeld. Nur als wir den Fluß Almarza erreichten, dessen Ufer mit Bäumen, meist Ulmen und Pappeln, bewachsen waren, sahen wir wieder mehr Getreide- und Ackerfeld. Wir passierten den Strom auf einer schönen steinernen Brücke und gelangten dann in eine ziemlich große Hochebene, in der wir einige freundliche Dörfer trafen, dann aber wurde die Gegend, je mehr wir uns dem Gebirge Guadarrama näherten, welches Alt- von Neukastilien scheidet, wieder außerordentlich öde und verlassen. Ein sehr steiler und oft gefährlicher Weg führte uns zu dem Dorf Espinar, das auf einem Gipfel dieses Gebirges liegt. Von dieser Höhe aus kann man auf eine große Strecke weit die beiden Kastilien übersehen und hat eine herrliche Aussicht, die sich in das Unendliche zu verlieren scheint. Wir biwakierten hier in der Umgegend von Espinar, Villacassin, einem Städtchen, und Venta Guadarrama, wo man Ferdinand VI. wegen der Straße, die er über dieses Gebirge machen ließ, das früher gar nicht zu passieren war, ein Monument, einen marmornen Löwen auf einer Säule darstellend, mit der Jahreszahl 1749, errichtet hat, und einigen anderen Dörfern. Nach einem mehr als vierzigstündigen Biwak erhielten wir Order, nach Segovia aufzubrechen. Der Marsch dahin führte uns über San Ildefonso und La Granja, einem schönen königlichen Lustschloß mit einer Villa, dem Lieblingsaufenthalt Philipp V., der auch dieses Schloß erbaut hat und in dessen Kapelle begraben liegt; es hat einen prächtigen Park mit vielen Wasserkünsten.

Von hier hatten wir nur noch zwei Stunden bis Segovia; der Weg führte über eine Brücke des Flüßchens Valsin an mehreren Dörfern und Gebäuden vorüber; letztere waren ausschließlich zur Schafschur bestimmt. Endlich kamen wir durch zwei tiefliegende Täler, worauf wir bald Segovia erreichten, in dessen Nähe wir abermals ein Biwak schlagen mußten und dann inspiziert wurden, besonders, um zu sehen, ob wir auch hinlänglich mit Munition versehen seien; es sollte jeder Mann mindestens fünfzig scharfe Patronen besitzen. Fünf Tage lang währte dieses Biwak, während welchem ich Zeit hatte, die Stadt mehrmals zu besuchen. Das Merkwürdigste in Segovia ist seine zweitausend Jahre alte Wasserleitung, die also schon seit über zweihundert Jahre vor Christi Geburt die Stadt unaufhörlich mit Wasser versieht und hoch über einem Teil der Häuser hinläuft. Vier Stunden von Segovia, an der Quelle Rio Frio in dem Gebirge Fonfria, beginnt dieser merkwürdige Bau, welcher die Stadt so reichlich mit diesem unentbehrlichen Element versorgt, daß es von dem Platz vor der Sebastianskirche durch unterirdische Kanäle weitergeleitet werden muß. Über neunhundert Bogen zählt dieser ehrwürdige Aquadukt und ist an manchen Stellen über zweihundert Fuß hoch, dann aber sind die Bogen doppelt, das heißt, zwei stehen übereinander. Unbekümmert, wer dessen Herren waren, ob Heiden, Mauren, Osmanen, Araber oder orthodoxe Katholiken, spendete dieses Kunstwerk mit gleicher Freigebigkeit seinen Überfluß allen. Die Mönche des Klosters del Paral mußten unter der Regierung Isabellas über dreißig Bogen, die zu verfallen begannen, neu aufführen lassen. Der ganze Bau ist von grauem Granit, ohne Speis noch Mörtel, aber die Steine sind mit großem Kunstaufwand ineinander gepaßt und ebenso die Fundamente. Was mögen die Knochen derjenigen, die sie legten, jetzt sein? – Früher war dieser ganze Bau mit Bildsäulen geschmückt, und noch sieht man die Stellen, wo sie gestanden. Verschiedene spanische Geschichtschreiber behaupten, daß dieses Riesenwerk ein gleiches Alter mit den Pyramiden Ägyptens und mit dem Serapistempel habe, aber aller Wahrscheinlichkeit nach stammt es aus den Zeiten der Römer.

Ehedem waren der Handel Segovias sowie seine Wollenmanufakturen und Tuchfabriken von großer Bedeutung, die zur Zeit ihrer Blüte mehr als fünfzigtausend Zentner Wolle jährlich verarbeiteten und über vierzigtausend Arbeiter beschäftigten. Im Jahre 1570 gab diese Stadt der Königin Anna von Österreich ein so prächtiges Fest, daß ganz Europa davon widerhallte und das einen ungeheuren, in die Millionen laufenden Kostenaufwand verursachte, ein Beweis, wie Künste und Handel hier floriert haben müssen. Die Einwohner formierten dabei die prächtigsten Quadrillen nach ihren Gewerben, unter denen sich vorzüglich die Juweliere und Goldarbeiter, die Tuchmacher, die Gold- und Silbersticker, die Bildhauer, die Bordenmacher und so weiter durch den Reichtum und die Pracht ihrer Kostüme auszeichneten. Mit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts kam die Stadt, ihr Handel und ihre Fabriken aus verschiedenen Ursachen, unter denen auch religiöse Dummheit und Intoleranz, in Verfall und nahmen so schnell ab, daß sie über dreißig Jahre lang fast jedes Jahr für ein paar Millionen Dukaten weniger Tuch fabrizierte und absetzte; zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts waren kaum noch zweihundert Webstühle im Gang.

Den sechsten Tag brach unsere Legion auf, um ein Biwak in der Gegend von Los Molinos zu beziehen. Hier, so nahe bei Escurial, konnte ich unmöglich der Versuchung widerstehen, dieses weltberühmte Monument von Philipp II. Furcht und Hochmut zu besuchen. Es liegt in einer wilden, unangebauten, felsigen Gegend, auf dem Rücken einer Gebirgskette der Guadarrama. Der finstere König hatte es infolge eines Gelübdes, das er am Tage der Schlacht bei St. Quentin, in welcher 1557 die Franzosen von den Spaniern besiegt wurden, getan, erbauen lassen. Es imponiert durch seine Größe und heißt eigentlich San Lorenzo (Escurial ist der Name des dabeiliegenden Dörfchens), weil es Philipp diesem Heiligen, an dessen Fest gerade die Schlacht geliefert wurde, weihte, auch ist es in der Form eines großen Rostes angelegt, da bekanntlich dieser Heilige seinen Tod auf einem solchen fand. An Türen und Fenstern fehlt es nicht, es hat deren viele Tausende, auch über zwanzig zum Teil sehr geräumige Höfe. Ich war mit mehreren Kameraden vom Bataillon hierher geritten, dieses achte Wunderwerk der Welt, wie es die Spanier zu nennen belieben, zu sehen; unsere Pferde hatten wir in dem Dorf Escurial gelassen und gingen dann, nachdem wir eine gute Olla Potrida bei der Rückkehr für uns in Bereitschaft zu halten befohlen, zu Fuß nach diesem Hieronymiterkloster, denn dies ist es eigentlich, in welchem ein paar hundert Mönche ganz bequem wohnen können und auch gemästet werden; außerdem ist aber noch Raum genug, um den König von Spanien samt seinem ganzen Hof in den hierzu bestimmten Prunkgemächern aufzunehmen, der auch früher gewöhnlich einen Teil des Herbstes dort zubrachte.

Nachdem wir alle die Herrlichkeiten gehörig bewundert und ziemlich oberflächlich gesehen hatten, denn die Zeit war uns karg zugemessen, kehrten wir nach Escurial zurück, wohin auch aus dem Kloster ein unterirdischer Gang, la mina genannt, führt. Hier nahmen wir unsere bestellte Olla Potrida, die uns trefflich schmeckte, denn wir hatten aus Palast, Kirche und Kloster einen tüchtigen Hunger mitgebracht. Dieses Gericht wird aus Hammelfleisch, Öl, spanischem Pfeffer, Tomaten, Knoblauch, Garbanzos (eine besondere Gattung Erbsen), kleinen Zwiebeln und so weiter zubereitet und ist so übel nicht, wiegt auf jeden Fall die italienische Polenta und Makkaroni sowie das deutsche Sauerkraut auf. Ich aß es besonders gern, wenn es reichlich mit Zitronensaft gesäuert war, den ich selbst hinzutat.

Nach eingenommenem Mahl, wobei mehrere den Wunsch äußerten, es möge doch dem Himmel gefallen, uns die reichen, in San Lorenzo tot liegenden Schätze in die Hände zu liefern, traten wir den Rückweg zu unserem Biwak an, wo wir bereits eine Order zum Aufbruch für den kommenden Tag vorfanden. Mit der anbrechenden Dämmerung machten wir uns marschfertig und kamen noch an diesem Tag bis in die Gegend von El Pardo, einem alten königlichen Jagdschloß, das ungefähr noch dritthalb Stunden von Madrid entfernt liegt und bei dem sich ein großer Wald befindet; es ist ein viereckiges, von vier Türmen flankiertes Gebäude. Hier schlugen wir abermals ein Biwak auf, indessen erwartete man jeden Augenblick den Befehl, nach Madrid aufzubrechen, wohin wir uns alle wie nach einem Eldorado sehnten; viele aber glaubten noch immer, daß wir diese Stadt gar nicht berühren, sondern um dieselbe herum nach Gibraltar marschieren würden, andere aber, und zu denen gehörte ich, waren nicht der Meinung, denn unser jetzt so langsames Vorrücken und die Stellungen, die wir einnahmen, schienen auf etwas ganz anderes als einen Marsch nach Gibraltar zu deuten; daß wir recht hatten, zeigte sich bald.

Den 23. März in aller Frühe wurden wir noch einmal inspiziert und setzten uns dann sofort auf dem Wege, der gerade nach Madrid führt, in Marsch. Vor den Toren dieser Hauptstadt trafen wir einen Teil von Napoleons Garden, die noch ihre Toilette machten. Unsere Division folgte diesem Beispiel, ebenso die reitende Artillerie und zwei Kürassierregimenter, die auch eingetroffen waren. Bald darauf erschien der Großherzog von Berg, Mürat, in einer prächtigen Generalsuniform und von einem zahlreichen glänzenden Generalstab umgeben, musterte noch einmal die Truppen, und unter dem Zusammenlauf unzähligen Volks, das uns mit neugierigen Blicken, aber lautlos anstarrte, marschierten wir in der schönsten Ordnung mit klingendem Spiel in Madrid ein, das trotz seiner vielen Kuppeln und Glockentürme doch kein sehr imponierendes Ansehen hat. Nur wenn man durch das Tor Alcala kommt, das einem Triumphbogen ähnlich sieht, zur Linken prächtige Gärten, zur Rechten eine lange, fast gleichgebaute Häuserreihe, dann den Prado erblickt und sich bald darauf das Auge in der endlosen Straße Alcala verliert, erhält man eine günstigere Meinung von der Stadt, zu der jedoch die meisten Zugänge die Residenz eines großen Monarchen ahnen lassen.

X.
Ferdinand VII. Einzug in Madrid. – Der Friedensfürst. – Der Aufstand zu Aranjuez und Madrid. – Karl IV. Abdankung. – Napoleon zu Madrid erwartet. – Ferdinand vom Volk angebetet und von Savary nach Bayonne gelockt. – Karl IV. protestiert gegen seine Abdankung. – Donna Calvanillas und Rosa Maria. – Theater. – Cortesanos, Majos und Muchachas. – Sitten der Einwohner. – Der Fandango vor Gericht. – Wohnungen. – Der Adel. – Autodafés. – Die Erstürmung von Amors Schloß.

Fast bis zur einbrechenden Nacht mußten die Truppen in den Straßen und auf den Plätzen Madrids biwakieren, bevor ihnen Quartiere in verschiedenen großen Gebäuden und Kasernen angewiesen wurden, ein Teil derselben aber lag mit den noch ankommenden Bataillonen in der Umgegend der Stadt. – Für Napoleons Leutnant, Mürat, hatte man den alten Palast von Buon Retiro eingeräumt, den er aber nicht bezog, sondern sich in das Hotel des Friedensfürsten einquartierte. Den Tag nach unserem Einrücken hielt Ferdinand als König seinen Einzug; unzähliges Volk aus allen Ständen, von jedem Alter und Geschlecht, empfing ihn mit einem ungeheuren Jubelgeschrei, alle drängten und drückten sich, den geliebten jungen König zu sehen, den sie gleich einem heiligen Märtyrer verehrten. Mehr als hunderttausend Landleute waren aus der Umgegend herbeigekommen, um das Glück zu haben, den neuen Herrscher bewillkommnen zu können, und drei langer Stunden bedurfte es, bis der angebetete Fürst durch die dichten Haufen zu seinem Palast gelangen konnte. Ein großer Teil dieser Freudenergüsse mochte wohl auf Rechnung des Hasses und der Verachtung kommen, die man dem Friedensfürsten zollte, den man dadurch demütigen wollte; denn Ferdinands Persönlichkeit und seine Taten – man wußte wenig mehr von ihm, als daß er eine sehr schlechte Erziehung gehabt, die eher dazu gemacht war, seine allenfallsigen geistigen Anlagen zu unterdrücken, als zu entwickeln – konnten einen solchen Empfang nicht rechtfertigen. Durch diese vernachlässigte Erziehung und eine sklavische Etikette hatte der argwöhnische Godoï beabsichtigt, ein willenloses Werkzeug seiner Absichten aus diesem Prinzen zu machen. Man erwartete jetzt von dem jungen Monarchen, daß er die Schändlichkeiten der bisherigen Favoritenregierung gut machen, die Nation rächen würde und glaubte deshalb einen Erlöser in ihm zu finden, aber man betrog sich.

Daß Mürat den Palast des so verhaßten Godoï bezogen hatte, war den Spaniern eine schlimme Vorbedeutung; sie schlossen daraus, daß er den Günstling der alten Königin in Schutz nehmen wolle, und von diesem Augenblick nahm das Volk eine fast drohende Stellung an. Mürat, dem dies nicht entging, ließ nun eine bedeutende Truppenmasse nebst zahlreicher Artillerie auf die Höhen von Casa del Campo, dem königlichen Palast gegenüber, Posto fassen, alle Divisionen, die bereits die Gebirge überschritten hatten, in Madrid einrücken und dieselben öfters und mit großer Ostentation die Musterung auf dem Prado passieren, um dem Volk zu imponieren. Die noch in der Stadt befindlichen spanischen Truppen mußten gemeinschaftlich mit uns den Dienst versehen, um Ruhe und Ordnung zu erhalten. General Grouchy wurde zum Kommandanten der Truppen ernannt. Bald bemerkte man, daß Mürat und die ganze französische Generalität wenig Notiz von dem jungen König nahmen, ja ihm nicht einmal einen Besuch machten, offenbar ein Beweis, daß man ihn von französischer Seite nicht als Souverän anerkannte. Um den Gang der Ereignisse besser zu verstehen, muß ich mit wenigen Worten hier anführen, was unserem Einmarsch in Madrid sowie zu Aranjuez vorangegangen war.

Die ebenso unerhörten als unverdienten Gunstbezeugungen, deren sich Godoï von dem königlichen Paar zu erfreuen gehabt und die er auf das empörendste mißbrauchte, hatten ihm schon längst den tödlichsten Haß des Volkes zugezogen. Dieser Emporkömmling, nachdem sein eigener Bruder, der vor ihm die Gunst der Königin genossen, in Ungnade gefallen und nach Badajoz verwiesen worden, hatte schnell alle Grade überstiegen, war hierauf zuerst Finanzminister geworden, hatte seine Schwester als Kammerdame bei der Königin placiert, verheiratete sie sodann an den Vizekönig von Mexiko, den Marchese Branciforte und wurde nun selbst Grande von Spanien mit dem Titel eines Herzogs von Alcadia und Ritter des goldenen Fließes, das der schwache König dem Geliebten seines Weibes selbst umhing. Dieser ernannte ihn auf der Königin Verlangen auch zu ihrem besonderen Hof- und Ehrenkavalier sowie zum Chef aller spanischen Garden, dann zum allmächtigen Premierminister und Generalkapitän aller spanischen Truppen, und nach dem Baseler Frieden erteilte er ihm noch den Titel eines Principe de la Paz. Aber auch mit zeitlichen Gütern wurde dieser unerhörte Glückspilz von seinen hohen Gönnern reichlich versorgt, und man schenkte ihm Herrschaften, die Hunderttausende von Piastern eintrugen, wozu noch die großen Gehälter aller seiner Stellen kamen. Nachdem er durch die Heirat mit der Tochter des Infanten Anton ein Mitglied der königlichen Familie geworden war, wurde er auch noch Großadmiral aller Flotten Spaniens, ja man schuf noch eine eigene Stelle für ihn, nämlich die eines Generalissimus der ganzen spanischen Land- und Seemacht und eines Reichskonsulators. Jedoch schien es, als habe das Schicksal oder vielmehr die Königin noch nicht das ganze Füllhorn ihrer Gunst an diesen Menschen verschwendet. Denn es befahl nun eine Verordnung, daß man dem Friedensfürsten ganz gleiche Ehrenbezeugungen wie dem König selbst zu erweisen habe; sein Hochmut hatte jetzt keine Grenzen und wurde unerträglich. Dabei übte er einen solchen Nepotismus zugunsten seiner Verwandten aus, daß diese bis in den zehnten Verwandtschaftsgrad die einträglichsten Stellen des Reichs, ohne alle Rücksicht auf Fähigkeiten und Verdienst, erhielten. Daß ein solches Verfahren den Adel sowie das Volk aufs höchste empören mußte und viele Versuche gemacht wurden, des unwürdigen Günstlings Gewalt zu beschränken und seiner Allmacht ein Ende zu machen, war sehr natürlich, aber die Urheber solcher Versuche mußten sie durch Verbannung, Kerker und Galeere büßen. Es kam endlich so weit, daß der ebenfalls von dem hochmütigen Favoriten mißhandelte Prinz von Asturien, Ferdinand selbst, nicht nur einer Verschwörung gegen denselben beitrat, sondern sich sogar an die Spitze der Verschworenen stellte. Godoï entdeckte aber die Sache, noch ehe sie zum Ausbruch kam, und hatte die Frechheit, den Thronerben bei dessen Eltern des Hochverrats anzuklagen und auf dessen strenge Bestrafung zu dringen. Der Kronprinz wurde verhaftet und mußte seine Eltern und deren Favoriten um Verzeihung und Gnade bitten. Es wurde ihm zwar verziehen, aber diese Verzeihung öffentlich und zwar auf eine schonungslose Weise und in harten Ausdrücken bekannt gemacht, zugleich wurden auch die Umgebungen des Prinzen und sogar dessen Erzieher, der Kanonikus Escoiquitz und der Herzog von Infantado, auf fünfzig Meilen von Madrid verbannt. Als nun durch den Einmarsch der Franzosen in Spanien die Gemüter aufs neue angeregt wurden, glaubte Ferdinand, der die erlittenen Kränkungen nicht vergessen hatte, und sein Anhang den rechten Zeitpunkt gekommen, den verhaßten Günstling samt seinen Beschützern zu stürzen und wurde bei diesem Versuch vom gesamten Volk unterstützt. Nur mit unsäglicher Mühe war es den Garden gelungen, der königlichen Familie nach Aranjuez folgen zu können, da sich die Volkshaufen diesem Vorhaben mutig widersetzt hatten. Auch wurden sie auf ihrem nächtlichen Marsch dahin mehrmals angegriffen, ohne daß man herausbringen konnte, von wem diese kühnen Angriffe eigentlich geleitet wurden, und kaum konnten sich die Königin und ihr Günstling über ein solches Attentat beruhigen, als einige Tage darauf, den 19. März, eine Masse Volk und Bauern nach Aranjuez strömte, um da ein Seitenstück zu der Geschichte vom 5. und 6. Oktober 1789 in Versailles zu liefern. Sie begrüßten die Königin laut mit dem Titel: „Hure eines infamen Nickels“ und forderten Godoïs Kopf. Die Garden, die sie schützen sollten, traten nun auf einmal und ganz unerwartet auf die Seite des Volks über und prügelten sogar ihren Obersten, einen Bruder Godoïs. Jetzt flüchtete der sich in Todesängsten befindende Friedensfürst, so feige als niederträchtig seine königlichen Beschützer im Stich lassend, nur noch darauf bedacht, das eigene kostbare Leben zu retten, in seinen Palast und verkroch sich in den verborgensten und geheimsten Winkel desselben.

Der König erließ, nachdem er eine projektierte Flucht über das Meer und nach Amerika hatte aufgeben müssen, eine Proklamation an seine vielgeliebten und getreuen Untertanen, in der er sie zu trösten suchte und versicherte, daß es durchaus nicht seine Absicht gewesen sei, Madrid oder Aranjuez zu verlassen, sondern daß er in der Mitte seines teuren Volkes verweilen wolle, und versprach in kurzem mit Hilfe seiner getreuen Alliierten dem Land den Frieden wiederzugeben. Diese Worte mußten um so weniger Glauben finden, als die gemachten Anstalten einer Abreise der königlichen Familie durchaus noch nicht kontremandiert worden waren, auch ging das Gerücht, daß schon ganze Wagen voll Silbergeräte nach Andalusien abgegangen seien. Godoïs Mätresse, eine gewisse Donna Pepe Tudo, die Tochter eines spanischen Offiziers, die erst kürzlich zu einer Gräfin von Castillo Fiel gestempelt worden war und von der er zwei Kinder hatte, war mit Diamanten beladen entwischt. Das Volk brach nun in des verhaßten Favoriten Wohnung ein, schlug alle Türen, Fenster und Mobilien entzwei und wurde wütend, als es den Gegenstand seines Hasses nicht finden konnte; doch respektierte es dessen Gattin als eine Prinzessin von königlichem Geblüt und führte sie auf das Schloß des Königs. Um die aufgebrachte Menge einigermaßen zufrieden zu stellen, entsetzte der Monarch den Friedensfürsten seiner Stelle als Großadmiral und Generalissimus und erklärte, selbst den Oberbefehl über die Land- und Seemacht nehmen zu wollen; auch hatte er versichert, daß sich die Truppen seines teuren Verbündeten, des Kaisers Napoleon, nur in freundlichen Absichten näherten, um das beabsichtigte Ausschiffen des gemeinschaftlichen Feindes zu hintertreiben. Als man in Madrid die Vorgänge von Aranjuez erfahren, erscholl auch hier der Ruf: „Meur e Godoï.“ Die Szenen von Aranjuez wiederholten sich, das Volk drang auch dort in den Palast des Favoriten sowie in die Wohnungen seiner Mutter, seiner Geschwister und seiner bekanntesten Anhänger, zertrümmerte daselbst ebenfalls Fenster und Möbel und zündete mit den letzteren ein Freudenfeuer in den Straßen an, plünderte mehrere Hotels, auch das des Finanzministers, und bei diesem Tumult und all diesen Unordnungen blieben die Schweizerregimenter in spanischem Sold ruhige Zuschauer, allerdings das beste, was sie tun konnten; denn das Übel wäre sonst nur ärger geworden, und es hätte ihnen leicht ergehen können wie ihren Landsleuten am 10. August 1792 in Paris.

Ferdinand hatte sich unterdessen zu Aranjuez an die Spitze des Aufstandes gestellt, sein Vater, Karl IV., hatte zu seinen Gunsten der Krone entsagt und sich dabei feierlich und auf das dringende Ersuchen der Königin als einzige Bedingung die Lebensrettung des teuren Friedensfürsten vorbehalten, der noch immer im Palast Villa Vicciosa zu Aranjuez schon seit sechsunddreißig Stunden in Todesangst und ohne irgend Speise noch Trank zu sich nehmen zu können, unter Matten versteckt lag. Nur ein einziger ihm treu gebliebener Diener wußte sein Versteck, wurde aber, als er für seinen halbverhungerten Herrn einige Lebensmittel holen wollte, vom Volk erkannt und angehalten, dem er, um sein Leben zu retten, den Aufenthalt Godoïs entdecken mußte. Man fand diesen auf einem Boden unter den Matten, zerrte ihn hervor, überhäufte ihn mit Schimpfworten und Schlägen, und nur durch die größten Anstrengungen gelang es den herbeieilenden Garden, ihn der Wut des erbitterten Volkes zu entreißen und ihm das Leben zu retten, während man fortfuhr, Steine gegen ihn zu schleudern. Um ihn in Sicherheit zu bringen, mußte man ihn schnell in einen Stall werfen und in demselben mit Stroh zudecken. Das Volk drang indessen ungestüm auf seine Auslieferung, und man war im Begriff, diesem Begehren zu willfahren, als zum Glück Godoïs der Prinz von Asturien, Ferdinand, hinzukam, jetzt wohl der einzige Mensch, der ihn zu retten imstande war. Schon bluttriefend, stürzte sich der Elende zu den Füßen desjenigen, dem er Krone und Leben hatte rauben wollen, redete ihn mit „Eure Majestät“ an und bat in den jämmerlichsten Tönen flehend um Gnade. Ferdinand hatte seinem Vater dessen Erhaltung versprochen; er beruhigte das Volk, indem er demselben versprach, es solle die strengste Gerechtigkeit gegen Godoï geübt werden, den er sodann mit einer starken Bedeckung gefangen abführen ließ. Er wurde auch sofort in ein Gefängnis gebracht, vor welchem sich große Volkshaufen sammelten und unaufhörlich Schmähungen und Verwünschungen ausstießen. Als jetzt des alten Königs Abdankung zugunsten seines Sohnes bekannt wurde, besänftigte sich das Volk endlich, und die Ruhe kehrte zurück.

Ferdinand erließ nun ein Dekret an den Rat von Kastilien, wodurch alle Güter, Mobilien und Effekten des sogenannten Friedensfürsten konfisziert werden sollten, wo sie sich auch immer vorfinden würden, kündigte dem Volk an, daß er sich nach Madrid begebe, um Ruhe und Ordnung herzustellen, und daß es seinen Verordnungen gegen Godoï volles Vertrauen schenken möge. Den Herzog von Infantado ernannte er zum Obersten der Garden und rief alle seine verbannten Anhänger zurück.

Unglaublich ist es, welche Freude die Nachricht von dem Sturz Godoïs in ganz Spanien hervorbrachte; wir sahen die Leute wie toll umherspringen, ausgelassen auf den Straßen jubeln und laut aufschreien. In mehreren Städten wurde sogar ein Tedeum deshalb angestimmt, und man veranstaltete öffentliche Feste. Die Büste oder das Bild des Verhaßten wurden beinahe an alle Galgen genagelt oder auf die Schindanger geworfen, Freudenfeuer loderten auf allen öffentlichen Plätzen, und man sprang und tanzte um dieselben. Unter den tausend Gerüchten, die jetzt zu seinem Nachteil in Umlauf gesetzt wurden, verbreitete man auch eines, welches besagte, er habe die Franzosen ins Land gerufen, um sich mit deren Hilfe selbst zum König von Spanien zu machen. Ferdinand hatte sich noch am Tage der Abdankung seines Vaters als König proklamieren lassen und hoffte und erwartete jetzt, von Mürat beschützt zu werden, wiegte sich deshalb in einer gefährlichen Sicherheit, welche die meisten seiner Räte teilten, da sie glaubten, Napoleons Politik heische es sogar, den jungen König anzuerkennen und in Schutz zu nehmen, der jetzt wiederholt um eine Gemahlin aus Napoleons Händen und von dessen Verwandtschaft bat. So hinsichtlich der Absichten des französischen Herrschers vollkommen ruhig, nahm Ferdinand auch nicht die mindesten Vorsichtsmaßregeln, ja die spanischen Truppen wurden zum Teil noch zur Disposition Jünots gestellt, und drei spanische Granden, die Herzoge von Medina Cöli, von Frias und der Graf Fernandes Nunez, wurden Napoleon, den man in Spanien erwartete, entgegengesandt, ihn zu bewillkommnen und ihm zugleich Ferdinands Thronbesteigung anzukündigen.

So standen ungefähr die Sachen, als wir in Madrid ankamen und den Tag darauf der junge König in der Hauptstadt einrückte. Jetzt aber nahm schnell alles eine andere und fast jedermann unerwartete Wendung.

Mürat, der Augenzeuge der Anhänglichkeit des Volkes an Ferdinand gewesen war und eine neue Gärung befürchtete, ließ immer mehr Truppen nach Madrid und in die Umgegend kommen. Die Begebenheiten zu Aranjuez und ihre Folgen hatten Napoleon einen großen Strich durch die Rechnung und alle seine Kombinationen zu nichte gemacht, so daß er genötigt war, seine Pläne zu ändern und ganz andere Anordnungen zu treffen. Am erwünschtesten wäre ihm eine Flucht der königlichen Familie nach Amerika gewesen, zu der er gerne die Hände geboten hätte, weil ihm alsdann, so glaubte er wenigstens, das verwaiste Spanien, das er zuerst seinem Bruder Lucian zugedacht hatte, von selbst zugefallen wäre. Als er die Begebenheiten erfuhr, die seine Projekte so durchkreuzten, ging all sein Trachten dahin, den durch die Anhänglichkeit des Volkes und der Truppen auf den spanischen Thron erhobenen Prinzen möglichst bald wieder herabzustürzen; daher auch das zweideutige Benehmen Mürats und der französischen Generale zu Madrid. Um das beabsichtigte Bubenstück vollbringen zu können, suchte Napoleon Karl IV. und dessen Sohn vor seinen Richterstuhl zu ziehen, indem er sich selbst zum obersten Schiedsrichter der Vorfälle in Aranjuez aufwarf, was bei der großen französischen Heeresmacht, die bereits auf spanischem Boden stand, wohl zu bewerkstelligen war. Wir sowohl als die Spanier erwarteten den Kaiser jeden Tag in Madrid, aber vergeblich; er hielt es für ratsamer, und es war allerdings seinen Zwecken weit dienlicher, die ganze königliche Familie nach Bayonne zu locken, wo er sein Urteil zu fällen beschlossen hatte. Hätte Ferdinand damals die französischen Journale gelesen, die ihn als einen ungehorsamen und verbrecherischen Sohn schilderten und nur Karl IV. als König von Spanien anerkannten, so würde er schwerlich so leicht in die gestellte Falle gegangen sein, doch ist es kaum zu begreifen, wie ihm Mürats Benehmen zu Madrid nicht die Augen geöffnet, denn er hatte ja Karl IV. und seine Gattin durch einen hohen Offizier zu Aranjuez noch als Souverän Spaniens bekomplimentieren lassen, worauf sie sich nach San Lorenzo begaben. Zugleich hatte sich ein Briefwechsel zwischen Mürat und den alten Majestäten entsponnen, dessen Zweck war, Godoï dem Wohlwollen Napoleons und dessen Leutnant zu empfehlen. Man begehrte sogar französische Garden zu dessen Schutz, die sofort bewilligt wurden, auch verhinderte Mürat die Abführung des alten Königs nach Badajoz, wohin ihn die neue Regierung samt seiner Gemahlin verwiesen hatte. Mürat benahm sich indessen so, daß niemand das Schicksal, das dem jungen König zugedacht war, vermuten konnte, sondern jedermann deshalb in Zweifel war. Die Königin von Hetrurien, die damals auch in Madrid war, wollte dieser Ungewißheit à tout prix ein Ende machen und veranstaltete zu dem Zweck, daß sich Ferdinand und Mürat bei ihr persönlich trafen, eine Assemblee. Beide hatten die Einladung angenommen. Der Großherzog von Berg mochte etwa schon eine Viertelstunde anwesend sein, als man mit einem Male den jungen König von Spanien meldete. Mürat, der sich damals noch mit der Hoffnung trug, daß sein kaiserlicher Schwager den Thron von Spanien ihm bestimmt habe – ein Thron war ihm jedenfalls versprochen –, nahm fast gar keine Notiz von dem eintretenden Fürsten, der es nun auch nicht wagte, ihn anzureden, oder vielleicht glaubte, sich dadurch etwas zu vergeben. Ihre ganze Begleitung hatte sich in Seitengemächer verloren, und beide fanden sich plötzlich in einem Salon allein mit der Königin von Hetrurien, die, um sie zu nötigen, miteinander zu sprechen, ebenfalls in ein Nebenzimmer trat und daselbst an einem Klavier phantasierte; aber Ferdinand, in der größten Verlegenheit, eilte, seiner Schwester zu folgen, und Mürat, dem das Geklimper wenig Vergnügen zu machen schien, entfernte sich bald darauf, ohne daß beide ein Wort miteinander gewechselt hatten. So erzählte man sich diese sonderbare Zusammenkunft damals in Madrid, und so hörte ich sie von dem Adjutant-Kommandanten Monthiou bestätigen.

Ferdinand fuhr indessen fort, sich dem Volk täglich mehrmals zu zeigen, und ritt oder fuhr fast ohne Begleitung durch die Straßen von Madrid, wo er immer mit Vivatgeschrei empfangen wurde. Er tat alles, um sich Napoleon und den Franzosen angenehm zu machen; wir wurden fast im Überfluß mit Lebensmitteln versehen, den französischen Offizieren wies man in der Oper und anderen Theatern besonders ausgezeichnete Plätze an, und da Mürat geäußert hatte, daß der Kaiser den Degen Franz I., der seit der Schlacht von Pavia in der Armeria real aufbewahrt wurde, gerne hätte, ließ ihn Ferdinand sogleich durch den Grafen Altemira an Mürat mit den Worten übergeben, daß er sich in keinen Händen besser als in denen des Helden des Jahrhunderts befinden könne. Der Großherzog von Berg, der unterdessen von seinem Schwager weitere Instruktionen bekommen hatte, gab nun dem jungen König zu verstehen, daß es der Kaiser gerne sehen würde, wenn ihm der Infant Don Carlos, Ferdinands Bruder, bis an die Grenzen des Reichs entgegenkäme. Als er dazu seine Einwilligung gab, ließ ihn Mürat bald darauf durch den französischen Gesandten Beauharnais wissen, daß, wenn sich der König Ferdinand entschlösse, Napoleon in eigener Person entgegen zu kommen, dies derselbe sehr hoch aufnehmen und es von dem größten Nutzen für Ferdinands Sache sein würde. Mürat bestätigte selbst die Versicherungen des Gesandten, und der junge König, noch ohne Antwort auf das Schreiben, durch welches er Napoleon seine Thronbesteigung angezeigt hatte, was ihn doch etwas beunruhigen mochte, schwankte noch zwischen Tun und Lassen, als der General Savary, Napoleons Adjutant, mit dem geheimen Auftrag zu Madrid ankam, Ferdinand zu der Reise nach Bayonne zu bewegen. Savary spielte den Fuchs und verbarg unter einer scheinbaren militärischen Offenherzigkeit den eigentlichen Zweck seiner Sendung, indem er sich stellte, als sei er nur gekommen, um den neuen König zu beglückwünschen, und machte diesen glauben, daß seine Gesinnungen gegen seine Eltern ganz mit denen des Kaisers übereinstimmten, daß derselbe die Vorfälle in Aranjuez insgeheim genehmige und ihn sicher als König von Spanien anerkennen werde. Dies alles ließ Savary nur so wie von ungefähr fallen. Er hatte nicht einmal ein Beglaubigungsschreiben aufzuweisen, dabei versicherte er, daß sein Herr bald zu Bayonne eintreffen würde, um sich von da nach Madrid zu begeben. Mürat und Beauharnais stimmten in Savarys Ton ein, ohne noch zu wissen, was Napoleon eigentlich beabsichtige. Um diesen Aussagen noch mehr Wahrscheinlichkeit zu geben, ließ man schon Wagen mit Effekten des Kaisers über die Grenze gehen, auf allen Poststationen Relais bestellen und reitende Garden zu seiner Bedeckung auf denselben verteilen. Es war sogar schon ein kaiserlicher Furier zu Madrid angekommen, der die Wohnung, die in dem königlichen Palast für seinen Herrn bestimmt wurde, besah, sogar die Badeanstalten in demselben anordnete, so daß nun niemand mehr die demnächstige Ankunft Napoleons bezweifelte. Savary fand, daß es jetzt Zeit sei, dem König die Zumutung, seinem Kaiser entgegenzureisen, zu wiederholen, da derselbe bereits von Paris abgegangen sei, was auch wirklich der Fall war, und wenn sich Ferdinand eile, so müsse er in Burgos mit ihm zusammentreffen. Nachdem dieser noch eine Unterredung deshalb mit Beauharnais gehabt, der natürlich mit Savary in ein Horn blies, entschloß er sich zur Abreise, obgleich er wußte, daß Mürat noch fortwährend mit seinen Eltern im Briefwechsel stand. Wir alle wunderten uns nicht wenig über diesen Entschluß, da selbst mehrere französische Generäle sich geäußert hatten: „Der wird schwerlich zurückkehren.“ Aber Ferdinands Räte schienen blind, wie ihr Herr, und fürchteten die Rückkehr des alten Königs und Godoïs, weshalb sie sich nur unter Napoleons Schutz sicher glaubten, und äußerten, es sei eine Beleidigung, einen so großen Helden eines heimtückischen Schurkenstreichs fähig zu halten.

In Begleitung Savarys und seiner vertrautesten Ratgeber reiste Ferdinand den 10. April von Madrid ab. Auf der ganzen Route erwiesen ihm die französischen Truppen die militärischen Ehrenbezeugungen. In Burgos angelangt, wußte man noch nichts von Napoleons baldigem Ankommen; man ging nun nach Vittoria ab, wo es ebenso war. Hier aber übergab Savary, der unterdessen vorausgeeilt und wieder zurückgekommen war, dem hohen Reisenden ein Schreiben seines Herrn, in welchem ihm jedoch der Titel Majestät nicht gegeben wurde. Es enthielt sogar Verweise wegen der Vorfälle in Aranjuez, und Napoleon sprach sich bestimmt als Schiedsrichter über die Angelegenheiten der königlichen Familie aus. Trotz aller Versuche, die man zu Vittoria machte, dem Prinzen endlich die Augen zu öffnen und ihn zu bewegen, nicht weiter zu gehen, und trotz aller Warnungen, die ihm jetzt von mehr als zwanzig Seiten zukamen, indem man ihm sogar das Anerbieten machte, ihn durch einige tausend spanische Zollwachen mit Gewalt aus den Händen der Franzosen zu befreien, im Fall dies nötig sein würde, oder ihn als Maultiertreiber verkleidet in Sicherheit zu bringen, erklärte er dennoch weiter reisen zu wollen, und zwar bis auf französisches Gebiet. Das Volk, besser beraten, wollte ihn nicht fortlassen, schnitt die Stränge an seinem Wagen ab, und es fehlte wenig, so wäre es zum Handgemenge mit den französischen Truppen gekommen, die unter dem Gewehr standen. Trotz alledem ging Ferdinand über die Bidassoa und nach Bayonne, wo sein Bruder schon angekommen war, seine Eltern bald eintrafen, und wo man ihm anfänglich das Königreich Hetrurien für die Krone von Spanien bot.

Zu Madrid hatte unterdessen Mürat die Freilassung Godoïs von der daselbst seit Ferdinands Abreise eingesetzten Junta durch Drohungen ertrotzt, und er wurde den Franzosen übergeben, die auch ihn nach Bayonne sandten. Nun protestierte der alte König gegen seine Abdankung, als durch Aufruhr erzwungen, und Mürat schickte ihn vier Tage später mit der Königin Marie Louise ebenfalls nach Bayonne.

Wir waren indessen in Madrid nicht auf Rosen gebettet, wenigstens waren diese dornig und stachlich genug. Ich hatte mir jedoch, nachdem ich zweimal gewechselt, eine ziemlich angenehme Wohnung zu verschaffen gewußt, in der sich nicht weniger als fünf junge und hübsche Frauenzimmer befanden, von denen noch drei ledig und zwei ausgezeichnete spanische Schönheiten waren. Leider blieb mir gar zu wenig Zeit übrig, denselben gehörig zu huldigen; aber dennoch und trotz des sich schon allenthalben äußernden Franzosenhasses gelang es mir, in nähere Berührung mit zwei Schwestern zu kommen, von denen die eine, Donna Calvanillas, verheiratet, die andere aber, Señora Rosa Maria, noch ledig war. Beide besuchten jeden Tag die ehemalige Jesuitenkirche St. Isidor, die sich in der Nähe ihrer Wohnung befand. Wenn es mir möglich war, begab ich mich zur selben Stunde in diesen Tempel, wo ich weit mehr als im Haus selbst Gelegenheit hatte, mit den Damen bekannter zu werden. Meine Aufmerksamkeit wurde bemerkt und, wie es mir schien, nicht mit ungünstigen Augen. Ich schrieb nun mit Hilfe eines spanisch-französischen Wörterbuchs und einer solchen Sprachlehre ein Billettchen in spanischer Sprache, in welchem ich es versuchte, so lebhaft als möglich den Eindruck zu schildern, den diese kastilischen Schönheiten auf mein Gemüt gemacht. Während sie knieten und ihre Gebete herplapperten, stellte ich mich seitwärts und vor die frommen Schwestern, so daß ich sie im Auge hatte, und als ich sah, daß sie mich bemerkten und manchmal zu mir herüberschielten, hielt ich das Briefchen zwischen den Fingern der rechten Hand, so daß sie es gut sehen konnten, beobachtete auch, wie die eine die andere anstieß und beide dann leise miteinander sprachen. Ich suchte ihnen jetzt durch Zeichen zu verstehen zu geben, daß das Briefchen für sie bestimmt sei; an ihrem Erröten erkannte ich, daß sie mich wohl verstanden haben mußten, und beide hüllten sich tiefer in ihre Mantillas, was ihre Reize noch erhöhte. Als sie die Kirche verließen, kam ich ihnen schnell zuvor und stellte mich an den Eingang derselben, ihnen beim Heraustreten das Billettchen hinhaltend, beide glitten jedoch an mir vorüber, ohne Notiz davon zu nehmen, aber meinen Gruß erwidernd; sie schritten langsam voran, eifrig miteinander sprechend. Ich folgte ihnen in geringer Entfernung, hustete mehrmals, plötzlich drehte sich die eine der Damen um, ging mir ein paar Schritte entgegen, nahm mir mit zur Erde gesenkten Blicken das Billett schnell ab und eilte zu ihrer Schwester zurück. Im Hause sah ich sie diesen Tag nicht wieder, obgleich ich mir alle Mühe deshalb gab, aber den anderen Morgen traf ich sie in der Kirche und kniete hinter ihnen an einem Seitenaltar, sie bittend, mich mit einer Antwort zu beglücken. Ohne mich anzusehen, wurde mir erwidert, ich möge ihnen bei dem Ausgang folgen. In Spanien und namentlich in Madrid dienen die Kirchen noch weit mehr als in Italien zu verliebten Rendezvous, ja die Heiligkeit des Ortes hindert nicht, daß man sich nicht selten, an den Altarstufen kniend, küßt.

Als die Donnas nach kurzem Gebet aufstanden und sich entfernten, gab mir die, welche mir das Billett abgenommen, nochmals ein Zeichen, ihnen zu folgen. Sie gingen nun durch verschiedene Kreuz- und Querwege, durch enge und abgelegene Straßen in eine Calle (Gasse) unweit des Plazuela de la Costanillas, wo sie in ein kleines Haus traten, an dessen Tür sie ein wenig warteten, bis auch ich um die Ecke der Gasse gekommen war und sehen konnte, wo sie eintraten. Man gab mir nochmals einen Wink mit der Hand und verschwand. Ich folgte; eine alte Sybille empfing mich an der Haustür und führte mich durch ein kleines Vorzimmer in ein zweites, wo ich meine beiden Schönen traf. Ich war etwas verlegen, welcher von beiden ich ewige Liebe und Treue schwören sollte, denn das Billett, in dem ich am Schluß auf das dringendste um eine baldige Zusammenkunft gebeten hatte, da ich nicht wissen könne, wieviel Stunden ich noch in Madrid zubringen würde, hatte keine Aufschrift gehabt, Donna Calvanillas aber war es, die es mir abgenommen hatte. Ich war wirklich in einer seltsamen Lage, nicht wissend, welcher ich jetzt eine Liebeserklärung machen sollte. Rosa Maria wäre mir als Mädchen allerdings die liebste gewesen, aber mit der Verheirateten war schneller zum Ziel zu kommen, wenigstens war dies meine Meinung, und es war die richtige. Die Damen schienen meine Unentschlossenheit zu bemerken, und nachdem ich einige spanische Artigkeiten, so gut ich es vermochte, mit italienischen vermischt, gesagt, ging Rosa Maria an ein Fenster des Vorzimmers, die Straße oder den Himmel beschauend und mich mit der Schwester ungestört allein, aber doch die Tür offen lassend. Die Unterhaltung mit der Zurückgebliebenen war an Worten karg und einsilbig, denn wir hatten zu große Mühe, uns zu verständigen, dagegen war sie desto beredter durch Blicke und Mienen, und bald lag die Donna in meinen Armen. Ich bemerkte indessen, daß sich das schwarze Köpfchen der Schwester einigemal an der offen gebliebenen Tür des Vorzimmers zeigte, wohin die Senora auf den Zehen geschlichen war, und neugierige Blicke auf uns warf. Dies hielt mich jedoch nicht ab, an die in den Armen habende Donna die zärtlichsten Liebkosungen zu verschwenden und sie endlich einzuladen, sich mit mir auf die nicht sehr schwellenden Polster einer Art Sofa niederzulassen, wo wir eine halbe Stunde, im Entzücken schwelgend, hinbrachten. Jetzt rief meine Donna auch Rosa Maria wieder ins Zimmer. Nun hatte ich bald eine Schwester in jedem Arm, und der Schäfereien und Tändeleien wurden mancherlei getrieben. Nachdem man sich endlich satt und matt geküßt und die liebenswürdigen Schönen wohl hundertmal „Corazon! Corazon!“, den Lieblingsruf der entzückten Spanierinnen, hatten hören lassen, den ich immer mit einem: „Carissima, bellissima!“ beantwortete, denn an eine zusammenhängende Unterhaltung war nicht zu denken, da ich nicht den zehnten Teil von dem verstand, was mir die lieben Kinder vorschwatzten, so machten wir endlich Anstalt, uns zu entfernen. Nur soviel hatte ich herausgebracht, daß das Haus, in dem wir waren, einer alten Amme der beiden Senoras gehörte, und daß ich mich hüten müsse, sie ferner in unserer Wohnung, auf der Straße oder auch in der Kirche anzusprechen, indem der Cortejo (ungefähr das, was ein Cecisbeo in Italien ist) der Donna Calvanillas, ein ältlicher geistlicher Herr, sie sorgsam bewache. Dagegen könnten wir uns jede Woche einigemal ohne alle Gefahr in der Wohnung der alten Amme sprechen, vielleicht auch bei einer Refrescos oder Tartulia (ersteres sind Nachmittagsgesellschaften, bei denen farbiges Eiswasser, Schokolade, Sorbetti, Gefrorenes, Konfitüren und allerlei Zuckerwerk in großer Profusion gereicht und geplaudert wird, die Tartulia aber sind Abendgesellschaften, die recht munter und unterhaltend sind, zu denen man gerne Fremde einladet und mit zuvorkommender Artigkeit behandelt), die ihre Verwandten bisweilen in ihrer Wohnung veranstalten, sie manchmal sehen, indem sie zu veranlassen hofften, daß ich eingeladen würde. Nach einem zärtlichen Abschied trennten wir uns in der Hoffnung, uns bald wieder hier zu treffen, was aber nur noch einigemal der Fall und zuletzt mit Gefahr verbunden war.

Wenig Zeit blieb mir auch übrig, die Merkwürdigkeiten Madrids kennen zu lernen, denn es verging jetzt beinahe kein Tag mehr, an dem es nicht Alarm gegeben hätte.

Auch die Theater besuchte ich nur wenig, kaum ein halbes dutzendmal, da mir der Dienst dies nicht öfter gestattete und ich mich auch langweilte, indem ich die Sprache zu wenig verstand und meist nur Tonadillas und Sayanetes gegeben wurden, in denen es sehr frei und ungeniert auf der Bühne zuging und wollüstige Stellungen und sehr unanständiges Küssen häufig vorkamen, was nicht hinderte, daß sich Geistliche und Kutten jeder Farbe in Parterre und Logen blicken ließen und sichtbar ergötzten. Auch die italienische Oper besuchte ich, fand mich aber wenig befriedigt, da sie kaum mit den mittelmäßigsten Italiens konkurrieren konnte. Die Theater waren nicht sehr besetzt; bei einem Stiergefecht drängen sich die Spanier ganz anders hinzu.

Der Prado ist so ziemlich der einzige Spaziergang innerhalb der Stadt, wozu man noch die Straße Alcala und Puerta del Sol rechnen kann, da auch diese zum Spazierengehen benützt werden. Er ist aber der unterhaltendste, den man sich denken kann, vielleicht der angenehmste der Welt, und historisch merkwürdig. Er war von jeher auch ein Rendezvous für verliebte Intrigen und Abenteuer, und die Romanschreiber und Dichter Spaniens haben ihn weltberühmt gemacht. Bald waren es die greulichsten Mordszenen, bald politische Komplotte, Verschwörung und Verrat, die zu seiner Berühmtheit beitrugen. Er hat wenigstens siebentausend Fuß im Umfang, eine breite Allee mit vielen Seitengängen durchzieht seine ganze Länge, die Wagen fahren in der Mitte, die Seiten sind für die Fußgänger bestimmt. Diese Promenade beginnt am Tor Ricoletos, geht über die Straße Alcala, bis an das Tor Atocha, ein Weg von beinahe einer Stunde. Der Zulauf ist hier außerordentlich. Die Damen der höheren Stände besuchen ihn nur in Wagen, die zu Fuß Gehenden sind meistens aus dem niederen Bürgerstande, schwarz gekleidet und mit der beliebten Mantilla versehen, die nur eine Spanierin zu tragen versteht.

Kaffeehäuser gibt es zwar in großer Zahl zu Madrid, aber sie sind mit denen in Frankreich und Italien nicht zu vergleichen, oft wahre Spelunken, in denen man sehr schlecht bedient wird. Nicht viel besser sind die Gasthöfe. – Nirgends sind wohl die Nymphen der Freude so verführerisch wie in Madrid. Man teilt sie in Cortesanos, Majos und Muchachas, von denen die ersten die vornehmsten, meist unterhaltene Mädchen sind, die aber noch ihre Extraliebhaber nebenher haben. Die Majos, wie die Loretten in Paris, wählen noch, die letzten aber sind völliges Gemeingut. Sobald die Göttin der Nacht ihren Schleier auszubreiten und die Dämmerung beginnt, schwärmen sie gleich Bienen und Fledermäusen aus allen Gassen hervor, wobei sie Rosenknospen ähnliche Mäulchen machen und ihr meist rabenschwarzes Seidenhaar zum Teil sehen lassen. Öffnen sie den Mund, so zeigen sie zwei Reihen der schönsten Perlenzähne. Ihr Wuchs ist in der Regel ätherisch schlank. Sie haben immer ein recht frisches Aussehen und meist die verführerischesten kleinen Füße, dabei eine wohltönende, melodisch-lockende Sirenenstimme. Dennoch ließ ich mich nicht verlocken, obgleich ich mir die Ohren nicht mit Baumwolle verstopft und scharfsehende Augen hatte. Die Geistlichkeit und Mönche sind ihre besten Kunden, zahlen aber oft nur mit Absolution, büßen aber nicht selten dafür durch abscheuliche Krankheiten.

Die Einwohner Madrids sind ein sehr lebenslustiges Volk. Besonders heiter ist man des Abends und bis tief in die Nacht hinein, wo alle Spaziergänge und öffentliche Orte mit Menschen angefüllt sind und man sich auch im Freien zu Tartulias versammelt, sehr munter ist, und wo es oft toll genug zugeht. Die Frauen sieht man selten ohne ihre Mantilla, unter welcher sie die Basquina, ein langes schwarzseidenes Kleid tragen. Namentlich sind in den Kirchen alle so gekleidet, und diese Tracht steht denen, die schön gewachsen, was die meisten sind, bezaubernd. Auch haben sie die schönsten Augen von der Welt, mit denen sie wahrhaft durchbohrende Blicke zu schleudern verstehen. Der Cortejo (Cicisbeo oder Courmacher) der Damen ist meistens ein Kanonikus oder Geistlicher, bisweilen auch ein Offizier, ein Verwandter des Mannes. Die ersteren sind in der Regel schon bei Jahren, betrügen dennoch aber die Ehemänner, die sie anstellen, nicht selten. Die machen gar oft den Bock zum Gärtner, und je älter der Bock, desto steifer das Horn, heißt es bei diesen gezwungenen Hagestolzen der Kutte. Die spanischen Damen haben auch eine ganz besondere Liebhaberei an Papageien, Kakadus, Affen und ähnlichen Tieren, die man an den Fenstern fast eines jeden nur mittelmäßigen Hauses sieht. In den Nächten hört man, bis die Mitternachtsstunde vorüber, Gitarren und Mandolinen auf allen Straßen vor den Balkonen der Schönen erklingen, ein Gebrauch, den, wie diese Instrumente selbst, die Mauren nach Spanien brachten. Der Fandango ertönt allerorten und ist, von den reizenden üppigen Spanierinnen aufgeführt, ein Tanz, der den Zuschauern alles Blut in Wallung treibt und selbst in Wollust getaucht scheint. Der heilige Antonius selbst würde, und wenn er auch zehn Jahre lang nichts als Wurzeln und Kräuter gegessen und nur noch Haut und Knochen gewesen, diesem Versucher schwerlich widerstanden sein. Ja der frömmste Büßer muß seine Buße zu allen Teufeln wünschen, wenn eine junge, vollbusige, schlanke Andalusierin diesen, alle Sinne verwirrenden Tanz mit ihrer unwiderstehlichen, fast überirdischen Anmut aufführt.

Man erzählt sich, daß, als man einst von Rom, wo ein gichtbrüchiger Papst auf Petri Stuhl saß, den Fandango bei Strafe des Kirchenbannes verbieten wollte, ein vernünftiger Kardinal dem heiligen Vater die richtige Bemerkung machte, man solle niemand, ohne gehört oder gesehen, verdammen. Man ließ nun den verführerischen Tanz vor einer zu Richtern über denselben bestimmten Versammlung von Kardinälen durch reizende Spanierinnen aufführen. Aber kaum entfalteten die schönen Tänzerinnen die Anmut ihrer Bewegungen, so verschwanden auch schon alle Falten der gerunzelten Stirnen der alten Eminenzen, sie fingen mit Händen und Füßen zu zappeln an, schlugen den Takt dazu, und die heilige Jury sprach den Fandango einstimmig frei.

Aber das Vergnügen, welches der Fremde bei diesem Tanz empfindet, wird zur Abscheu, wenn er einer Hauptergötzlichkeit der Spanier, einem Stiergefecht beiwohnt, auf welches, horribile dictu, die Damen am ärgsten versessen sind. Sie würden kein Opfer scheuen, selbst nicht das ihrer höchsten Gunst, um einem solchen beiwohnen zu können. Das letzte Hemd wird verkauft oder versetzt, um dieses Gelüst zu befriedigen, und dann fährt man mit Grandezza auf den Plaza mayor.

In der Regel lebt man in Madrid ziemlich billig; aber teurer als gewöhnlich war es während unseres Aufenthalts daselbst. Das Fleisch, mit Ausnahme der Schweine, war nicht sonderlich, nur die Toledaner Hammel sind nicht schlecht. Das Geflügel aber ist sehr gut und in großem Überfluß. Früchte und Gemüse sind ebenfalls gut, werden aber abscheulich, für Fremde oft ungenießbar zubereitet. Das Brot, pan candial, ist ein wahres Kuchenbrot; aber die Feuerweine, wie Alikant, Xeres, Canaries, Vinos generos, Val de pennos, la Mancha, müssen einen Eisklumpen noch beleben, haben aber auch schon manchem ungenügsamen Fremden das Grab geöffnet.

Die Spanierinnen haben fast alle sehr melodische Stimmen, so daß schon ihre Rede fast wie lieblicher Gesang tönt. Ihre Sprache ist ein glühender Liebeshauch, ihre Augen und Blicke unter den nie fehlenden Schleiern erschüttern Mark und Bein und sind herzdurchbohrend. Dabei sind sie galant und verliebt bis über die Ohren. Sie sehen die Fremden sehr gerne, und wären die Franzosen als Freunde geblieben, so hätten sie Spanien durch die Frauen und Mädchen erobert und gefesselt. Aber die unglücklichen Ereignisse machten, daß später das französische Militär fast in gar keine freundliche Berührung mehr mit den Einwohnern kam. Freilich besitzt der Spanier wenig Liebenswürdigkeit, ist hochmütig, gebieterisch und herrisch gegen das schöne Geschlecht, verrichtet dabei aber alle Frauendienste, ein ungeheurer Abstand gegen den galanten Franzosen, und dabei selten ein schöner Mann; in der Regel eher häßlich zu nennen. Selbst sein Organ ist rauh und unangenehm und seine Aussprache hart. Von der Mäßigkeit der Spanier im Essen und Trinken kann man sich kaum einen Begriff machen: eine Familie von zehn Personen hat oft genug an dem, was mancher Süddeutsche oder Schweizer allein zu sich nimmt. Eine gesalzene Sardelle, ein Stückchen Knoblauch und trockenes Brot, oder ein Ei und etwas Obst ist oft das ganze Mittagmahl. Eine Wassersuppe mit Öl, ein Dutzend Schnecken, Schwämme und so weiter sind schon Leckerbissen in den Dörfern.

Eine sehr große Rolle spielte zu jener Zeit noch der Aberglaube in ganz Spanien und unter allen Ständen. Wahrsager, Schwarz- und Weißkünstler, Hexenmeister gab es in jedem Dorf, und ganze Banden solchen Gesindels streiften in dem Land umher, sich von der Dummheit der Einwohner mästend. Die Barbiere sind ein entsetzlich geschwätziges Volk, höchst zudringlich und auch bei galanten Abenteuern nützlich, aber ein Figaro ist mir doch nicht unter ihnen begegnet, dagegen Gil-Blas und Sancho Pansas genug.

In der Regel sind die Wohnungen der Spanier im Innern sehr kahl, haben meistens eine schlechte Einrichtung. Große düstere Zimmer mit alten Heiligenbildern verziert, zerlumpte Vorhänge, ebensolche Tapeten, einige alte Sessel, einige Tische und Stühle, altmodische Spiegel, das war das ganze Mobiliar eines selbst bemittelten Mannes. – Der spanische Adel ist auf sein Herkommen und seinen Stammbaum ebenso eingebildet und dummstolz, als mancher hannoversche oder sächsische Kraut- und Landjunker. Ein jeder Hidalgos, wenn er auch in Lumpen gehüllt ist und kein ganzes Hemd mehr auf dem Leibe hat, besitzt doch gewiß seinen wurmstichigen Stammbaum in seiner Dachkammer, oft der einzige Zierat, oder besser der Unrat seiner hohen Wohnung. Dabei sind sie gegenseitig so komisch komplimentenreich, daß man in Versuchung kommt, sie für Policinellos zu halten. Die Don Ranudo de Colibrados sind noch lange nicht ausgestorben und blühen in Spanien noch wie in Deutschland und Italien. Seltener ist diese Schmarotzerpflanze in Frankreich, wo sie die Lächerlichkeit nicht aufkommen läßt. Fast die Mehrzahl der Spanier liebt das Zölibat, dagegen haben sie Mätressen zu halben Dutzenden, wenn es ihre Umstände erlauben.

Der Ursprung Madrids ist gänzlich unbekannt. Aber ein großer Teil seiner Bewohner behauptet in allem Ernst, daß die alten Griechen die Stadt gegründet hätten, andere sagen, es sei das alte Mantua Carpetanorum. Die ersten, einigermaßen zuverlässigen geschichtlichen Nachrichten hat man aus den Zeiten, wo die Könige von Kastilien hier ein Schloß hatten, das schon erwähnte, welches an der Stelle des heutigen neuen königlichen Palastes stand. Philipp II. verlegte zuerst seine Residenz und seinen Hof für immer hierher, nachdem sein Vater Karl I. (V.) schon einen großen Teil seiner Zeit daselbst zugebracht hatte. Jetzt wurde die Stadt immer bedeutender, kam schnell empor, wozu religiöse Feste, Autodafés und Stiergefechte nicht wenig beitrugen. Die Autodafés waren eine bittere und blutige Satire auf die christliche Religion und ihren Stifter, und wurden oft nur gehalten, um dem Volk eine Unterhaltung zu gewähren, die es zugleich mit Furcht und Schrecken erfüllen sollte. Da wurden, um Fruchtbarkeit und gutes Wetter vom Himmel zu erlangen, Ketzer, Zauberer und Hexen unter dem Jubel des unzähligen Pöbels aus allen Ständen verbrannt. Den armen Sündern wurde vorher das Urteil in den Kirchen verkündigt und ihnen noch eine recht erbauliche Bußpredigt gehalten. Dann wurden sie auf den Plaza mayor geführt, wo man noch eine Messe an einem Altar las, und sie hierauf in die hellodernden Flammen des neben dem Altar errichteten Scheiterhaufens warf. Nun wurden noch allerhand heilige Schnurrpfeifereien vorgenommen, das Volk mit schmutzigem Weihwasser bespritzt, man kniete, betete, bekreuzigte sich und streute zu guter Letzt die Asche der Verbrannten in alle Winde. Die heilige Hermandad, ihre Henkersknechte – die Inquisitionsrichter – und tausende von Pfaffen entfernten sich dann heulend und brüllend in Prozession, und das erbaute Volk verlief sich nach allen Seiten. In fast allen Kirchen Spaniens sieht man Abbildungen solcher, zur Ehre der Dreieinigkeit und zur Schande der Menschen und ihrer Religion gehaltenen Autodafés. Gewöhnlich sind sie am Hochaltar angebracht und recht gräßlich gemalt. Da werfen die Schindersknechte einen zitternden Greis, dort ein altes Weib, hier ein schönes Mädchen in die Flammen. Ihre Namen liest man unter dem Gemälde. Noch in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde eine hübsche junge Frau aus Sevilla verbrannt, weil sie ein Verhältnis mit dem Teufel unterhalten, der ihr die Gabe der Weissagung verliehen hatte. Trotzdem aber konnte sie ihr eigenes Schicksal keinen Tag voraussehen. Noch später wurde ein Schneider, der sich der Magie ergeben hatte, aus ganz besonderer Gnade zwar nur im Bilde verbrannt, aber während dieser Operation in Natura blutig ausgepeitscht, bis er selbst fast seinen Geist aufgab.

Bis zu den Zeiten Philipp V. hielt man noch Turniere, Ringelreiten und dergleichen in Madrid und feierte namentlich ein Fest, ‚Die Belagerung von Amors Schloß‘ genannt, im Wonnemonat jeden Jahres mit großem Pomp. Der Plaza mayor war ebenfalls die Schaubühne desselben. Man erbaute auf demselben eine große hölzerne, mit Festons geschmückte Burg, auf deren Mauern allerlei Allegorien gemalt waren. Die schönsten Frauen und Mädchen bildeten als Ritter und Knappen die Besatzung dieser Burg und zeigten sich mit Kränzen und Blumen bewaffnet auf den Mauern, während vor derselben von den Belagerern Quadrillen zu Pferd und zu Fuß aufgeführt wurden. Hierauf gab eine sanfte Musik das Zeichen zur Erstürmung der Feste, deren Verteidiger dieselbe nur durch das Herabwerfen ganzer Körbe voll Blumen zu schützen versuchten. Die Stürmenden aber ließen sich dadurch nicht abhalten, mutig hinanzuklimmen, und wurden als Sieger mit Küssen und Kokarden von den Schönen empfangen. Jetzt wurde ein Triumphzug zu Roß und zu Wagen durch alle Hauptstraßen der Stadt, in denen Triumphbogen von Blumen errichtet waren, gehalten, und von allen Balkonen bewarf man die Vorüberziehenden ebenfalls mit Blumen. Musik, Gesang und Tanz währten die ganze Nacht hindurch, in welcher die Stadt durchaus bis zum Anbruche des Tages erleuchtet war.

Daß an einem Amorfest die Frauen den größten Anteil nehmen, ist sehr natürlich. Aber daß sie es auch sind, die mit der größten Gier den Stiergefechten nachlaufen, sich an dem Verbluten der gemarterten Tiere ergötzen, mit Vergnügen die Wunden des gehetzten Tieres zählen, und bedauern, daß es durch zu frühes Hinscheiden seine Leiden endet, und dessen Mörder und Hetzhunde mit Beifall überschütten, ihnen, mit Händen und Füßen tobend, zujauchzen, während der arme edle Stier mit dem Wutschaum vor dem Maul niederstürzt und ein letztes, durch Mark und Bein dringendes Schmerzgebrüll ausstößt, sich qualvoll in seinem Blute wälzt, ist höchst unnatürlich. Die schönsten Opfer dieser Grausamkeit liefern die andalusischen Wildnisse, in denen man die Stiere mit Hilfe abgerichteter Kühe fängt und dann zu diesem Marterspiel aufbewahrt. Selbst die sonst in Spanien so hoch, ja göttlich verehrten Päpste waren so wenig wie die Könige des Landes imstande, diesem Greuel ein Ende zu machen. Sobald von Abschaffung der Stierkämpfe die Rede war, drohte jedesmal die ganze Nation sich zu empören, und man war genötigt, dem guten Volk schnell wieder einige Hundert dieser Tiere zu opfern, um es zu beruhigen und zu überzeugen, daß man ihm dieses Vergnügen nicht rauben wolle.

XI.
Drohende Stimmung der Einwohner zu Madrid. – Aufstand zu Toledo. – Der blutige Aufstand am 2. Mai zu Madrid. – Wegnahme des Artillerieparks. – Ich rette einem Insurgenten das Leben und werde dabei verwundet. – Ein Renkontre mit Murat. – Eine gefährliche Zusammenkunft. – Abmarsch nach Toledo. – Abmarsch über Madrid nach Aragonien. – Unterwürfigkeit der Madrider Behörden und des Inquisitionsgerichts gegen die Franzosen. – Fast ganz Spanien im Aufstand. – Die Junta zu Sevilla und die Provinzialjuntas erklären Frankreich den Krieg. – Wir stoßen zu dem Belagerungsheer vor Saragossa.

Seit Ferdinands Abreise von Madrid schienen alle spanischen Gesichter ein ganz anderes Aussehen zu haben. Man blickte uns mit auffallend finsteren Augen an, um so mehr, da man wußte, daß wir jetzt ganz auf Spaniens Unkosten lebten und unterhalten wurden. Das Benehmen der Krieger der großen Nation war im Gefühl ihrer bisherigen Siege ziemlich arrogant, was zu öfteren Händeln Veranlassung gab, die zwischen den Einwohnern und Soldaten vorfielen, in die sich aber das spanische Militär durchaus nicht mischte, sondern ganz neutral verhielt. Auch verschwand hier und da mancher französische Soldat, ohne daß man herausbringen konnte, was aus ihm geworden war. Murat fuhr fort, Truppen nach Madrid zu ziehen. Dupont wurde mit seinem Stab und einem Teil seiner Division nach Aranjuez und die Umgegend verlegt. Der Rest hatte unter dem Befehl Vedets Besitz von Eskurial genommen. Die dritte Division lag noch bei Segovia und viele Bataillone biwakierten in geringerer oder größerer Entfernung von der Hauptstadt. Das Gerücht, daß Napoleon Ferdinand VII. nicht anerkenne, fand bald allgemeinen Glauben, man erfuhr, daß in Toledo schon ein Volksauflauf stattgefunden habe, bei dem sich die Anhänger des alten Königs und Godoïs flüchten mußten. Man hatte dabei Ferdinands Bild im Triumph herumgetragen. Wer ihm begegnete, mußte seine Knie vor demselben beugen und ihm ein Vivat bringen, wollte er nicht von dem mit Säbeln, Spießen und Gewehren bewaffneten Volk mißhandelt oder gar ermordet werden. Fünf Tage darauf marschierte Dupont schon nach Toledo ab, wohin er sein Hauptquartier verlegte. Er fand keinen Widerstand bei seinem Einzug, wie er gefürchtet und weshalb er in Schlachtordnung vorgerückt war, sondern der Erzbischof, ein Bruder der Gattin Godoïs, kam ihm mit dieser und einer Zahl Geistlichen entgegen. Aber das Volk maß die Ankömmlinge mit finsteren, vielsagenden Blicken.

Wir standen jetzt in Madrid wie auf einem Vulkan, von dem alle Anzeichen einen nahen Ausbruch verkündeten. Nur mit großer Mühe hatte man bei Godoïs Freilassung einen Aufstand unterdrückt. Als man aber die Gewißheit bekam, daß Ferdinand Spaniens Grenze überschritten und dessen Vater gegen seine erzwungene Abdankung protestiert habe, da wurde die Erbitterung allgemein und furchtbar. Die böse Stimmung der Gemüter war nicht mehr zu verkennen und stieg aufs höchste, als sich übertriebene Gerüchte hinsichtlich der Mißhandlung, die der vergötterte Ferdinand in Bayonne erlitten haben sollte, in Madrid verbreiteten. Den ganzen Tag standen Tausende um das Postgebäude, die von Frankreich kommenden Kuriere und Briefe erwartend. Man teilte sich auf der Puerta del Sol, dem Prado und an allen öffentlichen Orten und Plätzen Briefe mit, welche die Vorfälle zu Bayonne mit den schwärzesten Farben schilderten. Wut und Ingrimm machten sich auf den braunen spanischen Gesichtern bemerkbar, und nur noch mit Mühe unterdrückten die Leute den Ausbruch ihres Zornes.

Es wurden nun allerlei Maßregeln von unserer Seite ergriffen, den bevorstehenden Sturm zu beschwören und das Verbreiten schlimmer oder falscher Nachrichten zu verhindern, aber vergeblich. Auch fing man die Sache verkehrt an. Umsonst ritt Murat täglich zu verschiedenen Stunden mit großem Prunk und glänzendem Gefolge durch die Straßen der Hauptstadt, um sich dem Volke zu zeigen und es zu besänftigen. Diese Ostentation hatte gerade die entgegengesetzte Wirkung. Das Volk hielt sie für Hohn und glaubte, man spotte seiner. Man murrte laut, und nicht selten ließ sich ein gellendes Pfeifen hören, wenn der Zug vorüberritt. Murat war durch die ertrotzte Befreiung und Abführung Godoïs jetzt ebenso verhaßt wie dieser geworden. In der peinlichsten Lage befand sich jedoch die hohe Junta, welcher Ferdinand die Zügel der Regierung bei seiner Abreise übergeben hatte, und die nicht mehr wußte, wer Koch oder Kellner war, daher in dieser Verwirrung keinen Leitfaden finden konnte, der ihr den rechten Weg gezeigt hätte. Auch wollte sie es mit keiner Partei verderben. Die wenigen spanischen Truppen, die noch in Madrid lagen, es waren kaum zweitausend Mann, wurden in den Kasernen konsigniert, als die Gärung auf das höchste gestiegen war. Es gab jetzt schon blutige Raufereien zwischen den Einwohnern und unseren Truppen. Unsere Artillerie war sehr zahlreich in Buen Retiro aufgestellt, um im Falle der Not jeden Augenblick bereit zu sein. In Madrid selbst stand die kaiserliche Garde zu Fuß und zu Pferd, eine Division von der Linie, eine Brigade Reiterei und so weiter. In Aranjuez und der Umgegend lagen noch an dreißigtausend Mann. Als das Unwetter drohte, erhielten wir Order, im Prado zu biwakieren. Das Kloster des heiligen Bernhard war mit Soldaten angefüllt, die nicht aus den Kleidern kamen und Tag und Nacht unter Gewehr standen, auf das geringste Alarmzeichen passend. – Als Murat nun dem noch in Madrid anwesenden Infanten Don Antonio mitteilte, daß er von Karl IV. den Auftrag erhalten habe, die Königin von Hetrurien mit ihrem dreizehnjährigen Sohne auch nach Bayonne zu schicken, da erklärte die Junta, daß sie den letzteren nicht ohne den ausdrücklichen Befehl des König Ferdinand abreisen lassen würde. Murat entgegnete, daß er alle Verantwortung deshalb auf sich nehme, und bestimmte den 2. Mai (1808) zum Tag der Abreise der Königin und ihres Kindes. Als dies in der Hauptstadt bekannt wurde, setzten deren Einwohner alle noch bis jetzt beobachteten Rücksichten beiseite und riefen laut in den Straßen die infamierendsten Schmähungen gegen den Kaiser der Franzosen, aus dem sie einen picaro, un cobarde ladron machten. Da auch seit einigen Tagen die Nachrichten aus Bayonne ausblieben, so vermutete man, daß daselbst das Ärgste vorgefallen sein müsse, und sprach von Ermordung und Vergiftung der beiden Prinzen, Don Ferdinand und Don Carlos, durch Godoïs Einfluß. Auch die Weiber wurden nun wütend, und wo man eine französische Uniform sah, murmelte man: perro francés. So war die Stimmung am 2. Mai, und die ungeheure pulverschwangere Mine erwartete nur den zündenden Funken, um alles zertrümmernd in die Luft zu sprengen. Dieser Funke war die Abreise der Königin von Hetrurien. Die vorhergehende Nacht stand die ganze Garnison unter dem Gewehr und starke Patrouillen kreuzten in allen Richtungen. Dies hinderte nicht, daß sich schon mit Tagesanbruch eine unermeßliche Menge Volk vor dem Palast versammelte, den die Königin bewohnte. Unter diesen Haufen war eine Menge Weiber aus den untersten Klassen und alle hatten drohende Gesichter. Die Vorbereitungen zur Abreise wurden auf das schleunigste betrieben, und es gelang, daß die Königin mit ihren Kindern noch vor neun Uhr abfuhr. Noch waren die Wagen ihres Gefolges zurück, welche das versammelte Volk für den Infanten Don Francisko bestimmt glaubte, der, wie man versicherte, sich weigere, abzureisen, und in Verzweiflung sei. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich dieses Gerücht unter den Massen, worauf die Weiber laut zu heulen und zu schreien, die Männer aber zu fluchen und zu schimpfen begannen und alle Verwünschungen gegen die Franzosen ausstießen. Gerade in dem Augenblick, als die Erbitterung auf das höchste gestiegen war, kam Murats Adjutant Lagrange aus dem Palast, und eine Stimme rief laut: „Das ist der picaro, der den Infanten mit Gewalt fortschleppen will!“ Man umringt sogleich den Offizier, schimpft und stößt ihn, er zieht den Degen, war aber am Unterliegen, als sich eine Grenadierpatrouille bis zu ihm Platz macht und ihn dem unvermeidlichen Tod entreißt. Dies war das Zeichen zum allgemeinen Aufstand der ganzen Bevölkerung Madrids. In wenigen Augenblicken sind alle Straßen mit bewaffneten Bürgern und Bauern angefüllt, die Piken, Dolche, Gewehre, Hellebarden und so weiter handhaben. Die Trompeten schmettern, die Trommeln wirbeln den Generalmarsch und die Sturmglocken heulen durch die Lüfte. An den noch nicht abgegangenen Wagen zerhaut das Volk die Stränge, ohne daß es das herbeieilende Pikett-Bataillon, das bei Murat die Wache hat, verhindern kann. Wir alle glaubten, daß dies der Ausbruch einer tiefangelegten Verschwörung, alle Franzosen zu morden, sei. Aber es war nur die natürliche Folge des allgemeinen Unwillens, den der empörte Nationalstolz hervorbrachte. Die wütenden Bürger rennen jetzt mit Eisenstöcken, Knütteln, Spießen, alten Schwertern, Büchsen und so weiter durch alle Straßen und schlagen alle Franzosen, denen sie einzeln oder in geringer Zahl begegnen, gleich tollen Hunden tot. Nicht besser ergeht es jenen, die sich noch hier und da in den Häusern befinden, wie Kommissäre, Offiziersbediente und so weiter. Adjutanten und Offiziere, welche Orders an Korpskommandanten zu überbringen haben, werden von den Pferden herabgerissen, gesteinigt und tödlich verwundet. Aus vielen Fenstern wird auf alle vorbeieilenden Franzosen geschossen oder siedendes Wasser und Öl auf sie herabgegossen, und jetzt entspinnt sich an hundert Orten zugleich der wütendste, blutigste Kampf. Unser Bataillon, das noch in der Nähe des Tores von Segovia unter den Waffen stand, erhielt Order, sich auf die Höhen vor dem Tor Sankt Vinzenz zu begeben, wohin mehrere Truppen ihre Richtung nahmen, wo Murat seinen Standpunkt gewählt hatte und von wo aus er seine Befehle nach allen Richtungen sandte. Reitende Ordonnanzen gingen ventre à terre ab, den in der Umgebung kampierenden Truppen die Befehle zu überbringen, auf das schleunigste gegen die Hauptstadt zu marschieren. Hierauf wurden die Kolonnen gegen verschiedene Straßen und Plätze der Stadt in Marsch gesetzt. Die breite Straße Alcala wurde mit Kartätschen gesäubert, die Kavallerie der Garde und die Lanciers hieben und stachen auf die Massen ein. Unser Bataillon sowie ein großer Teil der Infanterie lief, in Peletons abgeteilt, durch die Straßen und drang in Häuser, aus denen man geschossen hatte. In einem Hause der Calle San Bernardo hatte ich die größte Mühe, drei Frauen und einen Knaben der Wut der erbitterten Soldaten zu entziehen, um ihnen das Leben zu retten, konnte aber nicht verhindern, daß zwei der ersteren dennoch geschändet wurden. Immer mehr Truppen kamen jetzt in die Stadt, aber von der anderen Seite auch Tausende von bewaffneten Landleuten aus der Umgegend, die den Bürgern zu Hilfe eilten, und Geistliche und Mönche, mit dem Kruzifix in der Hand, stellten sich an die Spitze der Volkshaufen und ermutigten sie zum verzweifelten Kampf. Um elf Uhr vormittags hatte das wütendste Gefecht schon auf allen Punkten begonnen und nahm mit jedem Moment zu. Das spanische Militär war noch immer in seinen Kasernen konsigniert und hatte Befehl, die strengste Neutralität zu beobachten. Ein Haufen Volk eilte hin, diese Truppen aufzufordern, sich mit ihm zu vereinigen; aber vergeblich. Die Kommandeurs hielten sie zurück, und nur einigen gelang es, sich unter das Volk zu mischen. Dieses war so wutentbrannt, daß es sich oft blindlings mit Dolchen oder Stöcken in unsere Reihen stürzte und sich sterbend glücklich pries, wenn es ihm gelungen war, einen der Unsrigen zu verwunden. Mitten unter diesen, gleich Löwen fechtenden Haufen standen Weiber mit fliegenden Haaren, flatternden Mantillen, welche die Männer zum Ausharren im Kampf aufmunterten, ja selbst vor der im Galopp heransprengenden Reiterei nicht zurückwichen. Als einige den Ruf: „Nach dem Park, holt Waffen!“ hören ließen, rannte das Volk dahin, um sich der daselbst vorhandenen Kanonen und vieler tausend Gewehre zu bemächtigen. Aber der dort die Wache habende Offizier, ein spanischer Artillerieleutnant, weigerte sich, dieselben auszuliefern. Als man noch deshalb hin und her stritt, kam ein anderer Offizier namens Ruez mit einer Abteilung von fünfzig Mann, die den Park schützen sollten. Aber statt dessen ließ er das Volk gewähren, öffnete ihm sogar die Türen, und es bemächtigte sich schnell der vorhandenen Gewehre, wohl über zehntausend, sowie der Munition. Auch die sich in dem Park befindenden Kanoniere nahmen Partei für das Volk, zogen Kanonen heraus und pflanzten sie in verschiedenen Straßen, wo sie glaubten, daß die Franzosen herkommen würden, auf. In diesem Augenblick rückten unsere Kolonnen in der Straße San Bernardo vor, denn wir hatten Befehl, uns des Parkes um jeden Preis zu bemächtigen. Als uns das Volk gewahr wurde und heranlaufen sah, feuerte es die Kanonen ab, und der Kommandant unserer Kolonne stürzte mit noch mehreren anderen Soldaten an der Spitze derselben tot nieder, während andere schwer verwundet wurden. Dies veranlaßte, daß die Kolonne zurückwich; hierdurch entstand Unordnung, und mehrere der Unsrigen fielen in die Hände des wütenden Volkes. Doch brachte der jetzt befehlende Bataillonschef Carlier die Truppen bald wieder zum Stehen, und ein spanischer Kapitän, den die Regierungs-Junta als Parlamentär abgesandt hatte, stellte sich, mit einem weißen Tuch winkend, an unsere Spitze, seinen Landsleuten zurufend, sie möchten mit dem Feuern einhalten, wir seien von der Junta abgeschickt, den Park nur zu schützen. Das Volk hörte zwar auf diesen Befehl, als wir aber weiter vorrücken wollten, rief man uns zu: um zu beweisen, daß wir als Freunde kämen, sollten wir die Waffen ablegen; und da wir, wie natürlich, dies nicht taten, feuerten sie aufs neue. Jetzt begann ein äußerst hartnäckiges Gefecht, das damit endigte, daß wir die Kanonen mit bedeutendem Verlust im Sturm nahmen und so Herren des Parkes wurden. Aber der größte Teil der Waffen und des Pulvers waren schon weggenommen.

Der Kampf hatte sich nun in fast alle Gegenden und Straßen Madrids verbreitet, obgleich sich mehrere Mitglieder der Junta die unsäglichste Mühe gaben, dem Blutvergießen Einhalt zu tun, und mit Lebensgefahr durch die Gassen ritten, weiße Tücher schwingend. Immer mehr gestaltete sich die Schlacht, denn das war sie, und zwar mitten in einer Stadt, zu unserem Vorteil. Aber jetzt waren auch die Unsrigen bis zur Wut entflammt, da sie allenthalben auf die entsetzlich verstümmelten Leichen ihrer Kameraden stießen; besonders waren viele Mameluken von der Garde, welche die Orders zu überbringen hatten, gefallen. Sie verübten deshalb barbarische Grausamkeit gegen die ihnen in die Hände geratenen Spanier und machten unter anderen ohne Unterschied alles nieder, was sich in eine Kirche geflüchtet hatte. Bis nach drei Uhr nachmittags währte dieses schreckliche Gemetzel und der Kampf. Ich habe nie ähnliche Blut- und Mordszenen, weder vor noch nach diesem Tage mehr gesehen, und lange verfolgte mich die Erinnerung an dieselben. Als das Volk endlich sah, daß es überall den kürzeren zog, suchten die in die Stadt gekommenen Landleute zu entfliehen. Sie wurden aber größtenteils von der Kavallerie eingeholt und niedergehauen. Einem solchen armen Teufel, einem schon ziemlich bejahrten Bauern, rettete ich das Leben, indem ich mit meinem Degen den fallenden Hieb des Kavalleristen parierte, der ihm den Kopf gespalten haben würde. Dagegen erhielt ich den etwas gelähmten Hieb in den rechten Arm, so daß er durch das Fleisch bis auf den Knochen ging, der jedoch nicht lädiert wurde. Dennoch brachte ich über vierzehn Tage an der Heilung dieser Wunde zu, die mich von allen, die ich erhalten, am meisten freute, wenn ich mich an den armen Teufel erinnerte, der die blanke Klinge, die ihm den Tod bringen sollte, schon über seinem Haupte blitzen sah, sich zusammenkauerte, und unerwartete Rettung fand. Der Dragoner, dem ich zuredete, doch menschlicher zu sein, dankte mir zuletzt noch, ihn an der Tötung des alten Mannes verhindert zu haben, und verband mir die Wunde vorläufig.

Wieviel Tote das Volk an diesem schrecklichen Tage hatte, konnte nicht genau ermittelt werden. Während einige mehr als tausend zählen wollten, behaupteten andere, es seien kaum hundert gewesen. Keines von beiden mag richtig sein; wir hatten jedoch an dreihundert Tote und über tausend Verwundete.

Noch denselben Abend wurde ein Teil der mit den Waffen in der Hand Gefangenen von einer Militärkommission zum Tode verurteilt und sogleich in der Nähe des Prado erschossen. Ebenso erging es allen, welche die Patrouillen unterwegs auffingen und bei denen man auch nur ein Messer oder sonst ein schneidendes Instrument fand. Es wurde ihnen weder zu beichten noch die Tröstungen eines Priesters gestattet. Sie mußten ohne Absolution aus dem Leben gehen, was ihnen ärger als der Tod selbst war. Diese Exekutionen dauerten auch noch den anderen Tag fort und machten Murats Namen, sowie alle Franzosen in ganz Spanien schrecklich verhaßt. Jetzt hatten Pfaffen und Mönche gutes Spiel, und jeder Spanier suchte bald einen Franzosenmord auf dem Gewissen zu haben, um direkt in den Himmel zu kommen.

Eine Proklamation, die Murat am 3. Mai erließ, verkündete, daß jeder Spanier, der mit irgendeiner Waffe gefunden, auf der Stelle erschossen, daß jeder Ort, in welchem ein Franzose getötet, niedergebrannt würde, und die Väter für ihre Söhne, die Meister für ihre Gesellen, die Äbte für ihre Mönche und so weiter haften müßten. Dies empörte die Gemüter nur noch mehr, während das fortdauernde Erschießen in den nächsten vierundzwanzig Stunden alle spanischen Herzen racheglühend machte. General Grouchy war der Präsident der Militärkommission, die diese blutigen Urteile sprach, und nicht weniger als dreihundert Unglückliche, sowie alle in der Infanteriekaserne gefangen sitzenden Insurgenten kommandomäßig erschießen ließ. Viele wurden auch des Nachts aus ihren Wohnungen und Betten geholt und zum Richtplatz geschleppt. Den 4. Mai löste Murat dieses gräßliche Blutgericht wieder auf, nachdem ihm auch die Junta die dringendsten Vorstellungen deshalb gemacht, und es wurde nun eine Amnestie verkündet, aber bei Todesstrafe geboten, alle Waffen abzuliefern. Dennoch töteten die Mameluken noch mehrere Spanier im Augenblick der Amnestie, und viele hundert Einwohner Madrids entflohen, derselben nicht trauend, in die Provinzen, wohin sie die schreckliche Neuigkeit des Blutbades in der Hauptstadt mit den schwärzesten Farben und mit Blitzesschnelle verbreiteten. Die Geistlichkeit vergrößerte diese, ohnehin schon entsetzlichen Vorfälle noch hundertmal durch ihre geheimen Kanäle, und bald war kein Winkel mehr in ganz Spanien, der nicht vor Rache glühte. Am 3. Mai mußte nun auch noch der zurückgebliebene Infant Don Francisko nach Frankreich abreisen, und den 4. Mai folgte ihm der Infant Don Antonio. Jetzt waren alle Mitglieder der königlichen Familie aus dem Land.

Grabesstille war plötzlich in Madrid eingetreten. Murat stellte sich als Präsident der Junta an die Spitze derselben und wurde kurz darauf von Karl IV. von Bayonne aus zum Generalleutnant des Reiches ernannt.

Meine Wunde verhinderte mich weder am Ausgehen noch an den Dienstverrichtungen. Ich trug nur den Arm in einer Binde. Fünf oder sechs Tage später, als ich du jour war und ausritt, Wachen zu inspizieren, begegnete ich in der Straße de Atocha Murat mit seiner ganzen Suite zu Pferde. Nachdem ich ihm salutiert, fragte er mich, wo ich die Wunde erhalten, und als ich getreuen Bericht erstattet, sagte er: „Das war wohl auch der Mühe wert, blessiert zu werden, um so einem Briganten das Leben zu retten; indessen zeigt es von Großmut, und die ist nie ohne Mut. Wie heißen Sie?“ – Ich sagte ihm meinen Namen, und als er weiter fragte: „Woher?“ und ich ihm: „Aus Frankfurt am Main“ erwiderte, versetzte er: „Also ein Deutscher, und aus Frankfurt. Dort ist auch ein böses Volk; das hat zu Custines Zeiten die Franzosen in den Straßen ermordet. Wie kamen Sie in unsere Dienste?“ – Mit wenig Worten teilte ich dies dem Großherzog mit, der davonsprengend mir noch zurief: „Es ist gut, ich werde mich Ihrer erinnern.“ Dies wäre wohl schwerlich geschehen, hätte mich der Zufall nicht später wieder in seine Nähe gebracht und ihm bemerkbar gemacht.

Nach den Vorfällen des 2. Mai hatte ich noch einmal eine Zusammenkunft mit meiner schönen Donna, deren Wohnung ich infolge dieser Ereignisse verlassen, veranstaltet, bei der sie mir ganz ohne Hehl erklärte, daß, so sehr sie mich auch liebe, sie wohl imstande wäre, mich zu vergiften oder zu erdolchen, und mir das Messer im Herzen umzudrehen, wenn es die Madonna so wolle, und ich, wie fast alle Franzosen, ein Ketzer, ein Feind Christi und des heiligen Vaters zu Rom sei, wie sie ihr Beichtvater versichert, auch ihre Landsleute habe morden helfen. Dabei sprühten ihre Augen Feuer, aber es war nicht das der Liebesglut, sondern es waren Funken des Zornes, und alle ihre schönen Adern schwollen auf. Als ich die hübsche Senora sich so gebärden und entstellen sah, fürchtete ich, daß sie eine Art Wahnsinn befallen habe und suchte mitleidsvoll sie zu beruhigen, was mir nicht ohne die größte Mühe gelang, nachdem ich sie versichert, daß, weit entfernt, ihre Landsleute zu töten, ich deren sogar gerettet habe, folglich der beste Christ sei, den die Sonne bescheine und ebenso gut an Gott glaube wie sie. – „Aber auch an die Madonna?“ – „Gewiß, da sie wohl so schön wie du selbst ist.“ Bei diesen Worten küßte ich den kleinen Satan auf die Stirne. Ich erfuhr noch von ihr, daß die Geistlichen versicherten, daß alle Frauen, die irgend einen Kommerz mit einem französischen Ketzer hätten, mit diesem zum ewigen Schmoren im Höllenpfuhl verdammt seien. Ich suchte ihr diese Possen bestmöglichst auszureden, und riet ihr, es so zu machen wie meine schöne Kalabreserin zu Monteleone, nämlich, wenn sie denn doch ihre Sünden beichten müsse, nicht zu sagen, mit wem sie gesündigt habe. Dann würde sie ja doch Absolution erhalten, die immer vollgültig wäre und ihr niemand bestreiten könne. Mehrere, anfänglich halb erzwungene Küsse machten, daß sie bald wieder von einem anderen Feuer als dem des Zornes glühte. Es gelang mir, sie zu überzeugen, daß ich wahr gesprochen; der Friede zwischen uns wurde aufs neue geschlossen und besiegelt. Als sie vertrauensvoll in meine Arme sank und sich an mich schmiegte, fühlte ich den Druck eines harten Gegenstandes an ihrer linken Seite. Ich griff mit den Händen darnach und faßte einen ziemlich langen Dolch in einer mit Silber beschlagenen Scheide. – „Aber, mein Engel, zu was diese mörderische Waffe?“ – „Sie war dir bestimmt, um meine Seele zu retten, wenn ich einen Ketzer in dir gefunden hätte.“ – „Aber weißt du denn nicht, daß Todesstrafe und augenblickliches Erschießen darauf steht, wer auch nur eine Schere bei sich trägt?“ sagte ich lachend zu ihr und entriß ihr das Mordinstrument. Sie sprang nun an mir herauf, um es mir zu entwinden. – „Mit nichten, mein holder Engel,“ sagte ich, den Dolch festhaltend, „den behalte ich zum ewigen Andenken an dich und diese Stunde.“ Ich wollte sie jetzt verlassen, allein sie warf sich zwischen mich und die Türe und fragte mich in allem Ernst, ob ich Lust habe, sie anzugeben, und auf den Knien rutschend bat sie mich um der Madonna und aller Heiligen willen, sie doch nicht zu verraten. Ich hob sie auf, küßte ihr die Tränen von den Wangen, und sie beruhigend, bat ich sie, mir mit dem Dolch ein Geschenk zu machen, wozu ich sie nur durch vieles Bitten bewegen konnte. Bevor ich mich entfernte, sagte ich ihr noch: „Wie, und wenn ich nun doch ein Ketzer wäre?“ – „Unmöglich,“ rief sie aus, mir um den Hals fallend, „unmöglich kannst du mich so unglücklich machen wollen.“ Wir trennten uns mit dem beiderseitigen Versprechen, uns bald wiederzusehen, und sie gab mir den letzten Feuerkuß. – Es war wirklich der letzte, denn ehe ich wieder ein Rendezvous mit ihr haben konnte, bekam das Bataillon Befehl, nach Toledo, wo Dupont noch stand, auszumarschieren, und ich sah Donna Calvanillas nicht und Madrid nur im Fluge wieder.

Zu dem Toledotor hinaus, über die schöne Toledobrücke, welche über den Manzanares führt und schon unter Philipp II. erbaut wurde, aber mit komischen Zieraten überladen ist, marschierten wir durch das Städtchen Getafe nach Illescas, wo wir eine Nacht blieben, und dann über Olias den dritten Tag in Toledo ankamen. Der Weg war kahl und öde und wurde erst von Olias aus etwas baum- und pflanzenreicher. Die Dörfer, durch die wir kamen, waren meist wie ausgestorben und auch in den Städten herrschte eine Grabessruhe, viele Häuser waren gänzlich geschlossen. Wir kamen noch ziemlich früh am Tage in Toledo an, wo wir durch das Tor Visagra einrückten, und zuerst in einem Kloster und seinen Kreuz- und Quergängen einquartiert, zwei Tage darauf aber in die Umgegend verlegt wurden.

Diese alte berühmte Stadt wurde im sechsten Jahrhundert der Sitz der Könige des gotischen Reiches, denen es im achten Jahrhundert die Mauren abnahmen, welche dem Kalifen von Bagdad gehorchten. Im Jahre 1027 wurde Toledo die Hauptstadt eines besonderen Maurenreiches, bis 1085 Alphons VI., mit dem Beinamen der Mutige, König von Castilien und Leon, diese Stadt eroberte. Beinahe vierhundert Jahre (711-1085) war sie im Besitz der Araber geblieben. Die Mauren konnten lange diesen Verlust nicht verschmerzen und belagerten 1109 die Stadt unter dem Befehl ihres Fürsten Hali, aber nachdem sie die ganze Umgegend sowie Madrid und Talavera mit Feuer und Schwert verheert hatten, mußten sie die Belagerung aufgeben. Vier Jahre darauf begannen sie eine zweite ebenso vergeblich, da der tapfere Nuñez die bedrängte Stadt rettete, die dreizehn Jahre darauf zum drittenmal, aber ebenso fruchtlos von ihnen bestürmt wurde. Später hatte sie gewaltig durch ihre innerlichen Kriege zu leiden, ihre Mauern wurden zerstört, ihre schönsten Gebäude in Asche gelegt, ihre Bürger ermordet. Und 1461 floß unter Heinrich dem Ohnmächtigen das Bürgerblut in allen Straßen in Strömen, sogar in den Kirchen. An fünfzig Orten loderten die Flammen zugleich empor. 1641 hatte sie ein ähnliches Schicksal. Ehedem war Toledo sehr blühend und bevölkert, an hunderttausend Arbeiter wurden in ihren Manufakturen beschäftigt, und die Zahl ihrer Einwohner war über zweihunderttausend. Jetzt zählte sie kaum einige zwanzigtausend. Die Cortes hatten sich hier öfters versammelt, zum erstenmal 589. Zwanzig Konzilien wurden dort gehalten, von denen das letzte 860 unter der Herrschaft der Mauren. Allenthalben stößt man auf Überreste ihrer ehemaligen Größe. Noch bezeichnen niedriges Mauerwerk, Stein- und Erdhaufen deren früheren Umfang. Ihre Straßen sind enge und oft sehr steil, schlecht gepflastert und ebenso unterhalten. Man muß fast immer bergauf und bergab steigen, in den meisten können sich keine zwei Wagen ausweichen. Sie enthält jedoch mit die merkwürdigsten Baumonumente ganz Spaniens, an deren Spitze füglich der Alcazar, das alte maurische Schloß, steht, der im höchsten Teil der Stadt liegt. Alphons X. hat ihn wieder ganz herstellen lassen und Karl I. abermals ausgebessert. Im Erbfolgekrieg begingen die Portugiesen den Vandalismus, bevor sie sich zurückzogen und nachdem der Friede schon geschlossen war, dieses Gebäude anzuzünden, wodurch es zum Teil sehr beschädigt wurde. An dem Eingangstor desselben sind zwei der berühmtesten Gotenkönige, die in Spanien regierten, Recesscinto und Recaredo, beide herrschten im siebenten Jahrhundert, in Stein abgebildet. Die Fassade des Alcazar ist über hundertfünfzig Fuß hoch, von majestätischem Ansehen und einfacher Erhabenheit. In seinen unermeßlichen unterirdischen Gewölben haben Tausende Raum. Auch seine Kirche oder Kapelle verdient gesehen zu werden.

Wir lagen indessen in recht elenden Dörfern oder in deren Nähe und biwakierten größtenteils. Die Hitze wurde mit jedem Tag größer und unerträglicher, und oft mangelte es uns an allem, sogar an frischem Wasser. Dabei wurden die aus ganz Spanien einlaufenden Nachrichten immer bedenklicher. Allenthalben hatte man die Standarte der Rebellion, wenn man die rechtmäßige Erhebung eines Volkes gegen einen fremden Räuber so nennen darf, aufgepflanzt. Die Flammen eines das ganze Reich umfassenden Brandes loderten an allen Orten zum Himmel empor, wozu die von Bayonne eingehenden Berichte, welche die Verzichtleistung Ferdinands und der Infanten Don Carlos und Don Antonios auf den spanischen Thron verkündeten – die ganze königlich spanische Familie war jetzt in den Klauen Napoleons –, am meisten beitrugen. Aber was den allgemeinen Zorn wie durch einen Blitz entzündete, war die Bekanntmachung, daß die Junta zu Madrid sich einen neuen König vom Kaiser der Franzosen erbat, wozu sie durch Murat veranlaßt oder besser gezwungen war.

Ungefähr drei Wochen mochten wir in der Umgegend von Toledo, aber nicht auf Rosen, kampiert haben, als wir Order erhielten, nach Madrid zurückzukehren, was wir auf demselben Weg, den wir gekommen, bewerkstelligten. Daselbst erfuhren wir, daß Napoleon auf den 15. Juni eine spanische Junta nach Bayonne berufen habe. Auch wurde Tag und Nacht an der Befestigung der Anhöhen von Retiro gearbeitet, wodurch man die Hauptstadt im Zaume zu halten hoffte. Das Seltsamste aber war, daß das sonst so gefürchtete allerhöchste Inquisitionsgericht in seinem Unterwerfungseifer gegen Murat und Napoleon noch viel weiter als die gehorsame Junta und andere Behörden, die jetzt völlig unter französischem Einfluß standen, ging, und die Priester und Pfaffen aufforderte, den Unwillen des Volkes auf die Urheber der Exzesse und des Aufstandes vom 2. Mai zu lenken, woran sich aber die Geistlichkeit wenig kehrte. Freilich war die Sache so doppelsinnig wie ein delphischer Orakelspruch, denn wer waren die eigentlichen Urheber? – Am unterwürfigsten aber hatte sich doch der Erzbischof von Toledo, der Primat von Spanien, gezeigt.

Nur ein Ruhetag wurde uns in Madrid gestattet, worauf wir den Marsch nach Aragonien antreten mußten. Die verschiedenen französischen Armeekorps in Spanien waren jetzt in Navarra, Katalonien, Leon, Alt- und Neukastilien verteilt und mochten wohl über achtzigtausend Mann stark sein. Aber es waren nur wenig gediente Soldaten dabei, die Mehrzahl bestand aus jungen Konskribierten. Wir verließen Madrid durch das Tor Alcala, auf dem Wege nach Aragonien zu marschierend, kamen über verschiedene unbedeutende Dörfer und biwakierten die erste Nacht in der Umgegend von Torrejon de Ardos, einem ziemlich großen Flecken, der links von der Straße lag. Den folgenden Tag kamen wir nach Alcala de Henarez, wo wir aber nur wenige Stunden kampierten und daselbst die Nachricht von den Aufständen in Cartagena und Valencia erhielten, die mit den grellsten Farben ausgemalt wurden. Unsere Soldaten durften nicht in die Stadt; dies wurde ausnahmsweise nur einigen Offizieren, unter denen auch ich, erlaubt. Der Ort ist mit Mauern umgeben und hat eine im sechzehnten Jahrhundert von dem berühmten Kardinal Ximenes gestiftete Universität. Was aber Alcala de Henarez vor allem berühmt macht, ist, daß der unsterbliche Cervantes hier geboren wurde. Ganz nahe bei der Stadt lag das Complutum der Römer, von dem man auf einem ziemlich steilen Hügel jenseits des Flusses Henarez noch die Ruinen eines Kastells sieht. Im achten Jahrhundert fiel auch diese Stadt in die Hände der Mauren und wurde ihnen erst 1118 durch den Mönch Bernhard, später Erzbischof von Toledo, wieder entrissen, aber bei dieser Gelegenheit schrecklich verheert.

Wir brachen nach kaum vier Stunden Rast wieder auf und passierten fast trockenen Fußes den Henarez – die über denselben führende Brücke war schon seit fünfzig Jahren verfallen –, in der Nähe von Guadalaxara. Der Weg von Alcala ging meistens durch große und schöne Ebenen, war auf der einen Seite von Bergen begrenzt, während wir auf der anderen fast immer den Henarez im Angesicht hatten. In einem Kloster von Guadalaxara übernachteten wir. Diese Stadt hatte ziemlich ein gleiches Schicksal mit der vorhergehenden. Alvar Fanez, ein Vetter des berühmten Cid, entriß sie 1081 den Mauren. Sie liegt in einer Ebene nahe am Henarez und mag an zwölftausend Einwohner haben. Der Palast der Herzöge de l’Infantado und die große Franziskanerkirche mit der Familiengruft dieses Hauses sind ihre sehenswürdigsten Gebäude. Hier bestätigten sich nicht nur die erhaltenen Nachrichten von den Aufständen, sondern man erhielt neue, die verkündeten, daß bereits der größte Teil von Spanien in vollem Aufruhr und französisches Blut schon in Strömen geflossen sei, sowie daß jeder dem Volk verdächtige Spanier, namentlich alle Anhänger Godoïs oder der Franzosen, ermordet würden. Auch wir begegneten überall nur finsteren, nichts Gutes prophezeienden Gesichtern. Wir setzten indessen unseren Marsch nach Aragonien noch unangefochten fort und schlugen den dritten Tag unser Biwak bei dem Dorf Grajanejos, nachdem wir durch die verfallene Stadt Torrijo marschiert waren, auf, und den vierten kampierten wir bei den Dörfern Torremocha und Algora. In der Kirche des letzteren befindet sich ein ganz vergoldeter Hochaltar, dessen Vergoldung über fünfzigtausend Realen kostete und erst 1788 gemacht wurde. Unser nächstes Biwak war bei dem Weiler Torre. Auf dem Marsch dahin kamen wir durch eine so enge Schlucht, daß man die Felsen auf beiden Seiten manchmal zugleich mit den Händen ergreifen konnte. Wir wurden nun in der Umgegend von Siguenza und zum Teil in die Stadt selbst verlegt, die auf einem Hügel am Henarez liegt. Hier weilten wir mehrere Tage und erhielten die uns alle in Erstaunen setzende Nachricht, daß Napoleons Bruder Joseph, der bisherige König von Neapel, zum Herrscher von Spanien ernannt sei, aber zugleich auch die, daß ihn ganz Spanien zurückstoße und sich zu Sevilla schon eine Regierungsjunta gebildet habe, welche das Reich in Abwesenheit der rechtmäßigen Monarchen regieren wolle, die gegen die Franzosen äußerst feindselig gesinnt sei, und man überall: „Es lebe Ferdinand, Tod den Franzosen!“ rufe. Bald darauf kam die Nachricht, daß diese Junta Frankreich förmlich den Krieg erklärt habe. Auch in Altkastilien hatten die Einwohner schon zu den Waffen gegriffen, Ferdinand VII. zum König ausgerufen und Murats Proklamationen dem Feuer übergeben. In Navarra, Biscaya, Aragonien, Valencia, Tortosa, Andalusien, Murcia, zu Lerida, Badajoz und so weiter loderten die Flammen des Aufstandes, und die spanischen Garden, welche Ferdinand bis an die Grenzen des Reiches eskortiert hatten und nun zu Tolosa und Hernani standen, forderten laut ihren König zurück, allen Franzosen mit dem Tode drohend. Das gesamte Volk, von den Pfaffen gehetzt, atmete nur noch Blut und Rache. In allen Städten, wo wir nicht die Oberhand hatten, bildeten sich schnell Provinzial-Junten, welche das unter die Waffen gerufene Volk in Korps organisierten. Vom siebzehnten bis zum vierzigsten Jahre traten alle männlichen Einwohner unter das Gewehr, und die Franzosen, welche schon längere Zeit Spanien als Privatleute oder ein Gewerbe treibend bewohnten, konnten oft dem Tod nur dadurch entgehen, daß die Behörden sie ins Gefängnis setzten. Eine der wütendsten Proklamationen war die der Junta von Valladolid, die auch ihren Zweck, die Ermordung der Franzosen anempfehlend, nur zu sehr erreichte. Dabei fehlte es nicht an Wundern, die allenthalben, den Untergang der Franzosen vorhersagend, geschahen. Madonnenbilder ließen dicke Schweißtropfen fallen oder schwitzten sogar Blut. Auf Heiligengräbern hörte man unterirdisches Waffengetöse, der Blitz schlug in französische Kirchen und verschonte nur Madonnen- und Heiligenbilder und so weiter. Das Niedermetzeln der Spanier vom höchsten Rang, die man den Franzosen günstig glaubte, sowie die Vorgänge zu Cadix bewiesen, welchen Grad die Wut der Geistlichkeit und des Volkes erreicht hatte. Die Junta zu Sevilla erklärte nun auf das feierlichste, daß Spanien nicht eher die Waffen niederlegen würde, als bis Ferdinand wieder auf dem Thron säße und die Franzosen alle getötet oder zum Lande hinausgejagt seien, und sie hielt Wort. Dies waren die Folgen der so arglistigen als dumm gesponnenen Intrigen Napoleons und seiner kurzsichtigen Politik. In ganz Spanien erhob sich ein Freudengeschrei, als die Nachricht, daß die französische Flotte zu Cadix, bei der fünf Linienschiffe waren, habe kapitulieren müssen, und daß die Bemannung, ganz gegen den Vertrag der Kapitulation, in abscheuliche Gefängnisse gesteckt und mißhandelt wurde. Denn, „wer braucht einem so niederträchtigen Schurken, wie der Kaiser der Franzosen ist, der Treu’ und Glauben nicht kennt, Wort zu halten?“ sagten die Spanier.

Noch standen wir in der Gegend von Siguenza, häufig die Biwaks wechselnd, aber nur des Nachts marschierend, während wir am Tage in der Sonnenhitze brieten, und es immer unheimlicher um uns herum zu werden begann. Eine Zeit lang wußten wir gar nicht, woran wir waren, da wir weder weitere Orders noch irgendeine bestimmte Nachricht erhielten. Bald hieß es, Napoleon sei selbst in Madrid eingerückt, dann wieder, alle Franzosen seien daselbst ermordet worden, man habe die Stadt an vierundzwanzig Stellen zumal angezündet und so weiter. So trieben wir uns unstät in der Provinz Guadalaxara herum, wo alles ebenfalls einen nahen Aufstand zu verkünden schien, und unsere Patrouillen schon mehrmals von Bauernhaufen, die von einem Mönch oder Geistlichen angeführt waren, angegriffen wurden. Wir erfuhren zwar, daß Napoleon den 15. Juni die Junta in Bayonne eröffnet habe, daß Dupont in Andalusien Cordua erstürmt habe und Moncey vor Valencia stünde, im Begriff, diese Stadt einzunehmen, aber bald darauf, daß sich beide wieder hätten zurückziehen müssen. Endlich kam uns die Order, zu dem Korps zu stoßen, das bereits unter Verdier auf dem Marsch nach Aragonien begriffen sei, um das Belagerungsheer von Saragossa zu verstärken. Wir machten nun nächtliche Eilmärsche, am Tage biwakierend, zum Teil durch ziemlich waldreiche Gebirge. An der Grenze, die Kastilien von Aragonien scheidet, stand ein alter Turm, den wir besetzten, aber beim Aufbruch des Biwaks den Posten wieder an uns zogen. Nachdem wir das Dorf Sisamon passiert hatten, wurden die Gebirgswege immer waldiger, und gar leicht hätten wir überfallen werden und es uns gehen können wie den Römern in den kaudinischen Engpässen, denn wir marschierten ziemlich unvorsichtig voran, konnten auch keine Seitenpatrouillen absenden, und mußten Vor- und Nachhut fast immer im Gesichte behalten. So gelangten wir nach Techa, einem großen Dorf, durch welches der Xalon fließt, über den eine steinerne Brücke führt. Hier befand sich ein Turm, der auf der einen Seite so eingesunken war, daß man jeden Augenblick dessen Einsturz hätte vermuten sollen, und doch war er schon Jahrhunderte in diesem Zustande. Von hier kamen wir wieder über Gebirge, durch bald engere, bald weitere Täler, vom Xalon bewässert. Durch mehrere elende Ortschaften marschierten wir nach Calatayud, einer Stadt, die im achten Jahrhundert ein maurischer Feldherr namens Ajub nächst den Trümmern des alten Bibilis gründete. Hier hatte noch kurz vor unserer Ankunft Palafox einige Tage verweilt, die durch den General Lefebvre-Denouette versprengten Flüchtlinge sammelnd, um sie bei der Verteidigung von Saragossa zu verwenden. Die hier befindlichen Spanier verließen die Stadt, ohne unsere Ankunft abzuwarten. Wir fanden aber nicht für gut, in dieselbe einzurücken, sondern requirierten nur Lebensmittel und Wein gegen Bezahlung, erhielten aber dennoch schlechte Ware. Alphons I. hatte 1118 die Stadt den Mauren im Sturm abgenommen und alle Araber in derselben niedersäbeln lassen. Sie hat eine angenehme Lage auf dem rechten Ufer des Xalon, am Einfluß des Xiloca, in einem fruchtbaren Tal und soll über zehntausend Einwohner haben. Nachdem wir gehörig rekognosziert hatten, brachen wir mit der Nacht, aber jetzt sehr vorsichtig marschierend, durch erbärmliche Nester, aber an Wein und Oliven reiche Gegenden, gegen die enge Passage Puerto del Fresno auf, die wir zu unserem größten Erstaunen unbesetzt fanden. Hierauf mußten wir über das Gebirge Murato del Conde, durch eine enge Schlucht, deren gänzliche Freilassung uns wieder ein Rätsel war, da wir wußten, daß sich ganz Aragonien im Aufstand befand, und kamen endlich in das Städtchen Almunia, das in einer lachenden Gegend, mitten zwischen fruchtbaren Feldern, Weingärten und Obstbäumen liegt. Hier requirierten wir abermals Lebensmittel, marschierten weiter, biwakierten dann bis gegen Mitternacht, erreichten gegen Morgen das elende Dorf La Muela und kamen um zehn Uhr, nochmals über Berge, durch Ebenen und Schluchten marschierend, bei dem Belagerungsheer von Saragossa an, wo Verdier schon seit mehreren Tagen mit seiner Division stand und den Oberbefehl über dasselbe hatte.

XII.
Erste Belagerung von Saragossa. – Palafox. – Außerordentliche Verteidigungsanstalten der Aragonier. – Vorgänge bis zur Belagerung. – Überblick der Geschichte Saragossas. – Heldenmütige Verteidigung dieser Stadt durch ihre Einwohner. – Eine Heroine. – Ein seltsames Stiergefecht. – Furchtbarer Straßen- und Häuserkampf. – Die gefangenen Nonnen. – Aufhebung der Belagerung. – Marsch nach Barcelona. – Ich werde stark verwundet und krank. – Aufenthalt zu Barcelona. – Spanische Sitten, Tänze, Theater usw. – Abreise zur See nach Frankreich.

Als die Vorfälle vom 2. Mai zu Madrid in Aragonien bekannt wurden, erregten sie daselbst wie in dem übrigen Spanien den höchsten Unwillen und erfüllten das Volk mit tödlichen Haß gegen die Franzosen. Die Folge war, daß man auch hier die allgemeine Bewaffnung der Einwohner organisieren wollte, was aber der Generalkapitän Don Jorge de Guillelmi aus Furcht vor den Franzosen, und um abzuwarten, welche Wendung die Dinge nehmen würden, zu verhindern suchte, sogar dem Palafox, dessen ungestümen Mut und feurigen Patriotismus er fürchtete, den Befehl gab, Saragossa zu verlassen. Dieser zögerte jedoch unter allerlei Vorwänden, zu gehorchen. Dies mag wohl mit die Ursache gewesen sein, daß wir die so leicht zu verteidigenden Zugänge bis hierher unbesetzt gefunden hatten. Als aber die Nachricht von den Begebenheiten zu Bayonne und von Ferdinands erzwungener Abdankung in Saragossa bekannt wurde, da vermochte nichts mehr das unter der Asche glimmende Feuer zu dämpfen, und die Bürger zwangen den Generalkapitän, ihnen das Arsenal zu überliefern. Als dies geschehen, zogen sie durch die Straßen, alle männlichen Einwohner auffordernd, sich zur Verteidigung des gemeinsamen Vaterlandes in der Aljaferia (dem Arsenal) mit Waffen zu versehen, was sie mit dem Rufe: „Viva Espana!“ taten. Jedermann versah sich mit Gewehren, Pistolen, Schwertern und so weiter und die vorhandenen Kanonen und Mörser wurden in möglichst besten Zustand versetzt. Palafox, der Brigadier und Offizier der Leibwache war, achtundzwanzig Jahre zählte und sich in einem Landhaus bei der Stadt aufhielt, wurde von bewaffneten Haufen abgeholt, die ihm auf sein Begehren strengen Gehorsam zusagten. Das Volk empfing ihn bei seinem Eintritt in die Stadt mit großem Jubelgeschrei, als den Retter des Vaterlandes, erwählte ihn zu seinem unumschränkten Anführer, zwang die Behörden, ihn als Generalkapitän von Aragonien anzuerkennen, und führte ihn im Triumph in der Stadt herum. Er erließ nun sofort einen Aufruf an alle Aragonier, sich für die Sache des Vaterlandes zu bewaffnen, machte der heiligen Jungfrau del Pilar öffentlich einen Besuch, küßte ihr vor allem Volk demütig die Hand, sie als seine Souveränin anerkennend, und schwur mit lauter Stimme, Gut und Blut dem Vaterlande zu weihen. Den in Saragossa ansässigen Franzosen rettete er nicht ohne Gefahr das Leben, indem er sie in das Kastell und von da nach Amporta in Sicherheit bringen ließ. Durch ein anderes Dekret machte er Napoleon, dessen ganze Familie, sowie jeden französischen Offizier und Soldaten, für jedes Haar verantwortlich, welches dem König Ferdinand oder den Infanten, die man auf eine so heimtückisch hinterlistige Weise nach Frankreich gelockt habe, gekrümmt würde, und erklärte ferner alles, was in Madrid und Bayonne unter fremdem Einfluß verhandelt werde, für null und nichtig, sowie, daß im Falle des Todes der Infanten von Spanien, er den Erzherzog Karl, als den Enkel Karl III., zu seinem König erwähle, auch keinem Franzosen Pardon geben würde, wenn sich dieselben fernere Exzesse in Spanien erlaubten. Hieran veranstaltete er eine große Prozession, ließ feierliche Messen lesen, die Kirchen außerordentlich illuminieren, die Geistlichkeit auf das freigebigste Absolution erteilen, sowie direkten Einlaß in den Himmel für diejenigen, die im Kampf für die gerechte Sache fallen würden. Er berief jetzt alle schon verabschiedeten Soldaten und Offiziere, die sich in Aragonien befanden, zu den Fahnen, bildete aus ihnen und der jungen Mannschaft Tercios, das heißt Regimenter, die in zehn Kompagnien eingeteilt wurden, wie dies früher in Spanien der Fall war, und noch ehe die Belagerung begann, hatten sich so viele Streiter eingefunden, daß man nicht Waffen genug für sie herbeischaffen konnte. Einige Ortschaften hatten ganze Kompagnien und einige Bezirke ganze Tercios gesandt, so daß Palafox die Familienväter wieder beurlaubte und doch noch über zehntausend Streiter behielt. Um auch die von Napoleon und der Junta zu Bayonne einlaufenden Berichte zu paralysieren, berief Palafox altspanische Cortes nach Saragossa, die am 9. Juni daselbst zusammenkamen, Ferdinand VII. nochmals feierlich als König von Spanien proklamierten, das ganze Volk zu den Waffen riefen, Palafox als Generalkapitän bestätigten und dann eine Junta de Gobierno ernannten. Die Nachrichten, welche von der Schilderhebung Spaniens aus allen Provinzen einliefen, trugen dazu bei, das Volk von Saragossa und Aragon in Aufregung und Enthusiasmus zu erhalten. Eine Aufforderung der Bayonner Junta, durch welche dem spanischen Volk die Waffen niederzulegen und ihr zu gehorchen befohlen wurde, ließ Palafox sogar drucken und in Masse verteilen. Er wußte wohl, daß dies das Volk noch mehr begeistern und die entgegengesetzte der beabsichtigten Wirkung hervorbringen würde. Nach der Niederlage der Spanier bei Mallen war Palafox den anrückenden Franzosen bis nach dem drei Stunden von Saragossa liegenden Alayon entgegengegangen, mußte sich aber, um nicht abgeschnitten zu werden, zurückziehen. Viele Aragonier wurden nun in Alayon von den Franzosen niedergemacht. Den 16. Juni stand Lefebvre-Denouette mit seinem neuntausend Mann starken Korps, unter dem auch das erste und zweite Weichselregiment und die polnischen Ulanen waren, vor den Toren von Saragossa, wo sich ein Gefecht unter den Olivenbäumen entspann, bei dem die Spanier in Unordnung in die Stadt zurückgetrieben wurden. Was die Aragonier am meisten fürchteten, waren die Ulanen, da sie sich gegen die Lanzen derselben, eine furchtbare Waffe, die ihren Mann schon auf zehn bis fünfzehn Schritte erreicht, nicht zu verteidigen verstanden. Die Spanier wurden, wie gesagt, in Unordnung in die Stadt zurückgedrängt, aber ein französisches Bataillon, das ihnen auf den Fersen folgte und fast mit ihnen zugleich eindrang, mußte sich schnell wieder zurückziehen, als es die Verteidigungsanstalten in den Straßen sah und einen Hinterhalt fürchtete. Unerklärlich war es, warum an diesem Morgen Lefebvre den Fliehenden nicht mit dem Gros seines Heeres in die Stadt folgte, die er in der ersten Bestürzung mit geringem Verlust erobert haben würde. Der Rückzug des kaum eingedrungenen Bataillons gab den Einwohnern und Landleuten neuen Mut, und sie setzten die Stadt nun mit unermüdlichem Eifer in den besten Verteidigungszustand. In den folgenden vierundzwanzig Stunden hatte außer den Kindern niemand ein Auge geschlossen, und Greise, Weiber und Mädchen aus allen Ständen machten die Handlanger bei den Arbeiten.

Saragossa liegt in einer großen, ziemlich fruchtbaren und gut angebauten Ebene, auf der rechten Seite des Ebro, auf dessen linker sich eine Vorstadt befindet, welche durch eine steinerne Brücke mit der Stadt verbunden ist. In ihren nächsten Umgebungen sind viel Oliven- und andere Obstbäume, Gärten und Landhäuser. Das Flüßchen Huerba, eigentlich nur ein Bach, ergießt sich ganz in der Nähe in den Ebro, zwei Brücken führen über dasselbe. Saragossa beherrscht gewissermaßen die ganze Ebene, welche vom Huerba, dem Xalon, dem Gatego und dem Kanal von Aragonien bewässert wird. Die Stadt steht auf der Stelle, wo das alte, von den Karthagern gegründete Salduba lag, aus dem Augustus bei seiner Anwesenheit in Spanien eine römische Kolonie machte, der er den Namen Cäsarea Augusta beilegte. Erst unter den Sueven wurde sie der römischen Herrschaft entrissen. Als aber deren König Riciar durch Theodorich besiegt wurde, fiel sie den Goten anheim, die sie bis zum Jahre 712 behaupteten, denen sie die ganz Spanien überströmenden Sarazenen unter einem ihrer Anführer namens Tarce, der schon Murcia und Sevilla erobert hatte, wieder abnahmen. Sie blieb nun unter der Herrschaft dieser Ungläubigen, bis einer ihrer Statthalter, Ben-Alarabe, der sich der Oberherrschaft des Kalifen entziehen wollte, Karl dem Großen dieselbe unter der Bedingung antrug, daß er Gouverneur daselbst bleibe. Der Kaiser nahm den Vorschlag an und Besitz von Saragossa, nachdem er schon Pampeluna genommen. Nichtsdestoweniger fuhr sie fort, den Arabern zu gehören und hatte ihre eigenen, sich von Statthaltern zu Königen aufgeschwungenen Herrscher. Im Jahre 1118 eroberte Alphons der Streiter nach heftigem Widerstand Saragossa, machte es zur Hauptstadt des Königreiches Aragonien und sich zum König. Im sechzehnten Jahrhundert wurde es durch die Vermählung Ferdinand des Katholischen mit Isabella, Erbin der Reiche Leon und Kastilien, mit der spanischen Monarchie vereinigt. Der Umfang der Stadt mochte etwa drei Viertelstunden betragen. Sie hatte zum Teil ziemlich hohe Gartenmauern, namentlich an dem Augustiner- und anderen Klöstern, welche die Stadt umgaben. In früheren Zeiten war sie regelmäßig befestigt, aber aus ihren Werken waren längst Straßen geworden, und nur hier und da sah man noch einen alten Turm aus jenen Zeiten. Die Mauern, welche jetzt die Stadt umgaben und mit den Garten- und Klostermauern zusammenhingen, hatten nirgends über dreizehn Fuß Höhe bei drei bis Vier Fuß Dicke und waren von Backsteinen, die Vorstadt hatte gar keine Einfriedigung. Die Zahl ihrer beständigen Einwohner war ungefähr fünfzigtausend, und die ihrer Kirchen und Klöster ein halbes Hundert. Von den letzteren waren einige, wie zum Beispiel das von San Joseph, das auf der rechten Seite des Huerba lag, kleine Festen oder Burgen. Die Anhöhe Monte Torrero, welche ungefähr viertausend Schritte von diesem Kloster entfernt liegt und an der der Kanal von Aragonien vorbeifließt, beherrscht die nächste Umgebung. Die Aljaferia, ein viereckiges Schloß mit bombenfesten Gewölben und kleinen Türmen, liegt nahe an der Westseite der Stadt, vor dem Sortillo-Tor, ist mit einem tiefen Graben versehen und hat einige Bastionen. Dieses Schloß war früher ein Palast der maurischen Könige und später der der Könige von Aragonien, bis ihn die Regenten Spaniens der Inquisition überließen, die ihren Sitz in demselben aufschlug und ihre Schlachtopfer in den fürchterlichen unterirdischen Gefängnissen desselben verwahrte. Erst Philipp V. machte im achtzehnten Jahrhundert auch eine Festung aus demselben.

Unter den vielen Kirchen dieser Stadt sind sehr prächtige, die, sowie die Klöster, besonders das der Dominikaner und der Inquisitionspalast in der Stadt, große Schätze und Sehenswürdigkeiten besitzen. Diese Stadt hat auch einen sehr schief gebauten überhängenden Turm, gleich denen zu Bologna und Pisa, der sehr hoch ist und mitten auf einem freien Platz steht. Die berühmteste Kirche ist die Unserer lieben Frauen del Pilar, ein sehr prachtvolles, reiches Gebäude, das wir aber nur, sowie die meisten anderen, aus gehöriger Ferne bewundern konnten. Die Spaziergänge an den schönen Ufern des Ebro und des Huerba sind reizend und zum Teil mit Torres (Landhäusern) und Alleen versehen. Die um die Stadt herumliegenden Gärten, Huertas, sind meistens groß, hübsch und mit Geschmack angelegt. Die vielen Klöster, welche zum Teil in der Nähe der Tore liegen und aus Backsteinen erbaut sind, kann man gewissermaßen als diese verteidigende Bastionen betrachten. Die mit gelblackierten glitzernden Steinen bedeckte Kuppel der Kirche der Madonna del Pilar und andere, sehen von ferne goldenen Dächern gleich.

In der Nähe von Saragossa fand am 20. August 1710 die berühmte Schlacht statt, in welcher die Truppen Philipp V. von denen Karls von Österreich, die sich um das Erbe Karl II. stritten, auf das Haupt geschlagen wurden.

Die Einwohner Saragossas, namentlich der niederen Klassen, sind ein sehr kräftiger, starker Menschenschlag, und gegen Witterung und Entbehrungen aller Art abgehärtet. Viele derselben kennen ein Bett nur dem Namen nach oder besteigen ein solches zum erstenmal, wenn sie sich verheiraten.

Es war ein Kartätschenschuß, der zuerst unter die Reihen der in Saragossa wie zu einer Parade einmarschierenden französischen Kolonne fuhr, die vordersten Glieder derselben blutig niederwarf und die Truppen zum schleunigen Rückzug aus der Stadt bewog. Lefebvre-Denouette hatte statt eines feindlichen Angriffes und der Kanonenschüsse eine bewillkommende Deputation erwartet. Er ließ zwar kurze Zeit darauf Angriffskolonnen formieren, um die Westseite der Stadt zu stürmen, auch war das Karmelitertor bald eingeschossen und genommen worden, aber dem weiteren Vorrücken standen die todbringenden Feuerschlünde entgegen, die des zu engen Raumes wegen nicht zu nehmen waren. Dabei wurde auch unausgesetzt aus den Häusern auf die Truppen gefeuert. Eine Abteilung von mehreren hundert Mann war zwar bis auf den Platz de la Misericordia über einen Teil der Stadtmauern vorgedrungen und wollte dem Feind in den Rücken fallen. Aber dieser Versuch fiel schlecht aus. Von der Übermacht umringt, fielen die meisten unter den Streichen der Spanier, nur wenigen gelang es, dem Tode für den Augenblick zu entrinnen, indem sie sich in eine Kaserne retirierten, aus der sie jedoch ebenfalls bald wieder flüchten mußten, da diese von den durch das Dach eindringenden Landleuten in Brand gesteckt wurde. Jetzt führte man einen allgemeinen Angriff, die Fahnen und Adler an der Spitze der Regimenter, gegen die Stadt aus und stürmte unter dem Ruf: „Vive l’Empereur!“ gegen die Tore. Die Kavallerie sprengte voran, wurde aber durch das Kanonenfeuer niedergeschmettert und zurückgetrieben. Nicht besser erging es der nachrückenden Infanterie, welche dem Kartätschenhagel in den Straßen und dem Kugelregen aus den Häusern ebenfalls weichen mußte. Als es den Spaniern an Kugeln und Blei zu mangeln begann, holten Weiber und Kinder solches aus den Magazinen herbei und brachten sie ihren Gatten, Vätern und Brüdern, sogar alte Knöpfe, Nägel, Eisenblech und altes Eisen schleppten sie hinzu, damit das Kartätschenfeuer unterhalten werden konnte; ebenso Wein, Brot, Käse und Wasser zur Erfrischung der Kämpfenden, denen sie oft die Bissen in den Mund steckten, während diese luden und abfeuerten, und dabei schrieen sie unaufhörlich: „Es lebe Maria del Pilar!“ In die meist dreistöckigen, von Backsteinen erbauten Häuser trugen sie schwere Steine, Balken, Eisen und so weiter, um es den andringenden Truppen auf die Köpfe zu werfen. Eine Fahne, die ein tödlich getroffener Unteroffizier vom zweiten Weichselregiment hatte fallen lassen, holte ein zehnjähriger Knabe, unter den Kämpfenden hinkriechend, und lief mit seiner Beute jubelnd davon. Schon lagen ganze Haufen von Toten an den Toren und noch hatten die Franzosen wenig oder gar kein Terrain gewonnen. Ein abermaliger allgemeiner, im Sturmschritt stattfindender Angriff hatte keinen besseren Erfolg und wurde mit großem Verlust zurückgeschlagen. Über dreitausend Mann, sechs Kanonen und mehrere Fahnen hatte man schon vor Saragossa, einer nicht befestigten Stadt, verloren, und die Aragonier schmückten sich mit den Waffen und Kleidern der in der Stadt gefallenen Feinde. Nach der letzten Waffentat wurde die folgende Nacht ganz Saragossa, gleichsam zum Hohn des Feindes, illuminiert, und man brachte sie betend in den Kirchen zu. Während die Franzosen den anderen Tag Streifzüge in die umliegenden Dörfer machten, diese plünderten und Subsistenzmittel requirierten, warfen die Einwohner neue Verschanzungen auf und setzten ihre Stadt in den besten Verteidigungszustand, Batterien errichtend und alle Mauern und Gebäude an derselben mit Schießscharten versehend. Sie hieben zugleich alle in der Nähe befindlichen Bäume um und machten Verhaue an allen Eingängen der Stadt, um der Reiterei das Vordringen unmöglich zu machen. Angetragene Kapitulationen wurden stolz zurückgewiesen und durch racheatmende Manifeste beantwortet, in denen es hieß: daß man alle französischen Gefangenen niedermachen würde und so weiter. Die Mönche, Geistlichen und Gerichtsspersonen machten Sicherheitsronden und Patrouillen, man tat sogar Ausfälle auf die Belagerer und nahm ihnen einige Kanonen weg. Indessen war Palafox, der einen nächtlichen Marsch nach Epila mit siebentausend Mann, bei denen auch das neuorganisierte Regiment Ferdinand VII. war, unternommen, zurückgeworfen worden und hatte dabei mehrere Kanonen verloren. Wenige Tage darauf kam Verdier mit seiner Division, nebst Belagerungsgeschütz von Pampeluna und auch unser Bataillon vor Saragossa an. Verdier übernahm nun den Oberbefehl sämtlicher Belagerungstruppen, die Belagerten erhielten aber auch von Zeit zu Zeit Sukkurs. Kurz nach unserer Ankunft fand eine furchtbare, die Erde erschütternde Explosion in der Stadt selbst statt. Das zu einem Pulvermagazin umgeschaffene Seminarium, in welches man das Pulver von Monte Torrero gebracht hatte, wurde durch Unvorsichtigkeit in die Luft gesprengt. Die Wirkung war schrecklich. Es schien, als wanke der ganze Erdboden, alle Häuser zitterten, und außer dem Seminarium lagen noch einige zwanzig Gebäude in Trümmern und ihre Bewohner unter denselben begraben. Nachdem die erschrockenen Einwohner aus den Häusern gestürzt, und erfahren hatten, was die Ursache dieser entsetzlichen Erschütterung gewesen, war ihre erste Sorge, neues Pulver anzuschaffen. Gewiß ist es, daß, wenn wir die erste Bestürzung, in die dieses Ereignis die ganze Stadt versetzt, benutzt und einen allgemeinen Sturm unternommen hätten, wir leicht Herr derselben geworden wären. So aber ließ man beinahe vierundzwanzig Stunden verstreichen, ehe man einen solchen Angriff begann. Die Einwohner hatten Zeit gehabt, sich zu sammeln und zu beruhigen, da sich noch hinlänglich Munition vorfand, und die Attacke wurde auf allen Seiten abgeschlagen. Doch nahmen wir bald darauf den von Bürgern und Bauern besetzten Monte Torrero, der die Stadt von der Südseite dominiert, nach kurzem Widerstand, da er nicht besonders gut verschanzt war. Der spanische Offizier, der daselbst kommandiert hatte, Oberst Falio, wurde auf Befehl der Junta vor ein Kriegsgericht gestellt, zum Tode verurteilt und erschossen. Auf dieser Höhe wurden nun Batterien gegen die Stadt errichtet und dieselbe von hier aus heftig bombardiert. Die meisten Bomben fielen in die Mitte der Stadt und richteten manchen Schaden an, ebenso die Batterien von San Bernardo, und das Sturmläuten von den Türmen währte nun Tag und Nacht ununterbrochen fort. Bei der Nacht bildeten die Bomben und glühenden Kugeln feurige Bogen in der Luft, ein furchtbar-schönes Schauspiel! Einige fielen in die Kirche Madonna del Pilar, viele auch zischend in die Fluten des Ebro, und der Schaden war nicht so groß als wir glaubten, obgleich schon weit über tausend Bomben geworfen waren. Die in die Kirchen gefallenen Kugeln hatten fast gar kein Unheil gestiftet, und die Priester machten das Volk glauben, daß man es der Madonna zu danken habe, daß so viele feurige Kugeln in den Fluß fielen. Unser Bataillon wurde zu einem Angriff gegen das Portillo-Tor verwendet, und als wir nahe daran waren, die daselbst errichteten Batterien, deren Kommandant schon gefallen war, zu nehmen, stürzten sich ganze Haufen bewaffneter Bürger auf dieselben, machten sie uns von neuem streitig und die Wegnahme unmöglich. Bei dieser Gelegenheit zeichnete sich ein kaum neunzehnjähriges hübsches Mädchen, das Augusta geheißen haben soll, durch einen selbst bei Männern seltenen Heroismus aus. Sie hatte nämlich ihrem Geliebten, der daselbst kämpfte, das Essen gebracht. Aber in dem Augenblick, als sie ankam, stürzte dieser tödlich getroffen nieder. Das Mädchen warf das Essen zu Boden und sich auf den geliebten Gegenstand, den sie fest umklammerte. Dann rafft sie sich aber wieder schnell und gefaßt auf, ihre Blicke verraten Schmerz, Zorn und Wut zugleich. Noch hält der Sterbende die brennende Lunte, mit welcher er die geladene Kanone auf uns abfeuern wollte, krampfhaft zuckend in der Hand. Sie entreißt ihm dieselbe, entzündet das Geschütz, auf das wir im Begriff waren, einzudringen, und mehr als ein halbes Dutzend der Unsrigen sinken tödlich getroffen nieder. Das Mädchen war schön, hatte besonders einen herrlichen Wuchs, ihre zornglühenden Wangen, ihre feuersprühenden Augen gaben ihr das Ansehen einer Pallas. Durch das Beispiel dieser Heroine angefeuert, eilen die erst vor Staunen starren Spanier ihr zu Hilfe. Es erhebt sich ein mörderischer Kampf um die Kanonen, und wir müssen zuletzt mit bedeutendem Verlust vor den sich immer mehrenden Haufen, in deren Mitte die neue Johanna d’Arc anfeuernd kämpft, zurückweichen, die Kanone im Stiche lassend, die nun aufs neue den Tod in unsere Reihen sendet. Das Mädchen war in der Tat sehr schön und erschien uns hier als ein höheres, wunderbares Wesen. Alles hätte ich darum gegeben, sie lebendig fangen zu können, und lange schwebte mir dieses Bild vor Augen. Auch ich hatte einen Streifschuß am linken Oberarm erhalten und zwei Kugeln waren mir durch den Hut gegangen. Hiebe und Stiche hatte ich unzählige pariert. Die Spanier erlangten nun verschiedene Vorteile und entrissen uns mehrere schon besetzte Punkte, namentlich auch ein Kloster, das wir schon genommen hatten. Erst als wir wieder unter den Oliven angekommen waren, ließ ich meine leichte Wunde verbinden. Nachdem wir uns wieder mit frischer Munition versehen hatten, die zum Teil von Calatayud geholt werden mußte, machten wir uns zu neuen Angriffen bereit. Palafox schien ein wahrer Überall und Nirgends zu sein. Bald war er in der belagerten Stadt, bald hieß es: er sei hinter unserem Rücken mit einem bedeutenden Hilfskorps im Anzuge. Bald spukte er auf dem rechten, bald auf dem linken Ufer des Ebro und so weiter, und wohin er kam, belebte er alles mit neuem Mut. Eine der größten Schwierigkeiten war, die nötigen Lebensmittel für unser Armeekorps herbeizuschaffen. Bei diesem Geschäft wurden die zunächst liegenden Städte und Orte beständig in Requisition gesetzt, die aber alle, besonders die cinco Villas (fünf verbundene Städte in der Umgegend), sehr patriotisch und sehr feindlich gegen uns gesinnt waren, und kleine Detachements bisweilen zu Gefangenen machten. Ein seltsames Verteidigungsmittel hatte eine derselben, die Stadt Exea, ersonnen, als sie mit Gewalt Lebensmittel und andere Dinge liefern sollte. Zwei Kompagnien waren dahin abgeschickt worden, um die Requisition beizutreiben. Sie marschierten auch ohne den mindesten Widerstand bis in die Mitte der Stadt. Kaum aber hatten sie auf einem Platz derselben das Gewehr bei Fuß genommen, als sich plötzlich die großen Tore eines langen Gebäudes öffneten und einige zwanzig wütender Stiere heraus und auf sie lossprangen. Zu gleicher Zeit wurde aus allen Fenstern der umstehenden Häuser auf die Mannschaft gefeuert, die genug zu tun hatte, den unbändigen gehörnten Feind abzuwehren. Der größte Teil dieses aus hundertsechzig Mann bestehenden Detachements wurde getötet oder gefangen, und nur einer kleinen Zahl gelang es, das Belagerungsheer zu erreichen und den seltsamen Überfall und Kampf zu berichten. Dies war gewiß ein ganz eigenes Stiergefecht. Diese Stadt, deren Namen Exea-de-Los-Caballeros ist, und die zwölftausend Einwohner hat, liefert die vorzüglichsten Stiere zu den gewöhnlichen Stiergefechten.

Der Kampf in und um Saragossa währte ununterbrochen fort. Ein Bataillon aragonischer Freiwilliger, das kürzlich unter dem Schall der Musik einmarschiert war, machte einige glückliche Ausfälle, wobei es sogar einige unserer Batterien demolierte. Außerdem wurden wir auf unseren Flanken und im Rücken fast unaufhörlich von Guerillas beunruhigt, die sich jetzt zu zeigen begannen und die wir nur mit Mühe abwehren konnten. Bomben und Granaten wurden nur noch spärlich in die Stadt geworfen, der wir durch die Arbeiten der Ingenieure immer näher zu kommen suchten. Endlich gelang es, eine Brücke über den Ebro unterhalb Saragossa zu schlagen, und so auch auf dem linken Ufer dieses Flusses Posto zu fassen, durch welchen die Kavallerie, da er sehr seicht war, ritt. Wir suchten nun auch die Vorstadt einzuschließen und so der Stadt alle Kommunikation mit der Umgegend abzuschneiden, verbrannten die Mühlen, wodurch die Belagerten gezwungen waren, Pferdemühlen in der Stadt einzurichten, um Mehl zu haben, ebenso die Fabrikation des Pulvers innerhalb ihrer Mauern vorzunehmen, dessen sie täglich einige Zentner verfertigten. Die Mönche füllten die Bomben und machten die Patronen. Bei all dem konnten wir sie doch nicht so gänzlich einschließen, daß es ihnen unmöglich gewesen wäre, von Zeit zu Zeit Zufuhren und Verstärkungen einzulassen. Unterdessen machten unsere polnischen Truppen einen Angriff auf das Kloster Sankt Joseph, das mit vielen Schießscharten versehen war, wurden aber bei der ersten Attacke zurückgeworfen. Bei einer zweiten gelang es ihnen, dasselbe mit bedeutendem Verlust zu nehmen, wobei sie alles niedermachten, was ihnen in die Hände fiel. Noch hartnäckiger war der Kampf um das Kapuzinerkloster, wo man sich mit der größten Erbitterung von Zelle zu Zelle, bis in die Kreuzgänge, die Kirche und an den Chor um den Hochaltar herumschlug, und endlich wurde das Kloster von seinen Verteidigern, als sie sahen, daß sie es nicht behaupten konnten, in Brand gesteckt. Wir waren nun der Stadt von allen Seiten bis auf Büchsenschußweite näher gerückt. Das Schloß Aljaferia zu nehmen war uns jedoch trotz der größten Anstrengungen nicht geglückt, obgleich die Batterien bald Bresche gemacht hatten. Aber es fehlte uns hauptsächlich an den nötigen Sturmleitern. Noch mehrmals wurden Stürme auf verschiedene Tore vergeblich versucht, und bei dem Kloster der Barfüßer verloren wir viele Leute, ohne es nehmen zu können. Von dem Josephskloster aus, das jetzt in unseren Händen war, hatten wir indessen die Stadt so eingeschlossen, daß von dieser Seite alle Verbindung nach außen unmöglich war. Wütende Ausfälle, welche die Belagerten machten, um diese Kommunikation wiederherzustellen, sowie stürmische Angriffe auf die über den Ebro geschlagene Brücke wurden siegreich und mit großem Verlust von seiten der Spanier, denen die Reiterei viele Leute tötete, zurückgeschlagen.

Napoleon, der beinahe vor Ungeduld vergehen wollte, weil das unbefestigte Saragossa so lange nicht bezwungen werden konnte, hatte seinen Adjutanten, den Ingenieuroberst Lacoste, abgesandt, die Belagerung zu leiten, der nun alle Angriffe anordnete. In der belagerten Stadt sah es indessen auch nicht zum besten aus, die Munition fing an zu fehlen, die Toten lagen in vielen Gassen unbegraben, die Lebensmittel wurden immer teurer, seltener und schlechter; dennoch verloren die Einwohner den Mut nicht, die Frauen teilten sich sogar in Kompagnien ein, um den Dienst oder die Pflege der Verwundeten zu besorgen; eine Gräfin Burista war Kommandeur dieses seltsamen Regiments. Einen Ausfall, den die Spanier aus der Vorstadt auf dem linken Ufer des Ebro unternahmen, glückte ihnen so, daß sie sich, trotz der heftigsten Gegenwehr, eines Postens bemächtigten, ihn behaupteten, auch mehrere Gefangene machten, die sie im Triumph unter dem Jubelgeschrei des Volkes durch die Straßen führten. Hierbei hatte sich das von Palafox neuformierte Ulanenregiment besonders ausgezeichnet. Lacoste ließ nun Wurfbatterien errichten und von denselben unaufhörlich Bomben in die Stadt schleudern, ebenso Breschbatterien, von denen eine mit zehn Haubitzen vom größten Kaliber besetzt war; nichtsdestoweniger wütete der Kampf unter Mauern und Toren fort. Wir hatten die Nachricht erhalten, daß König Joseph, der Spanien mit einer neuen Konstitution beschenkte, in Madrid eingezogen sei, und Verdier hoffte, daß sich auf diese Nachricht Saragossa ergeben würde; aber Palafox beantwortete diese mit der Neuigkeit der Schlacht von Baylen und der, daß Dupont mit seinem fünfzehntausend Mann starken Korps kapituliert und das Gewehr gestreckt habe, was Napoleon wütend machte. Palafox wollte weniger als je von einer Übergabe reden hören. Man sprach auch viel von dem schönen Empfang, der Joseph bei seinem Einzug in Madrid geworden, erzählte sich sogar, daß er mit Steinwürfen begrüßt sei. Jetzt wurde von unserer Seite alles getan, die Stadt bald zu erobern, alle Mörser und Kanonen versah man sofort mit einem Bedarf für vierhundert Schüsse, und den 4. August spielten mit dem Grauen des Tages die Geschütze aller Batterien, welche meistens auf Kirchen und Klöster gerichtet waren, auf die jetzt ein Bomben- und Kugelregen fiel. Mönche und Nonnen verließen ihre Zellen, sich in Privathäuser flüchtend, Kranke und Wahnsinnige aus dem großen Hospital Nuestra Senora de gracia, in deren Gemächer Bomben gefallen waren, hatten sich von ihren Ketten befreit, und durch den Schrecken noch wütender gemacht, rannten sie mit tollen Geschrei durch die Straßen. Alle Reliquien, Monstranzen und andere heilige Kostbarkeiten wurden eiligst in feuerfeste Gewölbe geschafft. Aus den nahen Laufgräben unterhielten wir zu gleicher Zeit ein rollendes Gewehrfeuer auf alle, die sich blicken ließen. Als endlich mehrere Breschen durch das Kanonenfeuer praktikabel gemacht waren, rückten wir im Sturmschritt von zwei Seiten auf die Stadt los, und nun kam es auf den Trümmern der Mauern und Gebäude zum wütendsten Handgemenge. Die Kolonne, zu der wir gehörten, nahm gegen elf Uhr das Kloster Santa Ingracia, bald darauf wurde auch die Puerta del Carmen genommen, und über die Leichen ihrer Verteidiger schreitend, breiteten wir uns in den nächsten Straßen aus. Den eindringenden Truppen hatte man den Coso, die größte mitten in der Stadt gelegene Straße als Vereinigungspunkt angegeben. Wir marschierten jetzt durch die Ingracia-Straße im Sturmschritt nach diesem Punkt, wo wir Befehl erhielten, uns nach verschiedenen Richtungen zu verbreiten, um den stärksten Posten in der Stadt in den Rücken zu fallen; aber es war unmöglich, sich Bahn durch die alten, sehr engen Gassen zu brechen, welche Haufen verzweifelter Wütender, die meistens von einem Priester im Ornat, ein Kruzifix schwingend und eine geweihte Hostie in der Hand, angefeuert, sich gleich gereizten Löwen verteidigten, und dabei regnete es Steine, siedendes Wasser und Öl auf uns herab. Unser Bataillon erreichte dennoch den Magdalenenplatz, wurde aber daselbst mit Kartätschenfeuer empfangen, und wir mußten uns, wollten, wir nicht abgeschnitten werden, da aus allen Straßen bewaffnetes Volk herbeiströmte, wieder gegen die Mitte des Coso zurückziehen. Hier griff uns ein wütender Haufen, von einem Priester, der eine Kirchenfahne schwang, angeführt, ganz unvermutet an, und der Anführer unserer Kolonne wurde von einem rasenden Mönch niedergestochen. Ich übernahm jetzt das Kommando derselben und zog mich fechtend auf das Kloster Santa Fé zurück, von wo aus ich die Feinde mit Vorteil angriff und mich dann in der Kaserne Minones, die neben dem Kloster lag, festsetzte. – Wir glaubten nun endlich die Stadt genommen und daß die Einwohner zu Kreuz kriechen würden. Dies würde sicher auch der Fall gewesen sein, wenn sich unsere Leute nicht so früh der Plünderungswut überlassen hätten und in die Häuser gedrungen wären, ohne daß es möglich gewesen, sie davon abzuhalten; die wenigsten kamen wieder lebendig heraus, sondern fanden den Tod in denselben. Ich hatte zuletzt kaum mehr zweihundert von der an tausend Mann starken Kolonne beisammen; so wie die Offiziere den Rücken drehten, liefen zehn und zwanzig in ein Haus. In einer Kirche, durch die wir bei dieser Gelegenheit zogen, erinnere ich mich ein Gemälde im Vorübergehen gesehen zu haben, das einen Heiligen darstellt, der in einer vierspännigen Galakutsche in den Himmel einfährt!

Den Moment für günstig haltend, bot Verdier, der sein Hauptquartier in dem Kloster Santa Ingracia aufgeschlagen hatte, nochmals eine Kapitulation an, auf die mit den Worten: „Krieg bis in den Tod!“ durch Palafox geantwortet wurde. Zugleich ließ er auf den schiefen Turm der Stadt zwei Fahnen pflanzen, die eine blutrot und die andere weiß mit einem roten Kreuz, um den Spaniern in der Vorstadt und der Umgegend zu beweisen, daß er noch Herr der Stadt sei. Bald rückten auch neue Verstärkungen ihren Landsleuten zu Hilfe an und über die Brücke in die Stadt, aus deren Häusern man jetzt die getöteten oder noch halb lebenden Soldaten von den höchsten Stockwerken hinabwarf, wobei die Weiber, auch Kinder hilfreiche Hand leisteten, und mehr als einer dieser Unglücklichen war durch den Dolchstich einer schönen Saragosserin gefallen, mit der er den Tod umarmt und so den Moment der Ausschweifung mit dem Leben bezahlt hatte. Der Kampf in den Straßen wurde noch heftiger, und aufgetürmte Leichen bildeten nicht selten eine Brustwehr. Die Kompagnie eines Weichselregiments hatte sich hinter lauter getöteten Kapuzinern und Karmelitern verschanzt, andere machten sich Bollwerke aus in Häusern weggenommenen Matratzen. Bald sah ich ein, daß ich mich nicht lange mehr in Santa Fé würde halten können, suchte mich daher kämpfend dem Coso zu nähern und mußte dabei über ganze Haufen von Toten steigen. Hier hatten wir noch das Franziskanerkloster und dessen Kirche inne und verschanzt. – Das Bombardement währte beständig fort sowie das Sengen, Brennen und Morden, und die klaffenden Wunden der Leichen gingen bei der großen Hitze schnell in Fäulnis über und verpesteten die Luft. – Nach diesem furchtbaren Tag brachten wir auch noch die von den Flammen der brennenden Gebäude hellgelichtete Nacht unter den Waffen und zum Teil fechtend zu. Mit Tagesanbruch erhielten die Spanier abermals bedeutende Verstärkungen, welche durch die Vorstadt, die wir nie ganz hatten einschließen können, gedrungen waren, und die reichliche Munition für die Belagerten brachten. Dies machte, daß wir uns außerstande befanden, die Stadtteile länger zu behaupten, in deren Besitz wir waren, besonders da die Feinde die hinteren Mauern der Häuser, in denen sich unsere Leute befanden, einschlugen, in dieselben drangen und so ein Haus nach dem anderen kämpfend und mit großem Verlust geräumt werden mußte. Zugleich wurde ein furchtbares Feuer von allen Dächern und aus allen Fenstern auf die aus den Häusern flüchtenden sowie überhaupt auf alle in den Straßen sich befindenden Truppen unterhalten. Mehrere Stunden währte dieser mörderische Häuserkampf fort. Noch waren wir im Besitz des Franziskaner- und des San Diegoklosters sowie von Santa Ingracia. Jetzt erhielt Verdier die Nachricht, daß Palafox, der während der Nacht die Stadt verlassen, mit sechstausend wohlbewaffneten Aragoniern im Anzug sei. Wir mußten eiligst alle unsere auf dem linken Ufer stehenden Truppen zurückziehen und stellten eine starke Reserve auf dem Monte Torrero auf. Dies gab Veranlassung zu einer komischen und galanten Episode dieses Wettkampfes. Um unsere Kommunikation mit den noch von uns besetzten Teilen der Stadt zu unterhalten, mußten wir ein Nonnenkloster wegnehmen, dessen wir zu diesem Zweck bedurften; hier fanden wir ungefähr dreißig Schwestern nebst einer Äbtissin, die gefangen abgeführt wurden und unter denen sich zwei sehr artige Novizen und ein halbes Dutzend noch ganz junger und hübscher Nönnchen befanden. Mir wurde der Auftrag zuteil, die frommen Kinder in Sicherheit zu bringen. Nachdem ich die verzweiflungsvollen Schönen so gut als möglich zu beruhigen gesucht, eskortierte ich sie selbst, und zwar nicht ohne Gefahr, daß eine oder die andere verwundet oder gar getötet würde, denn die Kugeln hörten nicht auf zu sausen, nach dem Monte Torrero; aber trotz meiner kräftigsten Versicherungen, daß ihnen nichts zuleide geschehen solle, weinten sie dennoch unaufhörlich und schienen trostlos. Nichts half es anfänglich, daß alle Offiziere, die mit ihnen in nähere Berührung kamen, ihnen ein Gleiches versicherten. Als sie aber sahen, daß man fortfuhr, sich so artig und galant gegen sie zu benehmen und ihnen alle mögliche Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit erwies, fingen sie endlich an, sich in ihr Schicksal zu ergeben, ihre Tränen zu trocknen und nahmen etwas Speise und Trank zu sich. Man räumte ihnen die besten Erdhütten ein, welche die Soldaten noch besonders bequem für sie einrichteten und verwahrten, und nach zweimal vierundzwanzig Stunden waren sie schon ziemlich dieses Kampagneleben gewöhnt, besonders die Jüngeren. Sie fingen an, mit uns zu lächeln, wohl auch zu schäkern und ließen sich bald halb gezwungen, halb freiwillig ein Küßchen rauben; die meisten waren aus angesehenen spanischen Familien. Da sie sahen, daß wir keine Eisenfresser waren, und da die spanischen Nonnen überhaupt noch unendlich mehr Freiheit haben als die italienischen, auch Liebesintrigen derselben eben nicht zu den Seltenheiten gehören, so wurden sie immer vertrauter mit uns. Eine der Novizen, kaum fünfzehn Jahre alt, ein wahres Madonnengesicht, schön wie eine Verklärte, fand ich für gut, mit noch zwei jüngeren Schwestern unter meine besondere Protektion zu nehmen und ihnen ein eigenes Lokal einzuräumen; sie hatten alle getrennt und zu zwei und drei in unsere Baracken einquartiert werden müssen. Ich ließ auch Matratzen für sie herbeischaffen, die ich aus noch von uns besetzten Häusern nahm, sorgte dafür, daß ihnen immer mit den delikatesten Speisen, die zu haben waren, aufgewartet wurde, ließ sie durch meinen Burschen bedienen und übergab sie der Sorgfalt eines zurückbleibenden Unteroffiziers, wenn ich sie verlassen mußte, um an dem Kampf teilzunehmen; zum Abschied erlaubte ich mir, sie zu küssen. Den heiligen Mädchen standen die Tränen in den Augen, so oft ich sie verließ; sie baten mich, ja recht bald wiederzukommen. Da wir den dritten Tag nach der Wegnahme dieses Klosters alle Saragossa räumen mußten, um wieder Posto vor der Stadt zu nehmen, so konnte ich mich gegen zehn Uhr in der Nacht bei meinen Schützlingen wieder einfinden, die vergnügt waren, mich wiederzusehen. Die Nonnen schienen mit der Behandlung, die ihnen bis jetzt geworden, alle sehr zufrieden, und selbst die schon betagte Äbtissin schickte sich darein. Ich beredete meine drei liebenswürdigen Gäste noch zu einem Spaziergang unter die nahen Oliven, wo wir unter freiem Himmel in der schönsten spanischen Sommernacht das gestirnte Firmament bewunderten, ich aber, da alle drei hübsch und jung waren und um keinen Neid bei den anderen zu erregen, sie alle liebkoste und küßte, doch die Novize mit großer Vorliebe. So saßen oder lagen wir vielmehr alle vier recht traulich unter den Bäumen, als wir in einiger Entfernung mehrere schwarze Gestalten auf uns zuschreiten sahen, in denen wir, als sie näher kamen, noch drei Offiziere und zwei Nonnen erkannten, die ebenfalls im nächtlichen Promenieren begriffen waren; ich trat eine der meinigen einem Kameraden ab, und wir spazierten nun, ich mit der Novize und einer Schwester am Arm, unter den Oliven. Bald verloren sich die verschiedenen Paare aus dem Gesicht, und ich hatte mich mit meinen beiden Schönen wieder an einem etwas entfernteren Orte niedergelassen, wo wir uns ganz vortrefflich unterhielten, vergnügten und auf das freundschaftlichste miteinander fertig wurden. – Ob die guten Kinder wohl alles, was zwischen uns vorfiel, gebeichtet haben mögen? – Ich möchte es sehr bezweifeln. – Seit Madrid hatte ich, obgleich ich kein Keuschheitsgelübde getan, doch diese gewiß strenger beobachtet als Franziskaner und Kapuziner, und zwar aus dem triftigen Grund, weil sich keine Gelegenheit gefunden, sie zu brechen. Nachdem wir uns in einem Wonnemeer von Vergnügen satt geschwelgt hatten, führte ich die guten Schwestern wieder in ihr Gemach zurück, wo die dritte in Gesellschaft ihres Begleiters sie schon erwartete. Nur ein paar Tage dauerte noch der Umgang mit den liebenswürdigen Kindern, welche auf höheren Befehl alle, samt der Äbtissin, jetzt in das Kloster eines benachbarten Städtchens gebracht wurden. Dieser Befehl kam ein wenig spät, läßt sich aber durch die weit wichtigeren Dinge, mit denen sich die kommandierenden Generäle vor allem zu befassen hatten, wohl entschuldigen. Ich gab den lieben Kindern noch das Geleit, nahm zeitlichen Abschied von ihnen, selbst der Frau Äbtissin die alte Hand küssend.

Nachdem Palafox mit seiner Verstärkung in Saragossa eingerückt war, beschränkten wir uns fast nur noch darauf, die Stadt zu bombardieren. Verdier, der selbst verwundet worden und das Kommando deshalb wieder momentan an Lefebvre abgetreten, hatte nochmals, und zwar durch gefangene Mönche, eine Kapitulation angetragen, die gleich den früheren zurückgewiesen wurde, mit dem Bedeuten, man würde sich, wenn es nötig sei, von Haus zu Haus bis zum letzten schlagen und unter dessen Trümmern begraben. Dazu kam es nicht; man murmelte seit vierundzwanzig Stunden, und die Generäle wußten es gewiß und hatten geheime Instruktionen erhalten, daß Joseph Madrid bereits wieder verlassen habe, weshalb jetzt Vorbereitungen zur Aufhebung der Belagerung gemacht wurden. Den 12. August kam endlich in der Nacht vom Hauptquartier zu Burgos der bestimmte Befehl an, die Stadt zu räumen, wenn wir schon im Besitz derselben seien, und wenn dies nicht, die Belagerung sofort aufzuheben.

Um unsern bevorstehenden Rückzug zu decken und zu verbergen, wurden jetzt noch einmal mit großer Ostentation alle Anstalten zu einem allgemeinen Angriff gemacht und die Stadt heftig bombardiert. Die Magazine, Gebäude auf dem Monte Torrero und anderen Orten, die wir inne hatten, wurden sodann angezündet. Auch das Kloster Santa Ingracia wurde mit all den Leichen seiner heiligen Märtyrer vor unserem Abzug in die Luft gesprengt, und zwar ging in der Mitternachtsstunde die furchtbare Explosion vor sich. Das mit so großer Mühe herbeigeschaffte Belagerungsgeschütz wurde in die Wellen des Ebro und die Wasser des Kanals geworfen, da wir nur das Feldgeschütz mitnehmen konnten. Auch den gefangenen Nonnen und Mönchen gab man ihre völlige Freiheit, wobei es mit den ersteren etwas bunt hergegangen sein soll. Durch einen Offizier, der die zweite, noch furchtbarere und grausamere Belagerung von Saragossa mitgemacht hatte, erfuhr ich später, daß sich manche der frommen Christusbräute in der Hoffnung befunden, aber nicht bestraft wurden, da sie Gewalttätigkeit vorgeschützt, und unter französischem Schutz niedergekommen seien.

Unser Abzug wurde nicht im mindesten durch die Belagerten beunruhigt, die sich aber des ins Wasser geworfenen Geschützes, ein halbes Hundert Kanonen, Mörser, Haubitzen, Feldschlangen und so weiter bemächtigten, das ihnen bei der zweiten Belagerung gute Dienste tat.

Was unseren Abzug so sehr beschleunigt hatte, erfuhren wir erst auf dem Marsch; es war nämlich ein spanisches Armeekorps, vierzehntausend Mann stark, zur Entsetzung Saragossas im Anmarsch und schon bei Muela angekommen. – Wir hatten wenigstens achttausend Mann bei dieser vergeblichen Belagerung eingebüßt, die Spanier vielleicht noch mehr, denn durch das Einstürzen und Sprengen der Gebäude verloren unzählige Menschen, auch Frauen und Kinder das Leben. Unser Abmarsch wurde in der Stadt sogleich durch eine große Prozession und ein Dankfest gefeiert, wobei man besonders die Jungfrau del Pilar und Palafox hochleben ließ.

Die Belagerung von Saragossa hatte gezeigt, was die Bevölkerung einer Stadt vermag, wenn es ihr Ernst ist, dieselbe zu verteidigen; jetzt erst fing ich an, die fast fabelhafte Verteidigung mancher Städte des Altertums zu glauben. Hätte sich Magdeburg und andere preußische Festungen in dem unglücklichen Krieg von 1807 nur zum hundertsten Teil gleich der Hauptstadt Aragoniens, wie zum Beispiel Kolberg, verteidigt, so hätte Napoleon schwerlich Berlin und noch weniger Königsberg gesehen; doch die herbe und derbe Lektion mußte sein, sollte es in Preußen gut werden. Schon vierundzwanzig Stunden nach unserem Abmarsch kam das Entsatzungskorps in Saragossa an.

Der größte Teil des Belagerungsheeres schlug den Marsch über Alayon nach Tudela ein, um sich später mit der französischen Hauptarmee, die sich an den Ufern des Ebro zusammenzog, zu vereinigen. Ein kleiner Teil, bei dem auch unsere sehr zusammengeschmolzene Legion war, erhielt Befehl, den Weg nach Barcelona zu nehmen, um sich mit dem in Katalonien stehenden Armeekorps zu vereinigen, welches das Beobachtungskorps der östlichen Pyrenäen formierte und bei dem viel italienische Truppen standen. Bei der furchtbaren Stimmung und dem eingefleischten unversöhnlichen Haß der Katalonier gegen die Franzosen, der schon aus früheren Zeiten datierte, war es höchst notwendig, auch dieses Korps zu verstärken, das ebenfalls schon sehr vermindert war und namentlich bei der Belagerung von Gerona sehr gelitten hatte. Unser Marsch war wieder höchst beschwerlich und ermüdend. Wir vermieden sogar alle bedeutenden Orte, da die Bataillone meist keine dreihundert Mann mehr stark, um so mehr den Angriffen der Feinde ausgesetzt war und in ganz Katalonien nur noch Barcelona und das Fort von Figuieras in den Händen der Franzosen waren. Miquelets, in Bataillone zu zehn Kompagnien, jede hundert Mann stark, eingeteilte und wohlbewaffnete Katalonier, schwärmten zu Tausenden umher. Sie trugen runde Jacken und Federhüte, katalonische Nationaltracht. Katalonien hatte einige vierzig solcher Bataillone, Tercios de Miquelets genannt, gestellt und bewaffnet. Außerdem gab es noch eine Art Landsturm, Somatenes genannt, die sich augenblicklich, wo es not tat, zu vielen Tausenden bewaffnet erhoben, deren Einrichtung schon Jahrhunderte bestand und zu der alle Katalonier vom sechzehnten bis zum fünfzigsten Jahre gehören, sobald das Vaterland in Gefahr ist.

Alle größeren Städte, und namentlich Lerida, in welchem die Junta von Katalonien ihren Sitz aufgeschlagen hatte, vermeidend, machten wir sehr ermüdende und gefährliche Nachtmärsche. In kleineren Orten requirierten wir Lebensmittel, was, so lange wir in Aragonien waren, sich noch ziemlich gefahrlos tun ließ; als wir aber einmal über Fraga, eine Stadt, die am Cinca liegt und über viertausend Einwohner zählt, hinaus waren, wurde es immer schwieriger, sich Nahrungsmittel zu verschaffen. Das Dorf Alcaraz war der erste Ort, den wir in Katalonien betraten; es liegt nur in geringer Entfernung von Lerida. Unser nächstes Biwak hielten wir bei dem Dorf Molleruza, von wo wir noch unangefochten, aber oft auf abscheulichen Seitenwegen bis in die Gegend von Cervera marschierten, das auf einer ansehnlichen Höhe in einer großen fruchtbaren Ebene liegt, mit Mauern umgeben und durch seine Lage ziemlich fest ist. Im spanischen Erbfolgekrieg wurde diese Stadt vergeblich von den Deutschen und Kataloniern belagert, auch wagten wir uns nicht an dieselbe, da wir von den guten Gesinnungen der Einwohner gegen uns, sowie daß ein Bataillon Miquelets und viele Somatenes in derselben lagen, unterrichtet waren. Wir marschierten nach gehöriger Rekognoszierung in das Dorf Hostalfranes, wo wir alles mitgehen ließen, was wir als verdauungsfähig erkannten. Die Stadt Ignalada, die über zehntausend Einwohner zählte und nicht besser gesinnt war, umgingen wir gleichfalls, uns fortwährend mit dem Nötigsten in den Dörfern versehend. Oft bestand unsere Nahrung auf einen ganzen Tag in einer Zwiebel oder etwas Knoblauch mit einem Stück Brot, und dabei die strapaziösesten Märsche in kahlen Gegenden. Bayern oder Österreicher würden schlecht dabei gefahren sein. Im Grunde war es ein Unsinn, uns in so geringen Abteilungen nach Katalonien, das in vollem Aufstand war, zu senden, aber der General Duhesme, der daselbst kommandierte, hatte auf das dringendste Verstärkung verlangt, da was ihm von Perpignan zukam, nicht hinlänglich war. Nach mancherlei Strapazen, großen Entbehrungen und das Fußwerk im schlechten Zustand, kamen wir endlich bei dem Städtchen Martorell an, wo wir über die Noya gingen und dann den nur noch drei Stunden entfernten berühmten Berg Montserrat erblickten, den zu besteigen und seine merkwürdige Einsiedelei zu besuchen, jetzt niemand Lust verspürte. Von weitem sieht er aus wie eine ungeheure Burgruine. Schon so nahe bei Barcelona, hielten wir uns jetzt sicher genug, um uns nach Martorell wagen zu können, wo wir uns seit zehn Tagen zum erstenmal wieder satt essen konnten; aber kaum war dies geschehen, als wir Nachricht erhielten, daß sich ein großer Haufen Somatenes in geringer Entfernung zeige. Wir griffen eiligst zu den Waffen und verließen die Stadt. Hier sahen wir einen Haufen bewaffneter Bauern, etwa zwölf- bis fünfzehnhundert Mann stark, die sich jedoch nicht an uns zu wagen schienen und uns ruhig ziehen ließen. Bald hatten wir sie auch aus den Augen verloren. Als wir aber bei San Feliu, einem ziemlich bevölkerten Ort, der nur noch zwei Stunden von Barcelona liegt, ankamen, zeigten sich auf einmal die Somatenes wieder, mit einem halben Tercios Miquelets verstärkt, und machten Miene, uns den Weg zu sperren, indem sie sich vor dem Eingang von San Feliu aufstellten. Es blieb uns nichts anderes übrig, als ihn zu erzwingen und zu versuchen, uns durchzuschlagen. Die Miquelets fochten wie Verzweifelte, und selbst nachdem wir ihre Reihen durchbrochen hatten, mußten wir fortwährend kämpfend weiterziehen, da sich immer neue Haufen entgegenwarfen, die kleine, uns bekannte Umwege im Lauf machten und sich dann wieder vor uns aufstellten. Endlich waren wir mit einem Verlust von einigen dreißig Mann jenseits des Ortes auf der nach Barcelona führenden Straße angekommen, als sich abermals ein großer Trupp Somatenes zeigte, Feuer auf uns gab und dann davoneilte. Ich ritt gerade an der Spitze des zweiten Bataillons, als ich einen Büchsenschuß in den rechten Schenkel erhielt, den ich im ersten Augenblick gar nicht spürte, der mir aber bald unter großem Blutverlust heftige Schmerzen verursachte, so daß ich vom Pferd steigen und mich bis Barcelona auf Stangen tragen lassen mußte, die im nächsten Dorf nebst acht Bauern dazu requiriert wurden, nachdem ein Aide-Major einen provisorischen Verband auf die Wunde gelegt hatte. An den Toren von Barcelona angekommen, wurde sogleich eine Sänfte herbeigeschafft, in der man mich ins Lazarett brachte, wo die Wunde untersucht und die Kugel herausgezogen wurde; sie lag nicht sehr tief und war schon ziemlich matt, als sie den Weg in mein Fleisch fand, denn die Bauern hatten aus großer Entfernung geschossen; dennoch bekam ich ein heftiges Wundfieber. Vom Lazarett, wo ich nicht bleiben wollte, wurde ich in ein Gemach in der Zitadelle gebracht. Da ich indessen sehr gute Säfte hatte, was bei Wunden eine Hauptsache ist, denn bei verdorbenen Säften oder wenn venerisches Gift im Körper ist, wird die geringste Wunde oft tödlich oder bringt jahrelanges Leiden, so ging meine Heilung schnell vor sich, und ich konnte nach wenigen Tagen schon wieder mit Hilfe einer Handkrücke herumhinken. Aber mein fatales dreitägiges Fieber stellte sich nun auch wieder recht hartnäckig ein und machte mir viel zu schaffen, da es in ein schleichendes und zehrendes auszuarten drohte. Während ich so mit Wunde und Krankheit zu tun hatte, war der Rest der Legion schon wieder mit anderen Truppen ausgerückt, um gegen die immer kühner werdenden Miquelets zu kämpfen, fiel aber in einen Hinterhalt und wurde größtenteils niedergemacht oder gefangen, so daß kaum fünfzig Mann und ein einziger Offizier zurückkamen. Wären wir nicht im Besitz der Zitadelle von Barcelona gewesen, der sich Duhesme gleich bei seinem Einmarsch in Spanien durch Arglist und Gewalt bemächtigt hatte, so wäre es uns sicher schlimm ergangen. Barcelona ist auch auf der Landseite wohl befestigt und auf beiden Flanken durch die Zitadelle und das Fort Montjuic gedeckt; auch von der Seeseite ist es fast unangreifbar. Die Engländer kreuzten aber im Verein mit den spanischen Schiffen unaufhörlich vor dem Hafen, fast alle Kommunikation zu Wasser abschneidend. Wäre der spanische Generalkapitän von Katalonien, Palacios, ein zweiter Palafox gewesen, so hätte er uns viel zu schaffen machen können, da Duhesme sehr oft mit der Elite der Garnison in den Gebirgen umherstreifte, um gegen die Miquelets, die Palacios mit noch anderen Truppen befehligte, zu streiten und während seiner Abwesenheit Stadt und Zitadelle nur schwach besetzt ließ. Auch waren die Einwohner sehr aufgebracht, da sich der italienische General Lecchi, der in Duhesmes Abwesenheit dann kommandierte, alle möglichen Vexationen gegen sie erlaubte und die Stadt außer den zu liefernden Lebensmitteln, Montierungsstücken in großen Massen, fünfzigtausend Zentner Holz, viele Schuhe und noch zwanzigtausend spanische Piaster (über einhundertzehntausend Franken) wöchentlich bezahlen mußte. Freilich waren die angesehensten Einwohner als Geiseln in der Zitadelle eingesperrt.

Strapazen, Wunde und Fieber hatten mich indessen tüchtig zusammengerüttelt, so daß ich bald nur noch einem Schatten glich, doch versuchte ich abends, wenn die größte Hitze vorüber war, kleine Promenaden in der Stadt zu machen, besuchte Kirchen und so weiter.

Diese Hauptstadt Kataloniens ist mit die beträchtlichste Spaniens und hat nahe an hundertfünfzigtausend Einwohner; sie wurde von den Karthaginiensern gegründet, die ihr den Namen eines ihrer Generäle, Hamilcar Barca, beilegten. Nachher kam sie unter römische, später unter gotische und maurische Herrschaft; endlich hatte sie ihre eigenen Souveräne, die den Titel Grafen von Barcelona führten und Katalonien mit der Krone von Aragonien vereinigten, bis beide im sechzehnten Jahrhundert der spanischen Monarchie einverleibt wurden. Die Stadt hat einen großen Umfang, ist aber schlecht gebaut und hat mit wenigen Ausnahmen sehr enge und krumme Straßen, namentlich die Altstadt, auch ihre Plätze sind klein. Die Häuser sind sehr hoch, meist fünf Stockwerke, und haben große Balkone. Paläste sind wenige hier; unter ihnen ist der des Herzogs von Medina Cöli der schönste. Sehr viele Häuser sind bunt bemalt, Kirchen und Klöster zählt man wohl anderthalb hundert. Noch sind einige Altertümer aus den Römerzeiten vorhanden. Die Kathedrale ist ein großes schönes Gebäude, dessen Fassade aber noch nicht ausgebaut ist, obgleich schon seit dreihundert Jahren von allen, die sich daselbst verheiraten, eine kleine Abgabe zu diesem Zweck erhoben wird und schon weit mehr Geld als erforderlich dazu vorhanden ist. Der alte Palast der Grafen von Barcelona diente zum Teil Klarissinnen zur Wohnung, während im anderen Teil das Inquisitionstribunal seinen Sitz und seine Kerker hatte; er hat ein ungeheures Mauerwerk, furchtbare Gewölbe und ist nur durch eine enge Straße von der Kathedrale getrennt. Das Schauspielhaus ist ein schönes und geräumiges Gebäude, das an einer Promenade liegt. Noch ist auch ein alter merkwürdiger Palast des Hauses Alba vorhanden. Von den Promenaden innerhalb der Stadt – die außerhalb liegenden konnte ich nicht besuchen – ist die Esplanade zwischen Zitadelle und Stadt die größte; sie hat drei Reihen Alleen, wird aber wenig besucht. Die Rambla ist ein auf ehemaligen Festungswerken angelegter Spaziergang mitten in der Stadt, die sie gewissermaßen in zwei Teile trennt.

Barcelonetta ist ein kleines Städtchen, das eigentlich eine Vorstadt von Barcelona bildet und zwischen dem Hafen und dem Molo liegt, wird aber fast nur von Schiffern und Matrosen bewohnt; seine Entstehung datiert erst aus dem achtzehnten Jahrhundert. Die Zitadelle an der Nordostseite der Stadt wurde ebenfalls erst im achtzehnten Jahrhundert und auf Befehl Philipp V. erbaut; sie ist groß, und ihre bedeutenden Werke waren noch im besten Zustand. Der Hafen, der unter ihr und zwischen der Stadt und Barcelonetta liegt, ist im Grunde nur ein großes Bassin, dessen Einfahrt ziemlich schwierig ist; er ist schön und sehr besucht. Der Montjuic ist ein Berg auf der Südwestseite der Stadt, mit einem Fort gekrönt, der weit besser Stadt, Hafen und Umgegend beherrscht als die Zitadelle und selbst diese noch dominiert.

Barcelona, das großen Handel treibt, hat sehr reiche Kaufleute, sein Adel aber gehört mit wenigen Ausnahmen meistens zur Familie der Don Ranudo de Colibrados. Die Frauen sind zum Teil reizende und pikante Schönheiten, die mich trotz meinem gespensterhaften Aussehen nicht wenig interessierten; ich konnte sie aber nur in Kirchen und auf Promenaden bewundern. Gewöhnlich ist diese Stadt voller Leben, und die Vergnügungen aller Art, wie Gesellschaften, Tänze, Schauspiele, Maskeraden, italienische Oper, Kirchenfeste, Prozessionen, Landpartien und so weiter drängen sich, jetzt aber war von dem allen wenig zu sehen, man hätte sich vielmehr in La Trappe glauben können, und sah nur finstere oder sorgenvolle Gesichter; nur in den Kirchen war einiges Leben, wenn auch ein sehr ernstes. In manchen derselben werden bei großen Festen oft dreitausend Kerzen zumal angezündet. Nächtliche Prozessionen mit Fackeln, bei denen es oft bunt genug zugeht, sind hier sehr beliebt; man hat berechnet, daß allein bei den Prozessionen, die während der heiligen Woche stattfinden, über dreißigtausend Wachsfackeln verbrannt werden, von denen eine jede fünf bis sechs Pfund wiegt; Riesen, Teufel, Ungeheuer und so weiter spielen dabei eine große Rolle. Durch die vielen bürgerlichen Kriege der letzten drei Jahrhunderte und nicht weniger als fünf Belagerungen, die es in einem Zeitraum von sechzig Jahren bestanden, war Barcelona so herabgekommen, daß es nach der Belagerung von 1714 keine vierzigtausend Einwohner mehr zählte, sich aber so unglaublich schnell erholte, daß es zu Ende desselben Jahrhunderts schon wieder hundertundvierzigtausend und über zehntausend Häuser hatte.

Kaum acht Monate hatte ich in Spanien zugebracht und unter Verhältnissen, die es nicht zuließen, in nähere Berührung mit dessen Einwohnern zu kommen und sie genauer kennen zu lernen, doch machte ich im allgemeinen auf unseren Märschen und in unseren Quartieren folgende Bemerkungen. Die Damen haben sich bei den Spaniern, trotz dem herrischen Wesen der Männer, noch immer einer Verehrung zu erfreuen, die fast an Abgötterei grenzt und die noch von jener in ihren ritterlichen Romanen und Romanzen so oft besungenen heroischen Liebe zeigt. Die Männer suchen beinahe eine Ehre darin und sind stolz darauf, sich der Frauen Knechte zu nennen, was sie auch sind, und reden sie oft mit den Worten an: „Señora, beso a vos los pies“, auch besorgen sie Frauen-, Stuben- und Küchendienste, machen die Betten, kaufen die Lebensmittel ein, kochen, kleiden sogar die Kinder an und so weiter. Dies macht, daß selbst die spanischen Frauen niederer Klassen halbe Prinzessinnen sind, deren Winke rasch auszuführenden Befehlen gleichen. Dagegen sind sie aber auch über alle Beschreibung schön und anmutig, namentlich die Andalusierinnen, deren ich mehrere in Madrid und Barcelona sah, heroisch-majestätische Schönheiten. Der Ausdruck ihrer Mienen, ihr Anstand, ihre Anmut, ihre Feuer blitzenden Augen sind unvergleichlich, selbst Bettelmädchen und Dirnen der Freude wissen unter ihrer Mantille noch zu imponieren, und die halbwilden Hirtentöchter der Gebirge kommt man in Versuchung, für Bergnymphen zu halten. Unter diesen Gebirgsbewohnern gibt es Menschen, die gar kein Geld kennen, und wenn man ihnen für einen Dienst, für eine Erfrischung ein Stück gemünztes Silber geben will, weisen sie es mit Verachtung zurück, sprechend: „Wir bedürfen solchen Plunders nicht, wer dessen bedarf, mag ihn behalten.“ Im Sommer ist das hohe Himmelsgewölbe ihr Dach und im Winter Erdhütten oder Höhlen ihre Schlafstätte, Schaffelle ihre Bedeckung, Milch, Kräuter und Baumfrüchte ihre Nahrung. Namentlich leben so die Gebirgsbewohner Kataloniens, die kein Feind in ihren Bergen erreichen kann und die ein wildes, kriegerisches Volk sind, das seine Engpässe gut zu verteidigen weiß und fast mit nichts lebt; diese genügsamen Menschen haben immer Überfluß.

Musik und Tanz ist selbst in den elendesten Dörfern Spaniens das Hauptvergnügen seiner Bewohner. Von diesen Tänzen hat, wer sie nicht gesehen, keinen Begriff. Den feurig wollüstigen Fandango, den anmutsvollen Bolero, den Zorongo, die waghalsige Jota von graziösen Spanierinnen aufgeführt zu sehen, läßt Eindrücke zurück, welche für die Lebenszeit dauern. Vor den Kirchplätzen der armseligsten Dörfer ertönt der Klang der Zither, und die Bauerndirnen bringen durch ihre graziös-wollüstigen Bewegungen auch das Blut der kältesten Zuschauer in Wallung und Glut. In Kastilien sah ich einst den Guaracha tanzen, den eine Person, die sich selbst mit der Gitarre begleitete, mit gravitätischem Ernst aufführte, und dennoch wurde ich von diesem Charaktertanz hingerissen. Fast jede Provinz hat ihre eigenen Tänze, so werden in einer Gegend Kataloniens, Ampurda genannt, zwei ganz eigentümliche Tänze aufgeführt, die man sonst nirgends kennt und die eine magische Wirkung haben. Dagegen sind der Fandango und Bolero überall die Haupttänze, für die jeder Spanier leidenschaftlich eingenommen ist. Der erste wird sehr passend eine harmonische Verzückung des Körpers genannt, der Bolero ist eigentlich nur ein gemäßigter Fandango. Schon die Musik dieser Tänze elektrisiert jeden Spanier und bringt alle seine Glieder in Aufregung, sein Blick folgt jeder Bewegung der Tanzenden, seine Hände, Füße, Mienen und Gebärden schlagen den Takt. Selbst ein phlegmatischer Sohn Albions sagte von dem Fandango: „Ich bin überzeugt, daß, wenn man diesen Tanz unerwartet und plötzlich in einer Kirche oder vor einem Gerichtshof ertönen ließ, Priester und Richter, Andächtige und Advokaten, Volk und Verbrecher ohne Unterschied, wie durch Oberons Chöre bezaubert, zu hüpfen und springen beginnen würden.“ Der Fandango wird in der Regel mit Gitarrenklang und Kastagnettenschlag begleitet, von zwei Personen, Mann und Frau, aufgeführt. – Bekannt ist die Geschichte der wunderschönen Tänzerin Dolores, oder Dolorita genannt, die zuerst als Nonne vor dem Hochaltar ihrer Klosterkirche zu Huelgas zu Ehren der Madonna und der Heiligen tanzte, aber bald den Nonnenschleier mit der Mantille vertauschte, ihre Zelle mit einem Boudoir, eine weltliche Tänzerin ward und statt in der Kirche auf den Brettern der Haupttheater Spaniens und Madrids auftrat, alle Welt bezauberte, von den Granden angebetet und selbst vom König, der ihr Gelübde durch einen Machtspruch gelöst, geküßt wurde. Einen Edelmann namens El-Curo, der in Salamanka studierte, behexte sie so, daß er seine Studien im Stich ließ, ihr gleich einer anderen Preziosa folgte und auch ein Tänzer wurde. Da er hoffte, sich als Toreador noch mehr auszeichnen zu können, vertauschte er die Kastagnetten mit den Banderolas und dem Scharlachmantel und wurde endlich von den Hörnern eines wütenden Stiers durchbohrt.

Die spanischen Theater, von denen ich nur wenige frequentieren konnte, geben oft Vorstellungen, wie man sie in keinem anderen Lande Europas mehr zu sehen bekommt, namentlich wenn sie ihre sogenannten heiligen Komödien aufführen, wo Profanes, Heiliges und Absurdes auf das seltsamste vermengt wird. Da sieht man Engel und Teufel, Priester und Heilige, alle Laster und Tugenden und nicht selten Gott selbst personifiziert. Die Handlungen der Frommen und die Abscheulichkeiten Satans durchkreuzen sich, und das Ganze ist oft ein wahrer Skandal für Religion und Sitten. Luzifer erscheint mit Hörnern und Schwanz und unterhält sich unbefangen mit Heiligen und mit Gott. Wunder aller Art geschehen, Märtyrer werden verbrannt, und was die tollste Phantasie erfinden kann, geht in buntem Gewirre vor den Augen der Zuschauer vorüber. Maschinerie und Dekorationen sind dabei oft in höchster Vollkommenheit. Man sieht bald das Innere des Himmels, bald die Hölle, bald beides zugleich, über- oder nebeneinander. Das himmlische Paradies, das Fegfeuer mit den brennenden Seelen, ein Konklave und so weiter, alles wird dem bewundernden Auditorium vorgeführt. Namentlich wurden diese Komödien am schönsten und tollsten in Barcelona gegeben, wo man den Teufel sogar zwingt, in einer Franziskanerkutte, aus der die Hörner hervorragen, auf einer Kanzel die christliche Moral zu predigen!!! Man sieht auch Stücke, deren Handlungen durch zwei Jahrhunderte in einem Abend spielen. –

Die Theater haben im Innern in der Regel ein Patio (Parterre) und mehrere Reihen Logen, palcos oder aposentos genannt. Das Parterre ist meistens in drei verschiedene Abteilungen geteilt, von denen die vorderste Lehnstühle, die mittlere, das eigentliche Patio, Bänke, die hinterste Gradas, das heißt amphitheatralisch geordnete Sitze hat, doch ist dies nur in den größeren Theatern der Fall. Die Logen sind fast wie in Italien beschaffen. Die meisten Theater haben, der Bühne gegenüber, in jedem Rang eine große Loge, die man Cazuela nennt. Diese ist nur allein für Frauen bestimmt, die sich daselbst, in die Mantillen gehüllt, aus allen Ständen und von jedem Alter einfinden; auch die vornehmsten Damen, die keine Toilette machen wollen oder sonst eine Ursache dazu haben, besuchen oft die Cazuela, durch ihre Schleier unkenntlich gemacht. Die Liebe ist bei den Spanierinnen die Hauptangelegenheit ihres Lebens, und schon manche Donna hat ihren Geliebten, als Frau verkleidet, mit in eine Cazuela genommen. Sie lieben höchst leidenschaftlich und sollen dabei sehr beständig sein, dagegen aber fordern sie die unbedingteste Ergebung und große Aufmerksamkeit von dem Geliebten und sind nicht selten dessen schrecklichster Tyrann, während sie oft die Sklavinnen ihrer Eheherren sind. Ihr Wille muß ihm das strengste Gesetz sein, gegen das keine Appellation stattfindet, dabei besitzen sie eine große Energie und trotzen jeder Gefahr, besonders die Kastilianerinnen, welche die zärtlichsten wie die Andalusierinnen die verführerischesten Frauen sind. Sitten, Gebräuche, Kleidung und sogar die Sprache sind in jeder Provinz verschieden, und in keinem Land ist eine so große Mischung von verschiedenen Nationen, wie in Spanien, wo neben dem Element der Urbewohner, das der Karthager, der Römer, der Celtiberier, der Germanen und namentlich der Goten und Mauren, das glühende Orientalische neben dem ernsten Nordischen sich kundgibt und in vielen Charakterzügen zeigt, sowie ihre wunderbaren Märchen von verbannten und verwünschten Jungfrauen und Rittern, verborgenen Schätzen, verwünschten Schlössern, verzauberten Gärten, Palästen, ritterlichen Kämpfen mit Riesen und Ungeheuern, unterirdischen Bewohnern und Geistern und so weiter, bald die glühende Phantasie der Orientalen, bald die romantische des Nordens atmen. Das ganze Land mit seinen römischen und maurischen Ruinen, seinen Bergen, Wäldern, Schlössern, Palästen, Kirchen, Klöstern, Kapellen, Einsiedeleien und Gärten erscheint fast wie eine verzauberte Gegend.

Gerne hätte ich den so naheliegenden Montserrat mit seinem berühmten Kloster und seinen merkwürdigen Einsiedeleien besucht, aber mein krankhafter Zustand machte es mir unmöglich, mein Fieber wollte gar nicht nachlassen und jetzt keinem Mittel weichen, obgleich die Wunde fast ganz zugeheilt war. Die Ärzte schrieben meinen Zustand der feuchten Luft Barcelonas zu, sie hielten für das beste, meinen Aufenthalt zu wechseln und mit dem südlichen Frankreich zu vertauschen, etwas, das aber nicht so leicht zu bewerkstelligen, da zu Land und zu Wasser die Kommunikation mit Frankreich sehr schwierig war. Unter den jetzigen Umständen allein oder selbst in Gesellschaft mehrerer über die Pyrenäen zu kommen, daran konnte man nicht denken, und vor dem Hafen kreuzten englische Fregatten und spanische Kriegsschiffe. Ich sprach deshalb mit dem kommandierenden General Lecchi, der mir mitteilte, daß er dieser Tage ein kleines Küstenfahrzeug nach Frankreich absenden müsse und, wenn ich es wagen wolle, ich mit diesem, dessen Kapitän ein Franzose aus Agde sei, gehen könne; das Schiff sei erst vor wenigen Tagen, den Engländern eine Nase drehend, in den Hafen eingelaufen. Ich suchte den Kapitän selbst auf, der mir zuredete, mich ihm anzuvertrauen, und sagte, er stehe dafür ein, mich glücklich an die französischen Küsten zu bringen. Ich fürchtete nichts mehr, als in englische Gefangenschaft zu geraten, aber auf sein Zureden entschloß ich mich, das Wagnis zu bestehen, ließ mir die nötigen Papiere und Zertifikate ausfertigen und schiffte mich in einer dunklen Nacht, den 12. September nach zehn Uhr abends, ein. Wir verließen den Hafen mit sehr günstigem Westwind, segelten, von den feindlichen Schiffen unbemerkt, längs der Küste hin und hatten, als der Tag anbrach, schon die Höhen von Rosas passiert. Die Fahrt wurde mit gleichem Glück bis zu den Küsten Frankreichs fortgesetzt, an Perpignan und Narbonne vorüber, und den dritten Tag erreichten wir glücklich den Hafen von Agde. –

XIII.
Ankunft zu Montpellier. – Ich werde zum 29. Regiment versetzt. – Murat, König von Neapel. – Ermordung einer Kompagnie Voltigeurs. – Der neue König macht sich beim Volk beliebt. – Einnahme der Insel Capri. – Ich werde dekoriert. – Helenes Hochzeitsfeier. – Castellamare. – Dritter Feldzug in Kalabrien. – Rückkehr nach Neapel, wo ich das Ehrenkreuz erhalte. – Ich werde nach Nola detachiert und daselbst beinahe erschossen. – Neue Bekanntschaften. – Eine durch eine beabsichtigte Leichenberaubung entdeckte Verschwörung. – Murats Politik und Reformen. – Abmarsch nach dem Kirchenstaat.

Die kleine Seereise war mir trotz mancher Unbequemlichkeiten und schlechter Lagerstätte doch ziemlich gut bekommen. Von Agde, einem kleinen Seehafen im Departement Herault, durch ein Konzilium, das hier gehalten wurde, bekannt, fuhr ich sogleich über Frontignan, wegen seines trefflichen Muskatweins berühmt, nach Montpellier ab, wo ich in einem guten Gasthof abstieg, dann den Herren Michel und Gayral meine Ankunft meldete, die mich mit allem, dessen ich bedürftig war, bestens versahen. Nachdem ich mich bei dem jetzt hier kommandierenden General Sissé gemeldet, teilte mich derselbe einstweilen dem hier liegenden Depot eines Infanterieregiments bis zu meiner völligen Genesung zu, und das gesunde Klima von Montpellier stellte mich bald wieder her. Ich schrieb an den Kriegsminister und bat den General, bei dem ich öfters zu Tische war, um dessen Verwendung, damit ich möglichst bald wieder in Aktivität kommen möge. Die Legion, bei der ich gestanden, war so gut wie vernichtet und aufgelöst. Ich wünschte sehr, wieder in Italien verwendet zu werden; Spanien hatte mich, trotz seiner wunderbaren Schönheiten und seiner romantisch-heroischen Berühmtheit, nicht besonders angesprochen; wir standen den Einwohnern viel zu schroff gegenüber, als daß man an ein nur leidliches Verhältnis mit denselben denken konnte. Mein Begehren wurde mir gewährt und ich zum 29. Infanterieregiment versetzt, das im Königreich Neapel stand. Die Marschroute dahin erhielt ich ausgefertigt, fand Gelegenheit, mich in Cette auf einer nach Civita-Vecchia bestimmten Kanonierschaluppe einzuschiffen und kam ohne Unfall nach sieben Tagen, immer längs den Küsten fahrend, glücklich in diesem Hafen an, von wo ich sogleich nach Rom abging. Nachdem ich Torlonia und Gertrude besucht, die auf einer nahen Villa wohnte, setzte ich mit einem Vetturino die Reise nach Neapel fort, wo ich gegen Ende September, denselben Tag, an welchem auch die neue Königin von Neapel, Murats Gattin und Napoleons Schwester, die schöne Karoline, ihren Einzug in die Hauptstadt hielt, ankam. Murat hatte Spanien schon früher verlassen, da ihn sein Schwager zum König von Neapel dekretiert, um ihn für das Nichtbesteigen des spanischen Thrones zu entschädigen. In den ersten Tagen des September hatte er mit ungeheurem Pomp, unter dem Zulauf des staunenden Volks Besitz von seiner Hauptstadt genommen.

Das Regiment, dem ich jetzt angehörte, lag zum Teil in Neapel, zum Teil in Cosenza und der Umgegend und war eines von denen, welche die meiste Erbitterung gegen die Neapolitaner und besonders gegen die Kalabresen hegten, denn man hatte vor einiger Zeit eine Voltigeurkompagnie desselben auf das hinterlistigste gemordet. Dieselbe hatte durch den Silawald marschieren müssen, um sich von Catanzaro nach Cosenza zu begeben, sich aber auf dem Marsch verirrt und kam in die Nähe eines Dorfes, Gli Parenti genannt, das ein Hauptschlupfwinkel der Briganten und namentlich derer, die zu der Bande des Francatrippa gehörten, war. Die Einwohner, die im besten Einverständnis mit den Räubern standen, steckten ihnen sogleich das Verirren dieser Truppen und beschlossen, denselben eine Falle zu legen, in welcher sich der die Kompagnie kommandierende Kapitän auch nur zu leicht fangen ließ. Als sich die Truppen dem Dorf näherten, kam ihnen Francatrippa, der sich nicht getraute, im offenen Kampf sich mit dem Feind einzulassen, entgegen, gab sich für den Kommandanten der Guardia Civica oder Nationalgarde aus und lud den Kapitän, seine Offiziere und sämtliche Mannschaften ein, einige Erfrischungen in dem Ort zu nehmen. Ohne alles Mißtrauen wurde das Anerbieten dankbar angenommen, und die Offiziere ließen sich, durch die anscheinende Gastfreundlichkeit der Kalabresen verführt, unvorsichtig in ein ansehnliches Haus nötigen, um die vorgestellten Speisen einzunehmen. Der Kapitän ließ seine Leute die Gewehre in Pyramiden vor das Haus stellen, und man brachte nun den Soldaten reichlich Wein, Brot und Käse, sie freundschaftlichst ermunternd, zuzusprechen. Als es sich nun alle recht sorglos wohlschmecken ließen und die gastfreien Bewohner des Ortes rühmten, da fällt plötzlich ein Schuß aus einem Fenster, und in demselben Augenblick werden auch die drei Offiziere in dem Zimmer, in dem sie sich befinden, ermordet; zu gleicher Zeit wird aus allen Fenstern und Türen der umliegenden Häuser auf die entwaffneten Truppen geschossen, und es regnet eine solche Masse von trefflich gezielten Kugeln, daß die meisten Soldaten tödlich getroffen niederstürzen, noch ehe sie nur Zeit gehabt, zu ihren Gewehren zu greifen. Alle bis auf sieben wurden niedergemacht; diese entkamen glücklich nach Cosenza, wo sie Bericht über die Greueltat abstatteten. – Die Sorglosigkeit des Kapitäns in einem so feindlich gesinnten Land, das von Insurgenten wimmelte, war unverzeihlich; mir wäre dies wenigstens nicht passiert, denn ich hätte jedenfalls Vorsichtsmaßregeln genommen, die eine solche Überrumpelung unmöglich gemacht hätten. – Sobald diese Tat in Cosenza bekannt war, wurden sogleich vierhundert Mann nach Gli-Parenti abgeschickt, mit dem Befehl, das Dorf niederzubrennen und alle Einwohner über die Klinge springen zu lassen; aber man fand auch keine lebende Seele in dem Ort, die Einwohner hatten sich vor Annäherung der Truppen in die unzugänglichsten Wildnisse geflüchtet; ihre Wohnungen wurden in Asche gelegt. Wären die sieben Soldaten nicht entkommen, so wäre diese Kompagnie spurlos verschwunden, ohne daß man je erfahren, was aus ihr geworden.

Mir war bei dem Regiment das Kommando der Karabinierkompagnie des zweiten Bataillons geworden, deren Kapitän vor kurzem an den in Kalabrien erhaltenen Wunden gestorben war, bald darauf wurde ich aber zum ersten Bataillon versetzt, weil auch die Musik des Regiments wieder unter meinen Befehl gestellt wurde. Von dem Regiment Y., bei dem ich früher stand, war das erste Bataillon nebst dem Stab noch immer in Castellamare, das zweite aber, bei dem Herr von Gasqui, Caguenec und so weiter standen, nach Tarent abmarschiert und daselbst eingeschifft worden, um nach der Insel Korfu gebracht zu werden, wo es auch mit Armes et bagages und seinen Frauen glücklich ankam. Auch ich sollte später die Insel kennen lernen. – Helene Cramer war noch mit ihren Eltern in Castellamare, aber die Braut eines neapolitanischen Bataillonschefs. Das Liebhabertheater in Giesù nuovo war durch das Abgehen der Madame Gasqui, die nach Korfu, der hübschen Oberstin, die nach Paris gereist, und anderer gesprengt, auch hätte es durch die Veränderung des Regenten und des Hofes für den Augenblick das frühere Interesse nicht mehr gehabt.

Murat beschäftigte sich in der ersten Zeit seiner Regierung fast ausschließlich mit den inneren Angelegenheiten seines Königreichs. Unter dem Namen Joachim I. hatte er den Thron von Neapel bestiegen. Als die Nachricht von seiner Ernennung zum König dieses Reichs bekannt wurde, erfüllte dies die Gemüter der Bewohner mit Furcht und Schrecken, denn es ging ihm von Spanien, besonders wegen den Vorfällen zu Madrid vom 2. und 3. Mai, ein entsetzlicher Ruf voraus, so daß man sich ein blutdürstiges Ungeheuer unter ihm vorstellte, was er nicht war. Übrigens war man mit Josephs Regierung, den man spottweise Don Pepe nannte, so allgemein unzufrieden gewesen, daß man sich damit tröstete, daß es nicht leicht schlimmer werden könne. Napoleons älterer Bruder hatte sich nur seinem Hang zum Vergnügen hingegeben, ließ in seinem Namen die Minister und andere schalten und walten und unseren Herrgott einen guten Mann sein. Daß man sich den Freuden der Liebe hingibt und in den Armen schöner und liebenswürdiger Frauen den Hochgenuß des Lebens sucht, dies zu tadeln wäre ich wohl der letzte, denn ohne dies wäre das Leben doch gar zu schal, aber nie darf diese Leidenschaft in eine solche Schwäche ausarten, daß man darüber seine höheren Pflichten vernachlässigt, selbst zum Weibe wird oder sich gar von Mätressen beherrschen läßt. Dies ist eines Mannes und besonders eines Regenten unwürdig, jämmerlich klein und zeugt von schwachem Verstand und Charakterlosigkeit. – Sind die Schäferstunden vorüber, muß der Mann wieder ganz Mann und Herr über das Weib sein, von dem er dann nur um so mehr geliebt, geachtet und vergöttert wird. Dies spreche ich aus vielfacher Erfahrung – freilich war ich nie ein schmachtender Seladon, Siegwart oder Werther. –

Ein Dutzend Damen und deren Anhang, diejenigen Personen ausgenommen, die unter Josephs Deckmantel rauben und sich bereichern durften, wurde dessen Abgang aus Neapel von niemand, weder vom Zivil noch vom Militär bedauert. – Auf die törichtste Weise hatte er, gleich seinem Bruder Hieronymus in Kassel, die Staatsgelder vergeudet, während das Heer ein ganzes Jahr im Rückstand mit seinem Sold war. Murat dagegen war wenigstens von den Franzosen, die ihn als einen tapferen General schätzten, geachtet und geliebt, und gerne verziehen sie ihm seine Liebe zu Prunk und auffallender Kleidung. – Die ersten Handlungen seines Regierungsantritts waren geeignet, ihm auch die Herzen der Neapolitaner zuzuwenden. Er zeigte sich überaus leutselig und liebenswürdig, auf den Rat Salicettis, der zugleich Kriegs- und Polizeiminister war, hob er die sehr verhaßten Militärgerichte, die die Leute so schnell in die andere Welt expedierten, auf, allen Deserteurs wurde ein Generalpardon verkündet, wodurch mancher Neapolitaner seiner Familie wiedergegeben ward, und es wurden Maßregeln ergriffen, den verwirrten und höchst traurigen Zustand der Finanzen zu verbessern. Einigen hundert Individuen, die bloß als verdächtig oder gefährlich in die Kerker geworfen worden waren, gab er die Freiheit wieder und rief Verbannte zurück. Dies machte, daß, als die liebenswürdige Karoline, Napoleons Schwester, ihren Einzug in die Hauptstadt hielt, sie von den Neapolitanern mit großen Freudensbezeigungen empfangen wurde. Murat zeigte sich täglich dem Volk, und selbst seine phantastische Pracht und Kleidung schien diesem zu gefallen.

Der neue König glaubte nun auch seinen Regierungsantritt mit einer glänzenden Waffentat bezeichnen zu müssen und wählte dazu die am Eingang des Golfs von Neapel liegende Insel Capri, welche die Engländer schon seit drei Jahren im Besitz und so befestigt hatten, daß sie sie Klein-Malta nannten. – Diese Insel ist ringsum von sehr hohen und steilen Felsen umgeben und hat nur einen einzigen Zugang. Zwischen zwei großen Felsen liegt ein sehr fruchtbares, malerisch schönes Tal, welches vortrefflichen Wein liefert und ein sehr gesunder Aufenthalt ist. Augustus ließ dieses zu einem Erholungsort für sich einrichten, und Tiberius brachte hier die letzten Jahre seines lasterhaften Lebens zu; noch zeigt man die Ruinen seines Palastes. Capri, das ungefähr fünftausend Einwohner zählt, ist gewissermaßen der Schlüssel Neapels zur Seeseite, und so lange es in feindlichen Händen ist, ist die Einfahrt in den Hafen unsicher und gefährlich. – Die Insel diente schon seit dem Einmarsch der Franzosen allen Unzufriedenen, Übeltätern, Unruhestiftern zum Zufluchtsort, von wo aus sie neue Komplotte unter englischem Schutz schmiedeten und ausführten. – Hudson Lowe war Kommandant derselben. –

Es war den 3. Oktober (1808) gegen Abend, als man die Karabiniers und Voltigeurs der Garnison von Neapel in den verschiedenen Forts unter das Gewehr treten ließ, wobei auch meine Kompagnie war. Nach sieben Uhr marschierten wir an den Hafen, wo sämtliche zu dieser Expedition bestimmte Truppen sich versammelten. Hier fanden wir etwa fünfzig kleine Transportschiffe vor, deren Vorderteile mit Brustwehren von zwei Schuh dicken Matratzen versehen waren und zwölf bis zwanzig Ruderer hatten. Wir schifften uns ein, und eine Fregatte, ein paar Korvetten und eine ziemliche Zahl Kanonierschaluppen, auf denen ebenfalls ein Teil der Truppen sich befand, machten die Bedeckung aus. Der Divisionsgeneral Lamarque kommandierte die Expedition, und unter ihm die Brigadegeneräle Prinz Pignatelli, Montferras und Detrées; wir mochten etwa zweitausend Mann in allem stark sein.

Murat, der bei dem Einschiffen zugegen war, sah mich scharf an, als ich mit meiner Kompagnie ein Boot besteigen wollte, und sagte: „Kapitän, mich däucht, ich habe Sie schon irgendwo gesehen?“

„Sire, es sind noch nicht fünf Monate, daß ich die Ehre hatte, von Eurer Majestät in der Straße zu Madrid angeredet zu werden; ich war damals verwundet.“

„Ah ja, ich entsinne mich, Sie waren der Offizier, der einem Insurgenten das Leben rettete.“

Er fragte mich nun, wie ich nach Neapel gekommen, was ich ihm in wenigen Worten mitteilte, worauf er mir sagte: „Wohlan, Sie haben hier eine treffliche Gelegenheit, sich auszuzeichnen.“

„Sire, was an mir liegt, wird geschehen.“ –

Es war neun Uhr vorüber, als wir so geräuschlos wie möglich abfuhren; in Capri konnte man keine Ahnung von dieser Expedition haben. Auf der See stießen noch sechshundert Mann, die von Salerno kamen, zu uns, bei denen die als treffliche Schützen bekannten korsischen Jäger waren. Die Überfahrt ging schnell und glücklich vonstatten, gegen drei Uhr nach Mitternacht waren sämtliche Schiffe unter den Felsen und Batterien der Insel angekommen; der Angriff sollte auf der südöstlichen Seite stattfinden, gerade wo er wegen der steilen Ufer am gefährlichsten war, aber deshalb auch vom Feinde am wenigsten erwartet wurde. Die Landung mußte mit Sturmleitern, von denen mehrere aneinander gebunden wurden, weil sie nicht hoch genug waren, unter dem fortwährenden Feuern einer Batterie bewerkstelligt werden, auch waren schnell einige Kompagnien Engländer und Sizilianer auf den Felsenhöhen, die wir erklimmen mußten, versammelt und stießen die zuerst Ankommenden wieder hinab, so daß sie an den Klippen zerschmetterten und dann in die Boote oder in die See fielen. Der Bataillonschef Livron, später General in Diensten des Vizekönigs von Ägypten, war der erste, der festen Fuß faßte. Jetzt wurden Leitern von allen Seiten angestellt, die zum Teil auf dem Rand der Schiffe ruhten und mithin einem immerwährenden Schwanken unterworfen waren. Die Karabiniers von der Garde, mehrere andere Kompagnien Grenadiere und Voltigeurs, wobei auch die meinige nebst den korsischen Jägern, stürmten jetzt unter dem Pas de Charge der Trommeln und Hörner und dem Kugel- und Steinregen der Feinde. Einige Leitern brachen oder stürzten um und mit ihnen die Mannschaft, die sich auf denselben befand, wobei die meisten ertranken oder an den Klippen zerschmetterten; ein solches Schicksal hatte die Leiter, die der, auf welcher ich mich befand, zunächst stand, doch fielen die meisten in eine Kanonierschaluppe und kamen mit leichteren oder schwereren Verletzungen davon. Ich war ungefähr der sechste Mann auf unserer Leiter und der dritte, der die Höhe erreichte. Mit dem linken Arm hielt ich mich an den Sprossen fest, meinen Säbel hatte ich zwischen den Zähnen, und mit dem rechten parierte ich die von oben herabstürzenden Soldaten, da ich bemerkt hatte, daß, sobald einer fiel, er gewöhnlich auch zwei bis drei andere mit sich herabriß. Als ich eben auf die Krone des Felsens springen wollte, legte ein englischer Soldat auf mich an, ich ergriff jedoch hastig das Bajonett, das ich mir dabei ziemlich tief in den Daumen stieß, aber ich hatte so die Richtung des Gewehrs, das auf meine Brust zielte, verrückt, und der Schuß ging mir unter dem rechten Arm durch, ohne mich zu verwunden. Nun packte ich aber das Gewehr, welches der Soldat nicht losließ, fest, schwang mich mit dessen Hilfe auf den Felsen, auf dem ich Fuß faßte, der nach mir folgende Karabinier schoß meinen Gegner nieder, und ich machte mir nun mit meinem Säbel Platz und Luft. Jetzt kamen immer mehr der Unsrigen oben an, und bald war der Feind in die Flucht gejagt; wir hatten sehr viel Leute verloren. Kaum hatten wir uns gesammelt, so wurde Befehl erteilt, auf Anacapri loszurücken, dessen Anhöhen wir ebenfalls unter dem hartnäckigsten Widerstand und dem unausgesetzten feindlichen Musketen- und Kartätschenfeuer ersteigen mußten. Aber auch diese die ganze Insel beherrschende Anhöhe wurde endlich gestürmt, und die Engländer zogen sich in die befestigten Posten Sankt Michel, Sankt Constanz und die anderen Forts zurück, um daselbst Sukkurs abzuwarten, der ihnen von der See kommen sollte. Jetzt aber wurden alle anderen Teile der Insel, durch die der Feind hätte Hilfe erhalten können, besetzt, bei welcher Gelegenheit wir in dunkler Nacht eine in Felsen gehauene, aus mehr denn sechshundert schmalen Stufen bestehende Treppe Mann für Mann, ebenfalls unter fürchterlichem Kartätschenfeuer und Werfen von Leuchtkugeln hinabsteigen mußten. Noch nicht lange hatten wir diesen Posten und die anderen Teile der Insel eingenommen, als der feindliche, sehr bedeutende Sukkurs, aus vier Fregatten, einigen Briggs, Bombardiergallioten, Kanonierschaluppen, Kuttern und so weiter bestehend, sich zeigte. Bald wurde die ganze Insel von diesen Schiffen umringt. Murat, der vom Vorgebirge Campanella aus, in geringer Entfernung Capri gerade gegenüber, nebst vielen tausend Zuschauern alles beobachtet hatte, gab sogleich den Befehl, daß alle noch im Hafen von Neapel sich befindlichen Kriegsfahrzeuge und Kanonierschaluppen unter Segel gehen und den Feind angreifen sollten. – Da ein außerordentlich starker Landwind wehte, so mußten die großen englischen Schiffe bald die hohe See suchen, und die kleineren ergriffen die Flucht, als sie die Flottille von Neapel kommen sahen, der sie nicht gewachsen waren. Einige zwanzig Transportschiffe brachten uns im Angesicht des Feindes zu rechter Zeit frischen Proviant. – Unterdessen hatten wir auf der Insel selbst die Breschbatterien zustande gebracht, und den 16. Oktober kapitulierte der englische Kommandant Hudson Lowe. – Wer hätte wohl damals vermutet, daß sieben Jahre später Napoleon dessen Gefangener auf der Insel Sankt Helena sein würde? – Einen Narren würde man den genannt haben, der so etwas nur im Traum hätte sehen wollen.

Die Kapitulation enthielt die Bedingung, daß die Garnison zwar nach England gehen, aber weder gegen Napoleon noch gegen dessen Alliierte bis zum Frieden dienen dürfe. Höchst wichtig war die Eroberung Capris für Neapel, sowohl wegen der Ruhe des Staates, als für den Handel. Die Insel war bis jetzt eine lästige Fliege auf unserer Nase gewesen. –

Murat bedachte bei dieser Gelegenheit den heiligen Januarius sehr reichlich und verehrte ihm unter anderen Kostbarkeiten einen brillantenen Heiligenschein.

Nach unserer Rückkehr wurden vorerst einige dreißig Kreuze des Ordens beider Sizilien an diejenigen Offiziere und Soldaten verteilt, welche sich am meisten ausgezeichnet hatten, wobei auch mir eines zuteil ward, worüber ich eine große Freude hatte. Damals hielt ich solche Spielereien noch für was Rechtes! – Die Dekoration bestand aus einem goldenen Stern von fünf Spitzen mit rubinrotem Email, über welchem ein goldener Adler an einem himmelblauen Bändchen hing. Auf der Vorderseite war das Wappen mit der Inschrift: Renovata patria, auf der anderen Seite: Joseph Siciliarum rex instituit. Er brachte jährlich fünfzig Ducati ein. Der Eid, den man als Ritter desselben ablegen mußte, besagte, daß man sein Leben der Verteidigung des Staates und der Krone weihe. – Nach Murats Sturz wurde auch dieser Orden wieder aufgehoben.

Einige Tage nach unserer Rückkehr von Capri sollte die Hochzeit Helenens mit ihrem neapolitanischen Bräutigam, dem Bataillonschef Ritucci, gefeiert werden. Ich besuchte Cramers zu Castellamare und fand Helene eben nicht sehr erfreut darüber. – Das Mädchen hatte keine Neigung zu dem Mann, der schon ein Vierziger war und auch durchaus nichts besaß, was ein junges hübsches Mädchen zu fesseln vermag; die Mutter, die das Mädchen gerne à tout prix unter die Haube bringen wollte, hatte diese Heirat betrieben, und als die Tochter äußerte, daß sie keine Neigung zu dem Mann habe, erwiderte sie ihr: „Dumme Gans, wenn er dir nicht gefällt und du bist einmal verheiratet, so hast du ja die Wahl unter Dutzenden.“ Echte Grundsätze verheirateter Militärfrauen. – Auch ich suchte das hübsche Mädchen bestens zu trösten, ihr Mut einsprechend; wir erinnerten uns mit Vergnügen an die Partie nach Pestum und gaben uns dem süßen Andenken an dieselbe hin. – Schon als Knabe hatte ich Helene in Offenbach gekannt und fast täglich gesehen, da ihre Eltern der Pension des Hofrats Scherer gegenüber wohnten und sie oft herüber kam, ihre jungen Freundinnen zu besuchen. Ich stand nun auf dem vertrautesten Fuß mit der schönen Braut, mit der ich mich manche Stunde auf das angenehmste unter vier Augen unterhielt, da die Mutter die Gefälligkeit hatte, uns öfter allein zu lassen und der Bräutigam nur wöchentlich ein- oder zweimal von Neapel kam. – Der Hochzeitstag war bereits festgesetzt, und ich hatte von dem lieben Mädchen das Versprechen erhalten, daß sie mich an diesem Tag ganz glücklich machen wolle und ich das droit du seigneur haben solle, wenn es irgend möglich zu machen sei, aber auch nicht früher, denn kein Mensch könne für noch nicht geschehene Dinge einstehen. Das Wohlwollen der Mama hatte ich mir durch das Versprechen eines schönen Hochzeitsgeschenkes erworben. Am bestimmten Tage fand ich mich schon vor Sonnenaufgang, während der Bräutigam noch fest in Neapel schlief, ein. Die Braut empfing mich, wie wir verabredet hatten, in dem an ihrer Wohnung sich befindenden Gärtchen, in einem reizenden schneeweißen Morgenanzug. Hier brachten wir eine Stunde zu, welche ihr den reinsten Vorgeschmack von dem, was ihrer in der Hochzeitsnacht bevorstand, geben mußte. Wir schwammen diese Stunde im seligsten Entzücken, worauf sie wieder so unbemerkt, als sie es verlassen, in ihr Kämmerchen schlüpfte. – Ich hatte es nicht gemacht wie jener Gimpel in Lafontaines Fabel; wahr ist’s, daß die Braut auch noch nicht in ihrem Hochzeitsschmuck prangte, aber auch dies würde mich nicht abgehalten haben. Die Trauung, zu der ich als Zeuge geladen war, ging mit aller Formalität um die Mittagsstunde vor sich und nach derselben das Hochzeitsmahl, nach welchem das junge Ehepaar gegen Abend nach Neapel fuhr, wohin ich es nebst noch einigen anderen Offizieren reitend eskortierte. Ich war mit Helene übereingekommem daß wir uns öfters bei ihren Eltern in Castellamare sehen würden, wo sie dieselben bisweilen besuchen wollte, und nahm Urlaub, so oft ich sie daselbst wußte und es der Dienst zuließ. Hier hatten wir dann die beste Gelegenheit, uns so recht con amore der beseligendsten Liebe und ihren Wonnegenüssen in der Einsamkeit dortiger Villen hinzugeben.

Castellamare ist eine kleine Seestadt, die eine reizende Lage und die herrlichsten Umgebungen hat; sie ist zugleich auch ein Kurort mit mehreren Mineralquellen und zählt an zehntausend Einwohner. Die königliche Villa ist so schön, daß die Einwohner sagen: „Qui si sana per forza.“ Herrliche Kastanienalleen führen durch dieselbe und romantische einsame Fußpfade in die nahen Gehölze, die wir heimsuchten. Der Ort und seine Umgegend ist so reizend, daß Murat, als er ihn zum erstenmal sah, ausrief: „Et tout cela m’appartiendra!“ – Der Wein, der hier wächst, hat einen sehr lieblichen Geschmack. Ein altes in Trümmern liegendes Kastell, das noch aus den Zeiten der Normänner herrührt, erhöht das Pittoreske der Umgegend nicht wenig. Oft machte ich den Weg hierher zu Wasser, man legt ihn dann in einer gutrudernden Barke in weniger als drei Stunden, ja wohl in zwei zurück; fährt man mit mehreren Personen, so bezahlt man nur eine Carlini. Der Weg zu Lande ist weit länger und umständlicher, auch benützte ich ihn selten.

Wir befanden uns beide recht wohl bei unserem Einverständnis und waren noch im Taumel der Flitterwochen der Liebe, als uns das Verhängnis, das auch kein noch so inniges Verhältnis berücksichtigt, plötzlich trennte. Das Bataillon, bei dem ich stand, erhielt unerwartet Marschorder nach Cosenza. Ich nahm in Neapel Abschied von Helene und ihrem Mann. Erstere konnte kaum ihre Betrübnis und der andere kaum seine Freude deshalb verbergen; denn obgleich weit entfernt zu ahnen, wie ich mit seiner Frau stand, war ihm deren Bekanntschaft mit mir doch nicht sehr angenehm, und es schien, als fürchtete er, was schon nicht mehr zu fürchten war.

Wir traten den mir schon bekannten Weg nach Kalabrien an und kamen ohne allen Unfall und bei noch ziemlich günstigem Wetter nach Cosenza.

Noch immer war der Brigantenkrieg mit all seinen Abscheulichkeiten in vollem Gang, und es war besonders darauf abgesehen, die Bewohner des Kantons Longo-Bucco, die in fast unzugänglichen Waldgebirgen hausten und Abgaben zu zahlen sich weigerten, den Steuererheber getötet und sich empört hatten, zu züchtigen, nachdem alle Versuche, sie in Güte zur Räson zu bringen, gescheitert waren. Unser Bataillon marschierte in aller Stille nach dem aufrührerischen Kanton ab, während ein anderes sich zu gleicher Zeit von Rosano aus dahin begab. Mit Hilfe sicherer und reichlich bezahlter Führer gelangten die Truppen durch große Umwege durch nur von Herden Hirschen und Rehen bewohnte Wildnisse und Wälder ziemlich unbemerkt in die Gegend, in der die widerspenstigen Dörfer lagen. Als aber endlich einem derselben unsere Annäherung bekannt ward, wurde dort sogleich die Sturmglocke gezogen, um den Alarm in der Umgegend zu verbreiten und Briganten und Bauern herbeizuläuten. Das Läuten wiederholte sich nun von Dorf zu Dorf, und schnell fand sich eine große Menge bewaffneter Insurgenten auf den höchsten Gipfeln des Waldgebirges versammelt. Unsere Kolonnen rückten nun Tambour battant im Sturmschritt und mit gefälltem Bajonett, lautem Hallo und en avant gegen die Briganten, die aber nicht für gut fanden, den Angriff abzuwarten, sondern die Flucht ergriffen. – Mit dem sinkenden Tag kamen wir bei dem Städtchen Longo-Bucco an, das in einem tiefen und schauerlichen Waldtal an dem zwischen gigantischen Felsenmassen dahinbrausenden Trionto liegt und der eigentliche Feuerherd der Insurgenten war. Der Ort, der etwa vier- bis fünftausend Einwohner zählt, hat eine Lage, die sich vortrefflich zu einer Raub- und Mordhöhle qualifiziert und ist von Felsenmassen und waldigen wildverwachsenen Anhöhen umgeben. Die Bewohner desselben sind meistens Kohlenbrenner, Nagelschmiede und dergleichen, die durch ihr rußiges Aussehen ohnehin schon Höllenbewohnern gleichen. Wir fanden für gut, nicht in diesen Ort hinabzusteigen, sondern schlugen auf den Höhen rings um denselben ein Biwak auf und zündeten während der Nacht ein paar hundert Wachtfeuer an. Dieses versetzte die Einwohner in große Angst, sie fürchteten, uns jeden Augenblick herabsteigen und ihre Stadt mit Feuer und Schwert vertilgen zu sehen. Wir hörten fortwährend ein Schreien, Tumultieren in des Tales Tiefen; die Leute suchten ihr Hab und Gut und ihre Person in Sicherheit zu bringen. Erst mit Tagesanbruch wurden zwei Kompagnien hinabgesendet, sie fanden aber den Ort bis auf wenige Greise, ein paar alte Weiber und einen Pfarrer gänzlich verlassen. Letzterer bat fußfällig um Gnade und Schonung, die ihm unter der Bedingung versprochen wurde, daß die Bewohner zurückkehren und ihre sämtlichen Waffen ausliefern, im entgegengesetzten Fall wir aber mit der gänzlichen Zerstörung der Stadt beginnen und fortfahren würden, bis kein Stein mehr auf dem andern wäre. Der Pfarrer beteuerte, sein Möglichstes tun zu wollen, unserem Begehren zu entsprechen; in der Tat kamen auch bald darauf viele Einwohner zurück und legten ihre Waffen nieder; die Rädelsführer aber hatten sich mit anderen Haufen tiefer in das Waldgebirge zurückgezogen, wollten von keiner Unterwerfung etwas wissen und hatten ein auf einem der steilsten Felsengipfel gelegenes, noch obendrein mit einer ziemlich hohen Mauer umgebenes Dorf besetzt, in dem sie anzugreifen wir nun Anstalt machten. Ein halbes Bataillon stark, bei dem auch meine Kompagnie, setzten wir uns gegen Abend in der Richtung von Bocchigliero in Marsch; nachdem wir den größten Teil des Wegs zurückgelegt und die Nacht völlig hereingebrochen war, machten wir mit einem Male eine Wendung und marschierten in aller Stille auf das Dorf zu, in dem sich die Insurgenten befanden, die glücklicherweise keine Kunde von unserer Annäherung erhalten hatten. Mit Tagesanbruch standen wir ganz unerwartet vor ihnen und forderten sie auf, sich zu ergeben, die Aufforderung wurde aber mit Gewehrschüssen beantwortet. – Der Ort schien uns anfänglich unangreifbar, denn er hing gleich einem Adlernest an dem Abhang der Felsenmasse; nach näherer Untersuchung entdeckte ich aber, daß er von der anderen Seite, wo er sich am Felsen anlehnte, zugänglicher war. Die Voltigeurs erkletterten nun diesen Felsen, und so gelang es ihnen bald, vorzudringen; als wir dieses inne waren, wurde sogleich ein Sturm angeordnet, und trotz des heftigen Gegenfeuers, das die Insurgenten von der Mauer herab unterhielten, wobei viele der Unsrigen stürzten, drangen wir bis an das Tor, das wir einschlugen, und sofort in das Dorf vor, wo alles niedergemacht wurde, was uns in den Weg kam. Beinahe alle männlichen Bewohner und Insurgenten verloren das Leben, der Ort wurde den Flammen übergeben und in demselben gehaust, wie es in durch Sturm eroberten Orten zu gehen pflegt und die Kriegsgesetze gestatten. Aber auch mehr als ein Soldat wurde während der Umarmung eines Mädchens oder einer Frau von deren Vater, Bruder oder Gatten noch niedergestochen, ja wohl gar von seinem Opfer selbst erdolcht. Viele Weiber hatten sich nebst Kindern und einigen Greisen in die Kirche geflüchtet, wo es den Offizieren nur mit Mühe gelang, sie vor der Wut der Soldaten zu schützen. Die Gassen des Orts lagen voll Leichen, mehrere der Insurgenten, die hier über dreihundert Mann verloren, hatten sich den Felsen hinab in die grauenvollsten Abgründe gestürzt, in denen ihre Körper zerschmettert wurden, einige der Anführer waren aber mit einem Teil ihrer Leute entkommen und hatten sich nach Bocchigliero geflüchtet, wo sie Schrecken und Bestürzung verbreiteten, da sich die Einwohner dieses ziemlich bedeutenden Fleckens nicht schuldlos wußten. Um das sie bedrohende Unwetter abzuwenden, sandten sie den anrückenden Truppen eine Deputation entgegen, die um Gnade und Barmherzigkeit flehte. Wir behielten diese, welche aus den angesehensten Einwohnern des Orts bestand, als Geiseln zurück und forderten vor allem die Auslieferung der Waffen und der Rädelsführer. Erstere lagen, ehe eine Stunde verging, in einem großen Haufen, aus Gewehren, Karabinern, Säbeln, Pistolen, Dolchen und so weiter bestehend, vor uns, die anderen aber waren schon wieder weiter entflohen. Die Steuern wurden nun nebst einer starken Brandschatzung erhoben, und bis dies geschehen, blieben in all den Ortschaften starke Militärabteilungen liegen. Wir marschierten jetzt nach Cosenza zurück, wo sich schon wieder ein Befehl des Kriegsministers vorfand, der unser erstes Bataillon nach Neapel zurückbeorderte. Daselbst angekommen, ward mir eine Überraschung zuteil, die mir zu jener Zeit viel Freude machte: Oberst Billiard übergab mir nämlich, als ich mich bei ihm meldete, das Kreuz der Ehrenlegion, das für mehrere der sich bei der Einnahme von Capri hervorragend beteiligten Militärs von Paris angekommen war.

Mein erster Besuch in Neapel war bei Helene, wo ich es so gut traf, daß sich ihr Mann gerade im Dienst abwesend, zu Gaëta befand. In ihrer Begleitung besuchte ich ihre Eltern in Castellamare, wohin wir eine angenehme Wasserfahrt machten, obgleich das Meer etwas stürmisch war und wir tüchtig geschaukelt wurden. – Ritucci kam erst nach zehn Tagen zurück, die wir gut zu benützen wußten. – Ich wurde gleich darauf mit achtzig Mann in das nahe Städtchen Nola detachiert, wo sich die Einwohner gleichfalls weigerten, die ihnen auferlegte Kriegssteuer zu bezahlen, und ich so lange weilen sollte, bis dies geschehen. Jeder Mann sollte, so lange dieser Aufenthalt währte, zwei, die Sergeanten vier Carlini, der Offizier, der noch bei mir war, zwei und ich vier Ducati täglich erhalten, außerdem mußten die Soldaten bei den widerspenstigen Einwohnern einquartiert werden.

Nola ist ein kleines, ungefähr fünf Stunden von Neapel entferntes, am Fuß einer bis zum Vesuv reichenden Hügelreihe liegendes Städtchen, das an siebentausend Einwohner zählen mag, schon in der hetrurischen und römischen Geschichte eine nicht unbedeutende Rolle spielte und von den Hetruskern achthundert Jahre vor Christi Geburt gegründet wurde. Hannibal belagerte sie, als eine bedeutende Stadt, im zweiten punischen Kriege, wurde aber zweimal von Marcellus vor ihren Mauern geschlagen. Augustus starb daselbst im fünfzehnten Jahre nach unserer Zeitrechnung. – Hier wurden auch die Glocken erfunden.

Ich kam gegen Abend zu Nola an. Die Leute wurden einquartiert, ich ließ eine Wache von einem Korporal und sechs Mann aufziehen und begab mich, nachdem ich alles gehörig angeordnet hatte, in das mir in einem entlegenen Teil der Stadt und ziemlich weit von der Wache angewiesene Quartier, einem kleinen Häuschen, das nur eine dürftig möblierte Parterrewohnung hatte und in dem ich mich ganz allein mit meinem Burschen befand. Nachdem ich etwas zu Nacht gegessen, setzte ich mich in eine Ecke auf einen hölzernen Stuhl und las in Dantes ‚Comedia divina‘, die ich mitgebracht hatte, während mein Bursche noch in demselben Zimmer mit der Reinigung einiger Effekten beschäftigt war. Es mochte ungefähr fünf Uhr in der Nacht (etwas nach zehn) sein, als plötzlich ein Schuß fiel, der ganz in der Nähe losgegangen sein mußte. Mein Bursche sprang schnell auf, riß Fenster und Laden auf und schrie: „Qu’est ce que cela veut dire?“ Aber in demselben Augenblick fielen noch drei bis vier Schüsse, beinahe zu gleicher Zeit, deren Kugeln durch das geöffnete Fenster in die Stubenwände drangen, ohne daß weder Louis noch ich verwundet wurden. Ich hatte aber durch das Blitzen des Feuers ziemlich deutlich bemerken können, daß sie aus dem Fenster eines gegenüberliegenden Hauses gekommen waren. Der Bursche schlug nun krachend Laden und Fenster zu, und ich sprang nach meinen Pistolen und meinem auf dem Tische liegenden Säbel und beschloß, wenn es, wie ich befürchtete, auf eine allgemeine Metzelei des Detachements abgesehen wäre, mein Leben teuer zu verkaufen. Ich dachte an das Schicksal des Kapitäns zu Gli Parenti und seiner Leute, hatte aber in einer so nahe bei Neapel liegenden, sonst ziemlich friedlichen Stadt so etwas am wenigsten vermutet. – Mich vor das Haus bei dunkler Nacht ohne die mindeste Lokalkenntnis zu wagen, war nicht rätlich, denn ich konnte, die Tür verlassend, niedergemetzelt werden, ohne im mindesten dem Detachement nützlich zu sein. Ich setzte mich unter diesen Umständen mit dem Rücken gegen den Pfeiler, der die beiden Fenster meiner Stube trennte, und legte meine scharf geladenen Pistolen und den blanken Säbel auf den vor mir stehenden Tisch, während Louis sich mit seinem geladenen Gewehr in die Ecke setzte, die der Tür und den Fenstern gegenüber sich befand, damit er bei etwaigem Einbrechen gleich losschießen könne; die Haustür verbarrikadierten wir außerdem mit Stühlen und was wir vorfanden. So brachten wir wachend die ganze Nacht bis zum Grauen des Tages zu, ohne daß sich weiter das mindeste regte. Die Nacht schien uns gar kein Ende nehmen zu wollen. Glücklicherweise hatte Louis sich mit ein paar Pokalen Wein versehen, den wir allmählich tranken; bei jedem Zug, den wir taten, schien uns unsere Lage minder gefährlich, und als der letzte Tropfen geleert war, schien das erste Tageslicht durch die Fenster. Ich öffnete das eine, sah mich auf dem Platz vor dem Haus um und erblickte keine Seele. Jetzt verließ ich meine Wohnung und suchte die von derselben sehr entfernt liegende Wache auf, die ich im besten Zustand antraf und deren Kommandant mir rapportierte, daß sie zwar in ziemlicher Entfernung hätten mehrere Schüsse fallen hören, worauf sie aber, da nachher alles wieder ruhig und still geblieben, nicht weiter geachtet hätten. Ich ließ nun einen Tambour holen und sogleich Generalmarsch schlagen. Eine halbe Stunde darauf war das ganze Detachement mit Sack und Pack versammelt, auch nicht ein Mann fehlte bei dem Appell, zu meiner großen Beruhigung, denn ich hatte mich des Gedankens, daß es auf eine kleine sizilianische Vesper abgesehen gewesen, die ganze Nacht nicht erwehren können; es war aber, wie es schien, nur auf mich, als den Kommandanten der zur Exekution bestimmten Truppen, und also auf eine dumme, zu nichts führende Rache abgesehen. – Ich machte meinen Bericht, requirierte einen Wagen und sandte einen Sergeanten mit demselben an die Kommandantur nach Neapel ab, ließ sodann den Sindico holen, dem ich das Vorgefallene mitteilte, sowie daß ich einstweilen, bis ich neue Verhaltungsbefehle aus der Hauptstadt habe, mit meinen Leuten das Rathaus in Besitz nehme, was ich auch sofort vollzog. Der Mann zog die Achseln, mit einem „Non so niente,“ und als ich ihm das Haus bezeichnete, aus dem, wie ich glaubte, die Schüsse gefallen seien, meinte er: „Impossibile, son bravissimi gente.“ – Noch denselben Tag kam ein Offizier mit sechzig Mann Verstärkung von Neapel an und brachte mir eine Instruktion, nach welcher ich so ziemlich carte blanche hatte und die auferlegten Tagegelder für die Offiziere und Truppen nun verdoppelt wurden, mir auch an die Hand gegeben wurde, daß es mir frei stehe, bei den Zivilbehörden fünfzig bis hundert Mann mehr anzugeben, als ich wirklich habe. Ich ließ nun den alten gräflichen Palazzo sogleich zu einer Kaserne einrichten, requirierte Betten und Gerät für die Mannschaft und zeigte dem Sindico an, daß jeden Tag, so lange wir hier seien, für zweihundert Mann Brot, Fleisch, Wein, Gemüse und so weiter durch einen Fournisseur zu liefern seien, sowie die durch das Generalkommando bestimmten Tagegelder. Ich hatte nur einhundertvierzig Mann und ließ mir die Lebensmittel für die nicht vorhandenen sechzig vom Fournisseur bar zu einen Franken per Mann bezahlen; ich hätte hundert mehr rechnen dürfen, so daß ich mit dem Geld nun eine bare Einnahme von mehr als zweihundert Franken täglich hatte, von denen ich jedoch die Hälfte meinen beiden Offizieren überließ. – Die Täter, welche geschossen hatten, waren nicht zu ermitteln, mit völliger Bestimmtheit konnte ich auch das Haus nicht angeben, denn es war Nacht gewesen, und ich konnte mich irren. Die von der Stadt zu zahlende Kontribution wurde jetzt verdoppelt. Aber nicht bloß mit guten Lebensmitteln mußte uns der Fournisseur versehen, sondern auch mit anderen Dingen, und namentlich hübsche Landmädchen mußte er den Offizieren zuführen, was er auch zu unserer vollkommensten Zufriedenheit besorgte, damit uns die Langeweile nicht plagte. Mich hatte er mit einem recht artigen Bürgermädchen, das sich Chiaretta nannte, versehen, die während unseres Aufenthalts Wohnung und Tisch mit mir teilte. –

Nach vierzehn Tagen hatte die Stadt den größten Teil der Kontribution und auferlegten Strafgelder entrichtet und brachte es dahin, daß sie die ungebetenen und teuren Gäste los ward. Wir beschenkten bei unserem Abmarsch reichlich unsere bisherigen Gesellschafterinnen und entließen sie in Gnaden; sie fanden uns weit liebenswürdiger als ihre neapolitanischen Galans und wären gerne mit uns gegangen. Ich brachte für meinen Teil über tausend Ducati von dem Kontributionsgelde mit nach Neapel, wo wir kurz vor Weihnachten eintrafen. Ich machte nun in fast allen Kirchen die Runde, um die Vorbereitungen zu diesem hier sehr hehren Fest zu sehen, wo man in jedem Tempel die Geburt Christi auf verschiedene Weise darstellt; die meiste Zeit hielt ich mich aber in der großen Karmeliterkirche auf, um die Schönen Neapels auf der Treppe zu dem wunderbaren Kruzifix mit den immer wiederwachsenden Haaren vor mir defilieren zu lassen. In der Nachmittagsstunde des ersten Feiertags kamen zwei reizende Gestalten in der schwarzseidenen Nationaltracht, ich möchte fast sagen auf den Stufen herangeschwebt, denn nie sah ich niedlichere Füßchen mit Zephirtritten über die Erde gleiten, die zu dem Wunderbild führten. Ich hatte mich oben in einiger Entfernung von dem Kruzifix postiert, von welchem mir ein ehrbarer Priester versichert hatte, daß die Stadt einmal – der Mann wußte selbst nicht recht, wann, vielleicht schon vor Christi Geburt[7] – von den Türken beschossen worden wäre, wobei eine Kanonenkugel gerade auf das Haupt des Kruzifixes gefallen sei, welches aber dieselbe dem Feinde auf der Stelle zurücksandte und ihm mit dieser einzigen Kugel über fünftausend Mann tötete, wodurch er zum Rückzug und eiliger Flucht genötigt und die Stadt befreit ward. (Von diesem wichtigen Ereignis weiß aber kein Geschichtschreiber etwas.) Seitdem wachsen diesem Kruzifix die vier Schuh langen Haare alljährlich wieder. Auf meine freilich etwas naseweise Frage, warum denn der Heiland, wenn er doch einmal Wunder tun wolle, es nicht vor jedermanns Augen tue und die Haare sogleich wieder wachsen lasse, antwortete mir der Pfaffe mit schlauem Gesicht: „Chi puo approfondare le raggione di Dio.“ Und damit war ich, wie sich’s gebührt, abgefertigt. Bei dieser Ausstellung wurde dem Volk mit vielsagender Bedeutsamkeit verkündet, daß das Kruzifix unfehlbar recht bald wieder ein neues Wunder vollbringen würde. Die Erbitterung des Volkes war trotz Murats Reformen und dank den sizilianischen Umtrieben auf das höchste gestiegen, auch war man in den letzten sechs Monaten nicht weniger als einem halben Dutzend mehr oder minder ausgedehnten Verschwörungen auf die Spur gekommen.

Meine beiden ätherischen Schönen waren indessen herangekommen, und das Gesicht der einen entsprach ganz ihrem graziösen Wuchs; es war eine Beltà rarissima, auch die andere war so übel nicht. Ich ließ die beiden Signorinnen nicht mehr aus den Augen. Als sie ihr Gebet verrichtet und ihr Opfer gebracht hatten, eilte ich ihnen voran die Stufen hinab, um ihnen das Weihwasser zu reichen, das sie freundlichst von mir annahmen. Ich folgte beiden durch viele Kreuz- und Querstraßen; sie hatten es bemerkt, und an einem nicht sehr ansehnlichen Haus in der Vorstadt, die nach Capua zu liegt, angekommen, sahen sie sich noch einmal um und verschwanden in der Haustür. Ich ging nun noch einigemal vor demselben auf und nieder, bemerkte bald die Schönen hinter einem Fenster und machte den kommenden Tag Fensterparade zu Pferde, Kapriolen und Lançaden vor deren Wohnung und wurde ebenfalls bemerkt. Bald hatte ich durch eine alte dienstfertige Ruffiana, der ich einen Piaster spendete, herausgebracht, daß die beiden Damen zwei Schwägerinnen seien und die eine die Gattin eines nobile caduto, der ein kleines Amt bekleide und Carfori heiße, die andere aber die schöne Isaura Carabelli sei, deren Mann, als der Regierung verdächtig, sich schon seit einiger Zeit geflüchtet und sich wahrscheinlich in Sizilien aufhalte. Mit Hilfe der Alten erhielt ich schnell Zutritt bei den Damen, denen ich anfangs beiden den Hof machte, ohne mich bestimmter für die eine oder die andere zu erklären, aber damit endete, mich an die schöne Isaura zu halten, ohne jedoch ihre geistreichere Schwägerin ganz aufzugeben, deren Gatte gegen meine Bekanntschaft nichts einwendete, da er glaubte, meine Besuche gelten einzig der anderen Dame. Ich führte sie nun auf die Promenade, in die Theater, wir klimperten des Abends Gitarre zusammen, sangen Canzonetti, und der herannahende Karneval versprach der Vergnügungen gar mancherlei, doch vernachlässigte ich auch Helene nicht und besuchte sie von Zeit zu Zeit. – Murat begann nun auch seinen Hof zu organisieren und zog die ersten Schönheiten des Adels an denselben, der bald äußerst glänzend wurde und an dem die neue Königin Karoline wohl nebst der Herzogin von Atri und der Marchesa Cravagante die ersten Schönheitssterne waren.

Ich führte, den noch immer beschwerlichen Dienst abgerechnet, ein ziemlich angenehmes Schlaraffenleben, besuchte mit meinen Schönen die prächtigen Festini der großen Theater und traf bei dieser Gelegenheit auch einmal auf meine hübsche Apothekersfrau, was ein maskiertes Rendezvous zwischen uns veranlaßte, dem noch mehrere folgten. Ich war zu dieser Zeit wieder in dem Torrione del Carmine kaserniert, wo auch vier Kompagnien vom ersten Bataillon des Regiments Y... lagen. Vor wenigen Tagen war ein Neapolitaner von einer angesehenen Familie, die ihr Familienbegräbnis in der kleinen Kapelle in dem Hof der Karmeliterburg hatte, daselbst begraben worden, und wie es hier Sitte, war der mit einigen Kleinodien geschmückte Leichnam eine kurze Zeit im offenen Sarg zur Schau ausgestellt worden. Einige Tage darauf verbreitete sich das Gerücht unter den Soldaten im Fort, es spuke in der Kapelle und man höre gegen Mitternacht ein Getöse, welches einem entfernten Klopfen auf Steine gleiche. Niemand achtete anfänglich darauf, man hielt die Sache für ein gewöhnliches Soldatenmärchen, bis sich ein paar Offiziere durch die wiederholte Beteuerung der Schildwachen von der Wahrheit dieses Getöses überzeugten; so auch ich, der über die Sache gelacht hatte. Wir berichteten dem Kommandanten des Forts darüber, dem zugleich rapportiert worden war, daß der Kirchendiener eines Morgens einen großen Grabstein aus seinen Fugen gehoben und mehrere Fensterscheiben eingeschlagen gefunden habe. Man hielt die Sache vorerst möglichst geheim, und in der kommenden Nacht begab sich der Kommandant mit mehreren Offizieren in die Kapelle. Wir vernahmen, das Ohr gegen den Boden haltend, bald ein entferntes dumpfes Getöse und glaubten sogar ein verworrenes Gemurmel von Männerstimmen zu hören. Erst geraume Zeit nach Mitternacht wurde es wieder stille. Der Kommandant ließ nun ohne Ausnahme sämtliche Truppen in dem Fort konsignieren.

Nach der Wachtparade wurden Sappeurs beordert, das Gewölbe in der Kapelle zu öffnen, worauf der Kommandant mit mehreren Offizieren und mit Laternen tragenden Unteroffizieren hinabstieg. Ein widriger Moder- und Leichengeruch kam uns entgegen, und beim weiteren Vordringen erlöschten bald die Lichter in den Laternen, so daß wir zum Rückzug genötigt waren. Es wurden nun Kohlenpfannen, Weinessig und Pechfackeln herbeigeholt, mit Essigdampf gehörig geräuchert, und wir stiegen dann zum zweitenmal unter hellem Fackelschein in die Gruft hinab, aber dennoch nasse Tücher vor den Mund haltend, um uns gegen den noch immer starken pestartigen Geruch zu verwahren. Unten angekommen, schritten wir über verweste Körper und Haufen von Menschenknochen. Die Fackeln voran, sahen wir nur ein durch Mauern beschränktes, nicht sehr großes Gewölbe; schon machten wir Anstalt, uns wieder zu entfernen, als einer der Sappeurs hinter einem dicken Mauerpfeiler eine über zwei Schuh breite Öffnung entdeckte, die erst ganz frisch in die Mauer gebrochen zu sein schien. Dicht an dieser Öffnung fanden wir ein kleines Fäßchen, das wir bei näherer Untersuchung zu unserem großen Erstaunen mit Pulver gefüllt fanden. Jetzt traten wir einer nach dem anderen durch die Öffnung und befanden uns in einem sehr geräumigen, von vielen Pfeilern gestützten Souterrain, das sich in allen Richtungen hin unter dem Karmeliterfort ausdehnte, und fast bei jedem Pfeiler stand ein solches Fäßchen. Nachdem wir uns in diesem Gewölbe umgesehen, entdeckten wir abermals eine größere bogenförmige Durchbrechung in der Mauer, die in der Richtung des Karmeliterklosters lag, und durch diese gehend, befanden wir uns in den Grüften und Gewölben der großen Klosterkirche, wo wir sehr viele Leichen verstorbener Mönche fanden. Daß hier ein gräßliches Vorhaben ausgeführt werden sollte, war klar. Der Kommandant stellte sogleich in diesem unterirdischen Labyrinth Wachen aus, mit dem Befehl, sobald sich jemand sehen ließe, ihn festzuhalten. Da, wo wir eine Treppe und an deren Höhe eine eiserne Falltür wahrnahmen, die ohne Zweifel von dem Kloster aus in diese Gruft führte, wurden rechts und links zwanzig Mann mit scharfgeladenen Gewehren postiert. Ein Offizier erhielt die Aufsicht über das Ganze. Wir kehrten nun zur Oberwelt zurück, auf den Ausgang dieser mysteriösen Sache höchst begierig. Der Kommandant meldete die gemachte Entdeckung sogleich höheren Orts, es wurde augenblicklich ein Ministerkonzil zusammenberufen, in dem man übereinkam, die Eingänge des Karmeliterklosters und der Kirche durch verkleidete französische Militärs und ergebene Polizeiagenten gehörig bewachen zu lassen, ohne vorerst Lärm zu machen, und noch eine halbe Kompagnie in die Souterrains zu beordern, welche der kommandierende General nebst dem Kriegs- und Polizeiminister selbst ganz insgeheim untersuchten; sie ließen die Pulverfässer sogleich wegschaffen. Gegen Abend wurden alle Posten in der Stadt verdoppelt und die Truppen in den Kasernen zum Ausrücken bereit gehalten. Man hoffte einige der Rädelsführer oder doch in das Geheimnis eingeweihte Individuen, die, wie es schien, ihre Arbeiten nur in der Nacht verrichteten, in den Gewölben zu fangen, um so der Sache auf die rechte Spur zu kommen und die nötigen Vorkehrungen treffen zu können. Hätte man sogleich mit der Besitznahme des Klosters und der Verhaftnehmung der Mönche begonnen, so hätten leicht die Hauptanführer der Verschwörung, deren Verzweigung man nicht kannte, entwischen oder gar einen allgemeinen Aufstand veranlassen können, was man um jeden Preis verhüten mußte.

Es mochte etwa eine Stunde vor Mitternacht sein, als die an der Treppe postierte Mannschaft die äußeren Riegel der Falltür zurückschieben und den Schlüssel in einem Schlosse umdrehen hörte. Sogleich wurden die Blendlaternen, welche die Wachtmannschaften bei sich hatten, geschlossen, und die Leute versteckten sich unter den Bogen der gewölbten Treppe und hinter den Pfeilern. Jetzt drehte sich knarrend die eiserne Pforte in ihren Angeln, und mehrere Mönche, denen eine Anzahl Arbeiter folgte, mit ein paar verkleideten Männern an der Spitze, stiegen vorsichtig die Treppe herab. Sobald der letzte unten war, traten die hinter der Treppe versteckten Grenadiere sowie die übrigen aus ihren Schlupfwinkeln hervor und umzingelten den ganzen Haufen. Man kann sich die Bestürzung und das Erschrecken der Verschworenen denken, von denen sich sogleich einer einen Dolch in die Brust stieß und tot niederfiel; die übrigen wurden festgehalten und gebunden in die Kasernengefängnisse gebracht. Unter ihnen befand sich ein Duca und ein Marchese. Das Kloster wurde nun auch mit Wachen umgeben, niemand weder hinein- noch herausgelassen und mehrere verdächtige Personen, die sich am anderen Morgen in dasselbe begeben wollten, sofort verhaftet. Alle Gefangenen wurden den kommenden Tag nach der Vicaria unter starker Bedeckung in verschlossenen Wagen abgeführt. Viele Personen, die in dieser sehr ausgedehnten Verschwörung verwickelt waren, flüchteten, als sie dieselbe durch die Maßregeln, die man bei den Karmelitern genommen, für entdeckt hielten.

In der kommenden Nacht, wenn ich nicht irre vom 30. auf den 31. Januar, wurde plötzlich Generalmarsch geschlagen, alles eilte zu den Waffen, und ganz Neapel kam in gewaltigen Alarm, alle Einwohner zeigten sich an den Fenstern und auf den Terrassen, durch alle Straßen ritten Kavallerieabteilungen, und reitende Artillerie kreuzte jagend nach allen Richtungen; es war ein Lärm, als sollte das jüngste Gericht beginnen. Eine ungeheuer donnernde, die halbe Stadt erschütternde Explosion hatte die Veranlassung gegeben, der Palazzo des Kriegsministers Salicetti war in die Luft gesprengt worden, des Ministers hochschwangere Tochter wurde samt ihrem Gatten nebst dem Minister selbst wie durch ein Wunder unversehrt unter den Trümmern hervorgezogen, während fast alle anderen Hausgenossen durch die Steinmassen erschlagen worden waren. Die Hälfte des Zimmers, in dem des Ministers Tochter schlief, war mit deren Bett stehen geblieben. Bald hatte man herausgebracht, daß der Sohn des Apothekers Viscardi, Onoffrio, dessen Haus an das des Kriegsministers Salicetti grenzte, dasselbe in die Luft gesprengt, der von Palermo eine eigens zu diesem Zweck verfertigte Maschine mitgebracht. Alle Viscardi wurden bis auf einen, der Mittel gefunden hatte, sich nach Sizilien zu flüchten, eingezogen und hingerichtet. Der Minister selbst starb noch in demselben Jahre an Gift.

Höchst sonderbar war es aber, daß das Ministerium die Untersuchung gegen die in den Souterrains des Karmeliterklosters Gefangenen, von denen man nie erfuhr, was aus ihnen geworden, sehr geheim betrieb und bald ganz niederschlug. Ein Gerücht war damals im Umlauf, welches besagte, die Salicetti hätten selbst um die beabsichtigte Sprengung des Torrione del Carmine gewußt, wären aber von den Verschworenen nur als Werkzeuge gebraucht worden, damit diese um so sicherer ihre Pläne hätten durchsetzen können, und würden dennoch beim Ausbruch den Minister, der wegen seiner Gewaltstreiche und Erpressungen allgemein verhaßt war, mit seinen Anhängern in die Luft gesprengt haben. Nun bleibt mir noch mitzuteilen übrig, durch welche sonderbaren Umstände man zuerst auf die Spur der beabsichtigten Sprengung des Forts gekommen war.

In einer Kompagnie des Regiments Y..., die im Carmine lag, befanden sich zwei Ungarn, die dem Versenken der obenerwähnten Leiche in der kleinen Kirche mit beigewohnt und bemerkt hatten, daß der Verstorbene mehrere Ringe von Wert und ein mit Steinen besetztes Kreuz mit in die Gruft nahm. Nach ihrer Meinung waren diese Dinge den Lebenden weit nützlicher als den Toten, sie beschlossen demnach, sich dieselben zuzueignen, und ließen sich deshalb eines Abends, in der Kapelle hinter einem Beichtstuhl versteckt, von dem halbblinden Kirchendiener einschließen. Als alles ganz ruhig war, begannen sie gegen Mitternacht einen Gruftstein, durch den man die Leiche hinabgesenkt, mit eisernen Stangen, die sie mitgebracht, zu lüften, bald aber vernahmen sie das unterirdische Getöse, und in dem Glauben, die Toten stünden auf, ihre Kostbarkeiten zu verteidigen, ließen sie schnell den Stein wieder fallen und machten sich durch die Kirchenfenster, von denen sie einige Scheiben eingedrückt, davon. Durch sie wurde zuerst das Gerücht von dem unterirdischen Spuk in der Kaserne verbreitet, und man erfuhr durch sorgfältige Nachforschungen dessen Ursprung. Für diesmal sah man den beiden Soldaten in bezug auf das vorgehabte und nicht vollführte Verbrechen, wegen der daraus entstandenen Rettung der ganzen Garnison und vielleicht des Königreichs selbst, durch die Finger.

Trotzdem Murat sehr den Pomp, Feste und Vergnügungen liebte, versäumte er doch nichts, was nach seiner Meinung dazu beitragen konnte, die Regierung seines Reiches zu befestigen und sich beliebt zu machen. Er führte den Code Napoléon ein, was nicht sehr politisch war, da dieses Gesetzbuch nicht wie das Zeug zu einem Kleid einem jeden Individuum, jedem Volk angepaßt werden kann und große Mängel bei manchem Guten hat, am allerwenigsten aber für Neapel oder Spanien paßte, Nationen, die noch so weit in der Kultur zurück waren. Er suchte auch das Unterrichtswesen zu verbessern, errichtete eine Nationalbank, tat manches für Kunst und Wissenschaften, ohne selbst viel davon zu verstehen, gab der Nationalgarde eine neue Organisation und so weiter. Die Küsten ließ er jetzt fast ausschließlich durch französische Truppen, von denen noch etwa zwanzigtausend Mann in seinem Reich lagen, besetzen. Die neapolitanischen Truppen, die er in einem erbärmlichen Zustand antraf, suchte er bestmöglichst zu disziplinieren, er vermehrte seine Garde mit zwei Regimentern und ließ viele französische Offiziere mit erhöhten Graden in neapolitanische Dienste übertreten, um einen besseren Geist in das eingeborene Militär zu bringen und dasselbe an bessere Ordnung zu gewöhnen. Ich verspürte indessen keine Lust, mich dazu zu melden, da das neapolitanische Militär zu wenig geachtet war, auch galt diese Erhöhung, die selbst eine Zurücksetzung für die Neapolitaner war, nur Subalternoffizieren bis zum Grad eines Kapitäns, diese wurden aber nicht zu Stabsoffizieren im Fall eines Übertritts ernannt, sondern mit gleichem Grad bei der Garde angestellt. Der höhere Grad, sehr glänzende Uniformen verlockten manchen zum Übertritt. Gioachimo, wie ihn die Neapolitaner nannten, errichtete auch eine besondere Ehrengarde, welche aus den Söhnen der vornehmsten und reichsten Familien vom Adel, der Gutsbesitzer, Angestellten und Kaufleute formiert wurde. Alle Wochen hielt er mit viel Prunk und Ostentation Musterungen der verschiedenen Truppenkorps, wobei ihn ein sehr reich gekleideter Stab und großes Gefolge umgaben. Aber die Franzosen in Neapel, die sich sehr viel von seinem Regierungsantritt versprochen hatten, waren keineswegs mit ihm zufrieden und fanden sich in ihren freilich sehr sanguinischen und nicht wohl zu erfüllenden Hoffnungen getäuscht.

Murat ließ jetzt eine Zählung der Bevölkerung seines Reiches vornehmen, und es fanden sich ungefähr fünf Millionen Seelen. Regnier, den er zum Kriegs- und Marineminister ernannte, führte eine Konskription ein, durch welche von tausend Einwohnern zwei militärdienstpflichtig waren. Es wurden neue Regimenter errichtet und die Fahnenweihe derselben mit großer Feierlichkeit in der Villa Reale vorgenommen. Zu diesem Zweck war ein Thron daselbst unter freiem Himmel aufgeschlagen worden, von welchem der König die Zeremonien mit ansah; der Erzbischof weihte die Fahnen. Die ganze Garnison, über zwanzigtausend Mann, stand bei dieser Gelegenheit unter den Waffen; unter dem Donner der von allen Forts abgefeuerten Kanonen wurde ein Tedeum gesungen, worauf die Truppen vor dem zufrieden lächelnden Herrscher defilierten. Hierauf setzten sich die aus französischen und neapolitanischen Regimentern erwählten Abgeordneten und Legionisten an eine mit dreitausend Gedecken belegte Tafel, an der sie bei diesem Fest gespeist wurden, nieder, wo man sie, während dreihundert kriegerische Instrumente spielten, trefflich auf Kosten der Munizipalität bewirtete. Das Ganze konnte einen Begriff von einer altrömischen Volksspeisung geben. Die Gäste ließen unter Sang und Klang und dem Akkompagnement von Artilleriesalven Napoleon und Murat und ihre splendiden Wirte hochleben. An tausend Legionisten traten noch denselben Tag in wirkliche Kriegsdienste.

Murat hatte außer der öffentlichen Huldigung, die er dem heiligen Januarius besonders wegen Capri dargebracht, auch noch die hohen Diener des Heiligen und die Prälaten der Schatzkapelle, welche schwere goldene Medaillen erhielten, bedacht. Sogar nach Loretto hatte der fromme Monarch einen goldenen, mit Brillanten und Rubinen besetzten Pokal der Madonna verehrt, nachdem derselbe vorher dem Volk von Neapel zur Schau ausgestellt worden war, damit es erkennen möge, welch gut katholischen Christen es zum gnädigen Herrscher habe! Dies war nicht schlecht kalkuliert.

Noch eine andere Gelegenheit benützte Gioachimo I., seine geliebten Untertanen durch Festivitäten zu erfreuen. Als nämlich die Brücke beendigt war, welche die Hauptstraße des Landes, die ein tiefes Tal zerschnitt, vereinigte, ließ er sie Napoleonsbrücke taufen und mit großer Pracht und viel Zeremonien einweihen, auch stattete er an seinem Geburtstag (25. März) hundert heiratslustige und -fähige Ragazze (junge Mädchen) aus, die er sodann auf großen vierspännigen Wagen, auf denen Napoleons mit Lorbeeren gekrönte Büste war, im Hochzeitsschmuck und mit Musik durch die Hauptstraßen Neapels unter dem großen Jubel des Volks fahren ließ. Bald darauf zog er aber viele der reichsten Klöster ein, verbot das fernere Begraben der Toten in den Kirchen der Stadt, bestimmte vermittelst eines Dekrets den öffentlichen Begräbnisplatz an der Grotte von Puzzuoli, wodurch er sich Pfaffen, Mönche und viele Fromme unter dem Volk, das jenen weit mehr anhing, als er glaubte, zu heimlichen Feinden machte.

Auf der anderen Seite machte er auch das französische Militär mißmutig, indem er Reklamationen und Klagen gegen dasselbe oft mit fast parteiischer Vorliebe anhörte, um sich, wie er vermeinte, dadurch um so beliebter bei den Einheimischen zu machen. Die ihn umgebenden Neapolitaner, seiner Eigenliebe schmeichelnd, machten ihn glauben, daß die Aufregung in den Provinzen hauptsächlich daher rühre, weil man französische Militärkommandanten in dieselben gesetzt, die mit großer Willkür und sehr despotisch handelten, was zum Teil auch an dem war. Er nahm nun denselben diese Kommandos ab und besetzte sie mit Einheimischen, sowie auch andere Stellen; dies brachte die Franzosen auf, welche jetzt ihren Dienst oft vernachlässigten, was Ursache war, daß die Insurgenten bald ihr Haupt neuerdings und drohender erhoben. Hierzu kam noch, daß das Desertieren der Unteroffiziere und Soldaten französischer Regimenter, um bei den neugebildeten neapolitanischen Truppen angestellt zu werden, von oben begünstigt wurde, so daß in kurzem mehr als viertausend Mann, über dreihundert von unserem Regiment, die französischen Adler verließen, um die weit schönere neapolitanische Uniform anzuziehen. Alle Beschwerden der Obersten deshalb blieben fruchtlos, und als Murat und seine Minister erfuhren, daß sich die Kolonels deshalb an den Kriegsminister nach Paris wandten, wurden sogar deren Depeschen auf der Post geöffnet und, wenn sie solche Beschwerden enthielten, zurückbehalten, weshalb die Obersten nun ihre Briefe auf Umwegen über die Grenze von Neapel auf römische Posten schickten. Napoleon selbst schien über dieses Treiben seines Schwagers sehr ungehalten zu werden, der aber jetzt, da er König war, auch die Idee hatte, als selbständiger Regent herrschen und sich der Obervormundschaft des Kaisers entziehen zu wollen. Gern hätte er alle französischen Truppen und Generäle aus dem Land geschickt, wenn er es hätte möglich machen können.

Ich hatte die Karnevalszeit diesmal recht froh und lustig in Neapel zugebracht und allerlei Intrigen angesponnen, die ich auch in der stillen Fastenzeit noch fortzusetzen für unterhaltend fand, als unser Bataillon plötzlich den Befehl erhielt, nach dem Kirchenstaat aufzubrechen, wohin wir den wohlbekannten Weg über Capua, Fondi, Terracina und so weiter bis Velettri zurücklegten.

XIV.
Besitznahme des Kirchenstaates. – Ende der weltlichen Herrschaft des Papstes. – Die Kommandantur zu Velettri. – Der Bischof und der Fournisseur. – Gewaltsame Entführung Pius VII. – Ich gehe als Kurier nach Wien. – Ich übergebe Napoleon meine Depeschen. – Kurze Unterredung mit demselben. – Schönbrunn. – Parade daselbst. – Wien. – Volksstimmung daselbst. – Das Napoleonsfest in Österreichs Hauptstadt gefeiert. – Quartierfreuden. – Liebenswürdige Wirtinnen. – Rückreise nach Italien. – Klagenfurt. – Udine. – Treviso. – Mestre. – Ankunft zu Venedig.

Als wir in dem Kirchenstaat angekommen waren (gegen Ende April 1809), wurden viele Kompagnien in verschiedene Städte detachiert, wie nach Piperno, Porto d’Asturo, Ardea und so weiter, deren Hauptleute Platzkommandanten daselbst wurden. Ich erhielt mit der meinigen das Kommando zu Velettri, während der Rest des Bataillons nach Albano, Corneta und so weiter verlegt wurde. Daß hier wieder etwas Ungewöhnliches ausgeführt werden sollte, ging aus allen Anstalten, die gemacht wurden, hervor. Rom selbst war schon seit länger als einem Jahre durch den General Miollis besetzt worden, ungefähr zur Zeit, als wir in Spanien einrückten. Der Vorwand dazu war mit den Haaren herbeigezogen. Nämlich, weil Pius VII. nicht den Code Napoléon in seinen Staaten einführen, und England nicht förmlich den Krieg erklären wollte. Der Papst hatte auf diese Zumutungen erklärt, daß das französische Gesetzbuch Ehescheidungen gestatte, was gegen die Dogmen der katholischen Religion, und daß er ein Mann des Friedens sei, dem die Engländer nichts zuleide getan hätten. Ende Januar 1808 war eine starke Truppenabteilung jeder Waffengattung aus dem Toskanischen in Eilmärschen in den Kirchenstaat eingerückt, die in der Ebene von Baccano vierundzwanzig Stunden biwakiert hatte und um Mitternacht weiter aufbrach, den 2. Februar im Sturmschritt, die trabende Artillerie mit brennenden Lunten an der Spitze, in Rom einzog und mit gefälltem Bajonett auf Monte Cavallo stürmte, dort die Wachen besetzte, während Pius VII. in der Kapelle des Quirinalpalastes mit den Kardinälen Messe las. Die päpstlichen Truppen waren bei der Ankunft der Franzosen in aller Stille, nachdem sie sich hatten friedfertig ablösen lassen, abgezogen. Drei geschlossene Kolonnen waren in Rom eingerückt und hatten allmählich alle Posten in Besitz genommen, die ihnen, wie es schien, die Soldaten Seiner Heiligkeit nicht schnell genug übergeben konnten. Der Papst selbst, der sich als Märtyrer betrachtete, beschloß, alles auf das äußerste ankommen zu lassen, sich in sein Schicksal zu ergeben, aber doch nur der Gewalt weichen zu wollen. Er hatte zwar einen Aufruf an die modernen Römer im Stil und nach dem Muster der alten Weltbeherrscher erlassen, denselben gedruckt verteilen und an die Straßenecken anschlagen lassen, aber auf Befehl des französischen Gesandten mußte das Haupt der Sbirren denselben eigenhändig wieder abreißen, und von dem zitierten altrömischen Geiste hatte sich keine Spur vorgefunden. Auch Wunder, die hier und da ein Madonnenbild verrichtete, das Blut geschwitzt oder Tränen vergossen haben sollte, wie die Pfaffen versicherten, halfen nichts, und die Römer lachten wohl selbst darüber. Ein einziger Mönch war kühn genug gewesen, in einer Predigt eine Anspielung auf die Makkabäer zu machen, die alle ihre Feinde erschlugen, und dabei zu sagen: „Anche noi siamo in tempo de Maccabei!“ Wurde aber dafür sogleich in die von den Franzosen schon besetzte Engelsburg gesperrt. Die Römer trösteten sich damit, daß alles eine Schickung Gottes sei, der den Napoleon zu seiner Zuchtrute für die sündhafte Menschheit erwählt habe, und Pius selbst nannte es: die unerforschlichen Gerichte des Allmächtigen. Er hatte sich nun in seinen Palast eingeschlossen und seine täglichen Spazierfahrten eingestellt, auch die Erlaubnis zur Feier des bevorstehenden Karnevals verweigert, mit dem Bemerken, daß es jetzt nicht an der Zeit sei, an irdische Vergnügungen zu denken. Der Gouverneur, General Miollis, gab jedoch Bälle in dem Palast Doria, denen manche der vornehmsten Römer beiwohnten. Das Volk aber war mit der Unterlassung seines Hauptvergnügens nicht zufrieden, murrte, und ließ sich einstweilen die Gallinacci (gemästete Puter, die in Herden zu Tausenden um diese Zeit in die Stadt getrieben und von ihren Hütern mit langen Schilfrohren zusammengehalten werden), seine Favoritspeise, trefflich schmecken. Miollis erließ eine Order nach der anderen, Ruhe und polizeiliche Ordnung in der Stadt einzuführen. Niemand durfte sich mehr zur Nachtzeit ohne Laterne in den Straßen blicken lassen. Alle Kutschen mußten mit solchen versehen sein, was besonders die Eminenzen und die höhere Geistlichkeit vexierte, die jetzt ihre Mätressen nicht mehr unerkannt abholen konnten. Die Stadttore wurden von Mitternacht bis zum anbrechenden Tag geschlossen, und nachdem noch mehrere Messerstiche ausgeteilt und Mordtaten begangen waren, wurde bei Strafe des sofortigen Erschießens das Tragen jeder Art von Waffe, Dolche, Stilette oder auch nur Messer verboten. Alle bisherigen Freistätten für Mörder, wozu außer den Kirchen ganze Distrikte, wie das Quartier, wo das Inquisitionsgericht seinen Sitz hatte, der spanische Platz und so weiter gehörten, wurden für aufgehoben und als nicht mehr schützend erklärt. Nachdem mehrere Individuen, die trotz dem Verbot noch ein Messer bei sich getragen, in den nächsten vierundzwanzig Stunden kriegsrechtlich öffentlich erschossen worden waren, fand man für tausend Zechinen kein Messer mehr bei den Leuten und das Morden hörte auf. Früher erhielt man für einen halben Scudi die Erlaubnis, jede beliebige Waffe zu tragen, und fast jede Woche fiel ein Dutzend Mordtaten vor, nach denen sich die Täter in eine Kirche oder in ein sogenanntes Freiquartier flüchteten, wo sie so lange in Sicherheit waren, bis ihnen Verwandte oder gute Freunde durchhalfen oder hohe Protektoren Gnade auswirkten. Indessen hatte man doch bald eine Verschwörung entdeckt, an deren Spitze der Principe Altieri und der Duca Bracchi, beide Anführer der päpstlichen Nobelgarde, standen. Miollis ließ diese Garde sogleich entwaffnen, und kaum hatten die Rädelsführer noch Zeit gehabt, sich durch die Flucht der Verhaftung zu entziehen. Miollis erließ auch einen Befehl an die Kardinäle, Rom binnen dreimal vierundzwanzig Stunden zu verlassen, aber der Papst verbot ihnen, diesem Befehl zu gehorchen und befahl, nur der Gewalt nachzugeben, damit die Welt wisse, daß sie nur rohe Übermacht von dem päpstlichen Busen losgerissen habe. Dennoch mußten die Kardinäle fort. Die beiden Doria begaben sich nach Genua, in ihre Vaterstadt, und von Paris kam ein Befehl, daß sich alle Eminenzen in diejenigen Staaten zu begeben hätten, deren geborene Untertanen sie seien. Pius VII. rief nun auch seinen Gesandten zu Paris, den Kardinal Caprara, zurück, was Napoleon als eine Kriegserklärung auslegte, die ohnehin schon dadurch geschehen, weil sich Rom nicht, gleich den übrigen italienischen Staaten, gegen den allgemeinen Feind, England, habe verbünden wollen. Die Provinzen Urbino, Ancona, Macerato und Camerino wurden unwiderruflich auf ewige Zeiten (diese Ewigkeit währte fünf Jahre) durch ein Dekret dem Königreich Italien einverleibt. Auch wurde allen Kardinälen und römischen Beamten aus diesen Provinzen bei Strafe der Konfiskation ihres Vermögens geboten, sich in ihre Heimat zu verfügen, so daß dem Papst außer dem Gebiet der Stadt Rom wenig mehr blieb. Trotz all dem beschäftigte sich jetzt Pius noch mit der Heiligsprechung der Königin Klothilde von Frankreich. Was die Römer am meisten schmerzte, war das Ausbleiben der Fremden, besonders der Engländer, wodurch ihnen ein bedeutender Verdienst entging.

Napoleon hatte indessen beschlossen, der weltlichen Herrschaft des Papstes ein Ende zu machen und Rom selbst seinem großen Reich einzuverleiben. Daher die abermaligen Truppenmärsche im April und Mai 1809 in den Kirchenstaat. Ein großer Staatsstreich sollte ausgeführt werden, während er sich in dem von ihm eroberten Wien befand. Er dekretierte vier Tage vor der Schlacht von Aspern, den 17. Mai 1809, das Ende der päpstlichen Herrschaft, und daß, da sein großer Vorfahr, Karl der Große, den römischen Bischöfen verschiedene Distrikte nur als Lehen überlassen habe, er, um der päpstlichen Halsstarrigkeit den Hals zu brechen, dieselben wieder einziehe, den Kirchenstaat mit seinem Reich vereinige und Rom zu einer freien (?!) kaiserlichen Stadt erkläre und so weiter. Miollis nahm den 1. Juni feierlich Besitz von Rom, und die neu errichtete Consulta, deren Präsident er war, erließ eine Proklamation, die mit folgenden hochtrabenden Worten begann:

„Römer! Der Wille des größten der Helden (risum teneatis amici) vereinigt Euch mit dem größten der Reiche“ und so weiter. In derselben wurde auch gesagt, daß das Elend und die Ungesundheit der römischen Städte nun der Glückseligkeit Platz machen müsse, die ihnen zuteil würde, und daß Rom fortdauernd der Sitz des sichtbaren Oberhauptes der Kirche bleiben solle, wo dasselbe nun über alle irdischen Interessen und Betrachtungen erhaben, der Welt das Schauspiel der reinsten Religion im höchsten Glanz geben würde und so weiter.

Von dieser Proklamation wurden mir einige tausend Exemplare nach Velettri geschickt, um sie daselbst und in der Umgegend zu verbreiten, was ich pflichtschuldigst, damals ein ebenso verblendeter Narr wie die anderen, tat, und den Rest auf der Jagd in den Pontinischen Sümpfen verpuffte. Es wurden nun allenthalben die päpstlichen Wappen abgerissen und durch die napoleonischen Adler ersetzt, alle Urkunden im Namen des Kaisers ausgestellt und so weiter.

Ich hatte einstweilen in Velettri ein sehr friedliches und behagliches Leben geführt und außer einigen Intrigen mit ein paar hübschen Vilanellen, die hier wie in Albano ein sehr malerisches Kostüm haben, auch einem kleinen Renkontre mit einem Prälaten keine Fata von einiger Erheblichkeit gehabt. Die Einwohner, bei denen Caguenecs tolle Streiche noch in frischem Angedenken, waren mit mir zufrieden. Jener hatte sich unter anderem von seinen Soldaten, nachdem er mit denselben in der Stadt herumgezogen, um guten Wein zu requirieren, und sie betrunken gemacht, auf russische Weise auf dem Marktplatz der Stadt prellen lassen. Das heißt, die Russen in seiner Kompagnie wollten ihrem Kapitän eine Ehre in russischer Manier antun, legten ihn auf große wollene Decken und schleuderten ihn dann in die Luft, fingen ihn wieder auf, was sie ein halbes hundertmal wiederholten, dabei ein großes Feuer auf dem Platz anzündeten, so daß den Einwohnern angst und bange wurde. Dabei tanzten die Soldaten um die Flammen und schrieen aus vollem Halse: „Hurra unser braver Kapitän!“ Zuletzt hatte er gar eine Kontribution von mehreren tausend Scudi auf seine Faust ausgeschrieben, meinend, was Marschälle und Napoleon im Großen tun, dürfe er ihnen wohl im Kleinen nachmachen, nicht bedenkend, daß man große Diebe laufen läßt und die kleinen hängt. Ablösung, scharfer Festungsarrest, noch bevor die Kontribution erhoben war, gegen die man in Rom Beschwerde führte, waren die Folgen davon. Meine Affäre mit dem Prälaten, einem Bischof, war indessen nicht so ganz unbedeutend, und hätte leicht eine ähnliche Geschichte wie die in Albano werden können, wenn mich jetzt die Erfahrung nicht besonnener gemacht hätte. Dem Fournisseur, der die Lebensmittel für uns lieferte, einem jungen und rechtlichen Mann, eine Seltenheit bei einem Lieferanten, wollte der Prälat ein junges Mädchen, das von dem heiligen Mann so fruchtbar überschattet worden war, daß sich die Spuren davon auf das unwiderlegbarste zeigten und sie die beste Hoffnung hatte, einen kleinen Bischof zu bekommen, als eheliches Gespons aufhängen. Bianconi, so hieß der Fournisseur, anfänglich die wahren Umstände nicht kennend, war in die Falle gegangen, die man ihm schlau gelegt. Aber hinter den Zusammenhang der sauberen Geschichte kommend und einsehend, daß er einen bischöflichen Deckmantel abgeben sollte, zog er sich zurück, verweigerte dem Mädchen, das übrigens recht hübsch war, seine Hand, und wurde nun auf deren Anklage vorerst ins Gefängnis gesteckt, um ihn so zu zwingen, sich in Hymens Fesseln schmieden zu lassen. Ich erfuhr die Sache durch meinen Furier, ließ das Mädchen zu mir kommen und brachte bald durch Drohungen die Wahrheit und das Geständnis von ihr heraus, daß der hochwürdige Herr der Papa des zu hoffenden Kindes sei. Ich behielt das Mädchen in meiner Wohnung, begab mich zuerst in das Gefängnis, um auch den jungen Mann zu vernehmen, und von diesem zum Prälaten, der mich sehr artig empfing, mich fragte, in was er mir dienen könne, worauf ich mir die augenblickliche Freilassung des Gefangenen, ebenfalls sehr artig erbat. Der fromme Mann wollte mich anfangs gar nicht verstehen, sich auf nichts einlassen, beteuerte seine Unschuld, schrie über abscheuliche Verleumdung, bis ich ihm nun in sehr ernstem Tone andeutete, daß, da die Sache unseren Lieferanten betreffe, ich genötigt sein würde, sie an das Generalkommando nach Rom zu berichten. Jetzt spannte der hochwürdige Herr andere Saiten auf, versicherte mir, daß er ganz allein aus Achtung für meine Person den Mann freigeben und die Sache näher untersuchen wolle. Ich aber klopfte ihm vertraulich auf die Schulter, und sagte ihm mit lächelnder Miene: „Lassen wir unter uns alles Komödienspiel beiseite, wir sind ja beide Männer und arme Sünder, geben Sie der Dirne eine kleine Aussteuer, und sie wird dann schnell einen gutmütigen Deckmantel finden, wodurch aller Skandal verhütet wird.“ Der geistliche Herr endigte damit, meinen Rat vortrefflich zu finden, bat mich um Bewahrung des Geheimnisses und ein gutes Glas Wein mit ihm zu leeren. Ich gestand beides zu, und wir schieden als die besten Freunde. Mit dem Befehl zur Freilassung des armen Teufels in der Tasche ließ ich den Bianconi sogleich aus seinem Kerker holen.

Anfangs Juli bekam ich in aller Frühe Befehl, sogleich mit meiner Kompagnie nach Albano abzumarschieren, wo sich eine bedeutende Truppenmasse versammelte. Nachdem wir zwei Tage daselbst zugebracht, ohne zu erfahren, auf was es eigentlich abgesehen sei, erhielten alle hier und in der Umgegend liegenden Truppen den 5. Juli gegen Abend Order, sich marschfertig zu halten, und wurden vor dem nach Rom führenden Tor versammelt. Die leichte Infanterie bildete die Avantgarde, dann kam die Linie und Reiterei, und Artillerie machte den Beschluß. In dieser Ordnung marschierten wir nach Rom ab. Vor dem Tor San Giovanni angekommen, wurde Halt gemacht und scharf geladen. Es mochte ungefähr eine gute Stunde vor Mitternacht sein, als wir in der größten Stille in Rom einmarschierten. Selbst die Hufe der Pferde und die Räder der Kanonen hatte man mit Stroh umwickelt, daß sie keinen Lärm machten. So marschierten wir gegen Monte Cavallo, in den Straßen auf starke Patrouillen der französischen Garnison stoßend. Daselbst angekommen, wurde ein Teil der Infanterie und die Kavallerie in die zum Quirinal führenden Straßen verteilt, und die Kanonen, welche die entgegengesetzte Richtung vom päpstlichen Palast erhielten, mit brennenden Lunten zur Seite aufgepflanzt. Die Patrouillen bedeuteten den Einwohnern, die hier und da die Fenster öffneten oder sich an der Tür blicken ließen, sich sofort zurückzuziehen, widrigenfalls man Feuer auf sie geben würde. Es herrschte nun eine feierliche Stille, und wir waren alle in einer seltsamen Spannung, was wohl geschehen würde. Ich stand mit meiner Kompagnie noch auf dem Campo Vaccino, als mir eine Ordonnanz die Order überbrachte, mich mit zwanzig auserwählten Grenadieren sogleich zum General Miollis zu verfügen. Bei diesem, der sich zu Fuß mit mehreren Generalen und Chefs, unter denen auch der Gendarmeriegeneral Radet, am Piedestal der Kolosse auf dem Monte Cavallo befand, angekommen, nahm mich Radet, dem ich von meinem Oberst besonders empfohlen worden war, beiseite, und eröffnete mir, daß diese Anstalten getroffen seien, um im Fall sich der Papst weigern würde, die Entsagungsakte über alle weltliche Herrschaft, Macht und Ansprüche auf den Kirchenstaat zu unterzeichnen, seine Gefangennehmung zu bewerkstelligen, die in diesem Falle vom Kaiser dekretiert und auch von Murat befohlen sei. Er habe mich auf Empfehlung meines Obersten erwählt, tätigen Anteil an dieser Expedition zu nehmen, die er sogleich anführen werde und wozu er noch einige Offiziere und erlesene Mannschaft erwarte. Ich gestehe, daß mir diese Eröffnung nicht gerade die angenehmste war, da ich Pius VII. als einen würdigen und achtungswerten Mann und Souverän kennen gelernt und durch meine frühere Audienz ihn persönlich lieb gewonnen hatte. Aber hier befahl der Dienst und war keine Einwendung zu machen. Es währte nur noch wenige Minuten, bis die zu dieser Expedition erlesene Mannschaft beisammen war; etwa acht bis zehn Offiziere, hundertzwanzig Mann aus Elitekompagnien und ein halbes Dutzend Sappeurs. Radet führte das Kommando an. Wir mußten mit Leitern über die hohen Gartenmauern steigen, da der Papst schon früher die Eingänge des Palastes hatte vermauern lassen, und derselbe sozusagen zu einer kleinen Festung umgeschaffen war. Aber auch die inneren, in den Garten gehenden Türen mußten die Sappeurs erbrechen. Wir stießen zuerst auf die einige vierzig Mann starke Schweizergarde, die sich nicht zur Wehr setzte, sondern auf die an sie ergangene Aufforderung die Hellebarden streckte. Wir durcheilten mehrere Gänge und Säle, Radet erwischte einen Kammerdiener des heiligen Vaters, den er zwang, uns in die Gemächer des Papstes zu führen und uns das Zimmer zu öffnen, in welchem sich Pius VII. befand. Wir traten ein. Der wirklich ehrwürdige Oberpriester saß noch völlig angekleidet, die Stola umhabend, an einem Tisch und war mit Schreiben beschäftigt. Radet näherte sich ihm, redete ihn französisch an, das Pius geläufig sprach, und machte ihn mit seinem Auftrag bekannt, wobei er ihm die zu unterschreibenden Akte mit der Erklärung überreichte, daß er im Weigerungsfall strenge Order habe, Seine Heiligkeit gefangen abzuführen. Des Papstes Antwort war: „Mi taglierete piu tosto in mille pezzi!“ Da Radet sah, daß alles Zureden vergeblich war, ließ er die Sappeurs eintreten, ein auf die Straße gehendes Fenster einschlagen, hieß sodann den Papst und den Kardinal Pacca auf zwei Armstühle setzen, sie fest auf denselben anbinden und beide durch das Fenster auf die Straße hinablassen. Der General selbst aber eilte schnell auf dem Weg, den er gekommen war, mit uns hinab, empfing den Papst und den Kardinal unten und nötigte beide, sich in einen mit vier Pferden bespannten Wagen zu setzen, auf dessen Bock er stieg, und jagte so mit einer starken Reitereskorte umgeben, im gestreckten Galopp davon, durch die nächsten Straßen, zur Porta Salara hinaus, um die Stadtmauern herum bis an die Porta Popolo und von da auf der Straße nach Florenz weiter. Die Truppenabteilungen, welche zu der Garnison Roms gehörten, verfügten sich in ihre Quartiere, die aber von Neapel gekommen waren, marschierten gegen Morgen nach Albano zurück und erfuhren erst nach einigen Tagen, was eigentlich vorgegangen war. Roms Bewohner waren nicht wenig bestürzt, als sie am anderen Tag erfuhren, daß ihr Souverän abgereist sei. Aber es blieb alles ruhig, und man redete sich nur mit einem: „Il Papa è via!“ an. Es wurden einige Proklamationen erlassen, während Pius den Weg nach Frankreich gezwungen machen mußte. Noch denselben Morgen wurde ich zu dem General Miollis beordert, wo mir dieser mitteilte, daß auf Empfehlung meiner Oberen und Radets er mich dazu bestimmt habe, dem Kaiser die Depeschen, welche die Berichte über das Vorgefallene enthielten, nach Wien in der Eigenschaft eines Kuriers zu überbringen, eine Mission, die ich mit großer Freude annahm. Was den General noch mehr dazu bewogen hatte, mich mit diesem Auftrag zu beehren, war, daß ich der deutschen Sprache mächtig, worauf man besonders deshalb Gewicht legte, weil das Gerücht ging, daß die österreichischen deutschen Länder und namentlich Tirol in vollem Aufstand seien, und ich wohl im Falle der Not als reisender Privatmann noch ungehindert durchkommen könne, weshalb man mich auch mit dem Paß eines deutschen Barons, der von Rom nach Wien reise, versah. In einem ziemlich bequemen Wagen fuhr ich in wenigen Stunden nach der Abreise des Papstes mit unaufhaltsamer Eile, meistens vier Postpferde vorgespannt, über Florenz, Bologna, Rovigo, wo ich die Nachricht von dem zu Wien abgeschlossenen Waffenstillstand zuerst erfuhr, Padua, Mestre (Flecken ganz nahe bei Venedig, von wo man auf einer Barke dahin fährt), Treviso, Udina, Villach, Klagenfurt, Friesach, Judenburg, Leoben, Wiener-Neustadt, Gumpendorf und nach Wien, wo ich trotzdem, daß ich mir kaum ein paar Stunden zum Essen gegönnt, erst den siebenten Tag nach meiner Abreise von Rom, des Morgens um vier Uhr, eintraf. Im Flug hatte ich die ganze Strecke, wohl über zweihundert Meilen, zurückgelegt und den Wagen nur zur höchsten Notdurft verlassen, fast alle Mahlzeiten in demselben zu mir genommen, und da, wo die Wege schwierig waren, oft sechs Pferde vorspannen lassen. Ich hatte zwar die Reise in Zivilkleidern zurückgelegt, aber durchaus keine Unannehmlichkeiten gehabt, und war nirgends angehalten worden, wobei mir allerdings das Deutsche gut zu statten kam. So ermüdet ich auch war, so erlaubte ich mir doch keine Stunde Ruhe, sondern machte sogleich nach meiner Ankunft Toilette, rasierte mich, steckte mich in meine große Uniform, und eilte, mich bei dem General Andreossy, damals französischer Kommandant zu Wien, zu melden, dem ich den Zweck meiner Reise mitteilte und der mich sofort, von einem Adjutanten begleitet, nach Schönbrunn zur Übergabe meiner Depeschen absandte. Es war noch nicht acht Uhr, als wir daselbst ankamen und bei dem Kaiser gemeldet wurden. Nach einer kleinen Viertelstunde wurden wir vorgelassen, und als wir in das kaiserliche Gemach traten, stand Napoleon von seinem Arbeitstisch auf, auf dem mehrere Papiere und Karten lagen, tat ein paar Schritte vorwärts und redete mich mit den Worten an: „Vous m’apportez des nouvelles de Rome? – „Oui Sire.“ – Ich hatte die Depeschen in der Hand und wollte sie ihm überreichen, als er hastig selbst darnach griff, sie öffnete, und öfters, das Gesicht verfinsternd, las, während ich alle Zeit hatte, ihn genau zu beobachten. Endlich legte er sie wieder zusammen, warf sie auf den Tisch und befragte mich nach verschiedenen näheren Umständen und dem Hergang der Verhaftung. Ich mußte in die kleinsten Details eingehen, wurde mehrmals von ihm durch Fragen unterbrochen, wobei sich seine Stirne umwölkte, wenn ihm die Antwort nicht sehr angenehm schien. Namentlich erkundigte er sich angelegentlich, wie sich das Volk in Rom verhalten habe und wie dessen Stimmung sei. Ich gab ihm, soweit ich es imstande war, die gewünschte Auskunft, mit dem Bemerken, daß ich wenige Stunden nach der Begebenheit Rom verlassen habe. Nachdem ich dies alles abgemacht und der Kaiser sich herabgelassen hatte, sich nach meiner werten Person und nach meinen Dienstverhältnissen zu erkundigen, und nachdem ich ihm auch hierauf mit wenig Worten geantwortet hatte, fragte er mich noch, ob ich als Deutscher mit meinem Dienst zufrieden sei, was ich bejahte, und zugleich dachte: Jetzt stehst du vor der Schmiede, du mußt es benutzen. Mein innigster Wunsch war nämlich damals, zu der Garde Napoleons versetzt zu werden, und ich ließ ihn Sr. Majestät blicken, wurde aber sofort mit einem: „C’est bon, nous verrons“ allergnädigst entlassen.

Ich ging nun in dem Park von Schönbrunn spazieren, die Parade, die um zehn Uhr sein sollte, abwartend. Den Platz vor dem Schlosse hatte man so eingerichtet, daß die Truppen daselbst kampieren konnten. Der Garten war noch auf holländische oder französische Art angelegt. Schönbrunn, das nur eine halbe Stunde von Wien entfernt ist, war früher ein Jagdhaus, bei dem sich ein Tiergarten befand, aber 1685 bei der Belagerung durch die Türken ganz zerstört worden. Leopold I. ließ 1696 wieder ein Schloß daselbst erbauen und einen Lustgarten anlegen, der 1700 fertig wurde. Maria Theresia wählte diesen Ort zu ihrem Sommeraufenthalt. Aus dem vorhandenen Schlößchen machte sie ein schönes Lustschloß, sie erweiterte die Gärten, legte den holländischen Garten und eine Menagerie an, und traf Vorkehrungen, daß das hier vorbeiströmende Flüßchen Wien keinen so großen Schaden mehr durch Überschwemmungen anrichten konnte. Später wurden noch viele Statuen, die sogenannte Gloriette, die Neptunsgrotte und so weiter angebracht, und Joseph II. verwendete besonders viel Aufmerksamkeit auf den botanischen Garten. In dem großen Hof, in dem sich zwei Springbrunnen mit Gruppen von allegorischen Figuren befinden, können über siebentausend Mann paradieren. Das Innere des Schlosses hat einige schöne Säle, namentlich ist der Audienzsaal prächtig, auch sind in einigen Gemächern hübsche Malereien angebracht. Es hat eine Kirche, ein Theater, eine Apotheke und eine Manege. Was mich bei meinem Umherstreifen im Garten am meisten wunderte, war, die Statue eines Scävola und selbst die eines Brutus daselbst zu finden. Doch diese alten Herren sind bei den gutmütigen Wienern nicht gefährlich. An Teichen, Springbrunnen, Alleen und so weiter fehlte es auch nicht. Besonders sprach mich eine alte hochgewölbte Lindenallee an. Von der Platte der Gloriette, einer runden, auf Säulen ruhenden Glasgalerie, mit Trophäen und so weiter geschmückt, hat man eine schöne Aussicht über Wien hin bis zu dem Kahlenberg, und auf der entgegengesetzten Seite nach Baden zu. Die Königin Karoline von Neapel ließ im Jahre 1806 hier ein Denkmal, aus einer Granitsäule bestehend, setzen, dessen Inschrift besagt: daß es aus Liebe für Maria Theresia geschehen sei. Napoleon soll geäußert haben, man könne es mit geringer Abänderung zu einer Schandsäule jenes bösen Weibes, Karoline, machen. Dies ließe sich wohl noch auf gar manches andere Denkmal und namentlich auf die Napoleons selbst sehr gut anwenden. In der geräumigen Orangerie gab Joseph 1784 glänzende Feste und Bälle zu Ehren des Großfürsten Paul. Von den vierfüßigen Bewohnern der Menagerie, die ein Rondell bildet, in dessen Mitte sich ein Saal befindet, dessen Fenster auf die Behälter der Tiere gehen, und über welchen wilde Tiere abgemalt sind, hatten viele die Reise nach Paris machen müssen.

Punkt neun Uhr kam Napoleon mit seinen Marschällen, Generalen und einem glänzenden Gefolge die Stufen der Schloßtreppe herab, die Musterung zu passieren. Sich hier und da bei einem der Soldaten aufhaltend, dessen Gewehr und Tornister nachsehend, ließ er dann die Truppen nach einigen Handgriffen defilieren, und sprach mehrmals mit dem General Rapp. Als die Parade vorüber war, ging ich nach Wien zurück, wo ich bei der Kommandantur Erlaubnis eines längeren Aufenthaltes auswirkte, um mich von den gehabten Strapazen gehörig ausruhen zu können. Man hatte mir ein Quartier bei einem ziemlich wohlhabenden Bürger in einer entlegenen Gasse der Vorstadt Gumpendorf gegeben, das ich aber schon den zweiten Tag mit einem anderen in der Josephsstadt bei einer hochadeligen älteren Dame, einer geborenen ungarischen Gräfin, deren Mann, ein Graf C..., mit dem österreichischen Hof, bei dem er eine Stelle bekleidete, geflüchtet war, vertauschte. Hier befand ich mich nicht nur sehr wohl, sondern fand auch bald die angenehmste Unterhaltung und Zerstreuung. Die Dame hatte zwei schöne Töchter, von denen die eine neunzehn Jahre zählte und an einen Rittmeister, Grafen D..., der mit seinem Regiment bei der österreichischen Armee stand, verheiratet, die andere, noch ledig, kaum siebzehn Jahre zählend, aber die Braut eines österreichischen Stabsoffiziers war, der sich auch auf flüchtigem Fuß befand. Besser konnte ich es unmöglich treffen. Die beiden jungen Komtessen waren musikalisch, sangen recht artig, und die alte Gräfin war vergnügt, wenigstens einen Deutschen im Quartier zu haben. Zuerst hatte man mir das Essen auf die Stube geschickt, nach zwei Tagen aber hatte ich schon die Ehre, der Tischgenosse der Damen zu sein. Diese hatten außerdem noch zwei der artigsten Exemplare der berühmten Wiener Stubenmädchen, die diesem Korps in jeder Hinsicht alle Ehre machten, zu ihrer Bedienung.

Die ersten Tage brachte ich damit zu, die sich damals durch die feindliche Besitznahme in sehr peinlichen Umständen befindende Hauptstadt Österreichs zu besichtigen. Namentlich die Burg, Sankt Stephan, die Borromäuskirche, den Prater, den Augarten und so weiter. Die innere eigentliche Stadt ist winkelig gebaut und hat enge und krumme Gassen, deren Häuser sie düster machen. Schön sind der Burgplatz und der Graben mit der eben nicht sonderlichen Dreifaltigkeitssäule. Der Platz, „Am Hof“ genannt, einer der größten, hat eine Säule zu Ehren der unbefleckten Empfängnis Marias! Die neue Reiterstatue Joseph II. auf dem Platz, der den Namen dieses Kaisers führt, ist ein desselben würdiges Denkmal, das erst zwei Jahre früher in Erz hier aufgerichtet wurde, und dem Künstler, der es verfertigte, Zeuner, alle Ehre macht.

Wiens Vorstädte sind bei weitem freundlicher als die Stadt selbst. Es sind deren, wenn ich nicht irre, an oder gar über dreißig, von denen die Leopoldstadt die größte und durch einen Arm der Donau von der inneren Stadt getrennt ist. Rechts von ihr liegt der Prater, in dem besonders an Sonn- und Feiertagen das Getümmel sehr groß ist. Die große Mittelallee ist der Haupttummelplatz. Für die Befriedigung des Gaumens und Magens ist hier, sowie überhaupt an allen Vergnügungsorten Wiens hinlänglich und oft derb genug gesorgt. In Friedenszeiten, und wenn der Hof in Wien ist, soll der Zug der Equipagen und Reiter, die sich hier zeigen, oft sehr glänzend und prächtig sein. Dabei sollen sich die kaiserlichen Equipagen durch große Einfachheit auszeichnen, während die des reichen Adels an Pracht wetteifern und sich überbieten. Auf der linken Seite der Leopoldstadt liegt der Augarten, der manche hübsche Partien hat und für nobler als der Prater gilt. An diesen stößt die Brigittenau, mit hübschen Promenaden und der Aussicht auf die Donau. Wien liegt am südlichen Ufer der Donau, in einer trefflich angebauten Gegend. Das Flüßchen Wien, welches anderthalb Stunden von der Stadt in dem Wienerwald entspringt, ergießt sich in derselben in die Donau. – Die Theater der österreichischen Hauptstadt, selbst das durch seine abenteuerlichen Spektakelstücke so berühmte ‚an der Wien‘ können, wenn man die Prachtbauten dieser Art in Italien gesehen hat, keinen besonderen Eindruck mehr machen. Dagegen sieht man ungeheure Kasernen. Auch die fast noch rauchenden Schlachtfelder von Aspern, Eßlingen und Wagram besuchte ich zu Pferde.

Die Franzosen, die kein Deutsch verstanden, hielten während ihres damaligen Aufenthalts das Wiener Volk für sehr aufgebracht gegen sich und fürchteten ähnliche Auftritte wie in Madrid. Ich mußte über diese Befürchtungen lächeln. Die guten Wiener dachten an nichts weniger als an Aufstände, sondern gingen, besonders seitdem der Waffenstillstand geschlossen war, wieder in aller Harmlosigkeit ihren gewöhnlichen Vergnügungen nach. Die Stimmung vieler Einwohner war im Gegenteil der damaligen Regierung Österreichs eher feindlich gesinnt. Sie beschuldigten dieselbe laut der drückendsten Willkür, sowie sie ihr durch ihre Mißgriffe und Dummheiten das jetzige Unglück Wiens und des Staates zuschrieben, und die Bürger sagten laut: wir zweifeln, daß selbst diese derbe Lektion unsere Regierung bessern wird, unser guter Kaiser ist blind gegen die Urheber seines Unglücks, und wenn die Franzosen wieder fort sind, ist’s halt wieder die alte Leier. Dabei ließ man sich aber nichts abgehen, und ich hatte allenthalben Gelegenheit, die berühmte Eß- und Trinklust der Wiener zu bewundern. Als nach dem 18. Juli der Zugang in die Gärten zu Schönbrunn, den Prater, den Augarten und so weiter wieder erlaubt war, eilte halb Wien in den Prater, und nach Verlauf von einer Stunde war in den Garküchen und Buden daselbst auch für Gold kein Stückchen Brot mehr zu haben.

Der Waffenstillstand sollte anfänglich nur einen Monat, mit vierzehntägiger Aufkündigung dauern. Durch die hinausgezogenen Friedensunterhandlungen verlängerte er sich aber über drei Monate. Den 31. Juli hatte Erzherzog Karl, der einzige österreichische Feldherr von Bedeutung, mit dem Benehmen der Regierung und des Hofes höchst unzufrieden, das Kommando der Armee, als deren Generalissimus, niedergelegt, das nun Kaiser Franz selbst, eigentlich Fürst Lichtenstein, übernahm.

Wien mußte unterdessen ungeheure Lieferungen in Naturalien an die Franzosen machen, worunter über zweihunderttausend Ellen Tuch, noch mehr Leinwand, an vierhundert Zentner Leder, ungeheure Quantitäten Fourage, Stroh, Holz und so weiter, sowie zehn Millionen bares Geld Kriegssteuer bezahlen. Dabei waren die sonst so barschen und durch ihre gemeinen Grobheiten berühmten österreichischen Unterbeamten, die sie sich gegen jeden nicht in höherem Amt und Würden Stehenden erlauben, so geschmeidig und niederträchtig kriechend gegen das französische Militär und die Employés, daß es wahrhaft ekelerregend war. Was die Wiener am meisten freute, war, daß jetzt in den Theatern auf Veranlassung mehrerer Offiziere alle die Stücke aufgeführt wurden, die unter dem österreichischen Gouvernement verboten waren, sowie mehrmals in den Zeitungen bekannt gemacht wurde, daß alle durch eine engherzige und beschränkte Zensur verbotenen Bücher zu haben seien, indem die Zeit erschienen, in welcher man den Geist nicht mehr in Fesseln schlagen dürfe! – Und doch war Napoleon derjenige, der ihn, wie nie ein Tyrann vor ihm, in Fesseln zu schlagen versuchte. Eines der verboten gewesenen Stücke, das am meisten Beifall fand, waren Kotzebues ‚Kreuzfahrer‘, die man ‚an der Wien‘ aufführte. Die ganze Stadt wollte das Einmauern einer Nonne, Kloster, Kirche und Nonnen auf dem Theater sehen, und das Haus hatte nicht Raum genug für die drängenden Massen. Auch Stücke, die bisher, durch eine erbärmliche Zensur auf das unsinnigste beschnitten, gräßlich verstümmelt gegeben worden waren, wurden nun unbeschnitten und wie sie der Autor geschrieben, wie zum Beispiel ‚Wilhelm Tell‘, unter großem Jubel aufgeführt, und man lachte über die literarischen Henkersknechte, die sie ihrer besten Stellen beraubt hatten. Aber aus den Archiven, Bibliotheken, Kunstsammlungen wurde das Beste und Seltenste nach Paris geschafft.

In dem eigentlichen Hof- oder Burgtheater, das man auch Nationaltheater, eine wahre Satire, nannte, wurden während meiner Anwesenheit französische Stücke aufgeführt, und ich sah ‚Adolphe et Clara‘, ‚Le Secret‘, ‚La banqueroute du Savetier‘ und so weiter daselbst geben. Am Kärtnertor wurden manchmal italienische Opern ‚Il Matrimonio segreto‘, ‚Sargino‘, ‚La molinara‘ und so weiter gegeben. Im Theater zu Schönbrunn wurden meistens italienische Opern und Ballette aufgeführt. An deutschen Stücken sah ich zum erstenmal: ‚Die Schweizerfamilie‘, ‚Ostade‘, den ‚Wald bei Hermannsstadt‘ und so weiter. Einer Vorstellung des ‚Don Carlos‘ wohnte ich bei, die eben nicht zu den ausgezeichnetsten gehörte.

Den 15. August wurde das Napoleonsfest in Österreichs Hauptstadt mit großem Pomp gefeiert, alle Schiffe auf der Donau waren bunt beflaggt und bewimpelt, der Donner der Kanonen kündigte nach allen Weltgegenden hin das hohe Fest des Diktators des europäischen Festlandes an. In Schönbrunn war große Parade, das Schießen und Glockengeläute schien gar kein Ende nehmen zu wollen. In Sankt Stephan, wohin sich die ganze Generalität, den Vizekönig Eugen an ihrer Spitze, begab, wurde ein feierliches Hochamt gehalten und das Tedeum gesungen. Die Bürger mußten Spaliere mit den Truppen bilden, bei dem Gouverneur war großes Diner. Mit einbrechender Nacht wurde ganz Wien mit allen seinen Vorstädten beleuchtet, und ein prächtiges Feuerwerk prasselte in die Lüfte. Unter den vielen, selbst von Wiener Bürgern illuminierten und passend angebrachten Transparenten las man auf einem derselben: ‚Zur Weihe An Napoleons Geburtstag!‘ War man aber nicht ganz in der Nähe, so las man: ‚ZWANG!‘, weil die anderen Buchstaben so klein waren, daß sie schon in einer geringen Entfernung verschwanden. Ohne sich eine starke Blöße zu geben und sich zu blamieren, konnte man nicht wohl dem Mann, der so illuminierte, etwas anhaben.

Berthier, Massena und Davoust erhielten an diesem Tag die fürstliche Würde, mehrere tausend Kreuze der Ehrenlegion wurden ausgeteilt, und die Errichtung eines neuen Ordens, des der drei goldenen Vließe, verkündet.

Napoleon kam indessen nur wenig, meistens im strengsten Inkognito und bei Nacht, in Zivil gekleidet, gewöhnlich von Duroc und Berthier begleitet, nach Wien, und so besah er auch die ihm zu Ehren gemachte Illumination. Zeigte er sich am Tage zu Pferde oder wurde man ihn gewahr, so war er schnell von einer ungeheuren Volksmasse umringt. Auch der Wiener Adel suchte in seine Nähe zu kommen und gab sich unsägliche Mühe, ihm vorgestellt zu werden oder wenigstens den theatralischen Vorstellungen zu Schönbrunn beiwohnen zu dürfen, zu denen der Zutritt nicht jedermann gestattet war.

Trotz den Friedensunterhandlungen benutzte Napoleon die Zeit des Waffenstillstandes auf das beste und ließ Wien und seine nächsten Umgebungen in einen furchtbaren Verteidigungszustand setzen. Namentlich waren es die Werke am Spitz, welche ihn beschäftigten, und zu deren Gunsten man die schönsten Häuser demoliert hatte. Vor dem Brückenkopf wurden sechs große Redouten angelegt, die gewissermaßen ein verschanztes Lager bildeten. Am Spitz und am Tabor wurden Magazine für Pulver und Lebensmittel gebaut, sowie ein Artilleriepark mit achtundvierzig Geschützen versehen. Auch Minen, Lünetten, Tambours, Blockhäuser und so weiter fehlten nicht, wo man sie für nötig erachtete, und in dem Lager an dem Spitz hatte man Baracken aus den Balken, Brettern, Türen und Fenstern niedergerissener Häuser, Ställe und Scheunen erbaut.

Unterdessen war ich in meinem angenehmen Quartier recht heimisch geworden und fand meine Wiener Damen für den Sinnengenuß sehr empfänglich. Zu der Mama der beiden Komtessen war ich, des Sprichwortes eingedenk: ‚Wer die Töchter haben will, muß der Mutter den Hof machen‘, recht artig und gefällig, lebte jetzt in dem Haus wie der Vogel im Hanfsamen, war der Hahn im Korb bei fünf Hühnern, die alte Henne und die zwei hübschen Kammerkätzchen inbegriffen, die alle vergnügt waren, daß ich deutsch sprach, da die Mädchen gar nicht und die Komtessen nur ein sehr schlechtes gebrochenes Französisch sprachen, obgleich sie mehrere Jahre die französische Sprache studiert hatten. Allerdings mit Hilfe der durch ihren geistreichen Inhalt berühmten Meidingerschen Grammatik, die damals noch weit fehlerhafter und abgeschmackter war als später, nachdem Debonal den großen Meidinger wegen seiner Fehler und Absurditäten gegeißelt hatte. Die Mama hatte den Kindern und dem Gesinde empfohlen, ja recht artig gegen mich zu sein, damit es keine Unannehmlichkeiten mit der Einquartierung absetze, und dieser weise Rat ward von den gehorsamen Töchtern und Mädchen bestens befolgt. Während die jüngere Tochter, Komtessa Elisa, mit der Mama morgens die Kirche besuchte, musizierte ich mit der älteren, Gräfin Eleonora, studierte italienische Duettini mit ihr ein, und sang den zweiten oder dritten Morgen das Duett aus Winters ‚Unterbrochenem Opferfest‘: ‚Wenn mir dein Auge strahlet‘ mit ihr, wobei ich aber den Text meiner Partie aus dem Stegreif veränderte, so daß aus dem phlegmatischen kalten englischen Eisblock Murney ein feuriger, sich Myrrhas Wünschen hingebender Liebhaber wurde. Eleonore fragte nun errötend: „Aber was machen Sie denn da, Sie singen ja ganz andere Worte, als da stehen.“ – „Um Vergebung, meine Gnädige, ich sang gerade, wie es mir meine Gefühle eingaben, die mich unwiderstehlich hinrissen.“ – „Aber nein, Sie müssen halt so singen, wie es da g’schrieben steht.“ – Diese Worte waren, wenn auch im österreichischen Dialekt, der in dem Mund hübscher Frauen ebenso angenehm, als in dem der Männer unausstehlich widerlich klingt, in einem solchen Ton und mit so lieblich lächelnder Miene gesprochen, daß ich wohl sah, wie wenig es ihr Ernst damit war. Ich erwiderte nun, daß ich mein möglichstes tun wolle, so wie sie es verlange, zu singen, affektierte aber, als koste es mich unsägliche Mühe, den richtigen Text herauszubringen, und sang dabei ohne allen Ausdruck. – „Aber nehmen Sie es mir nicht übel,“ fiel mir die Komtesse jetzt wieder ein, „Sie sangen soeben weit besser.“ – „Ja, meine Gnädige, so geht es, wenn man etwas contre coeur tut. Wenn ich singen möchte: ‚Ach wahre dieses Feuer, die Liebe ist mir Pflicht!‘ statt ‚Ach dämpfe dieses Feuer, uns trennet meine Pflicht!‘, so kann ich, da dies ganz gegen meine Gefühle ist, auch nur kalt und gefühllos singen.“ Ich veränderte nun dennoch manchmal den Text, indem ich trotz dem Verbot alle Augenblicke etwas improvisierte, und die Gräfin lächelte. Als das oft unterbrochene Duett zu Ende war, sagte sie: „Gott sei Dank, lassen Sie uns jetzt etwas anderes singen.“ – „Mit Vergnügen, meine Gnädigste, etwa das kleine Duett aus dem ‚Don Juan‘?“ – „Welches?“ – „Reich mir die Hand, mein Leben.“ – „Ich will wohl, aber ich habe den ‚Don Juan‘ nicht.“ – „Aber ich.“ – „Sie erlauben einen Augenblick,“ und husch war ich zur Türe hinaus und in wenig Sekunden mit meinem Klavierauszug zurück. – „Wollen’s nit auch den Text verändern, Herr von Fröhlich?“ (in Wien nennen sie alles ‚von‘) wurde ich nun schalkhaft gefragt. – „Behüte der Himmel, meine Gnädige, der ist vortrefflich.“ – „Nun so werd’ ich’s halt tun.“ – „Bitte, ja nicht.“ – Wir sangen, und Eleonore versuchte wirklich, zu improvisieren. Aber es wollte ihr durchaus nicht gelingen, denn sie konnte das zur Musik passende Silbenmaß nicht treffen. – „Sehen Sie, meine Gnädige, es will nicht gehen, Mozarts Musik verträgt keine Worte, die nicht zu ihr passen. Singen wir das Duett, wie es da steht.“ – „Aber nicht bis an das Ende, wo sich Zerline ergibt.“ – „O doch, meine Gnädige, dies ist ja gerade der schönste Moment. Wenn nur das Unglück keine störende Elvira herbeiführt.“ – Ich schlug ihr nun vor, mit Aktion zu singen. – „Wie meinen Sie das?“ – „Je nun, meine Gnädige, die Handlung, welche der Text besagt, durch Mienen und Bewegungen auszudrücken.“ – „Ah so, Komödie spielen! Bewahre der Himmel, in allem Ernst.“ – „Seien Sie ruhig, wir wollen singen.“ – Ich sang nun: „Reich mir die Hand, mein Leben,“ und wagte es, meinen Arm um ihre schlanke Taille zu schlingen, erst ganz leise und dann crescendo bis zum fortissimo. – „Aber, mein Gott, was machen’s?“ – „Ich singe mit Aktion, da geht es besser.“ – „Aber wie kann ich so spielen?“ (sie akkompagnierte). Sie fuhr indessen zu spielen fort, und als wir an das Allegro kamen und die Worte: ‚So laß uns ohne Weilen der Lust entgegen eilen‘ sangen, drückte ich sie innig an mich und küßte ihre schöne Stirne. – Jetzt sprang sie vom Klavier auf, aber ich faßte sie, küßte sie auf den Rosenmund und wollte trotz Sträuben und Ach mit ihr ins Seitengemach. Da ging plötzlich die Stubentüre auf und herein trat ihr allerliebstes Kammerkätzchen Therese. Als ich jedoch den Druck der Klinke hörte, hatte ich mich schnell aus den Armen der Gräfin gerissen und stand kerzengerade wie ein Grenadier in ehrerbietiger Stellung vor der Dame, da das Mädchen die Türe geöffnet hatte, das um ein Kommodeschlüsselchen bat. Ihre Herrin fuhr sie aber mit den Worten an: „Dummes Ding, weißt nit, daß es auf meiner Toilette liegt?“ – „Verzeihen’s, Ihr Gnaden, ih hab’s do halt nit finden können.“ – „So suche wo anders, hab’s nit.“ – Und so war die Zofe abgefertigt; kaum zur Türe hinaus, sagte die Dame: „Was wird das Mädel denken?“ – „Nichts, meine Gnädige,“ erwiderte ich, die Hand küssend, „als sie hereinkam, stand ich schon drei Schritte von Ihnen entfernt.“ – Ich drückte nun die niedliche Hand an meine Brust, schloß die Besitzerin derselben halb mit Gewalt in meine Arme und bedeckte ihren Mund mit Küssen. Röter und röter färbte sich die Glut ihrer Wangen, da rollte ein Wagen vor, und die gnädige Mama, mit der jüngeren Tochter aus der Kirche kommend, trat bald darauf ins Zimmer, wo sie uns beide so emsig am Klavier musizierend fand, daß sie ihre Freude daran hatte. Komtesse Elise stellte sich neben uns, zuhörend. Wir spielten und sangen nun noch eine Weile und kamen dann überein, daß ich die Damen diesen Abend in das Theater in Zivilkleidern begleiten dürfe, wo die ‚Kreuzfahrer‘ wiederholt wurden. Ich ging auf mein Zimmer, schrieb ein Billettchen an die Gräfin Leonore, in welchem ich ihr die Glut meiner unendlichen, ewigen Liebe mit den feurigsten Worten schilderte, und sie am Schluß um Erhörung und eine ungestörte Zusammenkunft bat. Das Billett ließ ich ihr beim Dessert – ich saß immer zwischen ihr und der gnädigen Mama – unvermerkt auf den Schoß fallen, sie dabei mit den Knien anstoßend. Sie deckte es mit der Serviette zu, und wußte es dann ebenso unvermerkt in den Busen zu bringen. Bald nach Tisch entfernte ich mich unter einem Vorwand, um ihr Zeit und Gelegenheit zu geben, es zu lesen, und kam in einer Stunde zurück, die Damen zu einer Spazierfahrt einladend. Als wir heimkamen und ich mich auf mein Zimmer begab, begegnete ich Theresen auf dem Gang vor demselben, die mich lächelnd grüßte. Ich fragte, warum sie lache. – „O das werden Euer Gnaden halt schon g’merkt haben.“ – Ich nahm sie bei der Hand, und ihr diese drückend, sagte ich: „Du bist ein Schelm, aber sei hübsch verschwiegen, dann soll es dein Schaden nicht sein,“ und küßte sie dabei. – „Ihr Gnaden sind’s halt doch än loser Vogel,“ meinte sie. – Ich drückte ihr nun ein paar Gulden in die Hand, sie nochmals küssend, ihr Stillschweigen empfehlend, und sie bittend, mir bei ihrer Herrschaft das Wort ein wenig reden zu wollen. – „O das ist gar nit notwendig,“ platzte sie jetzt heraus, „Ihr Gnaden haben meiner Herrschaft gleich g’fallen, und wie Sie den ersten Tag z’uns ins Quartier kommen sind, hat d’gnädig Frau g’sagt: ‚’s doch ein ganz ander Ding, so a französ’scher Offizier, als uns’re steifen Holzblöcke, mit denen gar nix anz’fangen is, so aner draht sich halt zehnmal rum, bis unser einer den Fuß nur lupft, ’s is halt ka Wunder, wenn’s so von ihnen klopft werd’n‘; und dann fragt’s mi in am weg, was Sie schaffen tun, ob’s z’Haus sind un so mehr.“ –

Ich küßte nun das liebe Mädchen noch ein paarmal, ging dann auf mein Zimmer und nach Verlauf von ein paar Stunden wieder zu meinen gastfreundlichen Wirtinnen hinab, bei denen ich noch einige andere Wiener Damen vom hohen Adel traf, die sich, als sie hörten, daß ich ein Deutscher, und zwar aus dem Reiche wäre, wie sie alle deutschen, nicht zu Österreich gehörenden Länder nannten, bitter beschwerten, daß die deutschen Truppen, namentlich die Bayern, weit ärger als die Franzosen selbst in den kaiserlichen Erblanden hausten; an den letzteren aber hatten sie hauptsächlich auszusetzen, daß sie sogar keinen Unterschied zwischen dem hohen Adel und dem Bürgerpack machten, es ihnen gleich sei, ob sie eine hübsche Bürgersfrau oder eine Gräfin aus uraltem Haus vor sich hätten, und das Schlimmste sei, daß, wenn sie lange in Österreich blieben, das Volk am Ende auch von solchen verruchten Grundsätzen angesteckt würde. Schon merke man, daß die Wiener nicht mehr wie früher mit derselben ehrfurchtsvollen Untertänigkeit den hohen Herrschaften begegnen. Dies sei ein abscheulicher Jakobinismus und so weiter. – „Halten zu Gnaden, meine Gnädigen,“ sagte ich endlich, „wir sind aber doch am Ende alle aus demselben Teig geknetet.“ – „Das sind sehr schlimme Grundsätze,“ meinte eine der Damen, „die noch allen Respekt über den Haufen werfen werden.“ – Gräfin Leonore suchte nun der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben, lenkte die Sprache auf die Musik, und wir sangen den Damen etwas vor. Unter dem Gesang fragte ich sie, ob sie mir keine Antwort auf mein Briefchen zu geben habe, konnte aber nur ein „Stille!“ von ihr herausbringen. Die Zeit zu dem Theater war herangekommen, die fremden Damen entfernten sich und wir fuhren in die ‚Kreuzfahrer‘. Das Haus war zum Erdrücken voll, meine Wirtinnen fanden großen Gefallen an der Vorstellung, doch meinte die Mama, es sei sündhaft, Kirche, Klöster und Nonnen in der Komödie nachzumachen. Bei der Heimfahrt saß ich Leonoren en face und machte gehörigen Gebrauch vom Kutschenrecht, ihr die Knie zusammendrückend, während ich meiner Nachbarin zur Linken, der Komtesse Elise, das zarte Händchen drückte. Beim Souper war fast von nichts anderem als der schönen Emma von Falkenstein, ihrem Kreuzritter Balduin und den beide rettenden Ungläubigen die Rede. Mama meinte: „Ich ließe mir das Stück noch gefallen, wenn es nur keine Türken wären, welche die Nonne vom Einmauern befreien und eine christliche Kirche so entweihen. Hätte sie denn der Kotzebue nicht lieber durch deutsche Ordensherren befreien lassen können? Aber das ist doch auch so ein halber Jakobiner, dem Gott seine Sünden verzeihen möge, solche Skandalstücke, wie: ‚Das Kind der Liebe‘ und ‚Don Ranudo de Colibrados‘ gemacht zu haben, wo er den hohen Adel dem Spott und Gelächter des gemeinen Pöbels preisgibt.“ – Als ich um zehn Uhr den Damen eine gute Nacht gewünscht, um mich auf mein Zimmer zu begeben, begegnete ich Theresen abermals auf dem Gange. Ich küßte sie wieder, zog sie trotz ihres scheinbaren Widerstrebens durch meine Stubentüre und ließ die hübsche Soubrette kaum zu Worte kommen. Endlich aber sagte sie: „Ihr Gnaden, nur jetzt nit, lassen’s mi aus, die gnäd’ge Gräfin kann ja jeden Augenblick rufen oder gar selbst kommen, dann gäb’s än schönen Spektakel, und Sie haben nix davon.“ – „Gut, ich will dich jetzt lassen, aber ich besuche dich heute nacht, wo ist deine Kammer?“ – „Aber i schlaf ja nit allein, die Toni (das Kammermädchen der alten Gräfin) schlaft ja mit mir in der nämlichen Stube.“ – „So komme du zu mir.“ – „Wenn’s aber die Toni merkt?“ – „Sie wird nichts merken, wenn du es klug anfängst.“ – „Na, so lassen’s mi nur jetzt aus, wann ich’s halt machen kann, so komm i, die Hand drauf.“ – Sie gab mir die Hand, ich küßte sie nochmals, und husch war sie zur Türe hinaus. Noch zwei gute Stunden blieb ich, den dienstbaren Geist, in meinem Zimmer vergeblich wartend, auf, als aber die Geisterstunde geschlagen hatte und er dennoch nicht erschien, da warf ich mich, über die getäuschte Erwartung mißmutig, in mein Bett.

Den andern Morgen begab ich mich zur Parade abermals nach Schönbrunn. Zurückgekehrt, fand ich Eleonore wieder allein, und begann damit, ihr den guten Morgen durch eine Umarmung wünschend, ihr ihre Grausamkeit, die mich zur Verzweiflung bringen müsse, vorzuhalten, woran ich sie bat, doch Mitleid mit meinem Zustand zu haben, wenn sie nicht wolle, daß ich vor Gram und Kummer vergehen solle. Nach noch einigem Zieren drückte sie mir endlich ihr Mitleid durch Erwiderung meiner Küsse aus, und ich bat nun um Erhörung meiner heißesten Wünsche, womit ich jedoch noch ganze vierundzwanzig Stunden hingehalten wurde. Mutter und Schwester kehrten zurück, ehe wir uns noch an das Instrument gesetzt hatten, auch musizierten wir diesen Morgen nicht. Als ich vor Tisch auf mein Zimmer ging, fand ich Therese wieder am Ende des Korridors, die mir mit der Hand winkte, ich aber stellte mich, als wollte ich es nicht merken. Sie näherte sich nun und nickte dabei so freundlich mit dem Köpfchen, daß ich unmöglich widerstehen konnte und mich ihr mit den Worten näherte: „Daß du mich gestern abend so lange vergeblich warten ließest, verzeihe ich dir nimmermehr, du bist eine Erzschelmin.“ – „Schauen’s, Ihr Gnaden,“ flüsterte sie mir zu, „es tut’s halt nit, daß ich auf Ihre Stuben komme, dann die gnäd’ge Mama und die jüngste Komtesse schlafen ganz in der Nähe, und hören, wenn sich ein Mäusel rührt; ’s wird halt doch besser sein, Sie kommen zu mir.“ – „Aber Toni?“ – „Tut nix, die schläft wie än Ratz, wenn ich’s Licht ausblase, sie verrät nix, sie waß schon warum; aber kommen’s nit vor Mitternacht.“ – Ein Kuß bekräftigte den Vertrag und husch war das lose Mädchen verschwunden. Nach Tisch fuhr ich mit der Komtesse allein im Prater spazieren, und hier gelang es mir, die Erlaubnis, in der kommenden Nacht einen Besuch abstatten zu dürfen, auszuwirken. Denselben Abend verließ ich unter dem Vorwand von Kopfweh die Damen bald nach Tisch, und auf meinem Zimmer ungeduldig die übereingekommene Stunde abwartend, war ich unschlüssig, ob ich erst die Komtesse oder Therese besuchen solle. Doch entschied ich mich bald für die Dame. Die Zofe, dachte ich, bleibt dir immer, und dann hat sie dich ja in der vergangenen Nacht auch vergeblich warten lassen. – Kurz vor Mitternacht, als im ganzen Haus alles still geworden war, schlich ich mich an der Gräfin Stubentüre, fand sie offen, und die Dame bei einer Nachtlampe in dem verführerischsten Nachtgewande, wie es schien, schlafend, und zwar sehr fest, denn ich hatte Mühe, sie wach zu machen, was erst der Fall war, nachdem ich schon ziemlich handgreiflich wurde. Es war gegen Morgen, als ich das hochgräfliche Zimmer verließ. Den anderen Tag sahen wir uns fast nur bei Tische, denn wir waren beide ziemlich müde. Ich machte es ärger als es war, und klagte über starkes Kopfweh, denn ich wollte die kommende Nacht mit der niedlichen Zofe zubringen. Diese traf ich nach Tische wieder auf dem Korridor vor meinem Zimmer, wo sie mich boshaft lächelnd fragte: „Nun, wie haben denn Euer Gnaden die Nacht zugebracht?“ – „Sehr ruhig, denn ich war sehr unwohl.“ – „So,“ versetzte sie keck, „glauben’s, Sie können mich so anplauschen? Was denken’s? Ih weiß recht schön, wo Sie g’weß’t sind. Schauen’s, mir können’s nix vormachen. Ih merk’ alles, bei der Herrschaft sind’s gewesen, und wann ih’s nit schon so g’wußt hätt, so hätt’ ih’s doch bei’m Bettmachen gemerkt. Ih bin nit von heut.“ – Und dabei lachte die Spitzbübin recht schelmisch, und fuhr fort: „Aber Sie brauchen’s si halt gar nit vor mir zu schenieren, wir können deshalb doch gute Freunde bleiben. Ih werd’ niemand was davon sagen, nit ämol der Toni.“ – Ich drückte nun dem schnippigen Mädchen einen Dukaten in die Hand, küßte das vorlaute Mäulchen, und sagte: „Aber heut Abend darf ich doch kommen, nicht wahr?“ – „Ja, wenn’s wollen, aber was wird meine Herrschaft sagen?“ – „Ich habe Kopfweh.“ – „Aber wenn’s mi wieder anführen!“ – „Gewiß nicht, du bist selbst schuld daran gewesen, wärst du das erstemal gekommen, so ...“ – „O gehen’s aus, S’ wären doch zur Komtesse gegangen. Aber Sie haben recht, Sie brauchen sich nit zu schenieren.“ – Sie wollte noch weiter ihr Mäulchen spazieren lassen. Ich stopfte es ihr aber mit Küssen, ihr versichernd, daß ich heute nacht unfehlbar kommen würde und sie sich darauf so sicher als auf ihren dereinstigen Tod verlassen könne. – „Sein’s still vom Tod, davon will nix hören.“ –

Diesen Abend machte ich mich unter dem Vorwand der Kopfschmerzen wieder bei Zeit vom Tische auf und schlich um Mitternacht auf den Zehen zur Kammer der Zofen, die ich leise öffnete und in der es stockfinster war. Nachdem ich mich einige Augenblicke mäuschenstill verhalten hatte, aber nicht einmal atmen hörte, hüstelte ich eins, zwei- und dreimal, und hörte endlich ein Gekicher auf der linken Seite, dem ich nachging und so im Dunkeln tappend an ein Bett kam, wo ich flüsterte: „Therese, bist du’s?“ – Da ertönte ein Lachen von der entgegengesetzten Seite, wohin ich nun so schnell, als es mir die Finsternis gestattete, eilte. Hier erwischte ich einen Kopf, an dessen Hals ich hinabglitt und sagte: „Jetzt sollst du mir nicht mehr entgehen.“ – „Ach, ich bin ja nicht die Therese, ich bin Toni,“ und hinter der Rednerin kicherte es wieder – „Was, zum Henker, ihr liegt in einem Bett?“ – „Freilich, wir fürchten uns beide, allein zu sein.“ – „Doch nicht vor mir?“ – „Vor wem denn sonst?“ – „Wartet, das soll euch schlecht bekommen.“ – Husch war ich bei den Mädchen im Bett, bald rechts, bald links schäkernd. – Den andern Morgen kam ich, was ich noch nie getan, erst zum Mittagessen zu den Damen hinab, noch immer über Kopfweh klagend, was auch mein Aussehen nicht Lügen strafte. – ‚Bei Weibern, Lieb’ und Wein und Kuß lebt’ ich nun recht in Floribus‘ in der sich in ewigem Sinnentaumel befindenden Kaiserstadt, und knüpfte zuletzt auch noch ein zärtliches Verhältnis mit der schönen Braut, der Komtesse Elise, an, wohinter die nicht minder wie ihre Kameradin schelmische Toni kam, die mir dann, so oft sie mich sah, ein österreichisches Volksliedchen, das mit den Worten:

Es sind bereits schon hundert Jahr,

Trallalililirallala,

Daß in Wien ein Fräulein war,

Trallalililirallala,

Ein allerliebstes schönes Kind,

Wie unsre Fräulein alle sind usw.

begann, vordudelte.

Mein Schlaraffenleben in Wien, während die anderen französischen Truppen daselbst bei Tag und Nacht keine Ruhe und den beschwerlichen Dienst hatten, konnte aber nicht ewig dauern, und es war hohe Zeit, daß ich an die Rückkehr nach Italien dachte; um so mehr, da ich auch noch eine kurze Zeit in Venedig, das ich nicht gesehen, und einigen anderen Städten, wie Ravenna, Ferrara und so weiter verweilen wollte. Einige Versuche und Schritte, die ich bei Duroc, Ney und ein paar anderen Generalen, um eine Versetzung zur Garde zu bewirken, machte, waren vergeblich gewesen. Ich ermannte mich nun, riß mich aus den Armen meiner Schönen, ließ Postpferde bestellen, und befand mich bald wieder auf dem Weg nach Italien.

Als ich von Wien abreiste, sprach man schon viel von dem nahen Friedensabschluß, gegen den sich manche Schwierigkeiten erhoben, und der erst im Oktober zustande kam. Ich wollte anfänglich über Linz, Salzburg, Innsbruck und so weiter gehen. Da mir aber auch dieses noch zu viel Zeit geraubt haben würde, so reiste ich auf dem Weg, den ich gekommen war, zurück. In Klagenfurt hielt ich mich ein paar Stunden auf und sah das Schloß und das Landhaus daselbst. Die Stadt hatte starke Mauern, die aber noch in demselben Jahre niedergerissen wurden. Von hier fuhr ich über das Städtchen Villach, ohne mich aufzuhalten, bis Ponteva, dem letzten Ort, der der weiland durchlauchtigsten Republik Venedig gehörte, und gewissermaßen das Eingangstor nach Italien von Kärnten aus bildete, da es in einer engen Schlucht liegt. Auch hörte hier mit einemmal die deutsche Sprache auf, und man findet sich nach Italien versetzt. Als ich eben abfahren wollte, brach mir eine Wagenachse, die ich vermittelst eines starken Bandes doch noch bis Udine haltbar machte, wo ich beinahe einen halben Tag verweilen mußte, bis der Schaden wieder repariert war. – Udine ist eine ziemlich lebhafte Stadt, die an den Ufern des Tagliamento und des Isonzo in einer weiten fruchtbaren Ebene liegt und mehrere schöne Kirchen mit guten Gemälden hat. In ihrer Nähe ist das durch den Friedensschluß von 1797 berühmt gewordene Campo Formio, dem zu Ehren man eine Statue des Friedens auf dem großen Platz zu Udine errichtet hat. Auch die Ruinen des berühmten alten Forum Julii befinden sich in der Umgegend. Nachdem die neue Achse gemacht war, setzte ich meine Reise fort. Je mehr man sich der Mark von Trevisa nähert, desto mehr scheinen Fruchtbarkeit und Wohlhabenheit zuzunehmen. Diesen Landstrich nannte man den Garten Venedigs. Trevisa selbst, das alte Tarvisium, liegt mitten in demselben, hat hübsche Plätze und eine schöne Kathedrale. Der Weg von hier nach Mestre führt durch Gärten und Weinberge an schönen Villen vorüber. Mestre ist ein wohlhabender Marktflecken, dessen Einwohner meistens Schiffer und Fischer sind. Hier schiffte ich mich samt meinem Gepäck auf einer Barke nach Venedig ein, denn ich hatte mir vorgenommen, in dieser seltsamen, merkwürdigen Stadt auf meiner Rückreise einige Tage zu verweilen.

XV.
Venedig. – Sankt Markus-Kirche und Turm. – Der Dogenpalast. – Die Pozzi und Piombi. – Die Rialtobrücke. – Das Arsenal. – Die Vermählungszeremonie mit dem Adriatischen Meer. – Venedigs Flor und Verfall. – Der St. Markusplatz. – Die Venezianerinnen. – General Menou. – Dessen religiöse Ansichten. – Ein Mordanfall. – Abreise von Venedig. – Padua. – Ferrara. – Ravenna. – Der Domgeist daselbst. – Eine schöne Reisegefährtin. – Velettri. – Jagd in den Pontinischen Sümpfen. – Abreise nach Paris.

Es war gegen Abend, als ich durch die Lagunen wogte, die feurigen Strahlen der untergehenden Sonne beleuchteten die aus den Fluten majestätisch hervorragende Beherrscherin der Meere, die alte Dogenstadt und den Sankt Markusturm. Je mehr ich mich näherte, desto wundersamer wurde ich von ihrem Anblick ergriffen. Erst kürzlich hatte ich ihre seltsame und außerordentliche Geschichte wieder gelesen, und all diese grausen und abenteuerlichen Begebenheiten schwebten mir während der kurzen Überfahrt vor Augen. Einst so mächtig, frei und reich, machte sie mehr als einmal den von aller Welt gefürchteten Halbmond zittern, und jetzt beugte sie sklavisch ihr Haupt unter dem Joch des eisernen Szepters des Korsen. – Was ist aus ihren Schätzen, ihrer Macht, ihren Siegen geworden? – Die Namen Byzanz, Candia, Morea sind nur noch ein hohlklingender Schall. Jenes Venedig, vor dem sich ein Kaiser gedemütigt, in dem selbst die Macht der gefürchtetsten Päpste nur ein Schatten war, das, der Blitze des Vatikans spottend, die Jesuiten in vierundzwanzig Stunden zum Tempel hinausjagte, das Monarchen zu seinen Prunkfesten einlud, ihnen nach Gutdünken die Ehre, in seinem goldenen Buche zu stehen, erzeigte oder verweigerte, jenes Venedig war längst nicht mehr, und die jetzige Meerstadt schien nur noch das prächtige Grabmonument der verblichenen. Wer weiß, wie lange es dauert, so ist auch dieses ungeheure Prachtmonument der Marmorpaläste in den Fluten versunken, aus denen es emporstieg. Denn verödet waren seine Gebäude, in noch halbvergoldeten Marmorsälen hockte jetzt in einem Winkel oft ein halbverhungerter Schuhflicker, mühsam einige Gazette (ein paar Pfennige) zu verdienen. Nicht mehr öffneten sich die Fluten des Adriatischen Meeres, den bräutlichen Ring des herzoglichen Gatten zu empfangen. Hier und da sah man noch einen halb verstümmelten geflügelten Löwen, der gleichsam wie ein Warnungszeichen das Buch des unerbittlichen Schicksals in der Tatze hielt, und die Trümmer des Bucentaurus gingen ihrer völligen Auflösung entgegen. Die vielen schwarzen Gondeln erschienen mir beinahe wie ebensoviel schwimmende Särge.

Ich fuhr bei der Dogana vor, und nachdem ich mich gehörig legitimiert hatte, in die Stadt, wo ich in einem Albergo abstieg. Für diesen Abend war es zu spät, mich noch bei der Kommandantur zu melden und so ein Quartier zu erhalten. Aber kaum installiert, begab ich mich auf den nicht sehr entfernt liegenden Markusplatz, wo ich den ersten Abend promenierend oder an einem Kaffeehaus sitzend zubrachte und mir Sortis Beschreibung samt dem Plan von Venedig kaufte, um mich gehörig und baldigst zu orientieren.

So war ich denn endlich in der Stadt, so berühmt und gefürchtet durch ihre furchtbare Staatsinquisition, durch das mysteriöse und geheimnisvolle Verschwinden ihrer Individuen, wie durch ihre Banditen, ihre Folterkammern, Bleidächer, Pozzi, Verbrechen und durch die galanten Abenteuer ihrer schönen Frauen. Schon als Kind hatte ich mir immer gewünscht, einmal die Stadt zu sehen, in der Zschokkes Abällino und Flodoardo ihr abenteuerliches Unternehmen getrieben, und hielt diese für historische Personen, was ich nun zu ergründen mir fest vornahm.

Den andern Morgen meldete ich mich in aller Frühe und machte auch dem Gouverneur, General Menou, meine Aufwartung, der mich nicht nur äußerst freundlich aufnahm, sondern mir selbst, zuredete, meinen Aufenthalt auf vierzehn Tage auszudehnen, da ich ja nichts zu versäumen habe und mir die Kommandantur von Velettri nicht entgehe. Von diesem ging ich zu den Gebrüdern Heinzelmann, deutschen Bankiers, an die ich Empfehlungsschreiben von Haus hatte und für eine kleine Summe akkreditiert war. Die ersten Tage meines Aufenthaltes brachte ich fast nur damit zu, die seltsame Stadt kennen zu lernen. Seltsam ist der richtige Ausdruck, denn alles ist sonderbar, ja einzig in ihr. Ihre Lage, ihre Geschichte, ihre Bewohner, ihre Sitten und so weiter, alles hat einen ganz eigenartigen Charakter. Man trifft dies nicht zum zweiten Male in der Welt an. Hundertfünfzig Inseln, die durch Kanäle getrennt und durch dreihundert Brücken wieder miteinander verbunden sind, scheint die große Stadt ein auf dem Meer schwimmendes Labyrinth, mit vielen krummen Gäßchen, in denen man sich ohne Führer gar leicht verirrt. Der große Kanal in Form eines schlecht geschriebenen Zweiers, teilt sie in zwei ungleiche Hauptteile. Die vielen schwarzen Gondeln, die man unaufhörlich in allen Richtungen fahren und kreuzen sieht, geben der Stadt ein düster bewegtes Leben, und die verödeten Marmorpaläste, welche eine längst vergangene Herrlichkeit andeuten, machen einen schwermütigen Eindruck auf das an diese Gegenstände nicht gewöhnte Auge. Anders jedoch gestaltete sich Venedig in früheren Zeiten, wo es beständig von Larven wimmelte, und namentlich im Karneval, wo die buntesten und barocksten Masken mit den schwarzen und scharlachnen Mantelträgern wechselten, wo die schwarze Nationaltracht der reizendsten fein- und weißhäutigsten Frauen entzückte. Ich habe nirgends geistreichere und ausdrucksvollere Frauenphisiognomien gesehen als in Venedig, deren feine Züge und etwas blasses Aussehen sie zu wahrhaft transparenten Schönheiten machen, wenn ich mich so ausdrücken darf. Gerade diese Blässe bei einer fast durchsichtigen Haut, welche den Damen der höheren Stände eigen ist, und ihr schwarzes Feuerauge macht sie zu fast ganz geistigen, ätherischen Schönheiten, denen zwar das Majestätische der Römerinnen, das Frische der Toskanerinnen, der durchbohrende Blick der Genueserinnen abgeht, was aber ihr nymphenartiges Wesen hinreichend ersetzt, wenn es auch die Sinne vielleicht weniger aufregt. Zu diesem bunten Gewühl der Vorzeit denke man sich noch die unzähligen Pfaffen und Mönche aller Farben und Kutten, die hier, sowie die Nonnen, ein sehr freies, ja ausschweifendes Leben ganz ungestört führen konnten, so lange sie sich nicht in politische Intrigen einließen. Soldaten und Sbirren der Republik, aus allen Nationen geworben und in den wunderlichsten Trachten, Griechen, Armenier, Muselmänner, Bravi und Buli, Banditen eigener Art, dazu der Doge, die Signoria, der furchtbare Rat der Zehn, aus dem die noch schrecklicheren Drei hervorgingen, dies alles gestaltet ein so phantastisches Bild, wie es auch die ausschweifendste Einbildungskraft nicht bunter schaffen kann. Den ersten Tag fuhr ich in einer Gondel den Canal grande, der auf beiden Seiten mit den schönsten Palästen, oft Meisterstücken der Architektur, geschmückt ist, von einem Ende zum anderen, hin und zurück. Dann längs der Riva degli Schiavoni der Piazetta, wo die ehemals so verhängnisvollen Säulen stehen, an dem Palazzo Ducale, an den Schauergefängnissen und so weiter vorüber in den Kanal San Marco, dann durch den der Giudecca, durch einige kleinere Kanäle und endlich wieder in die Nähe des Sankt Markusplatzes, wo ich ans Ufer stieg. Dieser Platz, der einzige in Venedig, dem man diesen Namen beilegen kann, ist ringsum von Arkaden umgeben, unter denen sich Kaffeehäuser, Kasinos und so weiter befinden. Der kleinere Teil desselben, der an dem Meer liegt, wird die Piazetta genannt. Seine schönste Zierde ist die Sankt Markuskirche, ein Gebäude, das seiner sonderbaren Bauart halber mit den übrigen Sonderbarkeiten dieser Stadt harmoniert. Der seltenste und ausgesuchteste orientalische Marmor ist bei der Konstruktion dieses Tempels, der die kostbarsten Mosaikarbeiten aufzuweisen hat, verschwendet worden. Zwei Bürger Venedigs, die den Leichnam des heiligen Markus von Alexandrien zu Anfang des neunten Jahrhunderts hierherbrachten, den jedoch auch das Kloster Reichenau als einzig echt zu besitzen behauptete, waren die Veranlassung zum Bau dieser Kirche, zu welcher der Doge Partecipazio, dem toten Heiligen oder heiligen Toten zu Ehren, den Grundstein legte. Sein Bruder Giovanni, zugleich sein Nachfolger, vollendete das fromme Werk, ließ den Leichnam in einen kostbaren metallenen Sarg legen und in einem verborgenen Winkel der Kirche begraben. Als aber 976 das gute Volk gegen den bösen Dogen Candian aufstand und dessen Palast in Brand steckte, da ergriffen die nicht mehr zu bändigenden Flammen auch diese Kirche und verzehrten noch ein halbes Tausend anderer Gebäude. Der Nachfolger Candians war der fromme Orseolo, der den Markustempel größtenteils auf seine Kosten wieder prächtiger aufbauen ließ. Sein Nachfolger setzte das begonnene Werk fort, und nach einem Jahrhundert stand die Kirche in der Form da, wie man sie jetzt noch sieht. Die Mosaikarbeiten ließ größtenteils der Doge Selvo verfertigen und sie sind zum Teil so schön, daß man sie für vorzügliche Gemälde hält. Die Markuskirche ist sehr massiv und dauerhaft gebaut. Ihre Vorhallen bestehen aus fünf Bogen, über denen sich noch fünf andere Bogen, die durch eine Galerie von den ersten getrennt und sehr reich verziert sind, befinden. Diese mit unzähligen Säulen von Porphyr, afrikanischen, paphischen und anderen kostbaren Marmorarten versehenen Bogen bilden das Portal der Kirche mit fünf Eingängen, deren Türen von Bronze sind. Über dem mittleren, weit höheren Bogen standen die vier berühmten vergoldeten Sonnenpferde, die aber jetzt in Paris gastierten, und unter der Spitze desselben der große geflügelte Löwe, ebenfalls von vergoldeter Bronze, mit einer Tatze das goldene Buch festhaltend. Darüber befindet sich noch eine zweibeinige Statue des heiligen Markus, welche die vierbeinige in ihren Schutz zu nehmen scheint. Die vielen runden Kuppeln, welche über der Fassade der Kirche hervorragen, geben derselben ein sehr orientalisches Ansehen. Es sind deren fünf, in Kreuzform geordnet, alle sowie das ganze Dach mit Blei gedeckt und haben vergoldete Kreuze. Zwischen den oberen Bögen und auf beiden Seiten der Kirche sind viele gotische Spitztürmchen angebracht, die allerlei heiligem Gesindel von Stein zum Schutz dienen. Das Innere dieser Kirche entspricht dem Äußeren und soll der Sophienkirche ähnlich sein. Es ist aber mit Zieraten außerordentlich überladen. Der Hochaltar steht unter einem Baldachin von Serpentinstein, den vier weiße Marmorsäulen tragen. Das Tabernakel ist reich mit Diamanten, Rubinen, Smaragden, Perlen geschmückt. Hinter dem Hochaltar steht ein zweiter, der des Sakraments, der zwei Säulen von orientalischem Alabaster hat. Das Chor ist durch eine Säulenreihe von Porphyr von der übrigen Kirche getrennt, auf deren Gesimse steht Maria in Gesellschaft des heiligen Markus und der zwölf Apostel, alle in Lebensgröße aus Marmor gehauen. Auch der übrige Teil hat keinen Mangel an Statuen, Basreliefs, Monumenten und so weiter. Das ganze ist eine seltsame Mischung arabischer, griechischer, gotischer und orientalischer Architektur.

Der zu dieser Kirche gehörige, aber von ihr getrennt stehende Markusturm ist höher als der Münster zu Straßburg und also wohl der höchste Turm in Europa; auf ihm stellte Galilei seine astronomischen Betrachtungen an. Ich bestieg ihn, um das zu seinen Füßen liegende Venedig mit einem Male überschauen zu können, und wurde für die kleine Mühe reichlich belohnt. Man denke sich eine Ansicht von einer schwindelnden Höhe herab auf unzählige kleine, mit Häusern, Kirchen und Palästen bedeckte Inselchen, die mitten in der grünen Meeresflut eine große Stadt bilden, in deren Wasserstraßen Tausende von kleinen Schiffchen sich bewegen, und dann die Aussicht auf die weiter liegenden grünen Inseln, Klostergärten, bis auf das feste Land und in die endlose See, ein Panorama einzig in seiner Art. Der Bau dieses Turms ist ebenso wunderbar; er steht schon bald tausend Jahre auf seichtem und schlammigem Boden, ohne sich im mindesten gesenkt zu haben. Von dem Boden bis zum Glockengehäuse hat er eine doppelte Mauer, zwischen beiden führt eine ziemlich breite Wendeltreppe, die sich an allen vier Seiten allmählich hinaufwindet. Der Türmer dieses Gebäudes hat ein Gehalt von hundertundfünfzig venetianischen Zechinen, ohne die Akzidenzien, die in manchem Jahr das Fünffache betragen, da auch jedes Geläut für Privatpersonen besonders bezahlt wurde. Dieser Turm hat sechs Glocken, von denen eine nur bei Vollziehung einer öffentlichen Hinrichtung geläutet wurde; die anderen hatten ebenfalls ihre besonderen Bestimmungen: eine lud die Senatoren zur Versammlung ein, diese hieß die Drionona, eine andere kündigte die vierundzwanzigste Stunde oder den Sonnenuntergang an; um ein Uhr des Nachts (eine Stunde nach Sonnenuntergang) gab die sogenannte Nona den Wachen das Zeichen, sich auf ihre Posten zu begeben, und um Mitternacht avertierte sie die Patrouillen, ihre Streifereien zu beginnen. Die Trottiera gab schon am Abend das Zeichen zur Versammlung der Signoria für den folgenden Tag. Auch den Gerichten ward das Zeichen mit einer dieser Glocken gegeben, um im Palazzo zusammen zu kommen, ebenso den Kaufleuten für die Börse. Schon mehrmals hat der Blitz in diesen Turm geschlagen, 1401 kam sein oberer Teil durch ein Feuerwerk, das man bei Gelegenheit der Krönung eines Dogen veranstaltete, in Brand, wobei alles Holzwerk von den Flammen verzehrt wurde. Den 23. April 1745, als man gerade mit den Glocken das Sankt Markusfest für den folgenden Tag einläutete, schlug der Blitz zum zwanzigstenmal in den Turm, bis in die Fundamente desselben, und tötete drei Menschen.

Der Markus- oder Dogenpalast ist ein ebenso wunderliches Gebäude in seiner Art, wie die Markuskirche, von sehr gemischter Architektur; ich möchte ihn ein Phantasiestück, eine Veste, wie man sie in Märchen beschreibt, nennen. Sein Umfang ist an zweitausend Fuß. Hier zeigt man die Säle, in welchen die Zehnmänner, die furchtbare Staatsinquisition, und die geheimen Gerichte der Republik ihren Sitz hatten und ihre nächtlichen Verdammungsurteile sprachen, von denen nur die Leichen zeugten, welche den anderen Morgen verkehrt an Pfählen hingen oder die Lagunen manchmal zu Hunderten bedeckten, wie zum Beispiel bei der Verschwörung von 1618, über die man nie ganz ins reine gekommen ist. Hier ist auch die schauerliche Seufzerbrücke, die hoch in der Luft aus dem Palast über einen Kanal zu den fürchterlichsten Gefängnissen, den berüchtigten Bleikammern führte, in welchen man, wie die Venetianer sagten, aus den Gefangenen im Sommer Braten und im Winter Gefrorenes machte. Diese Brücke wurde die dei sospiri genannt, weil man über sie oder vielmehr durch sie, denn es ist ein über dem Wasser zwischen hohen Mauern geführter, bedeckter Gang, von dem man fast nie den Rückweg aus diesen fürchterlichen Gefängnissen fand, ging. In den zum Teil prachtvollen Sälen dieses Palastes sieht man viele sich auf die wichtigsten Begebenheiten der venetianischen Geschichte beziehende Gemälde. An diesem unheimlichen Palast waren auch die Löwen, die ihre schrecklichen Rachen aufsperrten, nicht um Menschen zu zerreißen, sondern geheime Anklagen aufzufangen, wodurch die Staatsinquisitoren von wahren und falschen, durch Verleumdung und Rache eingegebenen Anklagen, von den Absichten unterrichtet wurden, welche Individuen gegen die Ruhe des Staates im Schilde führen sollten, die oft die unschuldigsten Schlachtopfer der abscheulichsten Bosheit und zu Tode gefoltert und gemartert wurden, so daß sie unendlich glücklicher zu preisen gewesen, wenn sie eine Beute der Löwen in der Wildnis geworden wären. Acht Tore führen zu diesem Palast, von denen vier auf den Kanal gehen, eines auf den großen Platz, zwei in die Kirche und das letzte auf die Piazetta. Durch das Tor am großen Platz kommt man in den großen Hof, in dem sich zwei große eherne Brunnen befinden und der mit antiken Marmorstatuen, unter denen ein Marc Aurel und Cicero ist, und anderen Verzierungen geschmückt ist. An der sogenannten Riesentreppe halten unten Adam und Eva und oben – Mars und Neptun Wache! Hier wurden die Dogen gekrönt, und von dieser Treppe rollte das greise Haupt des mehr als achtzigjährigen Dogen Marino Falieri, durch das Schwert vom Rumpf getrennt, blutig hinab. In den Galerien dieses Schreckenspalastes findet man Meisterwerke eines Titian, Tintoretto, Paul Veronese und anderer. Im Untergeschoß sind die abscheulichen unterirdischen Kerker, Pozzi (Brunnen) geheißen, noch schrecklicher als die Piombi (Bleikammern). Es sind tiefe Löcher, die in den dicken Mauern der Fundamente angebracht sind und die dazu dienten, die Unglücklichen, die eines Staatsverbrechens angeklagt waren, einstweilen hinter doppelten Eisentüren hier zu verwahren, in einer verpesteten Luft, kaum durch einen matten Schimmer des Tages beleuchtet, der durch eine enge, viele Schuh lange Öffnung in der Mauer drang. Von hier wurden sie in die Folterkammern und dann gewöhnlich zum nächtlichen Tod geführt. In den Gemächern der Staatsinquisition sah ich noch die Winden, mit welchen man den Elenden die Arme rückwärts in die Höhe wand, um sie mit aller Bequemlichkeit foltern zu können. Die Bleikammern fand ich weniger schrecklich als ihren Ruf, und ich habe andere Gefängnisse gesehen, in denen Hitze und Frost dieselbe Wirkung und noch größere haben mußten.

Ein freundlicherer Anblick ist die Rialtobrücke, die aus weißem Marmor und einem einzigen, siebzig Fuß langen und über vierzig Fuß breiten Bogen besteht, auf beiden Seiten mit Buden besetzt ist und so ziemlich in der Mitte der Stadt über den großen Kanal führt. Sie ist immer sehr frequentiert, und da in ihrer Nähe die Schiffe anfahren, welche Lebensmittel herbeiführen, so ist der Verkehr hier sehr groß. Von hier aus kann man auch fast nach allen Teilen der Stadt vermittelst schmaler Gäßchen und vieler kleiner Brücken zu Fuß kommen.

Das außerordentliche, große und sehr merkwürdige Arsenal (es hat beinahe drei Miglien im Umfang) ist ganz von Wasser und starken Mauern mit zwölf Türmen umgeben; es liegt am äußersten Ende der Stadt; vier Löwen bewachen den Haupteingang, Morosini genannt. Der Peloponnesier brachte sie aus Griechenland hierher; zwei davon sind Meisterwerke der Bildhauerkunst, einer ist ein geheiligter Löwe aus Athen, wie eine Inschrift an demselben besagt, den man dem Denkmal der Schlacht bei Marathon entnommen glaubt und der also ein Alter von mehr als zweitausenddreihundert Jahren hatte; ein zweiter hat aber einen modernen Kopf. Canova erkannte sie für altgriechische Arbeit. Über denselben ist noch der geflügelte Löwe des Sankt Markus. Durch dieses Tor kommt man zuerst auf das Campo del Arsenale, ein anderes großes, durch welches die Schiffe aus- und einfahren, geht auf das Meer. In diesem Arsenal arbeiteten unter den Venezianern ganze Regimenter, die man Arsenaloten nannte. Seine Unterhaltung kostete der Regierung jährlich eine halbe Million Markustaler (anderthalb Millionen Gulden). Es enthielt wie das zu Toulon alle möglichen Werkstätten und Magazine für die Schiffsbaukunst und Ausrüstung der Flotten, und mit seinen Waffenvorräten konnte man an hunderttausend Mann bewaffnen. Alles, was hier verfertigt wurde, war mit dem Stempel des Sankt Markus bezeichnet, sogar die Nägel trugen ihn, und wehe dem, der etwas davon entwendete. Die venetianischen Schiffe waren zu ihrer Zeit wegen ihrer Dauer und ihrer Leichtigkeit berühmt. Das dazu verwendete Holz lieferten die Wälder Istriens und Dalmatiens, man ließ es aber zehn bis zwölf Jahre im Wasser liegen und dann an der Luft trocknen, bevor man es verarbeitete, wodurch es eine erstaunliche Härte erlangte. Die Arbeiter waren meist sehr geschickte Leute, die man gut bezahlte und die vom Vater auf den Sohn immer dieselbe Beschäftigung trieben. Dieses merkwürdige Arsenal war gewissermaßen eine Stadt in der Stadt, ja ein Staat im Staat, der von drei Nobili besonders regiert wurde, die alle drei Jahre Rechenschaft ablegen mußten. Das Oberhaupt der Arbeiter führte den Titel eines Admirals und war zugleich der Pilot des Bucentauren bei der seltsamen Zeremonie der Dogenvermählung mit dem Meer. Diese hatte folgenden Ursprung: Papst Alexander III. hatte sich vor dem deutschen Kaiser Friedrich I., der, gegen die Guelphen wütend, in Italien eingefallen war, inkognito und unter einem fremden Namen nach Venedig geflüchtet; der Kaiser hatte ihn für einen Antichrist und Feind des Reichs erklärt, dennoch wurden ihm, als man ihn zu Venedig erkannte, von dem Dogen Zioni und der ganzen Signoria alle seinem Rang gebührenden Ehrenbezeigungen erwiesen. Als dies Friedrich I. erfuhr, verlangte er dessen gewaltsame Entfernung oder Auslieferung von der Republik, die dies verweigerte, in einem Seegefecht die Gibellinen schlug und sogar den Sohn des Kaisers, Otto, gefangen nahm. Als der Doge so siegreich nach Venedig zurückkehrte, umarmte ihn der Papst vor allem Volk und schenkte ihm einen geweihten Ring, zu ihm sprechend: „Bedienet Euch desselben, um das Meer für immer an Venedigs Herrschaft zu ketten, und daß sie sich jedes Jahr aufs neue mit demselben vermähle.“ Dies geschah sogleich, indem der Doge den geweihten Ring ins Meer warf, und Alexander III. sprach den Segen über diese Vermählung. Von jetzt an wurde diese Zeremonie jedes Jahr mit großem Pomp und Feierlichkeit wiederholt, und ein Prachtschiff, der Bucentauro, das nur allein an diesem Tag gebraucht wurde, eigens dazu erbaut. Ehe aber diese Trauung vor sich ging, mußte der Admiral des Arsenals, der selbst das Schiff dirigierte, jedesmal einen Eid schwören, daß sich die große Wasserbraut, das Meer, während der Zeremonie ruhig verhalten würde. Drei Reihen vergoldeter Statuen, die eine doppelte Galerie bildeten, trugen das Verdeck, unter dem die Ruderer sich befanden. Der Doge saß auf einer Art Thron, der auf dem Hinterteil des Schiffes angebracht war, neben ihm der päpstliche Nuntius und der französische Gesandte auf der einen und seine Räte auf der anderen Seite; über ihm wehte die Standarte des geflügelten Sankt Markus in Löwengestalt. Das ganze Schiff war überaus reich mit genuesischem purpurrotem Thronsammet und goldenen Stickereien und Fransen drapiert. Die Senatoren durften dieser Zeremonie nicht beiwohnen, aus Furcht, daß durch eine Verschwörung hier auf einmal die ganze Aristokratie Venedigs vernichtet werden könnte. Feierlich langsam fuhr das Schiff majestätisch unter dem Donner der Kanonen und in Begleitung unzähliger Barken und Gondeln, welche die Lagunen bedeckten, von der Piazetta ab. Sobald es im adriatischen offenen Meer war, erhob sich der Doge und empfing den geweihten Ring aus den Händen des Patriarchen, der die Worte Alexander III. wiederholte, worauf er den Ring in das Meer warf, und die Vermählung war vollzogen, der Bräutigam hütete sich aber wohl, das nasse Brautbett zu besteigen. Blumen und Kränze wurden in großer Menge in den Schoß der Braut geworfen, die aber dem Gatten nicht treu und hold blieb, sondern bald mit Spanien und Portugal, mit Holland und Frankreich und in der neueren Zeit besonders mit Albion buhlte, dem sie auch nicht ewig treu bleiben wird, denn schon beginnt sie mit Nordamerika zu schmunzeln.

Die Rüst- und Waffensäle des Arsenals enthalten sehr merkwürdige und seltene Waffensammlungen, Rüstungen, Schilder und so weiter aus allen Zeiten und besonders viele osmanische Trophäen; auch Attilas Helm wird hier aufbewahrt.

Unter den vielen Kirchen Venedigs, von denen ich nur die merkwürdigsten sah, ist Maria della Salute eine der prächtigsten. Sie verdankt ihre Entstehung der schrecklichen Pest, die 1630 Venedig heimsuchte, bei welcher Gelegenheit der geängstigte Senat das Gelübde tat, der die Gesundheit beschützenden Maria eine schöne Kirche zu bauen. Dies ging in Erfüllung, und der schöne Tempel mit seinen drei herrlichen Fassaden, zu denen viele Marmorstufen führen, wurde erbaut. Die Johannes- und Paulskirche ist wegen ihrer vielen Monumente von Dogen und Dogaressen, ihrem kostbaren Hochaltar und ihren großen Reichtümern berühmt; sie enthält auch mehrere Statuen ausgezeichneter Feldherren, die sich um die Republik verdient gemacht haben. Der Raum, auf dem diese Kirche steht, war eine sumpfige Insel, die der Doge Tripolo dreizehn Jahre nach dem Tode des heiligen Dominikus dessen geistlichen Kindern schenkte, die zuerst ein sehr einfaches Bethaus hier errichteten; als aber diese Dominikaner durch große Erbschaften und Almosen selbst sehr reich wurden, bauten sie nebst einem großen bequemen Kloster auch diese Kirche, mit die prächtigste Venedigs.

Allem Anschein nach verdankt Venedig seine Entstehung armen Fischern; seinen Namen soll es von dem Volk der Veneter, das im nördlichen Italien wohnte, haben, von dem sich ein Teil, als die Goten das Land überschwemmten, auf die Inseln flüchtete, auf denen jetzt Venedig steht, und daselbst anbaute. Als im Jahre 452 Attila Aquileja zerstört hatte, flüchteten dessen Einwohner ebenfalls hierher, sowie 595 viele Bewohner Oberitaliens, um der Verfolgung des Lombardenkönigs Alboin zu entgehen. Die zuerst bewohnte Insel hieß Rialto, und diesen Namen führte die Inselstadt längere Zeit, bis sie später den Namen Venezia annahm. Jetzt wurde nach und nach eine Insel nach der anderen angebaut, bewohnt und bevölkert, die Stadt endlich einer der bedeutendsten Handelsplätze Europas, und je größer sie sich aus den Fluten emporhob, desto mehr stieg auch ihr Reichtum, ihre Pracht und ihre Macht, und bald wurde sie die mächtige Meerbeherrscherin. Zwölfhundert Jahre bestand sie als selbständige Republik, ihre höchste Glanzperiode war im dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Erst im siebten hatte sie, um den immerwährenden inneren Unruhen zu steuern, einen Dogen (Duca) erwählt, sich aber dabei ihren Anteil an der Regierung vorbehalten; als jedoch im zwölften Jahrhundert mehrere Dogen, und namentlich Vitali Michieli, Versuche zu einer Willkürherrschaft machten, da ermordete das Volk den letzteren und übergab die höchste Gewalt einer Versammlung von Adeligen. Noch schlimmer erging es dem Dogen Marino Falieri, der von einem jungen Nobile an seiner Ehre schwer gekränkt, keine hinlängliche Genugtuung erhalten konnte, die Aristokratie mit Hilfe des Volkes hatte stürzen wollen und dafür von ersterer, schon über achtzig Jahre alt, enthauptet wurde. Die Republik hatte allmählich immer mehr Fuß auf dem festen Land, namentlich in Istrien, Dalmatien, der Lombardei gefaßt und dehnte ihre Macht besonders während der Kreuzzüge auch sogar in Syrien aus. Im dreizehnten Jahrhundert eroberte sie Candia und fast alle Inseln im Archipelagus, wodurch sie den ostindischen Handel ganz in ihre Gewalt bekam. Auch gegen Ungarn war sie siegreich, riß Friaul an sich, nahm den Neapolitanern viel Land und Städte weg, wurde Herr von Cypern und den Ionischen Inseln und hatte mit ihrer mächtigen Nebenbuhlerin, der Republik Genua, einen gefährlichen und blutigen Krieg endlich glücklich beendigt. Aber von dem Augenblick an, als Vasco da Gama den Weg um das Kap nach Ostindien ausfindig gemacht hatte, sank auch Venedigs Handel und Flor. Sehr unglücklich für die Republik war die Ligue von Cambray (1508), durch welche sie ihre Besitzungen im Kirchenstaat und dem Neapolitanischen einbüßte und die sie nicht weniger als fünf Millionen Zechinen (an dreißig Millionen Gulden), zu jener Zeit eine ungeheure Summe, kostete. Die Osmanen nahmen ihr sodann Cypern und später nach einem vierundzwanzigjährigen Krieg auch Candia wieder ab. Venezia dominante, wie es sich damals nannte, verlor immer mehr an seiner Herrschaft, 1715 büßte es auch noch Dalmatien ein. Venedigs Bürger, die unter der eisernen Rute der despotischsten und grausamsten Regierung von der Welt lebten, hielten sich dennoch für freie Leute, weil sie Dinge, welche die Regierung nicht direkt berührten, Ausschweifungen und Liederlichkeiten aller Art straflos begehen durften, und bedauerten die Knechtschaft, in welcher nach ihrer Meinung die Untertanen in Monarchien schmachteten, während ihnen selbst kein freies Wort aus dem Mund entwischen durfte, ohne Gefahr, alle persönliche Freiheit, ja wohl Gut und Leben einzubüßen, an einem Schandpfahl zu hängen oder den Fischen der Lagunen zur Speise zu dienen. Sie waren darin den Bürgern mancher deutschen Republik nicht unähnlich, die es wagen dürfen, den oft heilsamen und zweckmäßigen polizeilichen Verordnungen ungestraft zu widerstehen und die mit der Ausführung derselben beauftragten Diener mit Grobheiten heimzuschicken, während man sie hinsichtlich ihrer wichtigsten und heiligsten Interessen, Verwaltung und Justiz, bei der Nase herumführt. Nie hat ein Monarch, auch nicht der ausgeartetste Tyrann, eine ähnliche willkürliche Macht und Tyrannei ausgeübt, als Venedigs Staatsinquisition, die ohne alle Verantwortlichkeit mit dem Leben, Gut und Blut der Bürger nach Lust und Gefallen schaltete. Mißtrauen und Furcht waren die gewaltigen Triebfedern der Herrscher Venedigs und das Spionenwesen und die Angeberei in einem Grad der Vollkommenheit organisiert, der zu keinen Zeiten in einem anderen Land erreicht wurde. Beispiellos ist es in der Weltgeschichte, daß ein Volk oder ein Staat dreien seiner Bürger über Tod und Leben, Habe, Gut und Blut all ihrer Mitbürger eine so unumschränkte, rechenschaftslose Gewalt erteilt hätte, wie dieses schreckliche Tribunal unter dem Aushängeschild Staatsinquisition übte. Napoleon machte 1797 diesem freilich damals schon in den letzten Zügen liegenden Ungeheuer ein schnelles Ende, vernichtete das geflügelte Untier, Sankt Markus genannt, und mit ihm die scheußlichste Tyrannei, die je eine Aristokratie oder Oligarchie ausgeübt; dennoch waren, und vielleicht gerade deshalb, die furchtbarsten Verschwörungen gegen dieselbe in Venedig an der Tagesordnung. Der Hochmut, die Arroganz und die Unverschämtheit der Nobili überstieg allen Glauben, sie zahlten den Bürgern für erkaufte Waren was und wenn sie wollten, oft nur mit Grobheiten und Mißhandlungen, und wehe dem, der sich dagegen verteidigte, ja nur zu schützen suchte; Stockschläge, Degen- und Dolchstiche waren ihm gewiß und kein Recht dagegen zu erlangen. Je mehr die Armut des venetianischen Adels während des Verfalls der Republik zunahm, desto größer wurde die Arroganz und Beutelschneiderei desselben. Ihre Schurkenstreiche hatten keine Grenzen, und die meisten lebten nur noch von Prellereien und dem Verkauf ihrer Wahlstimmen, ihrem hauptsächlichsten Privilegium. In der letzten Zeit der Republik waren all diese Illustrissimen und Exzellenzen – so mußte sie der Bürger titulieren – so bettelarm, daß die meisten in Dachkammern wohnten, für sich selbst kochten, wenn sie etwas zu kochen hatten, und in ihrer Kleidung schmutzigen Bettlern vollkommen glichen. Um sich gegen ihre Zudringlichkeit jeder Art zu sichern, suchten die Bürger und Kaufleute, wenn sie ein Fest feierten oder einen Schmaus hatten, den Livreebedienten irgendeines Gesandten zu gewinnen, der sich an ihre Haustür stellen mußte, die hochadeligen Hungerleider abzuhalten, indem nach einem streng beobachteten Gesetz sich kein Senator da treffen lassen durfte, wo ein fremder Gesandter nur zu vermuten war, und sie dann an einem solchen Haus wie der vom Hund verscheuchte Marder scheu vorüberzogen. Desselben Mittels bedienten sich auch alle Kaffee- und andere Wirte, um diese viel verzehrenden und nichts bezahlenden Nobili und Senatoren vom Besuch ihrer Häuser abzuhalten. Für die Pfaffen und Mönche war aber Venedig ein wahres Paradies, nirgends bekümmerte sich die Geistlichkeit weniger um den Papst; die Herren maskierten sich, lagerten in allen liederlichen Häusern, deren beste Kunden sie waren, hielten sich Mätressen, trieben allen möglichen Unfug, und an eine Kirchendisziplin war nicht zu denken; beim Volk war ihr Ansehen daher auch sehr gering, was aber gerade Wasser auf das Mühlrad der Regierung war, die deshalb den Kuttenträgern auch gerne durch die Finger sah. Gott und der Papst galten in Venedig wenig oder nichts, nur der geflügelte Heilige in der Löwenhaut war der angebetete Götze. Die allgemeine Tracht in den Straßen war für jeden, der es nur möglich machen konnte, ein roter Mantel, in den man sich tief hüllte; die meiste Zeit ging man maskiert, nur was zur Signoria gehörte, trug eine Art schwarzen Chorrock, wenn man sich auszeichnen wollte, sonst aber auch den beliebten Mantel, was nebst der Maske sehr bequem war, wenn man unerkannt sein und auf Abenteuer ausgehen wollte. Die Banditen und Bravi fanden hier mehr als in irgendeiner anderen Stadt Italiens zu tun und standen zum Teil in lebenslänglichem Sold reicher Nobili, denen sie blutige Dienste und zugleich Schutz leisten mußten. Ihr gräßliches Handwerk war auch hier weit leichter als irgendwo zu treiben, denn dem tötenden Dolchstoß folgte ein zweiter mit der Faust, der den Unglücklichen und die Tat in einem Kanal begrub.

Nachdem ich mit meinem Storti in der Hand durch die bedeutendsten Kanäle gefahren war, ging ich auch zu Fuß durch einen Teil der Stadt und kam durch so enge und finstere Gäßchen, daß sich zwei Personen oft nur mit großer Mühe ausweichen konnten und die himmelhohen Häuser kaum ein Dämmerlicht durchdringen ließen. Das Ende meiner Streifereien war immer der Sankt Markusplatz, der einzige Ort in Venedig, wo man längere Zeit weilen kann. Es ist aber auch einer der schönsten Plätze Europas und immer voll Leben. Die vielen Kaffeehäuser und Botteghen sind beständig mit Leuten angefüllt. Das Treiben beginnt mit Tagesanbruch und endigt erst lange nach Mitternacht. Noch wehten hier die Trophäen der vergangenen Herrlichkeit auf drei hohen Mastbäumen, nämlich die Siegesstandarten von Morea, Candia und Cypern. Was den Platz so schön macht, sind seine herrlichen Gebäude mit den ihn umgebenden Säulengängen. An der Seite des Turms schließen ihn neun Paläste, die aber nur einen einzigen zu bilden scheinen und eine marmorne Fassade und drei Säulenreihen, eine dorische, jonische und korinthische übereinander haben. Diese Paläste werden die Procuratie nuove genannt, zur Zeit der Republik waren sie von den Prokuratoren derselben bewohnt. Ihnen gegenüber liegen die Procuratie vecchie, von fünfundfünfzig Pilastern und Säulen toskanischer Ordnung getragen. Den Hintergrund dieser prächtigen Schaubühne bildet die pittoreske Fassade des Markustempels, den hohen Glockenturm zur Rechten. Was diesen Platz äußerst unterhaltend macht, ist, daß er beinahe der einzige Spaziergang der Bewohner Venedigs und aller Fremden ist, auf dem sich das ganze öffentliche Leben dieser Stadt konzentriert. Hier sieht man alle möglichen Trachten und hört die Sprachen aller Nationen. Advokaten und Charlatane, Staatsbeamte und Schiffsknechte, Marionettenspieler und Soldaten, Improvisatoren und Saltimbanchi, Stiefelwichser und Obsthöker, Pfaffen, Histrionen und Taschenspieler, alles treibt sich hier im buntesten Gewühl durcheinander herum, besonders ist dies am Abend und in der Nacht der Fall, wo er durch Tausende von Lichtern der Kaffeehäuser, Botteghen und Kasinos erleuchtet ist, was das Gewirre und Getümmel um so abenteuerlicher erscheinen läßt. Vor den Kaffeehäusern sind Zelttücher oder Baldachins aufgespannt, unter denen man sitzt, um den Turm herum haben Notare und Advokaten ihre Sitze aufgeschlagen, die jede Art Schriften, Bittschriften, Klagen und so weiter um wenige Gazette oder Soldi abfassen, andere Schreiber befassen sich mit Bettel- oder Liebesbriefen und so weiter. Nur Frauen und Mädchen aus den höheren Ständen sucht man, den Karneval ausgenommen, vergeblich hier, da es nicht Sitte in Venedig ist, daß Damen die Kaffeehäuser besuchen; man kann sie nur in den Kirchen, den Theatern und den Abendgesellschaften sehen; der Zutritt zu den letzteren ist aber für Fremde, wenn sie nicht ganz besonders einer Familie empfohlen sind, nicht so leicht wie an anderen Orten Italiens. In den Kasinos findet man leichter Eingang, wenn man nur ein Mitglied derselben kennt. Eine der angenehmsten Zeitvertreibe ist eine Spazierfahrt längs der Riva de Schiavoni bis an die Punta di Sankt Antonio, bei Sonnenuntergang in einer Gondel, die man hier gewöhnlich nur Barche nennt; man steigt rückwärts in dieselbe, weil man sich in dem niedrigen Hüttchen nicht gut umdrehen kann. Diese Schiffchen sind alle ganz schwarz und von einer Form; ihr düsteres Aussehen macht sie Leichenschiffchen ähnlich, und sie gleichen in der Tat unseren alten Leichenwagen. Ehedem waren sie bunt, schön verziert, von beliebiger Farbe, oft prächtig und kostbar ausgeschmückt, so daß sie große Summen kosteten, denn die Reichen suchten sich dabei im Aufwand zu überbieten, wie anderswo im Luxus der Equipagen, und bedeckten sie mit Scharlach und Gold, weshalb die Regierung, um diese Verschwendung zu zügeln, ein Gesetz erließ, welches sie alle uniform verordnete, und jede Gondel, die nicht ganz so, wie es vorgeschrieben, eingerichtet war, sogleich zertrümmern und den Wellen übergeben ließ. Im Innern haben sie gepolsterte bequeme Sitze. Angenehmer als in den Kanälen fährt man in den Lagunen, besonders nach dem Lido hin.

Die venetianischen Damen, die, wenn sie einmal donne maritate sind, sich einer fast zügellosen Freiheit erfreuen, sind in ganz Italien wegen ihres höchst einnehmenden und verführerischen Wesens berühmt und haben die Kunst einer fast unwiderstehlichen Koketterie bis zur höchsten Vollendung gebracht. Obgleich den meisten, selbst in den höchsten Ständen, gründliche wissenschaftliche Bildung abgeht, so ist doch ihre Unterhaltung nicht nur äußerst angenehm, sondern in der Regel auch sehr geistreich, lebhaft und ungezwungen, und der venetianische Dialekt verleiht ihrer Sprache etwas überaus Liebliches. An verliebten Intrigen fehlt es hier weniger als in irgendeiner anderen Stadt, und das Cicisbeat war hier noch in vollem Gang.

Von den Theatern besuchte ich hauptsächlich Fenice, das erst 1791 durch eine Assoziation von Aktionären erbaut wurde. Es hat besonders gute Löschanstalten; im Fall ein Feuer entsteht, kann augenblicklich von zwei Türmen hinlänglich Wasser in dicken Strömen auf dasselbe geleitet werden. Hier treten die berühmtesten Sänger und Sängerinnen Italiens auf, und ich habe die vollendetste Vokalmusik in demselben gehört. San Benedetto, hauptsächlich der Opera Seria gewidmet, war geschlossen, sowie mehrere der kleineren Bühnen. Ein sehr schönes Marionettentheater, wo man nur im venezianischen Dialekt spricht, besuchte ich einigemal. In das Parterre geht hier niemand als Leute aus den untersten Volksklassen, Fischer, Gondoliere und so weiter. Die Freudenmädchen haben in Venedig wenig Raum zu ihren Umtrieben und suchen daher die Männer und Fremden meistens in den Kirchen an sich zu locken, ihre Adressen austeilend; man zählte damals nahe an hundert Bordelle.

Zwei Tage nach meiner Ankunft bezog ich eine Privatwohnung, die ich mir durch die Vermittelung eines dienstwilligen barbiere-parrucchiere verschafft hatte. „Illustrissimo eccellenza finden daselbst Donne giovine belle e oneste,“ sagte mein Figaro, „eine honnette Bürgersfamilie, durch Unglück herabgekommene Kaufleute, deren Haupt jetzt den Makler macht. Es sind zwei junge Frauen in dem Haus, die eine ist die Gattin des Signor Ludolli und die andere die Frau eines Signor Odellino, der sich aber schon seit Monaten in Geschäften abwesend in Triest befindet; auch ein paar blutjunge Ragazze von dreizehn und vierzehn Jahren, Anverwandte des Odellino, wohnen bei diesen. Illustrissimo werden sehr gut daselbst aufgehoben sein!“ – „Und auch geprellt?“ sagte ich, das Faktotum forschend ansehend. – „Behüte der Himmel, gente onestissime.“ – „Gut, bringe mich hin.“ – Wir bestiegen eine Gondel und waren in wenigen Minuten an dem Palazzo, das war das Haus wirklich, allein einer von jenen verlassenen, öden, mit verwischten Vergoldungen. Die Damen empfingen mich als einen Signor Uffiziale francese mit zuvorkommender Freundlichkeit; es waren echt venezianische Gesichtchen, und man wies mir eine freilich nicht sehr elegant, dagegen sehr ökonomisch möblierte Wohnung, aus fünf Zimmern und einem großen Salon bestehend, an, deren Fußböden alle von rotem Terrazzo waren, wie es hier Gebrauch, für den Spottpreis von vier venezianischen Talern, etwas über zehn Gulden, den Monat. Ohne zu handeln, erlegte ich das Geld antizipando, und da mir die Frauen gefielen, fragte ich auch, ob sie mir den Tisch geben könnten. – „Oh, wir leben gar zu einfach,“ wurde mir bescheiden erwidert, „Illustrissimo würden sich nicht mit unserer Kost begnügen; die meiste Zeit essen wir nur Fische, Muscheln, Austern oder Frittole“ (in Öl gebackene Polenta). – „Signore mie, ich bin die Genügsamkeit selbst, und freundliche Gesichter bei der Tafel sind mir lieber als die größten Leckerbissen.“ – Auch darüber waren wir bald einig, indem die Damen sagten, ich möchte das Essen erst versuchen, und dann könne ich selbst den Preis machen. Ich war es zufrieden, mein Figaro hatte ja den Damen versichert, ich sei un uomo generosissimo.

Den dritten Tag nach meiner Ankunft erhielt ich eine Einladung zu Tisch von dem Gouverneur, General Menou, dem ich von den Begebenheiten zu Rom und Wien viel erzählen mußte. Er schien mit meiner Unterhaltung so zufrieden, daß mir die Ehre, an seiner Tafel zu speisen, sehr oft zuteil ward. Menou war ein Mann, der schon hoch in den Sechzigern stand und eine eigene seltsame Karriere gemacht hatte. Aus einer alten Familie der Touraine, hatte er es bei dem Ausbruch der Revolution schon zu dem Grad eines Maréchal de Camp gebracht. 1789 wurde er von dem Adel der Touraine zum Deputierten bei den Generalstaaten erwählt; hier vereinigte er sich mit dem dritten Stand, trug viel zu energischen Maßregeln zur Verteidigung des Vaterlandes bei und bewirkte hauptsächlich die Vereinigung Avignons mit Frankreich. Nach dem Schluß der Sitzungen befehligte er en second in dem Lager, das man bei Paris gebildet hatte, und wurde dann in die Vendée gesandt, wo er sich sehr gemäßigt benahm. Den 2. Prairial 1793 war er es, der gegen die aufgestandene Vorstadt Sankt Antoine marschierte und so den Konvent rettete. Er war bei der Expedition von Ägypten und wurde nach Klebers Tod Obergeneral des französischen Heeres daselbst. Aus Politik wurde er jetzt ein Muselmann, nahm den Turban, nannte sich nun Abdallah und heiratete ein hübsches türkisches Mädchen aus Rosette; dies hinderte nicht, daß er bei Alexandrien von dem englischen General Abercromby den 2. Mai 1801 geschlagen wurde. Napoleon hatte ihn später zum Statthalter von Piemont und dann zum Gouverneur von Venedig ernannt.

Nachdem wir gut getafelt und ziemlich viel Cypernwein zum Dessert getrunken, brachte einer der Gäste, ein Bataillonschef, die Sprache auf den Islamismus und äußerte dabei, es sei doch eine recht einfältige Religion, man müsse von Sinnen sein, so tolles Zeug zu glauben, wie sie lehre, und ihr Prophet Mohammed sei ein recht pfiffiger Gaudieb gewesen, der den Leuten die Köpfe zu berücken gut verstanden habe. Menou, der nicht zu viel getrunken hatte, sondern nüchtern war, erwiderte demselben: „Nicht so sehr, als Sie glauben, mein Herr!“ Seine Stimme etwas erhebend, fuhr er sodann fort: „Ich weiß recht gut, daß in der Armee und in Frankreich gar viel über meinen Übertritt zum Islamismus räsonniert, geklatscht und gespöttelt worden ist, ich mache nicht das geringste Hehl, daß diese Handlung durchaus nur die Politik zum Grunde hatte, indem ich hoffte, dadurch Ägypten Frankreich zu erhalten, eine fehlgeschlagene Hoffnung, wie so manche andere; aber aufrichtig, meine Herren, was müssen andere Völker und auch die Osmanen, über deren Religion wir uns so oft lustig machen, weil sie an Mohammeds wunderbare Himmelsreisen und ähnliche Dinge glauben, von uns denken, daß wir einen Gott verehren, den die Juden kreuzigten, eine Mutter Gottes, die ein Kind bekam und dennoch Jungfrau blieb, eine Dreieinigkeit, Gott Vater und Sohn in einer Person, eine Legion von Heiligen, die alle mehr oder weniger komische, unglaubliche und lächerliche Wunder verrichteten, daß wir Reliquien verehren, für deren ganzen Plunder ein Trödeljude kaum ein paar Taler geben würde, wahre Fetische. Was müssen sie von einem Gott halten, der kein anderes Mittel weiß und kennt, die sündigen Menschen zu bessern und zu erlösen, als seinen Sohn Mensch werden und ihn kreuzigen zu lassen, was von dem Gott der Bibel, der ein rach- und zornsüchtiges, leidenschaftliches Wesen ist, das bis ins vierte Glied an Unschuldigen die Sünden der Väter heimsucht, bestraft, der den Juden zehnmal verzeiht und dann, kurzsichtiger als ein mit gesunder Vernunft begabtes Menschenkind, nicht einmal soviel Voraussicht besitzt, um einzusehen, daß die Juden wieder zehnmal in denselben Fehler verfallen werden; was von Gott und seinen Heiligen denken, welche die Hilfe ohnmächtiger Menschen bedürfen, ihre Anbetung und Erkennung in der Welt zu verbreiten! Das erste, was gewöhnlich die zu einer anderen Religion sich bekennenden Individuen, die wir die Sucht bekehren zu wollen haben, antworten, wenn wir sie mit den Grundlagen der unsrigen bekannt machen, ist: aber wie konnte man einen Gott kreuzigen? Wie kann ein Mädchen Mutter werden und doch eine Jungfrau bleiben? Wie sind drei Dinge eines und doch drei? – Und was erwidern wir ihnen? – Ja, das sind unerforschliche Geheimnisse der Gottheit, die großen Mysterien der christlichen Religion, über die man weder denken noch viel weniger sie einer Kritik unterwerfen darf. Dies allein wäre schon eine Sünde! – Wir sind von der zartesten Kindheit auf gewöhnt, solche Dinge zu hören, wachsen dann mit dem Glauben an dieselben auf, und selbst den Vernünftigeren unter uns fallen sie wenigstens nicht mehr so sehr auf; aber Sie werden mir zugeben, meine Herren, daß wer zum erstenmal dergleichen erzählen und behaupten hört, sie allerdings für absurd, für eine Blasphemie, eine Satire auf die Gottheit selbst halten muß; sie erscheinen ihm ebenso toll als uns das Tier Al-borak mit seinen hundertvierzig Flügeln, das, ein Mittelding zwischen einem Esel und einem Maulesel, das Angesicht eines Menschen mit den Backen eines Pferdes gehabt hat und auf göttlichen Befehl den Propheten Mohammed mit Blitzesschnelle allenthalben hinbrachte, oder der Hahn, dessen Kopf durch alle sieben Himmel bis zum Thron Gottes reichte. Sie lächeln, und mit Recht, dennoch findet sich im ganzen Alkoran keine einzige Stelle, die aus dem Weltenschöpfer ein so leidenschaftliches, zorniges, rachsüchtiges, selbst inkonsequentes und wankelmütiges Wesen macht, als unsere sogenannte heilige Schrift, der widerlichen Obszönitäten, welche dieselbe enthält, gar nicht zu gedenken, wie die saubere Geschichte von Loths Töchtern und so weiter. Und dies ist das Grundbuch der christlichen Religion! – Und unser Gott fand kein anderes Mittel, als einen Sohn zu zeugen, durch eines alten Zimmermanns Frau gebären zu lassen, die doch Jungfrau blieb, um seine Welt zu erlösen und glücklich zu machen!! Und dabei ist doch der ganze Zweck, nämlich des Glücklichmachens, verfehlt. Ich habe in meiner Jugend einen alten Mann, einen fleißigen Bibelleser gekannt, der, als einmal die Rede von der schlechten Welt war, erwiderte: ‚Ja, ist denn das ein Wunder? Gott hat sie in sechs Tagen gemacht, was kann man in sechs Tagen Großes machen; hätte er sich wenigstens sechs Jahre oder sechs Jahrhunderte Zeit dazu genommen, so wäre sie vielleicht leidlich geworden, so hat er sich offenbar übereilt.‘“

Wir alle lachten.

„Ja sehen Sie, meine Herren,“ fuhr der General fort, „zu solchen Bemerkungen veranlaßt die Bibel. Von der Hölle, dem Fegfeuer und anderen Alfansereien der Art will ich gar keine Erwähnung machen, sie sind zu abgeschmackt; indessen wäre das Neue Testament doch ein gutes Buch ohne seine Wunder und Taschenspielerkünste, wie die Umwandlung des Wassers in Wein und so weiter. Von den drei Religionen, der christlichen, der mohammedanischen und der jüdischen, ist die letzte noch die vernünftigste, trotz all ihrer lächerlichen Gebräuche. Viele Fürsten und Regierungen und auch unser Kaiser Napoleon haben den Köhlerglauben, die Völker seien nur durch eine, die Sinne aufregende Religion in Zucht und Ordnung zu erhalten und zu beherrschen, und in diesem Glauben suchen sie die Pfaffen, des eigenen Interesses willen, zu erhalten und zu bestärken. Ich bin nicht der Meinung und glaube, daß dies nur eine gute und weise Gesetzgebung, mit einer humanen Behandlung vereint, imstande ist. Ein reiner Deismus, der da mit wenigen Worten lehrt: Es gibt und muß ein allmächtiges Wesen geben, das alles, was da ist, erschaffen hat, welches das Gute belohnt und das Böse unfehlbar bestraft, wie wir schon hienieden täglich wahrzunehmen Gelegenheit haben, das wir also lieben, verehren und fürchten sollen; diese Lehre, mit guten Gesetzen und reine Moral lehrenden Schulen und Erziehungsanstalten verbunden, würde vollkommen ausreichen, und man bedürfte dann all der Schnurrpfeifereien und Nebendinge nicht und hätte noch weniger von Atheismus zu fürchten, der überhaupt gar nicht vorhanden ist und sein kann, denn ein wirklicher Gottes- oder Schöpferleugner kann nur ein Narr oder ein ausgemachter Dummkopf sein; fragt man solche, wer denn alles Vorhandene erschaffen, so erwidern sie: die Natur oder ähnliches; was ist und kann diese Natur denn anders sein als ein allmächtiger Schöpfer, gebt ihm einen Namen, welchen ihr wollt, es ist und bleibt immer ein und dieselbe Sache, und wenn wir selbst annehmen wollten, wie es schon mehrere Narren gab, daß außer unserem werten Ich alles andere nur ein Blendwerk, ein Nebelgebilde sei, so müßte auch selbst dieses noch einen Urheber haben. Das Vernünftigste, was der tolle Robespierre getan, war, die Verehrung eines allmächtigen Wesens anzuordnen, nur fehlte er in der Art und Weise, wollte auch dadurch nur und durch Charlatanismus seine Tyrannei befestigen und wurde deshalb gestürzt.“

„Gut, mein General,“ sagte ich nun, als Menou seine Rede, der alle mit Erstaunen und Verwunderung zugehört, beendigt hatte, „aber wie steht es mit der Unsterblichkeit unserer armen Seele, was ist der Zweck unseres Daseins?“

„Ach, Kapitän,“ versetzte er, „das ist eine andere Frage, die genügend aufzulösen kein Sterblicher je imstande sein wird. Nur über die Substanz unseres Körpers, über alles Materielle bin ich vollkommen im reinen. Alles, was wir genießen, Speise und Trank, die Leckerbissen, die Sie sich heute an meiner Tafel so wohl schmecken lassen, dies alles ist schon durch Milliarden menschlicher und tierischer Leiber gewandert und wird es, solange die Welt steht. Von unseren Zähnen, so lange wir deren haben,“ – hier warf der General einen etwas malitiösen Seitenblick auf einige ältere Damen, die gegenwärtig waren – „zermalmt, von unseren Mägen verdaut, wird es wieder zur Erde gebracht, um sich über kurz oder lang aufs neue in Gras, Kraut, Gemüse, Früchte, Futter für Tiere und Menschen zu verwandeln und dann als Nahrungs- und Zeugungsstoff abermals in Blut und Milch überzugehen. Zu Staub werden die größten und reichsten Städte der Erde, die massivsten Marmor- und Goldpaläste, die prächtigsten Denkmäler und Monumente, gleich den schlechtesten Lehmhütten und hölzernen Gräberkreuzen der Armen. Ob tausend Jahre früher oder später, was zählt dies in der Ewigkeit? Und alle menschliche Philosophie läßt sich füglich in den zwei Worten ‚verwandelter Staub‘ zusammenfassen, wenigstens ist der Inbegriff alles Körperlichen und Irdischen in ihnen enthalten. Was aber das Geistige, das Seelenleben des Jenseits, die Gottheit betrifft, so wird uns dies hienieden ein ewiges Rätsel bleiben, das der hoch- und tiefgelehrteste Philosoph, der unterrichtetste und klügste Mensch ebensowenig wie der roheste und unwissendste Wilde zu lösen vermag, und die Quintessenz aller sublimen Gedanken eines Plato, Descartes, Bacon, Leibniz und so weiter bringt uns um kein Haarbreit weiter, als die Untersuchungen der Narren, die mit Hilfe eines Mikroskops den Sitz der Seele im Gehirn oder Gott weiß sonst wo entdecken wollen. Überhaupt halte ich alle spekulative Philosophie, alle metaphysischen Forschungen für unnütze Zeitverschwendung, für verlorene Mühe, in Summa für Narrheit. Nur auf die eigentliche Lebensphilosophie gebe ich etwas, wenigstens kann sie uns das oft so kümmerliche Dasein und dessen Beschwerden leichter ertragen helfen und leidlicher machen. Und dann, – wer kann wissen, ob nicht jene unsichtbare, fruchtbare, alles leitende Allmacht, deren erbärmliche Drahtpuppen und Hanswurste wir am Ende doch alle nur sind, der Mann im Kaisermantel wie der Lumpensammler, ob sie nicht den einen und sein Bewußtsein wieder hervorzurufen für gut findet, während sie es nicht der Mühe wert hält, den Anderen nochmals aufleben zu lassen, sondern auch dessen ewige geistige Vernichtung beschlossen hat. Wenigstens wird mir niemand bestreiten können, daß dies in ihrer Macht liegt. Es ist eine Idee wie jede andere. Doch genug davon, ich glaube in dem, was ich gesagt, alles, was spekulative Philosophie vermag, erschöpft zu haben, lassen Sie uns nun auf die Gesundheit unseres heiligen Napoleon trinken.“

Bei diesen Worten hob der General ein Glas Champagner hoch und rief ein „Vive l’Empereur!“, in das die ganze Tischgesellschaft mit einstimmte. Man gab nun der Unterhaltung eine andere Wendung. Es war vom entführten Papst, vom Krieg und Frieden mit Österreich, von den schönen Venetianerinnen, die man auch hochleben ließ, und so weiter die Rede. Mit zum Teil schweren Köpfen trennte man sich bei schon ziemlich vorgerückter Nacht, verlor sich in die Theater, Kasinos und so weiter. Ich ließ mich in meine Wohnung gondolieren, wo ich die Damen musizierend und venetianische Lieder singend antraf und ihnen bis Mitternacht noch Gesellschaft leistete. Auch Signor Ludolli war gegenwärtig und benahm sich sehr freundlich, nur damit war er nicht ganz einverstanden, daß mir die Damen auch die Kost zugesagt hatten. Ich suchte ihn deshalb zu beruhigen, indem ich ihm versicherte, daß ich nur äußerst selten Gebrauch von diesem Zugeständnis machen würde.

Bald hatte ich herausgebracht, daß die Signora Odellino, deren Mann wirklich als Buchhalter in einem Triesterhaus konditionierte, eine Donna mantenuta war, die ein noch ziemlich wohlhabender Nobile, ein gewisser Contarino, unterhielt, der sich rühmte, Dogen unter seinen Vorfahren gehabt zu haben. Ich kam selten oder nie nach Haus, ohne den Damen einige Geschenke, meist in dolce und Konfetti bestehend, mitzubringen, was mir dieselben hoch anrechneten; zum Mittagessen fand ich mich nur selten ein, desto mehr zur Cena, wo es dann immer munter herging. Eines Tages, es war der vierte oder fünfte, daß ich in dem Haus wohnte, kam der Patron della Casa zu einer ungewöhnlichen Stunde in großer Unruhe heim und rief seiner Frau beim Eintreten zu: „Nun, da haben wir die Bescherung, ich hab’ es voraussgesehen, soeben hat mich Contarino auf dem San Marco angepackt und mir den Handel mit der Gatte (der Odellino Taufname) gekündigt, wenn der maledetto francese nicht schnell ausziehe.“ Ich zahlte gut, hatte erst diesen Morgen einen Korb mit Cyprier der Dame in die Küche geschickt, war freigebig und stand also in hoher Gnade bei derselben; sie nahm auch sogleich meine Partei und antwortete ihrem Mann: „Es ist der Mühe wert, daß der filzige Contarino einen solchen Lärm um nichts macht, er gibt uns kaum fünf Zechinen monatlich, davon kann die Gatte nicht leben, hol ihn der Henker, und überdies denkt der Franzose gar nicht an sie, die Mädchen stecken ihm eher im Kopf, wenn er ja auf eine von uns reflektiert; der Offizier bezahlt uns allein für ein altes Cembalo, das wir ihm gestern verschafft haben und uns drei Lire kostet, zwanzig; vom Ausquartieren kann gar keine Rede sein, denn er hat einen Monat antizipando bezahlt.“ Der Mann versetzte nun: „Das wird eine saubere Geschichte werden; der Franzos kann sich in Obacht nehmen, der Contarino ist wütend und läßt gar nicht vernünftig mit sich reden.“ Die Signora antwortete mit einem „Cosa fa, man wird ihm was vormachen, du weißt dir auch gar nicht zu helfen, lieber Mann.“ Eine halbe Stunde darauf erfuhr ich die ganze Unterredung von dem ältesten hübschen Mädchen, Karoline, einer Cugina der Odellino, und als ich diese fragte, woher es käme, daß sich Contarino nie im Hause sehen lasse, erzählte mir das Mädchen naiv: „Fanno l’amore nel suo casino, doch kommt er auch manchmal des Nachts zu meiner Muhme, aber nur verstohlen, denn er ist un uomo maritato, ho paura di lui.“ Das ho paura wiederholte mir das Mädchen wohl zehnmal; ich suchte ihr diese Paura zu benehmen, sie auf die Stirn küssend, und es schien mir zu gelingen, als die Signora Ludolli ins Zimmer trat, mir ebenfalls ihre Verlegenheit wegen dem Contarino mitteilte und meinte, es könne sogar gefährlich werden. Scherzend suchte ich ihr dies auszureden und lud sie, ihre Schwester und die Mädchen zu einer Spazierfahrt auf den Lagunen ein, wozu sie aber nicht zu bewegen war, denn dann würde es erst ein rechtes Donnerwetter geben, meinte sie. Ich ging nun auf den Markusplatz, wo ich meinen Wirt in einem sehr heftigen Wortwechsel mit einem anderen Venetianer sah, aber nicht von ihm bemerkt wurde; bald erfuhr ich, daß es der gefürchtete Contarino war, mit dem er so gewaltig haderte. Ich ließ sie nun nicht mehr aus den Augen, bis sie auf die Piazetta gingen und sich daselbst einschifften. Erst in der Dämmerung begab ich mich wieder heim, um mich für das Theater umzukleiden, das ich in Uniform besuchen wollte. Ich traf niemand als Signora Ludolli, die meine Frage ängstlich zu beantworten schien, was ich auf Rechnung ihrer Furcht vor Contarino schrieb. Ich ging längs den Fundamenti (so werden hier die sehr schmalen, längs den Häusern hinlaufenden Gänge genannt) hin, das Haus verlassend. Es war schon völlig Nacht. Jetzt wollte ich die erste sich vorfindende Gondel besteigen, als ich bemerkte, daß mich zwei in Mäntel gehüllte Gestalten verfolgten, die ihren Gang mit jeder Sekunde mehr beflügelten. Als sie nur noch wenige Schritte von mir entfernt waren, machte ich ein rasches rechtsum Kehrt, ging ihnen festen Tritts entgegen, und da ich an sie herankam, drückten sie sich an die Mauern eines Hauses und ließen mich ganz friedlich vorüber; ich wandte mich nochmals um und ging wieder an ihnen vorbei. Es kam mir vor, als sei einer von ihnen mein Hauswirt, und ich bemerkte, daß sie leise aber eifrig miteinander sprachen. Bald sah ich, daß sie mich von neuem verfolgten, ich ließ sie abermals herankommen, wandte mich wieder gegen sie um, und als ich im Begriff war, sie zu fragen, was sie von mir wollten, streckte der eine schnell seine Hand gegen mich aus, um mich bei der Brust zu packen, indem er zugleich ein Stilett blinken ließ. Ich wich einen Schritt zurück, zog schnell den Degen und rief ihm zu: „Ah birbante, adesso tocca a me!“ Klirrend schlug ich ihm das Stilett aus der Hand, sprang auf beide zu; einer stand hinter dem anderen, denn der Gang am Kanal war keine drei Schuh breit, und den ersten packend, den anderen aber für meinen Wirt erkennend, sagte ich zu demselben: „Wie, Sie sind so ein Patron?“ Beide waren aber nicht vom Mestiero, sondern so verblüfft, daß sie regungslos dastanden. Der hintere stieß endlich ein „Ajuto!“ aus, ich sagte ihm aber, er möge sich um Himmelswillen ganz ruhig verhalten und keinen Lärm machen, weil ich sonst genötigt sein würde, sie beide zum Platzkommandanten bringen zu lassen; meinem Hauspatron versicherte ich zugleich, daß ihm nichts geschehen sollte, wenn er ruhig bleibe. Ich fragte sie nochmals, was sie eigentlich von mir wollten und weshalb sie mir auf eine so unerhörte Weise nachstellten, und da sie noch immer stumm blieben, sagte ich: „Den ich hier festhalte, ist wahrscheinlich der saubere Contarino,“ und als mein Wirt dies bejahte, fuhr ich fort: „Ich bedauere nur, daß Sie sich wegen Hirngespinsten zu solchen Schurkenstreichen verleiten lassen und in Gefahr begeben; längst glaubte ich, daß mit der Republik auch solche Banditenstreiche aus Venedig verbannt seien. Ihre Eifersucht ist ebenso lächerlich als grundlos; ich habe noch keine zwei Worte mit Ihrer Geliebten gewechselt und werde sie Ihnen sicher nicht abspenstig machen; denn Venedig hat schöne Frauen genug, daß nicht ein jeder sein Liebchen finden sollte. – Wenn Sie der Treue Ihrer Geliebten nicht versichert sind, so tun Sie dieselbe an einen anderen Ort, solange ich mich in Venedig befinde, statt sich in meuchelmörderische Wagnisse einzulassen, die Ihnen leicht den Hals kosten können, denn es hängt jetzt doch nur von mir ab, Sie in die andere Welt oder auf die Galeere zu befördern; ich will indessen weder das eine noch das andere, ich verzeihe Ihrer blinden Leidenschaft. Folgen Sie meinem Rat und nehmen Sie Ihre Geliebte einstweilen aus dem Haus, das ich nicht verlassen werde, solange ich noch hier verweile.“ – Contarino bat mich nun recht demütig wegen seines unbegründeten Argwohns um Vergebung, nannte mich ein Mal über das andere einen generosissimo Signore wobei Ludolli einfiel: „Ich habe es Ihnen ja immer gesagt, allein Sie wollten meinen Worten keinen Glauben schenken.“

Contarino äußerte, Eifersucht habe ihn verblendet, beteuerte, daß er alles Vertrauen in mich und seine Gatte setze, die nirgends besser als bei Ludollis aufgehoben sein könne, und bat mich auf das inständigste, ihm zu erlauben, daß er die Ehre haben dürfe, mich in sein Haus einzuführen. Ich willigte ein, und er bestand darauf, mich schon den nächsten Tag selbst abzuholen, indem er mir zugleich seine Aufwartung machen werde. Wir schieden nun als gute Freunde. Ich begab mich nach Fenice, und als ich nach beendigtem Theater nach Haus ging, kamen mir die Damen mit einem Benvenuto entgegen. Sie waren schon von allem unterrichtet, gaben mir indessen doch zu verstehen, daß ich nur durch ein halbes Wunder dem Bad im Kanal entgangen sei. Wir soupierten und blieben bis nach Mitternacht bei einem Glas Punsch beisammen; die Frauen dankten Gott, daß alles so abgegangen sei; Ludolli versicherte mir wohl zehnmal, daß sonst der Contarino doch ein galantissimo uomo sei. Wir trennten uns endlich vergnügt mit einer felicissima notte, wobei mir vergönnt war, die sämtlichen Damen zu küssen, die mir Glück gewünscht hatten, Zutritt in Contarinos Haus zu erhalten, wo man sich sehr gut unterhalte, dessen junge Frau eine der liebenswürdigsten und hübschesten Damen Venedigs sei, und mich warnten, ihr nicht zu tief in die Augen zu sehen.

Den kommenden Morgen hatte ich noch nicht lange das Bett verlassen, als mir Contarino angemeldet wurde, den Ludolli sofort bei mir einführte; es war ein Mann von einigen dreißig Jahren und ziemlich untersetzter Statur. Nochmals entschuldigte er sich tausendmal wegen des Vorgefallenen; ich suchte ihn völlig zu beruhigen, worauf er mich bat, mich noch diesen Vormittag seiner Frau vorstellen und in das Kasino einführen zu dürfen, von dem er Mitglied sei. Ich nahm beides an, wir verließen meine Wohnung gegen Mittag, nahmen Schokolade in einem Café des San Marko und fuhren dann nach dem Palazzo des Signor Conte, wo ich seine Gattin, eine Dame, welche meine Erwartungen noch übertraf, kennen lernte. Sie war noch nicht volle neunzehn Jahre alt, hatte ein wunderliebliches Gesicht, die feinsten und geistreichsten Züge, einen blendend weißen Teint, eine fast transparente Haut, unter welcher die blauen Äderchen hervorschimmerten, den zierlichsten Wuchs und die schlankeste Taille, genug, es war eine ganz venetianische Schönheit, die von Geburt der Familie Mocenigo angehörte. – Der Graf bat sie, mich als seinen besten Freund zu betrachten und zu jeder Zeit, wenn ich ihr die Ehre meines Besuchs schenken wolle, freundlich anzunehmen. Die Signora sagte aufs Verbindlichste, daß sie sich eine Pflicht daraus mache, ihrem Mann zu gehorchen, und so stand mir eines der ersten Häuser Venedigs offen, in dem ich bald Gelegenheit hatte, den reichen venetianischen Adel, wie die Mocenigo, Dandolo, Falieri und so weiter kennen zu lernen. Ich wunderte mich, daß der Graf bei einer so hübschen Gattin eine Odelino vorziehen mochte, aber bekanntlich ist ja die Ehe das Grab der Liebe, und es kann nicht anders sein. In dem Kasino, in dem er mich einführte, langweilte ich mich; außer dem Spiel war wenig oder gar keine Unterhaltung daselbst anzutreffen. Contarino veranstaltete nun selbst öfters Wasserpartien mit den Frauen und Mädchen, wo ich wohnte; wir besuchten entferntere Kirchen und Klöster auf den Giudecca-Inseln le Grazie, San Giorgio, San Helena, San Clemente, fuhren nach Murano und so weiter, wobei ich absichtlich der jungen Karolina recht eifrig den Hof machte, damit die Eifersucht des Nobile nicht wieder erwachen möge; das Mädchen war auch hübsch genug, daß ich das in allem Ernste tun konnte. Contarino zeigte sich außerordentlich gefällig und dienstwillig, und als ich ihm einst von Zschokkes Abällino erzählte, in dem sogar ein Namensvetter von ihm eine Rolle spiele, und den Wunsch äußerte, ich möchte doch gerne wissen, ob der Verfasser aus einer historischen Quelle geschöpft oder das Sujet bloß ein Produkt seiner Phantasie sei, suchte er mehrmals halbe Tage lang mit mir in den Archiven, die uns auf Menous Gebot geöffnet wurden, alle Aktenstücke und Dokumente, die sich auf die Regierung des Dogen Andreas Gritti bezogen, durch, aber unsere Bemühungen waren vergeblich, wir konnten nichts auf diesen Gegenstand Bezügliches entdecken.

Indessen hatte ich in der Tat doch der Signora Lucietta, so hieß Contarinos Gattin mit ihrem Taufnamen, zu tief in das Auge gesehen und fühlte etwas mehr als bloßes Wohlwollen für die Schöne. Diese hatte aber einen alten Abbate zu ihrem Cavaliere servente, der den ihm anvertrauten Schatz wie ein Argus bewachte und dem mein Erscheinen in der Familie eben keine sonderliche Freude zu machen schien; schwerlich wäre ich mit der Dame je in eine nähere Berührung gekommen, hätte mich nicht der Zufall, dieser mächtige Gehilfe des Schicksals, begünstigt und den Herrn Abbate auf das Krankenlager geworfen. Jetzt traf ich Signora Lucietta fast immer allein, koste, musizierte und küßte bald mit ihr. Der Signor Marito bekümmerte sich weit weniger um seine reizende Gemahlin als um die Mätresse, und ich suchte erstere deshalb nach besten Kräften zu trösten, was mir um so eher gelang, als sie bereits Wind von dem Verhältnis mit der Donna mantenuta hatte. Ich teilte ihr nun unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit mit, was wegen derselben zwischen ihrem Gatten und mir vorgefallen war, worauf sie weiter nichts als ein unwilliges: „È una gran bestia, il mio marito!“ ausstieß, dann lachte und sagte: „Nun, ich will’s ihm vergelten.“ – Jetzt waren wir bald nur eine Seele, und ich bedauerte nichts, als Venedig, wo ich mir immer mehr gefiel, sobald wieder verlassen zu müssen. En passant machte ich auch noch einer hübschen Seconda Donna vom Theater Fenice den Hof und brachte ein paar joviale Abende mit ihr zu, scherzte dabei recht artig mit Karolinchen und hielt hinsichtlich der Odelino streng mein Wort bis – zur Nacht vor meiner Abreise, wo ich mich gegen Morgen in ihr Schlafgemach stahl und sie zur Untreue gegen ihren Protektor verführte. – Ich entwand mich dann mit einem langen Abschiedskuß aus ihren Armen, und sie entließ mich mit einem matten Addio und „Ach, warum nicht früher?“ ... Bei Lucietta hatte ich schon den Tag und von Karolina den Abend vorher Abschied genommen.

Der Tag meiner festgesetzten Abreise war angebrochen, ich hatte über drei Wochen in der Dogenstadt verweilt, und mit dem frühen Morgen fuhr ich noch einmal durch einen Teil des Canal grande, zum letztenmal die öden Marmorpaläste bewundernd, deren Fenster manchmal sogar mit Dielen verwahrt sind und die unfehlbar in Ruinen zerfallen werden, da ihre Eigentümer nicht die Mittel haben, sie zu unterhalten, und dieselben eine Last für sie sind.

Auf Contarinos Rat fuhr ich in einer Barke nach Fusine, wohin ich meinen Wagen kommen ließ, um von da weiter nach Padua zu fahren. Diese Überfahrt ist angenehmer als die von Mestre. Durch die Lagunen wogend, entfernte ich mich allmählich von dem prächtig-traurigen, dem Meer entwachsenen Venedig; seine Kuppeln und Türme, die sich in einiger Entfernung auf der See majestätisch und zauberhaft ausnehmen, schwanden mehr und mehr, dabei hatte ich das nahe Ufer des festen Landes im Auge, dessen schöne Landhäuser, Gärten und gut angebaute Felder eine nicht minder reizende Fernsicht gewähren. Ehe ich die Küste erreichte, warf ich noch einen letzten scheidenden Blick auf die alte entthronte Meereskönigin, ihr ein ewiges Lebewohl sagend. Auch auf dieser Überfahrt hatte ich wieder jene wehmütige Empfindung, die mich allemal befällt, wenn ich einen Ort verlassen muß, an dem mir es wohl ging und wo ich der Freuden viele genoß. Zu Fusine nahm ich Postpferde und fuhr längs der herrlichen, wegen ihrer Fruchtbarkeit, Schönheit und Mannigfaltigkeit – Klöster, Dörfer, Villen, Gärten und Lustwäldchen – berühmten unabsehbaren Ebene hin. Überall herrscht reges Leben, und die Fluten sind noch mit Barken, Gondeln und anderen Schiffen bedeckt. Ich kam über Dolo, wo ich einige Prachtgebäude bemerkte, und sah bei dem ganz nahen Stra die Schiffe aus der Brenta in den Kanal Piovego, der gerade nach Padua führt, fahren. Man kann den Weg von Venedig bis dahin auch zu Wasser machen, der noch angenehmer sein mag, aber auch länger ist. Obgleich von ganz anderer Art als die Ufer des Rheins, des Ebro und der Donau, sind die der Brenta doch nicht minder unterhaltend und abwechselnd. Verlassene und oft schon halb verfallene Villen ersetzen hier die Ritterburgen des Rheins und sind die trauernden Überbleibsel und Denkmäler der gesunkenen Größe der Inselstadt, deren Bewohnern die meisten gehörten, andere aber den Einwohnern von Padua. Noch vor Mittag kam ich in dieser Stadt an, wo ich ein paar Stunden verweilte. Sie liegt unfern der Brenta, an der Bachiglione, und ist von so freundlichen, lachenden angebauten Hügeln umgeben, daß sie manche Reisende ein irdisches Paradies genannt haben.

Mit einbrechender Nacht setzte ich meine Reise fort, kam in der Nähe von Arqua vorüber, wo Petrarchs irdische Reste ruhen und man sein Haus, seinen Stuhl und das Skelett seiner Katze zeigt, dann durch das durch seinen Vipernfang berühmte Monselice, passierte die Adige (Etsch) bei dem Flecken Boara, fuhr durch Rovigo und, ohne mich weiter aufzuhalten, bis Ferrara. Eine leichte Unpäßlichkeit war die Veranlassung, daß ich hier ein paar Tage verweilen mußte. Die Stadt, die in der Nähe eines Armes des Po liegt, war sehr öde und zählte kaum achtzehntausend Einwohner mehr, die sich in ihren großen weitläufigen Straßen, in denen das Gras hoch und das Unkraut dicht stand, verlieren. Sie hat eine gute, regelmäßige und feste Zitadelle. Das Schloß der alten Herzoge von Ferrara liegt mitten in der Stadt und ist ringsum mit Wasser umgeben und von vier dicken Türmen flankiert, sein Anblick ist nichts weniger als erfreulich. In seiner Nähe befindet sich der sogenannte adelige Palazzo, vor dem zwei hohe Säulen mit den ehernen Statuen alter Herzoge stehen. Unter den Plätzen war der Napoleonsplatz der bedeutendste. Die Kathedrale ist ein schönes Gebäude, in der Benediktinerkirche befindet sich das Grab eines der phantasiereichsten Dichter, die je gelebt, des Autors des rasenden Roland, Ariosts, zu dessen Zeiten die Stadt noch eine der reichsten, blühendsten und bevölkertsten Italiens war. Die ungesunde Luft, welche die naheliegenden Moräste verursachen, und die häufigen Überschwemmungen, denen die Umgegend ausgesetzt ist, mögen viel zu ihrer Entvölkerung beigetragen haben. Das hiesige Theater ist groß und schön, die Paläste Este, Bevilacqua und andere sind prächtig. Das Hospital der heiligen Anna ist berühmt, weil der arme Tasso von dem undankbaren Herzog Alphons hier so lange in einem engen Gemach unter dem Vorwand einer Gemütskrankheit eingesperrt wurde. Krank war er allerdings, denn er war wirklich verliebt, und zu bedauern sind die mit dieser Krankheit Befallenen, für die man ebensowenig kann, wie für jede andere. Wer wüßte etwas von diesem Herzog, wenn ihn nicht der unsterbliche Dichter in seinem herrlichsten Werk den großmütigen Alphons genannt hätte! In der großen Bibliothek Ferraras sind Handschriften von Ariost, Tasso, Guarini und so weiter vorhanden, von ersterem auch noch das Tintenfaß und ein Stuhl.

Von hier reiste ich, wieder hergestellt, nach Ravenna ab, denn ich wünschte die alte berühmte Hauptstadt der Ostgoten kennen zu lernen. Der Weg dahin, den ich meistenteils in der Nacht zurücklegte, war unangenehm, und bei Argenta, in der Nähe der Sümpfe oder Valli von Comachio, warf mich der Postillon um, wodurch mir das Degengefäß so heftig in die linke Seite gestoßen wurde, daß ich eine bedeutende Quetschung davontrug, die mich nun gegen meinen Willen in Ravenna zurückhielt. Da es noch finstere Nacht war, so kostete es viele Mühe, bis der Postillon, mein Bedienter und ich, der arge Schmerzen hatte, den Wagen wieder aufrichteten, und es verging fast eine Stunde, bevor ich weiterfahren konnte. In Ravenna angekommen, schickte ich sogleich nach einem Militärarzt, der mir etwas zum Einreiben verordnete und auflegte. Sechsunddreißig Stunden mußte ich nun im Bette zubringen, was mir sehr ungelegen war. Von Venedig hatte ich ein paar Empfehlungen von Contarino für hier, die ich durch meinen Bedienten abgeben ließ und hierauf mehrere Besuche erhielt.

Das uralte Ravenna lag einst an den Ufern des Adriatischen Meeres und war einer der besten Häfen desselben, jetzt ist es an zwei Stunden von der Küste entfernt. Nach Strabo haben Thessalonier diese Stadt gegründet, Sabiner aber waren ihre ältesten bekannten Einwohner, später bemächtigten sich ihrer die Gallier, welche sich an den Ufern des Po niederließen. Paulus Aemilius verjagte sie, und die Römer verschönerten die Stadt außerordentlich, namentlich unter den Kaisern, und ließen ihre Flotten in ihrem Hafen überwintern. Unter den gotischen Königen und Exarchen im siebten Jahrhundert war sie eine der bedeutendsten und blühendsten Städte Europas. Dadurch, daß sie durch das Zurücktreten des Meeres ihren Hafen verlor, kam auch sie zurück. Im Mittelalter, wie alle Städte Italiens, durch Unruhen und Parteikämpfe zerrissen, mußte sie außerordentlich leiden, und zur Zeit, als sie die Venezianer, in deren Hände sie gefallen war, an die Päpste abtraten, war sie schon sehr herabgekommen; unter der Herrschaft des heiligen Stuhls sank sie noch vollends, so daß sie kaum fünfzehntausend Einwohner mehr zählte und noch weit verlassener als Ferrara war. Die alte Hauptstadt von Theodorichs Reich bot jetzt nur noch Überreste und trauernde Denkmäler ihrer früheren Größe den Blicken des Reisenden dar, ihre öden und menschenleeren Straßen waren mit falbem, dürrem Gras bewachsen, ihre zum Teil halbverfallenen Häuser und Paläste, meistens mit Moos und Gesträuch bedeckt, schienen ohne Besitzer, die mehr schleichenden als gehenden Einwohner hatten ein düsteres, schwermütiges und mutloses Aussehen, das eher Mitleid erregend als abschreckend war, im ganzen hatte sie das Ansehen einer verwünschten Stadt, in der nur lebensmüde Schatten einsam und tiefsinnig herumwandelten.

Nach vier Tagen des Bett- und Zimmerhütens war mir das Ausgehen wieder gestattet. Mein erster Gang war nach der im neueren Geschmack restaurierten Hauptkirche, in der ich eine Zeitlang umherwandelte und endlich vor den herrlichen Freskomalereien Guidos in einer Kapelle stehen blieb, die auch das schöne Gemälde enthält, welches Moses darstellt, wie er Manna vom Himmel regnen läßt. Noch war ich im Anschauen desselben vertieft, als ich hinter mir ein Damengewand rauschen hörte; ich sah mich rasch um und erblickte einen in schwarze Seide und Flor gehüllten blendend weißen Engel, der eben einen seine unwiderstehlichen Reize verhüllenden Schleier zurückschlug, sich zum Beten niederkniete und zwei Feueraugen zeigte. Dies bezaubernd lebendige Gemälde hatte das tote sogleich aus meinen Augen und Sinnen verdrängt, ich trat einige Schritte zurück, kniete ebenfalls nieder, und zwar so, daß ich die schöne Betende immer im Auge hatte. Auch sie hatte mir einen Blick geschenkt, der mich in eine erschütternde Vibration versetzte. Nach einer halben Stunde, die mir, obgleich kniend, kaum eine Minute dünkte, erhob sich die schöne Gestalt, verneigte sich tief und entfernte sich, mich im Vorübergehen noch eines Blickes würdigend. Ich hatte die Absicht, ihr zuvorzukommen, um ihr das Weihwasser zu bieten, erreichte aber meinen Zweck nicht. Ein sie begleitendes Mädchen, das hinter ihr gekniet, tat dies vor mir. Durch wenige aber lange und einsame Straßen führte ihr Weg, nur einmal sah sie sich um und schlüpfte dann durch die Pforten eines alten, nicht sehr ansehnlichen Hauses, dessen untere Fenster alle vergittert waren. Schon lange hatte sich die Tür hinter der wunderbaren Schönen geschlossen, und noch stand ich, die toten bemoosten Mauern und das rußig-braune Tor anstarrend, hinter dem sie verschwunden war. Ein vorübergehender Kapuziner weckte mich endlich aus meinen Träumereien, ich merkte mir Straße und Haus und kehrte vorerst heim. Als die Nacht herankam, durchstreifte ich mehrmals jene Straße, in welcher das mir merkwürdig gewordene Haus lag, aber an keinem Fenster desselben war auch nur ein Schimmer von Licht zu erblicken und alles so einsam und still, als wäre die Welt ausgestorben. Nachdem ich lange vergeblich auf irgendeine Entdeckung des mir so werten Gegenstandes gehofft hatte, entfernte ich mich, fest entschlossen, die näheren Verhältnisse meiner schönen Unbekannten à tout prix kennen zu lernen. Den anderen Tag erfuhr ich durch einen dienstbaren Geist, dem ich Straße und Haus bezeichnet hatte, daß die Dame die durch ihre Schönheit berühmte Signora Lucilla Manichetto aus Pesaro sei, die erst kürzlich, durch ihre Verwandten gezwungen, einem schon ziemlich bejahrten Richter ihre Hand gereicht, der sie strenge überwache, keinen Cicisbeo dulde und ihr nur das Kirchengehen morgens und abends in Begleitung eines Dienstmädchens gestatte. Also auch eine Lucilla, mir um so teurer, da sie mich an die kaum verlassene venezianische erinnerte. Daß ich nun immer in der Stunde, in welcher die Dame die Kirche besuchte, auch in derselben anzutreffen war, wird man mir ohne Beteuerung glauben. Ich richtete es jetzt so ein, ihr das Aqua benita zu reichen, und es gelang mir bald, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Durch dieses öftere Besuchen der Kirche wurde ich auch mit dem Sakristan derselben bekannt. Eines Abends, als ich längere Zeit auf meine Schöne wartete, begab ich mich in die Sakristei, wo ein dunkelgrüner Vorhang ein Gemälde in einem abgelegenen Winkel verhüllte. Ich befragte meinen neuen Bekannten, was es damit für eine Bewandtnis habe. Er erwiderte mir, daß es eigentlich streng verboten sei, dasselbe jemandem zu zeigen, indessen wollte er bei mir eine Ausnahme machen, wofür ich mich erkenntlich zeigte. Er zog nun an einer Schnur den Vorhang weg, und ich erblickte die Abbildung des Innern einer Kirche, in der ein Wüterich den Leichnam einer wunderschönen Frauengestalt mit einer Streitaxt in Stücke hieb und zerfleischte. Diese Darstellung erschütterte mich unangenehm, ich verließ die Sakristei wieder, und der Sakristan zeigte mir nun ein anderes Bild, das in der Kirche an einem Pfeiler hing und dem Anschein nach eine Geisterbeschwörung vorstellte. Mein Begleiter erzählte mir jetzt, sich bekreuzigend, daß dies Gemälde mit jenem in der Sakristei in engster Berührung stehe und der nämlichen Ursache seine Entstehung zu verdanken habe, obgleich es über zwölfhundert Jahre später gemalt worden sei. Ich bat ihn, mir den Zusammenhang und die Geschichte der beiden Bilder mitzuteilen, worauf er mir erwiderte, daß dies lange Zeit fordere und er außerdem die Geschichte des verhüllten Bildes nicht kenne, von dem anderen aber habe ihm sein Vorgänger, ein Greis von neunzig Jahren, erzählt, daß es die Verbannung eines bösen Geistes, der über tausend Jahre sein Unwesen jede Nacht in der Domkirche getrieben habe, vorstelle, und der nie ein Licht oder irgendeine Beleuchtung nach Mitternacht in dem Gottestempel mehr geduldet habe, sondern daß, sobald diese Stunde schlug, ein Windschauer alle Lichter, sogar in den wohlverwahrtesten Laternen, gelöscht habe, die dann niemand mehr anzuzünden imstande gewesen sei. Man habe alsdann ein schreckliches Getöse und Gepolter in den Gewölben und Hallen der Kirche vernommen und sich um diese Zeit kein Mensch mehr in dieselbe gewagt; seit undenklichen Zeiten hatte man die berühmtesten Geister- und Hexenbanner verschrieben sowie alle erdenkliche heilige Mittel angewendet, den Geist zur Ruhe zu verweisen, aber alles sei vergeblich gewesen, bis endlich einmal ein sehr sonderbar gekleideter, langbärtiger Mann aus einem unbekannten Land gekommen sei, dessen sich der Greis, der damals kaum zwanzig Jahre alt gewesen, noch gut zu entsinnen gewußt. Jener habe sich erboten, dem Spuk ein Ende zu machen, und eine ganze Nacht allein in der Kirche einschließen lassen. Mit Tagesanbruch habe er die Kirche von innen geöffnet, dem Priester, der die erste Messe lesen sollte, eine versiegelte Rolle übergeben und ihm geboten, dieselbe unter Schloß und Riegel wohl zu verwahren und niemandem als dem Bischof zu gestatten, die Siegel zu lösen. Sodann solle man das grause Bild aus der Kirche wegnehmen und verhüllt in einem Winkel der Sakristei aufbewahren und ein anderes, das man an einem gewissen Tag überbringen werde, dafür in die Kirche hängen. Hierauf verschwand der seltsame Mensch, von dem man nie wieder etwas gehört. Viele waren der Meinung, es sei der ewige Jude gewesen. Der Priester befolgte genau, was ihm befohlen war, der Spuk in der Kirche hörte von dieser Stunde an auf, der Bischof entsiegelte und las die ihm übergebenen Papiere, die hierauf in einer wohlverschlossenen Kassette in der Sakristei aufbewahrt wurden, wo sie sich noch befinden. Meine Neugierde hinsichtlich des Inhalts dieser Papiere war durch diesen Bericht rege gemacht. Der Sakristan gestand mir, daß er den Schlüssel zu dem Wandschrank habe, in dem sich die Kassette befinde, die sie enthalte, sowie daß er selbst schon einigemal in Versuchung gekommen, sie zu öffnen, aber eine Art Schauer habe ihn jedesmal überfallen, wenn er die Versuchung gehabt, und so sei er bis jetzt derselben widerstanden. Ich, der ich von diesem Schauer nichts empfand, bewog ihn durch Geschenke und Versprechungen, mir die Kassette auf eine Nacht anzuvertrauen, und wir öffneten dieselbe in meiner Wohnung mit Hilfe einiger krummer Nägel und starker Eisendrähte, aber auch der Deckel hielt so fest, wie wenn er angekittet wäre. Wir rissen ihn endlich auf, indem der eine an der Kassette, der andere am Deckel zog; nebst der Papierrolle fielen uns drei silberne und eine goldene Spange und ein Ring von demselben Metall in die Hände. Die Rolle enthielt ein in lateinischer Sprache mit gotischen Lettern geschriebenes Manuskript, das wir nicht ohne Mühe ins Italienische übertrugen und wir lasen eine gräßliche, von dem König Theobald in der Domkirche an seiner Gemahlin Rosaura verübte Mordgeschichte.[8] Noch eine zweite Rolle befand sich in der Kassette, die Spuk- und Erlösungsgeschichte des armen Geistes, ein von Mönchen mit lächerlichen Wundern ausgeschmücktes Machwerk.

Indessen hatte ich eben nicht mehr viel Zeit in Ravenna zu verlieren, denn ich wurde auf meinem Posten zu Velettri erwartet, doch wollte ich die Stadt nicht verlassen, ohne wenigstens einen Versuch gemacht zu haben, mit der Signora Manichetto eine Bekanntschaft anzuknüpfen; ich mußte also auf Mittel denken, rasch zum Ziel oder wenigstens zu einem Ja oder Nein zu kommen. Ich kaufte einige Kleinigkeiten von Galanteriewaren, die ich zu einem Geschenk für die begleitende Duenna bestimmte und die ich ihr am nächsten Morgen, als sie mit ihrer Begleiterin die Kirche verließ, nebst einem Billettchen einhändigte. In dem letzteren hatte ich meine Liebe zu der schönen Signora mit den lebhaftesten Farben geschildert und gebeten, mir doch einen Ort zu bestimmen, wo ich mit ihr, dem Mädchen, das Weitere besprechen könne; auf meine Erkenntlichkeit könne sie zählen. Noch denselben Tag erfuhr ich von der Duenna, daß, soviel sie gemerkt, ihre Gebieterin mir nicht abgeneigt sei, aber da sie mich gar nicht kenne, doch einiges Mißtrauen hege; außerdem verreise sie in ein paar Tagen, um sich nach Pesaro, ihrem Geburtsort, auf einige Zeit zu ihren Eltern zu begeben. – Ich sagte nun dem Mädchen, daß ich ein zu seinem Vergnügen reisender Partikulier sei, meinen eigenen Wagen bei mir habe und es mir ein großes Vergnügen machen würde, mit ihrer Herrin nach Pesaro zu fahren. – „Wo denken Sie hin,“ erwiderte das Kammerkätzchen, „il Signor Patrone hat schon einen Vetturino gedungen, der uns wohlverwahrt dahin bringen muß; aber auf der Reise dahin könnte sich wohl eine Gelegenheit finden, sich zu treffen.“ – „Scharmant, mein liebes Kind! Sieh, wenn du dies veranstalten kannst, dann sollst du noch ein schönes Geschenk von mir erhalten; da, nimm einstweilen auf Abschlag.“ – Ich drückte ihr eine Zechine in die Hand. – „Wissen Sie was,“ sagte sie mir noch freundlicher, „kommen Sie nach der Abendkirche an unsere Wohnung, dann werde ich imstande sein, Ihnen das Nähere mitzuteilen.“ – Drei Stunden nach Sonnenuntergang spazierte ich mit ihr Arm in Arm in der öden Straße, in der die Wohnung ihres Herrn war, und sie teilte mir mit, daß sie mit ihrer Frau übermorgen abreise, ich möge mich nur denselben Tag auf den Weg machen und es einrichten, daß ich in Forli mit ihnen zusammentreffe, dann würde sich das übrige finden. Über diese Nachricht erfreut, gab ich dem dienstbaren Geist noch eine Zechine und fragte, ob sie sich wohl mit einem Billettchen an ihre Dame befassen wolle. „Date pure,“ war die Antwort. Den anderen Tag sah ich Lucilla wieder in der Kirche und konnte aus ihren freundlichen Blicken lesen, daß was ich ihr geschrieben, keinen schlimmen Eindruck gemacht. Die wenige Zeit, die mir noch in Ravenna übrig blieb, verwendete ich darauf, Dantes schönes Grabmal in der Nähe des Franziskanerklosters zu besuchen sowie das dem König Theodorich von seiner berühmten Tochter Amalasonte außerhalb der Stadt errichtete Mausoleum, jetzt Santa Maria Rotonda getauft, dessen breite, über hundert Fuß umfassende Kuppel aus einem einzigen Steinblock gehauen ist und einen hohen Begriff von der Geschicklichkeit der Goten in der Architektur gibt. Ich besah auch noch mehrere andere Kirchen und Gebäude; es ist unglaublich, welchen Reichtum an kostbarem Marmor Ravenna enthält; es rivalisiert in dieser Hinsicht mit Rom, Venedig und Konstantinopel. Der große Tempel des heiligen Apollinarius in einer Vorstadt wird von vierundzwanzig ungeheuren Säulen von griechischem Marmor getragen, die von Konstantinopel hierher gebracht wurden. Die Kathedrale wurde schon im vierten Jahrhundert erbaut, seitdem freilich öfters restauriert.

Noch einmal sprach ich Marietta, so hieß die gefällige Dienerin, den Abend vor unserer Abreise und gab ihr Rendezvous in Forli; am anderen Morgen verließ ich Ravenna vor Sonnenaufgang, kam bald durch den gut und übel berüchtigten Pinienwald und durch die sich bis zu den Apenninen ausbreitenden Sümpfe, den kleinen Fluß Savio passierend, nach dem mitten in den Morästen liegenden Ort Cervia. Hier blieb ich in einer Locande, um einstweilen frühstückend den nachkommenden Vetturino abzuwarten, der mir jedoch die Zeit ziemlich lang machte, so daß ich schon vermutete, es habe irgendein Hindernis die Abreise der Dame verschoben; endlich, als ich eben überlegte, ob ich weiter fahren oder noch warten solle, vernahm ich das dumpfe Rollen eines herannahenden Wagens, der den von mir ersehnten Inhalt richtig brachte. Ehrerbietig grüßte ich die aussteigenden Frauen und war ihnen behilflich, aus dem Wagen zu kommen. Der Vetturino fütterte hier. Sie ließen sich sogleich ein Zimmer geben, und nach einigen Minuten trat Marietta wieder heraus und lispelte mir zu: „Entrate pure.“ Daß ich mir dies nicht zweimal sagen ließ, versteht sich von selbst, nach ein paar Sekunden küßte ich Lucillas niedliche Hand, und nach einigen Minuten Stirne, Wangen, Rosenlippen und so weiter der schönen Signora, welche die eintretende Zofe in meinen Armen fand und dazu lächelte. Wir brachten hier eine gute Stunde zu, während welcher die schalkhafte Marietta ab- und zuging und aufpaßte, damit unser Tête-à-tête nicht gestört werden konnte; einig und unverstanden waren wir bald, und als die Zofe endlich meldete, daß der Vetturino abzufahren bereit sei, aber der Weg über Cesenatico nach Rimini zu schlecht sei, es darum auch zu spät würde, weshalb er vorziehe, in Cesena zu übernachten, waren wir dies ganz zufrieden und brachten in der letzteren Stadt eine hochvergnügte Nacht zu. Zum zweitenmal passierte ich den anderen Tag den Pisatello (Rubikon), um nach Rimini zu fahren; ich war mit Lucilla übereingekommen, daß sie, Unwohlsein vorschützend, dort einen Tag verweilen sollte, was ihr angegriffenes Aussehen auch glaubhaft machte. In Rimini blieben wir statt einen zwei Tage, ohne das Albergo nur zu verlassen, und löschten die Flammen der durch süße Weine immer wieder angefeuerten Liebesglut zur Genüge, so daß wir den dritten Tag mit ziemlich gedämpftem Feuer den Weg nach Pesaro antraten, wo Lucilla auf das wohlwollendste von ihren Eltern empfangen und wegen ihres Unwohlseins auf das teilnehmendste bedauert wurde. In Rimini verweilte ich noch zwei Tage, nahm dann herzlichen Abschied in meinem Quartier von meiner liebenswürdigen Reisegefährtin und setzte meinen Weg, ohne mich ferner irgendwo aufzuhalten, nach Rom fort, wo ich wohlbehalten ankam, mich bei dem General Miollis meldete, Torlonia besuchte und erfuhr, daß die längst getröstete Cesarini noch immer auf dem Land lebe. Von Rom begab ich mich nach einigen Tagen zu meiner Kompagnie nach Velletri, wo ich die Kommandantur des Platzes wieder antrat und, um mich zu zerstreuen, mit einigen Einwohnern fast täglich auf die Jagd ging, die hier außerordentlich ergiebig ist.

Velletri ist an und für sich ein häßliches Nest, das auf einer Anhöhe am Abhang des Albaner Berges liegt. Es war die alte Hauptstadt der Volsker; schon unter ihrem vierten König, Ankus Martius, sollen es die Römer erobert, aber nicht behauptet haben, bis es der achtzigjährige Camillus, nachdem er die Gallier verjagt, abermals eroberte. Die jetzige Stadt ist schlecht, eng und abhängig gebaut, hat ein paar ansehnliche Paläste, namentlich den Palazzo Ginetti, durch seine schöne Fassade, seine prächtige Treppe und seine Gärten berühmt; was die Stadt am merkwürdigsten macht, ist, daß Augustus hier geboren wurde. Hier und in der Umgegend findet man noch viele altrömische Ruinen von Tempeln, Villen und so weiter. Ich hatte meine Residenz in dem Palast aufgeschlagen, der dem Kardinal Borgia gehört hatte. Auf dem ziemlich großen Marktplatz steht die Bildsäule Urban VIII. Öfters machte ich auch kleine Ausflüge nach Porto d’Anzio, Piperno und so weiter, um dort Kameraden zu besuchen, sowie Jagdpartien in die Pontinischen Sümpfe, in denen es von Geflügelwild wimmelte, namentlich wilden Enten und Wasserhühnern, so daß, wenn man einen Schuß in die Schilfrohre tat, sich eine schwarze Wolke von Vögeln erhob. Auf einer solchen Jagd hatte ein paar Jahre früher ein Leutnant vom Regiment Y., namens Erny aus Darmstadt, das Leben eingebüßt, indem er in einem überwachsenen Sumpf ertrank oder vielmehr erstickte. Man fand seinen Leichnam nur mit Hilfe seines zu ihm führenden treuen winselnden Hundes. Von Velletri aus hat man die Gegend der Pontinischen Sümpfe immer im Angesicht; sie beginnen noch vor Treponti und erstrecken sich bis Terracina. Es gibt Plätze in denselben, wo die Luft so giftig ist, daß sie in wenigen Tagen töten kann. Diese aria cativissima ist wahrscheinlich durch die vielen Überschwemmungen entstanden, welchen diese Gegend so häufig ausgesetzt ist. Cäsar, Trajan, Antonius Pius und andere alte Römer sowie die Päpste Bonifacius VIII., Martin V., Leo X. und besonders Pius VI. haben sich unsägliche Mühe mit der Austrocknung dieser Moräste gegeben, ohne ihren Zweck vollkommen erreichen zu können; die Überschwemmungen zerstörten immer wieder teilweise die gemachten Arbeiten. Das einzige Vieh, das hier gut gedeiht, sind die Büffel, von denen man großen, wohlgemästeten Herden in Masse begegnet. Diesem Vieh scheint überhaupt nur im Morast, Unrat und Schlamm ganz wohl zu sein, diese Erfahrung hatte ich schon in meiner Heimat gemacht. Durch diese Sümpfe ging auch die berühmte Appische Straße, die man unter Pius VI. wieder auffand und die in gerader Linie bis Terracina führt. Die neue Straße, welche Pius VI. 1778 anlegen ließ, geht ihrer ganzen Länge nach, etwa zehn Stunden, durch diese Sümpfe. Rechts von derselben befindet sich noch der Kanal, den Augustus graben ließ, um die Wasser abzuführen und den Horaz auf seiner Reise nach Brindisi beschiffte. Der erwähnte Papst ließ ihn wieder instand setzen. Dieser Weg ist auf beiden Seiten mit hohen Ulmen und Gebüsch begrenzt, in gehöriger Entfernung liegen Posthäuser mit geräumigen Stallungen, die Pferde sind aber meistens halb wild, schwer zu zügeln und gehen gerne durch. Die hier lebenden Individuen sehen hohläugigen, blaßgelben Gespenstern ähnlich. Plinius berichtet, daß in dieser Gegend ehedem dreiundzwanzig blühende Städte gestanden, von denen aber keine Spur mehr vorhanden ist; selbst ihre Namen sind bis auf den der Stadt Pometia, welche den ihrigen den Sümpfen, in deren Mitte sie lag, verlieh, verschwunden. Das Austreten der Flüsse und Bäche, deren Wasser in die Ebene hinabströmte, hat diese Moräste gebildet. Napoleon hatte die Absicht, diese Gegend austrocknen zu lassen, geäußert, aber es unterblieb, wie so manche seiner Projekte. Auf die Einwohner von Velletri selbst und dessen nächste Umgebung scheint jedoch diese aria cattiva wenig Einfluß zu haben, denn die Männer haben ein gutes Aussehen und sind von ziemlich kräftiger Natur, und Mädchen und junge Frauen haben blühende Gesichter; unter ihnen waren recht hübsche Brünetten und nicht ohne Feuer, wie ich mich während meines Aufenthaltes zu Velletri zu überzeugen hinlänglich Gelegenheit hatte. Sie haben ungefähr dasselbe reizende, kokette und verführerische Kostüm, wie die Frauen zu Albano.

Da so ziemlich mit dem Anfang des Novembers die fatale Regenzeit eintrat und was sich aus Rom hier aufhielt, nun dahin zurückkehrte, so fing ich an, mich bei meiner obgleich ziemlich einträglichen Kommandantur doch gewaltig zu langweilen. Ich erbat mir deshalb öfters Urlaub nach Rom, wohin ich wegen der größeren Entfernung nicht wie von Albano aus tägliche Abstecher machen konnte. Das Haus, welches ich daselbst am meisten frequentierte, war immer wieder Torlonia, wo ich auch in der Regel den General Miollis traf, mit dem ich dort näher bekannt wurde. Von der Cesarini erfuhr ich, daß sie schon längst einen vornehmen Römer zum erhörten Anbeter habe. Eines Abends äußerte Miollis, dem mein musikalisches Talent, das in diesen Soireen wieder in Anspruch genommen wurde, gefiel, gegen Torlonia, daß er eine Mission nach Paris habe, zu der er einen gewandten und zuverlässigen Offizier gebrauche. Torlonia meinte, in mir würde er wohl finden, was er suche, und er eröffnete mir die Äußerung des Gouverneurs. Ich griff sogleich diese Sache mit dem größten Eifer auf, denn schon längst war es mein sehnlichster und heißester Wunsch gewesen, Frankreichs berühmte Hauptstadt, von der alle Teufeleien, Moden und die Welt erschütternde Befehle ausgingen, kennen zu lernen, und ich bat Torlonia, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, es bei dem General dahin zu bringen, mich zu dieser Sendung zu verwenden, wobei ich auch noch Gelegenheit zu finden hoffte, zur kaiserlichen Garde versetzt zu werden, ein anderer nicht minder eifriger Wunsch, den ich längst in meiner Brust nährte. Torlonia versprach sein Bestes in dieser Angelegenheit zu tun, und schon den nächsten Tag erfuhr ich zu meiner Freude von ihm, daß sich Miollis durchaus nicht abgeneigt gezeigt habe, mich zu dieser Mission zu gebrauchen, durch die er, wie es scheine, auch die Erreichung einiger Privatzwecke beabsichtige, wozu er mich für ganz geeignet halte; der Aufenthalt in Paris dürfte aber mehrere Monate währen. „Je länger, desto besser,“ erwiderte ich vergnügt. Noch denselben Tag wurde ich zum Gouverneur beordert, der mit mir über diese Angelegenheit sprach und damit begann, mir mitzuteilen, daß sie weit schwierigerer Art als die Sendung nach Wien sei, wo ich nur Depeschen abzugeben gehabt und so weiter. Er lud mich zur Tafel, und ich hatte mich so gut bei ihm zu insinuieren gewußt, daß eine zweite Unterredung, die er auf den anderen Morgen festsetzte, damit schloß, daß er mir sagte, ich möchte mich bereit halten, gegen die Mitte des Dezember abzureisen. Ich aß nun noch öfters beim General, brachte auch manchen Abend mit ihm zu und hatte bald heraus, daß meine offizielle Mission, Überbringung von Depeschen und Lieferungsangelegenheiten von Montierungsstücken für das im Kirchenstaat stehende Armeekorps, eigentlich nur Vorwand war und gewisse Privatangelegenheiten Miollis, die zu besorgen er mich für tüchtig hielt und ich betreiben sollte, die Hauptsache ausmachten, weshalb ich auch außerdem noch mit den besten Empfehlungsschreiben an die einflußreichsten Personen zu Paris und den Kriegsminister vor meiner Abreise versehen wurde. Den 10. Dezember verließ ich Rom, schiffte mich in Civita-Vecchia auf einer Kanonierschaluppe ein und landete trotz Stürmen und den kreuzenden Engländern doch schon den neunten Tag zu Marseille, von wo ich nach einer kurzen Quarantäne über Aix, Avignon Lyon und so weiter, ohne mich irgendwo aufzuhalten, nach Paris fuhr, wo ich noch vor Neujahr glücklich eintraf. Es war aber schon beinahe Nacht, als ich die letzte Station vor Paris verließ und so den ersten Anblick der großen Hauptstadt des damals so mächtigen Kaiserreichs entbehren mußte. Ich stieg in einem Hôtel garni der Straße Richelieu ab, wo ich für diese Nacht nichts weiter als ein bequemes Bett verlangte, denn seit Marseille hatte ich keines mehr zu Gesicht bekommen und war an allen Gliedern wie gerädert; dies hatte die Eile und der Wunsch, Paris baldmöglichst zu sehen, gemacht, denn ich hatte mir keinen Moment Rast gegönnt.

XVI.
Paris im Jahre 1810. – Das Palais Royal. – Unvermutetes Zusammentreffen mit dem Fürsten Y... – Der Konkordienplatz. – Notre Dame. – Das Hotel de Dieu. – Der Justizpalast. – Meinungen über Napoleons Ehescheidung. – Unerwartete Begegnung einer früheren Bekannten. – Eine Interimsehe. – Die Spielhöllen im Palais Royal. – Eine Wache wirft einen jungen Menschen in die Seine. – Der Pariser Karneval. – Die Ochsenprozession. – Stimmung des französischen Volkes bei der Nachricht von der bevorstehenden Vermählung Napoleons mit Marie Louise. – Ein verfänglicher Calembourg aux français. – Das Totenmahl beim Fürsten Y...

Hoch war es am Tag, als ich am anderen Morgen in der ungeheuren Stadt erwachte, von der jetzt alle Blitze, furchtbarer als die des Vatikans, und nicht zu widerstehende Vollstreckungsbefehle über fast ganz Europa ausgingen, und in der der Gebieter des Tages mit eisernem Willen und Szepter thronte. Fast kam es mir wie ein Traum vor, mich in dem Zentralpunkt zu finden, von dem seit zwanzig Jahren so viel Teufeleien und welterschütternde Umwälzungen ausgingen, die der ganzen Erde eine andere Gestalt zu verleihen schienen, und doch:

„Wir sind nun in der Stadt Paris,

Wo man den König köpfen ließ,

Wo man die Welt so lang gedreht,

Bis auf dem alten Fleck sie steht!“

sagt das bekannte Guckkastenlied. Napoleon sprach aus eigener Erfahrung: „Es ist nur ein Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen!“ und hierin hatte er vollkommen recht. Obgleich an allen Gliedern noch wie gerädert, machte ich mich doch bald nach dem Erwachen aus dem Bett, nahm mein Frühstück ein, steckte mich dann en grande tenue, und da es noch etwas zu früh war, eilte ich zuerst in das ganz nahe gelegene weltberüchtigte Palais Royal, das mich eben in kein so großes Erstaunen versetzte, obgleich es gewissermaßen eine kleine Stadt für sich bildet. Selbst das öffentliche Leben und Treiben in Paris, das Gewühl auf den Boulevards und in den Straßen war außerordentlich, schien mir jedoch nicht ungewöhnlich, da es zu Neapel ebenso und in der Straße Toledo beinahe noch größer ist, als in der Straße Saint Honoré und anderen. Ich begab mich in das damals so berühmte Café des mille colonnes, das wegen der sich in seinen Trumeaux tausendfach wiederspiegelnden Säulen so genannt wurde, und in dem eine etwas korpulente Schönheit, eine cidevant limonadière, als Dame du Comptoir am Zahltisch thronte und mit Brillanten überladen war. Von hier fuhr ich zum Kriegsminister, Duc de Feltre (Clarke), an den ich Briefe und Depeschen von General Miollis nebst einem Empfehlungsschreiben hatte. Ich bekam ihn aber vorerst nicht zu sehen, sondern hinterließ meine Adresse. Dann fuhr ich noch zu verschiedenen anderen hohen Militärpersonen und im Zivil Angestellten, an die ich ebenfalls Briefe und Empfehlungen abzugeben hatte. Hierauf nahm ich einen Fiaker à l’heure und ließ mich, um rasch mit den Lokalitäten bekannt zu werden, über alle Boulevards, dann an dem Louvre, den Tuilerien vorbei, in die elysäischen Felder fahren, kehrte über den Konkordienplatz, auf dem so lange die Zwietracht ihr scheußliches Haupt geschüttelt hatte, zurück, fuhr über die Brücke, die damals auch diesen satirischen Namen führte, nach dem Invalidenhotel, von da nach dem Luxemburg und dem Pantheon, an dem Jardin des plantes, dem Quai Saint Bernhard wieder herauf, in die Cité, an Notre-Dame und dem Justizpalast vorbei, und von da wieder in mein Hotel, von wo ich mich, nachdem ich etwas ausgeruht, wieder in das Palais Royal begab und ein lukullisches Mittagmahl mit der eingebrochenen Nacht bei den frères provençaux einnahm, dessen Hauptsubstanzen Pâtes de perigord, perdrix aux truffles, Ortolanen, Ananas zum Dessert und Kapwein waren. Auch war meine Carte payante einige vierzig Franken stark. Jetzt gefiel mir das Palais Royal weit besser als am Tage. Es war fast magisch erleuchtet, seine reichen Buden mit ihrem zum Teil sehr kostbaren Inhalt werfen einen blendenden Glanz von sich, und die Tausende der Töchter der Freude, von denen es wimmelte, alle in prächtiger, wenn auch oft burlesker Toilette, gaben ihm einen eigenen Reiz und machten es wenigstens für den Beobachter sehr unterhaltend. Besonders, wenn man die Künste wahrnahm, welche sie anwandten, um die Gimpel aus den Provinzen und der Fremde, den unerfahrenen Neuling in ihre Netze zu locken und zu fangen. Nachdem ich diesem Treiben eine Weile mit Vergnügen zugesehen, und à mon tour, einige dieser leichtfertigen Schönen zum besten gehabt, indem ich ihnen gerade entwischte, wenn sie ihren Fang recht fest zu halten glaubten, ging ich in das an das Palais Royal grenzende französische Theater, wo ich zum erstenmal die Mars und zugleich ihre Rivalin, die Leverd, spielen sah und von der unwiderstehlich reizenden Persönlichkeit der ersteren entzückt wurde. So hatte ich meinen ersten Tag in Paris hingebracht. Den folgenden nahm ich nochmals einen Fiaker und fuhr über den Bastillenplatz durch die Vorstadt Saint Antoine zur Barriere de Vincennes hinaus und um die äußeren Boulevards. Ich hatte mich nun wenigstens oberflächlich in der unermeßlichen Stadt orientiert und nahm mir vor, später alle Merkwürdigkeiten einzeln zu besuchen, was ich auch nach und nach vollbrachte, und namentlich die Schätze des Louvre, welches damals die aus ganz Europa zusammengeraubten Meisterwerke der ersten Künstler enthielt, sowie andere Museen, die Kirchen, die Tuilerien, das Pantheon, den Pflanzengarten, den noch stehenden Temple, die Conciergerie, in der Maria Antoinette ihre letzten Kummertage zugebracht, sowie alle historisch merkwürdigen Orte besuchte. Eine Beschreibung von Paris und seinen Monumenten, die Bände füllen würde, wäre hier um so weniger an ihrem Platz, als diese tausendmal beschriebenen Gegenstände so ziemlich von jedermann gekannt sind und jeder weiß, daß das Palais Royal, vom Kardinal Richelieu erbaut, der Sammelplatz und das Rendezvous der Individuen aller Nationen ist, daß die Kaffeesäle und Restaurationen prächtig sind, man in Silber serviert wird, die Leckerbissen aller fünf Weltteile hier zu haben sind, daß, wenn man in dessen Spielhöllen sein Geld verloren, man seinen Schmerz in der anstoßenden Restauration nach Belieben in Tokaier, Kapwein oder Lacrimae Christi ertränken, sich dann in der unter derselben befindlichen Waffenbude ein paar Pistolen kaufen und mit einem Druck all seinen irdischen Leiden ein Ende machen konnte, wie dies öfters vorgekommen, und so weiter. Während der Revolution war das Palais Royal, Palais Egalité genannt, der Tummelplatz der größten Unruhestifter. Hier hatte man zuerst die dreifarbige Kokarde aufgesteckt, den Papst im Bilde verbrannt, d’Espremenil im Bassin des Gartens ersäuft, und Camille Desmoulins forderte hier vor dem Café Foy das Volk zum Aufstand gegen den Hof auf. Es war und ist beständig der Sammelplatz aller Pflastertreter, Glücksritter, Taschendiebe, Gaukler, politischen Kannegießer, Neuigkeitskrämer, Freudendirnen, Modedamen und so weiter. Ein Sündennest, in dem sich alle Laster und Verbrechen zu einer Quintessenz konzentrieren.

Als ich den dritten oder vierten Tag mich zum Frühstück in das Palais Royal begab, begegnete ich zu meinem großen Erstaunen Sr. Durchlaucht dem Fürsten Y., und zwar in Generalsuniform, daselbst. Ich hatte ihn, seitdem er das Regiment zu Montpellier verlassen, nicht wieder gesehen. Er war zum Brigadegeneral avanciert. Ich grüßte ehrerbietig und wollte mich an ihm vorüberdrücken. Er hatte mich aber erkannt und die Gnade, mich deutsch mit den Worten: „Mein Gott, Fröhlich, wie kommen Sie hierher?“ anzusprechen. – Ich mußte ihm nicht nur dieses, sondern meine ganze seit jener Zeit durchlaufene Karriere mit wenig Worten mitteilen. Er war nun so gnädig, mich fast mit Gewalt in das Café Foy zu nötigen und daselbst mit dem feinsten Likör zu regalieren, erzählte mir, daß er bestimmt gewesen, in Spanien bei dem Armeekorps des Marschall Moncey zu agieren und dessen erste Division zu kommandieren, daß ihn aber das sich jetzt immer häufiger einstellende abscheuliche Podagra verhindert habe, Beweise von seinem militärischen Genie und seiner Tapferkeit abzulegen. Der Geschichte zu Montpellier wurde mit keiner Silbe erwähnt, aber ich erlaubte mir, Sr. Durchlaucht im Laufe des Gespräches einige Bemerkungen über die Zusammensetzung und Administration des Regimentes Y. submissest zu machen, namentlich daß so mancher Schofel dabei angestellt gewesen. Son Altesse geruhten die Achsel zu zucken, tranken ein Gläschen Crême de Mocca mehr, luden mich ein, sie den kommenden Morgen in ihrer Wohnung in der Rue Saint George zu besuchen, und während meines Aufenthaltes zu Paris ihr Haus wie das meinige zu betrachten. Ja der Fürst bot mir sogar ein Zimmer in seiner Wohnung an, wofür ich jedoch herzlich dankte, dagegen den Besuch versprach. Als wir den Kaffeesaal endlich verließen und ich mich zu Gnaden empfehlen wollte, lud er mich ein, noch einen Spaziergang mit ihm nach den elysäischen Feldern zu machen. Als wir über den Konkordienplatz kamen, stand er still und sagte seufzend: „Dies ist der schönste Platz in Paris, aber auch ein fürchterlich merkwürdiger Platz!“ – „Jawohl, Ihro Durchlaucht,“ erwiderte ich, „denn hier fielen die Häupter des unglücklichsten Königspaares unter dem Beil des Henkers. Dieser Platz ist es, auf dem bei den Vermählungsfeierlichkeiten Ludwig XVI. und Maria Antoinettens über hundertfünfzig Menschen das Leben verloren und an tausend mehr oder minder beschädigt und verstümmelt wurden – ein schreckliches Fest! – Hier wurde 1792 die Bildsäule des stupiden Wüstlings Ludwig XV., der frisiert, mit Lorbeern gekrönt und in römischer Tracht dargestellt war, umgestürzt. Hier fielen während der Schreckenszeit unzählige freisinnige und rechtliche Bürger als Opfer der blutigsten republikanischen Tyrannei, und da, wo wir stehen, war der Boden von dem vergossenen Blut schon so durchtränkt und schlüpfrig, daß man nicht mehr darauf gehen konnte, ohne auszuglitschen, und die Guillotine mußte weiter gebracht werden.“ – „Lassen Sie auch uns weiter gehen,“ sagte Fürst Y. etwas kleinlaut, und wir eilten nach den elysäischen Feldern, wo ich äußerte, daß ich gerne nach Notre-Dame, da ich diese Kirche noch nicht besucht, gehen möchte. – „Ich will Sie dahin begleiten,“ sagte der Fürst, und wir fuhren zusammen in einem Fiaker nach der großen Seine-Insel, die für sich eine sehr bedeutende Stadt bildet. Bei Notre-Dame angekommen, stiegen wir aus. Auf der Stelle, wo diese ungeheure Steinmasse steht, war vor Jahrtausenden ein heidnischer Götzenaltar. Als die Pariser Heiden christliche Menschen wurden, stürzten sie diesen, wie in unseren Tagen ihre Könige, und errichteten dem heiligen Stephan eine Kirche auf diesem Platz. Childebert I. ließ eine größere Kirche dahin bauen, die er der Jungfrau widmete. 1010 legte aber Robert der Fromme, ein Sohn Hugo Capets, den Grundstein zu dem jetzt noch stehenden Riesentempel, an dem über drei Jahrhunderte gebaut wurde. Zweitausend Bleitafeln decken ihn und seine Seitenkapellen. Auf dem Platz vor der Kirche, Parvis genannt, hatten die Bischöfe von Paris ihre eigene Gerichtsbarkeit, was durch eine daselbst aufgehängte Galgenleiter angedeutet war. 1789 fand die feierliche Fahnenweihe der Nationalgarden unter Lafayette in dieser Kirche statt. Während der Schreckenszeit wurde sie ihrer schönsten Zierden beraubt, zahllose Figuren, Obelisken, Pyramiden, Mausoleen wurden zertrümmert. Die stupiden Blutmenschen wühlten sogar die Gräber auf und beraubten sie der Knochen und Lumpen, die sie enthielten. Unsinnige Kannibalen, wütende Ungeheuer, die sich, ein beißender Spott, Freiheitsmänner nannten, weil sie selbst auf eine kurze Zeit die Freiheit hatten, alle Freiheit mit Füßen zu treten, hielten jetzt ihre Versammlungen in den geweihten Mauern, sangen ekelhaft-schmutzige Zotengesänge in den hochgewölbten Hallen und brüllten gleich wütenden Bestien klassische Dummheiten und Nichtswürdigkeiten von der Kanzel herab, sich dabei Philosophen nennend. Als endlich 1802 die Freiheit des Gottesdienstes wieder proklamiert wurde, erhielt die Kirche ihre frühere friedliche Bestimmung wieder, und war nicht mehr der Tummelplatz der abgeschmacktesten Unwissenheit. Den 3. Dezember ließ sich Napoleon von Pius VII., den er jetzt gefangen hielt, hier krönen. Die große Glocke des einen Turmes, die Ludwig XIV. aufhängen ließ, wiegt weit über dreihundert Zentner. Gleich bei dieser Kirche befindet sich das große Hotel de Dieu, dessen Stiftung man einem heiligen Landry zuschreibt, der der achte Bischof von Paris gewesen. Aber der eigentliche Gründer war der heilige Ludwig. Hier werden die Kranken aller Nationen, ohne Unterschied des Geschlechtes, der Religion, des Standes, aufgenommen, gut gepflegt und von mehr als zweihundert frommen Schwestern und einem halben Hundert Ober- und Unterchirurgen bedient. Nur Pestkranke, Venerische und Unheilbare nimmt man nicht an. Die Säle enthalten über viertausend Betten. Hier findet man die lebendigsten Gemälde alles menschlichen Elends und Jammers. 1737 legte eine vier Tage lang wütende Feuersbrunst das ganze Gebäude in Asche. Noch furchtbarer war die von 1772, bei welcher viele Hunderte von Kranken den Tod in den Flammen fanden. Der auf derselben Insel liegende Justizpalast ist ein wahres Labyrinth der Gerechtigkeit, zu welchem nur die in alle Schikanen der heiligen Justitia Eingeweihten den leitenden Faden haben. Es war ehedem die Residenz der Herrscher Frankreichs, bis es Karl III. dem Parlament abtrat. In dem ungeheuren Saal der Pas perdus finden sich alle zusammen, die hier etwas zu suchen oder zu verlieren haben. Auch ist er das allgemeine Entree zu den verschiedenen Tribunalen. Unter diesem Saal befinden sich die Archive, in denen Berge von Prozeßakten aufbewahrt werden, worunter manche von hohem Interesse sind, wie zum Beispiel die, welche die Johanna d’Arc betreffen. Die heilige Kapelle, die an diesen Palast stößt, ist die uralte Kirche der ersten christlichen Rasse der Könige von Frankreich, die auch diesen Palast erbaute. Sie ist ein schönes Monument jener Zeiten.

Fürst Y. hatte die Güte, bei Besichtigung dieser Merkwürdigkeiten mein Cicerone zu sein. Er lud mich, als wir uns trennten, nochmals dringend ein, ihn doch ja den nächsten Morgen zu besuchen, und zum Dejeuner um Mittag bei ihm zu sein. Ich versprach, mich zur bestimmten Zeit einzufinden, und hielt Wort, wurde äußerst freundlich empfangen und brachte wieder ein paar Stunden mit ihm hin. Aber das böse Zipperlein plagte ihn so gewaltig, daß er, auf einer Ottomane ausgestreckt, nach Römersitte das Frühstück zu sich nahm. Noch denselben Tag mietete ich mir eine Wohnung von ein paar möblierten Zimmern in der Straße Choiseul, streifte noch immer in der großen Stadt umher, um sie genauer kennen zu lernen, und machte hier und da einige nicht uninteressante Bekanntschaften unter den Offizieren in Restaurationen und Kaffeehäusern. Damals war ganz Paris voll von Napoleons Ehescheidung von Josephinen. Dieser Gegenstand gab fortwährend den Hauptstoff der Unterhaltung an öffentlichen Orten und in Privathäusern; und wie groß auch das Spionenwesen zu jener Zeit in Frankreich und Paris sein mochte, so daß jedes nur zweideutige Wort von der geheimen Polizei aufgefangen wurde, so nahm man dennoch bei dieser Veranlassung kein Blatt vor den Mund, besprach diese Scheidung öffentlich und tadelnd, nannte sie ebenso unpolitisch und unklug als lieblos. Ebenso rücksichtslos sprach man sich über den Kaiser hinsichtlich des spanischen Krieges, ja über das Spioniersystem selbst aus. Freilich hätte man ganz Paris und halb Frankreich einstecken oder stumm machen müssen, wenn man alle Individuen, welche sich dies herausnahmen, hätte bestrafen wollen. Ein Beweis, daß auch der gewaltigste Despotismus die Zungen nicht in Fesseln zu legen vermag, wie viel weniger die Gedanken. Was die Köpfe aber jetzt am meisten beschäftigte, war die Wahl, die Napoleon treffen würde, um sich eine zweite Gemahlin zu geben. Die meisten Franzosen waren der Meinung, daß es eine Französin aus einer guten Familie sein werde. Ist er klug, sagten viele, so nimmt er sich eine liebenswürdige Frau aus einer honetten Bürgerfamilie, um seine Nachfolge zu sichern. Dadurch wird er die Nation durch ein Band mehr an sich knüpfen und zeigen, daß er über die alten Vorurteile und Schnurrpfeifereien erhaben ist. Aber so klug war er nicht. Die kaiserliche Krone war zu schwer für ihn und lastete drückend auf seinem Gehirn, denn seit er sie sich auf den Kopf gesetzt, sah er nicht mehr klar und befolgte in jeder Hinsicht eine jämmerliche, kindische und kleinliche Politik, die ihn notwendigerweise ins Verderben stürzen mußte, wie er überhaupt als Politiker noch tief unter der Mittelmäßigkeit stand. Wenig Personen glaubten, daß er sich eine auswärtige Prinzessin, und am allerwenigsten, daß er sich eine österreichische zulegen würde. Über die Ehescheidung selbst waren die Meinungen sehr verschieden. Denn so sehr auch Josephine im allgemeinen beliebt war, so sagte man sich doch, daß es zum Wohle Frankreichs nötig sei, daß Napoleon Leibeserben erhalte, und entschuldigte ihn deshalb, sowie wegen seiner meist sehr flüchtigen Nebenamouretten, da Josephine während seiner Abwesenheit in Italien, wo er als Oberfeldherr des dortigen Heeres weilte, und wenn sie Bäder besuchte, sich ebenfalls keiner allzu großen ehelichen Treue rühmen konnte.

Als ich eines Tages, nachdem ich mehrere Aufträge für das im Kirchenstaat stehende Armeekorps besorgt und Lieferungskontrakte abgeschlossen, etwa zehn Tage nach meiner Ankunft zu Paris, heimkehrte, fand ich eine Order vom Kriegsminister vor, die mich auf den nächsten Morgen zu demselben beschied. Mich zu ihm verfügend, wurde ich sogleich in sein Kabinett eingeführt und sehr artig von ihm empfangen. Er fragte mich besonders viel über die römischen Zustände, erkundigte sich nach den Einzelheiten bei der Verhaftung des Papstes und was bis zu meiner Abreise noch in Rom besonders vorgefallen und so weiter. Nach dem, was mich Miollis hatte merken lassen, schien es, als suche er eine Versetzung nach Paris und in Napoleons Nähe, nach Clarkes Äußerungen aber war es der Marschallstab, der ihm im Kopf steckte, und jetzt ging mir erst ein Licht auf, warum er mir Empfehlungen an verschiedene Personen mitgegeben hatte, die in näherer Berührung mit der an den Prinzen Borghese vermählten Schwester Napoleons, der schönen Pauline standen, und von der er sich einbildete, daß sie eine große Gewalt über ihren Bruder habe. Bei mir hatte er sich geäußert, daß, wenn man ein Anliegen beim Kaiser habe, es durch diesen Kanal am besten vorgebracht werde. Auch ich müßte suchen, diese Gelegenheit zu benützen, um mich in die Gunst dieser Dame zu setzen und so eine recht brillante Karriere zu machen, dabei aber auch seine Angelegenheit nicht vergessen. Da aber Pauline noch gar nicht in Paris anwesend war, so konnte für den Augenblick nicht operiert werden. Clarke eröffnete mir, daß, so lange meine Anwesenheit währe, ich täglich vierundzwanzig Franken Diäten erhalten werde. Meine Reisekosten wurden mir natürlich ohnehin reichlich vergütet. Dazu kam noch, daß ich von den Kaufleuten und Fabrikanten, mit denen ich Lieferungskontrakte abschloß, nicht unbedeutende Geschenke erhielt. Dagegen aber bekam ich fortwährend so viel Aufträge von Offizieren meines Regimentes und anderer, die im Römischen standen, silberne und goldene Epauletten, Hüte, Federbüsche, Handschuhe, Tücher, Stiefeln und Gott weiß was alles zu kaufen und zu schicken, daß oft kaum meine Kasse hinreichte, all diese Kommissionen zu besorgen. Auch erhielt ich später kaum ein Dritteil meiner Auslagen wieder, da viele der Offiziere blieben oder starben, bevor sie mich bezahlten, andere nicht daran dachten, dies zu tun. Indessen stand ich mich dennoch im ganzen in finanzieller Hinsicht sehr gut in Paris und erhielt sogar noch einiges Geld von Haus. Fürst Y., der mich jetzt, ich weiß nicht warum, in ganz besondere Affektion genommen hatte, und dem ich bisweilen aus französischen oder deutschen Werken, wenn ihn das böse Zipperlein plagte, vorlas, bestand darauf, daß ich wenigstens den Tisch bei ihm nehmen müsse und stellte sogar eine Equipage und ein Reitpferd zu meiner Verfügung, wofür ich ihm sehr erkenntlich war, da dies in Paris nicht zu verwerfen und keine Kleinigkeit ist. Ich machte besonders Gebrauch von letzterem, indem ich fast täglich über die Boulevards und in die elysäischen Felder ritt, den Wagen aber nur selten benützte und mich lieber in einen Fiaker setzte. Nach und nach hatte ich auch sämtliche Theater, es waren damals nur acht im Gange, besucht. Früher hatte man deren an zwanzig gezählt, Napoleon hatte aber, ich weiß nicht warum, ein Dutzend aus eigener Machtvollkommenheit schließen lassen.

Der Neujahrstag war diesmal (1810) ganz besonders glänzend und feierlich in Paris begangen worden, die Gratulationsdeputationen nahmen kein Ende. Zu seinem Leidwesen konnte Fürst Y. sich nicht seiner Schuldigkeit in dieser Hinsicht entledigen, da ihn das Podagra den ganzen Tag an das Faulbett fesselte, was ihn sehr mißmutig machte. Die Buden in dem Palais Royal, auf den Boulevards, der Straße Saint Honoré und so weiter waren überaus reich und prächtig, wie es um diese Zeit immer geschieht, mit den kostbarsten Waren jeder Gattung ausgestattet; besonders aber waren es die Bijouterie-, Gold- und Silber-, Mode- und Konditorläden. So geschmackvoll mit den kostbarsten Gegenständen versehen, hatte ich sie noch nirgends bemerkt. Diese Tage sind hauptsächlich für die sich auszeichnenden Pariser Theaterprinzessinnen ergiebig, die mit Geschenken überschüttet werden. Auch Se. Durchlaucht hatten sich reich mit dergleichen versehen, wenigstens für zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend Franken an Wert, die sie einigen Theaterhoheiten zum Geschenk machte. Da Fürst Y. über acht Tage das Zimmer hüten mußte, so beauftragte er mich mit der Überbringung mehrerer derselben in seinem Namen. Namentlich erhielt Demoiselle Mars und die schöne Tänzerin Gardel eine jede ein Paar Brillantohrringe von mindestens viertausend Franken an Wert, die mit großer Freundlichkeit dankbar angenommen wurden. Man bat mich auf das höflichste, Seiner Durchlaucht ihre wohlwollenden Gesinnungen zu versichern und auch meine Besuche zu wiederholen, was ich nicht verschmähte. – „Mais soyez sage,“ hatte mir Fürst Y. nachgerufen, als ich ihn verließ. – „Monseigneur, ça va sans dire,“ hatte ich geantwortet und wenigstens diesmal Wort gehalten.

Als ich bald nach Neujahr eines Nachmittags durch die Tuilerien ging, begegnete ich im Garten derselben einer weiblichen weißverschleierten, hübsch gewachsenen Figur, deren Gesicht, so viel ich durch den Schleier sehen konnte, mir sehr bekannt vorkam. Die Dame hatte mich aber nicht bemerkt, sondern war mit zu Boden gesenktem Blick an mir vorübergeglitten. Ich drehte mich um, musterte die zierliche schlanke Gestalt, deren Anzug jedoch gerade nicht nach dem neuesten Schnitt und ziemlich ärmlich war, sowie die ganze Haltung keine Pariserin, sondern etwas Fremdartiges verriet. Meine Neugier war rege geworden, ich folgte ihr in einiger Entfernung, überholte sie dann, um sie noch einmal ins Auge zu fassen. Am großen Bassin angekommen, drehte ich mich um und ging ihr mit langsamen Schritten gerade entgegen, blieb aber noch im Zweifel, wer sie sei, da mich der faltenschlagende Schleier die Züge wieder nicht genau erkennen ließ. So viel war mir jedoch klar, daß ich sie kennen mußte. Ich wollte schlechterdings Gewißheit haben, überflügelte sie zum zweiten Male, und ihr zum dritten Male begegnend, grüßte ich sie so, daß sie es wahrnehmen mußte. Jetzt ertönte ein: „Oh dio mio!“ aus ihrem Munde, sie blieb vor mir stehen, und da sie bemerkte, daß ich noch ungewiß über ihre Person sei, schlug sie den Schleier zurück und sagte: „Ma Signore, non mi conoscete?“ und jetzt erkannte ich – die zu Rom entführte Nonne in ihr und rief aus: „Ach, Madame Bonnier.“ – „Die bin ich.“ – „Und Ihr Gatte, Signora?“ – „Steht bei der Armee in Spanien.“ – Ich begleitete nun die Dame, die über dies Zusammentreffen ebenso erfreut schien, wie ich selbst, lud sie zu einem Spaziergang in die elysäischen Felder ein und bat sie, mich von dem, was ihr seit ihrer Abreise von Rom begegnete, zu unterrichten. Um uns so ungestörter unterhalten zu können, nahm ich einen Fiaker, mit dem wir vor die Barriere von Neuilly fuhren. Sie teilte mir nun mit, daß noch große Schwierigkeiten zu überwinden gewesen, bis sie Bonniers rechtmäßige Gattin geworden, und sie noch vor der Trauung schon einigemal bereut, diesen Schritt getan zu haben, später aber weit mehr. Sie habe sich schon oft wieder in das ruhige friedliche Stilleben des Klosters zurückgesehnt, wo man von dem Treiben und den Kabalen der bösartigen Welt nichts wisse und nicht von ihr beunruhigt werde, und wogegen die kleinen klösterlichen Trakasserien Kindereien seien. In Frankreich und Paris gefalle es ihr gar nicht. Sie habe noch mit keiner einzigen Familie ein vertrauliches Verhältnis anknüpfen können und mit ihrer eigenen sei sie zerfallen, ihr Mann schon bald ein Jahr von ihr getrennt, und so stehe sie einsam und verlassen in der großen Stadt, wo sie außer ein paar italienischen Offiziersdamen, deren Männer gleichfalls bei der Armee in Spanien stünden, und die ungefähr in demselben Verhältnis wie sie sich befänden, keine Seele kenne. Bei dieser, im Ton des Schmerzes gemachten Erzählung kamen ihr öfters die Tränen in die Augen und sie flößte mir die größte Teilnahme ein. Obgleich leidend und etwas abgehärmt, war Angelika doch noch sehr schön, ja verführerisch-reizend. Ich suchte ihr allen möglichen Mut einzusprechen, und da sie sich hauptsächlich deshalb beklagte, daß ihr Mann ihr so selten Nachricht von sich gebe, stellte ich ihr vor, daß dies von Spanien aus jetzt nicht anders sein könne, da die Kommunikationen oft so schwierig, ja nicht selten ganz abgeschnitten seien. Es waren bereits über fünf Monate, daß er ihr zum letztenmal, und zwar von der portugiesischen Grenze aus, geschrieben hatte. Was sie am meisten zu quälen schien, war, ob ihr Bonnier auch wohl treu geblieben und nicht andere Liebeshändel gehabt, denn, wie sie gehört, seien die Spanierinnen den Männern sehr gefährlich. Ich lächelte über die Naivität der guten Exnonne und versicherte ihr, daß dies bei mir nicht der Fall gewesen wäre, für andere aber könne ich freilich nicht stehen. – „Ach, die Männer, und noch obendrein die Offiziere taugen alle nicht viel.“ – „Wie, haben Sie schon solche Erfahrungen gemacht?“ – „Ach, man hört es ja jeden Tag von den Herren selbst. Mein Mann hat mir genug davon erzählt.“ – Ich bat sie jetzt, mir zu erlauben, sie heimbegleiten und bisweilen besuchen zu dürfen. Etwas verlegen suchte sie das erste abzulehnen und das zweite hinauszuschieben. – „Aber Sie werden mir doch das Vergnügen machen, eine Suppe in einer Restauration mit mir zu nehmen?“ – Dies akzeptierte sie nach einigen Komplimenten und wir fuhren nach dem Palais Royal zu den frères provençaux, wo ich ein vollständiges und sehr leckeres Diner nebst den feinsten Weinen servieren ließ. Madame Bonnier wurde nun munterer, aufgeweckter und zutraulicher, und als ich sie nochmals bat, sie nach Hause bringen zu dürfen, gestand sie mir offenherzig, daß sie sich schäme, mich in ihrer Wohnung zu empfangen, weil diese gar zu schlecht sei, und offenbarte, daß nur daher ihre Weigerung gerührt habe. Sie habe nur ein kleines Dachkämmerchen, zur höchsten Not möbliert, nebst einem Alkoven zum Schlafen, und zwar im ersten Stock eines Hauses, wenn man vom Himmel herabsteige. Diese Bedenklichkeit wußte ich bald zu beseitigen, und nachdem wir getafelt und den Kaffee eingenommen, fuhren wir in die damals noch sehr entlegene und wenig bewohnte Straße Lazare, wo wir an einem unansehnlichen Hause ab- und fünf Treppen hinaufstiegen. Die Dame öffnete ein schlecht verschlossenes Mansardenzimmer, das allerdings auch nicht den mindesten Anschein von Wohlhabenheit, sondern Dürftigkeit und Mangel verriet. Zwei wackelnde Stühle, ein Tisch in demselben Zustand, ein Stück von einem Spiegel, ein alter Koffer machten das ganze Ameublement aus. Errötend sagte Madame Bonnier eintretend: „Hatte ich es Ihnen nicht gesagt, daß ich eigentlich keinen honetten Menschen hier empfangen kann?“ – „Jedes Gemach, das Sie bewohnen, wird zum Prachtsaal,“ antwortete ich ihr, „Ihre Gegenwart würde selbst die Hölle zum Himmel umschaffen.“ Dabei erlaubte ich mir, sie auf die Stirne zu küssen. Die Nahrung und das übrige Leben der armen Frau war ganz im Einklang mit ihrer Wohnung. Doch war mehr Mangel an Einrichtung, Erfahrung und Weltkenntnis als Mangel an Subsistenzmitteln schuld, denn ihr Mann ließ ihr monatlich neunzig Franken von seinem Gehalt zurück, die ihr in Paris ausgezahlt wurden; und wenn man keine großen Sprünge damit machen konnte, so war es doch hinlänglich für eine Person, die sich einzurichten verstand, um auszukommen, ohne Not zu leiden, besonders wenn man eine so wohlfeile Wohnung hatte. Aber die Dame wurde von allen, mit denen sie zu tun hatte, bestohlen und betrogen. Kaum daß sie zur Not den Wert des Geldes kannte. Sie hatte eine sogenannte femme de menage, die sich jeden Morgen einfand, ihre kleine Aufwartung und Kommissionen besorgte, sie aber alles doppelt und dreifach bezahlen ließ und ihr dazu noch die schlechtesten Viktualien lieferte, nur Ausschuß, und außerdem ein Teufel von einem alten Weibe war, die sich nicht das Geringste sagen ließ, sondern die arme Frau, die sich nicht zu helfen wußte, mißhandelte und beschimpfte, wenn sie es wagte, ihr irgendeine Bemerkung zu machen. Dies alles sah ich bald ein und tat Madame Bonnier den Vorschlag, vor allem eine andere Wohnung zu suchen. Da sie mir einwandte, daß dies ihre Mittel nicht erlaubten, erwiderte ich: „Lassen Sie mich dafür sorgen.“ Sodann riet ich ihr, sich des alten Drachen, der sie so schlecht bediene und betrüge, zu entledigen. Aber sie fürchtete sich vor dem Weibe und wagte es nicht, ihr zu kündigen. Dies nahm ich auch auf mich, und als die böse Sieben wieder schlechte Ware zu hohem Preis gebracht und noch obendrein Händel anfing, ging ich ihr derb zu Leibe, ihr das schändliche Benehmen gegen Madame Bonnier vorhaltend. Sie entschuldigte sich damit, daß ihr Charakter einmal so sei. Ich versetzte darauf: „Jedermann hat seinen eigenen Charakter, der meinige ist, daß ich solche Kanaillen zur Türe hinauswerfe,“ und damit machte ich die Türe auf und hieß sie sich packen. – „Ich habe noch einen Monat zu bleiben und eher gehe ich nicht.“ – „Das wird sich gleich finden, was hast du noch zu fordern?“ – Madame Bonnier sagte: „Sie erhält fünfzehn Franken monatlich von mir.“ – Ich warf sie ihr hin. – „Ich habe auch noch siebenundzwanzig Franken für Auslagen zu fordern.“ – Auch diese gab ich ihr, hieß sie nun sich trollen und verbot ihr das Wiederkommen. Aber noch wollte sie nicht gehen und schimpfte. Nun riß mir die Geduld. Ich packte sie beim Arm, warf sie zur Türe hinaus und die Treppe hinab. Sie schimpfte noch bis auf die Straße und wollte klagen; indessen hörte ich nichts weiter von ihr. Ich beurlaubte mich von der Dame mit einem Abschiedskuß, den sie mir dankend erwiderte, und mietete in der nahen Straße Montblanc eine ziemlich geräumige möblierte Wohnung mit zwei Schlafzimmern und einem hübschen Salon in der Mitte, nebst einem Salle à manger. Alles für hundertsechsundzwanzig Franken monatlich. Nachdem dies geschehen, holte ich Madame Bonnier ab, welche, als sie das Logis sah, ausrief: „Ma é troppo bello!“ Ich zeigte ihr alle Piecen und fragte sie: ob sie mir wohl erlauben wolle, das eine Schlafzimmer zu beziehen. – Errötend antwortete sie mir: „Ma ella é il Padrone.“ – „Und dann trennt uns ja der Salon,“ versetzte ich lächelnd. Ich ließ nun gleich ihre wenigen Sachen hierherbringen, sorgte auch für ein Pianino und eine Gitarre, und in den nächsten vierundzwanzig Stunden waren wir beide in der neuen Wohnung installiert, in der wir auch bald wie Mann und Frau lebten. Ich ließ eine Conturière, eine Modistin und eine Lingère kommen und bat sie, ohne Umstände das zu bestellen, was sie am nötigsten bedürfe, indem wir später schon abrechnen würden. Nur mit der größten Bescheidenheit machte sie von diesem Anerbieten Gebrauch, so daß ich genötigt war, selbst dafür zu sorgen, daß sie an Kleidern, Putz und Wäsche wenigstens das Unentbehrlichste erhielt, wobei sie jeden Augenblick ausrief: „Ma é troppo, Signore!“ Wir führten jetzt eine artige Haushaltung zusammen, das Essen ließ ich von einem Restaurateur bringen oder wir aßen auch bei einem solchen, und verlebten die Flitterwochen recht vergnügt, da ich mit meiner Interims-Gattin die Promenaden, die Theater, Konzerte und sonstigen Vergnügungsorte besuchte, der nun auch das Pariser Leben besser zu gefallen begann. Eines Tages erhielt ich eine Einladung zur Tafel vom Kriegsminister, die ich mit großem Vergnügen annahm, hoffend, daß mir dieses Gelegenheit geben würde, mein Privatanliegen, die Versetzung zur Garde, zur Sprache bringen zu können. Dies war aber nicht der Fall; es waren viele Generäle und Stabsoffiziere bei Tische, ich konnte kaum ein paar Worte mit Clarke wechseln, welche Miollis betrafen, und mußte unaufhörlich Fragen beantworten, die man hinsichtlich der Verhaftung und Entführung des Papstes an mich tat. – Ich hatte Madame Bonnier vorgeschlagen, den Versuch zu machen, sie einigermaßen mit ihrer Familie wieder auszusöhnen. Sie aber meinte, das würde sehr schwer sein. Ich schrieb nun in dieser Angelegenheit an Miollis, meldete ihm zugleich den Erfolg meiner bisherigen Bemühungen und meine Hoffnung für die Zukunft und bat ihn, sich doch nachdrücklich bei der Familie der Madame Bonnier zu Pesaro für diese unglückliche Dame verwenden zu wollen. Dies hatte einen so günstigen Erfolg, daß sie auch bald nachher einen Wechsel von tausendfünfhundert Franken und das Versprechen von ihren Verwandten erhielt, daß man ihr von Zeit zu Zeit kleine Unterstützungen zukommen lassen wolle. Angelika war nun außerordentlich vergnügt, und schien ihren Mann, der vielleicht in den Armen einer hübschen Andalusierin oder Kastilianerin schwelgte, in den meinigen ganz zu vergessen. Sie nannte mich: „Il suo caro marito“, und ich sie: „Ma petite femme“, und die ehemalige Braut Christi wurde ein ganzes Weltkind. Was ihr hauptsächlich viel Vergnügen gewährte, war der Besuch der großen Oper und der Ballette, die mit einem unerhörten Prachtaufwand gegeben wurden und zum Teil wahrhaft bezaubernd waren, wie zum Beispiel ‚La fête de Mars‘, ‚Amor und Psyche‘, ‚Das Urteil des Paris‘, ‚Venus und Adonis‘ und so weiter, und Künstler, wie Gardels, die Saulnier, Clotilde, Marelie, Bigottini, Vestris, Beaupré und so weiter, tanzten alle wie Götter, die sie repräsentierten. Da die Karnevalszeit nahte, so wurde das Leben immer lustiger und namentlich machten auch die Maskenbälle der großen Oper meiner jungen Frau großes Vergnügen. Die italienischen Opern, die im Theater de l’Impératrice (Odeon) gegeben wurden, versäumten wir nie, da sie Angelika großes Vergnügen zu bereiten schienen. Seltener besuchten wir das französische Theater, bisweilen die Komödie und die Vaudevilles. Die Akademie impériale de musique in der Straße Richelieu hatte zu jener Zeit einen hohen Grad der Vollkommenheit erreicht. Die ausgezeichnetsten musikalischen Talente nicht nur Frankreichs, sondern von ganz Europa waren hier konzentriert und vereinten alles, was Gesicht, Gehör und Gefühl zu entzücken vermag. Pracht und Pomp waren mit Geschmack und Kunst verbunden. Dekorationen, Kostüme, Maschinerie war erstaunenswert. Kompositeurs, Maler, Musiker, Sänger und Tänzer, alles harmonierte und wetteiferte miteinander, die allgemeine Bewunderung zu erregen. Armidas Zaubergärten, Psyches Feenpalast, Agamemnons Lager und so weiter waren magische Täuschungen, und die Lainez, Laforet, Derivis, Nourrit (Vater) und so weiter bildeten ein Ensemble der Vokalmusik, wie man es an diesem Theater seitdem nicht wieder sah. Aux français glänzten damals Talma, Lafond, Saint Prix, Fleury, die Leverd, Mars, Duchenois, Volnais und so weiter. Es bedarf wohl nur dieser Namen, um sich eine Vorstellung von dem machen zu können, was hier geleistet wurde, namentlich von dem einzig unerreichbaren Talma und der Mars. Die Werke Racines, Corneilles, Crébillons, Voltaires, Molières wurden in der höchsten Vollendung und in der reinsten Sprache gegeben, die man nur hier hörte. Ein Hochgenuß war es, ‚Phädra‘, ‚Britannikus‘, ‚Zaïre‘, ‚Tartüffe‘ aufführen zu sehen. Im Theater der Kaiserin, dem zweiten französischen, war es bei weitem nicht mehr das, doch war das Lustspiel gut, und ich sah Kotzebuesche Stücke hier allerliebst aufführen, so auch ‚Misanthropie et repentir‘, von dem jedoch ein französischer Kritiker sagte: daß, nachdem man sich während fünf Akten gelangweilt, man endlich eine Szene lang weinen müsse. Nichtsdestoweniger war das Haus überfüllt, so oft das Stück gegeben wurde. Angelika, die wenig davon verstand, wollte jede Szene von mir erklärt haben. Ich hütete mich aber, ihr die ganze Wahrheit zu sagen, fürchtend, daß ich auch bei ihr eine Reue erwecken könnte. Die komische Oper und das Vaudeville, la Gaïté und das Ambigu comique, die wir bisweilen besuchten, waren alle gut besetzt. Großen Gefallen fand meine junge Frau an den Darstellungen Franconis und seiner zwei- und vierbeinigen Akteurs. Ich zeigte ihr auch die Kunstschätze des Louvre, die man nicht oft genug sehen konnte, und das Fenster, aus dem Karl IX. verruchten Andenkens in der Bartholomäusnacht auf die fliehenden Protestanten schoß. Seine Mutter, die Megäre Katharina von Medicis, hatte das Morden eine Stunde früher als zur verabredeten Zeit beginnen lassen, aus Furcht, ihr Sohn möchte anderen Sinnes werden. Aber er zeigte sich ihr vollkommen würdig. Vierzigtausend Menschen büßten ihr Leben bei der Pariser Bluthochzeit ein, und Karl schrie unaufhörlich: „Tue, tue, mordieu, ils s’enfuient!“ – Das Höllenfest würdig zu feiern, schrieb der Papst sogar ein Jubeljahr aus! – Jetzt waren alle Meisterwerke der Kunst aus ganz Italien und was noch aus Griechenland stammend vorhanden war, neben den französischen und anderen in den Sälen des Louvre ausgestellt. Nie hatten Malerei und Bildhauerkunst so viel unsterbliche Werke in einem Tempel vereint gesehen. Unter ihnen war die weltberühmte Laokoonsgruppe, der Apoll von Belvedere, die mediceische Venus und so weiter neben dem Herrlichsten, was Raphael, Titian, Rubens, Michel Angelo und so weiter geschaffen. In wenig Jahren mußten alle diese Gäste die Rückreise nach der Heimat wieder antreten. Die wilden Bestien im Jardin des plantes besuchten wir auch einigemale und bewunderten dort die Zedern vom Libanon, machten auch nach und nach die Wanderung durch fast alle Kirchen der Hauptstadt. In dem Karusselhof vor den Tuilerien malte ich Angelika die Schreckensszenen vom 20. Juni und 10. August, die Ludwig XVI. Thron und Leben kosteten, nachdem er sich noch jede Art Demütigung hatte müssen gefallen lassen, recht lebendig aus.

Während der Flitterwochen meiner Interimsehe war ich nur wenig zum Fürsten Y. gekommen und mußte daher manche, gerade nicht unfreundliche Vorwürfe deshalb von ihm hören, da er sehr oft unwohl war und Gicht und Podagra ihm die meiste Zeit Stubenarrest gaben. Nach den ersten vierzehn Tagen meiner Vermählung fing ich jedoch an, ihm und anderen Dingen etwas mehr Zeit zu widmen. Ich ritt auch wieder mehr aus und entsprach den Wünschen Sr. Durchlaucht, indem ich ihm einige Stunden vorlas und öfters kleine Soupers fins arrangierte, zu denen ich die ausgezeichnetsten Künstler und Künstlerinnen von der Oper und des français einlud, und die daher äußerst unterhaltend und vergnügt waren, aber auch viel Geld kosteten, woran dem Fürsten jedoch nichts lag. Eines Tages nahm ich Madame Bonnier mit zu einem solchen Abendessen, indem ich sie, wie ich mit ihr verabredet hatte, für eine italienische Sängerin ausgab, die hier Engagement suche. Der Fürst war ganz entzückt von ihr und verlangte, daß ich sie öfters einladen solle. Ich wich dem Gesuch jedoch aus, indem ich Seiner Durchlaucht sagte, daß die Künstlerin bereits wieder nach Italien abgereist sei, indem sie hier ihren Zweck nicht habe erreichen können. – „O das ist jammerschade!“ exklamierte Fürst Y. –

Wenn Seine Durchlaucht wohl waren, geruhten sie bisweilen die Spielsäle im Palais Royal zu besuchen. Ich ging auch manchmal allein dahin, um das interessante Treiben zu beobachten und pointierte hier und da einmal. Eines Abends, als ich aus dem französischen Theater kam, trat ich im Vorbeigehen noch in einen Spielsaal und warf, nachdem ich einige Male rouge oder noir besetzt hatte, einen doppelten Napoleon auf eine Nummer des Rouletts. Es war Fünfunddreißig; sie kam heraus und ich erhielt sechsunddreißigmal den Satz. Ich rollte das Gold zusammen und sagte, es auf der nämlichen Nummer stehen lassend: „Aut Caesar aut nihil!“ und die rollende Kugel fiel abermals in dieselbe Nummer! Jetzt erhielt ich die Summe von einundfünfzigtausendachthundertvierzig Franken in Gold! – Statt mich klüglich mit diesem Kapital zu entfernen, fuhr ich fort, à tort et à travers, Nummern, rouge et noir, pair et impair, Kolonnen und so weiter zu besetzen, und noch ehe eine Stunde vergangen, war mein ganzer Reichtum wieder zu Wasser geworden, und kaum einige zwanzig Franken in der Tasche, verließ ich lange nach Mitternacht das Palais Royal. Ich tröstete mich leicht über den Verlust des Gewinstes. Das Geld hatte zu jener Zeit keinen oder wenig Wert für mich, und wer weiß, zu was es gut war, denn ungefähr um diese Zeit, einige Wochen später, fiel eine greuliche Geschichte vor, welche ein ähnlicher Spielgewinst hervorgerufen hatte. Ein junger Mensch hatte eines Abends über dreißigtausend Franken in Gold gewonnen und entfernte sich darauf nach ein Uhr in der Nacht aus dem Spielsaal. Er war der Sohn eines nicht unbemittelten Mannes, der jenseits der Seine, in der Gegend des Pantheons wohnte. Das Palais Royal verlassend, glaubte er bald darauf sich von ein paar verdächtigen Kerls verfolgt zu sehen. Es war schon sehr einsam in den Straßen und er beeilte sich, die Pont-neuf zu erreichen, was ihm auch glücklich gelang. Hier war zu jener Zeit ein kleiner Wachtposten von einem Korporal und drei Mann aufgestellt. Bei diesem angekommen, ging er in die Wachtstube und bat den Korporal, er möge ihm doch einen Mann zur Bedeckung mitgeben, da er viel Geld bei sich habe und sich von ein paar verdächtigen Individuen verfolgt glaube. Er wolle die Eskorte gut belohnen. Der Wachtkommandant schien erst einige Schwierigkeiten zu machen, indem er vorwandte, daß seine Mannschaft zu gering sei, als daß er einen Mann entbehren könne, besann sich jedoch bald eines anderen, hieß den jungen Menschen einen Augenblick warten, und verließ dann das Wachtzimmer, vorgebend, daß er sich mit der Schildwache noch besprechen wolle. Er rief dann noch einen der beiden anderen Soldaten heraus, mit dem er einige Zeit darauf zurückkam, und nach diesem auch den dritten Mann, der dem Fremden unterdessen Gesellschaft geleistet hatte. Mit diesem kehrte er nach mehreren Minuten ebenfalls in das Zimmer zurück, und alle drei fielen nun auf ein von dem Korporal gegebenes Zeichen über den jungen Menschen her, verstopften ihm schnell den Mund und knebelten ihn, so daß er keinen Laut von sich geben konnte, nahmen ihm dann das Geld ab und stürzten ihn über die hohe Brücke in die Fluten der Seine hinab, da, wo das Wasser gerade am reißendsten unter den Bogen rauscht und am tiefsten ist. Der junge Mann war aber ein guter Schwimmer, erreichte glücklich das nahe Ufer und lief jetzt auf den nächsten größeren, von einem Offizier kommandierten Posten, dem er, was ihm soeben geschehen war, erzählte. Dieser sandte sogleich eine starke Patrouille unter dem Kommando eines Sergeanten ab, der die Wache samt der Schildwache umzingelte, das saubere Kleeblatt mit der Teilung des Goldes beschäftigt fand und es verhaftete. Alle passierten das Kriegsgericht, der Korporal wurde erschossen und die Soldaten lebenslänglich auf die Galeere geschmiedet. Der Vorfall gab ganz Paris auf vierundzwanzig Stunden Stoff zur Unterhaltung.

Der unterdessen herangekommene Karneval gewährte uns manche Unterhaltung. Ich besuchte teils in Gesellschaft Angelikas, teils mit dem Fürsten Y. inkognito verschiedene Belustigungsorte. Die Masken, die sich auf den Boulevards zeigten, vom Temple bis zur Madeleine, waren aber nicht sehr elegant, ja zum Teil sehr lumpig, und konnten sich denen zu Rom und anderen Städten Italiens nicht an die Seite stellen, sowie auch das hiesige Karnevalstreiben ein ganz anderes wie das in Italien ist. Die gemeinen Franzosen machen wohl manche witzige Späße, arten aber nur zu oft in Plattitüden und rohe Gemeinheiten aus, während die Italiener, auch die der untersten Klassen, noch immer eine gewisse Dezenz bei dieser Gelegenheit beobachten. Der Boeuf gras ist der Kulminationspunkt des ganzen Festes. Ein kolossaler, bis zum Zerplatzen fettgemästeter Ochse, der Mühe hat, seine ungeheure Fleischmasse fortzubewegen, wird von einem Kinde, den Fleischerkönig darstellend, geritten und von der ausgelassensten und sonderbarsten Eskorte begleitet, die aus nachgeahmten Deputationen aus allen Weltgegenden, allen Zeiten und allen Ständen bestehen, unter denen die Bewohner des Landes auf Stelzen einherschreiten, Wilde und Chinesen, Mamelucken und Kalmücken, Mexikaner und Peruaner, Kosaken und Slovaken, Panduren und Heiducken, Mohren und Mulatten, Pierrots und Harlekins und Völker, deren Wohnsitze auf Erden gar nicht bekannt sind, sich befinden und das Kortege bilden. Gelehrte Franzosen behaupten, daß sich der Ursprung dieser grotesken Zeremonie noch von den Galliern herschreibt, die einem Stier göttliche Verehrung zollten. Während der Revolution war diese Fette-Ochsen-Prozession unterblieben, erst unter dem Kaiserreich wurde sie wieder hervorgeholt. Als im Jahre 1739 der Ochsenzug, wie es der Gebrauch, sich dem König und seiner Familie vorgestellt hatte, dann nach dem Hotel des ersten Parlamentspräsidenten begab und diesen nicht daheim fand, nahm er seine Richtung gerade nach dem Justizpalast und stieg samt dem Ochsen und den ihn begleitenden Reitern die breiten Treppen am Palais hinauf, präsentierte sich dem Herrn Präsidenten im Gerichtssaal, schritt durch alle Säle und verließ den Themistempel, die Treppe, die auf den Dauphinsplatz führt, hinabsteigend. Während dem Karneval waren alle Kneipen und Schenken zu Paris und vor den Barrieren mit Masken und seltsam kostümierten Individuen beiderlei Geschlechts angefüllt, die ein wildes tolles Treiben vollführten. Diese in die barocksten Anzüge gehüllten Menschen, die unaufhörlich durcheinander schreien und brüllen, pfeifen, mit Gläsern und Flaschen klirren, die Fäuste aufschlagen und mit Füßen stampfen, daß Wände und Tische zittern, unter dem ohrenzerreißenden Gekratze von Bierfiedlern oder dem Spielen falscher Orgeln und Heulen der Dudelsäcke, haben kaum noch durch ihre Gestalt etwas Menschliches an sich, und man ist geneigt, sie eher für eine Gattung wilder Bestien zu halten. Hier thront eine Hallendame als Venus, mit Zinnober ziegelrot das Gesicht bemalt, in einem Schlendrian aus den Zeiten Ludwig XV., dort ist ein fünfzigjähriger rußiger Schlossergeselle als Amor mit kurzen Hosen, nackten Armen und Beinen, einen halben Faßreif mit einem Strick umgehängt, einen Bogen vorstellend, nebst einer Kufe voll Gänsekiele statt der Pfeile. Apollo und ein paar Musen spielen und saufen einen giftig gebrauten Wein hinter einem Tisch, vor ihnen steht ein Trupp Amazonen, mit Hackbeilen bewaffnet, mit denen in Kampf sich einzulassen wohl nicht rätlich wäre. Eine keusche, bis über die Knie aufgeschürzte Diana ist mit einem sechs Schuh langen halben Mond versehen und beschenkt taumelnd ihren neben ihr sitzenden Endymion verschwenderisch mit den saftigsten Küssen. Jetzt tritt ein Haufen Ritter, die Götter mögen wissen, von welcher Gestalt, mit einem Trupp Kobolde ein, alle haben scheußliche Larven vor. Türken in zerlumpten alten Schlafröcken mit papiernen Turbanen und so weiter. Dies sind die Charaktermasken und Kostüme des Pariser Karnevals, denen man in den Straßen begegnet und die man in allen Guinguetten findet. Es wäre der Mühe wert, diese Physiognomien zu studieren. Eine Ronde um diese Zeit durch die Bastringues und Tanzlokale von Paris zu machen, ist wohl ergiebig und mag dem Menschenfreund wie dem Menschenkenner manches zu denken geben. Die Bälle des Tivoli d’hiver, der Eremitage, des Prado, Retiro und so weiter bis auf die lebensgefährlichen Sauf-, Raub- und Mordhöhlen vor den Barrieren durchstöberte ich, um das Volkstreiben der berühmten verrufenen Hauptstadt ganz kennen zu lernen. Da führt ein Lumpenmann (Chiffonier) eine Herzogin der guten alten Zeit, dame de haut parage, am Arm, und läßt sie von Zeit zu Zeit einen Schluck aus seiner Branntweinflasche tun, dort verliert sich ein Großsultan mit einer Grobwäscherin, der er das Schnupftuch zugeworfen, in irgendein heimliches Gemach. Die Gavotten, Kontertänze, Farandolen, alles wird durcheinander gerast. Plötzlich erscheint ein vierschrötiger Kerl im Matrosen- oder Lazzaronikostüm oder ein fast ganz nackter Wilder, der die partie honteuse kaum mit einigen Blättern, die zerfetzt an ihm herabhängen, bedeckt, und kündigt schreiend einen Solotanz an, den er unter dem infernalischsten Getöse und Gebrüll ausführt. Auf den Boulevards reiten die tollsten Masken auf Eseln, Schindmähren, sitzen auf der Imperiale der Fiaker, deren Kutscher ebenfalls maskiert sind. Sogar Hunde laufen mit Masken umher. Dies waren die Lustbarkeiten des Pariser Karnevals, die auch der Fürst Y., durch meine Berichte neugierig gemacht, ein paarmal mit mir inkognito besuchte. Während der Republik war es noch viel ärger, da sah man unter anderen Nonnen auf Eseln reiten, an deren Schwanz Priester im Ornat, das Meßbuch in der Hand, gebunden waren.

Mit Angelika besuchte ich zu dieser Zeit nur die Theater, besonders die französische und italienische Oper, wo wir die Meisterstücke der ersten Komponisten in hoher Vollendung aufführen sahen, namentlich auch Mozarts ‚Nozze di Figaro‘, ‚La Molinara‘, Paesiellos ‚Barbiero di Seviglia‘ und so weiter.

Unterdessen hatte sich einige Zeit nach der Scheidung Napoleons von Josephinen plötzlich das Gerücht verbreitet, ersterer würde eine österreichische Prinzessin heiraten, dem man aber anfänglich wenig Glauben schenken wollte; ja viele Franzosen betrachteten es als unmöglich. Da aber das Gerücht bald zur unleugbaren Gewißheit wurde, machte diese Neuigkeit einen unbeschreiblichen Eindruck in ganz Frankreich und dessen Hauptstadt. Im ersten Augenblick war man vor Überraschung stumm. Als aber der erste Eindruck und die Bestürzung vorüber waren, machte sich die fast allgemeine Mißbilligung hinsichtlich dieser Ehe in den ungemessensten und unvorsichtigsten Ausdrücken Luft. „Wie,“ hieß es, „und darum von der besten und liebenswürdigsten Frau geschieden, um eine österreichische ... zu heiraten. Hat die Erfahrung nicht gelehrt, was die Österreicherinnen, die auf dem französischen Thron saßen, für namenloses Unglück über Frankreich gebracht? – Sind wir denn in Frankreich so arm an edlen Jungfrauen, die würdig wären, den französischen Kaiserthron zu zieren und der Nation Regenten zu schenken? Einer Französin hätte hundertmal eher diese Ehre gebührt, als dieser autrichienne, die Napoleons und unser Unglück machen wird.“ Unglaublich ist es, welche Stimmung diese Neuigkeit unter allen Ständen hervorbrachte und selbst beim Heer. „Une autrichienne! – est – il possible au monde!“ war der ewige Refrain, den einer dem anderen zurief; „eher würde ich eine französische Magd geheiratet haben.“ Dabei war nichts Komischeres als die Verblendung des österreichischen Gesandtschaftspersonals zu Paris, das sich einbildete, die Franzosen fühlten sich überaus glücklich und hochgeehrt durch die Wahl des Kaisers, und die Herren trugen jetzt die Nasen um einige Zoll höher. Niemand von Napoleons Umgebung getraute sich jedoch, ihn mit dieser Stimmung des Volkes bekanntzumachen und ihn aus der beglückenden Unwissenheit deshalb zu reißen. Hätte er sie genau gekannt, so würde er schwerlich die Ehe mit Maria Louise vollzogen haben. Selbst der gemeine Soldat und der Taglöhner sprachen nur wegwerfend und verächtlich von dieser Verbindung, und als seine Mitteilung an den Senat dieserhalb bekannt wurde, in der es unter anderem hieß: „Nos peuples aimeront cette princesse pour l’amour de nous, jusqu’à ce que témoins de toutes les vertus qui l’ont placée si haut dans notre pensée, ils l’aiment pour elle même,“ gab dies zu den bittersten Satiren, zu beißendem Spott Anlaß, der sich sogar in heimlich gedruckten Spottliedern Luft machte. Die Dankadresse des Senats, die Absendung Neufchatelles, die Trauung per procura zu Wien und so weiter, dies alles mußte Stoff zu Satire, Spöttereien und gehässigen Anmerkungen geben, die der sonst so wachsame Fouché wenn nicht gar zu nähren, doch zu ignorieren für gut fand. Ich muß gestehen, daß auch mir, der ich diese Stimmung genau kannte, nicht ganz wohl zumute bei der Sache war. Mit Josephinen schien auch Napoleons Glückstern von ihm gewichen.

Damals geschah es, daß man aux français eine Orange mit einem Zettelchen auf die Bühne warf, in die Orange selbst aber hatte man einen Louisdor mit dem Gepräge Louis XVI. gesteckt. Das Publikum forderte die auf der Bühne befindlichen Akteurs zum Lesen des Billetts auf. Da diese aber Anstand nahmen, dem Begehren Folge zu leisten, so gab es einen bedeutenden Lärm und großen Tumult, der immer ärger wurde und erst endigte, als einer der Schauspieler mit dem Billett an die Rampe trat und andeutete, daß er zum Lesen bereit sei. Jetzt wurde alles stille und er las: „Gardez le Louis et jettez l’écorce!“ Es lautete aber auch wie: „Gardez le Louis et jettez le Corse!“ Von mehreren Seiten wurde Beifall geklatscht, der jedoch schnell verstummte und wahrscheinlich nur in aller Unschuld von Personen gezollt wurde, welche den Calembourg gar nicht verstanden hatten, oder nur aus Gewohnheit, weil man bei solcher Veranlassung immer zu klatschen pflegt, klatschten. Die Sache machte großes Aufsehen in Paris, und der Akteur, der ebenfalls in aller Unschuld das Billett gelesen hatte, erhielt einen tüchtigen Wischer und wurde entlassen.

Unterdessen dachte auch ich jetzt an eine Scheidung von meiner liebenswürdigen Angelika, der ich zwar immer sehr wohl wollte, aber die Flitterwochen waren vorüber, der Reiz der Neuheit verschwunden, und dies Zusammenleben fing an, mir lästig zu werden. Wenn man so ewig umeinander ist, bleibt die Langeweile nicht aus, und obgleich Madame Bonnier einen lebhaften Geist hatte, so machte auf der anderen Seite die Klostererziehung, wenig Welterfahrung und Mangel an wissenschaftlicher Bildung, daß ihre Unterhaltung nur dürftig und einseitig war. Als ich ihr unsere bevorstehende Trennung unter dem Vorwand, daß es der Dienst heische und ich doch vielleicht Paris bald verlassen müsse, ankündigte, war sie darüber ebenso untröstlich, als es Josephine gewesen sein soll, da ihr Napoleon eine ähnliche Eröffnung machte; auch mich hatte es einige Überwindung gekostet, der guten Frau diese Mitteilung zu machen. Ich suchte ihren Schmerz möglichst zu mildern, indem ich ihr versprach, so lange ich noch in Paris verweile, sie täglich zu besuchen, daß mir aber das fernere Beisammenwohnen große Unannehmlichkeiten und Nachteile von seiten Napoleons zuziehen würde, der mir selbst den Befehl zum Ausziehen gegeben habe. Mit meinen Verhältnissen und dem Leben überhaupt so ganz unbekannt, schenkte die gute Angelika diesen Worten vollkommen Glauben. Die Wohnung bezahlte ich drei Monate voraus und mietete mir eine andere in der Nähe des Palais Royal, besuchte aber meine Geschiedene noch oft, bis ich nach und nach seltener wurde und sie sich mehr und mehr wieder an das Alleinsein gewöhnte, doch führte ich sie bisweilen noch in die Theater und an andere öffentliche Orte und sorgte auch sonst auf das beste für sie.

Häufiger fand ich mich nun wieder bei dem Fürsten Y... ein, der mich fast in allen Dingen um Rat fragte und immer mehr Geschmack an den Soupers fins fand, da er nicht oft imstande war, auszugehen, daher gerne die Theaterschönheiten bei sich figurieren und intrigieren sah und soviel als möglich mitagierte. An Präsenten ließ er es nicht fehlen, und so kam man gerne, und da die Damen wußten, daß ich dabei zu Rate gezogen wurde, so machten sie mir sogar den Hof. Monseigneur neigte sich zur Chevigny und zur Clotilde, mich aber bezauberte mehr die Mars und die Gardel, weshalb ich auch diese bei den Preisausteilungen vorzüglich begünstigte. Letztere erhielt sogar einmal einen prächtigen Wagen des Fürsten, dessen Eleganz sie sehr gerühmt und der über sechstausend Franken gekostet, zum Geschenk. Dennoch fand sie son Altesse insupportable und wußte ihr immer zu echappieren, während ich sie und die Mars zu Partien in die Umgebungen von Paris einlud und ohne Vorwissen Seiner Durchlaucht in der fürstlichen Equipage abholte. Besonders gerne wählte ich das Wäldchen von Romainville, les prés de Saint Gervais und Neuilly zu dem Schauplatz der galanten Abenteuer mit den Theaterfürstinnen, und dann sangen wir:

Que l’on est heureux, joyeux,

Tranquille à Romainville,

Ce bois charmant

Pour les amants

Offre mille agrémens etc.

Eines Tages kam während eines solchen Soupers beim Fürsten Y. die Sprache auf die famose Halsbandgeschichte, auf Cagliostro, dessen Zitationen der Toten und so weiter. Der Fürst äußerte, daß er ganz außerordentliche Dinge von Personen, die ihnen beigewohnt, davon gehört habe, und durch den Champagner schon ziemlich heiter gestimmt, rief er aus: „Ich wäre begierig, doch auch einmal dergleichen zu sehen.“ – „Wenn Eure Durchlaucht die Kosten bestreiten wollen,“ versetzte ich, „so mache ich mich anheischig, Derselben ein ganzes Regiment Toter aus allen Zeiten erscheinen zu lassen.“ – „Ich halte Sie beim Wort,“ versetzte der Fürst, der eben einen Wald seines deutschen Fürstentums an einen Pariser Juwelier für eine bedeutende Summe und für diversen Schmuck, der in die Hände der Theaterprinzessinnen fiel, verkauft hatte und daher bei Kasse war.[9]

„Wohlan, Durchlaucht,“ sagte ich nun, „um die Sache recht feierlich zu machen, werde ich ein prächtiges Nachtmahl veranstalten, bei dem all die Toten erscheinen sollen, die Sie zu sehen und mit denen Sie zu speisen wünschen.“

„Gut, wir wollen die Liste der Gäste anfertigen, es müssen ein paar Dutzend großer Toten sein, die geladen werden sollen.“ In einer Gesellschaft, bei der diesmal auch Talma nebst der Mars und anderen zugegen war, kamen wir mit der Genehmigung des Fürsten überein, folgende Personen zu zitieren: den König Salomon, die Königin Saba, Alexander den Großen, Noah, den Patriarchen Abraham, die Rachel, Moses, Semiramis, Kleopatra, Aspasia, Cäsar, Alcibiades, Helena, die keusche Susanna, Karl den Großen, Diana von Poitier, Johanne d’Arc, Ludwig XI., Luther, Sixtus V., Ludwig XIV., Maria Stuart, Elisabeth von England, Heinrich IV., Papst Alexander VI., Lucretia Borgia, die römische Lucretia samt dem älteren Brutus, Friedrich den Großen, Maria Antoinette und endlich den Cagliostro selbst. Dies waren die Toten, welche die Ehre haben sollten, an dem mitternächtlichen Mahl des Fürsten Y. teilzunehmen. Die meisten davon hatte ich in Vorschlag gebracht und erteilte mir selbst das Amt eines Zeremonienmeisters bei diesem Fest, dabei machte ich zur Bedingung, daß mir die Anordnung des Ganzen überlassen bleibe und sich durchaus niemand, selbst Seine Durchlaucht nicht einmischen dürfe, sondern nur die später einlaufenden Rechnungen zu berichtigen habe. Ich bat mir acht Tage Zeit zu den Vorbereitungen aus, die mir auch bewilligt wurden, rekrutierte nun meine Toten aus dem Personal verschiedener Theater, namentlich unter den Künstlern der großen Oper, des Balletts und des französischen Theaters, und Talma, die Duchenois, die Mars, die Gardel, Klotilde, Leverd, Lainez, Beaupré, Saulnier, Vestris, Nourrit, Maillard, Laforet und andere waren mit von der Partie und hatten sich auf meine Einladung dazu verstanden, jeder eine Totenrolle zu übernehmen und dem seltsamen Fest beizuwohnen. Nach Übereinkunft mußte sich ein jeder gegen billige Vergütung, der übernommenen Rolle gemäß, möglichst historisch treu kostümieren. Haut und Gesicht mußten eine Totenfarbe haben. Ich ließ den großen Salon in der Wohnung des Fürsten Y. ganz mit schwarzem Tuch drapieren, sogar Decke und Fußboden mit solchem belegen, die Wände wurden mit aus weißem Tuch geschnittenen Totenköpfen und Totenknochen verziert, die ganze Beleuchtung wurde durch blaues spirituöses Licht veranstaltet. Die Tafel wurde ganz schwarz gedeckt, jede Stelle, auf welche Schüsseln oder Teller placiert werden sollten, war durch einen Kranz von Totenknochen bezeichnet. In der Mitte des Tisches stand ein hoher Tafelaufsatz, aus Totenköpfen und Knochen von Zucker sehr künstlich nachgebildet, bestehend. Alle Servietten waren von schwarzem Seidenzeug und hatten in der Mitte einen bekränzten Totenkopf und ins Kreuz gelegte Knochen an den vier Ecken, von Silberborden zierlich ausgeschnitten und aufgenäht. Vierundzwanzig schwarze Kandelaber mit silbernen Verzierungen standen ringsherum an den Wänden, auf denen blaue Spiritusflammen brannten, ebensoviel versilberte Lampen hingen von der Decke herab. Alle Armstühle waren schwarz überzogen, und an dem Rücken eines jeden war nach Umständen ein bekrönter oder behelmter Totenkopf angebracht, auf den für die Päpste bestimmten prangte die dreifache Krone über und Petris Schlüssel unter dem Kopf, alles in Silber. Außerdem war der Saal längs der Decke ringsherum mit schwarzen Wolken drapiert, deren Fransen Totenknochen und deren Quasten Totenköpfe vorstellten, ebenso waren die Fenstergardinen drapiert. Für die Tafel selbst hatte ich die ausgesuchtesten Leckerbissen bei den frères provençaux bestellt zu fünfzig Franken per Kopf ohne Wein. Der Tischwein war Ai und Rosé, und zu Dessertweinen Tokaier, Kapwein, Schiras und Johannisberger. Ein Kaiserpunsch machte den Beschluß dieses schwelgerischen Totenmahles. Vierundzwanzig in Leichentücher gehüllte dienende Geister besorgten die Aufwartung, und eine gleiche Zahl gleichkostümierter Musikanten, welche nur Trauer- und Totenmärsche spielen sollten, machten Tafelmusik, auf einem Castrum Doloris sitzend. Das aus Zuckerwerk bestehende Dessert stellte alle möglichen Embleme des Todes vor, unter anderen eine sehr künstlich gearbeitete Gruppe tanzender Skelette. Alle Schüsseln, Teller, Flaschen und Becher waren schwarz angelaufen, und die Gläser hatten schwarze Ränder. Fürst Y., der als Sesostris dem Mahl beiwohnen sollte, hatte einen eigenen schwarzsamtnen Thronsessel, mit silbernen Sternen gesät, und ein gekrönter versilberter Totenkopf war auf der Spitze des Rückrandes angebracht.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht an dem bestimmten Abend wurden sämtliche Gäste in den zu diesem Feste gemieteten Leichenkutschen abgeholt und versammelten sich in dem ebenfalls schwarz behangenen und düster beleuchteten Vorzimmer des Fürsten Y. Als die Glocke Mitternacht anzeigte, ertönten zwölf dumpfe Hammerschläge auf einem ehernen Schild, und mit dem letzten Schlag öffneten sich die Flügeltüren des Speisesaals, aus dem Wolken wohlriechenden Rauches drangen, welche die Eintretenden einhüllten. Die doch etwas überraschten Gäste traten paarweise ein, wo ich sie als Zeremonienmeister in schwarzem altspanischem Kostüm empfing, dem Fürsten Y.-Sesostris vorführte, dann jedem seinen Platz anwies, doch alles nur vermittelst Zeichen und Gebärden. Die Kostüme der sämtlichen Repräsentanten der berühmten Toten waren überaus prächtig, aber alle hatten ein schauerliches, bleiches, totenähnliches Ansehen. Bei ihrem Eintreten ertönte ein feierlicher Totenmarsch, den ich schon früher noch für das Regiment Y. komponiert hatte; auch die Musik war in Rauchwolken, die aus silbernen Kohlpfannen aufstiegen, gehüllt. Man nahm, immer ein tiefes Schweigen beobachtend, Platz an der Tafel, die mit indischer Vogelnester-, Schildkrötensuppe und Kaviar und Austern eröffnet wurde, wobei man sich nur beinerner Löffel und Gabeln bediente. Die servierenden Geister kredenzten reichlich Ai und Rosé; Y.-Sesostris brach endlich das Schweigen, mehrere der Toten über manche Dinge und Umstände aus ihrem Leben befragend, wobei er bisweilen höchst seltsame und komische Aufschlüsse erhielt; so wollte unter anderen Kleopatra durchaus eine Zeitgenossin des Kolumbus und die Helena bei der Pariser Bluthochzeit gegenwärtig gewesen sein. Man wurde jetzt gesprächiger, und als das Dessert herangekommen und der brennende Kaiserpunsch erschienen war, gab mir Sesostris ein Zeichen, und die Musik stellte ihre Trauer- und Totenharmonien ein und ließ nun bacchantische Lieder und fröhliche Tänze unter Pauken und Trompeten erschallen. Es wurden muntere Lieder angestimmt, man tanzte, und die männlichen und weiblichen Toten machten sich zum Teil recht artig den Hof; Y.-Sesostris hielt sich an Diana Poitiers-Leverd und ich an die Mars-Lucretia. Bis zum Grauen des Tages währte das wunderliche Fest, wo sich nacheinander sämtliche Toten zu einer zeitlichen Ruhe begaben und ich meine keusche Lucretia heimbegleitete. Die Geschichte machte indessen so großes Aufsehen in Paris und wurde mit solchen Übertreibungen und Zusätzen erzählt, daß selbst Napoleon Notiz davon nahm. Als ich ein paar Tage darauf mit Talma und einigen Offizieren im Palais Royal frühstückte, sagte ersterer, es solle ihn wundern, wenn der Kaiser den Fürsten Y. nicht wegen dieses Totenfestes zur Rede stelle. Denselben Tag hinterbrachte ich dem letzteren diese Äußerung des großen Künstlers, der immer Zutritt bei Seiner Majestät hatte. Der Fürst lachte darüber, aber kaum waren wir vom Tisch aufgestanden, als eine Order kam, die ihn für den kommenden Morgen vor dem furchtbaren Napoleon zu erscheinen befahl. Den anderen Tag fuhr er zu der beorderten Zeit in die Tuilerien, kam nach einer guten Stunde ganz außer sich zurück und rief, ins Zimmer tretend, wo er mich, ihn erwartend, fand, aus: „Das ist eine infame Geschichte, der Teufel hat mich geritten, so etwas zuzugeben.“ Als die Durchlaucht etwas ruhiger geworden war, teilte sie mir mit abgerissenen Worten und fragmentarisch mit, was zwischen ihm und dem Kaiser vorgefallen war. Dieser hatte ihm unter anderem in einem sehr aufgebrachten und strengen Ton gesagt: „Unter dem Vorwand der Gicht bleiben Sie in Paris, statt dem Armeekorps, dem Sie zugeteilt sind, nach Spanien zu folgen, machen hier Streiche, die meine ganze Hauptstadt in Alarm setzen und alle Frommen in Aufruhr bringen. – Päpste in vollem Ornat haben Katzensprünge und Purzelbäume und Gott weiß was alles, und zwar in der Fastenzeit, bei Ihnen gemacht. Ich hoffe, daß Sie in der kürzesten Frist imstande sein werden, sich zu Ihrem Armeekorps zu verfügen.“ Hierzu hatte nun Seine Durchlaucht nicht die geringste Lust, ja er hätte lieber seinen Abschied genommen, wenn dies ohne die höchste Ungnade und vielleicht gar sein Land zu verlieren, angegangen wäre. Ich suchte ihn zu beruhigen und sagte ihm, man müsse nur den ersten Zorn des Kaisers vorübergehen lassen, dann würde man schon Mittel finden, ihn zu besänftigen. – „Sie haben gut reden und können dazu lachen, denn obgleich Sie den ganzen Teufelsspuk veranstaltet haben, so ...“ – „Doch nur auf Befehl, Eure Durchlaucht!“ – „... so gehen Sie doch leer aus.“ Ich riet nun dem Fürsten, Talma zu einem Frühstück einzuladen, da dieser von der Partie gewesen, vortrefflich mit Napoleon stünde und gewiß der Mann wäre, der die Sache wieder ins Gleise bringen könne. Dies leuchtete der trostlosen Durchlaucht ein, die mich mit der Einladung des berühmten Schauspielers beauftragte. Ich fuhr zu diesem, unterrichtete ihn von dem Vorgefallenen und dem Anliegen des Fürsten, er schlug aber das Frühstück mit den Worten aus: „Ich habe keine Zeit dazu, aber das tut nichts, lassen Sie mich nur machen, ich werde die Sache arrangieren. Der Kaiser und ich, wir sind ja doch nur zwei große Komödianten, wenn auch jeder auf einer anderen Bühne, das gilt gleich, wir verstehen uns doch. – Sagen Sie Ihrem Fürsten, er möge nur ruhig sein, ich würde dieser Tage die Ehre haben, ihm aufzuwarten.“ – Ich hinterbrachte diese Unterredung dem Fürsten, die ihn jedoch nicht sehr befriedigte. Aber Talma hielt Wort, schon den anderen Tag fuhr er bei Seiner Durchlaucht vor und rapportierte derselben, daß er den Kaiser von allem der Wahrheit gemäß in Kenntnis gesetzt habe, ihm klar gemacht, daß es Lügen und Übertreibungen seien, was man sich im Publikum hinsichtlich dieses Festes erzählte, und es so weit gebracht, daß Napoleon endlich selbst darüber gelächelt und ihn mit einem kleinen Wischer und dem Auftrag, den Fürsten Y. zu beruhigen und ihm zu sagen, er möge nur seiner Gesundheit pflegen, entlassen habe. Der große Kaiser hatte seine Gründe, mit dem großen Mimiker, der ihm in früheren schlimmen Zeiten gar manchmal ein Mittagessen bezahlte, glimpflich umzugehen. Wer war froher als Fürst Y. und ich mit, denn leicht hätte es mir im Garten wachsen können, daß auch ich, wenn die Sache näher untersucht worden wäre, stante pede aus Paris fortgemußt hätte. Der Spaß hatte übrigens Seiner Durchlaucht über fünfzehntausend Franken gekostet.

Namenregister.
Zweiter Band.

Abercromby, General 389
Andreossy, General 350
Altieri, Principe 343
Anton, Infant 237, 260, 267, 271
Atri, Herzogin von 331
Beauharnais 244, 245
Benincasa, Bandenchef 182 f., 192
Berthier 357, 358
Billiard, Oberst 325
Bracchi, Duca 343
Branciforte, Marchese 236
Burista, Gräfin 290
Canova 66
Caprara, Kardinal 343
Carlos, Infant 261, 271
Cesarini, Principessa 41 f., 72, 97, 101 f., 163, 202, 414
Clarke, Kriegsminister 417, 424
Contarino 395
Cravagante, Marchesa 331
Davoust 357
Detrées, General 316
Duhesme, General 300, 302
Dupont, General 210, 228, 258, 259, 269, 276, 291
Düret, Bataillonschef 38, 39
Duroc 358
Escoiquitz, Kanonikus 237
Falio, Oberst 286
Ferdinand VII. von Spanien 212, 235, 237, 238 f., 246, 258 f., 271, 274
Festa, Primadonna 45
Francatrippa, Bandit 180 f., 312
Francisko, Infant 261, 267
Frias, Herzog von 241
Gardel, Tänzerin 426, 443, 444
Godoï 212, 221, 228, 235, 236 f., 243, 245 f., 258 f., 273
Grouchy, General 236, 266
Guillelmi, Jorge de, Generalkapitän 278
Hessen-Philippsthal, Prinz von 179
Infantado, Herzog von 237
Joseph Bonaparte 28, 32, 174 f. 274, 291, 314
Joseph II. 220
Josephine 423 f.
Julie, Königin, Gattin Joseph Bonapartes 174 f., 178, 201
Jünot, Marschall 209
Karl IV. von Spanien 212, 221, 228, 236 f., 245 f., 258, 260, 267
Karl, Erzherzog 355
Karoline Bonaparte 311, 315, 331
Kaufmann, Angelika 44
Klinger 2
Lacoste, Ingenieuroberst 290 f.
Lamarque, General 316
Lecchi, General 302, 309
Lefebvre-Denouette, General 277, 280 f., 284, 297
Leverd, Schauspielerin 418
Livron, General 317
Lowe, Hudson 316, 319
Lucian Bonaparte 242
Marlot, Bataillonschef 211
Mars, Schauspielerin 418, 426, 433, 443, 444
Massena, 357
Massimiliano, Bildhauer 67
Matuccio, Kastrat 12
Medina, Herzog von 241
Menou, General 371, 389
Miollis, General 340, 342 f., 414, 417, 424
Moncey, Marschall 210, 227, 276
Montchoisy, General 139, 148
Montferras, General 316
Mouret, General 139
Murat 220, 227, 229, 234, 235, 236, 241 f., 258 f., 266 f., 274, 313, 314 f., 330 f., 336 f.
Napoleon 39, 212, 220, 239, 241 f., 258, 261 f., 271 f., 275 f., 280, 290, 339, 343 f., 350 f., 392, 413, 423 f., 447
Neapel, Ferdinand IV. von 34
Nunez, Graf Fernandes 241
Omeara, Oberst 152, 165, 179, 201
Pacca, Kardinal 349
Palacios, Generalkapitän 302
Palafox 277, 278 f., 285, 288, 291 f.
Pauline Bonaparte 424
Pignatelli, Prinz, General 316
Pius VI. 40
Pius VII. 39, 40, 340 f.
Radet, General 347 f.
Rapp, General 353
Regnier, General 179, 337
Salicetti 315, 335
Savary, General 244 f.
Sissé, General 311
Talma 444, 447 f.
Torlonia, Bankier 40, 42, 98, 311, 414
Vasi, Antiquar 65
Vedet, General 258
Verdier, General 277, 285 f., 291 f.

Fußnoten.

[1] Am Eingang der Villa Reale befinden sich mehrere Restaurationen, Kaffeehäuser und so weiter, wo man trefflich serviert wird und Speisen und Getränke von der besten Qualität findet.

[2] Kalesso heißt in Neapel ein kleines, zweiräderiges, offenes Fuhrwerk, eine Art Kabriolet, in dem man mit Blitzesschnelle, selbstkutschierend, der Führer stellt sich hinten auf, das rasche kalabrische Pferd durch sein Rufen lenkend, fährt, und für den längsten Kurs nicht mehr als 10 Grani (etwa acht Kreuzer oder zwei Groschen) bezahlt.

[3] Pane tedesco nennt man in Rom das von deutschen Bäckern daselbst gebackene mürbe Brot. Die Zahl der deutschen Bäcker übertrifft die der einheimischen, und ihr Backwerk ist sehr beliebt.

[4] Auf jeder Stufe küssen die frommen Gläubigen den Schmutz, den die vor ihnen Hinaufknienden gemacht, wieder weg.

[5] Die Österreicher haben später zu Mailand bei einer ähnlichen Gelegenheit dieses Manöver einmal nachgemacht.

[6] Das Luthertum stand noch zur Zeit, als wir uns in Spanien befanden, in einem so furchtbaren Geruch, daß, als ich einmal im Gespräch mit einer hübschen Frau, der ich den Hof zu machen begann, sagte, ich sei ein Lutheraner, diese mir halb lachend erwiderte: ich möge doch keinen so gottlosen Scherz machen, und als ich das Gesagte ernstlich behauptete, versetzte: „O gehen Sie doch, Sie haben ja weder Hörner noch Klauen noch einen Schwanz!“ – So stellte man sich zu jener Zeit noch einen Lutheraner in Spanien vor, dank den Pfaffen, welche sie als so begabt schilderten.

[7] Ein alter Karmelitermönch hatte in der Tat einem französischen Offizier einmal ernstlich versichert, daß dies noch vor Christi Geburt geschehen sei, was bei der bekannten großen Unwissenheit dieser Herren Fratres eben nicht zu bewundern ist.

[8] Diese Geschichte, die zu voluminös ist, um sie hier ausführlich mitteilen zu können, ist schon unter dem Titel: „Rosaura oder der Domgeist zu Ravenna“, von dem toten Verfasser dieses Werkes in der fünfundsiebzigsten und deren folgenden Nummern der Zeitschrift des Phönix Jahrgang 1825, vollständig mitgeteilt worden.

[9] Als dieser Juwelier nach Offenbach reiste, um Besitz von seinem Wald zu nehmen, erklärte ihm aber der Premierminister des Fürsten, ein gewisser Geheimrat Goldner, daß Se. Durchlaucht nicht berechtigt seien, diesen Wald, der Staatsdomäne sei, zu verhandeln; der Mann geriet über diese Entdeckung zur Verzweiflung und erschoß sich.

Anmerkungen zur Transkription

Diese Ausgabe von 1916 wurde gegenüber der Erstausgabe von 1848/49 „um Weitschweifigkeiten und Wiederholungen verkürzt“, wie der Herausgeber im Nachwort konstatiert (Band 3). Die Kürzungen im Text wurden in der 1916’er Ausgabe folgerichtig in den Rubriken sowohl im Inhaltsverzeichnis am Anfang des Buches als auch am Beginn der jeweiligen Kapitel reflektiert. Wo dies versehentlich zu Diskrepanzen zwischen den beiden jeweiligen Rubriken geführt hatte, wurden in dieser eBook-Ausgabe nach eingehendem Vergleich mit der Erstausgabe die jeweils überzähligen Rubriken entfernt. Darüber hinaus wurde jedoch kein weitergehender Versuch unternommen, die generelle Übereinstimmung von Kürzungen im Text und im Inhaltsverzeichnis zu überprüfen.

Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):






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Toten. Band 2, by Johann Konrad Friederich

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*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
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against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
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works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


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