The Project Gutenberg EBook of Die Schatzinsel, by Robert Louis Stevenson This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license Title: Die Schatzinsel Author: Robert Louis Stevenson Illustrator: Rolf von Haerschelmann Release Date: July 12, 2015 [EBook #49424] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHATZINSEL *** Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net +------------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ markiert. | | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs. | +------------------------------------------------------------------+ Sindbad-Bücher Phantastische und abenteuerliche Romane Stevenson / Die Schatzinsel Robert Louis Stevenson Die Schatzinsel Roman 6.-15. Tausend [Illustration] Mit Zeichnungen von Rolf von Hoerschelmann Drei Masken Verlag München 1922 _Alle Rechte vorbehalten_ Paul Schettlers Erben, G. m. b. H., Großbuchdruckerei, Cöthen-Anh. S. L. O. _einem amerikanischen Gentleman, dessen klassischem Geschmack gemäß die folgende Erzählung ersonnen wurde, sei sie nun, zum Dank für zahlreiche köstliche Stunden und mit den besten Wünschen, gewidmet von seinem herzlichen Freunde dem Autor_ An den zögernden Käufer Wenn Seefahrermärchen, Matrosengesang, Sturm und Gefahren, Kälte und Glut, Wenn Eilande, Segler, Seeräuberfang Und Gold, das vergraben in Erde ruht, Wenn die alte Romantik, von Neuem erzählt Getreu nach der Vorväter Art, Die kluge Jugend heut nicht mehr beseelt Mit den Wundern von Ferne und Fahrt: Wenns damit vorbei ist, dann solls auch so sein -- Wenn die Jugend nicht gierig mehr liest Von Kingston, dem wackeren, und Ballantyne Und die Sehnsucht von Ehdem vergißt, Und wenn ihr gar Cooper nicht mehr gefällt, Dann Ade! Dann schaufl’ ich ein Grab Für mich, die Piraten, die Fahrtwunderwelt -- Dann Ade -- und vorbei und hinab! R. L. St. _Erster Teil_ _Der alte Freibeuter_ Erstes Kapitel Der alte Seebär im „Admiral Benbow“ [Illustration] Da unser Gutsherr, Mr. Trelawney, Dr. Livesay und die übrigen Herren mich baten, alle Einzelheiten über die Schatzinsel von Anfang bis zu Ende aufzuschreiben und nichts auszulassen als die Lage der Insel, und auch die nur, weil noch ungehobene Schätze dort liegen, nehme ich im Jahre 17.. die Feder zur Hand und beginne bei der Zeit, als mein Vater noch den Gasthof „Zum Admiral Benbow“ hielt und jener dunkle, alte Seemann mit dem Säbelhieb über der Wange unter unserem Dache Wohnung nahm. Ich erinnere mich an ihn, als ob es gestern gewesen wäre, wie er schwerfällig zur Türe hereintorkelte, sein Kajütenkoffer in einem Schubkarren hinter ihm. Ein großer, breiter, schwerer, sonnengebräunter Mann, dem der Matrosenzopf über die Schultern auf die schmutzige, blaue Jacke fiel. Seine Hände waren rauh und zerschunden, mit schwarzen, abgebrochenen Nägeln. Eine schmierige, gelblich-bleiche Hiebnarbe war quer über die eine Wange gezogen. Er schaute auf die Bucht hinaus, pfiff sich eins dazu, und plötzlich begann er mit hoher, wackliger Fistelstimme, die so klang, als hätte er sie an der Spillspake gestimmt, das alte Seemannslied zu singen, das ich später so oft von ihm gehört habe: Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum, Schnaps stand stets auf der Höllenfahrtsliste Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum. Dann klopfte er mit seinem Stecken, der wie eine Pike aussah, an die Tür, und als mein Vater kam, verlangte er grob ein Glas Rum, das er bedächtig und mit Kennermiene austrank und dabei auf die Klippen und unser Wirtshausschild hinaussah. „Das ist eine nette Bucht“, sagte er schließlich, „und ein hübschgelegener Rumladen. Viele Gäste, Kamerad?“ Mein Vater sagte: „Nein, leider sehr wenig.“ „Also gut,“ meinte er darauf, „das ist mein Ankerplatz. Heda! Freundchen!“ schrie er den Mann an, der den Karren mit seinem Koffer schob; „komm herüber und trag den Koffer hinauf. Hier will ich eine Weile bleiben“, fuhr er fort. „Ich bin ein einfacher Mann. Ich brauche nichts als Rum, Speck und Eier und die Anhöhe dort, von wo aus ich die abfahrenden Schiffe beobachten kann. -- Wie Ihr mich titulieren sollt? Na, nennt mich Kapitän. -- -- Ja so, ich weiß schon, was Ihr noch wollt. Da!“ -- -- -- Und damit warf er drei oder vier Goldstücke hin. „Ihr könnt mir’s sagen, wenn ich damit fertig bin“, sagte er und schaute stolz und befehlend herum. Wirklich sah er trotz seiner abgetragenen Kleider und trotzdem seine Sprechweise grob war, nicht wie ein Matrose aus, sondern wie der Kapitän eines kleinen Kauffahrers, der gewöhnt ist, daß man ihm gehorcht. -- Der Mann mit dem Schubkarren sagte aus, daß ihn die Post tags vorher beim Gasthof „König Georg“ abgesetzt habe, wo er sich nach den Gasthäusern der Umgegend erkundigt hätte. Da man ihm das unsere als anständig geführt und einsam gelegen geschildert haben mag, wählte er es als Aufenthaltsort. Das war alles, was wir über unsern Gast in Erfahrung bringen konnten. Er war für gewöhnlich ein sehr ruhiger Gast. Tagsüber trieb er sich mit seinem Messingfernrohr in der Bucht und auf den Klippen herum, und den ganzen Abend saß er beim Feuer in der Gaststube und trank sehr starken Grog. Meist antwortete er nicht, wenn er angesprochen wurde, sondern schaute nur böse und wild drein und schnaubte dröhnend wie ein Nebelhorn durch die Nase. Und wir und die Leute, die ins Haus kamen, ließen ihn dann schon in Ruhe. Jeden Tag, wenn er von seinen Streifungen zurückkehrte, fragte er, ob nicht auf der Straße ein Seefahrer vorbeigekommen sei. Zuerst glaubten wir, er sehne sich nach Gesellschaft seiner eigenen Art, aber später begriffen wir, daß er nur deshalb so eifrig frage, um ausweichen zu können. Wenn ein Seemann im „Admiral Benbow“ einkehrte, was hie und da vorkam, da er auf dem Küstenweg nach Bristol lag, pflegte er sich ihn durch den Türvorhang anzuschauen, ehe er in die Gaststube eintrat, und war mäuschenstill, solange der Fremde dasaß. Ich wußte, was für ein Geheimnis dahintersteckte. Denn ich mußte gewissermaßen seine Sorgen teilen. Er hatte mich eines Tages beiseite genommen und mir ein silbernes Vierpennystück am Ersten jedes Monats versprochen, wenn ich nur sorgfältig Ausschau hielte nach „einem Seefahrer mit einem Bein“ und es ihm sofort meldete, sowie ein solcher auftauche. Wenn dann der Erste des Monats vorüber war und ich ihn an sein Versprechen mahnte, schnaubte er mich an und jagte mich mit drohenden Blicken in die Flucht. Aber ehe die Woche zu Ende ging, besann er sich immer eines Bessern, brachte mir mein Vierpennystück und wiederholte seinen Auftrag, nach einem „Seefahrer mit einem Bein“ Ausschau zu halten. Ich kann gar nicht sagen, wie dieser geheimnisvolle Mensch mich in meine Träume hinein verfolgte. In stürmischen Nächten, wenn der Wind das Haus erschütterte und die Brandung gegen Bucht und Klippen brauste, erblickte ich ihn in tausend Gestalten und in tausendfältigen, teuflischen Formen. Einmal war das Bein am Knie abgeschnitten, einmal an der Hüfte, dann wieder erschien er mir als ein Fabelwesen, das immer nur ein Bein gehabt hatte, und zwar in der Mitte des Körpers. Ihn hüpfen und springen zu sehen und von ihm über Stock und Stein verfolgt zu werden, war mein entsetzlichster Angsttraum. Und das Vierpennystück war teuer genug erkauft mit diesen Gesichten. Aber trotzdem mich das Bild des Seemannes mit dem einen Bein so sehr in Schrecken versetzte, fürchtete ich mich vor dem Kapitän selbst weniger als alle anderen. An manchen Abenden pflegte er mehr Grog zu trinken als er vertrug, und dann begann er seine schlimmen, alten, wilden Seemannslieder zu brüllen, ohne Rücksicht auf die anderen Anwesenden. Oder er verlangte Gläser für die Runde und zwang die zitternde Gesellschaft, seine Räubergeschichten anzuhören oder auch im Chor mitzusingen. Oft erdröhnte das Haus von „Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum“, und alle Nachbarn stimmten aus Angst mit ein, einer lauter als der andere, um nicht sein Mißfallen zu erregen. Denn während dieser Anfälle war er der wildeste Geselle, den man sich denken kann. Er haute auf den Tisch, um Ruhe zu erzwingen, er sprang auf wie ein Rasender, einer Frage wegen, oder weil man keine gestellt hatte, und er daraus schloß, daß man seiner Geschichte nicht mit gebührender Aufmerksamkeit folgte, und er erlaubte niemandem, den Gasthof zu verlassen, ehe er sich nicht selbst schläfrig getrunken hatte und ins Bett wankte. Seine Erzählungen ängstigten die Leute am meisten. Es waren gräßliche Geschichten von Galgen und Aufhängen und Seestürmen und Missetaten und Mord und Brand. Nach seinen eigenen Berichten mußte er sein Leben unter den bösesten Menschen zugebracht haben, die Gott je auf die See gelassen hatte; und die Sprache, in der er diese Missetaten erzählte, entsetzte unsere einfachen Landleute fast ebensosehr wie die Verbrechen, die er schilderte. Mein Vater sagte immer, der Gasthof würde ruiniert, denn die Leute würden bald nicht mehr kommen, sich tyrannisieren und niederschreien und schließlich sich schaudernd nach Hause schicken zu lassen. Aber ich glaube wirklich, das alles nützte eher dem Geschäft. Die Leute hatten zwar Angst, aber in der Erinnerung gefiel ihnen das ganz gut, und es war eine interessante Abwechslung in ihrem ruhigen Landleben. Und es gab sogar eine Gesellschaft junger Leute, die ihn bewunderte, ihn einen „richtigen Seebären“ und „echtes gutes Seesalz“ nannte und behauptete, gerade dieser Schlag habe „England gefürchtet gemacht zur See“. Andererseits war er entschieden ein ruinöser Gast, denn er blieb Woche um Woche, und dann einen Monat nach dem andern, so daß sein Geld längst verbraucht war, aber mein Vater brachte nie den Mut auf, energisch weitere Zahlung zu fordern. Wenn er davon anfing, so schnob der Kapitän so heftig durch die Nase, daß es wie ein Gebrüll klang, und jagte meinen armen Vater mit fürchterlichen Blicken aus dem Zimmer. Ich sah ihn nach einem solchen vergeblichen Versuch die Hände ringend hinauseilen, und bin überzeugt, daß der Ärger und Schrecken, die er auszustehen hatte, sein frühes und unglückliches Ende sehr beschleunigt haben. Solange der Kapitän bei uns lebte, wechselte er nie seine Kleidung, bis auf die Strümpfe, die er bei einer vorüberkommenden Hökerin kaufte. Als einmal ein Windstoß eine seiner Hutfedern knickte, ließ er sie in der Folge herunterhängen, obwohl das sehr unbequem war, wenn es blies. Ich erinnere mich noch genau an seinen Rock, den er oben auf seinem Zimmer selbst flickte und der zuletzt nur noch aus Flecken bestand. Er schrieb weder, noch bekam er je einen Brief, und sprach selbst mit den Nachbarn fast nur dann, wenn er betrunken war. Niemand von uns sah jemals den großen Kajütenkoffer geöffnet. Nur ein einziges Mal stieß er auf Widerspruch, und das war ganz am Schluß, als mein armer Vater schon gänzlich darniederlag. Dr. Livesay kam einmal spät am Nachmittag, den Kranken zu besuchen, meine Mutter trug ihm etwas Essen auf und er trat in die Gaststube, um seine Pfeife zu rauchen, bis man sein Pferd aus dem Dorfe geholt hatte, denn wir hatten im „Admiral Benbow“ keine Stallungen. Ich ging mit ihm hinein und erinnere mich, daß mir der Gegensatz auffiel, der zwischen dem nett gekleideten, heiteren Doktor mit seinem schneeweißgepuderten Haar, den lebhaften schwarzen Augen und dem liebenswürdigen Wesen und den derben, plumpen Landleuten herrschte, vor allem aber zu der schmierigen, häßlichen Vogelscheuche von einem Piraten, der in ziemlich vorgeschrittener Rumstimmung, mit den Ellenbogen auf dem Tisch, breitspurig dasaß. Da begann er plötzlich -- der Kapitän, meine ich -- sein Lied zu gröhlen: Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum, Schnaps stand stets auf der Höllenfahrtsliste Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum. Anfangs dachte ich immer, „des toten Manns Kiste“ müsse derselbe große Koffer sein, oben im vorderen Zimmer, und in meinen Angstträumen hatte ich diesen Gedanken mit dem einbeinigen Seemann in Zusammenhang gebracht. Aber inzwischen hatten wir längst aufgehört, den Text des Liedes irgendwie zu beachten, und an diesem Abend war er nur für Dr. Livesay neu, und auf den schien er keinen guten Eindruck zu machen, denn er blickte ganz ärgerlich auf, ehe er sein Gespräch mit dem alten Gärtner Taylor über eine neue Rheumatismuskur fortsetzte. Indessen erheiterte sich der Kapitän allmählich an seiner eigenen Musik und schließlich schlug er heftig mit der Faust auf den Tisch. Alle wußten, das hieß: Ruhe! Alle Stimmen schwiegen sofort bis auf die des Dr. Livesay, der in seiner klaren, liebenswürdigen Art zu sprechen fortfuhr und dabei ruhig weiterrauchte. Der Kapitän starrte ihn eine Weile an, dann schlug er wieder mit der Faust auf den Tisch, starrte schärfer, und schließlich brach er mit einem scheußlichen, gemeinen Fluch in die Worte aus: „Ruhe, Ihr da drüben.“ „Habt Ihr mit mir gesprochen, Herr?“ sagte der Doktor. Und als der brutale Kerl das mit einem neuerlichen Fluch bejahte, antwortete er: „Ich habe Euch nur eines zu sagen, Herr! Wenn Ihr so weiter Rum sauft, wird die Welt bald einen sehr dreckigen Lumpen los sein!“ [Illustration] Der Alte geriet in entsetzliche Wut. Er sprang auf, öffnete sein Matrosenschnappmesser, wog es auf der flachen Hand und drohte, den Doktor damit an die Wand zu spießen. Der Doktor rührte sich nicht einmal. Wie früher sprach er mit unbewegter Stimme über die Achsel hin zu ihm, ziemlich laut, so daß der ganze Raum es hören konnte, aber durchaus ruhig und fest: „Wenn Ihr das Messer nicht augenblicklich in die Tasche steckt, so verspreche ich Euch bei meiner Ehre, daß Ihr bei der nächsten Gerichtssession hängen werdet.“ Dann kreuzten sich lange ihre Blicke, aber der Kapitän wich bald, setzte sich wieder auf seinen Platz, steckte sein Messer ein und knurrte dazu wie ein geschlagener Hund. „Und nun, Herr,“ begann der Doktor abermals, „da ich nun weiß, daß sich ein solcher Kerl in meinem Kirchspiel aufhält, könnt Ihr darauf rechnen, daß Ihr stets gut beobachtet bleiben werdet. Denn ich bin nicht bloß Arzt, ich bin auch Amtsperson. Und wenn mir auch nur eine _einzige_ Klage über Euch zu Ohren kommt, und sei es auch nur wegen einer Unhöflichkeit wie die heute Abend, so werde ich wirksame Mittel finden, Euch zu packen und davonzujagen. Das genügt vorläufig.“ Da wurde auch schon Doktor Livesays Pferd gebracht und er ritt nach Hause. Aber der Kapitän hielt an diesem Abend und noch an manch fernerem Ruhe. Zweites Kapitel Der schwarze Hund erscheint und verschwindet wieder Nicht lange nach diesem Vorkommnis ereignete sich die erste der seltsamen Begebenheiten, die uns schließlich vom Kapitän, wenn auch nicht von seinen Angelegenheiten befreiten. Es war ein bitterkalter Winter mit langen, harten Frösten und heftigen Böen, und es war klar, daß mein armer Vater kaum den Frühling erleben würde. Er schwand immer mehr dahin, und meine Mutter und ich hatten den Gasthof allein zu führen und mußten so fleißig schaffen, daß wir uns um unseren unangenehmen Gast wenig kümmerten. Es war sehr früh an einem Januarmorgen, ein stechend kalter Morgen, die Bucht hing voll Rauhreif, die Wellen kräuselten sich sanft, die Sonne stand noch tief, beschien bloß die Spitzen der Hügel, und weit draußen auf der See lag ihr Widerschein. Der Kapitän war zeitiger als sonst aufgestanden und die Bucht hinuntergewandert, sein Entermesser bewegte sich unter den breiten Schößen seines alten, blauen Rockes hin und her, sein Messingfernrohr hatte er unterm Arm, den Hut schief auf dem Kopfe. Ich erinnere mich, wie sein Atem als schwache Rauchsäule hinter ihm aufstieg, als er fortschlenderte, und als er um den großen Felsen bog, hörte man ein lautes, erzürntes Schnauben, als dächte er gerade an Dr. Livesay. Nun, meine Mutter war oben beim Vater und ich deckte eben den Frühstückstisch für den Kapitän, als sich die Tür öffnete und ein Mann hereinkam, den ich nie zuvor gesehen hatte. Er war ein blasser, aufgeschwemmter Mensch, dem zwei Finger der linken Hand fehlten und der, trotzdem er einen Hirschfänger trug, nicht sehr kampftüchtig aussah. Ich hielt stets die Augen offen, um Seefahrer mit einem oder mit zwei Beinen nicht zu versäumen, aber dieser da verwirrte mich. Er war kein Seemann, und doch hatte er etwas Seemännisches in seinem ganzen Wesen. Ich fragte ihn, was er wünsche, und er bestellte Rum; doch als ich hinausging welchen zu holen, setzte er sich auf einen Tisch, und bat mich näherzukommen. Ich blieb stehen wo ich war, mit meiner Serviette unter dem Arm. „Komm her, Söhnchen,“ sagte er, „komm näher zu mir!“ Ich trat einen Schritt näher. „Ist dieser Tisch hier für meinen Maat Bill?“ fragte er mit einem bezeichnenden Seitenblick. Ich sagte, daß ich seinen Maat Bill nicht kenne und daß hier für einen Herrn gedeckt sei, der im Hause wohne und den wir den Kapitän nennen. „Schon gut,“ sagte er, „das ist schon mein Maat Bill, der sich Kapitän schimpfen läßt; sieht ihm ähnlich. Nicht wahr, er hat einen Hieb über der einen Wange und sehr angenehme Manieren, besonders wenn er getrunken hat, mein Maat Bill. Also, wir wollen einmal annehmen, daß Euer Kapitän eine Narbe auf der Wange hat und dann wollen wir einmal sagen, daß es die rechte Wange ist. Aha! Ich hab’s ja gesagt. Nun, wohnt mein Maat Bill hier im Hause?“ Ich sagte, er sei draußen auf einem Spaziergang. „Welchen Weg, Söhnchen? Welchen Weg ist er gegangen?“ Und als ich ihm den Felsen wies und meinte, daß der Kapitän wohl bald zurückkommen würde, und ein paar weitere Fragen beantwortete, da meinte er: „Ach, Söhnchen, mein Maat Bill wird sich freuen wie über einen guten Trunk!“ Sein Gesichtsausdruck, als er diese Worte sagte, war keineswegs liebenswürdig, und ich hatte meine Gründe, anzunehmen, daß sich der Fremde irre, selbst wenn er das im guten Glauben behaupte, aber das ging mich nichts an, dachte ich mir, und außerdem war es schwer zu entscheiden, was da zu tun sei. Der Fremde hielt sich an der Innenseite der Gasthofstür und spähte um die Ecke wie eine Katze, die auf die Maus lauert. Einmal lief ich auf die Straße hinaus, aber er rief mich sofort zurück, und als ich ihm nicht rasch genug zu gehorchen schien, kam ein abscheulicher Ausdruck in sein käsiges Gesicht, und mit einem gräßlichen Fluch befahl er mir hereinzukommen. Als ich drinnen war, nahm er seine frühere halb höhnische, halb einschmeichelnde Art wieder an, klopfte mir auf die Schulter und sagte, ich sei ein guter Junge und er hätte mich ganz ins Herz geschlossen. „Ich hab auch so einen Buben, wie du bist“, sagte er. „Er sieht dir ähnlich wie ein Ei dem andern, und er ist mein ganzer Stolz. Aber ein Junge muß Disziplin halten können, Disziplin, mein Junge, das ist die Hauptsache! Na, wenn du mit Bill auf der See gewesen wärest, da hätt’ man dir nichts zweimal befehlen dürfen, o nein, so war der Bill nicht, und auch die, die mit ihm segelten, machten kurzen Prozeß. Ja, da ist ja mein Maat Bill mit dem Fernrohr unterm Arm, Gott segne ihn, da ist er. Wir zwei wollen jetzt in die Gaststube gehen und uns hinter die Tür stellen und ihm eine kleine Überraschung bereiten, meinem alten Freund!“ Und dabei zog er mich in die Gaststube und stellte mich hinter sich in den Winkel, so daß wir beide durch die offene Tür gedeckt waren. Mir war sehr wenig gut zumute und meine Furcht wuchs noch, als ich sah, daß der Fremde sichtlich selbst in Angst geriet. Er richtete die Handhabe seines Hirschfängers, lockerte die Klinge in der Scheide und schluckte und schluckte, als fühle er einen Klumpen im Halse. Endlich spazierte der Kapitän herein, schlug die Tür hinter sich zu, ohne nach rechts oder links zu sehen und ging geradewegs mitten durchs Zimmer auf seinen Frühstückstisch zu. „Bill“, sagte der Fremde mit einer Stimme, der er, wie mir schien, eine etwas künstliche Kraft und Festigkeit zu verleihen bemüht war. Der Kapitän fuhr herum und starrte uns an. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und sogar seine Nase schien blau. Er sah aus wie einer, der plötzlich ein Gespenst erblickt oder den Bösen oder noch etwas Ärgeres, wenn es das gibt, und er tat mir, mein Wort darauf, leid, wie er so, in einem Augenblick gealtert und hinfällig, dastand. „Na Bill, du kennst mich, du kennst deinen alten Kollegen, Bill, nicht wahr, ja?“ sagte der Fremde. Der Kapitän rang nach Atem. „Schwarzer Hund!“ sagte er endlich. „Na, wer denn sonst?“ erwiderte der andere behaglich. „Natürlich, der schwarze Hund, wie er leibt und lebt, kommt seinen alten Schiffskameraden im ‚Admiral Benbow‘ besuchen. Ah, Bill, Bill, wir haben Zeiten erlebt, wir zwei, seit damals, als ich die zwei Klauen da verlor.“ Und dabei hielt er seine verstümmelte Hand in die Höhe. „Nun gut,“ sagte der Kapitän, „du hast mich eingeholt, hier bin ich, also rede. Was ist’s?“ „Das bist ganz du, Bill,“ antwortete der schwarze Hund, „du hast ganz recht. Dieses herzige Kind hier soll mir ein Glas Rum bringen, denn ich hab den Buben so lieb gewonnen, sag ich dir, und wir zwei wollen uns zusammensetzen, wenn du willst und gradheraus miteinander reden wie alte Schiffskameraden.“ [Illustration] Als ich mit dem Rum zurückkam, saßen die beiden schon, jeder an einer Seite des Frühstückstisches -- der schwarze Hund näher zur Tür und seitlich, so zwar, daß er seinen alten Kameraden beobachten und ihm gegebenenfalls auch den Rückzug abschneiden konnte. Er befahl mir zu gehen und die Tür weit offen zu lassen. „Und du horchst mir nicht an der Türe herum, Söhnchen“, sagte er. Ich ließ die beiden allein und zog mich in den Schank zurück. Obwohl ich natürlich angestrengt horchte, konnte ich lange nichts vernehmen als ein leises Gemurmel. Aber schließlich wurden sie lauter und ich hörte einzelne Worte, hauptsächlich Flüche, aus dem Munde des Kapitäns. „Nein, nein, nein, und Schluß!“ rief er einmal. Und dann wieder: „Wenn es zum Hängen kommt, hängen alle, sage ich.“ Dann auf einmal ein entsetzliches Getöse, Flüche, Geschrei, Tisch und Sessel flogen mit einem Krach übereinander, dann ein Klirren von Stahl und ein Schmerzensschrei und im nächsten Augenblick sah ich den schwarzen Hund hastig fliehen, der Kapitän ihm eilig nach, beide mit gezogenen Säbeln, und dem Fremden strömte das Blut von der linken Schulter herab. Gerade beim Tor holte der Kapitän mit einem letzten, furchtbaren Hieb auf den Flüchtenden aus, der diesen unfehlbar zerschmettert hätte, wenn er nicht von unserem großen Wirtshausschild aufgefangen worden wäre. Heute noch kann man an der Innenseite des Schildes die Einkerbung sehen. Dieser Hieb beendete den Kampf. Kaum auf der Straße, rannte der schwarze Hund trotz seiner Wunde mit fabelhafter Schnelligkeit fort und verschwand in einer halben Minute hinter dem Hügel. Der Kapitän starrte wie verzaubert das Schild an, dann fuhr er sich ein paarmal mit der Hand über die Augen und wandte sich schließlich ins Haus zurück. „Jim,“ sagte er, „Rum!“ Und während er das sagte, schwankte er und hielt sich an der Mauer fest. „Seid Ihr verwundet?“ rief ich aus. „Rum!“ wiederholte er. „Ich muß fort von hier, Rum, Rum!“ Ich lief rasch, welchen zu holen, aber in der Aufregung zerbrach ich ein Glas und brachte den Spund nicht auf und während ich noch ungeschickt herumarbeitete hörte ich in der Gaststube einen schweren Fall, und als ich hineinstürzte, lag der Kapitän in seiner ganzen Länge auf dem Boden. Gleichzeitig kam meine Mutter vom Lärm und Getöse erschreckt die Treppe heruntergelaufen und half mir. Zusammen hoben wir seinen Kopf in die Höhe. Er atmete sehr laut und schwer, seine Augen waren geschlossen und seine Züge grauenhaft verzerrt. „O du lieber Gott,“ weinte meine Mutter, „welche Schande für unser Haus! Und der arme Vater so krank!“ Indessen hatten wir keine Ahnung, was wir tun sollten, um dem Kapitän beizustehen und glaubten bestimmt, er habe im Handgemenge mit dem Fremden ein tödliche Wunde erhalten. Ich holte natürlich schnell den Rum und bemühte mich ihm ein wenig davon einzuflößen, aber seine Zähne waren fest verkrampft und seine Kinnbacken hart wie Eisen. Wie erlöst atmeten wir auf, als sich die Tür öffnete und Dr. Livesay eintrat, der meinem Vater einen Krankenbesuch machen wollte. „Ach, Herr Doktor!“ riefen wir, „was sollen wir tun, wo um Himmelswillen ist er verwundet?“ „Verwundet? Keine Spur!“ sagte der Doktor. „Der ist nicht mehr verwundet als Sie oder ich. Einen Schlaganfall hat er gehabt, wie ich es ihm prophezeit habe. Also, Frau Hawkins, gehen Sie nur hinauf zu Ihrem Mann und erzählen Sie ihm womöglich nichts von der Sache. Ich für mein Teil bin verpflichtet mein Möglichstes zu tun, um das dreimal wertlose Leben des Kerls zu retten. Jim, du geh und hol mir ein Waschbecken!“ Als ich mit dem Becken zurückkam hatte der Doktor schon den Ärmel des Kapitäns aufgeschnitten und seinen sehnigen Arm entblößt, der an mehreren Stellen Tätowierungen zeigte: „Zur Gesundheit“, „Gute Brise“, „Billy Bones Liebste“ sauber in seinen Oberarm eingeschnitten, und weiter oben, nahe der Schulter, sah man die Zeichnung eines Galgens, von dem ein Mann hing, der sehr gut und lebendig gezeichnet war. „Prophetisch!“ sagte der Doktor, indem er diese Zeichnung mit dem Finger berührte. „Und nun, Herr Bill Bones, wenn das Ihr Name ist, wollen wir uns die Farbe Ihres Blutes betrachten. Jim, fürchtest du dich, Blut zu sehen?“ „Nein, Herr Doktor“, sagte ich. „Gut,“ meinte er, „dann kannst du das Becken halten!“ Und damit zog er seine Lanzette heraus und öffnete eine Ader. Eine ziemliche Menge Blut wurde dem Kapitän entzogen, ehe er seine Augen öffnete und verwirrt umherschaute. Zuerst erkannte er mit deutlichem Mißfallen den Doktor. Dann fiel sein Blick auf mich und er schien beruhigter, aber plötzlich wechselte er die Farbe, versuchte sich zu erheben und rief: „Wo ist der schwarze Hund?“ „Hier ist kein schwarzer Hund,“ sagte der Doktor, „es sei denn, Ihr meint Euch selber. Ihr habt Rum getrunken und dann einen Schlaganfall gehabt, genau wie ich es Euch vorhergesagt habe. Und eben jetzt habe ich, mehr gegen meinen Willen, Euch Kopf voran aus dem Grabe gezogen. Nun, Herr Bones --“ „So heiße ich nicht“, unterbrach er. „Das kümmert mich wenig,“ erwiderte der Doktor, „ein Seeräuber meiner Bekanntschaft heißt so, ich gebe Euch der Einfachheit halber seinen Namen und sage Euch folgendes: Ein Glas Rum wird Euch nicht umbringen, aber wenn Ihr immer wieder noch eines und noch eines trinkt, so gebe ich Euch meine Perücke zum Pfande, daß Ihr bald hin seid. Hin, versteht Ihr wohl? Und jetzt, auf! Ich will Euch für heute ins Bett helfen.“ Endlich gelang es uns mit vereinten Kräften ihn die Treppe hinauf zu bringen und wir legten ihn auf sein Bett. Sein Kopf fiel kraftlos in die Kissen und er war einer Ohnmacht nahe. „Nun merkt es Euch,“ sagte der Doktor, „ich sage es Euch aus Gewissenhaftigkeit -- Rum ist der sichere Tod für Euch!“ Und damit nahm er mich am Arm und wir gingen zu meinem Vater. „Das ist gar nichts“, sagte er, als ich die Tür hinter uns geschlossen hatte. „Ich habe ihm hübsch viel Blut abgezapft und er wird schon eine Weile Ruhe halten. Er sollte eine Woche so ruhig liegen bleiben, das wäre das beste für Euch und auch für ihn -- aber noch so ein Schlaganfall und es ist aus!“ Drittes Kapitel Der schwarze Fleck Um die Mittagszeit ging ich mit kühlenden Getränken und Medizin zum Kapitän hinauf. Er lag ungefähr so, wie ich ihn verlassen hatte, nur etwas höher und war matt und dabei erregt. „Jim,“ sagte er, „du bist der einzige hier, der was wert ist, und du weißt, ich hab dich immer gut behandelt. Jeden Monat hast du dein silbernes Vierpennystück bekommen. Und jetzt, siehst du, mein Freund, geht’s mir gar nicht gut, und alle haben mich verlassen, Jim! Willst du mir ein Gläschen Rum bringen? Nicht wahr ja, Freundchen?“ „Der Doktor --“ begann ich. Da fing er mit schwacher Stimme an, aber doch tüchtig, auf den Doktor zu fluchen. „Die Doktors sind alle Waschlappen,“ sagte er, „und was versteht dieser Doktor da von Seeleuten? Ich bin in Orten gewesen, wo es so heiß war wie Pech und rund um mich fielen die Kameraden am gelben Fieber um und der verfluchte Boden schwankte wie das Meer vor Erdbeben --, was weiß der Doktor von solchen Ländern? Und dort lebte ich nur von Rum, sag ich dir! Der war Speise und Trank und Mann und Weib für mich. Und wenn ich jetzt keinen kriegen kann, wo ich armes, altes Wrack am Strande liege, dann soll mein Blut über dich kommen, Jim, über dich und diesen Waschlappen von Doktor!“ -- und er fluchte noch eine Weile weiter. „Schau her, Jim, wie meine Finger zittern“, fuhr er in bittendem Tone fort. „Ich kann und kann sie nicht ruhig halten. Diesen ganzen verfluchten Tag lang habe ich keinen Tropfen gekriegt. Dieser Doktor ist ein Narr, sag ich dir. Wenn ich nicht ein bißchen Rum kriege, kommen die Gespenster; ich hab’ schon welche gesehen. Ich habe den alten Flint in der Ecke dort hinter dir gesehen, ganz deutlich, wie gemalt habe ich ihn gesehen, und wenn ich das Gespenstische kriege (und ich hab’ immer ein rauhes Leben geführt), dann gibts einen Mordskrawall. Dein Doktor selbst hat gesagt, ein Glas schadet mir nichts, ich geb dir ein Goldstück, Jim, für ein Gläschen!“ Er regte sich immer mehr und mehr auf und das erschreckte mich meines Vaters wegen, dem es an diesem Tage gar nicht gut ging und der Ruhe benötigte. Und dann beruhigten mich die Worte des Doktors, an die er mich erinnert hatte, und sein Anerbieten mich zu bestechen beleidigte mich. „Ich brauche kein Geld von Euch außer dem, das Ihr meinem Vater schuldet“, sagte ich. „Ich will Euch ein Glas holen, aber mehr nicht.“ Als ich es ihm brachte, ergriff er es gierig und leerte es auf einen Zug. „Ach ja,“ sagte er, „das tut gut; und jetzt noch eins, Freundchen: wielange, hat der Doktor gesagt, muß ich hier in dieser alten Koje liegen bleiben?“ „Wenigstens eine Woche“, sagte ich. „Teufel!“ schrie er. „Eine Woche! Das geht nicht, bis dahin sind sie mit dem schwarzen Fleck da, die Tölpel, die jetzt grad probieren, mir den Wind abzufangen. Solche Tölpel, die das Ihrige nicht zusammenhalten konnten und jetzt holen möchten, was anderen gehört. Ist das ordentliche Seemannsmanier, das möcht ich wissen? Ich freilich bin ein sparsamer Mensch, ich habe nie mein gutes Geld vertan oder verloren, und die werde ich schon noch übers Ohr hauen! Ich fürcht’ mich nicht vor ihnen. Ich werde ein anderes Segel aufziehen, da werde ich sie schon wieder drankriegen.“ Dabei war er schwerfällig aufgestanden und hielt sich an meiner Schulter aufrecht mit so festem Griff, daß ich fast aufgeschrien hätte und seine Füße bewegten sich unbehilflich wie eine tote Masse. So mutig seine Reden dem Sinne nach waren, in solch traurigem Gegensatz dazu stand die Schwäche der Stimme. Er hielt inne und setzte sich auf den Rand des Bettes. „Dieser Doktor hat mich umgeschmissen“, murmelte er. „In meinen Ohren saust es. Leg mich wieder hin.“ Doch ehe ich ihm helfen konnte, war er wieder in die Kissen zurückgefallen und lag eine Weile still da. „Jim!“ sagte er schließlich, „du hast den Seemann heute gesehen?“ „Den schwarzen Hund?“ fragte ich. „Oh, der schwarze Hund,“ sagte er, „das ist wohl ein schlechter Kerl, aber die, die ihn geschickt haben, sind noch ärger. Und jetzt, wenn ich nicht fort kann, werden sie mir den schwarzen Fleck anhängen und weißt du, warum? Hinter meinem alten Kajütenkoffer dort sind sie her! Hör zu! Du setzt dich auf ein Pferd -- nicht wahr, du kannst reiten? -- und reitest ja, zum Kuckuck! du reitest zu diesem Waschlappen von Doktor hin und sagst ihm, er soll alle seine Beamten zusammentrommeln und soll sie hier in den ‚Admiral Benbow‘ führen und alle niederpfeffern, die ganze Mannschaft des alten Flint, alle, die noch übrig sind. Ich war erster Maat, der erste Maat des alten Flint, und ich bin der einzige, der die Karte hat. Er gab sie mir in Savannah als er todkrank dalag, wie ich jetzt, siehst du. Aber du wirst nichts verraten, nur wenn sie mir den schwarzen Fleck geben oder wenn du den schwarzen Hund wiedersiehst oder einen Seemann, dem ein Bein fehlt, ja, Jim, dann vor allem.“ „Was ist denn das, der schwarze Fleck, Kapitän?“ fragte ich. „Das ist eine Vorladung, Kamerad, ich werde es dir schon sagen, wenn es so weit ist. Du halte schön die Augen auf, Jim, dann werde ich, bei meiner Ehre, zu gleichen Teilen mit dir teilen.“ Er faselte noch eine Weile weiter, doch seine Stimme wurde schwächer und schwächer und als ich ihm seine Medizin eingeflößt hatte, die er gehorsam wie ein Kind einnahm, meinte er: „Wenn je ein Seemann Medizinen gebraucht hat, so brauch ich sie jetzt“, fiel schließlich in einen schweren, ohnmachtähnlichen Schlaf, und ich verließ ihn. Was ich hätte tun müssen, um alles zu einem guten Ausgang zu führen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hätte ich die ganze Geschichte dem Doktor erzählen sollen, denn ich war in Todesangst, daß der Kapitän seine Geständnisse bereuen und mich kaltmachen würde. Doch gerade an diesem Abend starb ganz plötzlich mein armer Vater und so war alles andere für mich in den Hintergrund getreten. Unser natürlicher Kummer, die Besuche der Nachbarn, die Vorbereitungen für das Leichenbegängnis und die tägliche Arbeit im Gasthof, alles zusammen nahm mich so in Anspruch, daß ich kaum dazu kam an den Kapitän zu denken, und noch weniger mich vor ihm zu fürchten. Er kam am nächsten Morgen richtig herunter, bekam seine Mahlzeiten wie gewöhnlich, obwohl er wenig aß, trank aber, fürchte ich, mehr als die ihm erlaubte Dosis Rum, denn er holte ihn selbst aus dem Schankzimmer und schaute dabei so finster drein und brummte und schnaubte so wild, daß niemand dreinzureden wagte. Am Abend vor dem Leichenbegängnis war er so betrunken wie nur je, und es erregte Ärgernis, wie er da in einem Trauerhause sein häßliches altes Seemannslied grölte. Doch war er so schwach, daß wir alle für sein Leben fürchteten; dabei war der Doktor gerade von einem Schwerkranken sehr in Anspruch genommen, der viele Meilen entfernt wohnte, und kam nach meines Vaters Tode nie in die Nähe unseres Hauses. Ich habe schon gesagt, daß der Kapitän sichtlich abnahm, und seine Schwäche schien immer ärger zu werden, statt daß er sich erholte. Er klomm die Treppen hinauf und hinunter und ging vom Gastzimmer in den Schank und wieder zurück, und manchmal steckte er die Nase zur Türe hinaus, um den Seegeruch zu riechen und hielt sich dann an der Mauer fest und sein Atem ging schwer und rasch, wie wenn er einen steilen Berg besteigen würde. Er richtete niemals direkt das Wort an mich, und ich glaube er hatte seine Geständnisse so gut wie vergessen. Doch war seine Laune sehr wechselnd und trotz seiner körperlichen Schwäche war er heftiger als je. In der Trunkenheit hatte er eine beunruhigende Gewohnheit: sein Matrosenschnappmesser offen vor sich auf den Tisch zu legen. Aber trotz alledem kümmerte er sich weniger um die Leute und es machte den Eindruck, als sei er in seine eigenen Gedanken vertieft und ziemlich zerstreut. Einmal fing er beispielsweise zu unserem großen Erstaunen an, ein ganz neues Lied zu pfeifen, ein ländliches Liebeslied, das er in seiner Jugend gelernt haben mochte, ehe er zur See ging. So standen die Dinge. Einmal, am Tage nach dem Leichenbegängnis, etwa um drei Uhr eines bitterkalten, nebligen, rauhen Nachmittags, als ich ein wenig vor der Tür stand und traurig an meinen Vater dachte, da sah ich auf einmal einen Mann langsam die Straße heraufkommen. Er war zweifellos blind, denn er tappte mit einem Stock vor sich her und trug einen grünen Schirm über Augen und Nase und ging gekrümmt, wie von Alter oder Schwäche gebeugt. Er trug einen alten, zerlumpten Matrosenkragen mit einer Kapuze, die ihn ganz bucklig erscheinen ließ. Nie in meinem Leben sah ich eine abstoßendere Erscheinung. Er blieb einige Schritte vor dem Gasthof stehen und erhob seine Stimme zu einem sonderbaren Singsang, in die leere Luft hineinfragend: „Möchte ein guter Freund einem armen, blinden Mann, der sein kostbares Augenlicht bei der Verteidigung seines Vaterlandes England und seines Königs Georg -- Gott segne ihn -- verloren hat, sagen, wo und in welchem Teile des Landes er sich jetzt befinden mag?“ „Ihr seid beim ‚Admiral Benbow‘ an der Schwarzhügelbucht, mein guter Mann“, sagte ich. „Ich höre eine Stimme,“ sagte er, „eine junge Stimme. Möchtet Ihr mir Eure Hand geben, mein gütiger junger Freund und mich ins Haus führen?“ Ich hielt meine Hand hin und das schauerliche, sanft klagende, augenlose Scheusal packte sie im selben Moment wie ein Schraubstock. Ich war so erschrocken, daß ich mich bemühte loszukommen, aber der Blinde zog mich mit einem einzigen eisernen Griff seines Armes ganz nahe an sich. „Nun, Junge,“ sagte er, „führ mich zum Kapitän!“ „Herr!“ sagte ich, „auf mein Wort, ich wage es nicht.“ „So!“ grinste er, „so ist die Sache! Führ’ mich sofort hinein oder ich zerbrech dir den Arm!“ Und wie er das sagte, verrenkte er ihn mir so, daß ich aufschrie. „Herr,“ sagte ich, „für Euch selbst fürchte ich. Der Kapitän ist ganz verändert, er sitzt mit offenem Messer da. Ein anderer Herr --“ „Also schnell jetzt! Marsch!“ unterbrach er mich, und ich habe nie eine so kalte, grausame und häßliche Stimme gehört wie die des blinden Mannes. Sie schüchterte mich noch mehr ein als der Schmerz, ich gehorchte ihm sofort und führte ihn geradewegs in die Gaststube, wo unser kranker, alter Freibeuter, von Rum benebelt, dasaß. Der blinde Mann hing fest an mir, hielt mich mit seiner eisernen Faust und lehnte sich so schwer an mich an, daß ich sein Gewicht kaum ertragen konnte. „Führ’ mich gerade auf ihn zu, bis er mich sehen kann, und dann rufe: ‚Hier ist ein Freund von Euch, Bill!‘ und wenn du das nicht tust, dann mach ich dir das da!“ Und zugleich zwickte er mich so, daß ich glaubte umsinken zu müssen. Der blinde Bettler jagte mir eine so entsetzliche Furcht ein, daß ich meine Angst vor dem Kapitän vergaß, und als ich die Tür der Gaststube öffnete, rief ich mit zitternder Stimme die Worte, die der unheimliche Fremde befohlen hatte. [Illustration] Der arme Kapitän blickte auf und war im selben Moment völlig nüchtern. Der Ausdruck seines Gesichtes, wie er den Fremden anstarrte, war nicht so sehr Schrecken als tödliche Schwäche. Er machte eine Bewegung, um sich zu erheben, aber ich glaube, er hatte nicht mehr die Kraft dazu. „Nun, Bill, bleib nur, wo du bist“, sagte der Bettler. „Wenn ich auch nicht sehe, so höre ich, wenn sich ein Finger rührt. Geschäft ist Geschäft. Gib deine linke Hand her. Junge! nimm seine linke Hand beim Gelenk und führ sie zu meiner Rechten.“ Wir gehorchten ihm aufs Wort und ich sah etwas aus seiner Hand, die den Stock hielt, in die des Kapitäns gleiten, die sich darüber sofort schloß. „Also das ist in Ordnung“, sagte der blinde Mann. Und mit diesen Worten ließ er mich plötzlich los und schlüpfte mit unglaublicher Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit auf die Straße hinaus, und als ich noch bewegungslos dastand, hörte ich schon seinen Stock weit draußen in der Ferne -- tapp, tapp -- auf der Landstraße. Es dauerte eine Weile, ehe wir beide, der Kapitän und ich, unsere volle Besinnung wiedergewannen. Endlich ließ ich sein Handgelenk los, das ich noch umklammert hielt, und er zog seine Hand zurück und blickte scharf in die Handfläche. „Zehn Uhr,“ rief er, „sechs Stunden! Wir tunken sie schon noch ein!“ und damit sprang er auf. Doch plötzlich taumelte er, griff sich mit der Hand an die Kehle, schwankte einen Augenblick und mit einem sonderbaren Wehlaut fiel er der Länge lang vornüber zu Boden. Ich lief sofort zu ihm hin, rief meine Mutter herbei, aber alle Eile war vergeblich; ein Herzschlag hatte ihn getötet. Merkwürdig ist, daß ich, der ich sicherlich den Mann nie gemocht hatte, obwohl ich ihn in der letzten Zeit bemitleidete, in heftiges Weinen ausbrach, als ich sah, daß er tot war. Es war der zweite Todesfall, den ich erlebte, und der Kummer um den ersten stand noch frisch in meiner Seele. Viertes Kapitel Der Kajütenkoffer Natürlich erzählte ich sofort meiner Mutter alles was ich wußte, und vielleicht hätte ich das längst tun sollen, denn wir sahen uns plötzlich in einer bösen, gefahrvollen Lage. Etwas vom Gelde des Mannes -- wenn er überhaupt welches besaß -- gehörte zweifellos uns, aber es schien sehr unwahrscheinlich, daß die Schiffskameraden unseres Kapitäns, am wenigsten die beiden Exemplare, die ich gesehen hatte, der schwarze Hund und der blinde Bettler, sich geneigt zeigen würden ihre Beute zur Zahlung der Schulden des Toten zu verwenden. Wenn ich den Befehl des Kapitäns ausgeführt und zu Dr. Livesay geritten wäre, hätte ich meine Mutter allein und schutzlos zurücklassen müssen, woran nicht zu denken war. Es schien tatsächlich unmöglich für uns beide, noch länger hier im Hause zu bleiben. Jedes Geräusch, das Prasseln der Kohle auf dem Küchenrost, sogar das Ticken der Uhr erfüllte uns mit Schrecken, wir glaubten fortwährend jemand heranschleichen zu hören, und wenn ich zur Leiche des Kapitäns, die da am Boden der Gaststube lag, hinsah und an den furchtbaren, blinden Bettler dachte, der in der Nähe herumschlich und bald wiederkommen wollte, ergriff mich eine so entsetzliche Angst, daß ich fühlte, wie mir die Haare zu Berge standen. Ein rascher Entschluß mußte gefaßt werden. Wir kamen schließlich auf den Gedanken zusammen fortzugehen und im benachbarten Dorfe Schutz zu suchen. Gesagt, getan. Barhäuptig liefen wir sofort in den sinkenden Abend und kalten Nebel hinaus. Das Dörfchen lag ein paar hundert Schritte entfernt, doch so, daß wir es von unserem Gasthause aus nicht sehen konnten auf der gegenüberliegenden Seite der nächsten Bucht, und es beruhigte mich sehr, daß die Richtung jener entgegengesetzt war, aus der der blinde Mann gekommen und die er offenbar auch auf dem Rückwege eingeschlagen hatte. Wir waren nur wenige Minuten unterwegs, trotzdem wir mehrmals stehen blieben, um zu horchen, aber kein ungewohntes Geräusch war zu hören, nur das leise Anschlagen der Wellen am Strande und das Krächzen der Raben im Gehölz. Die Lichter waren schon angezündet als wir das Dörfchen erreichten, und ich werde nie vergessen, wie sehr mich der freundliche Schein, der aus Türen und Fenstern hervorleuchtete, tröstete und ermutigte. Aber es stellte sich heraus, daß das der einzige Trost war, den wir hier finden sollten, denn -- wer würde glauben, daß die Menschen einer solchen Feigheit fähig sein können! -- keine Seele wollte mit uns in den „Admiral Benbow“ zurückgehen. Je mehr wir von unseren Sorgen erzählten, desto weniger wollten sie -- Männer, Frauen und Kinder -- den Schutz ihrer Häuser verlassen. Der Name des Kapitäns Flint, der mir fremd war, war manchem unter ihnen wohlbekannt und schien von Schrecken umgeben. Ein paar Männer, die tagsüber jenseits „Admiral Benbow“ auf Feldarbeit gewesen waren, erinnerten sich überdies mehrere Fremde auf der Straße gesehen zu haben, die sie für Schmuggler hielten und denen sie daher vorsichtig ausgewichen waren. Und einer hatte sogar ein kleines Küstenfahrzeug in einer versteckten Bucht, die das Möwenloch genannt wurde, liegen sehen. Außerdem fürchteten sie sich zu Tode vor den Genossen des schrecklichen Kapitäns. Nach vielem Herumreden zeigte es sich, daß sich zwar mehrere Leute fanden, die gern für uns zu Dr. Livesay reiten wollten, dessen Haus in entgegengesetzter Richtung lag, aber kein Mensch, der uns bei der Verteidigung des Gasthofes hätte beistehen mögen. Man sagt, daß Feigheit ansteckend sei, andererseits wird man durch Mitteilung freier, und so hielt denn meine Mutter, nachdem jeder seinen Spruch gesagt hatte, eine kleine Rede. Sie werde, erklärte sie, das Geld, das ihrem vaterlosen Jungen gehöre, keinesfalls im Stich lassen. „Wenn keiner von euch sich traut,“ sagte sie, „Jim und ich, wir wagen es. Wir gehen den Weg zurück, den wir gekommen sind, und wenig Dank wissen wir euch, ihr großen, plumpen, kleinmütigen Männer. Wir werden diesen Koffer aufmachen und sollte es uns das Leben kosten. Und Ihnen, Frau Croßley, wäre ich dankbar, wenn Sie mir diese Tasche da borgen würden, damit ich das Geld, das mir gebührt, hineintun kann.“ Selbstverständlich war ich bereit mit meiner Mutter zu gehen, und natürlich schrien alle Zeter und Mordio über unsere Waghalsigkeit. Aber selbst jetzt wollte keiner der Männer mit uns kommen. Das einzige was sie für uns taten war, daß sie mir eine geladene Pistole mitgaben für den Fall, daß wir angegriffen werden sollten, und daß sie versprachen gesattelte Pferde bereitzuhalten, um nachzusetzen, wenn wir auf dem Rückweg verfolgt würden. Ein Bursch werde zu Dr. Livesay reiten, um bewaffnete Hilfe zu holen. Mein Herz schlug heftig als wir beide uns in der kalten Nacht auf unseren gefährlichen Weg machten. Der Vollmond begann aufzusteigen und beschien rötlich den oberen Rand der Nebelwand und das trieb uns noch mehr zur Eile an, denn es war klar, daß, noch ehe wir zurück sein konnten, die ganze Gegend taghell beleuchtet sein würde und unsere Flucht von jedermann beobachtet werden konnte. Wir schlüpften rasch und geräuschlos die Hecken entlang und sahen und hörten nichts, was unsere Angst hätte vermehren können, bis sich zu unserer großen Erleichterung das Tor des „Admiral Benbow“ hinter uns geschlossen hatte. Ich legte sogleich den Riegel vor und wir standen keuchend eine ganze Weile im Finstern allein im Haus mit der Leiche des Kapitäns. Dann holte meine Mutter eine Kerze aus dem Schankzimmer und einander die Hände haltend betraten wir die Gaststube. Er lag dort, wie wir ihn verlassen hatten, mit offenen Augen, den Arm ausgestreckt. „Zieh den Vorhang zu, Jim!“ flüsterte meine Mutter, „sie könnten uns von draußen beobachten. Und nun“, sagte sie, als das geschehen war, „müssen wir diesem da den Schlüssel abnehmen. Aber wer soll ihn anrühren, möchte ich wissen!“ Dabei schluchzte sie vor Angst und Grauen. Sofort war ich niedergekniet. Auf dem Fußboden neben seiner Hand lag ein kleines, rundes Stück Papier, dessen eine Seite geschwärzt war. Ich konnte nicht zweifeln, daß dies der „schwarze Fleck“ war, und als ich es aufhob, las ich auf der andern Seite, die mit sehr guter, klarer Schrift geschriebene kurze Mitteilung: „Bis heute zehn Uhr Abend hast du Zeit!“ „Bis zehn Uhr haben sie ihm Zeit gegeben, Mutter“, sagte ich, und gerade in diesem Augenblick begann unsere alte Uhr zu schlagen. Dieses plötzliche Geräusch erschreckte uns furchtbar, doch brachte es gute Botschaft, denn es war erst sechs. „Nun, Jim,“ sagte sie, „den Schlüssel!“ Ich untersuchte seine Taschen, eine nach der anderen. Ein paar kleine Münzen, ein Fingerhut, etwas Zwirn und eine große Nadel, ein Päckchen Tabak, das Taschenmesser mit dem krummen Griff, ein kleiner Kompaß und ein Feuerzeug, das war alles, was zum Vorschein kam, und ich war nahe daran zu verzweifeln. „Vielleicht hat er ihn um den Hals“, meinte meine Mutter. Ich bezwang meinen starken Widerwillen, riß sein Hemd am Hals auf und richtig hing er da an einem Stück geteerten Bindfadens, den ich rasch durchschnitt. Dieses Gelingen erfüllte uns mit Hoffnung. Ohne Zögern eilten wir hinauf in das kleine Zimmer, wo er so lange gewohnt hatte und wo seit seiner Ankunft der Koffer stand. Er sah von außen wie irgendein anderer Matrosenkoffer aus, oben war der Buchstabe „B“ mit einem heißen Eisen eingebrannt, die Ecken waren wie von langer, rücksichtsloser Benützung verbeult und abgebrochen. „Gib mir den Schlüssel!“ sagte meine Mutter, und trotzdem das Schloß schwer ging, hatte sie ihn im Augenblick umgedreht und den Deckel geöffnet. Ein starker Tabak- und Teergeruch stieg aus dem Innern auf, aber oben war nichts zu sehen als ein sehr sorgfältig gebürsteter und zusammengelegter Anzug, der, wie meine Mutter sagte, nie getragen worden war. Darunter begann das Durcheinander: Ein Quadrant, ein paar Päckchen Tabak, zwei Paar sehr schön gearbeitete Pistolen, ein Stück ungemünztes Silber, eine alte spanische Uhr und noch eine Menge ziemlich wertlosen Krams meist ausländischen Ursprungs, einige Kompasse, die mit Bronze montiert waren und fünf oder sechs merkwürdige westindische Muscheln. Noch später habe ich oft darüber nachgedacht, warum er wohl die Muscheln auf seinem unsteten, verbrecherischen und gejagten Leben mit sich geführt haben mag. Inzwischen hatten wir an Wertgegenständen nur das Silber und die Kleinigkeiten gefunden und alles das war nicht unser Fall. Darunter lag ein alter Matrosenmantel, der vom Anreiben an manch einer von Seesalz zerfressenen Hafenbarre gebleicht war. Meine Mutter hob ihn ungeduldig auf und da lagen vor uns die letzten Gegenstände, die der Koffer enthielt: ein Bündel, in Wachstuch eingeschlagen, das anscheinend Papiere enthielt und ein Sack aus Segeltuch, bei dessen Berührung das Klirren von Gold zu hören war. „Ich werde diesen Schurken zeigen, daß ich eine ehrliche Frau bin,“ sagte meine Mutter, „ich will das, was er mir schuldig ist, und nicht einen Heller mehr. Halte Frau Croßleys Tasche auf!“ und sie begann den Betrag der Zechschuld des Kapitäns aus dem einen in den anderen Sack hinüberzuzählen. Es war ein langes, schwieriges Geschäft, denn die Münzen stammten aus aller Herren Länder und waren vom verschiedensten Wert -- Dublonen, Guineen, Louisd’ors und ich weiß nicht was noch alles -- willkürlich durcheinandergeworfen. Die Guineen waren fast am seltensten, und nur mit ihnen verstand meine Mutter zu rechnen. Als wir etwa zur Hälfte fertig waren, faßte ich sie plötzlich am Arm, denn ich hörte durch die stille, klare Winternacht einen Ton, der mir das Blut in den Adern gerinnen machte -- das Tappen des Stockes des blinden Mannes auf der gefrorenen Straße! Es kam näher und näher und wir saßen mit angehaltenem Atem. Dann schlug man stark an das Tor, wir hörten wie die Türklinke niedergedrückt und am Riegel gerüttelt wurde, dann war es lange drinnen und draußen still. Endlich fing das Tappen des Stockes wieder an und erstarb zu unserer unaussprechlichen Erlösung langsam in der Ferne. „Mutter,“ sagte ich, „nimm das Ganze und schauen wir, daß wir fortkommen.“ Denn ich war sicher, daß das verriegelte Tor Argwohn erregt haben mußte und uns das ganze Hornissennest auf den Hals jagen würde. Wie froh ich trotzdem war, daß ich zugeriegelt hatte, kann niemand ermessen, der dem furchtbaren blinden Mann nie begegnet ist. Aber meine Mutter, trotzdem sie voll Angst war, wollte dennoch keinen Pfennig mehr nehmen, als was ihr gebührte und bestand eigensinnig darauf, daß es auch keinesfalls weniger sein dürfte. Es sei noch lange nicht sieben, sagte sie, sie kenne ihr Recht und wolle es haben. Während sie noch mit mir herumstritt, hörten wir einen dünnen, leisen Pfiff ein gutes Stück entfernt vom Hügel her. Das war genug und mehr als genug für uns beide. „Ich nehme, was ich habe“, sagte sie, aufspringend. „Und ich nehme das da, um die Rechnung glattzustellen“, sagte ich, und nahm das Wachstuchpaket. Im nächsten Augenblick tasteten wir uns beide die Treppe hinunter, da wir die Kerze bei dem leeren Koffer zurückgelassen hatten und eine Minute später waren wir draußen und in vollem Rückzug. Wir waren keinen Moment zu früh aufgebrochen. Der Nebel teilte sich rasch und schon beschien der Mond die Raine an beiden Seiten der Straße, und nur ganz am Grunde des Tales und rund um das Wirtshaus hing noch ein dünner Nebelschleier, der die ersten Schritte unserer Flucht deckte. Lange ehe wir den halben Weg zum Dorfe zurückgelegt hatten, mußten wir hinaus in das helle Mondlicht. Aber nicht genug daran. Der Klang mehrerer Schritte schlug an unser Ohr, und als wir in die Richtung blickten, sahen wir ein hin und her schwankendes Licht näherkommen. Es war klar, daß das nur eine Laterne sein konnte, die einer der Herannahenden trug. „Liebling,“ flüsterte meine Mutter plötzlich, „nimm das Geld und lauf, ich kann nicht weiter, ich werde ohnmächtig!“ [Illustration] Das war unser beider sicheres Ende. Wie ich da die Feigheit der Nachbarn verfluchte, wie ich meiner armen Mutter grollte wegen ihrer Ehrlichkeit und ihrer Habsucht, ihrer früheren Tollkühnheit wegen und ihrer jetzigen Schwäche! Wir waren zum Glück eben zu einer kleinen Brücke gekommen und ich half der Wankenden zum Uferrand hinunter, wo sie mit einem Seufzer ohnmächtig an meine Schulter sank. Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, sie zu tragen und ich fürchte, ich habe es nicht sehr zart gemacht, aber immerhin schleppte ich sie die Böschung hinunter und ein Stückchen unter den Brückenbogen. Weiter konnte ich sie nicht bringen, denn die Brücke war zu niedrig, so daß ich nur hineinkriechen konnte. Dort mußten wir bleiben, meine Mutter fast ganz unbeschützt, und wir beide in Hörweite vom Gasthofe. Fünftes Kapitel Das Ende des blinden Mannes In gewissem Sinne war meine Neugierde stärker als meine Furcht, denn es hielt mich nicht in meinem Versteck, sondern ich kroch wieder auf die Böschung hinauf, von wo aus ich, den Kopf hinter einem Ginstergebüsch verborgen, die Straße vor unserem Tor überblicken konnte. Ich hatte kaum meine Stellung bezogen, als meine Feinde schon herankamen und ihre Schritte schlugen in unregelmäßigen Abständen auf den Boden. Der mit der Laterne war einige Schritte voran. Drei Männer liefen Hand in Hand und ich konnte auch durch den Nebel bemerken, daß der mittlere in diesem Trio der blinde Bettler war. Im nächsten Augenblick hörte ich an seiner Stimme, daß es so war. „Nieder mit dem Tor!“ schrie er. „Ja, ja, Herr!“ antworteten zwei oder drei und der „Admiral Benbow“ wurde gestürmt. Der Laternenträger folgte. Dann sah ich sie innehalten und hörte sie in leiserem Tone sprechen, als seien sie überrascht, das Tor offen zu finden. Aber die Unschlüssigkeit dauerte nicht lange, denn der blinde Mann gab wieder seine Befehle. Seine Stimme klang lauter und schärfer, wie von Eifer und Wut befeuert. „Hinein, hinein, hinein!“ schrie er und fluchte über ihre Langsamkeit. Vier oder fünf gehorchten sofort, zwei blieben mit dem entsetzlichen Bettler auf der Straße. Eine Weile blieb es still, dann ein Ruf der Überraschung, endlich eine Stimme aus dem Hause: „Bill ist tot!“ Aber wieder beschimpfte sie der Blinde wegen ihres Zauderns. „Durchsucht ihn, ein paar von euch, schwatzende Tölpel, die andern hinauf und bringt den Koffer!“ rief er. Ich hörte ihre Füße unsere alte Treppe hinauftrampeln und das Haus mag da wohl erbebt haben. Bald darauf neue Ausrufe des Erstaunens. Mit einem Krach und Klirren von zerbrochenem Glas wurde das Fenster des Kapitäns aufgestoßen und ein Mann lehnte hinaus und wandte sich an den blinden Bettler auf der Straße. „Pew,“ rief er, „jemand war früher da als wir und hat den Koffer um und um gedreht.“ „Ist sie da?“ brüllte Pew. „Das Geld ist da.“ „Der Henker hol das Geld! Flints Faust mein ich.“ „Wir sehen sie hier nirgends“, erwiderte der Mann. „Hallo, ihr da unten, hat Bill sie bei sich?“ rief der blinde Mann wiederum. Darauf kam ein anderer Bursch, offenbar derjenige, der unten geblieben war, um den Leichnam zu durchsuchen, an das Tor des Wirtshauses. „Bill ist schon durchsucht worden,“ sagte er, „nichts mehr da.“ „Das sind diese Wirtsleute --, das ist der Junge! Ich wollte ich hätte ihm die Augen ausgestochen!“ schrie der blinde Pew. „Noch vor kurzer Zeit waren sie hier -- das Tor war verriegelt. Lauft Burschen, und sucht sie.“ „Freilich, sie haben ja ihre Kerze brennen lassen“, rief er aus dem Fenster. „Auf! Verteilt euch und sucht sie! Stöbert das Haus durch!“ wiederholte Pew und stieß mit seinem Stock auf den Boden. Dann folgte ein großes Getöse im ganzen Hause, schwere Tritte polterten treppauf, treppab, Einrichtungsstücke wurden umgeworfen, Türen eingeschlagen, daß der Lärm in den Felsen widerhallte, dann kamen die Männer einer nach dem andern auf die Straße hinaus und erklärten, daß wir nicht zu finden seien. Und eben in diesem Augenblick hörte man wieder den Pfiff, der meine Mutter und mich so erschreckt hatte, als wir das Geld des Kapitäns zählten, diesmal in zweimaliger Wiederholung. Ich hatte ihn für das Angriffssignal des blinden Bettlers gehalten, für seine Schlachttrompete sozusagen, die seine Mannschaft zum Sturm rufen sollte. Doch jetzt merkte ich, daß es ein Signal vom Hügel her gegen das Dorf zu bedeutete und aus der Wirkung auf die Piraten konnte ich deutlich schließen, daß es ein Warnungszeichen war, das drohende Gefahr meldete. „Das ist schon wieder Dirk“, sagte einer. „Noch ein Pfiff. Wir werden verduften müssen, Kameraden!“ „Verduften, du Drückeberger“, schrie Pew. „Dirk war immer ein Narr und ein Feigling dazu, auf den braucht ihr nicht zu hören. Sie müssen in der Nähe sein, weit sind sie nicht gekommen, ihr habt sie in der Hand. Verteilt euch und sucht sie, Hunde. O verflucht,“ rief er aus, „wenn ich nur Augen hätte!“ Dieser Appell schien einige Wirkung zu üben, denn zwei der Leute begannen da und dort im Gesträuch herumzustöbern, doch wie mir schien, ohne rechten Eifer und mehr an die eigene Gefahr denkend, während die übrigen unschlüssig auf der Straße herumstanden. „Ihr habt Tausende an der Hand, ihr Narren, und ihr schont eure Beine. Ihr könnt reich werden wie Könige, wenn ihr die beiden findet, und ihr wißt das und steht da faul herum. Nicht einer von euch hat sich getraut, Bill entgegenzutreten, nur ich -- ein Blinder --, und euretwegen soll ich das Ganze verlieren! Ich soll ein armer, getretener Bettler bleiben, der Rum schmarotzt, statt als reicher Mann in der Kutsche zu fahren. Wenn ihr nur die Courage eines Wurmes hättet, ihr könntet sie fangen!“ „Zum Teufel noch einmal, Pew, wir haben doch die Dublonen!“ brummte einer. „Sie werden das verdammte Zeug versteckt haben“, sagte ein anderer. „Nimm die Goldstücke, Pew, und hör auf zu brüllen.“ Brüllen war die richtige Bezeichnung dafür, aber Pews Wut wurde darum nur ärger. Schließlich raubte sie ihm ganz die Besinnung und er schlug in seiner Blindheit rechts und links in die Leute hinein und mehr als einer wurde empfindlich vom Stock getroffen. Die andern wieder fluchten zurück, drohten dem Blinden in schauderhaften Ausdrücken und versuchten vergeblich ihm den Stock zu entreißen. Dieser Streit war unsere Rettung. Denn während er noch tobte, hörte man vom Hügelabhang an der Dorfseite ein anderes Geräusch: das Getrappel von herangaloppierenden Pferden und fast gleichzeitig aus dem Gehölz einen Pistolenschuß, Blitz und Knall. Das war offensichtlich das äußerste Warnungssignal, denn die Piraten wandten sich schleunigst zur Flucht und rannten in alle Windrichtungen verstreut fort, der eine die Bucht entlang seewärts, ein anderer quer über den Hügel und in einer halben Minute war keiner mehr zu sehen außer Pew. Ihn hatten sie verlassen, ob bloß aus Angst oder aus Rache für seine Schimpfreden und Schläge, weiß ich nicht. Er blieb zurück, tappte wie rasend die Straße auf und ab, tastete herum und schrie nach seinen Genossen. Endlich kam er in die falsche Richtung, lief ein paar Schritte dem Dorf zu, immerfort rufend: „Johnny, schwarzer Hund, Dirk!“ und andere Namen, „ihr werdet doch den alten Pew nicht verlassen?“ Gerade da ertönte das Rossegetrappel von der Höhe her und vier oder fünf Reiter wurden im Mondlicht oben sichtbar und fegten in vollem Galopp den Abhang hinunter. Jetzt erst erkannte Pew seinen Irrtum. Mit einem Schrei drehte er sich um und lief gerade in den Graben hinein. Doch in einer Sekunde war er wieder auf den Beinen, machte ganz verwirrt einen zweiten Satz und diesmal kam er mitten unter die Hufe des ersten Rosses. Der Reiter versuchte das Pferd zurückzureißen, jedoch vergeblich. Mit einem Schrei, der weit in die Nacht hinausgellte, fiel Pew nieder und die vier Hufe zertrampelten und zerdrückten ihn und eilten weiter. Er fiel auf die Seite, dann sank er langsam nach vorn und rührte sich nicht mehr. Ich sprang auf die Füße und rief die Reiter an. Sie hielten, ohnehin entsetzt über das Unglück, und ich konnte nun sehen, wer sie waren. Der eine, welcher zu hinterst ritt, war ein Bursche aus dem Dorfe, der zu Dr. Livesay geritten war. Die übrigen waren Gendarmerieoffiziere, die er unterwegs getroffen hatte und mit denen er gleich umgekehrt war. Die Gerüchte über den Kutter im Möwenloch hatten ihren Weg zum Oberaufseher Dance gefunden und führten ihn an diesem Abend in die Richtung unseres Hauses. Diesem Umstande verdankten wir, meine Mutter und ich, unsere Rettung. Pew war tot, mausetot. Meine Mutter brachten, nachdem wir sie ins Dorf getragen hatten, etwas kaltes Wasser und Riechsalz bald wieder auf die Beine, und trotz des Schreckens war sie ganz wohlauf, obwohl sie nicht aufhörte dem Rest ihres Geldes nachzutrauern. Inzwischen ritt der Oberaufseher so rasch er konnte nach dem Möwenloch. Doch mußten seine Leute absitzen und, in der Schlucht herumirrend, die Pferde am Zügel führen und manchmal sogar stützen, dabei immerfort eines Überfalles gewärtig, herumhorchen. So war es kein Wunder, daß, als sie endlich dort anlangten, der Kutter bereits in voller Fahrt, wenn auch noch nicht weit war. Dance rief ihn an, eine Stimme antwortete, er möge aus dem Licht gehen, sonst könne er etwas Blei hineinbekommen und gleichzeitig pfiff eine Kugel knapp an seinem Arm vorbei. Unmittelbar darauf verdoppelte das Schiff seine Geschwindigkeit und verschwand. Herr Dance stand, wie er erzählte, da „wie ein Fisch ohne Wasser“ -- und alles was er tun konnte war, einen Boten nach Bristol zu schicken, um den Kutter dort anhalten zu lassen. „Und das“, sagte er, „ist so gut wie nutzlos, sie sind einfach weg, und damit Schluß. Nur das eine freut mich,“ fügte er hinzu, „daß ich diesem Herrn Pew auf die Hühneraugen getreten bin.“ Denn da hatte er meine Geschichte bereits gehört. Ich ging mit ihm zurück in den „Admiral Benbow“ und man kann sich nicht vorstellen, in welchem Zustande wir das Haus fanden. Sogar die Uhr hatten sie in ihrer wilden Jagd nach mir und meiner Mutter heruntergeschlagen und obwohl außer dem Geldsack des Kapitäns und einigem Silbergeld aus dem Ladentisch nichts fehlte, sah ich sofort, daß wir ruiniert waren. Herr Dance verstand die Wut der Piraten absolut nicht. „Sie haben doch das Geld,“ sagte er, „also was wollten sie _noch_, zum Kuckuck? Noch mehr Geld vielleicht?“ „Nein, Herr, Geld nicht, glaube ich“, antwortete ich. „Ich glaube schon, Herr, daß ich das Ding, das sie suchten, hier in meiner Brusttasche habe und, um die Wahrheit zu sagen, ich möchte es gerne in sichere Hände legen.“ „Sicherlich, mein Junge, ganz gewiß“, sagte er. „Ich werde es zu mir nehmen, wenn es Euch recht ist.“ „Ich dachte, vielleicht, Dr. Livesay“ -- begann ich. „Ausgezeichnet!“ unterbrach er mich sehr vergnügt. „Vorzüglich! Ein Gentleman und zugleich eine Amtsperson! Und wenn ich es recht bedenke, kann ich ebensogut selbst hinüberreiten und ihm oder dem Squire berichten. Herr Pew ist tot, das steht fest. Nicht daß ich das bedaure, aber die Leute haben immer gerne etwas, um über Seiner Majestät Offiziere loszuziehen, wenn sie etwas finden. Ich sag dir was, Hawkins: Wenn du willst, möcht’ ich dich mitnehmen.“ Ich dankte ihm herzlich für sein Anerbieten und wir gingen zurück zum Dorf, wo die Pferde standen. Während ich meiner Mutter meine Absicht auseinandersetzte waren schon alle Reiter aufgesessen. „Dogger,“ sagte Herr Dance, „du hast ein gutes Pferd, laß den Burschen da hinter dir aufsitzen!“ Und als ich aufgestiegen war und mich an Doggers Gürtel festhielt, gab der Oberaufseher das Zeichen, und die Kolonne setzte sich in raschem Trabe in Bewegung. Sechstes Kapitel Die Papiere des Kapitäns Wir ritten stramm fort, bis wir bei Dr. Livesays Haus anhielten. Keines der Fenster war erleuchtet. Herr Dance hieß mich abspringen und anklopfen und Dogger reichte mir einen Steigbügel, damit ich absteigen konnte. Das Hausmädchen öffnete sofort. „Ist der Herr Doktor zu Hause?“ fragte ich. „Nein“, sagte sie, er sei nachmittags nach Hause gekommen, doch sei er dann ins Schloß gegangen, um dort zu speisen und den Abend mit dem Gutsherrn zu verbringen. „So gehen wir hin, Jungens“, sagte Herr Dance. Diesmal stand es nicht dafür, aufzusteigen, da die Entfernung so kurz war, sondern ich lief an Doggers Steigbügel bis zum Parktor und dann die lange, kahle, mondbeschienene Allee zum Schlosse, dessen weiße Umrisse uns entgegenblinkten. Hier stieg Herr Dance ab, wurde sofort vorgelassen und nahm mich mit hinein. Der Diener führte uns einen langen, teppichbelegten Gang hinunter und öffnete die Tür in einen weiten Bibliotheksraum, dessen Wände von hohen Bücherschränken eingefaßt waren, auf welchen Skulpturen standen. Dort saßen der Gutsherr und Dr. Livesay mit ihren Pfeifen beim Kaminfeuer. Ich hatte den Gutsherrn noch nie so aus der Nähe gesehen. Er war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, über sechs Fuß lang und hatte ein offenes, gutmütiges Gesicht, das von seinen weiten Reisen und dem vielen Aufenthalt im Freien gegerbt und gerötet war. Seine Augenbrauen waren sehr schwarz, sein Mienenspiel sehr lebendig, was ihm zwar nicht das Aussehen eines bösen, aber eines jähzornigen und leicht erregbaren Charakters verlieh. [Illustration] „Tretet ein, Herr Dance“, sagte er sehr hoheitsvoll und herablassend. „Guten Abend, Dance,“ sagte der Doktor mit einem Kopfnicken, „und guten Abend, Freund Jim, welcher gute Wind hat euch hergeweht?“ Der Oberaufseher stellte sich in Positur und berichtete den ganzen Vorgang wie eine auswendig gelernte Lektion. Es war sehenswert, wie die beiden Herren da aufhorchten, sich weit vorbeugten und vor lauter Staunen und Interesse das Rauchen vergaßen. Als sie hörten, wie meine Mutter zum Gasthof zurückging, da schlug sich Dr. Livesay bewundernd auf den Schenkel und der Gutsherr rief: „Bravo!“ und zerbrach vor Begeisterung seine lange Pfeife am Kamingitter. Lange ehe Herr Dance zu Ende war, hatte sich Herr Trelawney (das war, wie Sie sich erinnern werden, der Name unseres Gutsherrn) von seinem Sessel erhoben und schritt im Zimmer auf und ab. Der Doktor nahm, wie um besser zu hören, seine gepuderte Perücke ab und sah sehr sonderbar aus mit seinem kurzgeschorenen, schwarzen Schädel. Endlich war Herr Dance fertig. „Herr Dance,“ sagte der Gutsherr, „Ihr seid ein hochherziger Bursche, und daß Ihr diesen niederträchtigen, gemeinen Schurken niedergeritten habt, betrachte ich als eine gute Tat, wie das Zertreten eines schädlichen Insekts. Dieser junge Hawkins, das sehe ich schon, ist ein Prachtkerl. Hawkins, läuten Sie bitte, damit man Herrn Dance ein Glas Bier bringt.“ „Und nun, Jim,“ sagte der Doktor, „du hast doch diesen Gegenstand, den sie suchten, bei dir, nicht wahr, ja?“ „Hier ist er, Herr“, sagte ich und reichte ihm das Wachstuchpaket. Der Doktor betrachtete es von allen Seiten, als ob ihn die Finger juckten es zu öffnen, doch bezwang er sich und verwahrte es ruhig in seiner Rocktasche. „Herr,“ sagte er, „wenn Dance sein Bier ausgetrunken hat, muß er natürlich wieder fort, seinen Dienst machen. Aber Jim Hawkins möchte ich mit Eurer Erlaubnis heute bei mir übernachten lassen, und ich schlage vor, daß wir die kalte Pastete heraufkommen lassen, damit er etwas zum Nachtmahl bekommt.“ „Wie Ihr wollt, Livesay,“ sagte der Gutsherr, „aber eigentlich hat Hawkins etwas Besseres verdient als kalte Pastete.“ So wurde eine große Taubenpastete gebracht, und ich griff herzhaft zu, denn ich war hungrig wie ein Wolf. Inzwischen wurde Herr Dance nochmals belobt und schließlich entlassen. „Und nun, Squire“, sagte der Doktor. „Und nun, Livesay“, sagte gleichzeitig der Squire. „Beide zugleich, beide zugleich!“ lachte der Doktor. „Ihr habt wohl schon von diesem Flint gehört?“ „Von ihm gehört!“ rief der Gutsherr aus, „wie sagten Sie, von ihm gehört?! Er war der blutdürstigste Pirat, den es je gegeben hat. Blackbeard war ein Kind im Vergleich mit ihm. Die Spanier fürchteten ihn so sehr, daß ich manchmal fast stolz darauf war, daß er ein Engländer war, das muß ich gestehen. Ich habe sein Marssegel mit diesen meinen Augen auf der Höhe von Trinidad gesehen und dieser feige Sohn einer Rumtonne, mit dem ich fuhr, legte bei, legte bei, Herr, und fuhr in den spanischen Hafen zurück!“ „Nun, ich habe auch schon in England von ihm gehört,“ sagte der Doktor, „aber die Frage ist die: hatte er Geld?“ „Geld!“ rief der Gutsherr aus. „Wißt Ihr denn gar nichts von diesen Schurken? Wonach jagen sie? Was suchen sie, weshalb riskieren sie ihre miserablen Leichname? Um Geld, einzig und allein um Geld!“ „Das werden wir bald erfahren“, erwiderte der Doktor. „Aber Ihr seid so verflucht hitzköpfig und heftig, daß ich nicht zu Worte komme. Ich möchte eines wissen: Angenommen, ich hätte hier in meiner Tasche eine Handhabe, den Ort zu finden, wo Flint seinen Schatz vergraben hat. Ist dieser Schatz denn so wertvoll?“ „Wertvoll, Herr!“ schrie der Squire. „Ich will euch etwas sagen. Wenn wir diese Handhabe finden sollten, so rüste ich in Bristol ein Schiff aus und nehme euch beide mit und suche den Schatz und sollte es ein Jahr dauern. Merkt Ihr nun, was das bedeutet?“ „Nun gut,“ sagte der Doktor, „also wenn es Jim recht ist, wollen wir das Paket öffnen.“ Und damit legte er es auf den Tisch vor sich hin. Das Bündel war zusammengenäht und der Doktor mußte seinen Instrumentenkasten holen und die Stiche mit der chirurgischen Schere auftrennen. Es enthielt zwei Dinge: ein Buch und ein versiegeltes Dokument. „Zuerst wollen wir das Buch anschauen“, meinte der Doktor. Der Squire und ich guckten ihm beide über die Schulter, als er es öffnete, denn Dr. Livesay lud mich freundlich ein, vom Seitentischchen, an dem ich gegessen hatte, herüberzukommen, um an der Freude des Suchens teilzuhaben. Auf der ersten Seite waren nur ein paar Kritzeleien zu sehen, wie man sie mit der Feder in der Hand wohl zum Zeitvertreib hinschmieren mag. Da stand zum Beispiel auch der Text der einen Tätowierung: „Billy Bones’ Liebste“, dann „Herr W. Bones, Maat“, „Kein Rum mehr“, „Bei Palm Kay kriegte er waß“, und noch einige solcher Bemerkungen, meist aus einzelnen, unverständlichen Worten bestehend. Ich konnte nicht umhin darüber nachzudenken, wer da „waß“ gekriegt haben mochte. Höchstwahrscheinlich ein Messer in den Rücken, dachte ich mir. „Da steht nicht viel drin“, sagte Dr. Livesay, weiterblätternd. Die nächsten zehn oder zwölf Seiten enthielten eine Reihe seltsamer Aufzeichnungen: Da war am einen Ende der Seite ein Datum und am anderen eine Geldsumme notiert, wie in einem gewöhnlichen Geschäftsbuch, doch dazwischen stand statt eines erklärenden Textes bloß eine Anzahl von Kreuzen. Am 12. Juli 1745 zum Beispiel war offenbar ein Eingang von siebzig Pfund eingetragen, aber die Erklärung der Sache bildeten nur sechs Kreuze. In einigen Fällen war der Name eines Ortes dazu notiert, zum Beispiel „auf der Höhe von Caraccas“, oft auch nur der geographische Längen- und Breitengrad wie „62. 17′ 20″, 19. 2′ 40″“. Die Eintragungen gingen über fast zwanzig Jahre zurück, die einzelnen Posten wurden mit der Zeit immer größer, und am Schlusse war nach fünf oder sechs falschen Additionen die große Endsumme gezogen und darunter stand: „Bones sein Vermögen.“ „Ich verstehe nicht eine Spur davon“, sagte Dr. Livesay. „Die Sache ist sonnenklar,“ rief der Squire, „das ist das Abrechnungsbuch dieses miserablen Schuftes. Diese Kreuze stehen für die Namen der Schiffe und Städte, die sie versenkt oder geplündert haben. Die Summen waren der Anteil des Schurken und dort, sehen Sie, wo er eine Unklarheit befürchtete, machte er eine deutlichere Notiz, wie hier: ‚Auf der Höhe von Caraccas.‘ Es ist klar, an der Küste dort wurde ein unglückliches Fahrzeug genommen. Wo sind nun die armen Teufel, die darauf waren! Die haben längst die Fische gefressen!“ „Wahrhaftig!“ sagte der Doktor. „Da sieht man, was es bedeutet ein weitgereister Mann zu sein. Ganz sicher ist es so! Und sein Anteil steigt, das kann man deutlich verfolgen, mit seinem Rang.“ Sonst stand wenig in dem Buch, nur die geographische Lage von ein paar Orten und auf den leeren Blättern gegen das Ende zu eine Umrechnungstabelle von französischen, englischen und spanischen Münzen. „Ein vorsichtiger Herr!“ rief der Doktor. „Der ließ sich nicht beschummeln.“ „Und nun“, sagte der Squire, „zum andern.“ Das Papier war an mehreren Stellen mittels eines Fingerhutes und Siegellacks versiegelt, desselben Fingerhutes wahrscheinlich, den ich in der Tasche des Kapitäns gefunden hatte. Der Doktor löste die Siegel mit großer Sorgfalt und es fiel die Karte einer Insel heraus, mit Längen- und Breitengraden bezeichnet, Angabe der lotbaren Wassertiefe, Namen der Berge, Buchten und Zufahrten und allen Einzelheiten, die notwendig waren, ein Schiff dort zum sicheren Ankern zu bringen. Die Insel war ungefähr neun Meilen lang und fünf Meilen breit und hatte etwa die Gestalt eines aufgestellten Drachen. Sie besaß zwei schöne Hafenplätze und in der Mitte einen Berg, der als das „Fernrohr“ bezeichnet war. Dann gab es noch ein paar Eintragungen späteren Datums, vor allem drei Kreuze mit roter Tinte, zwei am nördlichen Teil der Insel, eines am südlichen und neben diesem, mit derselben roten Tinte, doch in einer kleinen hübschen Handschrift, ganz verschieden von den plumpen, zittrigen Buchstaben des Kapitäns, folgende Worte vermerkt: „Hauptmasse des Schatzes hier.“ Auf der Rückseite hatte dieselbe Hand folgende Erläuterungen aufgezeichnet: „Hoher Baum, Abhang des ‚Fernrohrs‘, dessen Spitze nach N. von NNO. zeigt.“ „Skelett-Insel O., SO. und nach O. Zehn Fuß. Das Barrensilber ist im nördlichen Versteck, es liegt in der Richtung des östlichen Hügels, zehn Faden südlich von der schwarzen Klippe, dieser gegenüber. Die Waffen sind leicht zu finden, auf dem Sandhügel, Nordspitze des nördlichen Kaps, Richtung O. und ein Viertel N. J. F.“ Das war alles. Doch so wenig es auch schien und so vollkommen unverständlich es mir war, der Squire und Dr. Livesay waren begeistert. „Livesay,“ sagte der Gutsherr, „Ihr werdet sofort diese elende Praxis aufgeben. Morgen reise ich nach Bristol. Binnen drei Wochen -- ah, drei Wochen! -- zwei Wochen! Binnen zehn Tagen haben wir das beste Schiff, Herr und die ausgesuchteste Mannschaft in England. Hawkins wird als Schiffsjunge mitkommen. Du wirst ein famoser Schiffsjunge sein, Hawkins; Ihr, Livesay, seid Schiffsarzt, ich bin Admiral. Redruth, Joyce und Hunter nehmen wir mit. Wir werden günstige Winde haben, eine rasche Überfahrt, nicht die geringsten Schwierigkeiten den Ort zu finden und Geld wie Heu -- Geld genug, um darin zu baden, genug, um unser Leben lang Kopf und Adler zu spielen.“ „Trelawney,“ sagte der Doktor, „ich gehe mit Euch, und ich wette, auch Jim geht mit und wird ein Gewinn für die Sache sein. Nur vor einem Mann fürchte ich mich.“ „Vor wem?“ rief der Patron. „Nennt den Hund, Herr!“ „Ihr,“ erwiderte der Squire, „denn Ihr könnt nicht den Mund halten. Wir sind nicht die einzigen, die von dem Papier da wissen. Jene Kerle, die heute Nacht den Gasthof stürmten -- ganz gewiß mutige, zu allem entschlossene Desperados -- und dann alle die übrigen, die auf dem Kutter geblieben waren und ich denke schon, noch andere, die nicht weit weg waren, alle gehen sie, ich zweifle nicht daran, durch dick und dünn, um das Geld zu kriegen. Keiner von uns darf ohne Begleitung das Haus verlassen, ehe wir abreisen. Jim und ich wollen unterdessen zusammenstecken. Ihr nehmt Joyce und Hunter mit, wenn Ihr nach Bristol geht und von Anfang bis zum Ende darf keiner von uns ein Wort von unserem Funde verlauten lassen.“ -- „Livesay,“ antwortete der Gutsherr, „Ihr habt vollkommen recht. Ich werde schweigen wie das Grab.“ _Zweiter Teil_ _Der Schiffskoch_ Siebentes Kapitel Ich fahre nach Bristol Es dauerte länger als der Squire geglaubt hatte, bis wir seefertig waren, und keiner unserer ersten Pläne -- nicht einmal der Dr. Livesays, mich bei sich zu behalten -- konnte durchgeführt werden, so wie wir es beabsichtigt hatten. Der Doktor mußte nach London, um dort einen Stellvertreter aufzutreiben, der Squire war in Bristol tüchtig an der Arbeit und ich lebte weiter im Schloß unter der Obhut des alten Wildhüters Redruth, fast wie ein Gefangener, aber ganz erfüllt von Seephantasien und den herrlichsten Träumen von fernen Inseln und Abenteuern. Ich brütete stundenlang über der Karte und dachte über alle Einzelheiten nach, an die ich mich ganz genau erinnere. Beim Feuer im Zimmer des Verwalters sitzend, näherte ich mich der Insel von jeder möglichen Richtung her. Ich durchforschte jeden Quadratmeter ihrer Oberfläche, ich erklomm wohl tausendmal jenen steilen Hügel, das „Fernrohr“, und genoß von seiner Spitze aus die wundervollsten und abwechslungsreichsten Ausblicke. Manchmal war die Insel von Wilden dicht bevölkert, mit denen wir Kämpfe bestehen mußten, dann wieder gab es dort wilde Tiere, die uns verfolgten. Aber in keiner meiner Phantasien gingen so tragische und seltsame Dinge vor, wie wir sie wirklich erleben sollten. So vergingen die Wochen, bis eines schönen Tages ein Brief, an Dr. Livesay gerichtet, ankam, mit dem Zusatz auf dem Umschlag: „Im Falle von dessen Abwesenheit von Tom Redruth oder dem jungen Hawkins zu öffnen.“ Dieser Anweisung folgend fanden wir -- oder vielmehr fand ich, denn der Wildhüter konnte nur Gedrucktes ordentlich lesen -- die nachstehenden wichtigen Nachrichten: Gasthof zum Alten Anker, Bristol, 1. März 17.. „Lieber Livesay, da ich nicht weiß, ob Ihr schon zu Hause oder in London seid, sende ich diesen Brief in doppelter Ausfertigung nach beiden Orten. Das Schiff ist gekauft und ausgerüstet. Es liegt seefertig vor Anker. Ich habe niemals einen schöneren Schooner gesehen. -- Ein Kind könnte ihn segeln -- zweihundert Tonnen -- Name: ‚Hispaniola‘. Ich bekam ihn durch meinen alten Freund Blandly, der sich als ein Prachtkerl durch und durch erwiesen hat. Der ausgezeichnete Junge arbeitete buchstäblich wie ein Sklave für mich, und dasselbe taten alle anderen in Bristol, sowie sie Wind davon bekamen, nach welchem Hafen wir segeln -- nach welchem Schatz, meine ich.“ „Redruth,“ sagte ich, die Vorlesung unterbrechend, „das wird Dr. Livesay nicht gefallen. Der Gutsherr hat _doch_ geplaudert.“ „Na, und wer hat denn mehr Recht dazu als er?“ brummte der Wildhüter. „Eine schöne Ordnung wär’ das, wenn der Squire wegen Dr. Livesay nicht reden dürfte.“ Danach gab ich jeden weiteren Erklärungsversuch auf und las einfach weiter: „Blandly selbst hat die Hispaniola entdeckt und durch seine wunderbare Geschicklichkeit habe ich sie für einen Pappenstiel bekommen. Es gibt viele Leute in Bristol, die gegen Blandly unglaublich voreingenommen sind. Sie behaupten, daß dieser ehrliche Kerl für Geld alles zu tun imstande sei, daß die Hispaniola ihm selbst gehörte und daß er sie mir unverschämt teuer angehängt habe, also die durchsichtigsten Lügen. Niemand wagte es übrigens die Vorzüge des Schiffes zu leugnen. Soweit kein Hindernis. Die Arbeitsleute natürlich zum Verzweifeln langsam, aber mit der Zeit wurde auch das besser. Nur wegen der Mannschaft hatte ich Sorge. Ich wollte rund zwanzig Mann -- für den Fall als wir mit Piraten, Eingeborenen oder den unangenehmen Franzosen zu tun kriegen sollten -- aber ich hatte eine verteufelte Plage, auch nur ein Dutzend zusammenzubringen, bis mich endlich der sonderbarste Zufall gerade mit dem richtigen Mann zusammenführte. Ich stand beim Dock und kam rein zufällig ins Gespräch mit ihm. Es stellte sich heraus, daß er ein alter Seemann war, eine Hafenschenke hielt, alle Matrosen von Bristol kannte, auf dem Lande seine Gesundheit eingebüßt hatte und jetzt eine gute Stelle als Schiffskoch suchte, um wieder auf die See zu gehen. Er war an diesem Morgen zu den Docks heruntergehumpelt, um, wie er sagte, wieder ein wenig Seeluft zu atmen. Ich war schrecklich gerührt -- auch Euch wäre es so gegangen -- und aus reinem Mitleid nahm ich ihn sofort als Schiffskoch auf. Er heißt der lange John Silver und hat nur ein Bein, doch das betrachte ich als Empfehlung, da er das andere im Dienste des Vaterlandes unter dem unsterblichen Hawke verloren hat. Er bezieht keine Pension! Oh, welch erbärmliche Zeit, in der wir leben, Livesay! Nun Herr, ich hatte geglaubt, nur einen Koch entdeckt zu haben, aber ich hatte die ganze Mannschaft gefunden. Gemeinsam mit Silver gelang es mir in wenigen Tagen eine Gesellschaft der zähesten, alten Seebären, die man sich vorstellen kann, zusammenzubringen, die zwar nicht schön anzusehen sind, deren Gesichtern man aber ansieht wieviel Feuer und Mut in ihnen steckt. Ich glaube, wir könnten mit einer Fregatte anbinden. Der lange John befreite mich sogar von sechs oder sieben, die ich bereits aufgenommen hatte. Er bewies mir ohne weiteres, daß sie zu jener Sorte von Neulingen gehörten, die uns im Falle von Abenteuern nur lästig, oder geradezu gefährlich gewesen wären. Ich bin in der herrlichsten Stimmung und Gesundheit, esse wie ein Drescher und schlafe wie ein Sack, aber trotzdem freut mich nichts, ehe ich nicht meine alten Matrosen die Anker lichten sehen werde. Auf zur See! Was liegt an dem Schatz! Die Herrlichkeit des Meeres ist’s, was mich ganz närrisch macht. Und jetzt, Livesay, kommt rasch! Verliert keine Stunde, wenn Ihr etwas auf mich gebt. Schickt den Jungen Hawkins gleich zu seiner Mutter, Abschied nehmen, mit Redruth als Bewachung, und dann kommt beide so rasch wie nur möglich nach Bristol! John Trelawney. P. S. Ich habe vergessen zu erzählen, daß Blandly, der übrigens, wenn wir bis Ende August nicht zurück sind, ein zweites Schiff nach uns aussenden wird, einen glänzenden Navigationsoffizier für uns ausfindig gemacht hat -- zu meinem Leidwesen ein etwas halsstarriger Mensch, aber im übrigen eine Perle. Der lange John Silver hat einen sehr tüchtigen Maat ausgegraben namens John Arrow. Ich habe einen Bootsmann, der pfeifen kann, Livesay, alles wird wie auf einem Kriegsschiff sein, an Bord des guten Schiffes Hispaniola. Ich vergaß auch zu sagen, daß Silver ein gestellter Mann ist. Ich weiß genau, daß er ein Bankkonto hat, welches immer in guter Ordnung ist. Seine Frau bleibt zurück und führt den Gasthof weiter. Da sie eine Farbige ist, wird man es ein paar alten Junggesellen, wie uns beiden, nicht weiter übelnehmen, wenn wir annehmen, daß es vielleicht ebensosehr die Frau ist, wie die wacklige Gesundheit, was ihn wieder aufs Meer hinaustreibt. J. T. P. P. S. Hawkins kann eine Nacht bei seiner Mutter bleiben.“ Man kann sich die Aufregung vorstellen, in die mich dieser Brief versetzte. Ich war außer mir vor Entzücken und verachtete maßlos den alten Tom Redruth, der nicht zu klagen und zu brummen aufhörte. Jeder der anderen Wildhüter wäre mit Freuden an seiner Statt gegangen, aber das war nicht der Wille des Gutsherrn, und der Wille des Gutsherrn war Gesetz für sie alle. Keiner außer dem alten Redruth hätte auch nur zu murren gewagt. Der nächste Morgen fand uns beide im „Admiral Benbow“, und dort sah ich meine Mutter bei bester Gesundheit und Laune wieder. Der Kapitän, der die Ursache von so viel Verdruß gewesen, war dorthin gegangen, wo auch die Bösen nicht mehr schaden können. Der Squire hatte alles richten lassen, die Gaststube war neu gemalt und das Schild repariert worden, er hatte auch noch einige Möbelstücke geschickt -- vor allem einen herrlichen Lehnstuhl für die Mutter. Er hatte ihr auch einen Lehrjungen verschafft, damit sie eine Hilfe hätte, wenn ich fort wäre. Erst als ich diesen Jungen sah, begriff ich zum ersten Male den Ernst des Augenblicks. Bis dahin hatte ich nur an die Abenteuer, die vor mir lagen, und keinen Moment an die Heimat gedacht, die ich nun verließ. Und erst beim Anblick dieses ungeschickten, fremden Jungen, der hier an meiner Stelle mit meiner Mutter leben sollte, kamen mir die ersten Tränen. Ich fürchte, ich habe diesen Burschen sehr gequält, denn da ihm die Arbeit neu war, hatte ich hundert Gelegenheiten ihm etwas am Zeug zu flicken und ihn zu demütigen, und ich nützte sie weidlich aus. Die Nacht verging und am nächsten Tag nach dem Mittagessen waren wir beide auf den Beinen, Redruth und ich. Ich sagte meiner Mutter Lebewohl und auch der Bucht, in der ich geboren war, und dem lieben, alten „Admiral Benbow“, der, seitdem er neu gemalt war, mir nicht mehr so vertraut erschien. Einer meiner letzten Gedanken war der an den Kapitän, der so oft mit seinem federngeschmückten Hut, seiner Hiebnarbe und mit seinem alten Messingfernrohr die Bucht entlang spaziert war. Im nächsten Augenblick bogen wir um die Ecke und meine Heimat war nicht mehr zu sehen. -- Die Post nahm uns um die Dämmerstunde beim „König Georg“ auf der Heide auf. Ich war zwischen Redruth und einem alten, dicken Herrn eingekeilt und muß trotz der raschen Bewegung und der kalten Nachtluft von Beginn der Fahrt an meist geduselt haben. Und dann schlief ich wie ein Stück Holz, bergauf, bergab, durch alle Stationen durch, denn ich erwachte von einem Rippenstoß, und als ich die Augen öffnete, hielten wir vor einem großen Gebäude in einer städtischen Straße und es war längst Tag geworden. „Wo sind wir?“ fragte ich. „Bristol!“ sagte Tom. „Aussteigen!“ Herr Trelawney hatte seinen Wohnsitz in einem Gasthof weit draußen bei den Docks aufgeschlagen, um die Arbeiten auf dem Schooner leicht beaufsichtigen zu können. Dorthin mußten wir nun gehen und zu meinem Entzücken führte unser Weg die Kais entlang und vorbei an einer Unzahl von Schiffen aller Größen, Arten und Nationen. Auf dem einen sangen Matrosen bei der Arbeit, auf einem andern hingen Leute hoch über meinem Kopf an Strickleitern, die nicht dicker aussahen als Spinnweben. Obwohl ich am Meeresstrande gelebt hatte, schien es mir als hätte ich das Meer nie gekannt. Der Teer- und Salzgeruch waren mir neu. Ich sah die seltsamsten Gallionfiguren auf fremdländischen Schiffen und viele, alte Seeleute mit Ohrgehängen und gelockten Backenbärten und geteerten Zöpfen, mit ihrem schwankenden, schwerfälligen Seemannsgang. Wenn mir ebensoviele Könige oder Erzbischöfe begegnet wären, ich hätte nicht begeisterter sein können. Und ich selbst wollte aufs Meer hinaus! Auf einem Schooner, mit einem pfeifenden Bootsmann und bezopften, singenden Matrosen, zur See, nach einer unbekannten Insel, vergrabene Schätze zu suchen! Während ich noch in diesen herrlichen Träumen schwelgte, kamen wir plötzlich vor ein großes Gasthaus und trafen Herrn Trelawney, der ganz wie ein Seeoffizier ausstaffiert war und mit einem Lächeln auf den Lippen in einer ausgezeichneten Nachahmung des breitbeinigen Ganges der Seeleute aus der Türe trat. „Da seid Ihr,“ rief er, „und der Doktor ist heute Nacht aus London eingetroffen! Bravo! Die Schiffsgesellschaft ist beisammen!“ „O Herr!“ rief ich, „wann segeln wir?“ „Segeln!“ sagte er, „wir segeln morgen!“ Achtes Kapitel Der Gasthof „zum Fernrohr“ Als ich gefrühstückt hatte, gab mir der Squire einen Brief, der an John Silver, Gastwirt zum „Fernrohr“, gerichtet war, und sagte mir, ich würde mich leicht hinfinden, wenn ich die Docks entlang ginge und gut Ausschau halte nach einem kleinen Gasthof, der ein großes Messingfernrohr als Schild habe. Ich machte mich auf den Weg, überglücklich, daß ich Gelegenheit fand noch mehr Schiffe und Seeleute zu sehen und schlüpfte durch ein Gewühl von Menschen, Karren und Gepäck, denn bei den Docks herrschte um diese Zeit lebhafte Bewegung, bis ich den bezeichneten Gasthof gefunden hatte. Es war eine ganz nette, kleine Schenke. Das Schild war neu gemalt, an den Fenstern hingen saubere Vorhänge, der Flur war mit hellem Sand bestreut. Auf jeder Seite war ein Gang und eine offene Tür, so daß man in den großen, niedrigen Raum gut hineinschauen konnte, trotz der Tabakwolken, die ihn erfüllten. Die Gäste waren hauptsächlich Seeleute und sie sprachen so laut, daß ich erschreckt an der Türe stehen blieb und beinahe Angst hatte einzutreten. Wie ich so wartete, kam ein Mann aus einem Nebenzimmer, und ich sah mit einem Blick, daß es der lange John sein mußte. Sein linkes Bein war nahe der Hüfte abgeschnitten und unter der linken Schulter trug er eine Krücke, die er mit unglaublicher Geschicklichkeit handhabte, indem er wie ein Vogel daran herumhüpfte. Er war sehr groß und stark, mit einem Gesicht, das so breit war wie ein Schinken, dabei unschön und blaß, aber klug und freundlich im Ausdruck. Er schien in der besten Stimmung zu sein, bewegte sich pfeifend zwischen den Tischen herum und hatte ein fröhliches Wort oder einen kleinen Klaps auf die Schulter für die bevorzugteren Gäste. Nun, um die Wahrheit zu sagen, ich war von der ersten Erwähnung des langen John an heimlich in Angst gewesen, er könnte sich als der einbeinige Seemann entpuppen, nach dem ich so lange im „Admiral Benbow“ hatte Ausschau halten müssen. Doch ein Blick auf den Mann genügte, um meine Befürchtungen zu zerstreuen. Ich hatte den Kapitän, den schwarzen Hund und den blinden Pew gesehen und glaubte zu wissen, wie ein Pirat aussah. Nach meiner Meinung sicherlich ein Wesen, grundverschieden von diesem sauberen und freundlichen Hauswirt. Ich faßte sofort Mut, überschritt die Schwelle und ging gerade auf den Mann zu, der auf seine Krücke gelehnt dastand und mit einem Gast plauderte. „Herr Silver?“ fragte ich, den Brief hinhaltend. „Ja, mein Junge,“ sagte er, „gewiß, das ist mein Name. Und wer magst du sein?“ Als er den Brief des Gutsherrn las, lief etwas wie ein Schrecken über seine Züge. „Ah,“ sagte er, indem er mir die Hand bot, „du bist der neue Schiffsjunge? Sehr erfreut dich zu sehen.“ Und er nahm meine Hand in seine breite, feste Pranke. Da erhob sich plötzlich an einer anderen Seite der Gaststube ein Gast und eilte zur Türe hinaus. Er hatte nicht weit bis zur Tür und war mit einem Augenblick draußen auf der Straße. Aber gerade seine Eile hatte meine Aufmerksamkeit erregt und ich erkannte ihn mit einem Blick. Es war der wachsfarbene Mensch mit den zwei abgehauenen Fingern, der als erster von der unheimlichen Gesellschaft des Kapitäns in den „Admiral Benbow“ gekommen war. „Halt!“ rief ich. „Aufhalten! Es ist der schwarze Hund.“ „Ich scher mich den Kuckuck darum, wer er ist“, rief Silver. „Aber er hat seine Zeche nicht bezahlt. Harry, lauf und fange ihn.“ Einer der anderen Gäste, der der Tür zunächst saß, sprang auf und rannte dem Flüchtenden nach. „Und wenn er der Admiral Hawke wäre, er müßte seine Zeche bezahlen!“ schrie Silver. „Wie?“ fragte er, meine Hand loslassend, „wie sagtest du, hieß er? Schwarzer, was?“ „Schwarzer Hund, Herr“, sagte ich. „Hat Herr Trelawney Euch nicht von den Piraten erzählt? Das war einer davon.“ „Was?“ rief Silver. „In meinem Hause? Ben, lauf und hilf Harry suchen. Einer von diesen Schmutzlappen war er? -- Warst du das, der mit ihm getrunken hat, Morgan? Komm einmal her!“ Der Mann, den er Morgan nannte -- ein alter, grauhaariger, seeluftgebräunter Matrose --, kam ziemlich tölpelhaft heran, seinen Kautabak im Munde. „Nun, Morgan,“ sagte der lange John sehr streng, „du hast nie früher den schwarzen, schwarzen -- diesen schwarzen Hund gesehen? Oder doch?“ „Keine Spur, Herr“, sagte Morgan mit einer Verbeugung. „Du wußtest nicht, wie er heißt? Oder ja?“ „Nein, Herr.“ „Beim Teufel, Tom Morgan, du kannst von Glück sagen!“ rief der Wirt aus. „Wenn du mit so einem Kerl verbandelt wärst, hättest du nie mehr den Fuß in mein Haus setzen dürfen, dafür bürge ich dir. Und was spracht ihr denn miteinander?“ [Illustration] „Ich weiß wirklich nicht, Herr“, antwortete Morgan. „Ist das ein Kopf, was du da auf den Schultern sitzen hast? Oder bloß ein Stückchen Holz?“ schrie der lange John. „Weiß wirklich nicht! Vielleicht weißt du zufällig wirklich nicht, mit wem du da gesprochen hast, also hör zu, schnell, wovon habt ihr geredet? Von Seereisen, Kapitänen, Schiffen, heraus damit, was war es? Mach den Schnabel auf!“ „Vom Kielanholen haben wir geredet“, sagte Morgan. „Kielanholen, so so? -- Sehr anständig, ein passendes Gespräch, da kann man Gift darauf nehmen. Du bist ein Tölpel, Tom, geh wieder auf deinen Platz!“ Und als der Alte wieder auf seinen Platz zurückwackelte, fügte Silver mit einem vertraulichen Flüstern, das mir sehr schmeichelte, hinzu: „Er ist ein ganz ehrlicher Kerl, der Tom Morgan, nur dumm! Und nun“, fuhr er laut fort, „laßt mich einmal nachdenken -- schwarzer Hund? Nein, ich kenne den Namen nicht und doch kommt mir vor -- ja, es scheint mir, ich habe den Schmutzlappen schon gesehen --. Er pflegte mit einem blinden Bettler herzukommen -- --“ „Natürlich! Ganz sicher!“ sagte ich. „Ich kannte auch diesen blinden Mann. Pew hieß er.“ „So ist es!“ rief Silver jetzt ganz aufgeregt. „Pew! Ja, so hieß er und er sah aus wie ein Gauner, wahrhaftig! Na, wenn wir diesen schwarzen Hund erwischen, das wird den Kapitän Trelawney freuen! Ben ist ein guter Läufer, wenige Seeleute können so laufen wie Ben. Wenn er ihn nur erwischt! Er sprach vom Kielanholen? Na, dann werde ich ihn Kiel-holen!“ Die ganze Zeit, während er diese Reden ausstieß, humpelte er auf seiner Krücke in der Schenke herum, schlug mit der Hand auf die Tische und gab so deutliche Zeichen von Aufregung, daß selbst ein Richter von Old Bailey von ihrer Echtheit überzeugt gewesen wäre. Mein Verdacht war wieder rege geworden, als ich den schwarzen Hund im „Fernrohr“ traf, und ich beobachtete den Koch scharf, aber er war zu schlau und zu schlagfertig und zu gescheit für mich, und als schließlich die beiden Männer atemlos zurückkamen und gestanden, daß sie die Spur im Gedränge verloren hatten und beschimpft worden waren wie Diebe, da war ich schon so weit, daß ich auf die Unschuld des langen John Eide abgelegt hätte. [Illustration] „Schau her, Hawkins!“ sagte er, „das ist verflucht unangenehm für mich, nicht? das wirst du verstehen? Da habe ich diesen elenden Sohn eines Holländers in meinem eigenen Hause sitzen und von meinem eigenen Rum trinken lassen! Und du kommst daher und erzählst mir, wer das ist, und ich lasse den Kerl vor meinen eigenen Augen entschlüpfen! Hawkins, tu mir den Gefallen, schau, daß mich der Kapitän gerecht beurteilt! Du bist noch recht jung, aber du bist klug, das habe ich gleich gesehen, als du hereintratst. Also was hätte ich tun sollen mit diesem alten Stück Holz da, mit dem ich herumhumpeln muß? Als ich noch Obermatrose war, da wäre ich dem Kerl schon nachgekommen und hätte ihn gepackt und ihn in Stücke gerissen, sicherlich! Aber jetzt -- --?“ Und ganz plötzlich hielt er inne, riß den Mund auf, als sei ihm etwas eingefallen. „Die Zeche!“ rief er aus. „Drei Runden Rum! Nein, beim Teufel, die Zeche hatte ich ganz vergessen!“ Und auf eine Bank sinkend, lachte er bis ihm die Tränen herunterliefen, und ich mußte mitlachen. Immer wieder lachten wir eine neue Salve, bis das Schankzimmer widerhallte. „Herrgott, was ich für ein altes Seekalb bin!“ sagte er endlich, sich die Lachtränen aus den Augen wischend. „Wir beide würden gut zusammenpassen, Hawkins, denn ich bürge dafür, eigentlich sollte ich als Schiffsjunge rangieren. Aber was, das ist schon einmal so. Pflicht ist Pflicht, Kamerad. Ich werde mir halt meinen Federhut aufsetzen und mit dir zu Kapitän Trelawney gehen, die Geschichte berichten. Denn weißt du, junger Hawkins, es ist doch eine ernste Sache, und weder du noch ich können verlangen, daß man uns einfach Vertrauen schenkt. Auch du nicht, freilich! Wir sind nicht gewandt, beide nicht. Aber, bei meinen Knöpfen! das war lustig, das mit der Zeche!“ Und er begann wieder so herzlich zu lachen, daß ich, obwohl ich keinen Witz darin fand, wieder seine Heiterkeit teilen mußte. Auf unserem kleinen Spaziergang, die Kais entlang, war er der interessanteste Gesellschafter, den man sich wünschen konnte. Er erzählte mir von den verschiedenen Schiffen, bei denen wir vorbeikamen, erklärte mir Takelung, Tonnage und Nation eines jeden, machte mich auf Einzelheiten der Arbeiten aufmerksam, die da vor sich gingen -- wie das eine ablud, das andere Fracht einnahm und ein drittes seefertig gemacht wurde. Von Zeit zu Zeit schob er irgendeinen kleinen Seemannsscherz ein oder wiederholte eine nautische Redensart, bis ich sie erlernt hatte. Ich merkte, daß er ein unerhört angenehmer Schiffskamerad sein müßte. Als wir zum Gasthof kamen, saßen der Squire und Dr. Livesay zusammen bei einem Quart Bier mit Toast und waren eben im Begriff, sich an Bord des Schooners zu einem Inspektionsbesuch zu begeben. Der lange John erzählte das Begebnis vom Anfang bis zum Ende mit viel Lebendigkeit und vollkommen der Wahrheit entsprechend. „So war’s, nicht wahr, Hawkins?“ fragte er manchmal, und ich konnte es immer nur bestätigen. Die beiden Herren bedauerten, daß der schwarze Hund entkommen war, aber alle waren der Meinung, daß man da nichts machen könne, und nach einem Austausch von Höflichkeiten zog der lange John mit seiner Krücke wieder ab. „Alle Mann an Bord heute nachmittag um vier!“ rief ihm der Squire nach. „Gut, gut, Herr!“ rief der Koch im Fortgehen. „Nun, Squire,“ sagte Dr. Livesay, „ich habe im allgemeinen nicht viel übrig für Eure Entdeckungen, aber ich muß schon sagen, der Mann gefällt mir.“ „Der Mann ist ein Prachtkerl“, erklärte der Gutsherr. „Und nun,“ fügte der Doktor hinzu, „darf Jim mit uns an Bord kommen?“ „Gewiß darf er!“ sagte der Squire. „Nimm deinen Hut, Hawkins, jetzt wollen wir uns das Schiff anschauen.“ Neuntes Kapitel Pulver und Waffen Die Hispaniola lag etwas außerhalb der Docks und wir fuhren unter den Gallionfiguren und rund um das Heck vieler anderer Schiffe herum, deren Taue sich manchmal an unserem Kiel rieben oder über unseren Köpfen schwangen. Endlich kamen wir an die Langseite des Schiffes und wurden, als wir anlegten, vom Maat, Herrn Arrow, einem braungebrannten, alten Seemann, mit Ohrringen in den Ohren und schielenden Augen begrüßt. Er und der Squire vertrugen sich großartig, doch bemerkte ich bald, daß es zwischen Herrn Trelawney und dem Kapitän ganz anders stand. Dieser Kapitän war ein streng dreinblickender Mann, dem nichts an Bord recht zu sein schien, und wir erfuhren bald warum; denn kaum hatten wir die Kabine betreten, so folgte uns ein Matrose. „Kapitän Smollett, Herr, wünscht mit Euch zu sprechen“, meldete er. „Ich stehe dem Kapitän stets zur Verfügung. Führ’ ihn herein!“ sagte der Squire. Der Kapitän, der seinem Boten auf dem Fuße folgte, trat gleich ein und schloß hinter sich die Türe. „Nun, Kapitän Smollett, was wünschen Sie? Alles wohlauf, hoffe ich. Alles klar und fahrtbereit?“ „Nun, Herr,“ sagte der Kapitän, „ich denke es ist besser gerade zu reden, selbst auf die Gefahr hin Anstoß zu erregen: Mir gefällt diese Fahrt nicht, ich mag die Mannschaft nicht und mein Offizier ist mir unangenehm. Das ist einfach und klar, nicht wahr?“ „Vielleicht, Herr, paßt Ihnen auch das Schiff nicht?“ erkundigte sich der Squire, der, wie ich sehen konnte, sehr verärgert war. „Darüber kann ich noch nichts sagen, Herr, da ich es noch nicht ausprobiert habe“, antwortete der Kapitän. „Es scheint ein tüchtiges Fahrzeug zu sein, mehr kann ich nicht sagen.“ „Möglicherweise sagt Ihnen auch der Schiffsherr nicht zu?“ fragte der Squire. Doch hier mischte sich Dr. Livesay ein. „Halt!“ sagte er, „einen Augenblick! Solche Fragen haben keinen Sinn und machen nur böses Blut. Der Kapitän hat zu viel oder zu wenig gesagt, und ich muß ihn dringend um eine Erklärung bitten. Ihr mögt die Fahrt nicht, Kapitän?“ „Herr, ich wurde, was man so nennt, mit versiegelter Marschordre aufgenommen, dieses Schiff für jenen Herrn dorthin zu führen, wohin er es verlangen würde“, sagte der Kapitän. „Soweit ganz gut, doch jetzt sehe ich, daß jeder Mann an Bord mehr weiß als ich. Ich kann das nun nicht in Ordnung finden. Wie denken Sie darüber?“ „Nein!“ sagte Dr. Livesay. „Gewiß ist das nicht in Ordnung.“ „Zunächst“, sagte der Kapitän, „erfahre ich, daß wir einen Schatz suchen werden -- höre das von meinen eigenen Leuten, verstehen Sie. Nun, -- Schätze suchen ist eine kitzliche Arbeit, ich mag Fahrten um Schätze nicht, unter gar keinen Umständen. Aber dann mag ich sie am allerwenigsten, wenn sie geheimbleiben sollen und das Geheimnis -- ich bitte um Vergebung, Herr Trelawney -- dem Papagei erzählt worden ist.“ „Silvers Papagei?“ fragte der Squire. „Das ist so eine Redensart,“ sagte der Kapitän, „geplappert, meine ich. Ich glaube, keiner von den Herren ahnt, was sie vor sich haben, aber meine Ansicht ist: ‚Leben oder Tod, und kein sehr breiter Raum dazwischen!‘“ „Das ist richtig, und ich finde, nur allzuwahr,“ antwortete Dr. Livesay, „wir nehmen die Gefahr auf uns, doch sind wir nicht so unwissend wie Ihr glaubt. Weiter: Ihr sagt, Ihr mögt die Mannschaft nicht. Sind es keine guten Matrosen?“ „Sie gefallen mir nicht, Herr,“ erwiderte Kapitän Smollett, „und immerhin glaube ich, hätte man die Wahl der Leute mir überlassen sollen, wenn wir schon davon reden.“ „Vielleicht,“ antwortete der Doktor, „mein Freund hätte Euch vielleicht zu Rate ziehen sollen. Doch geschah der Verstoß nicht absichtlich, wenn es einer war. Ihr mögt auch Herrn Arrow nicht?“ „Nein, Herr. Ich glaube er ist ein guter Seemann, aber er steht zu kameradschaftlich mit den Leuten, um ein guter Seeoffizier zu sein. Ein Maat muß Distanz halten -- er sollte nicht mit den Matrosen trinken!“ „Ja, meinen Sie, daß er trinkt?“ rief der Squire aus. „Nein,“ antwortete der Kapitän, „ich finde bloß, daß er zu vertraulich mit den Matrosen ist.“ „Und nun, wo wollen Sie hinaus, Kapitän?“ fragte der Doktor. „Sagen Sie, was Sie wünschen.“ „Meine Herren, sind Sie entschlossen diese Fahrt anzutreten?“ „Eisern entschlossen“, antwortete der Squire. „Sehr gut,“ sagte der Kapitän, „da Sie mich nun so geduldig angehört haben, als ich die Dinge behauptete, die ich nicht beweisen konnte, lassen Sie mich noch ein paar Worte sagen: Die Leute verstauen das Pulver und die Waffen im Vorderdeck. Wir haben einen guten Platz unter der Kabine -- warum nicht dorthin damit? -- Das wäre der erste Punkt. Ferner: Sie bringen vier Ihrer eigenen Leute mit, und ich höre, daß Sie einige davon vorne untergebracht haben wollen. Warum nicht hier neben der Kabine? -- Zweiter Punkt.“ „Noch etwas?“ fragte Herr Trelawney. „Noch etwas“, sagte der Kapitän. „Es ist schon zu viel geschwatzt worden.“ „Viel zu viel“, bestätigte der Doktor. „Ich werde Ihnen sagen, was ich selbst gehört habe“, fuhr Kapitän Smollett fort. „Daß Sie eine Karte der Insel besitzen, daß die Orte, wo Schätze liegen, darauf mit roten Kreuzen bezeichnet sind und daß die Insel -- -- -- liegt“, und dabei nannte er genau die Längen- und Breitengrade. „Ich habe das niemals einer Seele erzählt,“ rief der Squire, „keinem Menschen!“ „Die Matrosen wissen es, Herr“, erwiderte der Kapitän. „Livesay, das müßt Ihr oder Hawkins gewesen sein!“ rief der Squire. „Es spielt keine Rolle, wer es war“, antwortete der Doktor, und ich merkte, daß weder er noch der Kapitän den Protesten des Herrn Trelawney viel Beachtung schenkten. Auch ich tat es nicht, denn er war gar zu geschwätzig. Trotzdem glaube ich, daß er diesmal die volle Wahrheit sagte und daß niemand die Lage der Insel ausgeplaudert hatte. „Nun, meine Herren,“ fuhr der Kapitän fort, „ich weiß nicht, wer diese Karte hat, aber ich stelle zur Bedingung, daß sie selbst vor mir und Herrn Arrow geheimgehalten wird. Wenn nicht, müßte ich Sie um meine Entlassung bitten.“ „Ich sehe,“ sagte der Doktor, „Sie wollen sagen, daß wir diese Sache geheim halten und aus dem Hinterschiff eine Art Kaserne machen, die mit den eigenen Leuten meines Freundes bemannt ist und über das Pulver und die Waffen an Bord allein verfügt; mit einem Wort: Sie fürchten Meuterei.“ „Herr,“ sagte Kapitän Smollett, „ich habe nicht die Absicht, beleidigt zu tun, aber ich stelle Ihr Recht in Abrede, mir Behauptungen in den Mund zu legen. Kein Kapitän wäre berechtigt, überhaupt auszufahren, wenn er Grund hätte, etwas derartiges zu sagen. Was Herrn Arrow anlangt, so halte ich ihn für durchaus ehrlich, ebenso ein paar der Leute, und es ist möglich, daß alle es sind. Doch bin ich für die Sicherheit des Schiffes verantwortlich und für das Leben jedes Mannes an Bord. Ich sehe, daß die Dinge nach meiner Meinung nicht ganz so gehen wie sie sollten und ich bitte Sie gewisse Vorsichtsmaßregeln zu treffen oder mich zu entlassen. Das ist alles.“ „Kapitän Smollett,“ begann der Doktor lächelnd, „habt Ihr je die Fabel vom Berg und der Maus gehört? Ich hoffe Ihr werdet nicht böse sein, aber Ihr erinnert mich an diese Fabel. Als Ihr eintratet, wolltet Ihr mehr sagen, dafür gebe ich meine Perücke zum Pfande.“ „Doktor,“ sagte der Kapitän, „Ihr seid ein scharfsichtiger Mann. Als ich eintrat, wollte ich um meine Entlassung bitten, denn ich dachte nicht, daß Herr Trelawney mich anhören würde.“ „Das hätte ich auch nicht getan“, rief der Squire. „Wenn Livesay nicht hier gewesen wäre, hätte ich Euch zum Teufel gehen lassen. Jetzt habe ich Euch angehört. Ich werde tun, was Ihr wünscht, aber ich denke darum nicht besser von Euch.“ „Das machen Sie, wie Sie wollen, Herr,“ sagte der Kapitän, „Sie werden sehen, daß ich meine Pflicht tue.“ Und damit empfahl er sich. „Trelawney,“ sagte der Doktor, „entgegen allen meinen Befürchtungen habt Ihr, wie ich glaube, zustande gebracht, zwei ehrliche Leute an Bord zu bekommen -- diesen Mann und Silver.“ „Silver, wenn Ihr wollt,“ rief der Squire, „aber was diesen unausstehlichen Schwindler anlangt, so erkläre ich sein Benehmen für unmännlich, unseemännisch und für schlechtweg unenglisch.“ „Nun,“ sagte der Doktor, „wir werden sehen.“ Als wir auf Deck kamen, hatten die Leute schon begonnen -- während sie ihren Singsang johohoten -- die Waffen und das Pulver umzuladen und der Kapitän und Herr Arrow überwachten die Arbeit. Die neue Einteilung war sehr nach meinem Sinn. Der Schooner war von unterst zu oberst gekehrt worden. Auf dem Hinterschiff hatte man aus der früheren Hauptwaffenkammer sechs Kojen gewonnen. Diese Reihe von Kabinen war mit der Küche und dem Backbord nur durch einen verbarrikadierten Gang an der Hafenseite verbunden. Ursprünglich hätten der Kapitän, Herr Arrow, Hunter, Joyce, der Doktor und der Squire diese sechs Kojen bewohnen sollen. Nun sollten Redruth und ich zwei davon bekommen und Herr Arrow und der Kapitän würden auf Deck in der Lukenkappe schlafen, die auf beiden Seiten vergrößert worden war, so daß man sie fast eine Kajüte nennen konnte. Sie war noch immer sehr niedrig, aber es war Platz für zwei Hängematten darin, und selbst dem Maat schien diese Einteilung zuzusagen. Auch er war vielleicht wegen der Mannschaft im Zweifel gewesen, doch ist es nur eine Vermutung von mir, denn wie Sie hören werden, hatten wir nicht lange den Vorzug, seine Meinungen zu hören. Wir waren alle fest bei der Arbeit des Umladens und der Umstellung der Kojen, als die letzten ein oder zwei Mann mit dem langen John in einem Boot daherkamen. Der Koch kletterte geschickt wie ein Affe herauf, und als er sah, was vorging, schrie er: „Hallo! Kameraden, was geschieht da?“ „Wir laden das Pulver um“, antwortete einer. „Nun beim Teufel!“ schrie der lange John, „wenn wir das tun, versäumen wir die Morgenflut!“ „Meine Befehle!“ sagte der Kapitän kurz. „Ihr könnt hinuntergehen, Mann, die Leute werden ihr Nachtmahl haben wollen.“ „Gut, gut!“ antwortete der Koch, und seine Mütze berührend, verschwand er sofort in der Richtung seiner Küche. „Das ist ein guter Mann, Kapitän“, sagte der Doktor. „Sehr möglich,“ erwiderte Kapitän Smollett. „Vorsichtig damit, Leute -- vorsichtig.“ Er lief nach vorne zu den Matrosen, die die Pulverkisten aufhoben, und plötzlich, als er bemerkte, daß ich die Drehbrasse, eine lange Erzkanone betrachtete, die man ins Mittschiff hinübertrug, rief er: „He, Schiffsjunge, fort von da. Hinunter mit dir zum Koch und laß dir eine Arbeit geben!“ [Illustration] Und beim Hinunterlaufen hörte ich ihn ganz laut zum Doktor sagen: „Ich mag keine Protektionskinder auf meinem Schiff!“ Ich kann versichern, daß ich vollständig die Ansicht des Gutsherrn über den Kapitän teilte und ihn tief haßte. Zehntes Kapitel Die Seereise Die ganze Nacht waren wir eifrig beschäftigt alles auf seinen Platz zu verstauen, während ganze Bootladungen von Freunden des Squires, Herr Blandly und andere, kamen, um uns eine gute Fahrt und eine glückliche Heimkehr zu wünschen. Wir hatten im „Admiral Benbow“ nie eine Nacht gehabt, in der ich so viel arbeiten mußte, und ich war hundemüde, als kurz vor Sonnenaufgang der Bootsmann seine Pfeife ertönen ließ und die Mannschaft zu den Gangspills eilte. Doch selbst wenn ich zweimal so müde gewesen wäre, hätte ich das Deck nicht verlassen wollen. Alles war so neu und interessant für mich -- die kurzen Befehle, der schrille Ton der Pfeife, die Matrosen, die sich beim Flackern der Schiffslaternen an ihre Plätze drängten. „Nun, Barbecue! Stimm’ uns ein Lied an“, rief eine Stimme. „Das alte Lied“, schrie ein anderer. „Kameraden!“ sagte der lange John, der dabei stand, und sogleich stimmte er das Lied an, das ich so gut kannte. „Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste“ und die ganze Mannschaft fiel im Chor ein: „Jo -- ho ho und ein Fläschchen Rum“, und beim dritten „Ho“ legten sie mit aller Kraft die Spaken aus. Selbst in diesem aufregenden Augenblick fühlte ich mich eine Sekunde lang in den alten „Admiral Benbow“ zurückversetzt und glaubte wieder die Stimme des Kapitäns im Chor krächzen zu hören. Doch bald wurde der Anker kürzer gezogen, nun hing er nur mehr am Bugspriet, dann begannen die Segel anzuziehen, das Land und die Reede auf beiden Seiten entschwand allmählich, und ehe ich mich hinlegen konnte, um doch noch eine Stunde Schlaf herauszuschlagen, hatte die Hispaniola schon ihre Fahrt zur Schatzinsel angetreten. Ich werde die Reise nicht in allen Einzelheiten schildern. Sie war ziemlich gut. Das Schiff erwies sich als tüchtiges Fahrzeug, die Mannschaft bestand aus fähigen Seeleuten und der Kapitän verstand sein Handwerk gründlich. Doch bevor wir in die Nähe der Schatzinsel kamen, geschahen ein paar Dinge, die berichtet werden müssen. Vor allem wurde es mit Arrow schlimmer als selbst der Kapitän gefürchtet hatte. Er besaß keine Autorität bei der Mannschaft und die Leute machten mit ihm was sie wollten. Aber das war nicht das ärgste. Schon am ersten oder zweiten Tag der Reise begann er mit trüben Augen, geröteten Wangen, stotternd, kurz mit allen Zeichen der Betrunkenheit, auf Deck zu erscheinen. Immer wieder wurde er in Ungnade hinunterkommandiert. Manchmal fiel er hin und verletzte sich. Oft lag er den ganzen Tag in seinem kleinen Bettkasten an der einen Seite der Kajütenkappe. Manchmal war er einen oder zwei Tage fast nüchtern und konnte seine Arbeit so ziemlich versehen. Indessen konnten wir nie herausbringen, woher er die Getränke bekam. Das war das Rätsel des Schiffes. Wir mochten ihn beobachten soviel wir wollten, es war nicht zu lösen. Und wenn wir ihn selbst fragten, so lachte er bloß, wenn er betrunken war, und war er nüchtern, leugnete er feierlich, je etwas anderes als Wasser gekostet zu haben. Er war nicht nur als Offizier unbrauchbar und ein schlechtes Beispiel für die Leute, es schien auch klar, daß er, wenn er in diesem Tempo weitermachte, sich bald zu Tode trinken würde. Es war daher niemand sehr überrascht oder besonders betrübt, als er einmal in einer stürmischen Nacht, als die See hoch ging, ganz verschwand und nie mehr gesehen wurde. „Über Bord!“ sagte der Kapitän. „Nun, meine Herren, das erspart mir die Mühe, ihn in Ketten legen zu lassen.“ Aber nun standen wir ohne Maat da und es war natürlich notwendig einen Matrosen vorrücken zu lassen. Der Bootsmann John Anderson schien dazu der geeignete Mann an Bord, und trotzdem er seinen alten Rang behielt, besorgte er die Geschäfte des Maats. Herr Trelawney verstand etwas vom Seewesen und seine Kenntnisse erwiesen sich als sehr nützlich, denn bei gutem Wetter übernahm er oft selbst die Wache. Und auch der Bootsführer, Israel Hands, war ein sorgsamer, verschmitzter, erfahrener, alter Seemann, der im Notfall fast jeden Dienst versehen konnte. Er stand sehr vertraut mit dem langen John Silver und so komme ich bei Erwähnung seines Namens ganz von selbst auf unseren Schiffskoch zu sprechen, dem die Matrosen den Spitznamen „Bratrost“ gaben. An Bord trug er seine Krücke an einem dünnen Tau um den Hals gebunden, um beide Hände freizubehalten. Es war interessant zuzusehen, wie er den Fuß der Krücke gegen eine Schott stemmte und darauf gestützt, jeder Bewegung des Schiffes nachgehend, seine Kocherei erledigte, wie am sicheren Ufer. Er hatte ein oder zwei Schlingen aufgetakelt, um sich über die weitesten Zwischenräume hinüberzuhissen -- sie wurden die Ohrringe des langen John genannt -- und so half er sich von einem Ort zum anderen, einmal die Krücke gebrauchend, dann sie wieder an das Tau hängend, so schnell wie irgendeiner mit gesunden Beinen. Dennoch gaben ein paar Matrosen, die vorher mit ihm gesegelt waren, ihrem Mitleid Ausdruck ihn so heruntergekommen zu sehen. „Der Bratrost ist kein gewöhnlicher Mann,“ sagte der Bootsführer zu mir, „er hat in seinen jungen Jahren etwas gelernt und kann sprechen wie ein Buch, wenn er will. Und tapfer ist er wie ein Löwe! Ich habe gesehen, wie er unbewaffnet viere überwältigte und ihnen die Köpfe aneinanderschlug!“ Die ganze Mannschaft achtete ihn und gehorchte ihm sogar. Er hatte eine eigene Art mit jedem zu reden und jedem einen persönlichen Dienst zu leisten. Mir gegenüber war er unermüdlich gütig und immer erfreut mich in der Küche zu sehen, die er blitzsauber hielt, daß es eine Freude war, wie die polierten Schüsseln dahingen. Und in der Ecke stand der Käfig mit seinem Papagei. „Komm, Hawkins,“ pflegte er zu sagen, „komm mit John, wir wollen Geschichten erzählen. Niemand ist mir willkommener als du, mein Sohn! Setz dich und plaudern wir ein wenig. Kapitän Flint hier -- ich nenne meinen Papagei Kapitän Flint nach dem berühmten Freibeuter -- wird dir einen guten Erfolg unserer Reise prophezeien. Nicht wahr, Kapitän?“ Und der Papagei plapperte mit großer Geläufigkeit: „Goldstücke, Goldstücke, Goldstücke“, bis John sein Taschentuch über den Käfig warf. „Dieser Vogel,“ pflegte er dann zu erzählen, „ist vielleicht zweihundert Jahre alt, Hawkins. Sie leben ewig, diese Viecher, und wenn jemand mehr Bosheit gesehen hat, so kann das nur der Teufel in Person gewesen sein.“ „Er ist mit England, dem großen Kapitän England, dem Freibeuter, gesegelt. Er war in Madagaskar und in Malabar, in Surinam und Providence und Portobello. Er war dabei, wie die untergegangenen Goldschiffe aufgefischt wurden. Dort lernte er das ‚Goldstücke‘! was kein Wunder ist, denn dreihundertfünfzigtausend davon haben sie dort gefischt, Hawkins! Er war beim Entern des indischen Vizekönigsschiffes, bei Goa, dabei, jawohl. Und wenn man ihn anschaut, möchte man ihn für ein Baby halten! Aber Ihr habt schon Pulver gerochen, nicht wahr, Kapitän?“ „Dabei gewesen!“ kreischte der Papagei. „Ah, der ist ein schlauer Kerl“, pflegte der Koch darauf zu sagen und reichte ihm ein Stück Zucker aus seiner Tasche, und der Vogel pickte an den Käfigstäben und fluchte darauf los, daß es kaum anzuhören war. -- „Natürlich,“ sagte John, „wer Pech anrührt, besudelt sich, Junge. Der arme, unschuldige Vogel da flucht, daß einem Hören und Sehen vergeht und kann doch nichts dafür, da kann man Gift darauf nehmen. Er würde genau so fluchen, wenn ein Kaplan dabei wäre.“ Und John berührte seine Stirne mit einem so feierlichen Gesicht dazu, daß ich überzeugt sein mußte, er sei der beste Mensch. Indessen standen der Squire und Kapitän Smollett immer noch recht fremd zueinander. Der Gutsherr ließ ganz deutlich erkennen, daß er den Kapitän verachte. Der Kapitän seinerseits sprach nur, wenn er gefragt wurde, und dann scharf, kurz, trocken und nie ein Wort mehr als notwendig. In die Enge getrieben gab er zu, daß er scheinbar in bezug auf die Mannschaft Unrecht behalten habe, daß ein paar der Matrosen so flinke, frische Kerle seien, wie er es nicht besser wünschen konnte und daß alle sich ziemlich gut hielten. Das Schiff aber hatte er geradezu lieb gewonnen. „Es ist treuer als ein Ehemann von seiner angetrauten Frau erwarten darf. Aber,“ pflegte er hinzuzufügen, „wir sind noch nicht zurück und die ganze Fahrt ist mir nicht geheuer.“ Wenn der Gutsherr dergleichen hörte, pflegte er sich abzuwenden und mit hochmütigem Gesicht auf Deck herumzuspazieren. „Noch ein klein wenig mehr von dem Mann,“ sagte er in solchen Augenblicken, „und ich gehe in die Luft.“ Wir hatten ein paarmal schweren Seegang und dabei zeigten sich die vorzüglichen Eigenschaften der Hispaniola. Jedermann an Bord schien sehr zufrieden und man hätte übrigens schon sehr unbescheiden sein müssen, um es nicht zu sein, denn ich glaube, daß seit Noahs Zeiten noch nie eine Mannschaft so verwöhnt worden ist. Bei jeder Gelegenheit gab es doppelten Grog, an besonderen Tagen, zum Beispiel wenn der Squire erfuhr, daß jemand von der Schiffsgesellschaft Geburtstag habe, eine festlichere Mahlzeit, und immer stand ein Faß mit Äpfeln offen da, und wer wollte konnte sich bedienen. „Ich habe noch nie gesehen, daß aus derlei etwas Gutes entstanden ist,“ sagte der Kapitän zu Dr. Livesay, „wer Matrosen verzieht, erzieht Teufel, das ist _meine_ Meinung.“ Und dennoch brachte uns das Äpfelfaß Gutes, wie wir gleich hören werden, denn ohne dieses wären wir ungewarnt geblieben und vielleicht alle durch verräterische Hand umgekommen. Das kam so. Wir waren mit den Passatwinden gesegelt, um den Wind nach der Insel hin zu bekommen, der wir zustrebten -- ich darf mich nicht deutlicher ausdrücken -- und fuhren nun mit den frohesten Hoffnungen Tag und Nacht auf sie zu. Es war aller Berechnung nach der letzte Tag unserer Fahrt. In der Nacht oder spätestens vor Tagesanbruch sollten wir die Schatzinsel sichten. Wir steuerten Südsüdwest und hatten eine steife Brise und ruhige See. Die Hispaniola schlingerte nicht und ihr Bugspriet wurde nur von Zeit zu Zeit von einer Welle übersprüht. Alle waren fest bei der Arbeit und in bester Stimmung, da wir so nahe dem Ziel unserer Reise waren. Nun geschah es zufällig, daß ich gerade nach Sonnenuntergang, als ich meine Arbeit getan hatte, plötzlich Lust nach einem Apfel verspürte. Ich lief auf Deck. Die Wachen waren alle vorne, um nach der Insel auszulugen. Der Mann am Steuer beobachtete das Luv und pfiff sich leise ein Liedchen. Das war der einzige Laut, der außer dem einförmigen Anschlagen des Wassers gegen den Bug und die Seiten des Schiffes zu vernehmen war. Ich stieg in das Apfelfaß hinein und fand, daß kaum mehr ein Apfel übrig war. Aber wie ich da am Grunde des Fasses saß, muß ich entweder durch die schaukelnde Bewegung des Schiffes und das Geräusch der Wellen eingeschläfert worden sein oder war eben im Begriff gewesen einzuschlafen, als sich der schwere Körper eines Mannes mit einem ziemlichen Ruck an das Faß lehnte. Es schwankte und ich wollte eben aufspringen, als der Mann zu sprechen anfing. Es war die Stimme Silvers, und wie ich kaum ein Dutzend Worte gehört hatte, wäre ich um keinen Preis der Welt zum Vorschein gekommen, sondern lag zitternd und horchend von Furcht und Neugierde bewegt da, denn aus diesen paar Worten hatte ich entnommen, daß das Leben aller ehrlichen Männer an Bord jetzt allein von mir abhing. Elftes Kapitel Was ich im Äpfelfaß hörte „Nein, nicht ich,“ sagte Silver, „Flint war Kapitän. Ich war Quartiermeister meines Holzbeines wegen. Ich verlor mein Bein an derselben Breitseite, an der der alte Pew sein Augenlicht einbüßte. Das war ein Meisterchirurg, der mich amputierte -- von der Universität, großartig, und Latein eimerweis und was sonst noch alles! Und doch wurde er gehängt wie ein Hund und trocknete an der Sonne, grad wie die anderen in Corso Castle. Das waren Roberts Leute, und das kommt davon, wenn man den Namen seines Schiffes wechselt in ‚Königsschatz‘ oder so. Und ich sage, wie ein Schiff getauft ist, so muß es heißen, und fertig! So war es mit der ‚Cassandra‘, die uns alle glücklich von Malabar heimbrachte, nachdem England den Vizekönig von Indien gekapert hatte, so war es mit dem ‚Walroß‘, Flints altem Schiff, das ich ganz voll Blut und bis zum Sinken mit Gold angefüllt gesehen habe.“ „Ah“, rief eine andere Stimme, die des jüngsten Matrosen an Bord, offenbar voll Bewunderung: „Flint war doch der größte der Zunft, nicht wahr?“ „Auch Davis war ein Kerl, unbedingt“, sagte Silver. „Ich bin nie mit ihm gefahren. Zuerst mit England, dann mit Flint, das ist meine Geschichte, und jetzt hier sozusagen auf eigene Rechnung. Ich habe mir unter England Neunhundert beiseite gelegt und Zweitausend bei Flint -- das ist nicht schlecht für einen Matrosen -- alles sicher in der Bank angelegt. Nicht das Verdienen macht es jetzt aus, sondern das Sparen, ganz bestimmt. Wo sind heute Englands Leute? Wer weiß das? Wo sind die Leute von Flint? Die meisten hier an Bord und froh die Schiffskost zu fressen -- manche haben bis dahin gebettelt. Der alte Pew, der sein Augenlicht verloren hat, gibt zwölfhundert Pfund im Jahr aus wie ein Lord. Wo ist er jetzt? Nun, er ist tot und unter Deck, aber vor zwei Jahren war er am Verhungern. Er bettelte und stahl und schnitt den Leuten den Hals durch und hungerte trotzdem dabei, zum Teufel!“ „Es steht also nicht einmal dafür“, sagte der junge Matrose. „Es steht nicht dafür, für Esel, sicherlich -- für die steht gar nichts dafür“, rief Silver. „Aber schau her, du bist jung, gewiß, aber du bist ein gescheiter Kerl. Das sehe ich dir an den Augen an, mit dir kann man sprechen wie mit einem Mann.“ [Illustration] Man kann sich vorstellen, wie mir zumute war, als ich hörte, wie dieser abscheuliche, alte Schurke einem anderen gegenüber genau dieselben Schmeicheleien gebrauchte, mit denen er mich eingefangen hatte. Ich glaube, wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich ihn durch das Faß hindurch getötet. Indessen fuhr er fort, ohne zu ahnen, daß er belauscht wurde: „Das ist so mit uns Glücksrittern -- man lebt hart und riskiert zu hängen. Aber man ißt und trinkt wie ein Kampfhahn, und wenn eine Fahrt gemacht wird, so bleiben einem nicht Hunderte von Hellern, sondern Hunderte von Pfunden in der Tasche. Nun, das meiste geht für Rum auf und für ein lustiges Leben, und die meisten gehen wieder arm zur See. Aber das ist nicht mein Kurs! Ich lege alles schön zur Seite, etwas hier und etwas da, und nirgends zu viel, damit kein Verdacht entsteht. Ich bin fünfzig, wohlgemerkt. Wenn ich von dieser Fahrt zurückkomme, setze ich mich allen Ernstes als Gentleman zur Ruhe. Es ist schon an der Zeit, sagst du, ja! aber ich hab angenehm gelebt inzwischen, mir nie etwas versagt, was das Herz begehrte, weich geschlafen und fein gegessen all mein Lebtag, außer auf der See!“ „Gut,“ sagte der andere, „aber das ganze übrige Geld ist weg, Ihr dürft Euch in Bristol nicht mehr zeigen nach dieser Sache.“ „Nun, wo glaubst du, ist es?“ fragte Silver spöttisch. „In Bristol, bei Banken und versteckt“, antwortete sein Gefährte. „Dort war es“, sagte der Koch; „dort war es, als wir die Anker lichteten, aber meine alte Dame hat schon wieder alles. Und das ‚Fernrohr‘ ist verkauft, Pachtvertrag, Kundschaft und Einrichtung, alles, und die alte Dame ist fort und wird mich irgendwo treffen. Ich würde dir sagen, wo, denn ich vertraue dir, aber das gäb Eifersucht unter den anderen.“ „Und könnt Ihr Euch auf Eure Frau verlassen?“ fragte der andere. „Wir Glücksritter“, erwiderte der Koch, „vertrauen einander für gewöhnlich wenig und sicherlich mit Recht, aber ich hab’ so meine eigene Art, wenn ein Kamerad mich betrügt -- einer, der mich kennt, meine ich, der lebt nicht lange auf derselben Welt mit dem alten John. Einige fürchteten sich vor dem alten Pew und einige vor Flint, aber Flint selbst fürchtete sich vor mir! Und er war gefürchtet und stolz. Oh, Flints Mannschaft, das waren die schärfsten Kerle auf See. Der Teufel selbst hätte sich gefürchtet mit ihnen zu segeln. Na, ich bin kein Prahler und du siehst selbst, wie leicht man mit mir auskommt. Aber als ich Quartiermeister war, da konnte man Flints alte Freibeuter wahrhaftig keine Lämmer nennen. Nein, du kannst ganz sicher sein im Schiff des alten John.“ „Nun, ich kann es Euch ja jetzt sagen,“ erwiderte der Bursche, „mir hat diese Anwerbung nicht sehr gefallen, aber nun, John, da wir miteinander gesprochen -- hier ist meine Hand.“ „Ein braver Bursch bist du und ein gescheiter Kerl,“ antwortete Silver und schüttelte die Hand des Burschen so herzlich, daß das ganze Faß wackelte, „meine Augen haben nie einen prächtigeren Glücksritter gesehen.“ Nun begann ich ihre Ausdrücke zu verstehen: Mit dem Wort „Glücksritter“ bezeichneten sie nichts mehr und nichts weniger als einen gewöhnlichen Seeräuber, und die kleine Szene, die ich belauschte, war der letzte Akt der Verführung eines der anständigen Matrosen -- vielleicht des letzten, den es an Bord noch gab. Doch darüber sollte ich bald beruhigt werden, denn auf ein leises Pfeifen Silvers kam ein dritter Mann auf ihn zu und gesellte sich zu den beiden. „Dick ist ein vernünftiger Kerl“, sagte Silver. „Oh, ich wußte, daß Dick gescheit ist“, erwiderte die Stimme des Bootsführers Israel Hands. „Der ist kein Narr, der Dick“, und er kaute seinen Tabak und spuckte aus. „Aber schau her,“ fuhr er fort, „eins will ich wissen, Bratrost! Wie lange sollen wir noch herumstehen und uns benehmen wie auf einem verfluchten Marketenderschiff? Ich habe so ziemlich genug vom Kapitän Smollett, er hat mich, Donnerwetter! lange genug herumgehetzt. Ich will in die Kabine jetzt, ich will ihre feinen Sachen und ihre Weine und alles.“ „Israel,“ sagte Silver, „dein Kopf ist nicht sehr tüchtig, das war er niemals, aber du kannst hören, nehme ich an. Wenigstens sind deine Ohren groß genug. Und ich sage dir folgendes: du bleibst weiter in der Koje und lebst wie ein Matrose und sprichst bescheiden und bleibst nüchtern, bis ich das Zeichen gebe, und dabei bleibt’s, mein Sohn.“ „Ich habe doch nichts gesagt, nicht wahr?“ murrte der Bootsführer, „ich hab nur gefragt, wann? Das ist alles.“ „Wann, zum Teufel!“ schrie Silver, „wenn du’s wissen willst, werde ich dir sagen, wann. So spät wie nur irgend möglich, verstehst du? Das ist ein erstklassiger Seemann, der Kapitän Smollett, der uns dieses verfluchte Schiff führt. Da ist dieser Squire und dieser Doktor mit einer Karte und solchen Sachen. Ja, weiß denn ich, wo es ist? Und Ihr wißt es grad so wenig, nicht wahr? Nun also meine ich, dieser Doktor und dieser Squire sollen das Zeug finden und uns helfen es an Bord zu schaffen in Dreiteufelsnamen, dann werden wir weitersehen. Wenn ich Euer aller sicher wäre, ihr Söhne von doppelten Holländern, dann ließe ich den Kapitän Smollett uns den halben Weg zurückführen, bevor ich losschlage.“ „Nun, wir sind lauter Seeleute hier an Bord, sollte ich denken“, sagte der junge Dick. „Wir sind alle Matrosen, meinst du“, fuhr ihn Silver an. „Wir können einen Kurs steuern, aber wer soll ihn setzen? Darüber würdet Ihr euch alle zerzanken, vom Anfang bis zum Ende. Wenn es nach mir ginge, ließe ich den Kapitän Smollett uns alle zurückführen, wenigstens bis in die Passatwinde, dann würden wir uns nicht so verflucht verrechnen und einen Löffel Wasser im Tag machen. Aber ich weiß, wie Ihr seid und darum will ich sie auf der Insel erledigen, sowie das Zeug an Bord gebracht ist. Es ist schade, aber Ihr seid nie glücklich, bevor Ihr nicht betrunken seid. Der Teufel hol mich, mir ist ganz schlecht, daß ich mit Euresgleichen segeln soll!“ „Beruhige dich, langer John,“ rief Israel, „wer kommt dir denn in die Quere?“ „Ach, wieviel schöne Schiffe, was glaubt Ihr wohl, habe ich schon entern gesehen und wieviel frische Jungen am Hinrichtungsdock in der Sonne trocknen!“ rief Silver, „und alles nur wegen der verfluchten Gier und Eile. Ich hab schon was auf der See erlebt, versteht Ihr? Wenn Ihr nur Euren Kurs halten würdet, könntet Ihr dann in Karossen fahren, aber Ihr gewiß nicht, Ihr bringt es nicht zusammen! Ihr müßt morgen Euren Rum haben und dann hängen, anders tut Ihr es nicht!“ „Jedermann weiß, daß Ihr so eine Art Prediger wart, John, aber andere konnten ebensogut arbeiten und steuern wie Ihr“, sagte Israel. „Natürlich, sie führten ein bißchen ein lustiges Leben, sie waren nicht so vornehm und nüchtern, sondern hatten ihren Spaß, die anderen, mit fröhlichen Kumpanen.“ „So?“ sagte Silver. „Nun, und wo sind sie jetzt? Pew war einer von dieser Sorte und der starb als Bettler; Flint war so und hat sich in Savannah zu Tode gesoffen. Ja, sie waren eine prachtvolle Mannschaft, nur, wo sind sie jetzt?“ „Aber,“ fragte Dick, „wenn wir sie querüberlegen, was sollen wir dann mit ihnen tun?“ „Das ist mein Mann!“ rief der Koch bewundernd, „das nenne ich Geschäftsgeist! Nun, was glaubt Ihr? Sie am Ufer aussetzen? -- Das hätte England gemacht. Oder sie niederstechen wie die Schweine? Das wäre Flints oder Billy Bones Art gewesen.“ „Ja, Billy war der Mann dafür,“ sagte Israel. „Tote Leute beißen nicht“, sagte er. Nun, er ist jetzt selber tot und kennt die Sache ganz genau. Das war ein scharfer Kerl, der Billy.“ „Recht habt Ihr, scharf und rasch bei der Hand. Aber aufgepaßt! Ich bin ein nachlässiger Mensch -- ich bin ein Gentleman, sagt Ihr. Aber diesmal ists ernst; Pflicht ist Pflicht, Kameraden. Ich stimme für Tod! Wenn ich erst mal meinen Parlamentssitz habe und in der Kutsche spazieren fahre, mag ich nicht, daß einer von diesen Seeadvokaten dort in der Kabine unerwartet nach Hause kommt, wie der Teufel in die Predigt. Abwarten! sage ich, aber wenn die Zeit da ist, aufschlitzen!“ „John,“ rief der Bootsführer, „Ihr seid ein Mann!“ „Das werdet Ihr dann auch sagen, wenns soweit ist, Israel,“ sagte Silver. „Nur einen will ich für mich -- ich will den Trelawney. Mit diesen Händen will ich ihm seinen Kalbskopf vom Halse drehen. Dick!“ fügte er abbrechend hinzu, „geh, sei ein lieber Kerl, spring hinüber und bring mir einen Apfel, um mir den Gaumen anzufeuchten.“ Ihr könnt Euch mein Entsetzen vorstellen. Ich wäre herausgesprungen und fortgelaufen, wenn ich die Kraft gehabt hätte, aber meine Beine versagten und mein Herz schlug wie ein Hammer. Ich hörte Dick aufstehen, doch dann schien ihn jemand abzuhalten und die Stimme von Hands rief: „Ach, laßt das, Ihr werdet doch nicht aus diesem Fasse saufen wollen, John! Trinken wir lieber ein Glas Rum.“ „Dick,“ sagte Silver, „ich vertraue dir. Ich hab mir ein Zeichen am Fasse gemacht, verstehst du? Hier ist der Schlüssel. Du füllst ein Kännchen und bringst es herauf.“ Trotz meiner Angst mußte ich im stillen daran denken, daß offenbar auf diese Weise Herr Arrow zu den starken Getränken gekommen war, die ihn umgebracht hatten. Dick blieb eine kleine Weile aus und in seiner Abwesenheit sprach Israel dem Koch ins Ohr. Ich konnte nur ein oder zwei Worte erlauschen, dennoch waren es wichtige Nachrichten, denn es war deutlich aus den Bruchstücken des Gespräches, die ich hören konnte, zu entnehmen, daß noch ein paar zuverlässige Leute unter den Matrosen waren. Als Dick zurückkehrte nahm einer nach dem anderen von dem Trio die Kanne und trank; einer „Auf gutes Gelingen“, der zweite „Dieses Glas dem alten Flint“, und Silver selbst sagte in einer Art Singsang: „Auf unsere Gesundheit! Und immer mit dem Wind. Das gibt Beute, Speis’ und Trank und Geld geschwind.“ Da wurde es in meinem Faß plötzlich lichter und aufblickend sah ich, daß der Mond aufgegangen war, der den Kreuzmast in silbernes Licht tauchte und weiß auf das Luv des Vordersegels leuchtete; und fast im selben Augenblick schrie die Stimme aus dem Lugaus: „Land ho!“ Zwölftes Kapitel Kriegsrat [Illustration] Es gab ein großes Getrappel quer über das Deck. Ich konnte hören, wie die Leute aus der Kabine und vom Focksegel herüberstürzten. Ich schlüpfte in einem Augenblick aus meinem Faß, tauchte unter das Vordersegel, machte zwei Sätze gegen das Hinterdeck zu und kam rechtzeitig auf Deck, um zusammen mit Hunter und Dr. Livesay zum Wetterbug zu stürzen. Dort waren schon alle Matrosen versammelt. Fast gleichzeitig mit dem Aufgehen des Mondes hatte sich ein Nebelstreifen gehoben. Südwestlich von uns sahen wir nun zwei niedrige Hügel, ein paar Meilen voneinander entfernt, und hinter dem einen erhob sich ein dritter, höherer Berg, dessen Spitze noch im Nebel lag. Alle drei schienen von spitzer, kegelförmiger Gestalt zu sein. Soviel sah ich, fast noch träumend, denn ich hatte mich von der entsetzlichen Angst, die ich vor ein oder zwei Minuten durchlebt hatte, noch nicht erholt. Und dann hörte ich die Stimme des Kapitän Smollett Befehle erteilen. Die Hispaniola wurde dem Wind etwas näher gelegt und segelte nun einen Kurs, der sie gerade dem Osten der Insel zuführen mußte. „Und nun, Leute,“ sagte der Kapitän, als alles fertig war, „hat einer von euch je dieses Land gesehen?“ „Ich, Herr,“ sagte Silver, „ein Handelsschiff, auf dem ich Koch war, hat hier Wasser eingenommen.“ „Der Ankergrund ist im Süden, hinter einer kleinen Insel, nicht wahr?“ fragte der Kapitän. „Ja, Herr, sie heißt die Skelettinsel. Das war einmal ein Seeräubernest, und ein Matrose, den wir an Bord hatten, kannte alle Namen hier. Der Hügel nach Norden zu heißt der Kreuzmastberg, nach Süden zu laufen drei in einer Reihe, der große mit der Wolke darüber wird gewöhnlich das „Fernrohr“ genannt, weil sie dort eine Wachstation hielten, wenn sie am Ankerplatz putzten, denn dort reinigten sie ihre Schiffe, mit Verlaub, Herr.“ „Ich habe eine Karte hier, schaut nach, ob das der Platz ist.“ Die Augen des langen John brannten, als er die Karte in die Hand nahm, doch erkannte ich am neuen Aussehen des Papiers, daß er eine Enttäuschung erleben mußte. Das war nicht die Karte, die wir in Billy Bones’ Koffer gefunden hatten, sondern eine genaue Kopie, die in jeder Beziehung vollständig war -- Namen, Höhen und Lotungen -- mit alleiniger Ausnahme der roten Kreuze und der handschriftlichen Bemerkungen. So stark sein Verdruß auch gewesen sein mag, Silver hatte doch die Selbstbeherrschung ihn zu verbergen. „Ja, Herr, sicher ist das der Ort, und wie schön gezeichnet, wer das nur gemacht hat? Dazu waren die Piraten zu unwissend, meine ich. Ja, ja, hier steht es: ‚Kapitän Kidds Ankerplatz‘ -- gerade so nannte ihn mein Schiffskamerad. Eine starke Strömung läuft die Südspitze entlang zur Westküste. Ganz recht hatten Sie, Herr, den Kurs zu ändern und an der Wetterseite zu bleiben. Wenn es nämlich Ihre Absicht war hineinzufahren und Kiel zu holen, dafür gibt es in diesen Gewässern keinen besseren Platz --“. „Ich danke Euch, Mann,“ sagte Kapitän Smollett, „ich werde Euch später rufen, damit Ihr uns helft, jetzt könnt Ihr gehen.“ Ich war überrascht über die Kaltblütigkeit, mit welcher John seine Kenntnis der Insel zugab, und ich muß gestehen, ich geriet in Furcht, als er näher an mich herantrat. Er wußte natürlich nicht, daß ich in dem Apfelfaß seinen Kriegsrat belauscht hatte, aber ich war nun schon von einem solchen Entsetzen über seine Grausamkeit, Doppelzüngigkeit und Stärke ergriffen, daß ich kaum einen Schauer verbergen konnte, als er seine Hand auf meinen Arm legte. „Ah,“ sagte er, „das ist ein herrlicher Platz, diese Insel -- ein wundervoller Platz für einen Jungen zum Herumstreifen! Du wirst baden und auf Bäume klettern und Ziegen jagen, wenn du willst und selber wie eine Ziege auf den Bergen herumsteigen. Ach, das macht mich wieder jung, ich habe beinahe mein Holzbein vergessen! Ja, es ist eine schöne Sache jung zu sein und seine zehn Zehen zu haben, sicherlich. Wenn du ein wenig auf Forschungsreisen gehen willst, sag es nur dem alten John und er wird dir einen Imbiß zum Mitnehmen vorbereiten.“ Und er klopfte mir freundlich auf die Schulter, humpelte fort und ging nach unten. Kapitän Smollett, der Gutsherr und Dr. Livesay standen im Gespräch zusammen auf Achterdeck, und so sehr ich mich danach sehnte, ihnen meine Geschichte zu erzählen, wagte ich es doch nicht, sie einfach zu unterbrechen. Als ich immer noch nach irgendeiner anständigen Ausrede dafür suchte, rief mich Dr. Livesay an seine Seite. Er hatte seine Pfeife unten gelassen und da er ein leidenschaftlicher Raucher war, wollte er mich um sie schicken. Doch sobald ich ihm nahe genug gekommen war, um ihm unbelauscht ein Wort sagen zu können, beschwor ich ihn sofort: „Herr Doktor, hören Sie mich an. Gehen Sie mit dem Kapitän und dem Squire in die Kabine hinunter und dann lassen Sie mich unter irgendeinem Vorwand holen, ich habe furchtbare Neuigkeiten.“ Der Doktor wechselte ein wenig die Farbe, aber im nächsten Augenblick hatte er sich in der Gewalt. „Danke, Jim,“ sagte er ganz laut, „das war alles, was ich wissen wollte“, als ob er mich etwas gefragt hätte, und damit wandte er sich auf dem Absatz um und begab sich zu den beiden anderen. Sie sprachen ein wenig miteinander und trotzdem keiner von ihnen auffuhr oder seine Stimme erhob oder auch nur pfiff, war es ganz klar, daß Dr. Livesay ihnen meine Bitte mitgeteilt hatte, denn der Kapitän gab sofort Job Anderson einen Befehl und alle Matrosen wurden auf Deck gepfiffen. „Bursche,“ sagte Kapitän Smollett, „ich habe euch etwas zu sagen: dieses Land, das wir gesichtet haben, ist unser Reiseziel. Herr Trelawney, der, wie wir alle wissen, ein sehr freigebiger Herr ist, hat mich eben über euch befragt und ich konnte ihm nur sagen, daß jeder Mann an Bord seine Pflicht getan hat; auf Deck und unter Deck habt ihr so anständig gearbeitet, wie ich es nicht besser verlangen kann. Nun wollen er und ich und der Doktor in die Kabine gehen und auf _Eure_ Gesundheit trinken und Euch wird hier Grog aufgetragen werden, damit Ihr auf _unsere_ Gesundheit trinken könnt. Ich will euch sagen, wie ich das finde: Ich finde es schön von Herrn Trelawney, und wenn ihr das auch findet, so werdet ihr jetzt ein Seemannshurra auf den Gentleman ausbringen, der das tut.“ Das Hurra folgte -- selbstverständlich --, doch klang es so voll und herzlich, daß ich gestehen muß, ich konnte kaum glauben, daß es dieselben Leute waren, die im Sinne hatten uns zu ermorden. „Noch ein Lebehoch für Kapitän Smollett!“ rief der lange John, als das erste verklungen war. Und auch dieses wurde mit Lust und Liebe ausgebracht. Darauf begaben sich die drei Herren hinunter und bald nachher kam eine Botschaft, daß Jim Hawkins in die Kabine verlangt werde. Ich fand alle drei rund um den Tisch sitzend, eine Flasche spanischen Weins und ein paar Malagatrauben vor sich. Der Doktor rauchte drauf los und hatte seine Perücke auf dem Schoß, was, wie ich wußte, ein Zeichen von Aufregung bei ihm war. Das Fenster zum Achterdeck war offen, denn es war eine warme Nacht und man konnte den Mondschein auf dem Kielwasser leuchten sehen. „Nun, Hawkins!“ sagte der Squire, „du hast uns etwas zu sagen. Heraus damit.“ Ich tat, wie mir befohlen war und erzählte so kurz ich konnte alle Einzelheiten von dem Gespräch Silvers. Niemand unterbrach mich bis ich fertig war und keiner von den dreien machte auch nur eine Bewegung, sondern sie schauten mir, vom ersten bis zum letzten Wort, gerade ins Gesicht. „Jim,“ sagte Dr. Livesay, „nimm Platz.“ Und sie hießen mich am Tische bei ihnen Platz nehmen, schenkten mir ein Glas Wein ein, füllten mir die Hände mit Malagatrauben an und alle drei, einer nach dem anderen, standen auf und tranken mit einer Verbeugung vor mir, auf meine Gesundheit, mein Wohlergehen und meinen Mut. „Nun, Kapitän,“ sagte der Squire, „Ihr hattet recht und ich hatte unrecht. Ich gestehe, daß ich ein Esel war und erwarte Eure Befehle.“ „Nicht mehr Esel als ich, Herr“, erwiderte der Kapitän. „Ich habe noch nie gehört, daß eine Mannschaft, die auf Meuterei ausging, nicht vorher Zeichen gab, aus denen jedermann, der Augen im Kopfe hatte, das Unheil kommen sehen und sich entsprechend einrichten konnte. Aber diese Mannschaft,“ fügte er hinzu, „die ist mir über!“ „Kapitän,“ sagte der Doktor, „mit Eurer Erlaubnis, das ist Silver. Ein außerordentlicher Mensch.“ „Er würde außerordentlich gut auf einem Galgen aussehen, Herr,“ antwortete der Kapitän, „aber das ist Gerede und führt zu gar nichts. Ich möchte drei oder vier Punkte erörtern, wenn Herr Trelawney erlaubt.“ „Ihr, Herr, seid der Kapitän, an Euch ist es zu reden“, sagte Herr Trelawney, würdevoll. „Erster Punkt:“, begann Herr Smollett, „wir müssen vorwärts, weil wir nicht zurück können. Wenn ich befehlen würde umzuwenden, würden sie sofort entern. Zweiter Punkt: Wir haben etwas Zeit vor uns, wenigstens bis dieser Schatz gefunden ist. Dritter Punkt: Es gibt ein paar anständige Leute unter den Matrosen. Nun, Herr, früher oder später muß es zum Zuschlagen kommen und ich denke das Gescheiteste ist, wir lassen es eines schönen Tages dazukommen, wenn sie es am wenigsten erwarten. Wir können, denke ich, auf Ihre eigenen Hausdiener zählen, Herr Trelawney?“ „Wie auf mich selbst“, erklärte der Squire. „Drei,“ zählte der Kapitän, „und wir mit Hawkins zusammen macht sieben; nun, und welche von den Matrosen sind verläßlich?“ „Höchstwahrscheinlich Trelawneys eigene Leute,“ sagte der Doktor, „die er selbst aufgabelte, bevor er Silver traf.“ „Nein,“ antwortete der Squire, „Hands war einer von den meinen.“ „Ich hätte wirklich gedacht, daß man sich auf Hands verlassen könne“, fügte der Kapitän hinzu. „Und zu denken, daß sie alle Engländer sind!“ brach der Squire aus. „Herr, ich wäre imstande, das Schiff in die Luft gehen zu lassen.“ „Nun, meine Herren,“ sagte der Kapitän, „das beste, was ich raten kann ist nicht viel: wir müssen, wenn es Ihnen beliebt, beilegen und scharf Wache halten. Das ist langweilig für Männer, ich weiß, es wäre viel angenehmer zuzuschlagen. Aber da kann man nichts machen, ehe wir unsere Leute kennen. Beilegen und auf guten Wind warten, das ist meine Meinung.“ „Jim“, sagte der Doktor, „kann uns mehr helfen als sonst jemand, denn die Leute sind ihm gegenüber nicht zurückhaltend und Jim ist ein Junge, der gleich was merkt.“ „Hawkins, ich setze ungeheures Vertrauen in dich“, fügte der Squire hinzu. Ich war sehr verzweifelt darüber, denn ich fühlte mich vollkommen hilflos. Dennoch kam durch eine sonderbare Verkettung von Umständen gerade durch mich die Rettung. Immerhin, man mochte reden was man wollte, wir waren nur sieben von sechsundzwanzig, auf die man sich verlassen konnte, und von diesen sieben war einer ein Knabe, so daß die Erwachsenen bloß sechs gegen neunzehn waren. _Dritter Teil_ _Mein Abenteuer zu Lande_ Dreizehntes Kapitel Wie ich mein Landabenteuer begann Als ich am nächsten Morgen auf Deck kam war das Aussehen der Insel vollständig verändert. Trotzdem die Brise jetzt gänzlich umgeschlagen war, hatten wir während der Nacht ein gutes Stück Weg zurückgelegt und lagen nun in Windstille verfallen ungefähr ein halbe Meile südöstlich von der niedrigen östlichen Küste. Graufarbene Wälder bedeckten einen großen Teil des Landes. Diese gleichmäßige Farbe wurde nur durch Streifen gelber Sandbrüche in den tiefer gelegenen Teilen und durch viele hohe Bäume einer Tannenart unterbrochen, welche die übrigen überragten und zum Teil einzeln, zum Teil in Gruppen standen; doch die Färbung des Ganzen war einförmig und traurig. Die Berge erhoben sich als nackte Felsentürme aus den Wäldern. Alle waren seltsam geformt und das „Fernrohr“, welches drei- oder vierhundert Fuß über die Insel hinausragte, hatte die sonderbarste Gestalt, denn es lief von allen Seiten fast senkrecht aufwärts und war oben an der Spitze abgeplattet wie ein Sockel für ein Standbild. Die Hispaniola ließ in die ansteigende Flut das Speigattwasser ablaufen, die Kräne zogen an den Blöcken, das Steuer schlug hin und her und das ganze Schiff krachte, stöhnte und lärmte wie eine Fabrik. Ich mußte mich fest an den Pardunen anhalten, denn die Welt drehte sich schwindelnd vor meinen Augen. Denn trotzdem ich unterwegs ein ziemlich guter Seemann war, konnte ich dieses Stilliegen und dabei wie eine Flasche Herumgerolltwerden, nie ohne ein gewisses Übelbefinden ertragen, besonders am Morgen auf nüchternem Magen. Vielleicht lag es daran, oder war es der Anblick der Insel mit ihren grauen melancholischen Wäldern und ihren wilden Steintürmen, und die Brandung, die wir an der steilen Küste schäumen sehen und donnern hören konnten, mir wenigstens fiel das Herz in die Hosen, trotzdem die Sonne leuchtend und warm schien und die Ufervögel rund um uns jagten und lärmten und jeder hätte glauben müssen, daß man nach so einer langen Seefahrt nur zu gerne ans Land ginge. Von diesem ersten Blick an haßte ich die Schatzinsel aus tiefstem Herzen. [Illustration] Wir hatten ein schweres Stück Morgenarbeit vor uns, denn es war gar kein Anzeichen von Wind zu spüren und die Boote mußten heruntergelassen und bemannt und das Schiff mußte drei oder vier Meilen rund um das Ende der Insel und den engen Eingang zum Hafen hinter die Skelettinsel hineinbugsiert werden. Ich ging freiwillig auf eines der Boote, wo ich natürlich nichts zu tun hatte. Die Hitze war drückend und die Leute murrten wild über ihre Arbeit. Anderson hatte den Befehl über mein Boot und anstatt die Mannschaft zur Ordnung zu verhalten, brummte er ärger als die anderen. „Na,“ sagte er mit einem Fluch, „es ist ja nicht für ewig.“ Ich hielt das für ein sehr schlechtes Zeichen, denn bis dahin hatten die Leute gut gelaunt und eifrig ihre Arbeit verrichtet, doch der bloße Anblick der Insel hatte die Zügel der Disziplin gelockert. Während der ganzen Einfahrt stand der lange John beim Steuermann und lotste das Schiff. Er kannte den Weg wie seine Handfläche, und obwohl der Mann in den Ketten überall mehr Wasser bekam als auf der Karte bezeichnet war, zögerte John nicht ein einziges Mal. „Das ist schwer mit der Ebbe,“ sagte er, „und diese Durchfahrt hier ist sozusagen mit dem Spaten ausgegraben worden.“ Wir kamen gerade an den Punkt wo auf der Karte der Ankerplatz lag, etwa eine Drittelmeile von beiden Ufern entfernt, und hatten den Hauptteil der Insel auf der einen Seite und die Skelettinsel auf der anderen. Der Boden bestand aus reinem Sand. Das Aufschlagen unseres Ankers störte ganze Wolken von Vögeln auf, welche sich schreiend und Kreise ziehend über die Wälder verteilten, doch in weniger als einer Minute kamen sie wieder herab und alles war wieder still. Der Ort war ganz eingeschlossen, in Wäldern begraben und die Bäume standen bis hinunter zum Wasser. Die Ufer waren zum größten Teil flach und die Bergspitzen standen rund amphitheatralisch angeordnet, eine da, eine dort. Zwei kleine Flüsse oder vielmehr Sümpfe mündeten in den Teich, wie man diese stehende Wasserfläche bezeichnen konnte. Das Grün rings um diesen Teil des Ufers hatte eine Art giftigen Leuchtens. Vom Schiffe her konnten wir vom Haus und den Palisaden nichts sehen, weil alles von Bäumen ganz überdeckt war. Und wenn wir nicht die Karte in der Kajüte gehabt hätten, hätten wir glauben können, wir seien die ersten, die jemals auf dieser Insel Anker geworfen hatten seit sie dem Meere entstiegen war. Nicht ein Lüftchen regte sich, kein anderer Laut war zu hören als der Anprall der Brandung gegen die Küste und die Felsenklippen, eine halbe Meile weiter draußen. Ein seltsamer, stehender Geruch hing über dem Ankerplatz -- ein Geruch von verfaulten Blättern und faulenden Baumstämmen. Ich bemerkte, wie der Doktor schnupperte, wie einer, der ein schlechtes Ei riecht. „Ich weiß nicht, ob es hier einen Schatz gibt,“ sagte er, „aber ich will meine Perücke wetten, daß es hier Fieber gibt.“ Wenn das Benehmen der Leute schon im Boot beunruhigend ausgesehen hatte, wurde es jetzt, als sie an Bord kamen, wirklich bedrohlich. Sie lagen brummend im Gespräch miteinander, auf Deck. Der kleinste Befehl wurde mit finsteren Blicken aufgenommen und unter Murren und schlecht ausgeführt. Selbst die verläßlichen Leute mußten angesteckt worden sein, denn es war nicht ein Mann an Bord, der besser gewesen wäre als die anderen. Meuterei hing über uns wie eine Donnerwolke, das war klar. Und nicht wir allein von der Kabinenpartei bemerkten die Gefahr. Der lange John war tüchtig an der Arbeit, ging von Gruppe zu Gruppe, gab überall guten Rat und es konnte kein besseres Beispiel geben als das seine. Er zerriß sich förmlich vor Höflichkeit und Dienstfertigkeit und stand lächelnd jedermann zu Diensten. Wenn ein Befehl gegeben wurde, war sofort John auf seiner Krücke da, mit dem höflichsten „Ja, ja, Herr!“ von der Welt, und wenn es nichts anderes zu tun gab, stimmte er ein Lied nach dem anderen an, wie um die Unzufriedenheit der übrigen zu verschleiern. Von allen düsteren Vorzeichen dieses düsteren Nachmittages schien diese deutliche Angst von seiten des langen John das ärgste. Wir hielten in der Kabine Rat. „Herr,“ sagte der Kapitän, „wenn ich noch einen Befehl wage, kommt das ganze Schiff auf einen Schlag über uns. So ist es nun einmal, Herr. Ich bekomme eine freche Antwort, nicht wahr? Nun, und wenn ich entsprechend antworte, gehen im Augenblick die Spieße in die Höhe. Wenn ich das nicht tue, sieht Silver, daß etwas dahintersteckt und wir sind verloren. Wir haben also nur einen Mann, auf den wir uns verlassen können.“ „Und wer ist das?“ fragte der Squire. „Silver, Herr,“ erwiderte der Kapitän, „ihm liegt so viel daran wie Ihnen und mir, die Sache zu unterdrücken. Er wird ihnen ihr Schmollen bald ausreden, wenn man ihm nur Gelegenheit dazu gibt, und ich schlage vor, ihm sie zu geben. Lassen wir die Leute einen Nachmittag an Land. Wenn sie alle gehen, nun, dann werden wir das Schiff verteidigen. Wenn keiner von ihnen geht, werden wir die Kabine halten und Gott beschütze dann das Recht. Wenn ein paar gehen, so passen Sie auf, Herr, wird Silver sie an Bord zurückbringen, sanft wie Lämmer.“ Das wurde beschlossen. An alle sicheren Männer wurden geladene Pistolen verteilt. Hunter, Joyce und Redruth wurden ins Vertrauen gezogen und nahmen die Mitteilung mit weniger Überraschung und in besserer Haltung auf als wir angenommen hatten, und dann ging der Kapitän auf Deck und sprach die Mannschaft an. „Burschen,“ sagte er, „wir haben einen heißen Tag gehabt und sind alle müde und in schlechter Stimmung. Ein Ausflug ans Land wird niemandem schaden -- die Boote sind noch im Wasser. Ihr könnt die leichten Ruderkähne nehmen und so viele wollen können am Nachmittag ans Land gehen. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werde ich einen Schuß abfeuern lassen.“ Ich glaube die dummen Jungen müssen gedacht haben, daß sie sofort beim Landen über Schätze stolpern müßten, denn im Augenblick schwand ihr ganzer Trotz und sie brachen in ein Hurra aus, daß es laut widerhallte und die Vögel rings um den Ankerplatz wieder erschreckt aufflogen. Der Kapitän war zu gescheit, um im Weg herumzustehen. Er war sofort verschwunden und überließ es Silver den Ausflug zu arrangieren. Und es scheint mir, daß er gut daran tat. Denn wenn er auf Deck geblieben wäre, hätte er nicht einmal vorgeben können die Lage nicht zu verstehen, denn sie war klar wie der Tag. Silver war der Kapitän und er hatte es mit einer recht rebellischen Mannschaft zu tun. Die verläßlichen Leute -- und ich sollte es bald bestätigt sehen, daß es solche an Bord gab -- müssen sehr dumme Kerle gewesen sein, oder vielmehr war die Sache, glaube ich, so, daß alle durch das Beispiel der Rädelsführer angesteckt waren -- nur manche mehr, manche weniger, und einige, die im Wesen gute Kerle waren, konnten weder verleitet noch weiter vorwärtsgetrieben werden. Es ist ein anderes Ding, faul und trotzig zu sein, und wieder ein ganz anderes, ein Schiff zu rauben und eine Anzahl unschuldiger Leute niederzuhauen. Endlich ordnete sich die Gesellschaft. Sechs Mann sollten an Bord bleiben und die übrigen dreizehn, Silver mit eingeschlossen, begannen sich einzubooten. Gerade in diesem Augenblick ging mir der erste der verrückten Einfälle durch den Kopf, die so sehr dazu beigetragen haben, uns das Leben zu retten. Wenn Silver sechs Mann zurückließ, so war es klar, daß unsere Partei nicht das Schiff nehmen und verteidigen konnte, und da es nur sechs waren, war es ebenso klar, daß die Kabinenpartei gegenwärtig meine Hilfe nicht brauchte. Sofort kam ich auf die Idee ans Land zu gehen. In einem Nu war ich in eines der nächsten Boote geschlüpft, das fast im selben Augenblick abfuhr. Niemand beachtete mich, nur der Ruderer am Bug fragte: „Bist du’s, Jim? Duck dich!“ Doch Silver schaute aus dem nächsten Boot scharf her und rief zu uns herüber, um zu erfahren, ob ich da sei. Und von diesem Augenblick an begann ich zu bedauern, daß ich mitgekommen war. Die Boote fuhren um die Wette ans Ufer, doch das, in welchem ich saß, hatte einen kleinen Vorsprung, und da es auch leichter und besser bemannt war, schoß es den anderen weit voraus. Als der Bug die Uferbäume berührte, erfaßte ich einen Zweig, schwang mich hinaus und war im Dickicht verschwunden, als Silver und die übrigen noch hundert Meter hinter uns waren. „Jim, Jim!“ hörte ich ihn rufen. Aber man kann sich denken, daß ich darauf nicht hörte. Springend, mich duckend und durch das Dickicht brechend, rannte ich der Nase nach weiter bis ich nicht mehr konnte. Vierzehntes Kapitel Der erste Schlag Ich war so froh darüber, dem langen John entschlüpft zu sein, daß ich bald begann meine Freiheit zu genießen und mit Interesse das merkwürdige Land betrachtete, in welchem ich mich befand. Ich durchkreuzte eine sumpfige, mit Weiden, Binsen und seltsamen fremdländischen Sumpfpflanzen bestandene Strecke und kam nun am Saume eines welligen, sandigen Landstriches heraus, der sich ungefähr eine Meile hinzog und mit einigen Nadelbäumen und vielen verkrüppelten Bäumen bestanden war, die jungen Eichen im Wuchs ähnelten, deren Laub aber blaß wie das der Weiden war. Im Hintergrunde der Lichtung erhob sich einer der Berge mit zwei seltsamen, zerklüfteten Spitzen, die in der Sonne glänzten. Nun empfand ich zum erstenmal die Lust des Forschens. Die Insel war unbewohnt, meine Schiffskameraden waren zurückgeblieben und vor mir gab es nur unvernünftiges Getier. Ich wandte mich hierhin und dorthin, sah unbekannte blühende Pflanzen, da und dort Schlangen und eine erhob ihren Kopf von einer Felsenklippe und zischte mich an mit einem Geräusch, das dem eines Kreisels vergleichbar war. Ich wußte nicht, einen Todfeind vor mir zu haben und daß das Geräusch das berühmte Klappern der Klapperschlange war. Dann kam ich an eine lange Hecke dieser eichenartigen Bäume -- Lebensbäume hörte ich sie später nennen --, welche der Lichtung entlang wie Brombeersträucher wuchsen, mit seltsam verschlungenen Zweigen und festem, strohähnlichem Laube. Das Dickicht erstreckte sich von der Spitze einer der sandigen Kuppen, breitete sich aus und wurde höher bis es den Rand des breiten, schilfreichen Moors erreichte, durch welches sich der kleinere der beiden Flüsse seinen Weg zum Ankerplatz bahnte. Das Moor dampfte in der heißen Sonne und die Umrisse des „Fernrohres“ zitterten im Nebel. Plötzlich ging eine Art Wispern durch die Binsen, eine wilde Ente flog quäkend auf, eine zweite folgte und bald hing über der ganzen Fläche des Moores eine große Wolke von schreienden, kreisenden Vögeln in der Luft. Ich dachte mir sofort, daß ein paar meiner Schiffskameraden sich dem Saume des Moores entlang nähern mochten und hatte mich nicht geirrt, denn bald hörte ich ganz von ferne und leise die Laute einer menschlichen Stimme, die immer näher kamen. Dies versetzte mich in große Furcht und ich kroch hinter den nächststehenden Lebensbaum und lag dort zusammengekrümmt, lauschend, mäuschenstill. Eine zweite Stimme antwortete und dann nahm die erste, welche ich als die Silvers erkannte, noch einmal den Faden einer Rede auf und sprach lange in einem Fluß weiter, nur dann und wann von der zweiten unterbrochen. Nach dem Klange zu schließen, sprachen sie ernst und fast leidenschaftlich miteinander, doch konnte ich kein Wort deutlich vernehmen. Endlich schienen die Sprechenden einzuhalten und sich vielleicht niederzusetzen, denn ich hörte die Stimmen nicht mehr näherkommen und auch die Vögel begannen ruhiger zu werden und sich wieder auf ihre Brutplätze im Sumpf niederzulassen. Nun begann ich zu empfinden, daß ich meine Pflicht verabsäumte; denn da ich schon so tollkühn gewesen war, mit den Desperados ans Land zu gehen, so war das wenigste, was ich tun konnte, ihre Beratungen zu belauschen. Es schien meine klare und offenkundige Pflicht ihnen, vom Dickicht gedeckt, so nahe wie irgend möglich zu kommen. Ich konnte die Richtung der Sprecher nicht nur aus dem Klang der Stimmen, sondern auch aus dem Gehaben der Vögel, die immer noch beunruhigt über den Köpfen der Eindringlinge kreisten, ziemlich genau erraten. Auf allen Vieren kriechend näherte ich mich ihnen langsam aber stetig, bis ich endlich durch eine Öffnung im Gezweig in eine kleine, grüne Schlucht neben dem Moor, die ganz mit Bäumen bestanden war, hineinblicken konnte wo der lange John Silver und ein anderer Matrose sich im Gespräch gegenüberstanden. [Illustration] Sie standen im vollen Sonnenlicht, Silvers Hut lag neben ihm auf dem Boden und sein großes, freundliches, helles Gesicht, das vor Hitze glänzte, blickte bittend zu dem anderen Mann auf -- „Maat,“ sagte er gerade, „nur weil ich dich für einen goldenen Kerl halte, ja, du bist ein goldener Mensch, das ist wahr, wenn ich nicht wie Pech an dir hängen würde, glaubst du, ich würde dich hernehmen, um dich zu warnen? Alle sind auf, da kann man nichts daran ändern. Ich rede nur, um dir deinen Hals zu retten, und wenn einer der wilden Kerle davon wüßte, wo wäre ich jetzt, Tom? -- Nun sage mir, wo wäre ich jetzt?“ „Silver,“ sagte der andere Mann -- und ich bemerkte, daß nicht nur sein Gesicht gerötet war, sondern daß er auch heiser sprach wie eine Krähe und daß seine Stimme zitterte wie ein straffgespanntes Tau -- „Silver,“ sagte er, „du bist alt und ehrlich oder giltst wenigstens dafür, und du hast auch Geld, was die meisten Seeleute nicht haben, und bist tapfer, oder ich irre mich sehr in dir. Und du willst mir einreden, daß du dich von diesen Waschlappen in so eine Sache hineinreißen läßt, nein, das glaube ich nicht. So wahr mich Gott sieht, da würde ich lieber meine Hand verlieren, ehe ich meine Pflicht verlasse --“ Und plötzlich wurde er durch einen Lärm unterbrochen. Ich hatte nun einen der verläßlichen Leute entdeckt -- und hier kam gerade in demselben Augenblick Nachricht von einem anderen. Plötzlich erhob sich weit draußen im Moor ein Ton, der wie ein wütender Ruf klang, darauf ein zweiter und dann ein schauerlicher, langgezogener Schrei. Die Felsen des „Fernrohrs“ widerhallten ihn viele Male, der ganze Strich Sumpfvögel stieg wieder auf mit viel Geschwirre und verdunkelte den Himmel. Und lange noch klang jener gellende Todesschrei in meiner Seele, als sich schon längst wieder Stille eingestellt hatte und nur mehr das Geflatter der wieder sich senkenden Vögel und das Donnern der fernen Brandung die Stille des Nachmittages unterbrach. Tom war bei diesem Ton wie ein Roß unter dem Sporn aufgesprungen, doch Silver zuckte nicht mit der Wimper, er blieb stehen wo er war, leicht an seine Krücke gelehnt und beobachtete seinen Gefährten wie eine Schlange, die sich zum Sprunge bereit macht. „John“, sagte der Matrose und streckte ihm die Hand entgegen. „Hände weg!“ schrie Silver und sprang mit der Schnelligkeit und Sicherheit eines gelernten Turners einen Schritt zurück. „Hände weg, wenn Ihr wollt, John Silver,“ sagte der andere, „nur ein schlechtes Gewissen kann sich vor mir fürchten. Aber sagt mir um Himmelswillen, was war das?“ „Das?“ erwiderte Silver lächelnd, aber verschmitzter als je, während seine Augen, nur Stecknadelköpfe in dem breiten Gesicht, wie Glasscherben glänzten, „das, oh, das wird wohl Alan gewesen sein!“ Da flammte der arme Tom wie ein Held auf. „Alan!“ rief er, „dann Friede der Seele dieses echten Matrosen! Und Ihr, John Silver, seid lange mein Kamerad gewesen, aber Ihr seid es nicht mehr. Und sollte ich wie ein Hund sterben, ich will meiner Pflicht treu bleiben. Ihr habt Alan getötet, nicht wahr? Tötet mich auch, wenn Ihr könnt. Aber ich bin nicht Euer Gefährte.“ Und darauf wandte der tapfere Kerl dem Koch den Rücken und wandte sich der Küste zu. Aber er sollte nicht weit kommen. Mit einem Schrei ergriff John einen Baumzweig, riß die Krücke aus seiner Achselhöhle heraus und sandte dieses ungefüge Wurfgeschoß dem Fortgehenden nach. Die Spitze traf den armen Tom mit unglaublicher Heftigkeit genau zwischen den Schultern in den Rücken. Seine Hände flogen in die Höhe, er stieß ein Stöhnen aus und fiel. Wie heftig er verwundet wurde konnte man nicht sagen, wahrscheinlich wurde ihm, nach dem Klang zu schließen, das Rückgrat sofort gebrochen. Auf keinen Fall hatte er Zeit wieder zu sich zu kommen, denn Silver, der auch ohne Bein und Krücke beweglich war wie ein Affe, lag im nächsten Augenblicke über ihm und stieß zweimal sein Messer bis zum Heft in den bewegungslosen Körper. Von meinem Hinterhalt aus konnte ich ihn dabei laut keuchen hören. Ich weiß nicht genau wie das ist, wenn man ohnmächtig wird, aber ich weiß, daß in den nächsten Minuten mir die ganze Welt in einem wirbelnden Nebel verschwamm. Silver und die Vögel und die hohe Spitze des „Fernrohres“ tanzten vor meinen Augen auf und ab und alle möglichen Glocken und fernen Stimmen klangen mir in den Ohren. [Illustration] Als ich wieder zu mir kam, hatte sich das Ungeheuer schon zurechtgerichtet und hatte seine Krücke unter dem Arm und den Hut auf dem Kopfe. Gerade vor ihm lag Tom bewegungslos auf dem Rasen. Doch der Mörder beachtete ihn mit keinem Blick und reinigte sein blutbeflecktes Messer mit einem Grasbüschel. Sonst war alles unverändert. Immer noch schien die Sonne unbarmherzig auf das dampfende Moor und den steilen Turm des Berges, und ich konnte selber kaum glauben, daß einen Augenblick vorher wirklich ein Mord geschehen und ein menschliches Leben vor meinen Augen grausam entzweigeschnitten worden war. Doch nun griff John in die Tasche, brachte eine Pfeife zum Vorschein und blies darauf eine Reihe von Tönen, die durch die heiße Luft weit hinausklangen. Ich kannte natürlich den Sinn dieses Zeichens nicht, aber es erweckte sofort meine Furcht. Es würden mehr Leute kommen, ich könnte entdeckt werden. Zwei von den anständigen Leuten hatten sie schon erschlagen, würde nach Tom und Alan ich nicht der nächste sein? Sofort begann ich, so eilig und geräuschlos ich nur konnte mich aus dem Dickicht herauszuschälen und dem offenen Teil des Waldes zuzustreben. Dabei hörte ich wie der alte Freibeuter mit seinen Gefährten Rufe wechselte und dieses Zeichen der Gefahr verlieh mir Flügel. Sowie ich aus dem Dickicht draußen war, rannte ich wie nie zuvor, wenig auf die Richtung achtend und nur darauf bedacht, von den Mördern wegzukommen. Und während ich lief, wuchs meine Furcht mehr und mehr, bis sie sich in eine Art Irrsinn verwandelte. Und wer konnte wahrlich sicherer verloren sein als ich? Konnte ich es wagen, sobald der Schuß vom Schiff ertönte, zwischen diesen Teufeln, die noch vom Blute rauchten, zu den Booten hinunterzugehen? Würde mir nicht der erste von ihnen, der mich erblickte, den Hals umdrehen wie einer Schnepfe? Würde nicht die Tatsache meiner Abwesenheit allein ihnen ein Beweis sein für meine Furcht und daher auch für mein Wissen von ihren Missetaten? Alles war nun vorüber, dachte ich. Lebewohl Hispaniola, lebewohl Squire, Doktor und Kapitän! Mir blieb nichts als der Hungertod oder der Tod durch die Hand der Meuterer. Indessen lief ich, wie gesagt, immer weiter und ohne es zu beachten war ich in die Nähe des Fußes des kleinen Hügels mit den zwei Spitzen gekommen und in jenen Teil der Insel gelangt, wo die Lebensbäume weiter auseinanderstanden und in der Größe und dem Aussehen mehr Waldbäumen glichen. Sie waren untermischt mit einigen zerstreuten Nadelbäumen, die fünfzig bis siebzig Fuß hoch waren. Auch die Luft roch hier frischer als unten am Sumpfe. Doch hier brachte mich ein neuer Schrecken mit klopfendem Herzen zum Stehen. Fünfzehntes Kapitel Der Mann der Insel Von der Seite des Berges, der hier steil und steinig war, hatte sich ein Stück Kies gelöst und stürzte nun polternd zwischen den Bäumen herunter. Instinktiv wandte ich meine Augen nach jener Richtung und sah eine Gestalt mit großer Geschwindigkeit hinter dem Stamm einer Fichte verschwinden. Was es war, ob Bär, Mensch oder Affe, konnte ich nicht sehen, es schien dunkel und zottig, mehr sah ich nicht, doch der Schrecken über diese neue Erscheinung ließ mich im Lauf innehalten. Ich war nun, wie es schien, auf beiden Seiten abgeschnitten; hinter mir die Mörder, vor mir jenes lauernde Etwas. Und sofort begann ich die Gefahren, die ich kannte, den unbekannten vorzuziehen. Silver selbst schien, mit diesem Waldgeschöpf verglichen, weniger gefährlich, und ich drehte mich auf dem Absatz um und begann meine Schritte in die Richtung der Boote zu wenden. Sofort erschien die Gestalt wieder und fing, einen weiten Kreis ziehend an, mir den Weg abzuschneiden. Ich war gewiß müde, aber selbst wenn ich noch so frisch gewesen wäre wie beim Erwachen, wäre es ganz vergeblich gewesen es an Schnelligkeit mit einem solchen Gegner aufzunehmen. Von einem Baumstrunk zum anderen flog das Wesen wie ein Wild menschenähnlich auf zwei Beinen laufend und doch allen Menschen unähnlich, die ich jemals gesehen hatte. Es bückte sich beim Laufen tief, so daß es wie zusammengeklappt aussah, dennoch war es ein Mensch, darüber konnte ich nicht länger im Zweifel sein. Ich erinnerte mich an alles, was ich von Menschenfressern gehört hatte. Um ein Haar war ich daran, um Hilfe zu rufen, doch die bloße Tatsache, daß es ein Mensch war, wenn auch ein wilder, beruhigte mich etwas und in gleichem Ausmaße wuchs wieder meine Furcht vor Silver. Ich blieb daher stehen und sah mich nach einem Ausweg um; plötzlich erinnerte ich mich meiner Pistole. Sowie mir einfiel, daß ich nicht wehrlos war wuchs mein Mut, ich wandte mich entschlossen diesem Inselmenschen zu und ging gerade auf ihn los. Er war jetzt wieder hinter einem Baumstrunk verborgen, doch schien er mich genau beobachtet zu haben, denn als ich mich in seine Richtung wandte erschien er wieder und machte einen Schritt auf mich zu. Dann zögerte er, zog sich wieder zurück, kam mir wieder entgegen und schließlich, zu meinem Erstaunen und zu meiner Verwirrung, warf er sich vor mir auf die Knie und hielt mir seine aufgehobenen Hände bittend entgegen. Bei diesem Anblick stand ich still. „Wer seid Ihr?“ fragte ich. „Ben Gunn“, antwortete er, und seine Stimme klang heiser und sonderbar wie ein verrostetes Schloß. „Ja, ich bin der arme Ben Gunn, der bin ich und seit drei Jahren habe ich mit keinem Christenmenschen gesprochen.“ Ich konnte nun sehen, daß ich einen Weißen vor mir hatte und daß seine Gesichtszüge sogar angenehm waren. Seine Haut schien von der Sonne verbrannt und selbst seine Lippen waren schwarz, so daß seine hellen Augen ganz überraschend aus dem dunklen Gesicht herausleuchteten. Von allen Bettlern, die ich jemals gesehen hatte, leistete er sich das ärgste an Zerlumptheit. Er war in Fetzen von alter Schiffsleinwand und Segeltuch gehüllt und dieses merkwürdige Flickwerk wurde durch ein System der verschiedenartigsten, komischsten Befestigungen: Metallknöpfen, Teilen von Bootshaken und Schlingen aus geteertem Tau zusammengehalten. Um den Leib trug er einen alten Ledergürtel mit Metallschließe, der das einzige ordentliche Stück dieser sonderbaren Ausstaffierung darstellte. „Drei Jahre!“ rief ich, „seid Ihr schiffbrüchig?“ „Nein, Kamerad,“ sagte er, „ausgesetzt.“ Ich hatte das Wort schon gehört und wußte, daß es eine furchtbare Strafe bedeutete, welche bei den Freibeutern gang und gäbe ist und die darin besteht, daß der Missetäter mit etwas Pulver und Blei versehen, auf irgendeiner einsamen, fernen Insel zurückgelassen wird. „Vor drei Jahren ausgesetzt,“ fuhr er fort, „und seitdem von Wild, Beeren und Austern gelebt. Wo ein Mensch hinkommt, sage ich, kann er schon für sich sorgen. Aber Kamerad, wie sehne ich mich nach ehrlicher Christenkost! Habt Ihr nicht zufällig ein Stück Käse bei Euch? Nein? Ach, so manche lange Nacht hab’ ich von Käse geträumt -- meist von geröstetem -- und als ich aufgewacht bin, saß ich hier.“ „Wenn ich je wieder an Bord komme sollt Ihr einen ganzen Laib bekommen“, versprach ich ihm. Inzwischen befühlte er fortwährend den Stoff meiner Jacke, streichelte meine Hände, bewunderte meine Schuhe und zeigte überhaupt in den Pausen seiner Rede kindliches Entzücken über die Gesellschaft eines Mitmenschen. Doch bei meinen letzten Worten spähte er mit einer Art erschreckter Verschlagenheit zu mir herüber. „Wenn Ihr je wieder an Bord kommt, sagt Ihr?“ fragte er. „Ja, wer sollte Euch daran hindern?“ „Ihr nicht, ich weiß“, war meine Antwort. „Natürlich nicht,“ rief er, „nun und -- wie heißt Ihr, Kamerad?“ „Jim“, sagte ich. „Jim, Jim“, wiederholte er sichtlich erfreut. „Nun Jim, ich habe ein so schlechtes Leben geführt, daß Ihr Euch schämen werdet es anzuhören. Also zum Beispiel, würdet Ihr glauben, daß ich eine fromme Mutter hatte, wenn Ihr mich anschaut?“ fragte er. „Nein, nicht unbedingt“, antwortete ich. „Ah, und sie war _besonders_ fromm. Und auch ich war ein braver, frommer Junge, der seinen Katechismus so schnell herplappern konnte, daß man kein Wort verstand. Und das ist dabei herausgekommen! Angefangen hat es mit dem Kopf und Adlerspiel auf diesen verflixten Grabsteinen! Aber es ging weiter als das und meine Mutter hatte es gewußt und mir oft alles vorhergesagt, die fromme Frau! Aber die Vorsehung hat mich hergebracht. Das habe ich mir alles auf dieser einsamen Insel ausgedacht und hab mich doch wieder zu den Frommen geschlagen. Nicht _das_ bißchen Rum werdet Ihr mich kosten sehen. Gerade nur einen Fingerhut voll, zum Gesundheit trinken natürlich, sowie ich einen zu sehen kriege. Ich schwöre ich will mich gut halten. Und Jim“ -- dabei dämpfte er seine Stimme zum Flüstern -- „ich bin reich.“ Ich war nun überzeugt, daß der arme Bursche in seiner Einsamkeit verrückt geworden war und er mag diesen Gedanken in meinen Mienen gelesen haben, denn er wiederholte hitzig: „Reich! Reich! sage ich. Und ich werde Euch was sagen Jim, ich werde einen reichen Mann aus Euch machen. Oh Jim, Ihr werdet den lieben Gott auf den Knien danken, sicher, daß Ihr der erste wart, der mich gefunden hat.“ Doch da senkte sich plötzlich ein Schatten über sein Gesicht, er ergriff meine Hand fester und er hob drohend den Zeigefinger. „Jim, sagt mir die Wahrheit: Das ist doch nicht Flints Schiff?“ fragte er. Darauf hatte ich einen glücklichen Einfall. Ich fing an zu hoffen, daß ich einen Verbündeten gefunden hatte, und antwortete ihm sofort: „Es ist nicht Flints Schiff und Flint ist tot, doch will ich Euch die Wahrheit sagen, da Ihr mich befragt -- wir haben ein paar von Flints Matrosen an Bord und das ist schlimm genug für uns andere.“ „Doch nicht ein Mann -- mit einem -- Bein?“ keuchte er. „Silver?“ fragte ich. „Ja, Silver,“ sagte er, „so hieß er.“ „Er ist der Koch und der Rädelsführer obendrein.“ Er hielt mich noch immer am Handgelenk und dabei preßte er es fest zusammen. „Wenn Ihr vom langen John geschickt seid,“ sagte er, „dann bin ich so gut wie geliefert, das weiß ich. Aber wie steht’s denn mit Euch?“ Ich entschloß mich im Augenblick ihm die ganze Geschichte unserer Reise und die schlimme Lage zu erzählen, in welcher wir uns jetzt befanden und er hörte mit leidenschaftlicher Teilnahme zu, und als ich zu Ende war streichelte er mich. „Ihr seid ein guter Junge, Jim,“ sagte er, „und Ihr seid alle in einer bösen Patsche, was? Nun vertraut nur dem Ben Gunn -- Ben Gunn wirds schon machen. Aber hört einmal, glaubt Ihr, daß Euer Squire, wenn ich ihm helfen würde -- da er doch, wie Ihr sagt, in der Patsche steckt --, glaubt Ihr, daß er sich freigebig zeigen würde?“ Ich sagte ihm, daß der Squire der freigebigste Mensch der Welt sei. „Ja, aber die Sache ist so,“ erwiderte Ben Gunn, „ich will nicht vielleicht, daß er mich als Torhüter anstellt und mir eine Livree schenkt oder etwas dergleichen. Das ist nicht mein Fall, Jim. Ich meine: ist es wahrscheinlich, daß er sich entschließen würde, jemanden, der ihm so hilft, sagen wir tausend Pfund von dem Geld zu geben, das eigentlich schon so gut wie mein Eigen ist?“ „Das würde er sicherlich,“ sagte ich, „ohnehin hätte alles geteilt werden sollen.“ „Und eine freie Heimreise dazu?“ fügte er mit einem ungeheuer schlauen Blick hinzu. „Aber,“ rief ich aus, „der Squire ist ein Gentleman und außerdem brauchen wir Euch ja, wenn wir die anderen los werden, als Hilfe auf dem Schiffe auf der Heimreise.“ „Ja,“ sagte er, „natürlich braucht Ihr mich“, und schien sehr beruhigt. „Jetzt werde ich Euch etwas sagen“, fuhr er fort. „Soviel sag’ ich Euch und nicht mehr: Ich war auf Flints Schiff, als er den Schatz vergrub, er und sechs andere -- sechs starke Seeleute. Sie blieben fast eine Woche am Lande und wir warteten im Hafen auf dem alten ‚Walroß‘. Eines schönen Tages bekamen wir das Zeichen und sahen Flint in einem kleinen Boot daherkommen, den Kopf in ein blaues Tuch eingebunden. Die Sonne ging gerade auf und totenblaß sah er aus, wie er da beim Schiff anlangte. Doch da war er nun, versteht Ihr, und die sechs anderen alle tot -- tot und begraben. Wie er das gemacht hat konnte keiner von uns erfahren. Es war eine Schlacht, ein Mord und gewaltsamer Tod zumindest -- er gegen sechs! Billy Bones war Maat, der lange John Quartiermeister und die beiden fragten ihn, wo der Schatz sei. Nun, sagte er, ihr könnt ans Ufer gehen, wenn ihr wollt und dort bleiben, sagte er, das Schiff wird schon noch andere auftreiben, zum Donner! Das war alles, was er sagte. Nun, ich war vor drei Jahren auf einem anderen Schiff und wir sichteten diese Insel. ‚Jungens,‘ sagte ich, ‚hier liegt Flints Schatz, gehen wir ans Land und suchen wir ihn.‘ Dem Kapitän war es unangenehm, doch meine Kameraden waren alle einverstanden und wir landeten. Zwölf Tage lang suchten sie und jeden Tag wurden sie gröber mit mir, bis sie eines schönen Morgens alle wieder an Bord gingen. ‚Was Euch anlangt, Benjamin Gunn,‘ sagten sie, ‚hier ist ein Gewehr, ein Spaten und eine Spitzhacke. Ihr könnt hier bleiben und Flints Geld allein suchen!‘ sagten sie. Nun Jim, drei Jahre bin ich nun hier und von dem Tag bis heute nicht ein Bissen Christenkost! Und nun schaut einmal her, schaut mich an, schaue ich aus wie ein Matrose? Nein, sagt Ihr, nun ich bin auch keiner, sage ich.“ Und dabei blinzelte er mich an und kniff mich fest in den Arm. „Also, so werdet Ihr es Eurem Squire sagen, Jim“ -- fuhr er fort --: „Er war auch keiner -- so hat ers gesagt, drei Jahre war er der Mann dieser Insel, ob hell, ob finster, ob schön, ob Regen und manchmal hat er schon ans Beten gedacht (müßt Ihr sagen), und manchmal dachte er wohl an seine alte Mutter, ob sie wohl noch leben mag (werdet Ihr sagen), aber den größten Teil seiner Zeit (so werdet Ihr sagen) -- den größten Teil seiner Zeit verwendete er zu anderen Dingen, und dann werdet Ihr ihn ein wenig kneifen, so wie ich Euch jetzt.“ Und wieder zwickte er mich in der vertraulichsten Weise. „Dann,“ fuhr er fort --, „dann steht Ihr auf und sagt folgendes: Gunn ist ein guter Mann (werdet Ihr sagen) und er hat verteufelt mehr Vertrauen zu einem wirklichen, wohlgeborenen Gentleman, als zu diesen Glücksrittern, von denen er selber einer gewesen.“ „Nun,“ sagte ich, „ich verstehe kein Wort von Euren Reden, aber das ist nicht so wichtig, denn wie soll ich an Bord gelangen?“ „Ja,“ sagte er, „natürlich, das ist die Schwierigkeit. Nun, dort ist mein Boot, das ich mit meinen beiden Händen gezimmert habe, ich habe es dort unter dem weißen Felsen versteckt. Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, können wir es probieren, bis es dunkel wird. Hei!“ fuhr er auf, „was ist denn das?“ Denn eben jetzt erscholl, trotzdem noch ein oder zwei Stunden bis zum Sonnenuntergang fehlten, Kanonendonner, der auf der ganzen Insel widerhallte. „Der Kampf hat begonnen!“ rief ich, „folgt mir!“ Und ich rannte gegen den Ankerplatz zu und hatte meine ganze Angst vergessen. An meiner Seite lief leicht und behende der ausgesetzte Mann in seinen Ziegenhäuten. „Links, links!“ sagte er. „Haltet Euch links, Kamerad Jim, in den Schatten mit Euch! Hier habe ich meine erste Ziege getötet, hierher kommen sie nicht, da fürchten sie sich zu sehr vor Benjamin Gunn. Da, hier ist der Gräbegnisort“ -- er meinte natürlich Begräbnisort -- „seht Ihr die Gräber, ich komme manchmal her, hie und da, wenn ich glaube, heut könnte es Sonntag sein. Es ist ja eigentlich keine Kapelle, aber es schaut hier doch feierlicher aus, und dann sagt Ihr ihm Ben Gunn war recht schlecht dran -- keinen Pfarrer, nicht einmal eine Bibel und keine Fahne, müßt Ihr sagen.“ So schwätzte er beim Laufen weiter und erwartete weder noch erhielt er eine Antwort. Dem Kanonenschuß folgte nach einer beträchtlichen Pause eine Salve Kleingewehrfeuer, wieder eine Weile Stille, und dann sah ich plötzlich, keine Viertelmeile vor mir, über einem Wäldchen die britische Flagge in der Luft flattern. [Illustration] _Vierter Teil_ _Das Blockhaus_ Sechzehntes Kapitel (Fortsetzung der Erzählung durch den Doktor) Wie das Schiff preisgegeben wurde Es war etwa halb zwei -- Glock drei in der Seemannssprache --, als die zwei Boote von der Hispaniola ans Land gingen. Der Kapitän, der Squire und ich besprachen uns in der Kabine. Hätten wir nur eine leichte Brise gehabt so hätten wir die sechs Meuterer, die mit uns an Bord geblieben waren, überwältigt, unser Ankertau durchschnitten und wären in See gegangen. Doch blieb es ganz windstill und wie um unsere Hilfslosigkeit zu vervollständigen, kam Hunter mit der Nachricht herunter, daß Jim Hawkins in eines der Boote geschlüpft sei und mit den anderen an Land gegangen war. Es fiel uns nicht ein an Jim Hawkins zu zweifeln, doch fürchteten wir für seine Sicherheit. Wenn wir bedachten, in welcher Laune die Mannschaft war, schien es uns mehr als zweifelhaft, ob wir den Burschen je wiedersehen würden. Wir liefen auf Deck. Das Pech in den Fugen warf Blasen, der abscheuliche Geruch erzeugte mir Unbehagen, man roch förmlich Fieber und Dysenterie in diesem abscheulichen Ankerplatz. Die sechs Schurken saßen brummend im Schatten eines Segels auf dem Vorkastell; wir konnten sehen, wie am Ufer die Ruderboote festgemacht wurden und dort, wo der Fluß mündet, in jedem einen Mann sitzen. Einer von ihnen pfiff „Lillibullero“. Daß bloße Warten war unerträglich und so wurde beschlossen, daß Hunter und ich in der Jolle ans Land gehen sollten, um uns dort umzusehen. Die Ruderboote hatten sich nach rechts gewandt, Hunter und ich hingegen ruderten gerade vorwärts in der Richtung, wo sich nach der Karte die Umzäunung befand. Die beiden Männer, welche man zur Bewachung der Boote zurückgelassen hatte, gerieten bei unserem Erscheinen in Verwirrung; „Lillibullero“ brach ab, und ich konnte sehen, wie das Paar sich darüber beriet, was zu tun sei. Wenn sie sich aufgemacht hätten, um Silver zu berichten, hätte alles ganz anders ausfallen können. Doch hatten sie, vermute ich, ihre Befehle und beschlossen ruhig zu warten, wo sie waren und wieder „Lillibullero“ anzuhören. Die Küste machte hier eine leichte Biegung und ich steuerte so, daß ich diese zwischen uns brachte, so zwar, daß wir schon vor der Landung die Boote aus den Augen verloren. Ich sprang heraus und ging, das heißt, ich lief beinahe vorwärts, mit einem großen Seidentuch, das ich zur Kühlung unter meinen Hut gebreitet hatte, und einem Paar Pistolen, schußbereit in den Händen. Ich hatte noch kaum einige hundert Schritte zurückgelegt, als ich an die Palisaden kam. Dort sah es so aus: Ein Quell frischen Wassers entsprang fast an der Spitze eines Hügels. Auf diesem Hügel war ein starkes Blockhaus errichtet genug groß, um etwa vierzig Leute zur Not aufzunehmen, und mit Schießscharten auf jeder Seite. Rund um das Haus war ein weiter Platz ausgerodet und die Festung wurde vervollständigt durch einen sechs Fuß hohen Pfahlzaun ohne Tor oder Öffnung, der zu fest war, um so schnell und so leicht niedergelegt werden zu können und zu frei lag, um etwaige Angreifer zu schützen. Die Leute im Blockhaus waren in jeder Beziehung im Vorteil. Sie standen ruhig und geschützt und konnten die anderen wie Rebhühner abschießen. Sie mußten nur eine gute Wache und Proviant haben, dann konnten sie sich, wenn sie nicht vollständig überraschend angegriffen würden, gegen ein Regiment halten. Mich entzückte vor allem die Quelle, denn obwohl wir es wahrhaftig in der Kabine der Hispaniola gut hatten, reichlich Waffen und Munition und Eßsachen und vorzügliche Weine, war doch eines übersehen worden -- wir hatten kein Wasser, ich überdachte das eben, als plötzlich gellend der Todesschrei eines Menschen über die Insel hallte. Ich hatte Menschen schon eines gewaltsamen Todes sterben sehen -- ich habe unter Seiner Königlichen Hoheit, dem Herzog von Cumberland, gedient und wurde bei Fontenoy verwundet -- und doch stand mir jetzt das Herz still. -- „Jim Hawkins ist tot“, war mein erster Gedanke. Es ist schon etwas, ein alter Soldat zu sein und noch mehr ein Arzt. Bei unserem Handwerk gibt es kein Zögern und so entschloß ich mich rasch, wandte mich eilig zum Ufer und sprang in die Jolle. Glücklicherweise war Hunter ein guter Ruderer. Wir flogen nur so über das Wasser und bald war ich an Bord des Schooners. Alle schienen ganz erschüttert, was natürlich war. Der Squire saß unten, weiß wie ein Leintuch und grämte sich über das Unheil, in das er uns geführt hatte, die gute Seele! Und auch einer von den sechs Matrosen auf dem Vorkastell sah aus wie eine Leiche. „Dem Mann da“, sagte Kapitän Smollett, ihm zunickend, „ist die Sache neu, er fiel fast in Ohnmacht, als er den Schrei hörte. Noch ein Ruderschlag und der Mann käme zu uns.“ Ich erzählte meinen Plan dem Kapitän und wir setzten die Einzelheiten seiner Ausführung miteinander fest. Den alten Redruth stellten wir mit drei oder vier geladenen Gewehren und einer Matratze als Deckung in den Gang zwischen der Kabine und dem Vorkastell. Hunter brachte das Boot zum Hinterdeck und Joyce und ich beluden es mit Pulverbüchsen, Gewehren, Zwiebacksäcken, Fässern mit gesalzenem Schweinefleisch, einem Faß Kognak und meinem unschätzbaren Arzneischrank. Inzwischen blieben der Squire und der Kapitän auf Deck und letzterer rief den Bootsführer an, der der oberste Matrose an Bord war. „Herr Hands,“ sagte er, „wir beide haben jeder ein paar Pistolen in der Hand. Wenn einer von euch sechs irgendein Signal gibt, ist der Mann tot.“ Sie fuhren zurück. Nach einer kleinen Beratung stolperten sie alle die vordere Lukenkappe hinunter und wollten uns ohne Zweifel in den Rücken fallen. Doch als sie sahen, daß Redruth in dem abgesperrten Gang auf sie wartete, gingen sie gleich wieder hinauf und ein Kopf zeigte sich plötzlich wieder auf Deck. „Nieder, Hund!“ schrie der Kapitän und sofort huschte der Kopf zurück und wir hörten vorläufig nichts mehr von diesen sechs sehr kleinmütigen Seeleuten. Inzwischen hatten wir die Jolle, so schwer wir konnten, beladen und stopften die Sachen hinein, so wie sie kamen. Joyce und ich begaben uns wieder vom Achterschiff aus ins Boot und ruderten, so schnell wir konnten, ans Land. Dieser zweite Ausflug rüttelte die Wache am Ufer ziemlich auf. „Lillibullero“ wurde wieder abgebrochen und gerade bevor wir sie hinter der kleinen Landspitze aus den Augen verloren, sprang einer ans Ufer und verschwand. Ich hatte fast im Sinne meinen Plan zu ändern und ihre Boote zu zerstören, doch fürchtete ich, Silver und die anderen könnten ganz nahe sein und alles könnte dadurch verdorben werden, daß ich zu viel wagte. Wir setzten bald an derselben Stelle wie früher ans Land und gingen daran das Blockhaus zu verproviantieren. Alle drei machten wir die erste Tour schwer beladen und warfen unsere Vorräte über die Umzäunung, dann ließen wir Joyce zu deren Bewachung zurück -- freilich nur einen Mann, doch mit einem halben Dutzend Flinten -- und Hunter und ich kehrten zur Jolle zurück und beluden uns nochmals. So machten wir es weiter ohne einzuhalten, bis die ganze Ladung drüben war, worauf die beiden Diener sich im Blockhaus festsetzten und ich mit aller Kraft zur Hispaniola zurückruderte. Daß wir es wagten noch ein Boot zu beladen, sieht waghalsiger aus als es in Wirklichkeit war. Die anderen hatten die Übermacht der Zahl, natürlich, doch wir hatten den Vorteil der Bewaffnung. Nicht einer von den Seeleuten auf der Insel hatte ein Gewehr, und wir schmeichelten uns, daß wir über mindestens ein halbes Dutzend abrechnen könnten, noch ehe sie nahe genug kämen, um ihre Pistolen abzuschießen. Der Squire erwartete mich am Achterfenster und seine ganze Schwäche war von ihm gewichen. Er fing die Leine auf, befestigte sie und wir fingen an in wilder Eile das Boot zu beladen. Gesalzenes Schweinefleisch, Pulver und Zwieback war die Ladung, und nur je eine Muskete und ein Entermesser für den Squire, mich, Redruth und den Kapitän. Die übrigen Waffen und das restliche Pulver warfen wir über Bord in das zweieinhalb Fuß hohe Wasser, so daß wir den blitzenden Stahl weit unter uns auf dem sauberen, sandigen Grunde in der Sonne glänzen sehen konnten. Indessen begann die Ebbe einzusetzen und das Schiff schaukelte um den Anker. Man hörte in der Richtung der beiden Ruderboote schwache Hallorufe. Trotzdem uns das betreffs Joyce und Hunter beruhigte, die sich weit östlich davon befanden, so war es nun doch höchste Zeit für unsere Gesellschaft, sich auf den Weg zu machen. Redruth zog sich von seinem Platz in der Galerie zurück und sprang in das Boot, welches wir dann an die Gillung des Schiffes ruderten, um es dem Kapitän leichter zu machen. „Nun Leute,“ sagte er, „hört ihr mich?“ Vom Vorkastell kam keine Antwort. „Mit dir Abraham Gray -- mit dir rede ich.“ Wieder keine Antwort. „Gray“, wiederholte etwas lauter Kapitän Smollett. „Ich verlasse dieses Schiff und befehle dir deinem Kapitän zu folgen. Ich weiß, du bist im Grunde ein ordentlicher Kerl und ich meine, nicht einer von euch ist so schlecht, wie er sich macht. Ich habe meine Uhr in der Hand und gebe dir dreißig Sekunden, mir zu folgen.“ Es blieb still. „Komm, mein wackerer Junge,“ fuhr der Kapitän fort, „überleg es dir nicht so lange, ich riskiere mein Leben und das meiner beiden Herren mit jeder Sekunde.“ Plötzlich entstand eine Balgerei, man hörte Schläge und heraus stürzte Abraham Gray mit einem Messerstich in der Wange und lief auf den Kapitän zu wie ein Hund, dem man gepfiffen hat. „Ich bin mit Euch, Herr“, sagte er. Und im nächsten Augenblick sprangen er und der Kapitän an Bord unserer Jolle und wir ruderten darauf los. Aus dem Schiff waren wir draußen, doch noch nicht am Ufer und innerhalb unserer Umzäunung. Siebzehntes Kapitel (Die Erzählung wird vom Doktor fortgesetzt) Die letzte Ausfahrt der Jolle Diese fünfte Ausfahrt verlief ganz verschieden von allen früheren. Vor allem war das Spielzeug von einem Boot schwer überlastet. Fünf erwachsene Männer, davon drei -- Trelawney, Redruth und der Kapitän -- über sechs Fuß hoch, das war mehr als ihm zuzumuten war. Dazu das Pulver, das Schweinefleisch und die Brotsäcke. Das Schandeck hing tief ins Wasser. Wiederholt bekamen wir Wasser herein und meine Hosen und Rockschöße waren triefnaß, ehe wir hundert Meter weit gekommen waren. Der Kapitän ließ uns das Gewicht des Bootes ausbalancieren und wir brachten es schließlich dazu, daß es glatter lag. Trotzdem wagten wir kaum zu atmen. Außerdem erzeugte jetzt die Ebbe eine starke Strömung, die durch das Becken westlich lief und dann südlich und seewärts die Durchfahrt hinunter, durch welche wir am Morgen gekommen waren. Selbst die Wellen bildeten für unser überladenes Fahrzeug eine Gefahr; doch das ärgste war, daß wir von unserem richtigen Kurs und von unserem eigentlichen Landungsplatz hinter der Spitze weggeschwemmt wurden. Wenn wir der Strömung keinen Widerstand geleistet hätten, hätten wir neben den Booten, wo die Seeräuber jeden Augenblick erscheinen konnten, ans Land gehen müssen. „Ich kann die Spitze nicht nach den Palisaden zu kriegen, Herr“, sagte ich zum Kapitän. Ich steuerte, während er und Redruth, beide frische Männer, die noch nicht ermüdet waren, die Ruder bedienten. „Die Flut schwemmt es hinunter, könnt Ihr nicht etwas besser antauchen?“ „Nein -- wenn wir das Boot nicht versenken wollen“, sagte er. „Ihr müßt aushalten Herr, unbedingt bitte, aushalten bis Ihr seht, daß es geht.“ Ich versuchte und fand heraus, daß die Flut uns auch weiterhin nach Westen schwemmte, außer wenn ich die Spitze gerade nach Osten hielt oder im rechten Winkel zu unserem Ziel zusteuerte. [Illustration] „In diesem Tempo werden wir aber niemals ans Ufer gelangen“, sagte ich. „Wenn es der einzige Kurs ist, den wir nehmen können, Herr, so müssen wir ihn nehmen“, erwiderte der Kapitän. „Wir müssen uns stromaufwärts halten. Ihr seht,“ fuhr er fort, „wenn wir erst leewärts vom Landungsplatz abfallen, wäre es schwer zu sagen wo wir überhaupt landen würden und außerdem könnten wir noch von den Schifferbooten gekapert werden; während auf unserem Wege die Strömung nachlassen muß und dann können wir dem Ufer entlang ausweichen.“ „Die Strömung wird schon schwächer, Herr,“ sagte Gray, der vorne saß, „Ihr könnt ein wenig nachlassen.“ „Ich danke Euch“, sagte ich in ganz unbefangenem Tone, denn wir hatten alle stillschweigend beschlossen ihn als einen der unseren zu behandeln. Plötzlich nahm der Kapitän das Wort und es schien mir als wäre seine Stimme leicht verändert. „Die Kanone!“ sagte er. „Daran habe ich gedacht“, sagte ich, denn ich glaubte er spreche von einer Bombardierung der Festung. „Sie würden die Kanone nie ans Ufer bekommen und wenn auch, könnten sie sie nicht durch die Wälder schleppen.“ „Schaut rückwärts Doktor“, erwiderte der Kapitän. Wir hatten den langen Neunpfünder ganz vergessen und nun sahen wir zu unserem Entsetzen wie die fünf Schurken sich um ihn bemühten und ihm die Jacke abnahmen, wie sie die starke Decke aus geteertem Segeltuch nannten, mit der er zugedeckt war. Nicht nur das, sondern im selben Augenblick fiel mir ein, daß das Pulver und die Kanonenkugeln zurückgeblieben waren und daß ein Axthieb alles in den Besitz der Schurken an Bord bringen würde. „Israel war Flints Kanonier“, sagte Gray mit heiserer Stimme. Jeder Gefahr zum Trotz steuerten wir das Boot gerade auf den Landungsplatz hin. Wir waren nun schon so weit aus der Strömung draußen, daß wir bei unserem notwendig langsamen Rudertempo gerade auf unser Ziel lossteuern konnten. Doch das arge daran war, daß wir bei dem Kurs, den ich jetzt hielt, unsere volle Breitseite der Hispaniola zukehrten und ein Ziel boten so groß wie ein Scheunentor. Ich konnte jenen branntweinnasigen Schuft, den Israel Hands, sehen -- und hören konnte ich es auch, wie er eine Kanonenkugel aufs Deck fallen ließ. „Wer ist der beste Schütze?“ fragte der Kapitän. „Herr Trelawney zweifellos“, sagte ich. „Herr Trelawney, möchten Sie mir bitte einen dieser Leute herunterholen? Hands, wenn möglich“, sagte der Kapitän. Trelawney blieb kalt wie Stahl und prüfte die Zündung seines Gewehres. „Nun,“ rief der Kapitän, „vorsichtig mit dem Gewehr, Herr, oder Ihr versenkt das Boot. Alle halten die Balance während er zielt.“ Der Squire erhob sein Gewehr, wir hörten auf zu rudern und lehnten uns nach der Gegenrichtung, um das Gleichgewicht zu halten. Und alles wurde so gut gemacht, daß wir nicht einen Tropfen Wasser ins Boot bekamen. Inzwischen hatten sie die Kanone um die Drehbrasse herumgedreht und Hands, der mit dem Ladestock an der Mündung stand, war infolgedessen am meisten exponiert. Trotzdem hatten wir kein Glück, denn gerade als Trelawney feuerte, bückte er sich, die Kugel pfiff über ihn hin und einer von den anderen vier fiel. Der Schrei, den er ausstieß, fand nicht nur Widerhall an Bord, es erhoben sich auch eine Menge Stimmen vom Ufer her und als wir in jene Richtung blickten, sah ich die anderen Seeräuber aus dem Walde hervorkommen und an ihre Plätze in den Booten stürzen. „Die Boote kommen“, sagte ich. „Also ans Land!“ schrie der Kapitän. „Jetzt nicht mehr darauf achten, ob wir Wasser hereinbekommen. Wenn wir nicht ans Ufer können, ist alles aus.“ „Nur eins von den Ruderbooten wird bemannt, Herr,“ fügte ich hinzu, „die Mannschaft des anderen läuft wahrscheinlich am Ufer herüber, um uns abzuschneiden.“ „Die werden tüchtig zu laufen haben, Herr“, erwiderte der Kapitän. „Der Matrose auf dem Lande, Ihr kennt das! Die fürchte ich am wenigsten. Nur die Kanone; Zimmercroquet! kein Stubenmädchen könnte uns verfehlen! Sagt uns Squire, wenn das Spiel beginnt!“ Inzwischen waren wir in einem Tempo, das für ein so schwerbeladenes Boot ganz tüchtig zu nennen war, vorwärtsgekommen und hatten dabei nur wenig Wasser ins Boot bekommen. Jetzt galt es nur mehr dreißig oder vierzig Ruderschläge und wir konnten landen, denn die Ebbe hatte bereits einen schmalen Sandgürtel unter den Bäumen freigelassen. Das Ruderboot war nicht mehr zu fürchten, denn es war schon durch die kleine Krümmung unseren Blicken entzogen. Die Ebbe, die uns so grausam aufgehalten hatte, machte das nun gut, indem sie unsere Angreifer aufhielt. Die einzige Quelle der Gefahr war die Kanone. „Wenn ich es wagen würde,“ sagte der Kapitän, „möchte ich mir gern noch einen Mann heraussuchen.“ Aber es war klar, daß nichts sie mehr abhalten konnte ihren Schuß abzufeuern. Sie kümmerten sich nicht einmal um ihren gefallenen Genossen, obwohl er nicht tot war und ich sehen konnte, wie er sich bemühte wegzukriechen. „Jetzt!“ rief der Squire. „Halt!“ rief der Kapitän zurück. Und er und Redruth neigten sich mit ihrem ganzen Gewicht, so daß das Hinterschiff unter Wasser geriet. Im selben Augenblick fiel der Schuß. Das war der erste, den Jim hörte, denn der des Squire, war nicht bis zu ihm gedrungen. Wohin die Kugel traf wußte niemand von uns genau, aber ich denke, sie muß über unsere Köpfe hinweggeflogen sein und der Wind, den sie erzeugte, mag zu unserem Mißgeschick beigetragen haben. Jedenfalls sank das Boot mit der Hinterseite ganz langsam drei Fuß unter Wasser. Der Kapitän und ich, einander gegenüber, blieben trocken. Die anderen drei machten vollständige Kopfsprünge und kamen durchnäßt und zappelnd wieder herauf. Soweit war kein großes Unglück geschehen, wir waren am Leben und konnten bequem ans Ufer waten, doch da lagen unsere Vorräte auf dem Grunde, und was noch ärger war, nur zwei von unseren fünf Gewehren blieben in gebrauchsfähigem Zustande. Ich hatte das meinige förmlich instinktiv über meinen Kopf gehalten, und der Kapitän, der seines an einem Riemen um die Schulter trug, und zwar wie ein vernünftiger Mann, mit dem Schloß nach oben, hatte es ebenfalls gerettet. Die anderen drei Gewehre waren mit dem Boot gesunken. Unsere Bestürzung wurde noch dadurch vermehrt, daß wir Stimmen durch das Gehölz am Ufer näherkommen hörten, so daß wir nicht nur in Gefahr waren in unserem halb wehrlosen Zustande vom Blockhaus abgeschnitten zu bleiben, sondern auch noch fürchten mußten, daß Hunter und Joyce, wenn sie von einem halben Dutzend angegriffen würden, nicht standhalten könnten. Hunter war ein sicherer Mann, das wußten wir, doch Joyce war ein zweifelhafter Fall -- ein freundlicher, höflicher Mensch, zum Kammerdiener, der die Kleider bürsten sollte, sehr geeignet, aber nicht gerade zum Krieger geboren. Mit solchen Gedanken im Kopf wateten wir so rasch wir konnten ans Ufer und ließen unsere arme Jolle und gut die Hälfte unseres Pulvers und unserer Vorräte zurück. Achtzehntes Kapitel (Die Erzählung wird vom Doktor fortgesetzt) Das Ende des ersten Kampftages Wir eilten so rasch wir konnten durch den Streifen Wald, der uns noch von den Palisaden trennte und bei jedem Schritt kamen uns die Stimmen der Freibeuter näher. Bald konnten wir ihre Schritte hören und das Krachen der Zweige, wie sie durch das Dickicht brachen. Ich sah, daß ein Zusammenstoß bevorstehe und schaute mir die Zündung meines Gewehres an. „Kapitän,“ sagte ich, „Trelawney ist ein Meisterschütze, gebt ihm Euer Gewehr, seines ist verdorben.“ Sie tauschten die Gewehre, und Trelawney, schweigend und kühl, wie er seit dem Beginn des Kampfes gewesen, blieb einen Augenblick stehen, um zu sehen ob alles in Ordnung sei. Da ich gleichzeitig bemerkte, daß Gray unbewaffnet war, gab ich ihm meinen Hirschfänger. Es tat uns allen wohl ihm zuzusehen, wie er in die Hand spuckte, die Augenbrauen zusammenzog und die Klinge durch die Luft sausen ließ. Aus jeder seiner Bewegungen ging deutlich hervor, daß unser neuer Helfer sein Futter wert war. Fünfzig Schritt weiter kamen wir an den Rand des Waldes und sahen die Palisaden vor uns. Wir stießen auf die Umzäunung ungefähr in der Mitte der südlichen Front und fast gleichzeitig erschienen sieben Meuterer -- Job Anderson, der Bootsführer, an ihrer Spitze -- mit lautem Geschrei an der südwestlichen Ecke. Sie standen still wie verblüfft, doch bevor sie sich vom Schrecken erholen konnten, hatten nicht nur der Squire und ich, sondern auch Hunter und Joyce aus dem Blockhaus Zeit zu feuern. Die vier Schüsse kamen in einer etwas zerstreuten Salve, doch taten sie ihr Werk: einer der Feinde fiel und die übrigen wandten sich, ohne zu zögern zur Flucht und verschwanden im Schatten des Gehölzes. Nachdem wir wieder geladen hatten, begaben wir uns an die Außenseite der Umzäunung, um nach dem gefallenen Feind zu sehen. Er war mausetot -- durchs Herz geschossen. Eben als wir begannen uns unseres Erfolges zu freuen, krachte ein Pistolenschuß im Gehölz, eine Kugel pfiff knapp bei meinem Ohr vorbei und der arme Tom Redruth wankte und fiel der Länge nach zu Boden. Der Squire und ich gaben den Schuß zurück, doch da wir kein Ziel hatten, ist es wahrscheinlich, daß wir nur Pulver vergeudet hatten. Dann luden wir wieder und wandten nun unsere Aufmerksamkeit dem armen Tom zu. Der Kapitän und Gray waren schon daran ihn zu untersuchen, doch sah ich mit einem flüchtigen Blick, daß alles vorbei war. Ich glaube, daß die Bereitschaft unserer Gegensalve die Meuterer wieder zerstreut hatte, denn man ließ uns ohne weitere Belästigung den armen Wildhüter über den Zaun ziehen und den stöhnenden, blutenden Körper im Blockhaus bergen. Armer, alter Kerl, nicht ein Wort der Überraschung, Klage, Furcht oder Zustimmung war ihm entfahren vom Anfang unserer Gefahren bis jetzt da wir ihn zum Sterben im Blockhaus niederlegten. Wie ein Trojaner war er hinter seiner Matratze im Schiffsgang gelegen; jeden Befehl hatte er schweigend, unverdrossen und gut ausgeführt. Er war um zwanzig Jahre älter als der älteste von uns, und nun war es gerade er, dieser alte, grämliche, treue Diener, der sterben mußte. [Illustration] Der Squire kniete an seiner Seite nieder, küßte ihm die Hand und weinte dabei wie ein Kind. „Muß ich gehen, Herr Doktor?“ fragte er. „Tom, mein Freund,“ sagte ich, „du gehst heim.“ „Ich wollte ich hätte ihnen noch vorher mit dem Gewehr eins auswischen können“, antwortete er. „Tom,“ bat der Squire, „sag, daß du mir vergibst, ja?“ „Wäre das respektvoll, wenn ich das zu Ihnen sagte, Squire?“ war die Antwort. „Immerhin, so sei es, Amen!“ Nach einer kurzen Stille sagte er, er dächte, daß vielleicht jemand ein Gebet lesen könnte. „Es ist so Sitte, Herr“, fügte er wie entschuldigend hinzu und ohne noch ein Wort zu sagen verschied er. Inzwischen hatte der Kapitän, der mir schon vorher um den Brustkorb und die Taschen herum merkwürdig geschwollen vorgekommen war, eine große Menge verschiedener Vorräte ausgepackt -- die englische Flagge, eine Bibel, eine Rolle starken Bindfadens, Feder, Tinte, das Logbuch und eine Menge Tabak. Innerhalb der Umzäunung hatte er einen ziemlich langen, gefällten Stamm gefunden und mit Hilfe Hunters befestigte er ihn im Winkel des Loghauses, wo die Balken sich im Eck kreuzten. Und dann kletterte er aufs Dach und hißte mit eigener Hand die englische Flagge. Das schien ihm starken Trost zu gewähren. Er trat wieder in das Blockhaus ein und ging daran die Vorräte zu zählen, als ob nichts anderes existiere. Aber er hatte den toten Tom nicht vergessen und sobald alles vorüber war kam er mit einer zweiten Flagge und breitete sie ehrerbietig über den Leichnam. „Nehmt es Euch nicht zu sehr zu Herzen, Herr,“ sagte er, dem Squire die Hand schüttelnd, „ihm gehts gut. Was kann einem Mann im Jenseits geschehen, der für seine Pflicht gegen Kapitän und Schiffsherrn gefallen ist? Das mag keine richtige Theologie sein, aber es ist eine Tatsache.“ Dann nahm er mich beiseite. „Dr. Livesay, in wieviel Wochen erwarten Sie und der Squire das Hilfsschiff?“ Ich sagte ihm, daß dies nicht eine Frage von Wochen, sondern von Monaten sei und daß erst wenn wir Ende August nicht zurück wären, Blandly um uns zu schicken versprochen hatte, aber nicht früher und nicht später. „Ihr könnt Euch das selbst berechnen“, sagte ich. „Nun ja,“ erwiderte der Kapitän, sich den Kopf kratzend, „und wenn ich auch der Vorsehung für alles Gute dankbar bin, so muß ich doch sagen, daß wir ziemlich schlecht weggekommen sind.“ „Wie meint Ihr das?“ fragte ich. „Es ist ein Jammer, Herr, daß wir die zweite Ladung einbüßten, das habe ich gemeint“, erwiderte der Kapitän. „Pulver und Blei werden wir so ziemlich genug haben, aber die Rationen sind klein, sehr klein -- so klein, Dr. Livesay, daß es vielleicht gut ist, daß wir diesen Esser nicht mehr bei uns haben.“ Und er zeigte auf den toten Körper unter der Flagge. Und eben in diesem Augenblick pfiff heulend eine Kanonenkugel hoch über dem Dach des Blockhauses vorbei und fiel weit von uns ins Gehölz. „Oho!“ sagte der Kapitän. „Feuert nur darauf los. Ihr habt wenig Pulver genug, Burschen!“ Beim zweiten Versuch wurde besser gezielt und die Kugel fiel innerhalb der Umzäunung nieder, indem sie eine Wolke von Sand aufstäubte doch sonst keinen Schaden tat. „Kapitän,“ sagte unser Gutsherr, „das Haus ist vom Schiffe aus ganz unsichtbar, sie werden wohl auf die Flagge zielen. Wäre es nicht gescheiter, sie hereinzunehmen?“ „Meine Fahne einziehen!“ rief der Kapitän. „Nein, Herr, das tue ich nicht!“ Und ich glaube, kaum daß er das Wort ausgesprochen hatte, wir alle mit ihm einig waren, denn damit zeigte er nicht nur starken, vornehmen Seemannsstolz, sondern es war außerdem klug, weil unsere Feinde sahen, daß wir ihre Kanonade verachteten. Den ganzen Abend lang donnerten sie darauf los, Kugel um Kugel flog über den Zaun oder fiel draußen nieder oder in den Sand innerhalb der Umzäunung, doch waren sie genötigt, so hoch zu feuern, daß die Geschosse wirkungslos niederfielen und sich im weichen Sande eingruben. Wir hatten ein Abprallen nicht zu befürchten und obwohl ein Schuß durch das Dach des Blockhauses ging und durch den Boden wieder heraus, so gewöhnten wir uns an dieses Spiel und achteten nicht mehr darauf als wenn es Kricket gewesen wäre. „Eines ist gut bei alledem,“ bemerkte der Kapitän, „der Wald vor uns ist wahrscheinlich rein. Die Ebbe hat schon vor einiger Zeit eingesetzt, unsere Vorräte dürften frei liegen. Freiwillige vor und bringt das Schweinefleisch herein.“ Gray und Hunter gingen als die ersten vor. Gut bewaffnet stahlen sie sich aus den Palisaden hinaus, doch erwies sich das als eine nutzlose Sendung. Die Meuterer waren kühner als wir annahmen, oder sie setzten mehr Vertrauen in Israels Kanonierkünste, denn vier oder fünf waren fleißig dabei unsere Vorräte wegzutragen und bis zu einem der Ruderboote zu waten, das in der Nähe lag und das mit ein paar Ruderschlägen gegen die Strömung festgehalten wurde. Silver selbst führte das Kommando vom Achtersitz aus und jeder von ihnen war bereits mit einem Gewehr versehen, das offenbar aus irgendeiner geheimen Waffenkammer stammte, die sie sich eingerichtet hatten. Der Kapitän setzte sich nun zu seinem Logbuch und begann folgende Eintragung: „Alexander Smollett, Kapitän; David Livesay, Schiffsarzt, Abraham Gray, Zimmermann; John Trelawney, Schiffsherr; John Hunter und Richard Joyce, Diener des Schiffsherrn, Landratten -- alles was von der Schiffsgesellschaft treu blieb -- mit Vorräten für zehn Tage bei knappen Rationen, kamen heute ans Land und pflanzten die britische Flagge auf dem Blockhaus der Schatzinsel auf. Thomas Redruth, Diener des Schiffsherrn, wurde von den Meuterern erschossen. James Hawkins, Schiffsjunge --“ Und ich dachte nach, was wohl aus dem armen Jim Hawkins geworden sein mag. Ein Halloruf von der Landseite. „Jemand ruft uns“, sagte Hunter, der die Wache hatte. „Doktor, Squire, Kapitän, hallo! Hunter, seid ihr das?“ wurde gerufen. Ich lief zur Tür und sah Jim Hawkins heil und gesund über die Umzäunung klettern. Neunzehntes Kapitel (Die Erzählung wird wieder von Jim Hawkins aufgenommen) Die Besatzung im Blockhause Sowie Ben Gunn die Fahne sah blieb er stehen, hielt mich am Arm fest und setzte sich dann auf den Boden. „Na,“ sagte er, „das sind doch ganz sicher Eure Freunde.“ „Viel wahrscheinlicher sind es die Meuterer!“ antwortete ich. „Das!“ rief er aus. „Nein, an einem solchen Ort, wo niemand anderes hinkommt als ‚Glücksritter‘, da würde Silver die Freibeuterflagge hissen, das ist doch ganz sicher. Nein! Das sind Eure Freunde. Es ist auch zu Schlägen gekommen und ich denke Eure Freunde sind die stärkeren geblieben und nun sind sie hier in der alten Umzäunung, die Flint vor vielen Jahren errichtet hat. Oh! das war ein gescheiter Kerl, dieser Flint; bis auf den Rum war keiner ihm gleich. Und fürchtete sich vor niemandem. Nur Silver -- Silver war so aalglatt.“ „Nun,“ sagte ich, „das mag schon so sein, um so mehr muß ich eilen und zu meinen Freunden hin.“ „Nein Kamerad,“ erwiderte Ben, „das werdet Ihr nicht tun, Ihr seid ein guter Junge, wenn ich nicht sehr irre, aber doch seid Ihr nur ein Junge alles in allem. Nun, Ben Gunn ist pfiffig; nicht einmal Rum würde mich hinbringen, dorthin, wo Ihr hingeht -- nein, nicht einmal Rum, bis ich Euren wohlgebornen Gentleman sehe und sein Ehrenwort habe. Und Ihr werdet meine Worte nicht vergessen -- bedeutend mehr Vertrauen (so werdet Ihr es sagen) ist nötig -- und dann werdet Ihr ihn so kneifen.“ Und er zwickte mich zum drittenmal, immer mit der gleichen Miene von Schlauheit. „Und wenn man Ben Gunn braucht, so wißt Ihr, wo er zu finden ist, Jim. Genau dort, wo Ihr ihn heute gefunden habt. Und der, der kommt, muß etwas Weißes in der Hand tragen und allein kommen. Oh, und dann müßt Ihr es so sagen: ‚Ben Gunn‘, sagt Ihr, ‚hat schon seine eigenen Gründe.‘“ „Nun,“ sagte ich, „ich glaube zu verstehen: Ihr habt etwas vorzuschlagen und wünscht den Squire und den Doktor zu sehen und seid dort zu finden, wo ich Euch gefunden habe. Ist das alles?“ „Und wann? müßt Ihr sagen“, fügte er hinzu. „Nun etwa von Mittag bis sechs Uhr.“ „Gut,“ sagte ich, „kann ich jetzt gehen?“ „Ihr werdet nicht vergessen?“ erkundigte er sich besorgt. „Bedeutend mehr Vertrauen“ und „seine eigenen Gründe“, sagt Ihr. Seine eigenen Gründe, das ist die Hauptsache. Zwischen Mann und Mann. Nun also“, und dabei hielt er mich noch fest -- „Ich denke jetzt könnt Ihr gehen, Jim. Und Jim, wenn Ihr Silver seht, werdet Ihr Ben Gunn nicht verraten? Nicht einmal wilde Rosse würden es Euch herauslocken. Ihr sagt nein? Und wenn diese Piraten ans Land kommen, Jim, was würdet Ihr sagen als --“ Er wurde durch einen lauten Knall unterbrochen, eine Kanonenkugel brach durch die Bäume und flog keine hundert Schritte von uns in den Sand. Im nächsten Augenblick rannten wir schon jeder nach einer anderen Richtung. Gut eine Stunde lang erschütterten häufige Schüsse die Insel und immer wieder flogen Kugeln krachend durch die Wälder. Ich schlüpfte von Versteck zu Versteck, immer verfolgt -- oder schien es mir so -- von diesen schrecklichen Geschossen. Doch noch ehe das Bombardement zu Ende ging hatte ich, obwohl ich mich noch nicht in die Richtung des Blockhauses wagte, wo die Kugeln am häufigsten fielen, wieder Mut gefaßt. Und nach einem weiten Umweg gegen Osten kroch ich zwischen den Uferbäumen hinunter. Die Sonne war eben untergegangen, der Seewind rauschte und polterte in den Wäldern und kräuselte die graue Wasserfläche des Ankerplatzes. Die Flut lag weit draußen und große Strecken Sandes lagen unbedeckt. Die Luft war nach der Hitze des Tages so abgekühlt, daß es mich trotz meiner Jacke fröstelte. Die Hispaniola lag noch dort, wo sie Anker geworfen hatte, doch wirklich wehte der Jolly Roger, die schwarze Flagge der Freibeuter, von ihrer Spitze. Gerade als ich hinschaute, sah ich wieder einen roten Blitz und hörte einen Knall, dann ringsum knatterndes Echo, und noch ein Kanonenschuß pfiff durch die Luft. Das war der Schluß der Kanonade. Ich lag noch eine Weile ruhig und lauschte einem Geräusch, das dem Angriff folgte. Irgend etwas wurde am Ufer nahe der Umzäunung mit Äxten zertrümmert. Es war, wie ich später entdeckte, die arme Jolle. Weiter seitwärts, nahe der Flußmündung, war ein großes Feuer unter den Bäumen angezündet und zwischen diesem Punkte und dem Schiff gingen fortwährend Ruderboote hin und her, und die Matrosen, die ich nur so düster kannte, lärmten beim Rudern wie die Kinder. Doch lag etwas im Klang ihrer Stimmen, was an Rum erinnerte. Schließlich glaubte ich zur Umzäunung zurückkehren zu können. Ich befand mich ziemlich weit unten auf der niedrigen sandigen Landzunge, welche den Ankerplatz nach Osten umschließt und mit der Skelettinsel verbunden ist. Als ich mich jetzt erhob, sah ich in einiger Entfernung unterhalb der Landzunge einen einzelnen, ziemlich hohen und merkwürdig weißen Felsen, der sich aus dem niedrigen Gehölz erhob. Es fiel mir ein, daß dies der weiße Felsen sein könnte, von welchem Ben Gunn gesprochen hatte, und daß man eines Tages vielleicht ein Boot brauchen würde und ich dann wissen würde, wo eines zu finden sei. Dann strich ich durch die Wälder, bis ich die rückwärtige, dem Ufer zugewandte Seite der Umzäunung erreicht hatte und wurde bald von der treuen Gesellschaft warm bewillkommt. Meine Geschichte war bald erzählt und ich begann mich umzuschauen. Das Blockhaus war aus unbehauenen Fichtenstämmen errichtet -- Dach, Wände und Boden --. Die Diele stand fußhoch über der Sandfläche. Bei der Tür war ein Dachvorsprung und darunter floß die kleine Quelle in ein künstliches Becken von ziemlich merkwürdiger Art -- nämlich in einen großen, eisernen Schiffskessel, dem man den Boden ausgeschlagen hatte und der in den Sand festgerammt worden war. Außer dem Fachwerk des Hauses war wenig übriggeblieben. In einem Winkel stand eine Steinplatte über einem alten, rostigen Eisenkorb, was eine Art Herd darstellte. Das ganze Innere der Umzäunung und die Anhänge des Hügels waren zum Zwecke der Erbauung des Hauses ausgerodet worden und man konnte an den Stümpfen sehen, was für ein schönes und stattliches Wäldchen da zerstört worden war. Der Waldboden war, nachdem man die Bäume niedergehauen hatte, zum großen Teil weggewaschen und von der Flut abgetrieben worden, und nur dort wo die Quelle aus dem Kessel hineinsickerte, wuchsen noch ein paar Farnkräuter, Moos und kleines Zwerggebüsch im Sand. Ganz eng um die Umzäunung herum -- zu eng zur Verteidigung -- war der Wald noch hoch und dicht, auf der Landseite gab’s nur Nadelholz, zur See zu mit Lebensbäumen stark untermischt. Der kalte Abendwind, von dem ich schon gesprochen habe, pfiff durch jede Ritze des primitiven Gebäudes und besprenkelte den Boden mit einem ununterbrochenen Sprühregen feinen Sandes. In unseren Augen, in unseren Zähnen, in unserem Essen war Sand, Sand tanzte in der Quelle, am Boden des Kessels wie Hafergrütze, die zu kochen beginnt. Unser Rauchfang war ein viereckiges Loch im Dache, doch nur ein kleiner Teil des Rauches fand den Weg ins Freie und der übrige wirbelte im Haus herum und brachte uns zum Husten und unsere Augen zum Tränen. Dazu kommt, daß Gray, unser neuer Mann, das Gesicht verbunden trug, wegen eines Schnittes, den ihm die Meuterer, als er ihnen durchging, beigebracht hatten, und daß der arme, alte Tom Redruth noch unbegraben steif und starr unter der Flagge an der Wand lag. Wenn man uns hätte faul herumsitzen lassen, wären wir alle trübsinnig geworden, doch dazu war Kapitän Smollett nicht der Mann. Er beschied alle zu sich und teilte uns in Patrouillen ein. Der Doktor, Gray und ich waren die eine, der Squire, Hunter und Joyce gehörten zur anderen. Trotzdem wir alle müde waren, wurden zwei um Brennholz hinausgeschickt; zwei hatten für Redruth ein Grab zu graben, der Doktor wurde zum Koch ernannt, ich wurde als Schildwache an die Tür gestellt und der Kapitän selbst ging von einem zum anderen, hielt uns in guter Stimmung und griff zu wo es notwendig war. Von Zeit zu Zeit kam der Doktor zur Tür, um ein wenig Luft zu schöpfen und seine Augen auszuruhen, die fast ausgeräuchert waren. Und jedesmal hatte er ein paar Worte für mich. „Dieser Smollett“, sagte er einmal, „taugt mehr als ich selber. Und wenn ich so etwas sage, so bedeutet das schon etwas, Jim.“ Ein anderes Mal kam er und blieb eine Weile stumm. Dann neigte er den Kopf zur Seite und schaute mich an. „Ist dieser Ben Gunn ein Mensch?“ fragte er. „Ich weiß nicht, Herr,“ sagte ich, „ich bin nicht ganz sicher, ob er bei Verstand ist.“ „Wenn darüber ein Zweifel sein kann, dann ist er bei Verstand“, erwiderte der Doktor. „Ein Mann, der drei Jahre auf einer verlassenen Insel sich die Nägel gebissen hat, Jim, kann nicht so normal scheinen wie du oder ich. Für Käse, sagst du, hat er so eine Vorliebe?“ „Ja Herr, für Käse“, antwortete ich. „Nun, Jim,“ sagte er, „da sieht man, wie gut es sein kann, wenn man im Essen wählerisch ist. Du hast meine Schnupftabaksdose gesehen, nicht wahr? Und hast mich doch niemals schnupfen gesehen. Die Sache ist die, daß ich in meiner Schnupftabaksdose ein Stück Parmesankäse bei mir trage -- einen italienischen, aber nahrhaften Käse. Nun, den kriegt Ben Gunn!“ Ehe wir zum Abendbrot gingen begruben wir den alten Tom im Sande und standen eine Weile barhäuptig im Winde um sein Grab. Eine tüchtige Menge Brennholz hatten wir hereingebracht, doch nicht genug nach der Ansicht des Kapitäns, der den Kopf schüttelte und sagte, daß wir „die Sache morgen etwas lebhafter angehen müßten“. Nachdem wir unser Schweinefleisch gegessen und jeder sein tüchtiges Glas steifen Grogs getrunken hatte, zogen sich die drei Herren zusammen in einen Winkel zurück, um unsere Aussichten zu besprechen. Es scheint, daß sie nicht mehr recht aus und ein wußten, denn unsere Vorräte waren so klein, daß wir uns vor Hunger hätten längst übergeben müssen ehe Hilfe kam. Unsere beste Hoffnung bestand darin, so wurde es beschlossen, die Freibeuter abzuschießen, bis sie endlich ihre Fahne herunterholten oder mit der Hispaniola flohen. Von neunzehn war ihre Zahl schon auf fünfzehn gesunken, zwei weitere waren verwundet und zumindest einer davon -- der Mann, der neben der Kanone angeschossen worden war -- schwer verwundet, wenn nicht schon tot. Jedesmal wenn wir sie angriffen mußten wir mit der äußersten Vorsicht vorgehen, um uns selbst nicht zu gefährden. Und außerdem hatten wir zwei tüchtige Verbündete -- den Rum und das Klima. Was den Rum anlangt so konnten wir sie, trotzdem wir ungefähr eine halbe Meile entfernt waren, bis spät in die Nacht hinein singen und brüllen hören. Und was das Klima betrifft, verpfändete der Doktor seine Perücke dafür, daß so, wie sie im Sumpf kampierten und mit Fiebermitteln nicht versehen, die Hälfte von ihnen noch vor einer Woche auf dem Rücken liegen würde. „So werden sie,“ fügte er hinzu, „wenn wir nicht doch vorher alle niedergeschossen werden, noch ganz froh sein den Schooner zu haben. Es ist immerhin ein Schiff und ich denke sie können damit wieder auf Freibeuterei gehen.“ „Das erste Schiff, das ich jemals verlor“, sagte Kapitän Smollett. Ich war todmüde, wie man sich vorstellen kann, und kaum hatte ich mich niedergelegt, schlief ich schon wie ein Stück Holz. Die übrigen waren schon lange auf und hatten bereits gefrühstückt und den Stoß Brennholz um die Hälfte vergrößert, als ich durch Lärm und den Klang von Stimmen geweckt wurde. „Weiße Fahne!“ hörte ich jemanden sagen und sofort darauf mit einem Ruf der Überraschung: „Silver selbst!“ Als ich das hörte, sprang ich auf und lief, mir die Augen reibend, zu einem der Gucklöcher in der Wand. [Illustration] Zwanzigstes Kapitel Silvers Sendung Es standen wirklich gerade außerhalb der Umzäunung zwei Männer, deren einer ein weißes Tuch schwenkte; der andere, kein geringerer als Silver selbst, stand beschaulich daneben. Es war noch sehr früh und der kälteste Morgen, den ich je erlebt habe, eine Kälte, die bis ins Mark drang. Der Himmel über uns war klar und wolkenlos und die Spitzen der Bäume erglänzten rosig in der Sonne. Doch dort wo Silver mit seinem Begleiter stand, war noch alles im Schatten und sie wateten knietief in einem weißen Dampf, der während der Nacht aus dem Morast hervorgekrochen war. Die Kälte und der Dunst zusammen erzählten eine traurige Geschichte von der Insel. Es war klar, daß sie ein feuchter, fieberverpesteter, ungesunder Aufenthalt war. „Bleibt drinnen Leute“, sagte der Kapitän. „Zehn zu eins, daß das nur ein Kniff ist.“ Dann rief er den Freibeuter an. „Halt, wer da! Steht, oder wir feuern.“ „Weiße Fahne!“ rief Silver. Der Kapitän stand im Torweg und hielt sich dabei sorgfältig gedeckt, für den Fall, das ein verräterischer Schuß beabsichtigt sein sollte. Er wendete sich zu uns und sagte: „Wache des Doktors an die Gucklöcher. Dr. Livesay, bitte, Sie nehmen die Nordseite, Jim Osten, Gray Westen. Die Wache unten lädt die Gewehre. Rasch und sorgsam, Leute!“ Dann wendete er sich zu den Freibeutern. „Und was wollt ihr mit eurer weißen Flagge?“ rief er. Diesmal antwortete der andere Mann: „Kapitän Silver, Herr, will hereinkommen und einen Vertrag schließen“, schrie er. „Kapitän Silver! Kenn ich nicht. Wer ist das?“ rief der Kapitän und wir konnten hören wie er im Selbstgespräch hinzufügte: „Kapitän! So etwas! Meiner Seel, hier wird man befördert!“ Der lange John antwortete selbst. „Ich, Herr. Diese armen Jungen haben mich zum Kapitän gewählt, nachdem Sie desertiert sind“ -- er betonte mit besonderem Nachdruck das Wort desertiert. „Wir sind gewillt uns zu unterwerfen, wenn wir zu einem Abschluß kommen können und keine Geschichten gemacht werden. Ich verlange nur Ihr Wort, Kapitän Smollett, mich wohlbehalten und sicher wieder aus dieser Umzäunung herauszulassen und eine Minute Zeit, um außer Schußweite zu kommen, ehe ein Gewehr abgefeuert wird.“ „Mein Junge,“ sagte Kapitän Smollett, „ich habe nicht den leisesten Wunsch mich mit Euch zu unterhalten. Wenn Ihr mit mir reden wollt könnt Ihr kommen und fertig. Verräterei kann da nur auf Eurer Seite sein; und Gott sei Euch gnädig.“ „Das genügt, Kapitän“, rief der lange John erfreut. „Ein Wort von Ihnen genügt, ich weiß, was ein Gentleman ist, das ist sicher.“ Wir konnten sehen wie der Mann, der die weiße Flagge trug, Silver zurückzuhalten versuchte, und das war weiter nicht verwunderlich nach der kavaliermäßigen Antwort des Kapitäns. Doch Silver lachte laut auf und klopfte ihm auf die Schulter, als ob der Gedanke an eine Gefahr rein lächerlich wäre, dann ging er zur Umzäunung vor, warf seine Krücke hinüber und brachte es mit großer Kraft und Geschicklichkeit zustande den Zaun zu übersteigen und sich glücklich an der anderen Seite herunterzulassen. Ich muß gestehen, daß ich viel zu sehr beschäftigt war mit dem, was vorging, um als Schildwache zu etwas zu taugen. Tatsächlich verließ ich mein östliches Guckloch und schlich dem Kapitän nach, der sich nun auf der Schwelle niedersetzte, die Arme auf die Knie gestützt, den Kopf in der Hand, die Augen auf das Wasser gerichtet, das aus dem alten Eisenkessel in den Sand tropfte. Dabei pfiff er sich ein Liedchen: „Mädels und Burschen kommt heran....“ Silver wurde es furchtbar schwer den Abhang zu erklettern. Bei der Steilheit des Aufstieges, den dicken Baumstrünken und dem weichen Sand war er mitsamt seiner Krücke so hilflos wie ein Segler bei Windstille, doch er ließ nicht locker und arbeitete sich vorwärts bis er endlich beim Kapitän anlangte, den er liebenswürdig grüßte. Er hatte sich auf das schönste herausgeputzt: Ein enormer blauer Rock, ganz mit Metallknöpfen geschmückt, hing ihm bis zu den Knien und ein schöner verschnürter Hut saß auf seinem Hinterkopfe. „Da seid Ihr ja“, sagte der Kapitän, den Kopf hebend. „Ihr solltet Euch lieber niedersetzen.“ „Ihr wollt mich nicht hereinlassen, Kapitän?“ klagte der lange John. „Es ist ein schrecklich kalter Morgen, Herr, um da draußen auf dem Sand zu sitzen.“ „Nun, Silver“, sagte der Kapitän, „wenn es Euch beliebt hätte ein anständiger Mensch zu sein, könntet Ihr jetzt in Eurer warmen Küche sitzen. Das habt Ihr Euch allein eingebrockt. Entweder Ihr seid mein Schiffskoch -- und da wurdet Ihr nett behandelt -- oder Ihr seid Kapitän Silver, ein gemeiner Meuterer und Seeräuber, dann könnt Ihr Euch aufhängen!“ „Gut, gut, Kapitän,“ erwiderte der Schiffskoch und setzte sich wie ihm der Kapitän geheißen hatte, auf den Sand, „Ihr werdet mir einfach dann zum Aufstehen die Hand geben müssen, das ist alles. Ein hübsches, nettes Plätzchen habt Ihr hier. Ah, da ist ja Jim! Schönsten guten Morgen, Jim! Herr Doktor, meine Hochachtung! Nun, da sind ja alle beisammen wie eine glückliche Familie sozusagen.“ „Wenn Ihr was zu sagen habt, dann sagt es lieber“, sagte der Kapitän. „Freilich, freilich, Kapitän Smollett“, erwiderte Silver. „Pflicht ist Pflicht, natürlich. Schauen Sie, das war ein gutes Stückl von Ihnen heute Nacht, ich leugne nicht, daß es ein gutes Stückl war. Ein paar von euch müssen ganz tüchtig mit Hebestangen umzugehen verstehen. Ich leugne auch nicht, daß ein paar von meinen Leuten ganz erschrocken waren -- vielleicht waren alle erschrocken, möglich, daß ich selbst erschrocken war, möglich, daß das der Grund ist, weshalb ich hier bin um zu verhandeln. Aber paßt auf Kapitän, ein zweites Mal passiert das nicht, zum Teufel! Wir werden eben Wachen ausstellen und ein bißchen den Rum einschränken. Vielleicht denkt Ihr, daß wir alle sternhagelvoll waren, aber ich sag’s Euch, ich war nüchtern. Ich war nur hundsmüde, und wenn ich nur eine Sekunde früher aufgewacht wäre, ich hätt’ Euch bestimmt mitten drin erwischt. Er war nicht tot, als ich zu ihm herüberkam, o nein.“ „Nun?“ sagte Kapitän Smollett, kühl wie ein Eiszapfen. Alles, was Silver da sagte, mußte ihm rätselhaft sein, aber kein Mensch hätte das aus seinem Ton erraten. Aber ich fing an es zu wittern. Ben Gunns letzte Worte kamen mir in den Sinn. Ich begann zu ahnen, daß er den Freibeutern einen Besuch abgestattet hatte, als sie alle betrunken um ihr Feuer herumlagen und ich berechnete vergnügt, daß wir es nur mehr mit vierzehn Feinden zu tun hatten. „Nun, die Sache ist die,“ sagte Silver, „wir wollen den Schatz, und wir müssen ihn kriegen! -- das ist unsere Bedingung. Ihr wollt am Leben bleiben, nehme ich an, das ist Euch die Hauptsache. Ihr habt eine Karte, nicht wahr?“ „Wohl möglich“, erwiderte der Kapitän. „Oh, natürlich habt Ihr eine, das weiß ich schon“, antwortete der lange John. „Ihr braucht nicht hochmütig zu sein, das ist gar nicht notwendig. Wir brauchen Eure Karte. Ich selber habe Euch nie etwas Böses tun wollen.“ „Mir werdet Ihr so etwas nicht erzählen, mein Junge“, unterbrach ihn der Kapitän. „Wir wissen ganz genau, was Ihr mit uns vorhattet, aber wir scheren uns nicht darum, denn seht Ihr, Ihr könnt es eben nicht ausführen.“ Und der Kapitän sah ihn ruhig an und füllte seine Pfeife. „Wenn Abe Gray --“ fuhr Silver auf. „Stopp!“ schrie Kapitän Smollett. „Gray hat mir nichts gesagt und ich habe ihn nichts gefragt, und ich möchte am liebsten Euch und ihn und die ganze Insel glatt in die Luft sprengen! So, das ist meine Meinung über Euch.“ Dieser kleine Zornesausbruch schien Silver abzukühlen, er war schon gereizt gewesen, aber nun riß er sich wieder zusammen. „Sehr begreiflich,“ sagte er, „ich möchte da nichts drein reden. Aber da ich sehe, daß Sie sich eine Pfeife anzünden, Kapitän, möchte ich so frei sein das auch zu tun.“ Und er stopfte sich eine Pfeife und zündete sie an. Die beiden Männer saßen eine gute Weile still rauchend da, dann schauten sie einander ins Gesicht, dann stopften sie Tabak nach und manchmal beugten sie sich vor um auszuspucken. Es war ein Theater, ihnen zuzuschauen. „Nun,“ bemerkte Silver abschließend, „also folgendes: Ihr gebt uns die Karte, damit wir zu dem Schatz kommen, und Ihr hört auf arme Matrosen niederzuschießen und ihnen im Schlaf die Köpfe einzuschlagen. Dafür bieten wir Euch zwei Vorschläge zur Wahl: Entweder Ihr kommt, wenn der Schatz eingeschifft ist, mit uns an Bord und dann werde ich Euch, das versichere ich eidlich und auf mein Ehrenwort, irgendwo sicher an Land setzen. Oder, wenn das nicht nach Eurem Geschmack ist, weil ein paar von meinen Leuten etwas unangenehm sind und mit Euch alte Händel auszutragen haben, dann könnt Ihr auch hier bleiben. Wir werden die Vorräte Mann für Mann mit Euch teilen und ich gebe mein Ehrenwort wie vorhin, das erste Schiff, das wir sichten, anzurufen und herzuschicken, damit sie Euch aufnehmen. Also Ihr werdet zugeben, das ist ein Vorschlag. Etwas Besseres könnt Ihr Euch ja gar nicht wünschen und ich hoffe“ -- und er erhob seine Stimme --, „daß alle Leute hier im Blockhaus meine Vorschläge prüfen werden, denn was ich mit einem spreche, ist zu allen gesprochen.“ Kapitän Smollett erhob sich und klopfte seine Pfeife aus. „Ist das alles?“ fragte er. „Mein allerletztes Wort, zum Donner!“ antwortete John. „Wenn Ihr das ablehnt, so ist das das letzte, was Ihr von mir zu sehen kriegt, außer Gewehrkugeln.“ „Ausgezeichnet!“ sagte der Kapitän. „Und jetzt werde ich reden: Wenn ihr einer nach dem anderen unbewaffnet daherkommt, verpflichte ich mich euch alle in Eisen zu legen und euch vor ein ordentliches Gericht in England zu stellen. Wenn ihr nicht wollt, mein Name ist Alexander Smollett, ich habe die Fahne meines Königs gehißt und ich werde euch alle zum Galgen befördern. Ihr könnt den Schatz nicht finden. Ihr könnt das Schiff nicht segeln -- nicht einer von euch taugt dazu. Ihr könnt uns nicht bekämpfen -- Gray dort allein hat es mit fünf von euch aufgenommen. Euer Schiff liegt fest, Meister Silver. Ihr seid in keiner guten Haut. Davon werdet Ihr Euch überzeugen. Ich stehe hier und sage Euch das. Das sind die letzten guten Worte, die Ihr von mir zu hören kriegt, denn ich werde Euch, bei Gott, eine Kugel in den Rücken jagen bei unserer nächsten Begegnung. Marschier’, mein Junge. Packt Euch hier heraus, aber sehr rasch.“ [Illustration] Silver anzusehen war der Mühe wert. Die Augen traten ihm vor Wut aus den Höhlen. Er klopfte seine Pfeife aus. „Gebt mir die Hand zum Aufstehen“, rief er. „Ich nicht“, erwiderte der Kapitän. „Wer gibt mir die Hand zum Aufstehen?“ brüllte er. Nicht einer von uns rührte sich. Die wüstesten Beschimpfungen ausstoßend kroch er auf dem Sand hin, bis er sich am Tor aufrichten und wieder auf seine Krücke stellen konnte. Dann spuckte er in den Brunnen. „Da!“ schrie er, „das ist meine Meinung von Euch. Es wird keine Stunde dauern und Euer altes Blockhaus da werde ich anzünden wie eine Rumtonne. Lacht nur, zum Donner, lacht! Ehe eine Stunde vorbei ist, werdet Ihr im Jenseits lachen und die, die gleich sterben, können von Glück sagen!“ Und mit einem schrecklichen Fluch humpelte er fort, wälzte sich den Sand hinunter, kam nach vier oder fünf mißlungenen Versuchen mit Hilfe des Fahnenträgers glücklich über die Umzäunung und verschwand einen Augenblick später zwischen den Bäumen. Einundzwanzigstes Kapitel Der Angriff Sobald Silver verschwunden war, wandte sich der Kapitän, der ihn genau beobachtet hatte, wieder in das Innere des Hauses und fand keinen einzigen von uns, außer Gray, auf seinem Posten. Das war das erstemal, daß wir ihn wütend sahen. „Wachen!“ brüllte er, und als wir alle an unsere Plätze gestürzt waren, sagte er: „Gray, deinen Namen werde ich ins Logbuch eintragen. Du bist bei deiner Pflicht geblieben wie ein ordentlicher Seemann. Herr Trelawney, ich bin überrascht über Ihr Benehmen, Herr Doktor, ich glaubte, Ihr hättet des Königs Rock getragen! Wenn Ihr so bei Fontenoy gedient habt, Herr, so wäret Ihr besser in Eurer Koje geblieben.“ Die Leute des Doktors standen alle wieder an ihren Schießscharten, die anderen luden fleißig die übrigen Gewehre und alle hatten einen roten Kopf und ließen die Nase hängen. Der Kapitän sah eine Weile schweigend zu, dann erst sprach er. „Leute,“ sagte er, „ich habe Silver absichtlich ordentlich eingeheizt und noch ehe eine Stunde um ist, wird, wie er es verkündigte, die Sache losgehen. Sie sind in der Überzahl, das brauche ich euch nicht erst zu sagen. Aber wir kämpfen in Deckung und noch vor einer Minute hätte ich gesagt wir kämpfen diszipliniert. Ich zweifle nicht daran, daß wir sie hauen können, wenn ihr wollt.“ Dann machte er die Runde und schaute nach, wie er sich ausdrückte, ob alles klar zum Gefecht sei. An den beiden Schmalseiten des Hauses gegen Osten und Westen waren bloß zwei Schießscharten, im Süden beim Tor wieder zwei und nach Norden fünf. Wir sieben verfügten über rund zwanzig Gewehre. Das Brennholz lag in vier tafelförmigen Stößen aufgeschichtet, von denen je einer in der Mitte jeder Seite stand und auf denen Munition und vier geladene Gewehre, den Verteidigern zur Hand, vorbereitet waren. Auch die Entermesser lagen geordnet auf den Tischen. „Löscht das Feuer“, befahl der Kapitän, „es ist nicht mehr kalt und wir brauchen keinen Rauch in den Augen.“ Herr Trelawney trug den eisernen Korb, der uns als Herd diente, eigenhändig hinaus und erstickte die Funken im Sande. „Hawkins hat noch nicht gefrühstückt. Hawkins, bediene dich und nimm das Essen auf deinen Posten“, fuhr Kapitän Smollett fort. „Schnell, mein Junge, wir werden unsere Kräfte brauchen. Hunter! Serviert für jeden ein Glas Branntwein.“ Während das geschah machte der Kapitän im stillen seinen Verteidigungsplan fertig. „Doktor, Ihr nehmt die Tür“, befahl er. „Trachtet Euch nicht zu exponieren, bleibt drinnen und feuert durch die Tür. Hunter nimmt dort die Ostseite. Joyce, Ihr steht nach Westen, mein Junge. Herr Trelawney, Ihr seid der beste Schütze, Ihr und Gray nehmt die lange Nordfront mit den fünf Schießscharten, dort ist es am gefährlichsten. Wenn sie von dort kämen und durch unsere eigenen Tore hereinfeuern könnten, dann würde die Sache brenzlig ausschauen. Hawkins, weder du noch ich zählen als Schützen mit. Wir wollen dabeistehen und laden und zugreifen, wo’s nottut.“ Der Kapitän hatte recht, die Kälte war vergangen. Sowie die Sonne sich über den uns umgebenden Baumgürtel erhob, strahlte sie mit voller Kraft auf die Lichtung und vertrieb die Dünste sofort. Bald kochte der Sand und das Harz in den Balken des Blockhauses fing zu sieden an. Jacken und Röcke flogen zur Seite, die Hemdkragen wurden zurückgeschlagen, die Ärmel bis zur Schulter aufgestreift und wir standen jeder auf seinem Posten in einem Fieber von Hitze und Unruhe. Eine Stunde verging. „Zum Henker mit ihnen,“ rief der Kapitän, „es fängt an so langweilig zu werden wie eine Windstille. Gray, pfeif um Wind.“ Gerade in diesem Augenblick zeigten sich die ersten Anzeichen des Angriffes. „Bitte, Herr,“ fragte Joyce, „darf ich feuern, wenn ich einen sehe?“ „Ich hab’s Euch doch gesagt“, rief der Kapitän. „Danke schön“, erwiderte Joyce, immer mit derselben ruhigen Höflichkeit. Eine Zeitlang war alles still, doch die Bemerkung hatte unser aller Wachsamkeit geweckt und wir spitzten Augen und Ohren -- die Musketiere legten die Hand ans Gewehr, der Kapitän stand mit festgeschlossenem Mund und gerunzelter Stirne in der Mitte des Blockhauses. So vergingen ein paar Sekunden. Plötzlich riß Joyce seine Flinte in die Höhe und feuerte einen Schuß ab. Kaum war der Knall verklungen, da wurde er schon von außerhalb der Umzäunung her durch eine zerstreute Salve erwidert. Ein Schuß nach dem anderen fiel, hintereinander kamen sie wie ein Rudel Wildgänse. Mehrere Kugeln streiften das Blockhaus, doch keine drang in das Innere. Als der Rauch sich verzogen hatte, schaute die Umzäunung und der Wald ringsum so friedlich drein wie vorher. Nicht ein Blättchen regte sich, nicht einmal das Glitzern eines Gewehrlaufes verriet die Anwesenheit unserer Feinde. „Habt Ihr Euern Mann getroffen?“ fragte der Kapitän. „Nein, Herr,“ erwiderte Joyce, „ich glaube nicht.“ „Das nächstbeste ist immer die Wahrheit zu sagen,“ murmelte der Kapitän, „lade sein Gewehr, Hawkins. Wieviele waren auf Eurer Seite, Doktor?“ „Ich weiß es genau,“ sagte Dr. Livesay, „auf dieser Seite wurden drei Schüsse abgefeuert. Ich habe drei Blitze gesehen, zwei nahe beisammen, einen weiter westlich.“ „Drei!“ wiederholte der Kapitän. „Und wieviel bei Euch, Herr Trelawney?“ Doch das war nicht so leicht zu beantworten. Von Norden waren viele gekommen -- sieben nach der Berechnung des Gutsherrn, acht oder neun nach Grays Schätzung. Aus Osten und Westen war nur ein einziger Schuß abgefeuert worden. Es war daher klar, daß sich der Angriff aus Norden entwickeln würde und daß man von den drei anderen Richtungen aus nur durch Scheinangriffe in Atem erhalten werden sollte. Dennoch änderte Kapitän Smollett nichts an seinen Anordnungen. Er nahm als sicher an, daß, wenn die Meuterer in den Besitz irgendeiner unbeschützten Schießscharte kämen, sie uns wie die Ratten in unserer eigenen Festung niedermachen würden. Es blieb uns auch nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken über eine neue Taktik. Plötzlich sprang mit lautem Kampfgeschrei eine kleine Schar von Seeräubern aus dem Wald an die nördliche Front und rannte geradewegs auf die Umzäunung los. Gleichzeitig wurde das Feuer aus dem Wald wieder eröffnet und eine Büchsenkugel pfiff durch das Tor und zerschmetterte das Gewehr des Doktors. Die Meuterer wimmelten wie die Affen über den Zaun. Der Squire und Gray feuerten immer wieder. Drei Mann fielen, einer innerhalb des eingezäunten Raumes, die beiden anderen draußen. Doch von denen war einer offenbar mehr erschreckt als verletzt worden, denn er sprang mit einem Satz wieder auf die Füße und verschwand im Dickicht. Zwei hatten in den Sand gebissen, einer war geflohen, doch vier hatten innerhalb unserer Verteidigungslinie festen Fuß gefaßt und indessen hielten unter dem Schutz des Waldes sieben oder acht Leute, von denen jeder sichtlich mit mehreren Gewehren versehen war, ein hitziges, obwohl nutzloses Feuer auf das Blockhaus aufrecht. Die vier, die herübergekommen waren, rannten unter lauten Rufen direkt auf das Gebäude zu und die Leute draußen von den Bäumen her ermutigten sie mit Zurufen. Mehrere Schüsse aus dem Blockhause wurden abgefeuert, doch zielten die Schützen so hastig, daß kein einziger traf. In einem Augenblick hatten die Seeräuber den Erdwall erstürmt und waren über uns. Der Kopf Job Andersons, des Bootsführers, tauchte an der mittleren Schießscharte auf. „Drauf und dran, alle miteinander!“ brüllte er mit Donnerstimme. Im selben Augenblick packte ein zweiter Seeräuber Hunters Gewehr bei der Mündung, entriß es ihm, schob es durch die Schießscharte und schlug mit einem betäubenden Kolbenschlag den armen Kerl nieder, daß er bewußtlos zu Boden fiel. Inzwischen war ein dritter unangefochten rund um das Haus gelaufen, erschien plötzlich im Tor und griff mit seinem Entermesser den Doktor an. Unsere Lage hatte sich vollkommen gewendet. Vor einem Augenblick noch hatten wir geschützt aus einen bloßgestellten Feind gefeuert; nun waren wir ungedeckt und konnten keinen Schlag zurückgeben. Das Blockhaus stand voll Rauch, dem allein wir unsere verhältnismäßige Sicherheit verdankten. Schreie und Verwirrung, Blitz und Knall von Pistolenschüssen und ein lautes Stöhnen klang in meinen Ohren. „Heraus Jungen, heraus! und kämpft draußen im Freien! Entermesser!“ schrie der Kapitän. [Illustration] Ich ergriff ein Entermesser aus dem Haufen und irgendein anderer, der gleichzeitig ein zweites packte, schnitt mich in die Knöchel, was ich kaum fühlte. Ich schoß aus dem Tor hinaus in das helle Sonnenlicht. Jemand war knapp hinter mir, ich weiß nicht wer. Gerade vor mir verfolgte der Doktor seinen Angreifer und gerade als ich hinschaute schlug er auf ihn los, daß dieser hinfiel, mit einem großen Schlitz quer über das Gesicht, und langausgestreckt auf dem Rücken liegen blieb. „Rund um das Haus, Jungens, rund ums Haus!“ schrie der Kapitän, aber selbst in diesem Getümmel und Durcheinander bemerkte ich eine Veränderung in seiner Stimme. Mechanisch gehorchte ich, wandte mich nach Osten und lief mit erhobenem Entermesser um die Ecke des Hauses. Im nächsten Augenblick stand ich Job Anderson gegenüber. Er brüllte laut und hob seinen Hirschfänger hoch über den Kopf, daß er im Sonnenlicht glänzte. Ich hatte keine Zeit mich zu fürchten, denn als er zum Hiebe ausholte, sprang ich mit einem Satz zur Seite und rollte, da mein Fuß im weichen Sand abrutschte, kopfüber den Abhang herunter. Schon als ich aus der Tür gestürzt war, wimmelten die übrigen Meuterer bereits die Palisade hinauf, um uns zu erledigen. Ein Mann in einer roten Nachtmütze war sogar schon auf die Spitze hinaufgekommen und mit einem Fuß drüben. Nun, so schnell war ich hinuntergesaust, daß, als ich wieder auf den Füßen stand, sich alles noch in derselben Bewegung befand, der Kerl mit der roten Nachtmütze immer noch halb drüben und der Kopf eines zweiten gerade über der Spitze der Umzäunung. Und doch hatte sich in dieser winzigen Spanne Zeit der Kampf entschieden und der Sieg war unser. Gray, der mir auf dem Fuße gefolgt war, schlug den dicken Bootsführer nieder ehe er Zeit hatte zu einem neuen Schlage auszuholen. Ein zweiter wurde gerade als er ins Haus feuern wollte von einer Schießscharte aus niedergeschossen und lag nun im Todeskampfe, die noch rauchende Pistole in der Hand. Einen dritten hatte der Doktor mit einem Schlage erledigt, das hatte ich selbst gesehen. Von den vieren, welche die Palisaden erklettert hatten, war nur einer unverwundet, und der hatte sein Entermesser im Kampf verloren und trachtete in Todesangst rasch zu entkommen. „Feuert -- feuert aus dem Hause!“ schrie der Doktor. „Und ihr Jungen, zurück in Deckung.“ Doch seine Worte wurden nicht beachtet, kein Schuß fiel und der letzte Eindringling entfloh und verschwand mit den übrigen im Walde. In drei Sekunden blieb von den Angreifern nichts zurück, als die fünf Gefallenen, vier innerhalb und einer außerhalb der Palisaden. Der Doktor, Gray und ich liefen hastig in die Deckung. Die Überlebenden würden rasch wieder bei ihren Gewehren sein und das Feuer konnte jeden Augenblick wieder einsetzen. Der Rauch war inzwischen etwas abgezogen und wir sahen mit einem Blick, welchen Preis uns der Sieg gekostet hatte. Hunter lag bewußtlos neben einer Schießscharte, Joyce neben der seinigen mit einem Schuß durch den Kopf, auf immer verstummt. Und gerade in der Mitte stützte der Squire den Kapitän und einer war so blaß wie der andere. „Der Kapitän ist verwundet“, sagte Herr Trelawney. „Sind sie davongerannt?“ fragte Herr Smollett. „Die, die konnten, schon,“ erwiderte der Doktor, „aber fünf davon werden nie mehr rennen.“ „Fünf!“ rief der Kapitän, „na, das ist sehr gut. Fünf gegen drei, da bleiben wir jetzt vier zu neun. Das ist ein besseres Verhältnis als zu Anfang. Da waren wir sieben zu neunzehn, oder glaubten es wenigstens zu sein, und das ist gerade so schlimm.“ Die Meuterer waren bald nur mehr acht an der Zahl, denn der Matrose, den der Schuß Trelawneys an Bord des Schooners getroffen hatte, starb an diesem selben Abend an seiner Wunde, was natürlich den Gegnern erst später bekannt wurde. _Fünfter Teil_ _Mein Seeabenteuer_ Zweiundzwanzigstes Kapitel Wie ich mein Seeabenteuer begann Die Meuterer kehrten nicht wieder -- nicht einmal ein Schuß kam mehr aus dem Walde. Sie hatten, wie es der Kapitän nannte, „ihre Tagesration bekommen“ und wir blieben Herren des Platzes und konnten nun in Ruhe uns um die Verwundeten kümmern und unser Mittagessen bereiten. Der Squire und ich kochten, der Gefahr trotzend, im Freien und selbst draußen konnten wir kaum zur Besinnung kommen vor Entsetzen über das laute Stöhnen der Patienten des Doktors, das bis zu uns drang. Von den acht Mann, die im Kampfe gefallen waren, atmeten nur mehr drei -- der eine Seeräuber, der an der Schießscharte angeschossen worden war, Hunter und Kapitän Smollett. Und von diesen waren die beiden ersten so gut wie tot. Der Meuterer starb unter dem Messer des Doktors und Hunter kam, trotz aller unserer Bemühungen, nicht mehr zum Bewußtsein. Er lag den ganzen Tag im Sterben und keuchte laut wie der alte Freibeuter daheim während seines Schlaganfalles. Das Brustbein war ihm durch den Schlag zertrümmert worden und sein Schädel beim Fall zerschmettert, und in der nächsten Nacht ging er ohne einen Laut von sich zu geben zu seinem Schöpfer heim. Die Wunden des Kapitäns waren schwer, doch nicht lebensgefährlich. Kein lebenswichtiges Organ war ernstlich verletzt. Andersons Kugel -- denn Job hatte ihn zuerst getroffen -- hatte ihm das Schulterblatt zerbrochen und die Lunge leicht gestreift. Der zweite Schuß war in die Wadenmuskeln gedrungen. Er werde sich bestimmt erholen, sagte der Doktor, doch dürfe er wochenlang weder gehen noch den Arm bewegen und womöglich auch nicht sprechen. Mein Schnitt durch die Knöchel war ein Flohbiß, den Dr. Livesay mit Pflaster flickte und mich noch obendrein dafür bei den Ohren nahm. Nach dem Essen saßen der Squire und der Doktor eine Weile zur Beratung neben dem Lager des Kapitäns und als sie sich ausgesprochen hatten nahm der Doktor seinen Hut und seine Pistolen, umgürtete sich mit dem Entermesser, steckte die Karte in die Tasche, kletterte mit geschultertem Gewehr auf der Nordseite über die Umzäunung und machte sich vergnügt auf den Weg. Gray und ich saßen zusammen am anderen Ende des Blockhauses, um während der Beratung unserer Vorgesetzten außer Hörweite zu sein. Gray nahm die Pfeife aus dem Munde und vergaß fast sie wieder hineinzustecken, so paff war er über das Beginnen des Doktors. „Was, zum Henker, ist in ihn gefahren?“ sagte er, „ist Dr. Livesay verrückt geworden?“ „Kaum“, sagte ich. „Ich glaube, von der ganzen Mannschaft hat er am wenigsten Anlage dazu.“ „Nun, Kamerad,“ meinte Gray, „vielleicht ist er nicht verrückt, doch wenn er es nicht ist dann paß auf was ich dir sage, bin ich es.“ „Ich denke,“ erwiderte ich, „der Doktor hat seinen Plan. Wenn ich nicht sehr irre, ist er Ben Gunn besuchen gegangen.“ Wie sich später herausstellte, war es wirklich so. Doch inzwischen war es im Hause erstickend heiß und der kleine Fleck Sand innerhalb der Umzäunung glühte in der Mittagsonne. Mir ging ein anderer Gedanke durch den Kopf, der keineswegs so richtig war. Ich beneidete den Doktor, der im kühlen Waldesschatten spazieren ging, den angenehmen Duft der Nadelbäume und den Gesang der Vögel genoß, während ich gebraten dasaß und mit meinen Kleidern am heißen Harz hängen blieb, rings um mich so viel Blut und so viel Leichen, daß mich ein Ekel vor dem Hause packte, der fast so stark war wie Furcht. Die ganze Zeit während ich das Blockhaus und dann das Eßgeschirr aufwusch, wurden Ekel und Neid immer stärker, bis ich endlich, als ich mich zufällig unbeobachtet bei einem Brotkorb fand, den ersten Schritt für meine Flucht vorbereitete und meine beiden Manteltaschen mit Zwieback füllte. Ich war vielleicht ein Narr und sicherlich war ich im Begriff einen törichten, tollkühnen Schritt zu tun, doch war ich entschlossen alle in meiner Macht stehenden Vorsichtsmaßregeln dabei zu beobachten. Dieser Zwieback würde mich, wenn mir irgend etwas geschehen sollte, wenigstens bis zum Abend des nächsten Tages vor dem ärgsten Hunger schützen. Ferner nahm ich ein paar Pistolen mit, und da ich bereits ein Pulverhorn und Kugeln hatte, fühlte ich mich mit Waffen wohlversehen. Der Plan, mit dem ich mich trug, war an und für sich nicht schlecht. Ich wollte die schmale Landzunge, welche im Osten den Ankerplatz von der offenen See trennt, hinuntergehen, den weißen Felsen, den ich am letzten Abend bemerkt hatte, suchen und mich überzeugen, ob Ben Gunn dort sein Boot versteckt habe; was, wie ich noch immer glaube, wohl der Mühe wert war zu unternehmen. Doch da ich sicher war, daß man mir nicht gestatten würde die Umzäunung zu verlassen, wollte ich französischen Abschied nehmen und unbeobachtet hinausschlüpfen. Und das war eine so schlechte Handlungsweise, daß dadurch die ganze Sache zu einem Unrecht wurde. Doch ich war nur ein Bub’ und war fest entschlossen meinen Plan durchzuführen. Der Zufall wollte es, daß ich eine wundervolle Gelegenheit fand. Der Squire und Gray waren eifrig damit beschäftigt dem Kapitän bei seinen Verbänden Hilfe zu leisten. Der Weg war frei und so machte ich einen Satz über die Umzäunung und mitten hinein in das dichteste Gehölz, und ehe meine Abwesenheit bemerkt wurde, war ich außer Hörweite. Das war meine zweite Torheit und sie war viel schlimmer als die erste, denn ich ließ nur zwei gesunde Männer zur Bewachung des Hauses zurück; doch sollte sie späterhin, gleich der ersten, zur Rettung für uns alle werden. Ich nahm meinen Weg geradeaus zur Ostküste der Insel, da ich entschlossen war die dem Meere zu gelegene Seite der Landzunge hinunterzugehen, um jede Möglichkeit zu vermeiden vom Ankerplatz aus beobachtet zu werden. Es war schon spät am Nachmittag, doch noch immer warm und sonnig. Als ich mich weiter durch hohes Gebüsch hindurchwand, konnte ich in naher Entfernung nicht nur den unaufhörlichen Donner der Brandung, sondern auch ein gewisses Rauschen der Blätter und Aneinanderschlagen der Zweige hören, das mir anzeigte, daß die Brise stärker als sonst eingesetzt hatte. Bald spürte ich einen kalten Luftzug und nach einigen weiteren Schritten kam ich an den offenen Rand des Waldes und sah das Meer blau und sonnig weit vor mir liegen und die Brandung wallend und schäumend an die Küste anschlagen. Ich habe um die Schatzinsel die See niemals ruhig gesehen. Wenn die Sonne noch so heiß brannte und kein Lüftchen sich rührte und die Oberfläche des Meeres glatt und blau dalag, schlugen doch diese breiten Wogen Tag und Nacht donnernd und donnernd an die Küste, und ich glaube kaum, daß es einen Platz auf der Insel gibt, wo dieses Getöse nicht ans Ohr dringt. Ich ging mit großem Entzücken die Küste entlang, bis ich endlich, da ich nun annahm, weit genug nach Süden gekommen zu sein, unter der Deckung dichten Gebüsches vorsichtig den Sattel der Landzunge erklomm. Hinter mir war das Meer, vor mir der Ankerplatz. Die Seebrise war im Abflauen und es schien als hätte sie sich durch ihre ungewöhnliche Heftigkeit schneller zu Ende geblasen und nun folgten ihr wechselnd leichte Winde aus Süden und Südost, die breite Nebelstreifen mit sich führten. Der Ankerplatz an der Leeseite der Skelettinsel lag noch immer in der bleiernen Stille, in der wir ihn zuerst betreten hatten. Die Hispaniola spiegelte sich in dieser ruhigen Wasserfläche von der Spitze, an der die Freibeuterflagge flatterte, bis zur Wasserlinie. Daneben lag eines der Ruderboote, in dessen Achtersitz Silver saß -- ihn konnte ich stets erkennen --, während ein paar seiner Leute sich über die Reeling beugten. Einer von ihnen, mit der roten Mütze, war derselbe Schurke, den ich ein paar Stunden vorher Hals über Kopf über die Palisade fliehen gesehen hatte. Sie schienen zu lachen und zu plaudern, obwohl ich auf diese Entfernung -- über eine Meile -- natürlich kein Wort ihres Gespräches vernehmen konnte. Plötzlich erhob sich ein abscheuliches, unmenschliches Gekreisch, das mich zuerst wahnsinnig erschreckte, doch bald erinnerte ich mich wieder an die Stimme des „Kapitän Flint“ und glaubte sogar den Papagei in seinem leuchtenden Gefieder wahrzunehmen, wie er auf dem Handgelenk seines Herrn geduckt dasaß. Bald darauf fuhr die Jolle gegen das Ufer; der Mann in der roten Mütze aber und sein Gefährte gingen hinunter in die Kabine. Um diese Zeit war die Sonne hinter dem „Fernrohr“ untergegangen und da der Nebel sich rasch zusammenzog fing es an ernstlich dunkel zu werden und ich sah, daß ich keine Zeit verlieren dürfe, wenn ich das Boot noch an diesem Abend finden wollte. Der weiße Felsen, der sich deutlich über dem Nebel abzeichnete, war immer noch ein ziemliches Stück entfernt und es dauerte eine gute Weile bis ich durch das Gestrüpp, oft auf allen Vieren kriechend, mich hinarbeitete. Die Nacht war fast niedergesunken, als ich endlich ankam. Genau unter dem Felsen war eine ganz schmale, mit Rasen ausgelegte Vertiefung, die durch die Böschung und dichtes Unterholz, das dort sehr üppig wuchs, verborgen war. In der Mitte der kleinen Schlucht stand wirklich ein Zelt aus Ziegenhäuten, wie es die Zigeuner in England mit sich herumführen. Ich sprang in die kleine Schlucht hinunter, hob den Zeltvorhang und da stand Ben Gunns Boot -- unzweifelhaft sozusagen „zu Hause gemacht“: ein rohes, schiefwandiges Fahrzeug aus unbehauenem Holz, dessen Innenseite mit Tierfellen, mit der Haarseite nach innen, belegt war. Das Ding war außerordentlich klein, sogar für mich, und ich vermochte mir kaum vorstellen, wie es einen erwachsenen Mann über Wasser halten konnte. Es hatte einen kleinen, ganz niedrigen Strecksitz im Bug und zum Antrieb ein kurzes Doppelruder. Ich hatte vorher nie ein Fischerboot gesehen wie es die alten Briten benützten, doch habe ich inzwischen welche kennen gelernt und kann keine bessere Vorstellung von Ben Gunns Boot geben, als indem ich es mit dem ältesten und primitivsten Fischerboot vergleiche, das jemals Menschenhände angefertigt haben. Doch besaß es zweifellos einen großen Vorteil vor jenen Booten aus der Vorzeit: es war überaus leicht und tragbar. Da ich das Boot nun gefunden hatte hätte man denken sollen, daß ich mir vorläufig genug an Durchgängerei geleistet hatte. Doch inzwischen hatte ich einen Plan gefaßt und mich so heftig in ihn verliebt, daß ich ihn, glaube ich, sogar vor Kapitän Smolletts Augen durchgeführt hätte. Er bestand darin unter dem Schutze der Nacht die Hispaniola abzuschneiden und den Wellen und Winden preiszugeben, so daß sie irgendwo an Land treiben mußte. Ich war sicher, daß den Meuterern nach ihrem Mißerfolg am Morgen nichts mehr am Herzen lag als die Anker zu lichten und fortzusegeln und dachte, daß es eine schöne Sache wäre, das zu verhindern. Da ich nun sah wie sie ihre Wachen ohne Boot zurückließen, glaubte ich, daß man dies mit geringer Gefahr durchführen könnte. Ich setzte mich nieder, um auf die Dunkelheit zu warten und ließ mir inzwischen eine tüchtige Zwiebackmahlzeit gutschmecken. Es war eine Nacht wie sie unter zehntausend für meine Zwecke nicht geeigneter sein konnte. Der Nebel bedeckte nun den ganzen Himmel. Als die letzten Strahlen des Tageslichtes dahinschwanden legte sich vollkommene Finsternis über die Schatzinsel. Und als ich schließlich das Fischerboot schulterte und damit aus der kleinen Schlucht, wo ich mein Abendbrot gegessen hatte, hinausstolperte, waren nur noch zwei Punkte auf dem ganzen Ankerplatz sichtbar. Der eine war ein großes Feuer am Ufer, um das die besiegten Seeräuber zechend auf der morastigen Wiese herumlagen, der zweite ein bloßer Lichtschimmer in der Finsternis, der die Lage des Schiffes anzeigte. Es hatte sich während der Ebbe gedreht -- so daß der Bug jetzt mir zugewendet war -- und die einzigen Lichter an Bord waren die in der Kabine. Die Ebbe dauerte schon einige Zeit und ich mußte eine lange Strecke durch den sumpfigen Sand waten, in den ich wiederholt bis über die Knöchel einsank, ehe ich an das zurückflutende Meer kam und endlich mit einigem Aufwand von Kraft und Geschicklichkeit mein Fischerboot mit dem Kiel nach abwärts auf die Wasserfläche setzen konnte. Dreiundzwanzigstes Kapitel Die Ebbe nimmt ihren Fortgang Das Fischerboot war wirklich für eine Person meiner Größe und meines Gewichtes ein ganz sicheres Fahrzeug -- und ich bekam genug Erfahrung, um dies zu wissen -- und war ganz flott und geschickt, wenn man es auf dem Wasser sich selbst überließ. Doch war es infolge seiner Schiefwandigkeit und Unförmigkeit überaus schwer zu lenken. Man konnte machen was man wollte, es drehte sich immer mehr leewärts als irgend etwas, und sich um und umzudrehen war die Kunst, die es am besten verstand. Selbst Ben Gunn gab zu, das es „sich etwas sonderbar benahm, bis man seine Art kannte“. Sicherlich kannte ich ihre seine Art vorerst nicht. Es drehte sich nach jeder Richtung, nur nicht nach der, in welcher ich es haben wollte. Fast die ganze Zeit ging es nach der Breitseite zu und ich bin überzeugt, daß ich niemals das Schiff erreicht hätte, wenn nicht die Flut gekommen wäre. Zum Glück riß sie mich mit, ich konnte rudern wie ich wollte. Und die Hispaniola lag gerade auf dem Weg und konnte gar nicht verfehlt werden. Zuerst tauchte sie vor mir auf wie ein dunkler Fleck, dunkler als die Dunkelheit ringsum, dann begannen ihre Spieren und der Schiffsrumpf Umrisse anzunehmen und im nächsten Augenblick (denn je weiter ich vorwärts kam, desto stärker wurde die Strömung) war ich neben ihrem Kabeltau und hatte es schon ergriffen. Das Kabeltau war straff wie eine Bogensehne gespannt -- so stark zog sie an ihrem Anker. Rings um den Schiffsrumpf sprudelte und rauschte die anprallende Strömung in der pechschwarzen Nacht wie ein kleiner Bergfluß -- ein Schnitt mit meinem Messer -- und die Hispaniola würde mit der Flut forttreiben. [Illustration] Das wäre soweit ganz gut gewesen, doch ich erinnerte mich gehört zu haben, daß ein straffes Ankertau, plötzlich durchschnitten, ein so gefährliches Ding sei wie ein scheues Pferd. Es war zehn gegen eins zu wetten, daß, wenn ich so tollkühn gewesen wäre, die Hispaniola von ihrem Anker wegzuschneiden, ich und das Fischerboot glatt aus dem Wasser hinausgestoßen worden wären. Damit war es also nichts und wenn das Glück mich nicht wiederum besonders begünstigt hätte, hätte ich meinen Plan ganz aufgeben müssen. Doch die leichten Winde, die zuerst von Südost und Süden gekommen waren schlugen nach Einbruch der Dunkelheit in Südwest um. Mitten in meinem Sinnen kam ein Windstoß, packte die Hispaniola und zwang sie in die Strömung hinauf. Dabei fühlte ich zu meiner großen Freude wie sich das Ankertau lockerte und die Hand, mit welcher ich es festhielt, eine Sekunde lang ins Wasser tauchte. Als ich das sah entschloß ich mich rasch, nahm ein Messer, das ich mit den Zähnen aufmachte und schnitt eine Faser nach der anderen durch bis das Fahrzeug nur mehr von zweien gehalten wurde. Dann wartete ich ruhig mit dem Abschneiden dieser letzten beiden, bis eine neue Brise die Spannung noch mehr gelockert haben würde. Während dieser ganzen Zeit hörte ich aus der Kabine laute Stimmen, doch war ich, um die Wahrheit zu sagen, so ganz mit anderen Gedanken beschäftigt, daß ich kaum hingehört hatte. Jetzt aber begann ich, da ich nichts anderes zu tun hatte, besser aufzupassen. Die eine Stimme erkannte ich als die des Bootsführers Israel Hands, des einstigen Kanoniers des Kapitän Flint. Die andere gehörte natürlich meinem Freund mit der roten Nachtmütze. Die beiden waren offenbar arg betrunken und tranken auch jetzt weiter, denn während ich zuhörte, öffnete einer von ihnen mit einem Gröhlen das Heckfenster und warf einen Gegenstand hinaus, den ich sicherlich mit Recht für eine leere Flasche hielt. Doch waren sie nicht nur betrunken sondern auch in furchtbarer Wut. Die Flüche flogen wie Hagelkörner und von Zeit zu Zeit entstand ein so wüster Lärm, daß ich sicher war, die Sache würde mit Schlägen enden. Doch immer wieder legte sich der Streit, die Stimmen wurden ein wenig gedämpfter bis zum nächsten Höhepunkt, der wieder ohne Resultat abklang. Ich konnte den Schein des großen Wachtfeuers am Ufer durch die Bäume an der Küste hell herüberleuchten sehen. Einer sang ein eintöniges, altes Seemannslied mit einem trillernden Refrain am Ende jedes Verses, doch gab es anscheinend überhaupt kein Ende als das der Geduld des Sängers. Ich hatte es auf unserer Reise wiederholt gehört und erinnerte mich zweier Verse daraus: „Mit fünfundsiebzig die Reise begann, Zurück kam nur ein einziger Mann.“ Ich fand, daß es ein zu schmerzlich passendes Lied für eine Gesellschaft war, die am selben Morgen so grausame Verluste erlitten hatte; doch waren freilich, wie ich sah, alle diese Freibeuter so gefühllos wie das Meer, auf dem sie segelten. Endlich kam die Brise. Der Schooner neigte sich seitwärts und kam in der Dunkelheit näher. Ich fühlte wiederum das Ankertau schlaffer werden und schnitt mit einem guten, festen Schnitt die letzten Fasern durch. Die Brise bewegte das Fischerboot nur wenig und ich wurde fast augenblicklich gegen den Bug der Hispaniola getrieben. Gleichzeitig begann sich der Schooner zu drehen und langsam gegen den Strom zu rollen. Ich arbeitete wie ein Teufel, denn ich erwartete jeden Augenblick versenkt zu werden. Und da ich herausgefunden hatte, daß ich das Fischerboot nicht gerade wegbekommen konnte, ruderte ich es umgekehrt. Endlich war ich von meinem gefährlichen Nachbar befreit und eben als ich den letzten Stoß tat, bekam ich zufällig einen leichten Strick in die Hand, der hinten über Bord hing und packte ihn sofort. Warum ich das tat, ist kaum zu erklären. Es geschah zuerst aus bloßem Instinkt. Doch als ich ihn erst gepackt hatte und sah, daß er fest hielt, bekam meine Neugier die Oberhand und ich beschloß einen Blick durch das Kabinenfenster zu werfen. Ich zog mich an dem Strick hinauf und als ich mich nahe genug glaubte, erhob ich mich, der unerhörten Gefahr nicht achtend, in halber Körperhöhe und konnte nun das Dach und einen Teil des Inneren der Kabine überblicken. Um diese Zeit glitt der Schooner mit seinem winzigen Begleiter schon ziemlich rasch durch das Wasser und wir kamen in die Nähe des Lagerfeuers. Das Schiff sprach laut, wie die Seeleute sagen, es wälzte sich mit fortwährendem Geplätscher über die unendlichen Wellen und ehe ich durch das Fenster hineinblicken konnte war es mir unverständlich, wieso die Wachen nicht aufgeschreckt worden waren. Doch war der eine Blick, den ich von meinem wackligen Boot aus wagte, hinreichend, um alles zu verstehen, denn ich sah Hands und seinen Gefährten in tödlichem Ringen, einer die Hand an der Kehle des anderen, wütend ineinander verschlungen. Ich fiel wieder auf meinen kleinen Sitz zurück und wirklich gerade noch zur rechten Zeit, denn ich war fast über Bord geflogen. Ich konnte im Augenblick nichts sehen als diese beiden wild geröteten Gesichter wie sie unter der rauchenden Lampe gegeneinander schwankten und schloß die Augen, um sie wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die endlose Ballade war schließlich doch zu einem Abschluß gekommen und die ganze übrige Gesellschaft beim Lagerfeuer sang den Schlußchor, den ich so oft gehört hatte: „Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste, Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum, Schnaps stand stets auf der Höllenfahrtsliste Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum.“ Während ich darüber nachsann, wie doch Schnaps in diesem Augenblick in der Kabine der Hispaniola zur Höllenfahrt vorbereitete, wurde ich durch einen plötzlichen Ruck des Fischerbootes überrascht. Gleichzeitig schwankte es und schien seinen Kurs zu ändern während seine Schnelligkeit befremdlich zunahm. Ich öffnete sofort die Augen. Rund um mich schoben sich kleine Wellen, deren Kämme aufleuchteten. Die Hispaniola, in deren Kielwasser ich immer noch herumgewirbelt wurde, schien in ihrem Kurse zu schwanken und ich sah ihre Spiere durch die finstere Nacht hin und hergehen, und als ich näher zusah, sah ich, daß sie nach Süden zog. Ich blickte zurück und das Herz schlug mir gegen die Rippen. Dort gerade hinter mir glühte der Schein des Lagerfeuers. Die Strömung hatte sich im rechten Winkel gedreht und hatte das große Schiff um das kleine auf den Wellen tanzende Fischerboot herumgefegt. Schneller und schneller, immer höher gingen die Wellen, immer lauter rollten sie es durch die Meerenge in die offene See. Plötzlich drehte sich der Schooner vor mir mit einem heftigen Ruck um etwa zwanzig Grade und fast im selben Augenblick erschollen Schreie vom Bord des Schiffes. Ich hörte wie die Leiter der Lukenkappe von stampfenden Füßen erzitterte und wußte nun, daß die beiden Trunkenbolde endlich in ihrem Kampf innehielten und das Unheil zu begreifen begannen. Ich legte mich flach auf den Boden des jämmerlichen, kleinen Schiffleins und empfahl meine Seele ihrem Schöpfer. Es schien sicher, daß wir, wenn wir aus der Meerenge hinauskämen, in die Gewalt der tobenden Wellen kommen müßten, wo alle meine Sorgen ihr rasches Ende finden würden. Und trotzdem ich vielleicht den Tod ertragen konnte, dem nahenden Geschick entgegenzuschauen war mir unerträglich. Ich muß stundenlang so dagelegen sein, fortwährend von den Wellen auf und ab geworfen, manchmal vom sprühenden Seeschaum bespritzt und immerfort in Erwartung des Todes. Allmählich überwältigte mich die Müdigkeit. Betäubung und gelegentlich Erstarrung überfielen mich inmitten all dieser Schrecknisse, bis mich endlich der Schlaf in die Arme nahm. Und da lag ich nun in meinem von den Wogen herumgeworfenen Fischerboot und träumte von der Heimat und dem alten „Admiral Benbow“. Vierundzwanzigstes Kapitel Die Fahrt des Fischerbootes Es war heller Tag, als ich erwachte und sah, daß ich mich im Südwesten der Schatzinsel befand. Die Sonne war schon aufgegangen, doch war sie noch durch die hohe Wand des „Fernrohrs“ verdeckt, das auf dieser Seite in ungeheuren Klippen fast bis zum Meer herabkam. Der Haulbowlinegipfel und der Mizzenmasthügel standen seitlich von mir, der eine kahl und dunkel, der andere von vierzig bis fünfzig Fuß hohen Schluchten durchzogen, an deren Boden sich große Massen abgesplitterter Felsen türmten. Ich war kaum eine Viertelmeile vom Lande entfernt und mein erster Gedanke war daher, heranzurudern und zu landen. Diese Absicht mußte ich bald aufgeben. Zwischen den abgebröckelten Felsen brach sich die Brandung mit lautem Widerhall und hohe Springfluten stiegen und fielen, folgten einander von Sekunde zu Sekunde. Wenn ich mich in die Nähe wagte mußte ich entweder, an die felsige Küste geschleudert, den Tod finden oder vergeblich meine Kraft dabei verbrauchen, die vorstehenden Felsen zu erklimmen. [Illustration] Doch das war nicht alles, denn plötzlich sah ich auf flachen Felsblöcken in Rudeln kriechend oder mit lautem Anprall in die See plumsend, riesige, schleimige Ungeheuer -- weiche Schnecken von unglaublicher Größe schienen sie mir -- die, vierzig oder sechzig beisammen, mit dem Lärm ihres Gekläffes die Felsen widerhallen machten. Später erfuhr ich, daß das vollkommen harmlose Seelöwen waren, doch ihr Anblick, dazu die steilen Uferfelsen und die heftige Brandung, genügten, mich von der Landung hier abstehen zu lassen und ich war entschlossen lieber auf dem Meere zu verhungern als noch solche Gefahren zu bestehen. Indessen lag vor mir eine bessere Landungsmöglichkeit. Nördlich vom Haulbowlinekopf erstreckt sich eine schmale Landzunge, die bei niedriger Flut einen langen Strich gelben Sandes zurückläßt. Nördlich davon liegt ein anderes Kap -- das Waldkap -- wie es auf der Karte bezeichnet war -- unter hohen, grünen Nadelbäumen versteckt, welche bis zum Seeufer herabreichen. Ich erinnerte mich an das, was Silver über die Strömung gesagt hatte, die der ganzen Westküste der Schatzinsel entlang nach Norden geht, und da ich aus meiner Lage ersah, daß ich bereits von ihr getragen wurde, zog ich es vor den Haulbowlinekopf hinter mir zu lassen und meine Kräfte für einen Landungsversuch an dem weniger gefährlich aussehenden Waldkap aufzusparen. Die Wogen rollten hoch, aber gleichmäßig, der Wind blies stetig und mild vom Süden her und die Wellen stiegen und fielen ohne sich an der Strömung zu brechen. Wäre es anders gewesen, hätte ich längst umgekommen sein müssen. So aber schwamm mein kleines Boot überraschend leicht und sicher dahin. Oft sah ich, wie ich da auf dem Boden lag und nach dem Dollbord blickte, einen hohen, blauen Berg sich nahe vor mir erheben. Doch das Fischerboot sprang dann nur ein wenig in die Höhe, tanzte wie wenn es auf Federn ginge, und senkte sich jenseits des Wellenberges wieder leicht wie ein Vogel in die Mulde. Nach einer Weile wuchs meine Kühnheit und ich versuchte meine Ruderkünste. Doch schon ein kleiner Wechsel im Gleichgewicht erzeugte heftige Veränderungen im Benehmen eines solchen Fischerbootes. Denn kaum hatte ich mich nur ein wenig bewegt, gab es sofort seine freundlich tänzelnde Bewegung auf und lief geradeaus einen so steilen Wasserberg hinab, daß ich ganz schwindlig wurde, dann steckte es seine Nase, während der Gischt hochaufspritzte, tief in die Seite der nächsten Welle hinein. Ich wurde durchnäßt und erschreckt und nahm sofort meine frühere Lage ein, worauf auch das Fischerboot zur Besinnung zu kommen schien und mich so sanft wie früher durch die Wellen führte. Es schien klar, daß es keine Einmischung duldete. Doch wann konnte ich hoffen, da ich auf keine Weise seinen Lauf beeinflussen durfte, an Land zu kommen? Ich fing an mich entsetzlich zu fürchten, doch verlor ich trotzdem nicht den Kopf. Langsam und mit äußerster Vorsicht bei meinen Bewegungen, schöpfte ich mit meiner Mütze das Wasser aus dem Boot; dann, mit den Augen ein wenig über dem Bootrand, begann ich zu studieren, wie es das Boot fertigbrachte, um so ruhig zwischen den höchsten Wellen durchzukommen. Ich fand heraus, daß jede Welle durchaus nicht der große, weiche, glatte Berg war, als der sie vom Ufer oder von einem Schiffsdeck aus erschien, sondern in Wirklichkeit wie irgendein Gebirge auf dem trockenen Lande aus Spitzen, ebenen Flächen und Tälern bestand. Das Fischerboot schlängelte sich, wenn man es sich selbst überließ, ganz auf eigene Faust durch diese tieferen Teile und vermied die steilen Abhänge und hohen Gipfel der Wellen. Nun gut, dachte ich, es ist also klar, daß ich ruhig liegen muß, um nicht das Gleichgewicht zu stören, doch ist es ebenso klar, daß ich das Ruder an ruhigen Stellen von Zeit zu Zeit benützen kann, um das Boot mit ein oder zwei Schlägen mehr landwärts zu lenken. Gesagt, getan. Da lag ich also auf meinen Ellbogen in der anstrengendsten Haltung und machte von Zeit zu Zeit einen oder zwei schwache Ruderschläge, um die Bootspitze landwärts zu drehen. Es war eine sehr ermüdende und langsame Arbeit, doch gewann ich sichtlich Boden und als wir nahe an das Waldkap kamen, sah ich, daß ich zwar unfehlbar diesen Punkt verfehlen werde, doch war ich nur mehr einige hundert Meter östlich davon. Ich konnte die luftigen, grünen Baumspitzen sich im Winde bewegen sehen und war ganz sicher, daß ich am nächsten Vorgebirge unbedingt würde landen können. Es war höchste Zeit, denn der Durst begann mich zu quälen. Die glühende Sonne über mir, ihr tausendfacher Widerschein von den Wellen her, das Seewasser, das mich bespritzte und auf mir trocknete, das sogar meine Lippen mit Salz förmlich zusammenbuk, all das brannte mir in der Kehle und quälte mein Gehirn. Als ich die Bäume so nahe sah, wurde ich vor Sehnsucht beinahe krank. Doch die Strömung führte mich bald weiter und als ich wieder die offene See vor mir sah, hatte ich einen Augenblick, der meine Gedanken in ganz andere Bahnen lenkte. Gerade vor mir sah ich die Hispaniola unter Segel. Doch war ich vor Durst so außer mir, daß ich kaum wußte, ob ich froh oder traurig wäre, wenn sie mich überfahren würde. Ehe ich aber zu einem Schlusse gekommen war, hatte mich die Überraschung ganz überwältigt und ich konnte nur hinstarren und staunen. Die prachtvoll weiße Leinwand der Hispaniola blinkte wie Schnee oder Silber in der Sonne. Als ich sie zuerst sichtete waren alle Segel gespannt und sie nahm den Kurs ungefähr Nordwest. Ich nahm an, daß die Leute an Bord um die Insel herum wollten, um wieder zurück zum Ankerplatz zu gelangen. Plötzlich fing sie an sich mehr und mehr nach Westen zu wenden, so daß ich schon glaubte man habe mich von dort gesichtet und jage mir nach. Schließlich aber stand sie eine ganze Zeitlang hilflos vor dem Winde mit schlaffen Segeln. „Ungeschickte Kerle,“ dachte ich mir, „die müssen noch immer ganz betrunken sein!“ Und ich stellte mir vor, wie Kapitän Smollett sie behandelt hätte. Inzwischen wiederholte sich immer wieder dasselbe Manöver: Das Schiff segelte ein paar Minuten rasch, blieb wieder liegen und pendelte dann wieder hin und her, hinauf und hinunter, nach Norden, Süden, Osten und Westen, und jede solche Bewegung endete wie sie begonnen hatte, mit schlaff herunterhängendem Segel. Es wurde mir nun klar, daß niemand steuerte. Doch wenn es so war, wo waren die Matrosen? Entweder tödlich besoffen oder sie hatten das Schiff verlassen, dachte ich, und vielleicht könnte ich, wenn ich an Bord gelangte, das Schiff seinem Kapitän zurückgeben. Die Strömung trug in gleichem Tempo Fischerboot und Schooner nach Süden. Der Schooner segelte so wild und unregelmäßig und lag nach jedem Anlauf so lange still, daß er gar nicht vorwärts kam. Wenn ich es nur wagen könnte mich aufzusetzen und zu rudern, war ich sicher ihn einholen zu können. Dieser Plan hatte einen abenteuerlichen Beigeschmack, der mich begeisterte, und der Gedanke an den Wasserbehälter in der Kabine erhöhte meinen Mut. Ich setzte mich auf, wurde fast im selben Augenblick wiederum mit einem Strahl von Gischt überschüttet, doch blieb ich fest bei meiner Absicht und machte mich daran mit aller Kraft und Vorsicht der steuerlosen Hispaniola nachzurudern. Einmal geriet ich in so schwere See, daß ich mit klopfendem Herzen innehalten und Wasser ausschöpfen mußte. Doch nach und nach wußte ich, was ich zu tun hatte und führte mein Fischerboot, trotzdem ich hie und da einen Wasserstrahl ins Gesicht und das Boot einen Stoß in den Bug bekam, sicher durch die Wellen. Ich kam dem Schooner nun rasch näher und konnte das Metall des Helms in der Sonne glitzern sehen, doch noch immer war keine Seele auf Deck zu erblicken. Es blieb keine andere Wahl als anzunehmen, daß das Schiff verlassen worden war, und wenn nicht, so lagen die Leute betrunken unter Deck, wo ich sie einsperren konnte und das Schiff zu meiner Verfügung hätte. Eine Zeitlang tat es das für mich unangenehmste -- es stand still. Es stand fast nach Süden, natürlich fortwährend gierend. So oft es zurückfiel, füllten sich die Segel ein wenig und dann drehte es sich gleich gegen den Wind. Ich sagte schon, daß dies für mich das Schlechteste war, das geschehen konnte; denn so hilflos der Schooner in solcher Lage auch aussah, er fuhr fort von mir davonzulaufen, nicht bloß so schnell ihn die Strömung stieß, sondern mit dem ganzen Gewicht seiner Abtrift. Doch schließlich hatte ich Glück. Die Brise legte sich sekundenlang und da die Strömung das Schiff allmählich herumzog, drehte es sich langsam um seine Achse und wandte mir endlich das Achterdeck zu mit dem immer noch weitgeöffneten Kabinenfenster und der Lampe über dem Tische, die in den Tag hinein weiterbrannte. Das Hauptsegel hing wie eine Fahne herab. Die Hispaniola stand still bis auf die durch die Strömung erzeugte Bewegung. Während der letzten Minuten war ich etwas zurückgeblieben, doch jetzt verdoppelte ich meine Anstrengungen und nahm die Jagd von neuem auf. Ich war keine hundert Meter mehr von ihr entfernt, als der Wind mit einem Schlag wieder einsetzte und schon flog sie wie eine Schwalbe wieder weit fort. Meine erste Regung war Verzweiflung, die sich jedoch sofort in Freude verwandelte. Denn sie drehte sich bis sie mit der Breitseite zu mir stand, kam näher und hatte bald die Hälfte, dann zwei Drittel und endlich drei Viertel der Entfernung zwischen uns wieder eingebracht. Ich konnte die Wellen weiß unter ihrem Bug hervorschimmern sehen. Ungeheuer groß erschien sie mir von meiner tiefen Stellung aus dem Fischerboot heraus. Und da begann ich plötzlich zu begreifen. Ich hatte kaum Zeit zu denken -- kaum Zeit zu handeln und mich zu retten. Ich war auf der Spitze eines Wellenberges und schon beugte sich der Schooner über den nächsten. Der Bugspriet stand über meinem Kopfe. Ich sprang auf die Füße, faßte mit der einen Hand den Klüverbaum, während mein Fuß zwischen dem Stag und der Brasse stand. Und als ich dort noch keuchend hing, zeigte mir ein dumpfer Schlag an, daß der Schooner sich gesenkt und mein Fischerboot getroffen hatte und daß ich nunmehr allein auf die Hispaniola angewiesen war. Fünfundzwanzigstes Kapitel Ich ziehe die Piratenfahne ein Kaum hatte ich den Bugspriet erfaßt, als der Klüverbaum den anderen Bug mit einem schußähnlichen Knall traf. Der Schooner zitterte bis in den Kiel unter der Umsteuerung, doch im nächsten Augenblick flog der Klüver, während die anderen Segel weiter angespannt waren, wieder zurück. Das hätte mich fast in die See gestoßen; darum verlor ich jetzt keine Zeit, sondern kroch den Bugspriet entlang und taumelte, mit dem Kopf nach vorne, auf Deck. Ich war auf der Leeseite des Vorderkastells, und das Hauptsegel, das noch gespannt war, verbarg mir einen Teil des Achterdecks. Keine Seele war zu sehen. Der Fußboden, welcher seit der Meuterei nicht mehr aufgewaschen worden war, zeigte viele Fußspuren und eine leere Flasche, der der Hals abgebrochen war, tummelte sich wie ein lebendiges Wesen im Speigat herum. Plötzlich kam die Hispaniola richtig in den Wind. Die Klüver hinter mir krachten laut, das Steuerruder schlug an und das ganze Schiff hob sich und erzitterte, während sich der Hauptmast nach innen drehte, die Segel sich lüfteten und mir das Achterdeck enthüllten. Da waren auch die beiden Wachen: Rotmütze lag auf dem Rücken, steif wie ein Stück Holz, die Arme weit ausgestreckt und durch die geöffneten Lippen zeigte er seine Zähne; Israel Hands an die Reeling gelehnt, das Kinn auf die Brust herabgefallen, die Hände offen vor sich hingestreckt, mit einem Gesicht, das weiß war wie Wachs. Eine Zeitlang fuhr das Schiff fort zu bocken und sich zu bäumen wie ein ungebärdiges Roß, die Segel füllten sich bald auf der einen, bald auf der anderen Seite und die Spiere schwang auf und ab, bis der Mast unter dem Druck laut ächzte. Dann und wann sprang eine Wolke leichten Schaumes über die Reeling und manchmal schlug der Schiffsbug schwer gegen die Dünung. Das große, aufgetakelte Schiff brachte natürlich eine viel größere Bewegung hervor als mein kleines, schiefwandiges Fischerboot, das jetzt auf dem Boden der See ruhte. Bei jedem Sprung des Schooners glitt die Rotmütze hin und her, was geisterhaft anzusehen war und auch seine Haltung und sein starres Grinsen, das die Zähne entblößte wurde durch die heftige Bewegung nicht verändert. Bei jedem Sprung schien auch Hands mehr in sich selbst hineinzusinken und sich auf das Deck niederzulassen, so daß seine Füße immer weiter hinausglitten und der ganze Körper mehr zum Achterdeck zu gebogen wurde, bis schließlich sein Gesicht von mir aus nicht mehr zu sehen war und ich außer seinem Ohr und einer zerzausten Locke seines Backenbartes nichts mehr von ihm erblicken konnte. Gleichzeitig bemerkte ich rund um die beiden Männer Spritzer dunklen Blutes auf dem Boden und begann als sicher anzunehmen, daß sie einander in ihrer trunkenen Wut getötet hatten. Während ich noch entgeistert hinsah, drehte sich Israel Hands in einem ruhigen Moment als das Schiff stillstand teilweise herum und arbeitete sich mit einem Stöhnen wieder in die Lage hinüber, in der ich ihn zuerst erblickt hatte. Das Stöhnen, das mir seine Schmerzen und seine tödliche Schwäche verriet und die Art, in der seine Kinnbacken aufgerissen herunterhingen, ging mir zu Herzen, doch wenn ich an das Gespräch dachte, das ich aus dem Äpfelfaß belauscht hatte, verließ mich jedes Mitleid. Ich schritt hinüber bis zum Hauptmast. „Kommt an Bord, Herr Hands“, sagte ich ironisch. Er rollte finster die Augen, doch war er zu schwach, um Erstaunen zu zeigen, er konnte nur das eine Wort hervorbringen: „Branntwein!“ [Illustration] Mir schien es, daß da keine Zeit zu verlieren war und indem ich dem Klüverbaum auswich, der wieder über das Deck schlingerte schlüpfte ich die Kajütentreppe hinunter in die Kabine. Dort fand ich eine unbeschreibliche Unordnung. Alle versperrbaren Möbel waren auf der Suche nach der Karte aufgebrochen worden, auf dem Fußboden lag dicker Schmutz, dort wo die Schurken sich zum Trinken oder zur Beratung niedergelassen hatten, nachdem sie in dem Morast rund um ihr Lagerfeuer herumgewatet waren. Die Wände, alle sauber weiß ausgemalt und rings mit goldenen Kränzen geschmückt, zeigten die Abdrücke schmutziger Finger. Beim Rollen des Schiffes klirrten Dutzende von leeren Flaschen in den Winkeln aneinander. Eines von den medizinischen Büchern des Doktors lag offen auf dem Tische, mit zur Hälfte herausgerissenen Blättern, die, wie es schien, als Fidibusse verwendet worden waren -- und auf alle diese Unordnung warf die blakende Lampe noch immer ihren trüben Schein. Als ich in den Keller kam, fand ich, daß die Fässer fort waren und eine überraschend große Anzahl Flaschen geleert und weggeworfen worden waren. Zweifellos war seit Beginn der Meuterei kein Mann nüchtern geblieben. Auf meiner Suche nach Eßwaren fand ich endlich eine Flasche, in der noch etwas Branntwein war, für Hands, und für mich ein paar Zwiebackstücke, eingemachte Früchte, eine große Malagatraube und ein Stück Käse. Damit beladen kam ich auf Deck, verstaute meine eigene Portion hinter den Rudern, so daß sie der Bootsführer nicht erreichen konnte, ging zum Wasserbehälter und trank einen guten langen Schluck Wasser, und erst dann und nicht früher gab ich Hands von dem Branntwein. Er muß eine Viertelpinte getrunken haben, so lange dauerte es, bis er die Flasche vom Munde hob. „Ja,“ sagte er, „beim Teufel, das habe ich gebraucht!“ Ich saß schon in meinem Winkel und begann zu essen. „Stark verletzt?“ fragte ich ihn. Er grunzte oder bellte vielmehr. „Wenn dieser Doktor an Bord wäre,“ sagte er, „wäre ich bald wieder obenauf, aber ich bin ein Pechvogel, das ist die Sache bei mir. Der Waschlappen da, der ist tot,“ fügte er hinzu, auf die Rotmütze zeigend, „übrigens war er ja kein Seemann. Aber wo kommst denn du her?“ „Nun“, sagte ich, „ich bin an Bord gekommen, um dieses Schiff in Besitz zu nehmen, Herr Hands, und Ihr habt mich gefälligst bis auf weiteres als Euren Kapitän zu betrachten.“ Er sah mich ziemlich scheel an, sagte aber nichts. Ein wenig Farbe war wieder in seine Wangen zurückgekehrt, doch sah er noch immer sehr schlecht aus und rutschte noch immer bei jedem Ruck des Schiffes hilflos aus. „Und übrigens“, fuhr ich fort, „mag ich diese Fahne nicht, Herr Hands und werde sie mit Eurer Erlaubnis einziehen. Lieber gar keine als diese.“ Und ich duckte mich wieder unter dem Klüverbaum, lief zur Flaggenstange, riß die verfluchte, schwarze Fahne herunter und warf sie über Bord. „Gott schütze den König!“ sagte ich, meine Mütze lüftend, „und mit Kapitän Silver ist es jetzt aus.“ Er beobachtete mich scharf und schlau, während sein Kinn immer noch auf die Brust herunterhing. „Ich glaube,“ sagte er endlich, „ich glaube, Kapitän Hawkins, Ihr werdet vielleicht an Land gehen wollen, jetzt. Darüber könnten wir reden.“ „Freilich,“ sagte ich, „natürlich, Herr Hands! Sagt was Ihr zu sagen habt.“ Und ich setzte mich mit gutem Appetit wieder zu meiner Mahlzeit. „Dieser Mann da,“ er nickte schwach zu der Leiche hinüber -- „O’Brien hieß er, ein widerlicher Irländer --, dieser Mann und ich haben das Segel aufgezogen und wollten zurücksegeln. Na, der Mann ist tot, so tot wie ein Schiffsrumpf. Wer jetzt das Schiff segeln soll, weiß ich nicht. Wenn ich Euch dabei nicht helfe, seid Ihr wohl nicht der Mann dazu, kommt mir vor. Ich sag Euch was: Ihr gebt mir zu essen und zu trinken und einen alten Schal oder ein Sacktüchel, um meine Wunde zu verbinden, und dafür sage ich Euch, wie man segeln muß. Ich glaube das ist ein ehrlicher Handel.“ „Ich will nicht zurück zu Kapitän Kidds Ankerplatz,“ sagte ich, „ich will in die Nordbucht und dort ruhig vor Anker gehen.“ „Ja natürlich wollt Ihr das,“ rief er, „ich bin doch schließlich kein so verteufelter Tölpel. Ich seh doch, was vorgeht, nicht wahr? Ich hab meinen Wurf probiert und verloren und Ihr habt mir den Wind abgefangen. Nach der Nordbucht? Aber ich hab doch keine Wahl! Ich würde Euch auch helfen die Hispaniola zum Hinrichtungsdock zu segeln, beim Teufel, das würd ich!“ Das schien mir ganz vernünftig. Wir schlossen sofort das Geschäft ab. Nach drei Minuten segelte die Hispaniola längs der Küste der Schatzinsel leicht vor dem Wind und ich hatte begründete Hoffnung die nördliche Spitze vor Mittag zu erreichen und bei der Nordbucht noch vor hohem Wasserstand zu sein, so daß wir sicher ankern und dann warten konnten, bis uns die zurückgehende Flut die Möglichkeit gab an Land zu gehen. Dann band ich die Ruderpinne an und ging zu meinem eigenen Koffer, aus dem ich ein weiches, seidenes Tuch meiner Mutter herausnahm. Damit verband Hands mit meiner Hilfe die große, blutende Stichwunde, die er in den Schenkel bekommen hatte und nachdem er etwas gegessen und noch ein paar Schluck Branntwein genommen hatte fing er an sich sichtlich wieder aufzurichten, sprach lauter und deutlicher und war überhaupt ein anderer Mensch geworden. Die Brise war uns sehr günstig. Wir glitten wie ein Vogel vor ihr her, die Küste flog vorüber und die Aussicht wechselte jeden Augenblick. Bald hatten wir die Hochfläche passiert und fuhren an niedrigem Sandland vorbei, das mit Zwergfichten spärlich bestanden war und dann wendeten wir uns um die Ecke des Felsenberges, der die Insel im Norden begrenzt. Ich war in sehr gehobener Stimmung über mein neues Kommando und entzückt von dem schönen, sonnigen Wetter und den verschiedenartigen Ausblicken auf die Küste. Ich hatte nun genug Trinkwasser und gute Sachen zum Essen und mein Gewissen, das wegen meiner Flucht sehr unruhig gewesen war, war jetzt durch die große Eroberung, die ich gemacht hatte, beruhigt. Mir blieb nichts zu wünschen übrig, nur die Augen des Bootsführers, die mich spöttisch verfolgten und das sonderbare Lächeln, das fortwährend auf seinem Gesicht spielte, störten mich. Es war ein Lächeln, das einen Zug von Schmerz und Schwäche hatte -- das Lächeln eines abgehärmten, alten Mannes --, aber ein Körnchen Spott, ein Schatten von Verrat lag dennoch in seinem Ausdruck, wie er mich da bei meiner Arbeit listig beobachtete, beobachtete, beobachtete. Sechsundzwanzigstes Kapitel Israel Hands Der Wind, der unseren Wünschen entgegenkam wandte sich jetzt nach Westen und wir konnten nun um so leichter vom nordwestlichen Winkel der Insel an die Mündung der kleinen Landzunge fahren, doch wagten wir es nicht, das Schiff an den Strand laufen zu lassen, ehe die Flut ein wenig weiter weg war, da wir keine Möglichkeit hatten Anker zu werfen. Der Bootsführer sagte mir, wie ich das Schiff beilegen sollte und als mir das nach einer Reihe von Versuchen gelungen war, setzten wir uns schweigend zum Essen. „Kapitän!“ sagte er schließlich mit demselben unbehaglichen Lächeln, „könntet Ihr nicht meinen alten Schiffskameraden da, den O’Brien, über Bord werfen? Ich bin für gewöhnlich nicht heiklich und ich geniere mich nicht, weil ich ihn zu Brei geschlagen habe, aber ich finde, er ist nicht gerade ein Zimmerschmuck, wie er daliegt; hab ich recht?“ „Dazu bin ich nicht stark genug und ich mag auch so eine Arbeit nicht,“ sagte ich, „und von mir aus kann er hier liegen bleiben.“ „Jim, das ist ein unseliges Schiff, diese Hispaniola“, fuhr er blinzelnd fort. „Ein Schüppel Männer tot von dieser Hispaniola -- eine Menge armer Matrosen hin, seit wir zwei in Bristol zur See gegangen sind. Ich hab noch nie solch ein dreckiges Pech gesehen. Ich nicht. Da ist dieser O’Brien da -- er ist doch tot, nicht wahr? Ja also, ich bin kein Gelehrter und Ihr seid ein Bursch, der lesen und rechnen kann. Na, und um es gerade herauszusagen, glaubt Ihr, daß ein Toter einfach tot ist für immer oder kann er wieder lebendig werden?“ „Man kann den Leib töten, Herr Hands, doch nicht den Geist, das müßt Ihr schon wissen,“ erwiderte ich, „O’Brien ist in einer anderen Welt und vielleicht beobachtet er uns.“ „So!“ sagte er, „nun, das ist unangenehm -- scheint also, abmurksen ist schade um die Zeit. Na, hol’s der Kuckuck, vor Geistern braucht man sich nicht viel zu fürchten, das hab’ ich schon gesehen. Mit den Geistern will ich es schon noch aufnehmen. Und jetzt haben wir uns ausgesprochen, Jim, und es wär sehr nett von Euch, wenn Ihr da in die Kabine hinuntergehen würdet und mir -- ja was denn? -- ich kann mich an den Namen nicht erinnern -- ja, also wenn Ihr mir eine Flasche Wein bringen würdet, Jim -- der Branntwein da ist mir zu stark.“ Die zögernde Ausdrucksweise des Bootsführers kam mir unnatürlich vor und seine Behauptung, daß er Wein dem Branntwein vorziehe, glaubte ich schon gar nicht. Die ganze Geschichte war ein Vorwand. Er wollte, daß ich das Deck verlasse -- soviel war gewiß; aber zu welchem Zweck, das konnte ich mir absolut nicht vorstellen. Ich begegnete niemals seinem Blick. Seine Augen schweiften fortwährend hin und her, hinauf und hinunter, hafteten einmal mit einem flüchtigen Blick am Himmel und dann wieder mit einem scheuen Blinzeln auf dem toten O’Brien. Dabei lächelte er ununterbrochen und steckte seine Zunge so schuldbewußt und verlegen heraus, daß ein Kind hätte erraten können, er sinne auf Betrug. Trotzdem stimmte ich ihm sofort bei, denn ich sah, daß das für mich vorteilhafter sei und daß ich einem so besonders dummen Kerl meinen Verdacht jederzeit leicht verbergen könne. „Wein?“ sagte ich, „Herr! Wollt Ihr weißen oder roten?“ „Nun, es ist mir verflucht gleichgültig, Kamerad, wenn nur genug davon da ist und wenn er stark ist.“ „Gut,“ antwortete ich, „ich werde Euch Porter bringen, Herr Hands, aber eine Weile wird es schon dauern, bis ich welchen ausgrabe.“ Und damit rannte ich, so lärmend ich konnte, die Kajütentreppe hinunter, zog meine Schuhe aus, lief leise den Gang entlang zurück, stieg auf die Vorkastelleiter und schaute aus dem Kajütenfenster hinaus. Ich wußte, daß er nicht annehmen konnte mich dort zu sehen, doch machte ich es so vorsichtig wie möglich. Und richtig erwiesen sich meine ärgsten Vermutungen als nur zu richtig. Er hatte sich aus seiner Lage erhoben, auf Hände und Knie gestützt und trotzdem ihn sein Bein sichtlich sehr schmerzte -- ich hörte ihn unterdrückt stöhnen --, schleppte er sich doch ziemlich flink über das Deck. In einer halben Minute hatte er die Speigatluke erreicht und aus einer Tauwerkrolle ein langes Messer herausgezogen, das bis zum Griff mit Blut besudelt war. Er schaute es einen Moment an, indem er seinen Unterkiefer vorstreckte, probierte die Spitze auf der Handfläche, dann verbarg er es hastig unter seiner Jacke und wälzte sich wieder zu seinem alten Platz an der Reeling zurück. Das war alles, was ich wissen wollte. Israel konnte sich bewegen, er war jetzt bewaffnet, und da er mich vorhin so eifrig loswerden wollte, war es klar, daß ich das Opfer sein sollte. Was er dann tun wollte, ob er versuchen wollte quer durch die Insel zum Lager bei den Sümpfen zu kriechen oder ob er den langen Tom abfeuern wollte, im Vertrauen darauf, daß seine Kameraden ihm gleich zu Hilfe kommen würden, das war natürlich mehr als ich wissen konnte. Doch in einem Punkte konnte ich mich auf ihn verlassen, da unsere Interessen dabei zusammengingen: das war die Lenkung des Schooners. Wir beide wünschten ihn sicher an Land zu bringen, auf einen geschützten Platz, wo man ihn, wenn es dazu an der Zeit war, mit so wenig Arbeit und Gefahr wie möglich wieder fortbringen könnte. Solange das nicht vollbracht war, würde er mir sicherlich nicht den Garaus machen. Während ich diese ganze Sache überdachte, war ich nicht müßig geblieben, sondern war leise in die Kabine zurückgeschlüpft, hatte wieder meine Schuhe angezogen, eine beliebige Flasche Wein mitgenommen und so ausgerüstet erschien ich wieder auf Deck. Hands lag wie ich ihn verlassen hatte, wie ein Häuflein Elend mit halbgeschlossenen Augen, als sei er zu schwach das Licht zu ertragen. Immerhin blickte er auf als ich kam, brach der Flasche den Hals so geschickt wie einer, der das schon oft gemacht hat und nahm einen guten Schluck und sagte seinen Lieblingstoast „Gut Glück“. Dann lag er eine Weile still und zog schließlich eine Rolle Tabak heraus und bat mich ihm ein Priemchen zu schneiden. „Schneidet mir ein bißchen davon, denn ich hab kein Messer und habe auch nicht die Kraft dazu, selbst wenn ich eines hätte. Ach Jim, Jim, ich glaube, mit mir ist’s aus! Schneidet mir ein Priemchen, es wird wohl das letzte sein, Junge, denn ich bin auf dem Weg in meine ewige Heimat, ganz gewiß!“ „Gut,“ sagte ich, „ich werde Euch Tabak schneiden, aber wenn ich an Eurer Stelle wäre und mich so elend fühlte, dann würde ich zu beten anfangen wie ein Christ.“ „Warum?“ sagte er, „jetzt sagt mir, warum.“ „Warum?“ rief ich, „Ihr habt mich doch gerade wegen der Toten gefragt. Nun, Ihr habt Euren Eid gebrochen; Ihr habt in Sünde, Lüge und Blut gelebt. Ein Mensch, den Ihr getötet habt, liegt in diesem Augenblick zu Euren Füßen; Gott schütze Euch. Und Ihr fragt, warum?“ Ich sprach ein wenig hitzig, denn ich dachte an den blutigen Dolch, den er in seiner Tasche versteckt hatte und der in seinen bösen Gedanken bestimmt war mir den Garaus zu machen. Er hingegen nahm einen großen Schluck Wein und sagte mit ganz ungewöhnlicher Feierlichkeit: „Seit dreißig Jahren segle ich jetzt auf dem Meere und habe gutes und schlechtes, besseres und schlechteres, schönes und dreckiges Wetter erlebt, habe mitgemacht, daß die Vorräte ausgingen, Messerstechen und noch mancherlei. Aber ich will Euch was sagen: ich hab’ noch niemals gesehen, daß aus Güte was Gutes entsteht. Wer zuerst schlägt, der ist mein Mann. Tote Leute beißen nicht -- das ist meine Ansicht. Amen, so sei es. Und nun schaut her,“ fuhr er in plötzlich verändertem Tone fort, „genug von dem Unsinn. Die Flut steht gerade richtig. Nun nehmt gefälligst meine Befehle an, Kapitän Hawkins, dann werden wir im Nu drin sein und die Sache ist erledigt.“ Alles in allem hatten wir kaum mehr zwei Meilen zu segeln, doch war die Einfahrt in diesen nördlichen Ankerplatz nicht nur schmal und seicht, sondern drehte sich östlich und westlich und war darum schwierig zu bewerkstelligen, so daß der Schooner sehr vorsichtig hineingelotst werden mußte. Ich glaube, daß ich ein guter, flinker Untergebener war und ganz sicher war Hands ein vorzüglicher Pilot, denn er lenkte hierher und dorthin und manövrierte vorsichtig und vermied die Klippen mit einer Sicherheit und Sorgfalt, daß es eine Freude war. Kaum hatten wir das Vorgebirge passiert, so waren wir von Land umschlossen. Die Ufer der Nordbucht waren so dicht bewaldet wie die des südlichen Ankerplatzes, doch war die Zunge länger und schmäler und es sah hier aus wie die Mündung eines Flußlaufes, was es ja tatsächlich war. Gerade vor uns am südlichen Ende lag ein fast ganz zertrümmertes Schiffswrack im letzten Stadium der Auflösung. Es war ein großer Dreimaster, doch schien er schon sehr den Unbilden des Wetters ausgesetzt, da er ganz mit großen Büscheln Seetang bewachsen war. Auf Deck hatten ein paar Schößlinge der Ufergebüsche Wurzel gefaßt und standen jetzt in Blüte. Ein trauriger Anblick, doch gab er uns volle Gewißheit darüber, daß dieser Ankerplatz windstill war. „Schaut her,“ sagte Hands, „das ist ein nettes Fleckchen zum Landen. Schöner flacher Sand, keine Katze zu sehen, ringsherum Bäume und Blumen wie in einem Garten auf dem alten Schiff da.“ „Und wenn wir erst gelandet sind,“ fragte ich, „wie sollen wir die Hispaniola wieder wegkriegen?“ „Sehr einfach,“ antwortete er, „wenn die Ebbe kommt nehmt Ihr ein Seil hinüber ans Ufer; dort legt Ihr es um eine der großen Fichten, kehrt um, bringt das Seil mit und legt es um den Gangspill, dann wartet Ihr auf die Flut. Wenn das Wasser hoch geht, alles an Bord zieht an dem Seil! Das Schiff schwimmt wie am Schnürchen. Und jetzt, mein Junge aufgepaßt, wir werden es gleich haben! Aber sie geht zu schnell, ein wenig nach Steuerbord -- so -- Vorsicht -- Steuerbord -- Backbord -- ein wenig nur -- vorsichtig -- vorsichtig!“ So gab er seine Befehle, die ich atemlos befolgte. Und plötzlich schrie er: „Jetzt fest nach Luv!“ Ich wendete fest das Steuer, die Hispaniola drehte sich rasch herum und lief mit dem Steven das niedrige, bewaldete Ufer an. Die Aufregung während dieser letzten Manöver hatte mich etwas von der scharfen Beobachtung des Bootsführers abgelenkt. Und auch jetzt noch war ich vom Interesse für unsere Landung so in Anspruch genommen, daß ich die Gefahr, die über meinem Haupte schwebte, ganz vergaß und über die Steuerbordreeling gelehnt dastand und auf das Wasser hinaussah. Er hätte mich kampflos niedermachen können, wenn mich nicht eine plötzliche Unruhe befallen hätte, so daß ich mich umdrehte. Vielleicht hatte ich ein Knarren gehört oder irgendwie seinen Schatten aus einem Winkel meines Auges bemerkt, vielleicht war es ein Instinkt wie der einer Katze -- kurz, als ich mich umdrehte, war Hands schon den halben Weg zu mir mit dem Messer in der rechten Hand. [Illustration] Wir müssen beide laut aufgeschrien haben als unsere Blicke sich trafen. Doch mein Schrei war ein Schreckensschrei, seiner das Wutbrüllen eines losgehenden Stieres. Im selben Augenblick warf er sich nach vorne und ich sprang seitwärts gegen den Bug. Dabei hatte ich den Helmstock losgelassen, der leewärts schnellte und mir so das Leben rettete, denn er schlug Hands so heftig vor die Brust, daß er taumelte. Ehe er sich erholen konnte, war ich aus dem Winkel, in den er mich wie in eine Falle gelockt hatte, draußen, und hatte nun das ganze Deck zu meiner Verfügung. Vor dem Hauptmast hielt ich inne, zog eine Pistole aus der Tasche, zielte ruhig, obwohl er sich inzwischen umgedreht hatte und wieder auf mich zukam und drückte ab. Der Hammer fiel, doch folgte weder Blitz noch Knall, denn das Seewasser hatte die Zündung verdorben. Ich verfluchte meine Nachlässigkeit. Warum hatte ich nicht längst meine einzigen Waffen untersucht und neu geladen? Dann hätte ich nicht, wie jetzt, ein schwaches flüchtiges Schaf, vor diesem Schlächter zittern müssen. Es war geradezu merkwürdig, wie rasch er sich trotz seiner Verwundung bewegen konnte, während sein graues Haar über sein Gesicht fiel, das vor Haß und Wut hochrot war. Ich hatte keine Zeit meine andere Pistole zu probieren und auch gar keine Lust dazu, denn es war klar, daß es nutzlos sein mußte. Eines war sicher: Ich konnte mich nicht einfach vor ihm zurückziehen, denn er würde mich sonst bald in den Bug jagen, wie er mich vor einem Augenblick fast in den Hintersteven gelockt hatte, und war ich einmal gefangen, so waren acht bis zehn Zoll des blutgetränkten Messers meine letzte Erfahrung in dieser Welt. Ich umfaßte den Hauptmast, der ziemlich dick war mit beiden Handflächen und wartete nun mit gespannten Nerven. Da er sah, daß ich ihn überlisten wollte, hielt auch er ein, und ein oder zwei Augenblicke vergingen mit Scheinbewegungen seinerseits, die ich entsprechend erwiderte. Dieses Spiel hatte ich oft zu Hause zwischen den Felsen der Schwarzhügelbucht gespielt, doch sicherlich nie mit so wildklopfendem Herzen wie diesmal. Immerhin, es war, wie ich sagte, ein Knabenspiel, und ich glaubte wohl mich darin gegen einen ältlichen Seemann mit verwundetem Schenkel behaupten zu können. Ja, mein Mut begann so zu wachsen, daß ich mir einige rasche Gedankensprünge erlaubte und mir das Ende dieses Spieles vorzustellen versuchte. Und während ich als sicher annahm, daß ich es ziemlich lange ausspinnen könnte, sah ich doch keine Hoffnung für ein endgültiges Entkommen. Aber während die Dinge so standen, lief das Schiff plötzlich mit einem Ruck auf, schwankte, grub sich einen Augenblick in den Sand und kippte dann mit einem Schlag über, bis das Deck in einem Winkel von fünfundvierzig Grad stand und eine tüchtige Menge Wasser durch die Speigatlöcher hereinfloß und einen förmlichen Teich zwischen Deck und Reeling bildete. Wir beide wurden in einer Sekunde umgeworfen und rollten fast gleichzeitig in das Speigat. Die tote Rotmütze taumelte uns mit immer noch steif ausgestreckten Armen nach und so nahe waren wir einander, daß mein Kopf gegen den Fuß des Bootsführers anstieß, daß mir die Zähne krachten. Trotz der Erschütterung war ich als erster wieder auf den Beinen, denn Hands war mit dem Leichnam aneinander geraten. Die plötzliche Neigung des Schiffes machte es unmöglich auf Deck herumzulaufen und ich mußte einen anderen Weg zur Flucht suchen, und zwar sofort, denn mein Feind berührte mich schon fast. Schnell wie ein Gedanke sprang ich in die Besanwanten, kletterte rasch hinauf und tat keinen Atemzug, bis ich oben auf dem Kreuzmast saß. Meine Schnelligkeit hatte mich gerettet, denn das Messer stak etwa einen halben Fuß unter mir und Israel Hands stand da mit offenem Munde und aufwärtsgewendetem Gesicht wie eine Statue der Überraschung und Enttäuschung. Jetzt, da ich einen Augenblick für mich hatte, verlor ich keine Zeit, wechselte die Zündung meiner Pistole und als die eine in Ordnung war, ging ich daran, die zweite zu laden, um doppelt sicher zu gehen. Meine neue Beschäftigung war ein schwerer Schlag für Hands; er fing an einzusehen, daß das Spiel sich gegen ihn wendete. Nach sichtlichem Zögern schleppte auch er sich zu den Wanten und fing an mit dem Messer zwischen den Zähnen langsam und unter Schmerzen hinaufzukriechen. Es kostete ihm eine Menge Zeit und er stöhnte schmerzlich wie er da sein verwundetes Bein hinter sich herzog. Ich hatte inzwischen ruhig meine Vorbereitungen beendet, noch ehe er ein Drittel des Weges zurückgelegt hatte. Dann richtete ich mit einer Pistole in jeder Hand das Wort an ihn: „Noch einen Schritt, Herr Hands,“ sagte ich, „und ich werde Euch das Gehirn ausblasen! Tote Leute beißen nicht, wie Ihr wißt!“ fügte ich mit einem Kichern hinzu. Er hielt sofort ein. Ich konnte auf seinem Gesicht die Gedanken arbeiten sehen und der Vorgang war so langsam und mühevoll, daß ich in meiner neu gefundenen Sicherheit laut auflachte. Endlich begann er, nachdem er einmal oder zweimal geschluckt hatte, zu sprechen und sein Gesicht trug dabei immer noch denselben Ausdruck äußerster Bestürzung. Um sprechen zu können, mußte er das Messer aus dem Munde nehmen, doch im übrigen blieb er unbeweglich. „Jim,“ sagte er, „ich denke wir sind beide in der Tinte und werden einen Pakt schließen müssen. Ohne diesen Ruck hätte ich Euch schon, aber ich bin ein Pechvogel und ich glaube, ich werde mich ergeben müssen und das ist nicht leicht, seht Ihr, für einen alten Seemann, so einem Schiffsjunker, wie Ihr seid, Jim.“ Lächelnd sog ich seine Worte ein, stolz wie der Hahn am Mist, als blitzschnell seine rechte Hand über die Schulter zurückgriff. Etwas schwirrte wie ein Pfeil durch die Luft, ich fühlte einen Schlag und darauf einen scharfen Schmerz und fand mich mit der Schulter an dem Mast festgenagelt. In dem entsetzlichen Schmerz und in der Überraschung des Moments -- ich kann kaum sagen, daß es durch meinen eigenen Willen geschah und sicher ohne eine bewußte Absicht -- gingen meine beiden Pistolen los und beide fielen mir aus der Hand. Sie fielen nicht allein; mit einem erstickten Schrei ließ der Bootsführer die Strickleitern los und stürzte mit dem Kopf voran ins Wasser. Siebenundzwanzigstes Kapitel „Goldstücke“ Infolge der geneigten Stellung des Schiffes hingen die Masten weit über das Wasser hinaus und von meinem Sitz auf dem Kreuzmast sah ich nichts unter mir als die Oberfläche der Bucht. Hands, der nicht so weit hinaufgekommen war, war dem Schiff entsprechend näher und fiel zwischen mich und die Reeling. Er wurde noch einmal emporgetrieben und versank dann endgültig. Ich konnte ihn, als das Wasser ruhig geworden war, auf dem reinen weißen Sand im Schatten des Schiffes zusammengekauert liegen sehen. Ein paar Fische flitzten über seinen Leib hinüber. Manchmal schien er sich zu bewegen, so als ob er versuchte aufzustehen. Aber er war wirklich tot, erschossen und ertrunken und lag jetzt da, den Fischen zum Fraße, an demselben Platz, wo er beabsichtigt hatte mich niederzumachen. Kaum hatte ich mich dessen versichert, trat mir die Schauerlichkeit dieser letzten Minuten erst voll ins Bewußtsein und ich fühlte mich krank, schwach und elend. Das Blut rann mir über Rücken und Brust. Das Messer brannte an der Stelle, wo es meine Schulter an den Mast festnagelte wie ein heißes Eisen, und doch waren es nicht diese körperlichen Leiden, die mich quälten, denn diese glaubte ich ohne Murren ertragen zu können, sondern es war die entsetzliche Furcht vom Kreuzmast hinunter in dieses stille, grüne Wasser neben die Leiche des Bootsführers zu fallen. Ich hielt mich mit beiden Händen fest bis mich die Nägel schmerzten und schloß die Augen als könnte ich so die Gefahr zudecken. Allmählich aber kam ich wieder zu mir, mein Puls ging ruhiger und ich konnte überlegen. Mein erster Gedanke war, das Messer herauszuziehen, doch stak es entweder zu fest oder waren meine Nerven zu schwach, mich überlief ein heftiger Schauer und ich gab es auf. Sonderbarerweise brachte gerade dieser Schauer die Arbeit fertig. Das Messer hätte mich wirklich um ein Haar verfehlt, denn es hatte mich nur an einem Hautfetzen festgehalten, der jetzt durch den Schauer weggerissen wurde. Gewiß lief das Blut um so schneller an mir herunter, doch ich war wieder mein eigener Herr und nur mit meinem Hemd und meinem Rock am Mast festgehalten. Die riß ich mit einem raschen Ruck fort und gelangte über die Steuerbordwanten wieder auf Deck. Um nichts in der Welt hätte ich mich auf die überhängenden Backbordwanten gewagt, von denen Israel heruntergestürzt war. Ich ging hinunter und versorgte meine Wunde so gut wie möglich. Sie schmerzte mich tüchtig und blutete noch immer heftig, doch war sie weder tief noch gefährlich und hinderte mich auch nicht sonderlich an der Benützung meines Armes. Dann schaute ich um mich, und da das Schiff nun gewissermaßen mein Eigen geworden war, wollte ich es noch von seinem letzten Passagier -- dem toten O’Brien -- befreien. [Illustration] Er war, wie gesagt, gegen die Reeling gestürzt, wo er jetzt wie eine Art grauenhafter, plumper Marionette dalag, in Lebensgröße freilich, doch wie verschieden von der Farbe und Anmut des Lebens! In dieser Lage konnte ich ihn leicht handhaben und da meine tragischen Abenteuer in mir schon jede Furcht vor dem Toten verwischt hatten, so nahm ich ihn wie einen Sack Kleie um die Mitte und warf ihn mit einem festen Anlauf über Bord. Mit einem lauten Platschen fiel er ins Wasser, die rote Mütze wurde fortgeschleudert und schwamm an der Oberfläche weiter. Als die Wellen wieder ruhiger gingen konnte ich ihn und Israel Hands Seite an Seite liegen sehen, beide schaukelnd in der zittrigen Bewegung des Wassers. O’Brien war trotz seiner Jugend ganz kahlköpfig. Da lag er nun mit dem kahlen Kopf quer über den Knien seines Mörders und die schnellen Fische segelten über beide hinweg, hin und her. Ich war nun allein auf dem Schiff und die Flut hatte sich eben gewendet. Die Sonne war schon so nahe am Untergehen, daß der Schatten der Nadelbäume auf dem westlichen Ufer bereits quer über den Ankerplatz fiel und Muster auf das Deck zeichnete. Der Abendwind hatte eingesetzt und trotzdem er durch den Berg im Osten mit den zwei Spitzen abgehalten war, so war doch ein leises Summen im Tauwerk zu vernehmen und die schlaffen Segel rasselten hin und her. Ich begann für das Schiff zu fürchten. Rasch ließ ich die Stagsegel aufs Deck fallen, doch mit dem Hauptsegel war schwerer zu hantieren. Natürlich hatte sich, als der Schooner überkippte, der Mastbaum nach außen geschwungen und seine Kappe und ein oder zwei Fuß vom Segel hingen sogar unter Wasser. Dies, dachte ich, mußte die Gefahr noch vergrößern, doch war die Spannung so stark, daß ich fast fürchtete etwas zu unternehmen. Schließlich nahm ich mein Messer heraus und durchschnitt die Felle. Die Spitze neigte sich sofort und eine große Fläche losen Segeltuches schwamm breit auf dem Wasser. Und nun konnte ich ziehen wie ich wollte, es war nicht zu bewegen, und ich konnte jetzt nichts mehr machen. Von nun ab mußte ich die Hispaniola wie mich selbst dem Schicksal überlassen. Inzwischen war der ganze Ankerplatz in den Schatten gerückt -- ich erinnere mich noch wie die letzten Strahlen durch eine Waldlichtung fielen und leuchtend wie Edelsteine auf dem blühenden Mantel des Wracks leuchteten. Es begann kühl zu werden, die Flut strömte rasch seewärts und der Schooner setzte sich mehr und mehr an seinen Balkenköpfen fest. Ich kletterte nach vorne und schaute hinüber. Das Wasser sah ziemlich seicht aus. Als letzte Sicherung das durchschnittene Ankertau mit beiden Händen festhaltend, ließ ich mich langsam über Bord gleiten. Das Wasser reichte mir kaum bis zur Hüfte, der Sand war fest und von den Wellen gefurcht und ich watete in bester Stimmung ans Ufer, die gekenterte Hispaniola, deren Hauptsegel weit über die Oberfläche der Bucht herabhing, zurücklassend. Gerade sank die Sonne hinab und der Abendwind pfiff leise durch die rauschenden Fichten. Schließlich und endlich war ich nun wieder auf dem Lande und war auch nicht mit leeren Händen zurückgekehrt. Da lag der Schooner, von den Piraten befreit und bereit, unsere eigenen Leute aufzunehmen und wieder in See zu gehen. Nichts war selbstverständlicher, als daß ich wieder in das Blockhaus heimkehren und mich meiner Errungenschaften rühmen wollte. Möglicherweise würde man mich ein bißchen wegen meiner Pflichtversäumnis schelten, doch die Wiedereroberung der Hispaniola war eine schlagende Antwort und ich hoffte, daß selbst Kapitän Smollett zugeben würde, daß ich meine Zeit nicht verloren hatte. Mit solchen Gedanken und in bester Laune schritt ich dem Blockhaus und meinen Gefährten zu. Ich erinnerte mich, daß der östlichste der Flüsse, welche in Kapitän Kidds Ankerplatz münden, von dem zweispitzigen Berg links herabkam und wandte mich jener Richtung zu, um den Fluß zu übersetzen solange er noch schmal war. Der Wald war ziemlich offen und so hatte ich bald den Berg erreicht und watete durch das Wasser. Ich war nun nahe dem Punkte, wo ich den ausgesetzten Ben Gunn getroffen hatte und blickte darum aufmerksamer rings um mich. Es war inzwischen ganz dunkel geworden, und als ich in die Schlucht zwischen den beiden Spitzen kam, bemerkte ich ein schwankendes Licht ungefähr in der Richtung, wo der Inselmensch sein Mahl beim offenen Feuer kochen mochte. Dennoch wunderte ich mich über seine Sorglosigkeit. Denn wenn ich dieses Licht bemerkte, konnte es nicht ebensogut Silver von seinem Lagerplatz in den Sümpfen aus gewahren? Die Nacht sank allmählich noch tiefer herab und ich konnte mich nur schwer orientieren, denn der Doppelberg hinter mir und das „Fernrohr“ zu meiner Rechten waren nur mehr schwächer und schwächer sichtbar. Wenige Sterne standen am Himmel und in der Mulde, in der ich wanderte, stolperte ich oft über Büsche und Sandhügel. Plötzlich wurde es heller. Ich blickte auf und sah, wie der blasse Schimmer der Mondstrahlen den Gipfel des „Fernrohrs“ erhellte und bald darauf sah ich ein breites silbernes Etwas sich hinter den Bäumen bewegen und merkte nun, daß der Mond aufgegangen war. Mit seiner Hilfe legte ich den Rest meiner Reise rasch zurück und bald gehend, bald laufend, näherte ich mich unruhig der Umzäunung. Doch als ich das Wäldchen durchschritt, das davor liegt, mäßigte ich meinen Schritt und ging vorsichtiger, denn es wäre wohl ein trauriges Ende meiner Abenteuer gewesen, irrtümlich von meinen eigenen Leuten niedergeschossen zu werden. Der Mond erhob sich immer höher. Sein Licht fiel breit auf die offeneren Teile des Waldes und gerade vor mir tauchte ein ganz anderes Leuchten zwischen den Bäumen auf. Es war rot und dann und wann verdunkelte es sich ein wenig, so daß es aussah wie ein verglimmender Scheiterhaufen. Ich konnte mir absolut nicht denken, was dies sein mochte. Endlich kam ich gerade auf die Lichtung hinunter, deren westlicher Rand schon in Mondlicht getaucht war, während das Blockhaus selbst und seine Umgebung noch im dunklen Schatten lag, der von langen silbernen Lichtstreifen stellenweise durchbrochen wurde. An der anderen Seite des Hauses brannte ein ungeheures Feuer eben zu Asche und warf einen roten Widerschein, der in seltsamem Gegensatz zu der bleichen Milde des Mondes stand. Keine Seele bewegte sich, kein Laut war zu hören, außer den Geräuschen der Brise. Sehr verwundert und vielleicht auch etwas erschreckt blieb ich stehen. Es war nicht unsere Art, große Feuer anzuzünden, der Kapitän hielt uns in bezug auf Brennholz eher knapp. Ich begann zu fürchten, daß während meiner Abwesenheit irgend etwas fehlgegangen sei. Ich schlich um das östliche Ende, hielt mich vorsichtig im Schatten und überschritt an einem geeigneten Punkt, wo die Finsternis am dichtesten war, die Umzäunung. Um noch sicherer zu gehen, kroch ich auf allen Vieren lautlos um die Ecke des Hauses. Als ich näher kam wurde ich plötzlich viel ruhiger und vergnügter. An und für sich ist es kein schönes Geräusch und ich habe mich zu anderen Zeiten oft darüber beklagt, doch in diesem Augenblick klang mir das friedliche, laute Schnarchen meiner Freunde wie Musik in den Ohren. Doch eines war sicher: Sie hielten verflucht schlecht Wache. Wenn jetzt Silver und seine Leute hereingekrochen wären, so hätte keiner mehr von ihnen den Tag erlebt. Das kommt davon, dachte ich, daß der Kapitän verwundet ist und machte mir heftige Vorwürfe, sie in dieser Gefahr mit so wenigen gesunden Leuten, die zur Bewachung taugten, zurückgelassen zu haben. Inzwischen war ich zur Tür gekommen und hatte mich aufgerichtet. Drinnen war alles dunkel und ich konnte keine Einzelheiten ausnehmen. Man hörte nur das einförmige Schnarchen und manchmal ein kleines Geräusch wie Geflatter oder Picken, das ich mir absolut nicht erklären konnte. Mit ausgestreckten Armen ging ich langsam hinein. Ich wollte mich auf meinen Platz legen und (dachte ich mit innerem Lachen) mich über ihre Gesichter freuen, wenn sie mich am Morgen dort fänden. Da stieß mein Fuß auf etwas -- es war das Bein eines Schläfers. Er wandte sich um und seufzte, doch ohne zu erwachen. Plötzlich kreischte eine schrille Stimme aus der Dunkelheit heraus: „Goldstücke! Goldstücke! Goldstücke! Goldstücke! Goldstücke!“ und ohne Pause immerfort weiter wie das Klappern einer kleinen Mühle. Silvers grüner Papagei, Kapitän Flint! Ihn hatte ich an einem Stück Rinde picken gehört, er, der besser Wache hielt als irgendein menschliches Wesen, hatte so mein Kommen mit seinem eintönigen Ruf gemeldet. Ich hatte keine Zeit mich zu fassen, denn vom scharfen, schneidenden Ruf des Papageies erwachten die Schläfer und sprangen auf. Mit einem wilden Fluch rief Silver: „Wer da?“ Ich wendete mich zur Flucht, stieß heftig gegen einen Mann, wich zurück und rannte geradewegs in die Arme eines zweiten hinein, der mich packte und festhielt. „Bring’ eine Fackel, Dick“, sagte Silver, als ich nun gefangen war. Und einer der Männer verließ das Blockhaus und kehrte sofort mit einer brennenden Fackel zurück. _Sechster Teil_ _Kapitän Silver_ Achtundzwanzigstes Kapitel Im Lager des Feindes Der rote Schein der Fackel, die das Innere des Blockhauses erleuchtete, zeigte mir die ärgsten meiner Erwartungen verwirklicht. Die Piraten waren im Besitz des Hauses und der Vorräte. Da war die Tonne Kognak, das Schweinefleisch und das Brot an den früheren Plätzen; doch zu meinem verzehnfachten Entsetzen kein Zeichen von Gefangenen. Ich konnte nur annehmen, daß alle zugrunde gegangen waren und mein Herz klagte mich schmerzlich an, daß ich nicht dabeigewesen, um mit ihnen zu sterben. Es waren alles in allem sechs Freibeuter, sonst war keiner lebendig geblieben. Fünf davon standen da, erhitzt und aufgedunsen, plötzlich aus dem ersten Schlaf der Trunkenheit herausgerissen. Der sechste hatte sich bloß auf seinen Ellbogen gestützt, war totenblaß und die blutbefleckte Binde um seinen Kopf zeigte, daß er erst kürzlich verwundet und verbunden worden war. Ich erinnerte mich an den Mann, den wir bei dem großen Angriff angeschossen hatten und der in den Wald zurückgelaufen war und zweifelte nicht, ihn vor mir zu haben. Der Papagei saß auf der Schulter des langen John und putzte sein Gefieder, John selbst fand ich etwas bleicher und ernster als früher. Er trug noch immer den seinen Tuchanzug, welchen er bei seiner Friedensbotschaft anhatte, der sah jedoch sehr mitgenommen aus, war mit Erde beschmutzt und von Dornen zerrissen. „So,“ sagte er, „da ist ja Jim Hawkins wahrhaftig hereingeschneit, was? Na, ich freu’ mich sehr.“ Und darauf setzte er sich auf das Branntweinfaß und füllte sich eine Pfeife. [Illustration] „Leih’ mir Feuer, Dick“, sagte er, und dann, als die Pfeife gut brannte: „Das ist genug, Junge, stecke es ins Holz zurück -- und Ihr, meine Herren, braucht Euch nicht zu stören wegen Herrn Hawkins, er wird Euch entschuldigen, nicht wahr? Und nun, Jim“ -- und dabei stopfte er sich die Pfeife, „da bist du nun, und eine nette Überraschung für den armen, alten John. Ich hab’ sofort gesehen, daß du ein geriebener bist als ich dich zum erstenmal sah, aber das jetzt schlägt dem Faß den Boden aus, meiner Seel’.“ Zu all dem schwieg ich wie man sich denken kann säuberlich still. Sie hatten mich mit dem Rücken gegen die Mauer gestellt, und da stand ich nun und schaute Silver ins Gesicht, dem äußeren Anschein nach ganz mutig, hoffe ich, doch schwarze Verzweiflung im Herzen. Silver tat mit großer Seelenruhe ein paar Züge aus seiner Pfeife und fuhr dann fort: „Also Jim, da du nun schon hier bist, will ich dir sagen, was ich mir denke. Ich habe dich immer gern gehabt, weil du ein gescheiter Junge bist und mir aufs Haar ähnlich, als ich noch jung und hübsch war. Ich hab’ es dir immer gegönnt, dich hervorzutun und als Gentleman zu sterben, und nun, mein Hühnchen, ist es so weit. Kapitän Smollett ist ein guter Seemann, das gebe ich ohne weiteres zu, aber streng auf Disziplin erpicht. ‚Pflicht ist Pflicht‘, sagt er und er hat recht, ihm mußt du also aus dem Wege gehen. Aber sogar der Doktor ist wütend auf dich -- ‚undankbarer Taugenichts‘ hat er gesagt, und kurz und gut, du kannst zu deinen eigenen Leuten nicht zurück, denn sie wollen dich nicht, und wenn du nicht eine dritte Schiffsgesellschaft ausrüsten willst, die ganz allein aus dir bestehen soll -- was ein wenig langweilig wäre --, so mußt du eben beim Kapitän Silver bleiben.“ So weit, so gut. Meine Freunde lebten also noch alle und obwohl ich teilweise Silvers Behauptung glaubte, daß sie wegen meiner Flucht gegen mich aufgebracht wären, so war ich doch durch das Gehörte eher erleichtert als betrübt. „Ich will nichts darüber sagen, daß du in unseren Händen bist,“ fuhr Silver fort, „aber wahr ist es ja, sicherlich. Ich bin für freie Aussprache, denn beim Drohen kommt nichts heraus. Wenn du den Dienst bei uns magst, gut, dann tritt ein. Und wenn nicht, Jim, dann kannst du ruhig nein sagen, Schiffskamerad. Ich glaube, ehrlicher kann kein sterblicher Seemann reden, zum Teufel!“ „Soll ich also antworten?“ fragte ich mit zitternder Stimme. Während dieser höhnischen Reden hatte ich die Drohung des Todes, der über mir hing, wohl zu fühlen bekommen und meine Wangen brannten und das Herz schlug mir schmerzvoll in der Brust. „Junge,“ sagte Silver, „kein Mensch zwingt dich. Überleg’ dir die Sache. Keiner von uns wird dich zur Eile antreiben, Kamerad, die Zeit vergeht so angenehm in deiner Gesellschaft.“ „Nun,“ sagte ich, etwas kühner werdend, „wenn ich wählen soll, so erkläre ich, daß ich ein Recht habe, zu wissen, was eigentlich vorgeht und warum ihr hier seid und wo meine Freunde sind.“ „Was vorgeht?“ wiederholte einer der Freibeuter mit einem tiefen Knurren, „ja, da wären wir selber froh, wenn wir das wüßten!“ „Du, halt gefälligst den Schnabel bis man mit dir spricht, mein Freund“, schrie Silver wild hinüber. Und dann fuhr er in dem früheren, süßlichen Tone fort: „Gestern früh, Herr Hawkins,“ sagte er, „kommt auf einmal Doktor Livesay mit einer weißen Flagge herunter. Sagt er: ‚Kapitän Silver, Ihr seid geschnapst. Das Schiff ist weg.‘ Nun mag sein, wir haben ein Glas zuviel getrunken und ein Lied gesungen, um’s leichter zu machen, ich sage nicht nein. Und wahrscheinlich hat niemand von uns Wache gehalten. Jetzt schauten wir hinaus und beim Teufel das alte Schiff war weg. Nun, wir haben wie die Narren dreingeschaut, und ich am närrischsten. ‚Also,‘ sagt der Doktor, ‚wir werden verhandeln.‘ Wir verhandelten, wir zwei, nun und wir kamen überein: die Vorräte, der Branntwein, das Blockhaus, das Brennholz, das Ihr so vorsorglich geschnitten habt, kurz, die die ganze verfluchte Sache gehört uns. Und jetzt sind sie weg, wo, weiß ich nicht.“ Er zog wieder still an seiner Pfeife. „Und wenn du dir vielleicht in den Schädel setzt,“ fuhr er fort, „daß du mit in den Vertrag eingeschlossen bist, so irrst du dich sehr. ‚Wieviele von euch wollen fort?‘ war mein letztes Wort. ‚Vier‘, sagt er -- vier, einer davon verwundet. ‚Wo der verfluchte Bub’ ist,‘ sagt er, ‚das weiß ich nicht und kümmere mich auch nicht darum. Wir haben so ziemlich genug von ihm.‘ Das waren seine Worte.“ „Ist das alles?“ „Nun, das ist zum mindesten alles, was ich dir zu sagen habe, mein Sohn“, erwiderte Silver. „Und nun soll ich wählen?“ „Und nun sollst du wählen, freilich“, sagte Silver. „Nun,“ sagte ich, „ich bin kein Esel und weiß ganz gut, was ich zu erwarten habe. Und wenn’s das ärgste ist, es macht mir nicht viel. Ich habe schon zu viele Leute sterben sehen in diesen letzten Tagen. Aber eins will ich Euch doch noch sagen“, fuhr ich erregt fort: „Erstens: Ihr seid bös’ dran: Das Schiff verloren, der Schatz beim Teufel, Eure Leute tot und Eure ganze Sache schiefgegangen. Und wenn Ihr wissen wollt, wer daran schuld ist -- ich! Ich war im Äpfelfaß an dem Abend, als wir Land sichteten und ich habe jedes Wort gehört, was Ihr, John, und Ihr, Dick Johnson, und Hands, der nun am Grund des Meeres liegt, gesprochen habt und ich habe es noch in derselben Stunde gemeldet. Ich habe das Ankertau des Schooners durchschnitten, ich habe die Männer an Bord getötet und ich habe die Hispaniola dorthin gebracht, wo keiner von euch sie wieder sehen wird. Keiner! Das Lachen ist auf meiner Seite. Ich habe vom ersten Moment an diese Sache geführt und ich hab’ nicht mehr Angst vor Euch als vor einer Fliege. Tötet mich, wenn Ihr wollt, oder laßt mich leben. Aber eins will ich noch sagen: Wenn Ihr mich verschont, soll alles Vergangene vergessen sein und wenn Ihr wegen Freibeuterei vor Gericht steht, werde ich alles tun, um Euch herauszureißen. Es ist an Euch, zu wählen. Ihr könnt noch einen Menschen umbringen und Euch damit nichts nützen oder Ihr könnt Euch einen Zeugen aufsparen, der imstande wäre, Euch vor dem Galgen zu retten.“ Ich mußte einhalten, denn ich versichere, ich war ganz außer Atem, doch zu meinem Erstaunen regte sich kein einziger von ihnen und sie starrten mich an wie die Schafe. „Und nun, Herr Silver,“ rief ich aus, „ich denke, Ihr seid der beste Mann hier und wenn’s dazu kommt, auch der ärgste, ich wäre Ihnen verbunden, wenn Ihr den Doktor wissen ließet, wie ich die Sache aufgefaßt habe.“ „Ich werde daran denken“, sagte Silver in einem so merkwürdigen Ton, daß ich um keinen Preis hätte entscheiden können, ob er über meine Bitte lache oder ob ihm mein Mut gefallen habe. „Ich weiß noch etwas von ihm,“ rief der alte, mahagonibraune Matrose Morgan, den ich in der Schenke des langen John in Bristol zum erstenmal gesehen hatte, „er war’s, der den schwarzen Hund erkannt hat.“ „Und seht her,“ sagte der Schiffskoch, „dazu kommt noch etwas dazu, beim Teufel, es war dieser selbige Junge, der dem Billy Bones die Karte abgeschwindelt hat. Vom Ersten bis zum Letzten ist uns dieser Jim Hawkins in die Quere gekommen!“ „Das soll er zahlen!“ rief Morgan mit einem Fluch und stürzte mit gezogenem Messer vor. „Halt!“ schrie Silver. „wer seid Ihr eigentlich, Tom Morgan? Glaubt Ihr vielleicht, Ihr seid der Kapitän? Zum Teufel, ich werde Euch eines besseren belehren! Wenn Ihr mich wild macht, dann werdet Ihr bald dort sein, wo ich manchen festen Kerl in den letzten dreißig Jahren hinbefördert hab’. -- Mir hat noch niemand ungestraft getrotzt, Tom Morgan, da könnt Ihr sicher sein.“ Morgan hielt ein, doch ein heiseres Gemurmel erhob sich aus der Schar. „Tom hat recht“, sagte einer. „Ich habe mich lange genug an der Nase herumführen lassen von anderen“, fügte ein zweiter hinzu, „ich will gehängt werden, wenn ich mich noch von dir auch foppen lasse, John Silver.“ „Will einer von euch, ihr Herren, mit mir anfangen?“ brüllte Silver, sich von seinem Sitze auf dem Faß weit nach vorne beugend, die noch immer brennende Pfeife in der Rechten, „dann sagt nur, was ihr wollt. Ihr seid nicht stumm, denke ich. Wer was von mir will, der kann’s haben. Bin ich dazu so alt geworden, daß irgendein Sohn einer Rumtonne jetzt gegen mich aufmucken darf? Ihr kennt die Gebräuche, ihr seid alle Glücksritter auf eigene Rechnung. Nun, ich bin bereit. Soll einen Säbel nehmen, wer es wagt, und ich will mir ihn inwendig anschauen, trotz meiner Krücke, ehe diese Pfeife ausgeraucht ist.“ Keiner rührte sich, keiner antwortete. „Ihr wollt also nicht?“ fügte er hinzu, die Pfeife wieder zum Munde führend. „Na, ihr seid eine nette Gesellschaft zum Anschauen, aber zum Kämpfen nicht. Jetzt werde ich euch etwas sagen, falls ihr Englisch versteht: Ihr habt mich zum Kapitän gewählt. Ich bin euer Kapitän, weil ich der beste Mann auf eine Seemeile weit bin. Ihr wollt nicht wie ordentliche Glücksritter kämpfen, nicht wahr? Dann, in Teufelsnamen, werdet ihr gehorchen, das sage ich euch. Ich kann diesen Jungen gut leiden, ich hab’ nie einen besseren Jungen gesehen. Er ist mehr Mann, als irgendeiner von euch Ratten hier im Haus, und eins sage ich euch: Den möcht ich sehen, der ihn anrührt! Das hab’ ich zu sagen! Und ihr könnt mir’s glauben!“ Ein langes Stillschweigen folgte. Ich stand kerzengerade an der Mauer und mein Herz schlug wie ein Schmiedehammer, aber ich hatte wieder Hoffnung gefaßt. Silver lehnte sich an die Wand, mit gekreuzten Armen, die Pfeife noch immer im Mundwinkel und anscheinend vollkommen ruhig, als wäre er in der Kirche. Doch seine Augen wanderten unruhig hin und her und er beobachtete seine unbotmäßigen Genossen. Diese zogen sich allmählich an das andere Ende des Blockhauses zurück und das leise Zischen ihrer flüsternden Reden schlug an mein Ohr. Manchmal blickten sie auf, und das rote Licht der Fackel beleuchtete dann sekundenlang ihre nervigen Gesichter. Doch nicht mir, sondern Silver wandten sie ihre Blicke zu. „Es scheint, ihr habt euch eine Menge zu sagen“, bemerkte Silver, weit in die Luft hinausspuckend. „Laßt hören, was ihr wollt.“ „Entschuldigung, Herr,“ erwiderte einer der Leute, „Ihr geht etwas frei mit den Regeln um, aber vielleicht werdet Ihr so freundlich sein und Euch an die übrigen Regeln halten. Die Mannschaft ist unzufrieden. Die Mannschaft mag sich nicht tyrannisieren lassen; die Mannschaft hat Rechte, wie jede andere Mannschaft, und ich bin schon so frei, aber es steht auch in Euern Regeln, daß wir miteinander reden können. Ich bitte um Entschuldigung, wir erkennen an, daß Ihr zurzeit Kapitän seid, aber ich verlange mein Recht und wir wollen draußen beratschlagen.“ Und mit umständlichem Seemannsgruß schritt der lange, übelaussehende, gelbäugige Kerl, der etwa fünfunddreißig Jahre alt sein mochte, gemächlich zur Tür und verschwand draußen. Einer nach dem anderen folgten die übrigen seinem Beispiel. Jeder salutierte, als er vorüberkam und sagte ein Wort der Entschuldigung. „Gemäß den Regeln“, sagte der eine. „Matrosenberatung“, sagte Morgan. Und so marschierten sie alle hinaus und ließen Silver und mich allein beim Licht der Fackel. Der Schiffskoch legte sofort die Pfeife aus der Hand. „Die Sache ist so, Jim Hawkins,“ sagte er in kaum hörbarem Flüsterton, „du stehst hart vor dem Tod, und, was viel ärger ist, vor dem Gemartertwerden. Sie wollen mich absetzen. Doch wohlgemerkt, ich stehe zu dir in Dick und Dünn. Das war vorher nicht meine Absicht, ich meine, ehe du gesprochen hattest. Ich verzweifelte schon an dieser ganzen Sache und dachte schon, daß ich auch noch gehängt werde. Aber ich sehe, du bist schon der Richtige, und nun sage ich: Du stehst zu Hawkins, John, und Hawkins wird zu dir stehen. Du bist seine letzte Karte, und, zum Donner John, er ist deine letzte! Rücken an Rücken, sage ich. Du rettest deinen Zeugen und er wird dir deinen Hals retten.“ Ich begann dunkel zu begreifen. „Ihr glaubt, alles ist verloren?“ fragte ich. „Natürlich!“ antwortete er. „Schiff weg, Hals weg -- so sieht die Sache aus. Als ich auf die Bucht hinausschaute, Jim Hawkins, und kein Schiff sah -- nun, ich bin zäh, aber da habe ich’s aufgegeben. Was diese Kerle da und ihre Beratung betrifft, das sind ja ausgemachte Narren und Feiglinge. Ich werde dein Leben retten -- wenn es irgendwie geht --, doch Jim, du mußt den langen John vor dem Galgen schützen!“ Ich war bestürzt, denn es schien so eine hoffnungslose Sache, die er da forderte -- er, der alte Freibeuter, der Rädelsführer von Anbeginn. „Was ich tun kann, werde ich tun“, sagte ich. „Abgemacht!“ schrie der lange John. „Du wirst mutig für mich sprechen, und zum Donnerwetter, es wird schon gelingen!“ Er humpelte zu der Fackel, die zwischen dem Brennholz befestigt war, und zündete wieder seine Pfeife an. „Versteh mich recht, Jim,“ sagte er dann, „ich bin ein vernünftiger Mensch. Ich bin jetzt auf der Seite des Squire. Ich weiß, Ihr habt das Schiff irgendwo. Wie Ihr das gemacht habt, weiß ich nicht, aber es wird schon irgendwo sicher liegen. Ich nehme an, Hands und O’Brien sind erledigt. Von denen habe ich nie viel gehalten. Jetzt paß’ auf: Ich stelle keine Fragen und lasse auch andere keine stellen. Ich weiß auch, wenn ein Spiel verloren ist, ganz genau weiß ich das, und ich weiß auch, wie ein tüchtiger Kerl ausschaut. Ja, du, der du jung bist und ich, wir zwei, miteinander hätten schon was ausrichten können.“ Er goß sich etwas Kognak aus dem Faß in ein Zinnfläschchen. „Willst du probieren, Kamerad?“ fragte er. Und als ich ablehnte: „Nun, ich werde einen Zug machen, Jim, ich brauch eine Herzstärkung, böse Dinge stehen bevor. Übrigens, Jim, weil wir schon davon reden, warum mag mir nur der Doktor diese Karte gegeben haben?“ Mein Gesicht drückte so ungekünsteltes Staunen aus, daß er die Überflüssigkeit weiterer Fragen einsah. „Nun, er gab sie mir“, sagte er. „Irgend etwas steckt schon dahinter, kein Zweifel -- Schlechtes oder Gutes.“ Und er nahm noch einen Schluck Branntwein und schüttelte sorgenvoll seinen großen blonden Kopf wie einer, der sich auf’s Ärgste gefaßt macht. Neunundzwanzigstes Kapitel Wiederum der schwarze Fleck Als die Beratung der Freibeuter eine Zeitlang gedauert hatte, kam einer von ihnen in das Haus zurück und bat, neuerlich salutierend, und zwar mit einer Höflichkeit, die mir ironisch vorkam, ihm einen Augenblick die Fackel zu leihen. Silver gestattete es und der Abgesandte zog sich zurück und ließ uns im Dunkeln. „Es kommt eine Brise, Jim“, sagte Silver der nun schon einen ganz freundlichen und herzlichen Ton angenommen hatte. Ich schaute durch die mir nächstgelegene Schießscharte hinaus. Das große Feuer war jetzt fast niedergebrannt und glühte nur mehr so schwach, daß ich das Ersuchen der Verschwörer um eine Fackel begriff. Etwa auf dem halben Wege den Abhang hinab zur Palisade waren sie in einer Gruppe versammelt. Einer hielt das Licht, einer kniete in der Mitte, und ich sah die Schneide eines offenen Messers im Lichte des Mondes und dem Schein der Fackel vielfältig aufblitzen. Die übrigen standen alle nach vorn gebeugt, so, als ob sie die Bewegungen des einen in der Mitte beobachteten. Ich konnte gerade noch ausnehmen, daß er außer dem Messer auch ein Buch in der Hand hielt, und wunderte mich noch, wie etwas so nicht zu ihm Passendes in seinen Besitz kam, als der Kniende sich wieder erhob und die ganze Gesellschaft gegen das Haus zu schritt. „Da kommen sie“, sagte ich und kehrte in meine frühere Haltung zurück; denn es schien mir unter meiner Würde, mich bei ihrer Beobachtung ertappen zu lassen. „Aber ja, sollen nur kommen, Junge -- laß sie nur kommen“, sagte Silver vergnügt. „Ich hab’ schon noch einen Schuß in meinem Köcher.“ Die Tür ging auf, und die fünf Männer, die zusammengedrängt gerade in der Türöffnung standen, stießen einen vorwärts. Unter anderen Verhältnissen wäre es komisch gewesen, sein zaghaftes Nähern zu beobachten, wie er einen Fuß vor den anderen setzte und dabei seine geschlossene rechte Hand vorstreckte. „Komm nur vor, mein Junge,“ rief Silver, „ich werde dich nicht fressen. Gib es her, du Tölpel! Ich kenne die Regeln und werde doch eine Deputation nicht beleidigen.“ So ermutigt, trat der Freibeuter etwas kühner vor, und nachdem er Silver einen Gegenstand in die Hand gedrückt hatte, schlüpfte er ein wenig gewandter zu seinen Gefährten zurück. [Illustration] Der Schiffskoch betrachtete das, was man ihm überreicht hatte. „Der schwarze Fleck! Ich dachte mir’s“, bemerkte er. „Wo habt ihr denn das Papier her? O weh, schau mal her, das bringt euch kein Glück! Ihr habt das aus der Bibel herausgeschnitten. Welcher Esel hat denn die Bibel zerschnitten?“ „Nun also! Da habt ihr’s!“ sagte Morgan. „Was habe ich gesagt? Da schaut nichts Gutes heraus, habe ich gesagt.“ „Nun, ihr habt es ja so ziemlich untereinander ausgemacht,“ fuhr Silver fort, „Ihr werdet wohl alle hängen. Wer ist denn der sanftmütige Tölpel, dem die Bibel gehört?“ „Dick“ sagte einer. „Also Dick war es? Nun, dann kann Dick ja beten gehen,“ sagte Silver, „sein Teil Glück hat er schon verspielt.“ Doch da mischte sich der Lange mit den gelben Augen ein. „Laßt diese Reden, John Silver,“ sagte er, „diese Mannschaft hat Euch in offener Beratung den schwarzen Fleck zugedacht, wie es sich gehört. Dreht ihn um, wie es sich gehört, und schaut, was drauf geschrieben steht. Dann könnt Ihr reden.“ „Danke, Georg,“ erwiderte der Schiffskoch, „Ihr wart immer für glattes Geschäft und kennt die Regeln auswendig, wie ich mit Vergnügen sehe. Also was steht denn da? Ah! „Abgesetzt“ -- nicht wahr? Sehr schön geschrieben, wie gedruckt! Ist es Eure Handschrift, Georg? Nun, Ihr seid ja ein förmlicher Führer der Mannschaft geworden. Wenn Ihr nächstens Kapitän werdet, werde ich mich nicht wundern. Möchtet Ihr nicht so gut sein und mir die Fackel herreichen? Die Pfeife zieht nicht.“ „Hört mal,“ sagte Georg, „Ihr braucht die Mannschaft nicht länger zu hänseln. Ihr seid ein lustiger Geselle, aber Eure Herrschaft ist jetzt vorbei und Ihr könnt nun von dem Faß da herunterkommen und mit abstimmen.“ „Ich glaubte, Ihr behauptet die Regeln zu kennen“, erwiderte Silver verächtlich. „Macht nichts, wenn Ihr sie nicht kennt, ich kenne sie und warte hier -- und bin noch immer Euer Kapitän, versteht Ihr mich -- bis Ihr Eure Klagen vorgebracht und ich erwidert habe. Und bis dahin ist Euer schwarzer Fleck keinen Pfennig wert. Nachher werden wir sehen.“ „Oh,“ erwiderte Georg, „damit nur kein Mißverständnis besteht: wir sind alle einig. Also: erstens habt Ihr diese ganze Sache festgefahren -- das könnt Ihr wohl nicht leugnen. Zweitens habt Ihr den Feind ohne Grund aus dieser Falle herausgelassen. Warum wollten sie heraus? Ich weiß nicht, aber es ist ganz klar, daß sie wollten. Drittens erlaubt Ihr uns nicht, ihnen zu folgen. Oh, wir durchschauen Euch, John Silver, Ihr wollt mit denen gemeinsame Sache machen. Und dann ist viertens dieser Junge da.“ „Ist das alles?“ fragte Silver ruhig. „Es ist gerade genug“, entgegnete grollend Georg. „Wir werden alle hängen und an der Sonne trocknen wegen deiner Stümperei.“ „Nun, ich werde alle diese vier Punkte, einen nach dem anderen, beantworten. Ich also habe diese ganze Sache festgefahren? Nun, ihr wißt doch alle, was ich wollte, und ihr wißt auch, daß, wenn es zustande gekommen wäre, wir heute alle am Leben geblieben und kampftüchtig und gut angegessen an Bord der Hispaniola säßen mit dem Schatz, zum Donnerwetter! unten im Schiffsrumpf. Wer hat sich mir widersetzt? Wer hat mich zu etwas anderem gezwungen, wo ich doch euer selbstgewählter Kapitän war? Wer hat mir den schwarzen Fleck übergeben am Tag als wir landeten und diesen ganzen Tanz angefangen? Na, es ist ein schöner Tanz -- darin bin ich mit euch einig -- und es schaut verflucht so aus, als ob er sich zu einem ‚Schottischen‘ auswachsen wollte in der Schlinge am Exekutionsdock in London, wahrhaftig. Und wer ist schuld daran? Nun, Anderson, Hands und Ihr, Georg Merry. Und Ihr seid der letzte von dieser frechen Gesellschaft, der übriggeblieben ist, und Ihr habt die Teufelsunverschämtheit und wollt Euch als Kapitän über mich stellen? Ihr, der die meisten von uns am Gewissen hat! Aber, bei den Höllenmächten! Diese letzte Geschichte ist mir zu viel!“ Silver hielt ein, und ich konnte in den Gesichtern Georgs und seiner Genossen sehen, daß diese Worte nicht ohne Eindruck geblieben waren. „Das war Nummer eins“, rief der Beschuldigte und wischte sich den Schweiß von der Stirne, denn er hatte mit solcher Heftigkeit gesprochen, daß das Haus zitterte. „Nun, ich gebe euch mein Wort darauf, ich hab’ es satt, mit euch zu reden. Ihr habt weder Verstand noch Gedächtnis, und was euren Eltern eingefallen ist, daß sie euch Seeleute werden ließen, das verstehe ich nicht. Seeleute?! Glücksritter?! Schneider seid ihr!“ „Sprecht weiter, John“, sagte Morgan. „Sprecht zu den anderen.“ „Ach, die anderen!“ erwiderte John. „Das ist wahrhaftig eine nette Gesellschaft! Ihr sagt, diese Fahrt ist verpatzt. Ja, Donnerwetter noch einmal, wenn Ihr nur verstehen würdet, wie arg verpatzt sie ist! Wir sind dem Galgen so nahe, daß mir der Hals steif wird, wenn ich an ihn denke. Ihr habt sie vielleicht schon gesehen, in Reihen aufgehängt, wenn die Vögel an ihnen picken und die Seeleute auf sie zeigen, wenn sie vorübergehen. ‚Wer ist das?‘ fragt einer. ‚Das? das ist John Silver, ich hab’ ihn gut gekannt‘, sagt ein anderer, und Ihr könnt die Ketten rasseln hören, während Ihr zum nächsten kommt. Soweit halten wir jetzt, und das haben wir denen zu verdanken, dem da und Hands und Anderson und den anderen Kerlen unter euch, die uns ins Verderben getrieben haben. Und wenn ihr wissen wollt, was mit Nummer vier ist, mit dem Jungen da? Ja, zum Teufel, ist er denn nicht unsere Geisel? Werden wir eine Geisel verschwenden? Nein, das werden wir nicht. Wer weiß, ob nicht gerade sie unsere letzte Rettung werden wird. Ich soll diesen Jungen töten? Nein, Kameraden, das werde ich nicht tun, so dumm bin ich nicht. Und über Punkt drei, ja da wäre eine Menge zu sagen. Ist es denn gar nichts, wenn ein richtiger, gelernter Doktor jeden Tag zu euch kommt, euch besuchen -- Euch, John, mit Eurer Kopfwunde -- und Euch, Georg Merry, den das Fieber noch vor sechs Stunden gebeutelt hat daß Eure Augen davon noch immer gelb sind wie eine Zitronenschale? Und wißt ihr vielleicht nicht, daß ein Hilfsschiff ausgerüstet wird, und es dürfte gar nicht mehr lange dauern, dann ist es da und wir werden schon sehen, wer froh sein wird, dann eine Geisel zu haben! Und was Nummer zwei anlangt, und warum ich mit denen einen Handel abschloß? Ja, seid denn Ihr nicht auf den Knien gekrochen gekommen, um mich dazuzubringen? So niedergeschlagen wart ihr -- und ihr wäret auch Hungers gestorben, wenn ich es nicht gemacht hätte -- aber das ist noch gar nichts, da schaut her -- darum hab’ ich es gemacht!“ Und er warf ein Blatt Papier auf den Boden, das ich sofort erkannte -- es war die Karte auf gelbem Papier, mit den drei roten Kreuzen, die ich in der Wachsleinwand am Boden des Koffers von Billy Bones gefunden hatte. Warum sie ihm der Doktor gegeben hatte, das allerdings ging über meinen Verstand. Doch während mir das Auftauchen der Karte unverständlich war, schien es den Meuterern einfach unglaublich. Sie sprangen auf die Karte los wie Katzen auf eine Maus. Sie ging von Hand zu Hand, einer riß sie dem anderen weg und beim Anhören der Flüche, Ausrufe und des kindischen Gelächters, mit welchem sie ihr Studium begleiteten, hätte man glauben können, daß sie nicht nur das Gold schon in der Hand hätten sondern damit auch schon in Sicherheit auf hoher See seien. „Ja,“ sagte einer, „das ist schon Flints Hand, ganz gewiß. J. F. und ein Strich darunter mit einem Haken dran, so hat er sich unterschrieben.“ „Sehr nett“, sagte Georg. „Aber wie sollen wir damit fortkommen -- ohne Schiff?“ Silver sprang plötzlich auf, und indem er sich mit einer Hand an die Wand stützte, rief er: „Ich warne Euch, Georg! Noch ein Wort von diesem Gespött, und ich schlag’ Euch nieder! Wie? Ja, wie soll ich das wissen? Ihr hättet mir das sagen sollen, Ihr und die anderen, bevor Ihr mir meinen Schooner durch Eure Einmischung verloren habt, verfluchte Kerle! Aber natürlich, ihr wißt es nicht, ihr habt den Verstand einer Küchenschabe. Aber höflich könnt Ihr reden, Georg Merry, und höflich werdet Ihr sein von nun ab, da könnt Ihr Gift daraufnehmen!“ „So gehört es sich“, sagte der alte Morgan. „Gehören? Das will ich meinen“, sagte der Schiffskoch. „Ihr habt das Schiff verloren, ich habe den Schatz gefunden, wer von uns beiden ist der bessere Mann? Aber hol’s der Teufel, ich trete zurück! Wählt zum Kapitän wen ihr wollt, ich hab’ genug davon.“ „Silver!“ riefen sie. „Der Bratrost soll leben, unser Bratrost muß Kapitän sein!“ „Aus diesem Loch bläst es?“ rief der Koch. „Georg, mein Freund, Ihr werdet auf die nächste Wahl warten müssen. Und seid froh, daß ich nicht rachsüchtig bin; das war nie meine Art. -- Und was ist’s nun mit dem schwarzen Fleck, Kameraden? Er taugt nicht viel, was? Dick hat sein Glück verspielt und seine Bibel ruiniert und sonst ist nichts dabei herausgekommen.“ „Es wird doch genügen, wenn ich die Bibel küsse, nicht wahr?“ murmelte Dick, der sichtlich unter dem Fluche litt, den er da auf sich geladen hatte. „Eine Bibel, aus der etwas herausgerissen worden ist?“ erwiderte Silver spöttisch. „Nein, die hat jetzt nicht mehr Kraft als irgendein Balladenbuch.“ „Soviel doch?“ rief Dick förmlich erfreut, „nun, damit ist sie ja doch was wert.“ „Da, Jim -- da habt Ihr was Interessantes zum Anschauen“, sagte Silver, indem er mir das Papier zuschob. Es war ein rundes Stück Papier, ungefähr in der Größe einer Krone. Auf der einen Seite war es leer, denn es war das letzte Blatt; auf der anderen Seite standen ein paar Verse aus der Offenbarung, und zwar Worte, die mich betroffen machten: „Draußen stehen Hunde und Mörder.“ Die bedruckte Seite war mit Holzasche geschwärzt, an der ich mir die Finger beschmutzte, und auf der leeren Seite war ebenfalls mit Holzasche das eine Wort „Abgesetzt“ geschrieben. Ich habe mir dieses Dokument als Kuriosität bis heute aufbewahrt, aber man sieht kein Zeichen einer Schrift mehr darauf, nur einen einzigen Ritzer, wie man ihn mit dem Daumennagel hervorbringen kann. Damit waren die Ereignisse dieser Nacht zu Ende, und nachdem wir miteinander eine Runde getrunken hatten, legten wir uns schlafen. Äußerlich bekundete Silver seine Rachsucht nur so weit, daß er Georg als Wache aufstellte und ihn mit dem Tode bedrohte, wenn er sich unzuverlässig erweisen sollte. Lange konnte ich kein Auge schließen, denn ich hatte, weiß Gott, genug Stoff zum Nachdenken. Ich dachte an den Mann, den ich an diesem Nachmittage getötet hatte, an meine höchst gefährliche Lage und vor allem an das merkwürdige Spiel, das ich Silver jetzt spielen sah: wie er mit einer Hand die Meuterer zusammenhielt und mit der anderen nach jedem möglichen und unmöglichen Mittel griff, um sein elendes Leben zu retten. Er selbst schlief friedlich und schnarchte laut. Trotz seiner Schlechtigkeit tat er mir leid, wenn ich an die dunklen Gefahren dachte, von denen er umgeben war und an den schmachvollen Galgentod, der ihn erwartete. Dreißigstes Kapitel Auf Ehrenwort Ich wurde geweckt -- das heißt wir alle wurden geweckt, sogar die Schildwache, die gegen den Türpfosten gefallen war, wurde von einer klaren herzlichen Stimme geweckt, die uns vom Waldrand her anrief: „Blockhaus hoi!“ rief es, „der Doktor ist da!“ Und er war es. Ich war froh, seine Stimme zu hören, doch meine Freude war nicht ganz ungemischt. Ich dachte bekümmert an mein ungehorsames und listiges Benehmen, und als ich mich umsah, mit was für Gefährten es mich zusammengebracht hatte und von welchen Gefahren ich umringt war, da schämte ich mich, ihm ins Gesicht zu schauen. Er mußte noch im Finstern aufgestanden sein, denn die Sonne war noch kaum draußen, und als ich an eine Schießscharte lief, um hinzusehen, sah ich ihn, wie damals Silver, bis an die Knie im Nebel stehen. „Der Herr Doktor! Schönsten guten Morgen, Herr!“ rief Silver, ganz wach und sofort von guter Laune strahlend. „Froh und früh, das muß man sagen. Das Sprichwort hat recht: Es ist der erste Vogel, der das Futter kriegt. Georg, nehmt Eure Beine in die Hand, mein Sohn, und helft Dr. Livesay ins Schiff hinein. Allen geht’s gut, Herr Doktor, alle Patienten sind frisch und munter.“ So schwatzte er drauflos, wie er da oben auf dem Abhang stand, die Krücke unterm Ellbogen, mit dem anderen Arm an das Blockhaus gelehnt -- in Stimme, Art und Ausdruck ganz der alte John von früher. „Und wir haben eine Überraschung für Euch, Herr“, fuhr er fort. „Wir haben einen kleinen Fremden hier, jawohl! Ein neuer Gast und Pensionär, Herr, und kreuzfidel! Hat wie ein Sack da grad’ neben mir geschlafen -- nebeneinander sind wir gelegen, die ganze Nacht.“ Doktor Livesay war indessen über die Umzäunung und dem Koch ganz nahegekommen, und ich konnte die Erregung in seiner Stimme hören, als er fragte: „Doch nicht Jim?“ „Jim selber, wie er leibt und lebt“, sagte Silver. Der Doktor stand starr, sprach kein Wort und es dauerte ein paar Sekunden, ehe er weitergehen konnte. „Na, na,“ sagte er schließlich, „erst die Pflicht und dann das Vergnügen, wie Ihr zu sagen pflegt, Silver. Erst wollen wir einmal Eure Patienten untersuchen.“ Einen Augenblick später trat er in das Blockhaus ein und mit einem grimmigen Nicken zu mir herüber ging er an seine Arbeit. Er schien gar keine Furcht zu empfinden, obwohl er wissen mußte, daß sein Leben, mitten unter diesen verräterischen Teufeln da, an einem Haar hing. Er aber plauderte mit seinen Patienten, als ob er einen gewöhnlichen ärztlichen Besuch in einer ruhigen englischen Familie machte, und seine Ruhe schien wieder auf die Leute zurückzuwirken, denn sie benahmen sich, als ob nichts geschehen wäre -- als sei er noch weiter der Schiffsarzt und sie die ordentlichen Matrosen. [Illustration] „Es geht gut, mein Freund,“ sagte er zu dem Kerl mit dem verbundenen Kopf, „Ihr seid sehr knapp durchgerutscht und Euer Schädel muß hart wie Eisen sein. Nun, Georg, wie geht’s? Ihr habt eine nette Farbe, freilich. Ja, Eure Leber, mein Lieber, ist drunter und drüber. Habt Ihr die Medizin genommen? Hat er die Medizin genommen, Leute?“ „Freilich, freilich, Herr, ganz gewiß“, erwiderte Morgan. „Denn wißt ihr, Leute, seid ich Meutererarzt geworden bin oder auch Gefängnisarzt, wie ich es lieber nenne,“ sagte Doktor Livesay in seiner liebenswürdigsten Art, „seitdem mach’ ich mir ein Gewissen draus, daß mir kein einziger Mann für König Georg (den Gott erhalte!) und den Galgen verloren geht.“ Die Schufte blickten einander an, schluckten aber die Pille schweigend. „Dick fühlt sich krank, Herr“, sagte einer. „So?“ antwortete der Doktor. „Kommt her, Dick, und laßt Eure Zunge anschauen. Nun ja, seine Zunge könnte den Franzosen Furcht einjagen! Wieder einer mit Fieber.“ „Das kommt davon,“ sagte Morgan, „das kommt vom Bibelzerreißen.“ „Das kommt davon, daß ihr dumme Esel seid“, erwiderte der Doktor, „und nicht Verstand genug habt, um gute Luft von vergifteter, und trockenen Boden von einem elenden, verpesteten Sumpf zu unterscheiden. Ich halte es für sehr wahrscheinlich -- doch das ist natürlich nur meine Meinung --, daß ihr alle noch ordentlich draufzuzahlen haben werdet, ehe ihr die Malaria wieder los seid. Wie kann man nur in einem Sumpf sein Lager aufschlagen? Silver, über Euch wundere ich mich. Ihr seid weniger dumm als die meisten hier, und doch scheint Ihr nicht die geringste Idee von den Grundregeln der Gesundheitslehre zu haben.“ „So“, fügte er hinzu, nachdem er ihnen allen Arznei verabreicht, und sie seine Vorschriften mit geradezu lächerlicher Demut befolgt hatten, in der sie eher Armenschulkindern als blutschuldigen Meuterern und Piraten glichen -- „so, für heute sind wir fertig und jetzt möchte ich, bitte, mit dem Jungen da sprechen.“ Und er nickte nachlässig in meine Richtung hin. Georg Merry stand an der Tür und spuckte und schluckte gerade an einer übelschmeckenden Medizin, doch beim ersten Wort, das der Doktor in dieser Sache sprach, drehte er sich mit hochrotem Gesicht um und rief fluchend „Nein!“ Silver schlug mit der Faust auf das Faß. „Ru--he!“ brüllte er und schaute wie ein Löwe um sich. „Herr Doktor,“ fuhr er in gewöhnlichem Tone fort, „ich habe daran gedacht, ich weiß, daß Ihr den Jungen gern habt. Wir alle sind Euch für Eure Güte untertänigst dankbar, und wie Ihr seht, haben wir Vertrauen zu Euch und nehmen die Medizin ein, als ob es Grog wäre. Ich denke, ich habe einen Weg gefunden, der uns allen zusagen wird: Hawkins, wollt Ihr mir Euer Ehrenwort als Gentleman geben -- denn ein Gentleman seid Ihr trotz Eurer bescheidenen Abkunft -- nicht auszureißen?“ Bereitwillig gab ich mein Wort. „Also, Herr Doktor,“ sagte Silver, „Ihr geht, bitte, aus der Umzäunung heraus und wenn Ihr mal draußen seid, bring’ ich den Jungen von innen auch hin, und ich denke, Ihr werdet ganz gut mit ihm durch die Ritzen reden können. Guten Tag, Herr, und unsere besten Empfehlungen dem Squire und Kapitän Smollett.“ Die Mißbilligung der ganzen Mannschaft, welche nur durch Silvers wilde Blicke im Zaum gehalten worden war, brach sofort los, als der Doktor aus dem Haus getreten war. Sie beschuldigten Silver ganz rund heraus, doppeltes Spiel zu spielen, einen Separatfrieden für sich selbst herauszuschlagen, die Interessen seiner Mitschuldigen und Opfer zu verraten, mit einem Wort genau der Dinge, die er wirklich tat. Das schien mir in diesem Falle so augenscheinlich, daß ich mir nicht vorstellen konnte, wie er ihren Zorn abwenden würde. Aber er war zweimal soviel Mann als die anderen, und sein Sieg am vorigen Abend hatte ihm einen ungeheuren Einfluß verschafft. Er putzte sie nach allen Regeln der Kunst herunter, nannte sie Esel und Dummköpfe, sagte, es sei notwendig, daß ich mit dem Doktor rede, fuchtelte ihnen mit der Karte vor der Nase herum und fragte, ob sie den Vertrag gerade an diesem Tag brechen wollten, an dem sie doch den Schatz suchen wollten. „Nein, zum Donnerwetter,“ rief er, „wir werden den Vertrag brechen bis die Zeit dazu da ist, und bis dahin will ich den Doktor foppen, und wenn ich seine Schuhe mit Branntwein salben sollte.“ Dann befahl er ihnen, das Feuer anzuzünden, und schritt stolz, die Hand auf meine Schulter gelehnt, auf seiner Krücke mit mir hinaus. Sie blieben ganz verwirrt zurück, von seiner Zungenfertigkeit zum Schweigen gebracht, doch kaum überzeugt. „Langsam, Junge, langsam“, sagte er. „Auf eins, zwei kämen sie hinter uns her, wenn sie uns laufen sähen.“ Wir näherten uns also sehr bedächtig der Stelle, wo uns der Doktor jenseits der Umzäunung erwartete, und sobald wir in bequemer Hörweite waren, blieb Silver stehen. „Nicht wahr, Sie werden sich das auch merken, Herr Doktor?“ sagte er. „Und der Junge wird Ihnen erzählen, wie ich ihm das Leben rettete und dafür abgesetzt wurde. Herr Doktor, wenn einer so nahe dem Wind steuert wie ich und um sein letztes bißchen Atem, Kopf und Adler spielen muß, möchten Sie ihm da nicht ein gutes Wort geben? Denken Sie doch daran, daß es nicht nur um mein Leben geht, sondern auch um das des Jungen da, und geben Sie mir ein wenig Hoffnung, um der Barmherzigkeit willen.“ Silver war ganz verändert, sobald er seinen Freunden und dem Blockhaus den Rücken gedreht hatte. Seine Wangen schienen eingefallen, seine Stimme zitterte, seine Seelenangst war echt. „Aber John, Ihr fürchtet Euch doch nicht?“ fragte Doktor Livesay. „Herr Doktor, ich bin kein Feigling, ich nicht, nicht so viel!“ Und schlug ein Schnippchen. „Aber ich will ehrlich gestehen, vor dem Galgen fürchte ich mich. Ihr seid ein guter und anständiger Mensch, ich habe nie einen besseren getroffen. Und Ihr werdet nicht vergessen, was ich Gutes getan habe, sowie Ihr auch bestimmt das Böse nicht vergessen werdet. Und jetzt will ich beiseite treten -- seht, dorthin -- und Euch mit Jim allein lassen, und Ihr werdet mir auch das zugute halten, nicht war? Denn es ist viel, was ich da wage!“ Dabei ging er zurück, bis er außer Hörweite war, setzte sich auf einen Baumstumpf und begann zu pfeifen, während er sich auf seinem Sitz gelegentlich herumdrehte, um abwechselnd mich und den Doktor und dann wieder seine unbotmäßigen Gesellen zu beobachten, die im Sand auf und ab gingen, zwischen dem Feuer -- das sie fleißig schürten -- und dem Hause, aus dem sie Schweinefleisch und Brot für das Frühstück heraustrugen. „Nun, Jim,“ sagte der Doktor traurig, „da bist du ja. Was du dir eingebrockt hast, das wirst du aufessen, mein Junge. Es fällt mir schwer, dich auszuzanken, aber eins muß ich dir doch sagen, ob du es freundlich oder unfreundlich findest: Wenn Kapitän Smollett gesund gewesen wäre, hättest du es nicht gewagt, fortzulaufen. Aber als er krank war und es nicht verhindern konnte, da war es, zum Teufel, einfach eine Feigheit!“ Ich muß gestehen, daß ich jetzt zu weinen anfing. „Doktor,“ sagte ich, „schonet mich, ich habe mir genug schwere Vorwürfe gemacht. Mein Leben ist ja doch verwirkt, und ich wäre schon tot, wenn mich Silver nicht geschützt hätte. Doktor, glaubt mir, ich werde zu sterben wissen, und ich glaube auch, daß ich den Tod verdient habe, aber vor dem Martern fürchte ich mich. Wenn sie mich martern werden --“ „Jim,“ unterbrach mich der Doktor, mit ganz veränderter Stimme, „Jim, das kann ich nicht anhören. Spring herüber und wir laufen was wir können.“ „Herr Doktor,“ sagte ich, „ich hab’ mein Wort gegeben.“ „Ich weiß, ich weiß,“ rief er, „da kann man jetzt nichts machen, Jim. Ich nehm’ das Ganze auf mich, den Schimpf und die Schande, mein Junge, aber hier lassen kann ich dich nicht. Spring! Ein Sprung und du bist draußen, und dann wollen wir rennen wie die Gazellen.“ „Nein!“ erwiderte ich. „Ihr wißt ganz gut, daß Ihr so etwas auch nicht tätet, weder Ihr, noch der Squire, noch der Kapitän. Und ich tu’s auch nicht. Silver hat mir vertraut, ich habe mein Wort gegeben und gehe zurück. Aber ich bin noch nicht zu Ende. Wenn sie mich martern, könnte ich mir ein Wort entreißen lassen, wo das Schiff liegt. Ich hab’ nämlich das Schiff, teils, weil ich Glück hatte, und teils, weil ich’s eben gewagt habe, in Sicherheit bringen können und es liegt bei der Nordbucht am Ufer, etwas unter Wasser. Schon bei halber Flut muß es trocken und oben sein.“ „Das Schiff!“ rief der Doktor aus. Rasch schilderte ich ihm meine Abenteuer, und er hörte mir schweigend zu. „Das ist schon wie Schicksal,“ bemerkte er, als ich zu Ende war, „bei jedem Schritt bist du es, der uns das Leben rettet. Und glaubst du, daß wir jetzt zugeben werden, daß du deines lassen mußt? Das wäre eine traurige Vergeltung, mein Junge. Du hast die Verschwörung entdeckt, du hast Ben Gunn gefunden -- das Beste, was dir je geglückt ist oder glücken wird, und wenn du neunzig wirst. Ja, beim Zeus, weil wir von Ben Gunn reden! Das ist der verkörperte Unfug dieser Mensch -- Silver!“ rief er, „Silver!! Ich will Euch einen Rat geben“, fuhr er fort, als der Koch näher kam, „beeilt Euch nicht zu sehr, den Schatz zu suchen.“ „Warum, Herr? ich tue jetzt mein möglichstes,“ sagte Silver, „kann ich doch, Sie entschuldigen schon, mein Leben und das des Jungen nur retten, wenn wir dem Schatz nachjagen.“ „Nun Silver,“ erwiderte der Doktor, „wenn das so ist, will ich einen Schritt weitergehen. Ihr werdet Verdruß haben, wenn Ihr ihn findet!“ „Herr,“ sagte Silver, „das ist zu viel und zu wenig. Was habt Ihr im Sinn? Warum habt Ihr das Blockhaus verlassen, warum habt Ihr mir die Karte da gegeben? Ich weiß es nicht. Und doch habe ich mit geschlossenen Augen Eure Befehle befolgt, ohne irgendeine Hoffnung für mich zu sehen.. Aber das jetzt, das ist zu viel! Und wenn Ihr mir nicht geradeheraus sagt, was Ihr eigentlich meint, dann werde ich das Steuer loslassen.“ „Nein,“ sagte der Doktor nachdenklich, „ich habe kein Recht, mehr zu sagen, denn es ist nicht mein Geheimnis, Silver, sonst würde ich es sagen, mein Wort darauf. Aber ich will so weit gehen, als ich darf, und noch einen Schritt weiter, wenn auch der Kapitän mir tüchtig meine Perücke zerzausen wird, wenn ich nicht sehr irre. Aber zuerst will ich Euch ein wenig Hoffnung geben: Silver, wenn wir beide lebendig aus dieser Wolfsfalle herauskommen, werde ich tun, was ich kann, um Euch herauszureißen.“ Das Gesicht Silvers strahlte. „Mehr könntet Ihr nicht sagen, Herr, wenn Ihr meine Mutter wäret“, rief er aus. „Nun, das ist mein erstes Zugeständnis“, fügte der Doktor hinzu. „Das zweite ist ein Rat: Haltet den Jungen fest bei Euch, und wenn Ihr Hilfe braucht, ruft. Ich gehe jetzt, diese Hilfe zu suchen, und das ist der beste Beweis, daß ich nicht in den Tag hineinschwätze. Leb’ wohl, Jim.“ Doktor Livesay schüttelte mir durch die Umzäunung die Hand, nickte Silver zu und ging mit raschen Schritten dem Walde zu. Einunddreißigstes Kapitel Die Jagd nach dem Schatze -- Flints Wegweiser „Jim,“ sagte Silver, als wir allein waren, „Ihr habt auch mir das Leben gerettet, und das werde ich nicht vergessen. Ich hab’ beobachtet, so aus meinem Augenwinkel heraus, daß Euch der Doktor riet, fortzulaufen, und Ihr habt nein gesagt. Das habe ich so deutlich gesehen, wie wenn ich zugehört hätte. Jim, Ihr habt eins gut bei mir. Das ist der erste Hoffnungsschimmer, seit der Angriff versagte, und den verdanke ich Euch. Jetzt, Jim, müssen wir mit versiegelter Marschorder diesem Schatz nachjagen, und die Sache gefällt mir gar nicht. Wir beide müssen fest zusammenbleiben, Schulter an Schulter, und wir werden uns schon irgendwie durchbeißen.“ Da rief uns ein Mann vom Feuer her zu, daß das Frühstück bereit sei, und wir setzten uns dazu und aßen Zwieback und Pökelfleisch. Sie hatten ein Feuer angezündet, an dem man einen Ochsen hätte braten können und dem man sich nur von der Windseite nähern konnte, und auch da nur mit Vorsicht. Ebenso verschwenderisch hatten sie etwa dreimal soviel gekocht, als wir essen konnten und einer von ihnen warf mit einem dummen Lachen das übriggebliebene Essen ins Feuer, das vom ungewöhnlichen Brennmaterial zischte und hoch aufloderte. Ich hatte noch nie eine solche törichte Verschwendung gesehen. Sie wirtschafteten in jeder Beziehung von der Hand in den Mund, das Essen verwüsteten sie, ihre Schildwachen schliefen ein, und obgleich sie verwegen genug für jedes Scharmützel waren, schien es mir sicher, daß sie zu einem längeren Kampf gänzlich ungeeignet geworden. Selbst Silver, auf dessen Schulter Kapitän Flint saß und mitaß, hatte kein Wort des Tadels für ihre Verschwendung. Und das überraschte mich um so mehr, denn niemals hatte er sich so schlau gezeigt wie jetzt. „Na, Kameraden,“ sagte er, „ihr könnt schon froh sein, den Bratrost zu haben, daß er für euch denkt. Ich hab’ jetzt, was ich wollte. Ganz sicher, sie haben das Schiff. Wo es ist, weiß ich noch nicht, doch wenn wir erst den Schatz haben, werden wir schon suchen und es finden. Und dann Kameraden, wer die Boote hat, denk’ ich, der hat ja doch die Oberhand.“ So sprach er weiter, dabei mit vollem Munde heißen Speck kauend, so richtete er ihre Hoffnung und ihr Vertrauen wieder auf und, wie ich glaube, gleichzeitig auch seinen eigenen Mut. „Was die Geisel anlangt,“ fuhr er fort, „wird das wohl sein letztes Gespräch mit seinen vielgeliebten Leuten gewesen sein. Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte, und schönen Dank dafür, aber das ist jetzt vorüber. Ich werde ihn zu mir nehmen, wenn wir jetzt auf die Schatzsuche gehen und auf ihn aufpassen, als wäre er von Gold, für den Fall, daß etwas geschieht, ihr versteht schon. Haben wir erst das Schiff und den Schatz und sind wieder fröhliche Gesellen auf See, na, dann wollen wir schon mit Herrn Hawkins noch ein Wörtchen reden und ihm sein Teil zukommen lassen für alle seine Freundlichkeit.“ Es war kein Wunder, daß die Leute jetzt gut gelaunt waren. Ich für mein Teil war furchtbar niedergeschlagen. Wenn sich der Plan, den er da eben entworfen hatte, als ausführbar erweisen sollte, so würde wohl Silver, der nun schon ein doppelter Verräter war, nicht zögern ihn auszuführen. Er hatte in beiden Lagern Fuß gefaßt, und es war kein Zweifel, daß er Reichtum und Freiheit mit den Piraten dem bloßen Entkommen vor dem Galgen vorziehen würde, was ja das Äußerste war, was wir ihm zu bieten hatten. Ja selbst, wenn es sich so fügen sollte, daß er gezwungen wäre, Doktor Livesay die Treue zu bewahren, welche Gefahr lag selbst dann noch vor uns! Welch ein Augenblick, wenn der Verdacht seiner Gefährten sich in Gewißheit verwandelte und er und ich ums liebe Leben zu kämpfen haben würden -- er der Krüppel, und ich ein Knabe, gegen fünf starke kampftüchtige Seeleute! Zu dieser doppelten Furcht kam noch das Geheimnis, das für mich noch immer über dem Verhalten meiner Freunde lag: ihrer unerklärten Flucht aus dem Blockhaus und ihrer unerklärlichen Übergabe der Karte. Noch weniger verständlich war die letzte Warnung des Doktors an Silver: „Wenn Ihr den Schatz findet, werdet Ihr Verdruß haben“, und man wird mir gerne glauben, daß mir mein Frühstück nicht besonders schmeckte und daß ich mit sehr gemischten Gefühlen hinter meinen Gefangenenwärtern auf die Schatzsuche ging. Wir sahen sehr sonderbar aus, wenn jemand dabei gewesen wäre, um uns zu sehen, wie wir da alle in schmutzigen Matrosenanzügen und, bis auf mich, alle bis zu den Zähnen bewaffnet, ausrückten. Silver hatte zwei Gewehre umgehängt -- eines vorne, eines hinten --, dazu noch den großen Hirschfänger in seinem Gürtel und eine Pistole in jeder Tasche seines langschößigen Rockes. Kapitän Flint, der auf seiner Schulter saß und Matrosenredensarten sinnlos vor sich hinplapperte, vervollständigte seine merkwürdige Ausrüstung. Ich hatte einen Strick um meinen Leib geschlungen und folgte gehorsam dem Schiffskoch, der das Ende des Seils manchmal in der einen freien Hand, manchmal zwischen dem mächtigen Gebiß hielt. Wahrhaftig, wie ein Tanzbär wurde ich dahingeführt. Die anderen Matrosen waren verschiedenartig bepackt. Einige trugen Spaten und Schaufeln -- das war das erste gewesen, was sie von der Hispaniola hinuntergetragen hatten --, andere waren mit Fleisch, Brot und Branntwein für die Mittagsmahlzeit beladen. Alle Vorräte kamen, wie ich bemerkte, aus unserer Speisekammer und ich sah, wie richtig Silvers Worte gewesen waren. Wenn er nicht mit dem Doktor den Vertrag geschlossen hätte, wäre er mit seinen Meuterern, nachdem das Schiff weg war, auf Trinkwasser und die etwaigen Ergebnisse der Jagd angewiesen gewesen. Wasser wäre nicht sehr ihr Geschmack gewesen und Matrosen sind selten gute Jäger. Außerdem schien es wahrscheinlich, daß sie auch nicht über sehr große Pulvervorräte verfügten, wenn sie so wenig Eßwaren hatten. [Illustration] Nun, so ausgerüstet, machten wir uns auf den Weg -- selbst der Kerl mit dem Loch im Kopf war mit, für den es sicherlich besser gewesen wäre, im Schatten zu Hause zu bleiben -- und wanderten der Bucht zu, wo uns die beiden Boote erwarteten. Auch sie trugen Spuren der betrunkenen Wildheit der Seeräuber; in einem war die Ruderbank gebrochen, und beide waren verschmutzt und auf dem Boden standen Wasserlachen. Wir mußten aus Sicherheitsgründen beide mitschleppen und so setzten wir uns endlich in Bewegung. Unterwegs gab es einigen Streit, der Karte wegen. Das rote Kreuz war natürlich viel zu groß, um als Führer zu dienen und die Ausdrücke der Erklärung auf der Rückseite schienen immerhin zweideutig. Diese Erklärung lautete, wie man sich erinnern wird, folgendermaßen: „Hoher Baum, Fernrohrabhang, Wegweiser nach N. von NNO. Skelettinsel OSO. und nach O. Zehn Fuß.“ Ein hoher Baum war also die wichtigste Bezeichnung. Der Ankerplatz war gerade vor uns von einer Hochfläche begrenzt, die etwa zwei- bis dreihundert Fuß hoch lag und sich im Norden an den abfallenden südlichen Abhang des „Fernrohrs“, und gegen Süden an die steile zerklüftete Erhöhung, der Kreuzmastberg genannt, anschloß. Diese Hochfläche war dicht mit Nadelbäumen verschiedener Höhe bestanden. Da und dort erhob sich ein Baum vierzig oder fünfzig Fuß über seine Nachbarn, doch welcher davon der eigentliche „hohe Baum“ des Kapitän Flint war, konnte nur an Ort und Stelle mit Hilfe des Kompasses entschieden werden. Trotzdem die Sache so lag, hieb jeder der Matrosen, bevor wir halb drüben waren, einen Baum, den er sich aussuchte, um, und nur der lange John zuckte die Achseln und riet ihnen, zu warten, bis wir an Ort und Stelle wären. Auf Silvers Anordnung, der die Matrosen nicht vorzeitig ermüden wollte, gingen wir nur langsam vorwärts und landeten nach einer beträchtlichen Weile bei der Mündung des zweiten Flusses, desjenigen, der durch eine bewaldete Schlucht vom „Fernrohr“ herunterkommt. Von da aus hielten wir uns nach links und erstiegen den Abhang gegen die Hochfläche zu. Beim Anstieg verlangsamte der Moorboden mit seiner Sumpfvegetation sehr unser Tempo, doch allmählich ging es steiler hinauf, der Boden wurde steiniger, der Wald veränderte seinen Charakter und die Bäume standen in größeren Abständen. Wir kamen nun in einen wunderschönen Teil der Insel. Wohlriechender Ginster und andere blühende Stauden hatten das Gras fast ganz verdrängt. Dichte Gruppen grüner Muskatnußbäume waren da und dort mit den roten Säulen der breitschattigen Nadelbäume untermischt und vermengten ihren Duft mit dem der Nadelbäume. Die Luft war frisch und anregend und wirkte trotz der herniederbrennenden Sonne wunderbar belebend auf unsere Sinne. Die Leute gingen in fächerförmiger Anordnung und riefen und sprangen hin und her. Ziemlich weit hinter den anderen folgten Silver und ich -- er keuchend von der Anstrengung des Steigens, und ich durch den Strick kurzgehalten. Von Zeit zu Zeit mußte ich ihm die Hand reichen, denn der Weg gab ihm viel zu schaffen und er war mehrmals im Begriffe, rückwärts den Abhang hinunter zu fallen. Als wir ungefähr eine halbe Meile zurückgelegt hatten, und uns der Höhe näherten, ertönte plötzlich ein lauter Schreckensschrei eines der Männer, der am weitesten nach links gekommen war, ein zweites- und drittesmal schrie er, und die übrigen stürzten nach jener Richtung hin. „Er kann nicht den Schatz gefunden haben, denn der ist doch ganz oben“, sagte der alte Morgan, der von rechts an uns vorübereilte. Und es war wirklich etwas ganz anderes. Als wir oben ankamen, sahen wir am Fuße einer ziemlich hohen Tanne und in grüne Schlingpflanzen verschlungen, die sogar einige der kleineren Knochen gehoben hatten, ein menschliches Skelett liegen, das nur mit einigen Lumpen bedeckt war. Ein kalter Schauer durchfuhr in diesem Augenblick alle unsere Herzen. „Er war ein Seemann“, sagte Georg Merry, der, kühner als die übrigen, nahe herangegangen war und die Kleiderfetzen prüfend betrachtete. „Zum mindesten ist das gutes Matrosentuch.“ „Freilich,“ sagte Silver, „höchstwahrscheinlich, oder hast du gedacht einen Bischof hier oben zu finden? Doch wie merkwürdig die Knochen liegen. Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ Es schien tatsächlich, wenn man genauer hinsah, ausgeschlossen, daß der Leichnam da in natürlicher Stellung lag. Durch irgendwelche zufällige äußere Einflüsse (vielleicht war es das Werk der Vögel oder der langsam wachsenden Schlingpflanze, die allmählich seine Überreste eingehüllt hatte) lag der Mann vollkommen gerade da, seine Füße zeigten nach einer Richtung und seine Hände, die wie die eines Tauchers über den Kopf erhoben waren, genau in die entgegengesetzte. „Mir geht ein Gedanke durch meinen alten Schädel,“ bemerkte Silver. „Das ist der Kompaß: Dort ist der höchste Punkt der Skelettinsel, der wie ein Zahn heraussteht. Bestimmt jetzt die Richtung der Leiche da.“ Es geschah. Der Körper zeigte gerade in die Richtung der Insel, und auf dem Kompaß stand Ostsüdost und nach Ost zu lesen. „Ich dachte mir’s,“ rief der Koch, „das ist ein Wegweiser. Gerade dahinauf geht es zum Polarstern und zu unseren lustigen Dollars. Unverkennbar, das war einer von Flints Scherzen! -- Er war mit den sechsen allein hier oben und tötete sie alle, Mann für Mann. Und den einen da schleppte er her und richtete ihn als Wegweiser. Das sind lange Knochen und die Haare sind blond. Ja, das dürfte Allardyce sein! Erinnerst du dich noch an Allardyce, Tom Morgan?“ „Natürlich,“ erwiderte Morgan, „erinnere ich mich an ihn: Er schuldete mir Geld und nahm ein Messer mit ans Land.“ „Weil wir gerade von Messern reden“, sagte ein anderer, „warum liegt seines hier nirgend herum? Flint war nicht der Mann, einem Seemann die Taschen auszuleeren, und die Vögel, denke ich, hätten es auch sein lassen.“ „Beim Teufel, das ist wahr!“ rief Silver. „Aber rein gar nichts ist da,“ sagte Merry suchend herumblickend, „keine Kupfermünze, keine Tabaksdose, das kommt mir nicht geheuer vor.“ „Ist es auch nicht,“ gab Silver zu, „nicht geheuer und nicht hübsch. Kreuzdonnerwetter, Kameraden, wenn Flint lebte, wär’ das ein heißer Punkt für uns. Sechs waren sie und sechs sind wir. Und von ihnen sind nur mehr Knochen übrig.“ „Mit diesen Augen hier habe ich ihn tot daliegen sehen“, sagte Morgan. „Billy nahm mich mit hinein zu ihm. Da lag er und seine Augen waren mit Kupfermünzen zugehalten.“ „Tot, ja, das schon, tot ist er und in der Hölle,“ sagte der Kerl mit dem verbundenen Kopf, „doch wenn jemals ein Geist umging, dem von Flint traue ich es schon zu. Dieser Flint hat einen bösen Tod gehabt!“ -- „Ja,“ bemerkte ein anderer, „bald wütete er, dann wieder schrie er um Rum und dann sang er. ‚Fünfzehn Mann‘ war sein einziges Lied, Kameraden, und ich muß ehrlich sagen, seit der Zeit höre ich es nicht gerne singen. Es war sehr heiß, das Fenster stand offen und ich hörte das alte Lied noch ganz deutlich, als der Mann schon im Sterben lag.“ „Laßt,“ sagte Silver, „hört auf mit diesen Geschichten. Er ist tot und er geht nicht um, jedenfalls nicht bei Tag, das glaube ich einfach nicht. Wer sich Sorgen macht, kommt um! Jetzt auf zu den Dublonen!“ Wir machten uns auf den Weg; doch trotz der heißen Sonne und dem blendenden Tageslicht gingen die Piraten nicht mehr getrennt und liefen nicht mehr schreiend durch den Wald, sondern hielten sich aneinander und sprachen mit gehaltenem Atem. Die Furcht vor dem toten Freibeuter hatte ihren Mut gelähmt. Zweiunddreißigstes Kapitel Die Jagd nach dem Schatze -- Die Stimme aus den Bäumen Noch unter dem Eindruck dieses Schreckens, zum Teil auch, um Silver und den Kranken etwas Zeit zum Ausruhen zu geben, machte die ganze Gesellschaft Rast, sobald die Höhe erreicht war. Die Hochfläche neigte sich gegen Westen, und der Punkt, wo wir haltmachten, hatte einen weiten Ausblick nach beiden Seiten. Vor uns sahen wir über die Baumwipfel hinweg das von der Brandung bespülte Waldkap; dahinter konnte man nicht nur den Ankerplatz und die Skelettinsel, sondern auch noch jenseits der Landzunge und des östlichen Tieflandes einen breiten Streifen der offenen See erblicken. Senkrecht über uns erhob sich das Fernrohr, das hier mit einzelstehenden Nadelbäumen bewachsen war, dazwischen lagen schwarze zerklüftete Schluchten. Kein Laut war zu hören, außer dem fernen Anschlagen der Brandung ringsum und dem Gezirp der zahllosen Insekten im Gesträuch. Kein Mensch, kein Schiff auf der See. Gerade die Weite des Ausblickes erhöhte das Gefühl tiefer Einsamkeit. Silver machte mit seinem Kompaß während der Rast verschiedene Aufnahmen. „Da sind drei hohe Bäume,“ sagte er, „ungefähr in der bezeichneten Richtung von der Skelettinsel. ‚Fernrohrabhang,‘ damit wird wohl der tiefere Punkt dort gemeint sein. Es ist ein Kinderspiel, die Geschichte jetzt zu finden. Ich möchte beinahe vorher mittagessen.“ „Mir vergeht der Hunger, wenn ich an Flint denke -- als ob’s mir passiert wäre --!“ „Ja, mein Sohn, du kannst dem Himmel danken, daß er tot ist“, sagte Silver. „Er war ein häßlicher Teufel!“ rief ein dritter Seeräuber schaudernd. „Ganz blau im Gesicht!“ „Das hat der Rum aus ihm gemacht,“ fügte Merry hinzu, „ja, ganz blau war er, das ist richtig.“ Seit der Auffindung des Skeletts hatten sie angefangen immer leiser zu sprechen, so daß das Geräusch ihrer Reden das Schweigen des Waldes kaum unterbrach. Und jetzt, ganz plötzlich, ertönte aus einer Baumgruppe vor uns eine dünne, hohe, zitternde Stimme, die das wohlbekannte Lied sang: „Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste -- Jo-hoho -- Und ein Fläschchen Rum!“ Niemals habe ich ein wilderes Entsetzen gesehen, als jetzt das der Seeräuber. Ihre Gesichter entfärbten sich, ein paar sprangen auf die Füße, andere klammerten sich an die Kameraden an, Morgan warf sich zu Boden. „Es ist Flint, zum --!“ schrie Merry. Plötzlich brach das Lied mitten in einem Tone ab, so, als ob jemand dem Sänger den Mund zugehalten hätte. Mir klang es, wie es durch die klare sonnige Luft zwischen den grünen Baumwipfeln ertönte, heiter und lieblich, um so seltsamer schien mir die Wirkung auf meine Gefährten. „Also,“ sagte Silver, als seine aschgrauen Lippen ein Wort hervorbringen konnten, „das gibts nicht. Das ist ein netter Anfang. Ich weiß nicht, wer da gesungen hat, einer macht sich da einen Witz, einer der aus Fleisch und Blut ist; darauf könnt ihr Gift nehmen!“ Im Sprechen hatte er wieder Mut gewonnen und in sein Gesicht kam wieder ein wenig Farbe. Auch die anderen hatten bereits angefangen auf seine Ermutigung zu hören und kamen ein wenig zu sich, als die Stimme wieder ertönte -- diesmal nicht singend, sondern in einem schwachen, fernen Ruf, den die Schluchten des „Fernrohrs“ noch schwächer widerhallten. „Darby M’ Graw,“ jammerte es -- denn das ist das Wort, das den Klang am besten andeutet --, „Darby M’ Graw!“ „Darby M’ Graw!“ wieder und wieder und dann noch etwas stärker und mit einem Fluch, den ich nicht wiedergeben kann; „Hol’ mir den Rum, Darby!“ Die Freibeuter standen wie angenagelt und die Augen traten ihnen aus den Höhlen. Noch lange nachdem die Stimme verklungen war, starrten sie in entsetztem Schweigen vor sich hin. „Jetzt ist es sicher!“ keuchte einer, „gehen wir!“ „Das waren seine letzten Worte,“ stöhnte Morgan, „seine letzten Worte auf dieser Erde.“ Dick hatte seine Bibel ausgepackt und betete eifrig. Er war fromm erzogen worden, der gute Dick, ehe er zur See ging und in schlechte Gesellschaft geraten war. Nur Silver blieb unbesiegt. Ich hörte zwar, wie ihm die Zähne klapperten, aber er ergab sich noch immer nicht. [Illustration] „Niemand auf der Insel hier hat jemals von Darby gehört“, murmelte er, „außer uns.“ Dann fuhr er mit großer Anstrengung fort: „Kameraden!“ rief er, „ich bin hergekommen, um dieses Gold zu kriegen, und niemand soll mich daran hindern, weder Mensch noch Teufel! Ich habe mich vor Flint im Leben nicht gefürchtet und ich will mich ihm entgegenstellen, bei allen Teufeln, auch wenn er tot ist. Siebenhunderttausend Pfund liegen kaum eine Viertelmeile von hier. Wann ist je ein Glücksritter vor einem Schatze umgekehrt, bloß wegen so eines alten Seemannes mit einer blauen Fratze, der noch dazu tot ist?“ Doch jetzt war kein Zeichen wiedererwachenden Muts bei seinen Gefährten zu sehen, viel eher wachsende Furcht über die Kühnheit seiner Reden. „Gebt acht, John!“ sagte Merry, „man soll die Geister nicht böse machen!“ Die übrigen waren zu entsetzt, um zu antworten. Sie wären davongelaufen, wenn sie es gewagt hätten, doch die Furcht hielt sie beisammen und trieb sie zu John, wie wenn sein Wagemut ihnen helfen würde. Er hingegen hatte seine Schwäche tapfer niedergekämpft. „Geister? Kann schon sein!“ sagte er, „nur eins versteh’ ich nicht: Ich habe ein Echo gehört. Kein Mensch hat je ein Gespenst mit einem Schatten gesehen, was sollte es also mit einem Echo machen, möchte ich wissen? Ist das nicht unnatürlich?“ Diese Beweisführung kam mir ziemlich schwach vor. Doch läßt sich niemals sagen, was den Abergläubischen beeinflussen kann, denn zu meinem großen Erstaunen war Georg Merry merklich getröstet. „Das ist wahr,“ sagte er, „Ihr seid ein gescheiter Kerl John, kein Zweifel. Vorwärts Kameraden! Wir sind auf einer falschen Fährte, glaube ich. Und wenn ich es recht bedenke, war es schon ähnlich wie Flints Stimme, das geb ich zu, aber eigentlich doch nicht ganz. Eher wie jemandes anderen Stimme -- eher wie --“ „Beim Teufel -- Ben Gunn!“ brüllte Silver. „Ja, ja,“ rief Morgan, aufspringend, „Ben Gunn war’s!“ „Es macht keinen großen Unterschied,“ sagte Dick, „Ben Gunn ist ebensowenig am Leben wie Flint.“ Doch die alten Matrosen überschütteten ihn mit Hohn. „Was fällt dir ein, wer schert sich um Ben Gunn“, rief Merry. „Ob tot oder lebendig, keine Katze fragt nach dem.“ Es war ganz merkwürdig, wie rasch ihnen der Mut zurückgekehrt war, und ihre Wangen Farbe bekamen. Bald schnatterten sie durcheinander, und als kein anderer Laut mehr vernehmbar wurde, schulterten sie die Geräte und machten sich auf den Weg, Merry mit Silvers Kompaß, der die gerade Richtung zur Skelettinsel zeigte, voran. Er hatte wahr gesprochen: Ob tot oder lebendig, niemand scherte sich um Ben Gunn. Nur Dick hielt noch immer seine Bibel fest und blickte mit ängstlichen Augen um sich, doch fand er kein Mitgefühl und Silver lachte sogar über seine Vorsichtsmaßregel. „Ich hab’ es dir ja gesagt, warum hast du deine Bibel verdorben? Wenn sie nichts mehr zum Schwören taugt, was glaubst du, gibt ein Geist dafür? Nicht das!“ Und er schlug mit seinen dicken Fingern ein Schnippchen, während er, auf seine Krücke gestützt, einen Augenblick stehen blieb. Doch Dick war untröstlich, und ich sah bald, daß der Junge im Begriffe war krank zu werden. Die Hitze, die Erschöpfung und der Schreck erhöhten sichtlich das von Doktor Livesay prophezeite Fieber. Es war ein schöner freier Weg, den wir da auf dem Kamm gingen, denn die Hochfläche war, wie gesagt, gegen Westen geneigt. Die hohen und niedrigen Nadelhölzer standen in weiten Zwischenräumen und auch zwischen den Muskatnuß- und Azaleengruppen waren große Lichtungen, auf die die heiße Sonne niederbrannte. Da wir ziemlich gegen Nordwesten über die Insel wanderten, zogen wir einerseits näher zum „Fernrohr“ hin und sahen andererseits weit über jene westliche Bucht hinaus, in der ich einmal in meinem kleinen Boot zitternd herumgestoßen worden war. Der erste der hohen Bäume war erreicht, und bei der Prüfung mit dem Kompaß zeigte es sich, daß es ein falscher war. Ebenso ging es mit dem zweiten. Der dritte erhob sich über einer Gruppe Unterholz fast zweihundert Fuß in die Luft, ein Riesengewächs, der rote Stamm groß wie ein Haus, in dessen Schatten eine Kompagnie hätte bequem exerzieren können. Er konnte von Osten und Westen, von weit her, wahrgenommen werden und man hätte ihn als Wegweiser in die Karte einzeichnen können. Doch nicht seine Größe machte Eindruck auf meine Gefährten, sondern der Umstand, daß dort siebenhunderttausend Pfund Gold irgendwo in seinem Schatten begraben lagen. Der Gedanke an das Geld verschlang den früheren Schrecken, als sie näher kamen. Ihre Augen brannten, ihre Füße liefen leichter und schneller, denn ihre ganze Seele hing an diesem Gelde und an dem Leben voll Vergnügen und Verschwendung, das da auf jeden einzelnen von ihnen zu warten schien. Silver humpelte stöhnend auf seiner Krücke heran. Seine weitgeöffneten Nasenflügel zitterten und er fluchte wütend, wenn sich die Fliegen auf seinem großen, von Hitze glänzenden Gesicht niederließen. Er zog wild an dem Strick, der mich mit ihm verband, und von Zeit zu Zeit schaute er mich böse an. Er gab sich gar keine Mühe, seine Gedanken zu verbergen und ich las es schaudernd von seinem Gesicht. In dieser unmittelbaren Nähe des Goldes war alles übrige vergessen. Sein Versprechen und die Mahnung des Doktors waren vergangene Dinge, und ich konnte nicht daran zweifeln, daß er hoffte, den Schatz zu heben, die Hispaniola im Schutze der Nacht aufzufinden und zu bergen und allen ehrlichen Menschen auf der Insel die Kehle zu durchschneiden, um, so wie er es zuerst beabsichtigt hatte, beladen mit Verbrechen und Reichtümern, fortzusegeln. Bedrückt von diesen Gedanken fiel es mir schwer, mit dem raschen Gang der Schatzsucher Schritt zu halten. Manchmal stolperte ich und dann zog Silver roh am Strick und schoß mörderische Blicke auf mich. Dick, der zurückgeblieben war und jetzt die Nachhut bildete, plapperte, während das Fieber stieg, Gebete und Flüche vor sich hin. Auch das vergrößerte meinen Jammer, und dazu kam noch, daß mich der Gedanke an das Trauerspiel ununterbrochen verfolgte, das sich einst hier auf dieser Hochfläche zugetragen hatte, als jener verruchte Freibeuter mit der blauen Fratze mit eigener Hand seine sechs Mitschuldigen ermordete. Dieses Tal, das jetzt so friedlich dalag, mag damals von Todesschreien erzittert haben, und bei diesem Gedanken glaubte ich jene Schreie noch zu hören. Wir standen nun am Rande des Dickichts. „Hallo, Kameraden, allemiteinander!“ rief Merry, und die ersten fingen zu laufen an. Doch plötzlich, wenige Schritte weiter, standen sie still. Ein schwacher Schrei. Silver verdoppelte seine Geschwindigkeit, er stampfte mit seiner Krücke wie ein Besessener, und im nächsten Augenblick mußten auch wir beide haltmachen. Vor uns lag ein großer Graben, der schon vor längerer Zeit ausgegraben worden sein mußte, denn der Boden war mit Gras bewachsen. Darin stak der Griff einer zerbrochenen Spitzhaue und ringsherum lagen die Bretter mehrerer Packkisten verstreut; auf einer war mit einem heißen Eisen das Wort „Walroß“ -- der Name von Flints Schiff -- eingebrannt. Alles war sonnenklar. Jemand hatte das Versteck gefunden und ausgeräumt: Die siebenhunderttausend Pfund waren fort! Dreiunddreißigstes Kapitel Der Fall eines Häuptlings Noch nie hatte sich ein so ungeheurer Umschwung ereignet. Jeder der sechs Leute war wie erschlagen. Doch an Silver ging der Schlag fast augenblicklich vorüber. Jeder Gedanke in ihm war wie bei einem Rennpferd in voller Jagd geradeaus auf dieses Geld gerichtet gewesen. In einer einzigen Sekunde war er aufgehalten worden; er behielt den Kopf hoch, fand seine gute Laune wieder und wechselte seinen Plan, noch ehe die anderen Zeit hatten, ihre Enttäuschung voll zu erfassen. „Jim,“ flüsterte er, „nimm das da, und mach’ dich auf Unannehmlichkeiten gefaßt.“ Dabei reichte er mir eine zweiläufige Pistole. Gleichzeitig begann er sich unauffällig gegen Norden zu bewegen und mit wenigen Schritten hatte er den Graben zwischen uns beide und die anderen fünf gelegt. Dann schaute er mich an und nickte mir zu, wie um zu sagen: „Das ist ein enger Winkel“, und ich fand, daß er recht hatte. Seine Blicke waren jetzt ganz freundlich und ich war über diesen fortwährenden Gesinnungswechsel so empört, daß ich es nicht unterlassen konnte, ihm zuzuflüstern: „Also habt Ihr Euch wieder zur anderen Partei geschlagen.“ Doch er hatte keine Zeit mehr, zu antworten. Die Freibeuter sprangen schreiend und fluchend einer nach dem anderen in den Graben, warfen die Bretter zur Seite und fingen an, mit den Händen zu graben. Morgan fand ein Goldstück und hielt es unter einer wahren Sturzflut von Flüchen in die Höhe. Es war ein Zweipfundstück und ging eine Weile von Hand zu Hand. „Zwei Pfund!“ brüllte Merry, indem er es Silver drohend hinhielt. „Das sind Eure siebenhunderttausend Pfund, was? Ihr seid der Mann der guten Geschäfte, nicht wahr? Ihr habt nie was verpatzt, Ihr holzköpfiger Tölpel!“ „Grabt nur, Jungen!“ sagte Silver mit kühler Frechheit, „Ihr werdet schon ein paar Erdnüsse finden, glaube ich.“ „Erdnüsse!“ wiederholte Merry kreischend. „Kameraden, hört ihr’s. Ich sage euch jetzt, der Mann hat es die ganze Zeit gewußt. Schaut ihm ins Gesicht, da stehts geschrieben.“ „Ah, Merry,“ bemerkte Silver, „Ihr wollt wieder Kapitän werden? Ihr seid ein ehrgeiziger Junge, das muß man sagen.“ Doch diesmal waren alle auf Merrys Seite. Sie kletterten wieder aus dem Graben heraus und sandten wütende Blicke zurück, doch sah ich zu meiner Freude, daß sie alle auf der Silver entgegengesetzten Seite hinaufkamen. Nun, da standen wir: zwei auf der einen Seite, fünf auf der anderen, zwischen uns der Graben, und niemand wagte vorderhand den ersten Schlag zu tun. Silver rührte sich nicht. Er stand sehr aufrecht an seiner Krücke und beobachtete sie so kühl wie nur denkbar. Er war tapfer; darüber gab’s keinen Zweifel. Schließlich schien Merry der Ansicht zu sein, daß man etwas reden sollte. „Kameraden,“ sagte er, „die zwei da drüben sind allein; der alte Krüppel, der uns hergebracht hat und so tölpelhaft anrennen ließ, und der Bengel, dem ich das Herz aus dem Leibe zu reißen gedenke. Nun Kameraden -- --“ Er hob Arm und Stimme und wollte offenbar jetzt losfahren. Doch in diesem Augenblick -- krach -- krach -- krach -- blitzten drei Gewehrschüsse aus dem Gebüsch. Merry rollte mit dem Kopf voran in den Graben, der Mann mit dem Verband drehte sich wie ein Kreisel und fiel in seiner ganzen Länge tot hin und die übrigen drei wendeten sich und rannten fort so rasch sie konnten. Bevor man sich besinnen konnte, hatte der lange John schon zwei Pistolenschüsse auf Merry abgefeuert, der im Todeskampf lag, und als dieser im letzten Augenblick seiner Agonie die Augen zu ihm aufschlug, sagte er: „Na, Georg, ich denke, dich habe ich erledigt.“ Im selben Moment kamen der Doktor, Gray und Ben Gunn mit rauchenden Gewehren von den Muskatbäumen her auf uns zu. „Vorwärts!“ rief der Doktor. „Schnell Jungen, wir müssen die Boote vor ihnen erreichen.“ In heftigster Eile gingen wir los und arbeiteten uns mit vieler Mühe, manchmal bis zur Brust durchs Gebüsch stampfend, einen Weg. Ich versichere es. Silver lag viel daran mit uns Schritt zu halten. Die Mühe, die es dem Mann kostete, an seiner Krücke mit uns durch Dick und Dünn zu springen bis seine Adern fast sprangen, war eine übermenschliche Leistung, auch nach der Meinung des Doktors. Trotzdem war er schon etwa dreißig Schritte zurückgeblieben und fast am Ersticken, als wir den Gipfel des Abhanges erreichten. „Herr Doktor,“ rief er, „seht dorthin! Keine Eile!“ Sicherlich war keine Eile mehr nötig. Von einer offenen Stelle der Hochfläche aus konnten wir die drei Überlebenden in derselben Richtung, von der sie gekommen waren, gerade gegen den Kreuzmastberg laufen sehen. Wir waren bereits zwischen ihnen und den Booten, und so konnten wir vier uns niedersetzen, um Atem zu schöpfen, während der lange John, der sich das Gesicht abtrocknete, uns langsam nachkam. „Vielen Dank, Herr Doktor,“ sagte er, „Ihr kamet gerade im letzten Moment für mich und Hawkins. Also Ihr seid es, Ben Gunn! Nun, Ihr seid mir ein netter Bursch.“ „Ich bin Ben Gunn, ich bin’s“, erwiderte der Ausgesetzte und wand sich dabei vor Verlegenheit wie ein Aal. „Aber,“ fügte er nach einer langen Pause hinzu, „wie geht’s, Herr Silver? Recht gut, sagt Ihr, das freut mich.“ „Ben, Ben,“ murmelte Silver, „wenn ich denke, was Ihr mir angetan habt!“ Der Doktor sandte Gray zurück, um eine der von den Meuterern bei ihrer Flucht im Stich gelassenen Spitzhauen zu holen, und erzählte, während wir gemächlich zum Landungsplatz der Boote hinabstiegen, in kurzen Worten, was vorgegangen war. Es war eine Geschichte, welche Silver außerordentlich interessierte und deren Held von Anfang bis zu Ende Ben Gunn, der ausgesetzte Halbidiot war. Ben hatte auf seinen langen einsamen Wanderungen durch die Insel das Skelett gefunden, er war es, der es ausgeraubt hatte! Er hatte den Schatz gefunden, ihn ausgegraben (es war der Stiel seiner Kreuzhacke, der zerbrochen im Graben lag) und ihn in vielen mühseligen Tagwerken vom Fuß der hohen Fichte bis zu einem Versteck geschafft, das er an dem zweispitzigen Hügel am Nordostende der Insel angelegt hatte. Dort lag er, sicher aufbewahrt, schon zwei Monate, ehe die Hispaniola landete. Nachdem der Doktor ihm dieses Geheimnis am Nachmittage des Angriffes entwunden hatte und als er am nächsten Morgen den Ankerplatz verlassen daliegen sah, war er zu Silver gegangen, hatte ihm die Karte gegeben, die jetzt nutzlos geworden war, ebenso die Vorräte (denn Ben Gunns Keller war mit selbst eingesalzenem Wildfleisch wohlversehen), kurz, er hatte ihm alles und jedes gegeben, nur um die Möglichkeit zu haben, in Sicherheit vom Blockhaus nach dem zweispitzigen Berg zu ziehen, wo er vor der Malaria geschützt war und das Geld bewachen konnte. „Was dich anbelangt, Jim, ging’s mir ja sehr zu Herzen, doch ich mußte mein möglichstes für die tun, die zu ihrer Pflicht gestanden hatten. Und wessen Schuld war es, daß du nicht darunter warst?“ -- An jenem Morgen, als er sah, daß ich in die schreckliche Enttäuschung, die er für die Meuterer bereit hatte, verwickelt werden mußte, war er den ganzen Weg zur Schatzhöhle zurückgelaufen, ließ den Squire zur Pflege des Kapitäns zurück und machte mit Gray und Ben Gunn den ganzen Weg quer durch die Insel, um rechtzeitig zur Stelle zu sein. Doch bald sah er, daß wir ihm zuvorgekommen waren und Ben Gunn, der ein flinker Läufer war, wurde vorausgeschickt, um alles zu tun, was er allein eben tun konnte. Dem war es eingefallen, auf den Aberglauben seiner alten Schiffsgefährten zu spekulieren, und das gelang ihm so weit, daß er sie hinhielt, bis Gray und der Doktor hinaufgekommen waren und schon versteckt lagen, ehe die Schatzjäger ankamen. „Na,“ sagte Silver, „ein Glück für mich, daß ich Hawkins bei mir hatte. Ihr hättet den alten John ruhig in Stücke reißen lassen und ihm keine Träne nachgeweint, Herr Doktor.“ „Keine einzige“, erwiderte Doktor Livesay vergnügt. Inzwischen hatten wir die Boote erreicht. Der Doktor schlug mit der Hacke das eine zusammen und wir nahmen alle in dem anderen Platz und ruderten zur Nordbucht. Das war ein Weg von acht oder neun Meilen. Silver wurde, trotzdem er vor Müdigkeit halb tot war, wie wir anderen an ein Ruder gesetzt, und bald glitten wir rasch über die ruhige See. Bald kamen wir aus der Meerenge heraus und umsegelten das südöstliche Ende der Insel, um welches wir vier Tage vorher die Hispaniola bugsiert hatten. Als wir den zweispitzigen Hügel passierten, konnten wir die schwarze Mündung von Ben Gunns Höhle sehen und einen Mann davor, der sich an sein Gewehr lehnte. Es war der Squire. Wir schwenkten ein Taschentuch und brachen in Hochrufe aus, in welche Silver ebenso lebhaft einstimmte wie die anderen. Und wem begegneten wir drei Meilen weiter, gerade bei der Mündung der Nordbucht? Niemand anderem als der Hispaniola, die da allein herumkreuzte. Die letzte Flut hatte sie emporgehoben; und wenn ein stärkerer Wind oder eine heftige Flutströmung, wie am südlichen Ankerplatz, eingesetzt hätte, hätten wir sie entweder nie oder nur hoffnungslos gestrandet wieder gefunden. So aber war bis auf das verdorbene Hauptsegel so ziemlich alles in Ordnung. Ein neuer Anker wurde fertiggemacht und eineinhalb Faden tief ins Wasser gelassen. Wir alle ruderten wieder zur Rumbucht hinüber, dem nächsten Landungsplatz für Ben Gunns Schatzhaus. Dann kehrte Gray allein mit dem Boot zur Hispaniola zurück, wo er die Nacht auf Wache verbringen sollte. Eine leicht abgeschrägte Böschung führte von der Bucht zum Eingang des Schachtes. Oben trafen wir den Squire. Er war herzlich und freundlich zu mir und sprach nichts von meiner Flucht, weder tadelnd noch lobend. Bei Silvers höflichem Gruß rötete sich sein Gesicht. „John Silver,“ sagte er, „Ihr seid ein unglaublicher Schurke und Schwindler -- ein monströser Schwindler, Herr. Man sagte mir, daß ich Euch nicht verfolgen lassen solle. Gut, ich werde es nicht tun. Doch die Toten, Herr, hängen an Eurem Halse wie Mühlsteine.“ „Vielen Dank, Herr“, erwiderte der lange John, neuerlich grüßend. „Ihr wagt es noch, mir zu danken!“ schrie der Squire. „Ich begehe eine große Pflichtverletzung. Aus meinen Augen!“ [Illustration] Darauf betraten wir alle die Höhle. Sie war hoch und luftig, enthielt eine kleine Quelle und einen kleinen Teich reinen Wassers, der mit Farnkräutern überhangen war. Der Boden bestand aus Sand. Vor einem großen Feuer lag Kapitän Smollett und in einem entfernten Winkel, der nur schwach vom Feuerschein beleuchtet wurde, sah ich große Haufen Goldmünzen und viereckig aufgebaute Stöße von Goldbarren. Das war Flints Schatz, den zu suchen wir so weit hergekommen waren, und der nun schon siebzehn Menschen von der Hispaniola das Leben gekostet hatte. Wieviele er verschlungen hatte, als er aufgehäuft wurde, wieviel Blut und Kummer, wieviel gute Schiffe auf den Meeresgrund versenkt wurden, wieviel tapfere Männer mit verbundenen Augen den Untergang fanden, wieviel Kanonenschüsse, wieviel Schande, Lüge und Grausamkeit da mitaufgehäuft lagen, konnte wohl kein Lebender erzählen. Doch drei waren jetzt auf unserer Insel -- Silver, der alte Morgan und Ben Gunn --, die jeder einen Anteil an diesen Verbrechen gehabt hatten, da jeder von ihnen, wenn auch vergeblich, gehofft hatte, den Lohn einzuheimsen. „Komm herein, Jim,“ sagte der Kapitän, „du bist in deiner Art ein guter Junge. Aber ich glaube nicht, daß wir zwei wieder zusammen auf die See gehen werden, für mich bist du zu sehr Protektionskind. Seid Ihr das, John Silver? Was bringt Euch her, Mann?“ „Ich bin zu meiner Pflicht zurückgekehrt, Herr“, erwiderte Silver. „Ah!“ sagte der Kapitän. Das war alles, was er sagte. Welch ein Festmahl war das, mit allen meinen Freunden wieder an einem Tische vereint. Wie schmeckte mir Ben Gunns gepökeltes Wildfleisch und sonstige Leckerbissen und eine Flasche alten Weines von der Hispaniola! Ich glaube, nie hat es frohere oder glücklichere Menschen gegeben! Und dort saß Silver, ganz im Hintergrund und fast schon im Finstern, doch auch er aß eifrig, jeden Moment bereit aufzuspringen, wenn jemand etwas brauchte, und manchmal stimmte er sogar leise in unser Gelächter ein -- derselbe sanfte, höfliche, unterwürfige Seemann, als der er mit uns ausgefahren war. Vierunddreißigstes und letztes Kapitel Am nächsten Morgen mußten wir frühzeitig mit der Arbeit beginnen, denn der Transport dieser großen Menge Goldes, zu Lande fast eine Meile weit bis zum Ufer, und dann drei Meilen mit dem Boot zur Hispaniola, war eine beträchtliche Aufgabe für eine so kleine Anzahl von Arbeitern. Die drei Kerle, die noch immer auf der Insel herumstreiften, fürchteten wir wenig. Eine einzige Schildwache auf dem vorspringenden Rande des Hügels genügte, um uns vor einem plötzlichen Angriff zu schützen, und übrigens nahmen wir an, daß sie nicht sehr auf weitere Kämpfe erpicht waren. Die Arbeit ging also fröhlich vorwärts. Gray und Ben Gunn kamen und gingen mit dem Boot und die übrigen häuften inzwischen am Ufer den Schatz auf. Zwei Barren mit einem Tau zusammengehalten waren eine ziemliche Ladung für einen starken Mann, mit der er nur langsam vorwärtskommen konnte. Da ich für mein Teil nicht viel zu tragen imstande war, wurde ich den ganzen Tag in der Höhle damit beschäftigt, das gemünzte Gold in Brotsäcke zu packen. Es war eine seltsame Sammlung; wie der Hort Billy Bones von verschiedenartigster Prägung, doch um soviel größer und vielfältiger, daß ich wohl nie ein größeres Vergnügen hatte, als bei diesem Sortieren. Englische, französische, spanische und portugiesische Münzen, Georgs- und Ludwigstaler, Dublonen und doppelte Guineen, Moidore und Zechinen, die Bilder aller europäischen Könige der letzten hundert Jahre, seltsames orientalisches Geld, gestanzt mit einer Art Büschel von Fäden oder wie mit Spinnweben, dann runde und viereckige und in der Mitte durchbohrte Stücke, die offenbar zum Tragen am Halse bestimmt waren, fast alle Münzenarten der Welt müssen wohl in dieser Sammlung ihren Platz gefunden haben. Sie waren zahllos wie die gefallenen Blätter im Herbste, und mein Rücken schmerzte mich vom Bücken und meine Finger vom Sortieren. Tag für Tag ging diese Arbeit weiter. Jeden Abend wurde ein Vermögen an Bord geborgen und ein neues wartete, um am nächsten Abend verwahrt zu werden. Während der ganzen Zeit hörten wir nichts von den drei überlebenden Meuterern. Endlich -- ich glaube es war in der dritten Nacht -- ließ der Wind, als ich mit dem Doktor oben auf den Hügeln auf und ab ging, von wo man die tiefgelegenen Teile der Insel übersieht, einen eigentümlichen Lärm herüberklingen, der zwischen Kreischen und Singen die Mitte hielt. Es war nur ein flüchtiger Augenblick, dem wieder das frühere Schweigen folgte. „Hilf Himmel!“ sagte der Doktor, „die Meuterer!“ „Alle betrunken, Herr“, warf Silvers Stimme von hinten ein. Silver, muß ich bemerken, hatte seine vollständige Freiheit, und trotz täglicher Abweisungen schien er sich wieder ganz als unser bevorzugter und befreundeter Gefolgsmann zu fühlen. Es war tatsächlich bemerkenswert, mit welch unermüdlicher Höflichkeit er diese fortwährenden Zurückweisungen ertrug und fortfuhr zu versuchen, sich bei allen in Gunst zu setzen. Trotzdem behandelten ihn alle nicht besser als einen Hund, außer Ben Gunn, der noch immer eine entsetzliche Furcht vor seinem früheren Quartiermeister hatte, und mir, der ihm tatsächlich Dank schuldig war. Allerdings hatte gerade ich in dieser Beziehung Anlaß, von ihm noch schlechter zu denken als jeder andere, hatte ich ihn doch auf der Hochfläche neuerlichen Verrat ersinnen gesehen. Der Doktor antwortete ihm daher auch entsprechend mürrisch. „Betrunken oder nicht mehr ganz bei Sinnen“, sagte er. „Ganz recht, Herr,“ erwiderte Silver, „und uns kann es wohl ziemlich gleichgültig sein, welches von beiden.“ „Ich denke, Ihr werdet nicht verlangen, daß ich Euch für einen menschlichen Menschen halte,“ erwiderte der Doktor mit einem höhnischen Blick, „und darum mag Euch meine Ansicht überraschen, Herr Silver. Doch wenn ich sicher wäre, daß sie phantasieren -- wie ich eigentlich ziemlich sicher bin, da zumindest einer von ihnen schwer fieberkrank ist -- so würde ich dieses Lager verlassen und trotz der Gefahr für meinen eigenen Leichnam ihnen ärztliche Hilfe zuteil werden lassen.“ „Bitte um Entschuldigung, Herr, aber das wäre sehr unrecht“, entgegnete Silver. „Ihr würdet Euer kostbares Leben einbüßen, ganz sicher. Ich bin jetzt ganz auf Eurer Seite mit Haut und Haaren, und ich möchte nicht, daß unsere Partei geschwächt wird oder daß Euch was zustößt -- wenn ich bedenke, was ich gerade Euch schulde. Doch diese Leute da unten, die könnten ihr Wort nicht halten -- nein, nicht einmal wenn sie wollten. Und was noch ärger ist, die würden nicht glauben, daß Ihr es könnt.“ „Nein,“ sagte der Doktor, „aber Ihr seid der Mann vom Worthalten, das wissen wir.“ Nun, das war so ziemlich das letzte, was wir von den Meuterern hörten. Nur einmal vernahmen wir aus weiter Entfernung einen Schuß; offenbar jagten sie. Eine Beratung wurde abgehalten und es wurde beschlossen, daß wir sie auf der Insel lassen sollten -- zur ungeheuren Begeisterung Ben Gunns und unter energischer Zustimmung Grays. Wir ließen einen tüchtigen Vorrat von Pulver und Blei, den größten Teil des gepökelten Wildfleisches, einige Arzneien und andere Notwendigkeiten, Werkzeuge, Kleidung, ein Segel, ein bis zwei Faden Tau und, auf besonderen Wunsch des Doktors, einen ansehnlichen Vorrat Tabak zurück. Das war so ziemlich unsere letzte Arbeit auf der Insel. Vorher hatten wir den Schatz geborgen und genügend Wasser und für den Notfall auch den Rest des Ziegenfleisches eingeschifft. Endlich lichteten wir eines schönen Morgens die Anker und segelten aus der Nordbucht heraus. Dieselbe Fahne wehte auf dem Schiffe, die der Kapitän auf dem Blockhause gehißt hatte. Die drei Burschen aber hatten uns wohl besser beobachtet, als wir gedacht hatten, wie sich bald herausstellte. Denn als wir aus der Meerenge herauskamen, mußten wir uns sehr nahe an das südliche Kap halten und dort sahen wir sie alle drei mit flehenden, emporgehobenen Armen auf der sandigen Landzunge knien. Ich glaube, es ging uns allen zu Herzen, sie in diesem elenden Zustande zurückzulassen, doch konnten wir eine neuerliche Meuterei nicht riskieren, und sie dem Galgen zuzuführen, wäre doch eine grausame Form der Güte gewesen. Der Doktor rief sie an und sagte ihnen von den Vorräten, die wir zurückgelassen hatten und wo sie sie finden würden. Doch sie fuhren fort uns beim Namen zu rufen und uns um Gottes Willen zu beschwören, barmherzig zu sein und sie nicht an diesem Orte sterben zu lassen. Schließlich, als sie sahen, daß das Schiff seinen Kurs fortsetzte und rasch außer Hörweite gelangte, sprang einer von ihnen -- ich weiß nicht welcher -- mit einem heiseren Schrei auf die Füße, legte sein Gewehr an und gab einen Schuß ab, der an Silvers Kopf vorüberpfiff und das Hauptsegel durchbohrte. Danach hielten wir uns in Deckung hinter der Reeling, und als ich wieder herausschaute, waren sie von der Landzunge verschwunden und diese selbst schon kaum mehr sichtbar. Das war das Ende, und noch vor Mittag war zu meiner unaussprechlichen Freude auch vom höchsten Felsen der Schatzinsel nichts mehr zu erblicken und rings um uns war blaue See. Wir waren unserer so wenige, daß jeder am Bord mithelfen mußte, nur der Kapitän lag auf einer Matratze im Achterdeck und erteilte seine Befehle. Denn obwohl er sich sehr erholt hatte, brauchte er noch Ruhe. Wir steuerten nach dem nächsten Hafen im spanischen Teil Amerikas, denn wir konnten die weite Reise nach Hause ohne neue Matrosen nicht wagen. Ohnehin wurden wir durch widrige Winde und ein paar ziemliche Stürme alle sehr hergenommen und waren alle mit unseren Kräften am Rande, noch ehe wir den Hafen erreicht hatten. Gerade bei Sonnenuntergang gingen wir in einem wunderbar gelegenen Hafen vor Anker und wurden sofort von kleinen Booten umringt, voll von Negern, mexikanischen Indianern und Halbbluteingeborenen, die uns Früchte und Gemüse verkauften und uns anboten, kleine Münzen aus dem Wasser zu tauchen. Der Anblick so vieler heiterer Gesichter (besonders der schwarzen), der Geschmack der tropischen Früchte und vor allem die Lichter, die in der Stadt aufzublitzen begannen, vereint, bildeten den entzückendsten Gegensatz zu unserem düsteren, blutigen Aufenthalt auf der Insel. Der Doktor und der Squire nahmen mich mit und wir gingen ans Ufer, um dort den Abend zu verbringen. Dort trafen sie den Kapitän eines englischen Kriegsschiffes, kamen ins Gespräch mit ihm, gingen mit an Bord seines Schiffes, kurzum, die Zeit verging so angenehm, daß der Tag anbrach, als wir die Hispaniola betraten. Ben Gunn war allein auf Deck, und sowie wir an Bord kamen, fing er unter sonderbaren Verrenkungen an, uns ein Geständnis zu machen. Silver war fort. Der Ausgesetzte hatte ihm vor ein paar Stunden zu seiner Flucht in einem der Uferboote geholfen und er versicherte uns nun, daß er das nur getan habe, um uns zu schützen, denn unser Leben wäre bestimmt verloren gewesen, wenn „jener Mann mit dem einen Bein“ an Bord geblieben wäre. Doch das war nicht alles. Der Schiffskoch war nicht mit leeren Händen verschwunden. Er hatte heimlich einen Balken durchsägt und einen der mit Münzen gefüllten Brotsäcke im Werte von vielleicht drei- bis vierhundert Guineen mitgenommen, der ihm auf seinen ferneren Wanderungen von Nutzen sein sollte. Ich glaube, wir waren alle froh, ihn so billig losgeworden zu sein. Nun, um es kurz zu sagen, wir nahmen ein paar Matrosen an Bord, hatten eine gute Heimreise, und die Hispaniola erreichte Bristol eben, als Herr Blandly daran ging, ein Hilfsschiff auszurüsten. Nur fünf von denen, die ausgefahren waren, kehrten zurück. „Schnaps stand stets auf der Höllenfahrtsliste“ ... Immerhin waren wir kein so böser Fall als jenes andere Schiff, von dem sie gesungen hatten: „Mit fünfundsiebzig die Reise begann, Zurück kam nur ein einziger Mann.“ Jeder von uns bekam einen reichlichen Anteil von dem Schatze und nützte ihn klug oder töricht, je nach seiner Art. Kapitän Smollett zog sich von seinem Berufe zurück. Gray sparte nicht nur sein Geld, sondern, plötzlich von dem Wunsche ergriffen, sich hinaufzuarbeiten, lernte er gründlich sein Handwerk und ist jetzt Maat und Mitbesitzer eines schönen großen Schiffes, überdies verheiratet und Familienvater. Ben Gunn bekam tausend Pfund, die er in drei Wochen, vielmehr genauer bezeichnet in neunzehn Tagen, ausgab oder verlor, denn schon am zwanzigsten sah man ihn wieder betteln. Dann bekam er eine Torhüterstelle, also genau das, was er gefürchtet hatte. Er lebt noch immer und ist ein großer Liebling, dabei auch eine Art Prügelknabe der Dorfjungen und an Sonn- und Feiertagen ein gesuchter Sänger im Kirchenchor. Von Silver hörten wir nichts mehr. Der schreckliche Mensch mit dem einen Bein ist endlich ganz aus meinem Leben verschwunden. Ich nehme an, er hat seine alte Negerin irgendwo getroffen und lebt vielleicht irgendwo behaglich mit ihr und Kapitän Flint. Das steht zu hoffen, denn ich glaube, seine Aussichten auf ein behagliches Leben in der anderen Welt sind äußerst gering. Das Barrensilber und die Waffen liegen, soviel ich weiß, noch immer dort, wo Flint sie vergraben hat, und was mich betrifft, können sie dort liegen bleiben. Keine zehn Ochsen könnten mich je wieder zu der fluchbeladenen Insel zurückbringen; und die schlimmsten Träume, die ich je habe, sind jene, in denen ich die Brandung an ihre Küsten dröhnen höre oder aufgeschreckt in die Höhe fahre, mit der scharfen Stimme Kapitän Flints wieder in meinen Ohren: „Goldstücke! Goldstücke!“ [Illustration] +--------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Folgende Inkonsistenzen wurden belassen, da beide | | Schreibweisen üblich waren: | | | | anderen -- andern | | an das -- ans | | Apfelfaß -- Äpfelfaß | | auf’s -- aufs | | brauch -- brauche | | Ellenbogen -- Ellbogen | | Euern -- Euren | | Fernrohres -- Fernrohrs | | geb -- gebe | | geht’s -- gehts | | gröhlen -- grölen | | hab -- habe | | hundemüde -- hundsmüde | | ist’s -- ists | | Marschorder -- Marschordre | | Moores -- Moors | | nirgend -- nirgends | | sag -- sage | | seh -- sehe | | Skelett-Insel -- Skelettinsel | | Speigat -- Speigatt | | steht’s -- stehts | | unseren -- unsern | | Weines -- Weins | | wenn’s -- wenns | | wohlgeborenen -- wohlgebornen | | würd -- würde | | | | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: | | | | S. 14 "Yo-ho-ho" in "Jo-ho-ho" geändert. | | S. 28 "totkrank" in "todkrank" geändert. | | S. 46 "nachmittag" in "nachmittags" geändert. | | S. 46 "mithinein" in "mit hinein" geändert. | | S. 48 "“" eingefügt. | | S. 59 "John Arnow" in "John Arrow" geändert. | | S. 66 "John" in "Tom" geändert. | | S. 69 "“" entfernt. | | S. 79 "“" eingefügt. | | S. 91 "„" eingefügt. | | S. 111 "komischesten" in "komischsten" geändert. | | S. 113 "“" verschoben. | | S. 116 "wiederhallte" in "widerhallte" geändert. | | S. 124 "Lillibulero" in "Lillibullero" geändert. | | S. 125 "Vorkastel" in "Vorkastell" geändert. | | S. 131 "," eingefügt. | | S. 132 "saußen" in "sausen" geändert. | | S. 132 "gleichzeitg" in "gleichzeitig" geändert. | | S. 144 "." in ":" geändert. | | S. 151 "Smollet" in "Smollett" geändert. | | S. 167 "ihre" in "seine" geändert. | | S. 171 "tötlichem" in "tödlichem" geändert. | | S. 176 "Wiederschein" in "Widerschein" geändert. | | S. 189 "manöverierte" in "manövrierte" geändert. | | S. 197 "Starksegel" in "Stagsegel" geändert. | | S. 208 "setzst" in "setzt" geändert. | | S. 214 "Knieende" in "Kniende" geändert. | | S. 216 "„" entfernt. | | S. 225 "„" eingefügt. | | S. 228 "„" entfernt. | | S. 231 "Gefangenwärtern" in "Gefangenenwärtern" geändert. | | S. 238 "“" eingefügt. | | S. 238 "Baumgipfeln" in "Baumwipfeln" geändert. | | S. 240 "“" eingefügt. | | S. 240 "," entfernt. | | | +--------------------------------------------------------------+ End of Project Gutenberg's Die Schatzinsel, by Robert Louis Stevenson *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHATZINSEL *** ***** This file should be named 49424-0.txt or 49424-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/9/4/2/49424/ Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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