Project Gutenberg's Der Kunstreiter, 3. Band, by Friedrich Gerstäcker

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Title: Der Kunstreiter, 3. Band

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: June 21, 2014 [EBook #46062]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Gerstäcker

Der Kunstreiter

3. Band


Bosse & Co., Hamburg
1914

25.

Hugo von Silberglanz befand sich, als er Georginen verließ, wirklich in einem außergewöhnlichen Grade von Aufregung, der nicht allein den Reizen des schönen Weibes, sondern auch noch seinen durch sie plötzlich überstürzten Plänen und Geschäften, wie all den Verwicklungen galt, in die er dadurch gezogen werden konnte. Und was würde Baron Silberglanz' Vater dazu sagen, wenn er von diesem tollen Streiche des Barons Silberglanz' Sohn unglücklicherweise gehört hätte? Bah! das Unglück wäre zu ertragen gewesen; er war jetzt Kavalier und mußte kavaliermäßig handeln – wenn es ihm auch ein paar Taler kostete – welchen Preis eroberte er außerdem nicht dabei für sich – einen Preis, um den ihn die halbe Residenz beneiden würde! – Aber der Mann – wenn Monsieur Bertrand...

»Zühbig hat recht!« brummte er dabei leise vor sich hin, als er den Fahrweg entlang dem Dorfe zueilte, »sie sind keinesfalls zusammen getraut – nur eine wilde Ehe, wie es bei der Art Leuten ja so häufig vorkommen soll, und dieser hochnäsige Graf Geyerstein hat sich die wunderschöne Reiterin hier ins warme und bequeme Nest gesetzt. Dem aber gönn' ich den Aerger, wenn er erfährt, daß Hugo von Silberglanz, der verachtete, »der neugebackene Baron«, mit seiner Beute durchgegangen ist. Nur allein die Genugtuung wäre das ganze Abenteuer wert. – Und diese Georgine – ein göttliches Weib – ein wahrhaft göttliches Weib! Ob sie mich nicht rein verrückt gemacht hat mit ihren Reizen? Und wie apropos bin ich hier zur rechten Zeit gekommen – das ist aber mein altes Glück! Glück muß der Mensch haben, sagt mein Papa, und der Mensch hat Glück. Hm – ja – aber wohin? – Und was zerbreche ich mir noch den Kopf? Nach Paris – wollte ich doch nach Paris und habe den Umweg nur über hier gemacht – jetzt reis' ich in Gesellschaft, und was für Gesellschaft! Was liegt an den paar hundert Talern – und wenn's tausend wären! Hugo von Silberglanz ist nur einmal jung, und will auch sein Leben genießen wie andere Kavaliere. Ein Geschäft bringt die ganze Sache zehnmal wieder ein.« Und mit dem Troste sich, teils der Kälte, teils seiner angenehmen Empfindungen wegen, die Hände reibend, eilte er in das Dorf hinein, dessen erste Gebäude er schon erreicht hatte.

Durch und durch Geschäftsmann, wurde es ihm hier nicht schwer, seine Rolle als Getreidehändler zu spielen; aber zu wirklichen Käufen traf er, woran ihm übrigens auch nicht viel lag, keine günstige Zeit, da Baron von Geyfeln, wie ihm die Bauern sagten, eben deshalb verreist sei, um einen Handel für sein und ihr Getreide – wenn ihnen der Preis nämlich zusage – abzuschließen. Erst wollten sie deshalb einmal hören, was für Gebote er bekommen habe, ehe sie sich auf einen Handel einließen – den Fall natürlich ausgenommen, daß ihnen hier ein sehr annehmbares Gebot gemacht würde. Von Silberglanz war aber gar nicht geneigt, teuer einzukaufen, und unter diesen Umständen ließ er sich nur das noch vorhandene Getreide zeigen, wog es auf einer Wage, die er bei sich führte, und schrieb sich die verschiedenen Namen der Bauern auf, um vielleicht später doch einmal, wie er sagte, einen Handel mit ihnen abzuschließen.

Vorher schon hatte er seinem Kutscher die nötigen Befehle gegeben, um Georginens Auftrag auszuführen. Das versprochene Gepäck kam auch gegen Abend an, und am nächsten Morgen, lange vor Tage, war der Wagen schon unterwegs nach seinem Bestimmungsort, wobei der Kutscher freilich den Kopf schüttelte, daß er eine Kiste und ein paar Koffer spazieren fahren mußte.

Der Wirt im Stern wußte indes nicht anders, als daß der fremde Herr – von dem der Kutscher nur sagen konnte, daß er ein Baron sei, und der sich als »Baron Solbern« in das Fremdenbuch geschrieben – hier in der Gegend die Rückkunft des Herrn von Geyfeln abwarten wollte.

So verging der Tag – die Nacht, und Hugo von Silberglanz, während er das neue Sonnenlicht mit Jauchzen begrüßte, konnte die Zeit kaum erwarten, die ihm gestatten würde, wieder zu Georginen zu eilen und den Lohn für seine Aufopferung zu ernten. Punkt zehn fand er sich oben im Gute ein, und Georgine kam ihm, heute ein ganz anderes Wesen als gestern, lächelnd entgegen.

»Nun?« fragte sie, »haben Sie Ihre Getreidekäufe glücklich beendet?«

»Holde Georgine,« sagte Hugo, »reden Sie mir jetzt nicht von Getreide und Geschäften. Ich versichere Ihnen, ich kann das Wort nicht hören. Sprechen Sie mir von sich, gestatten Sie mir, daß ich Sie ansehe, daß ich Sie an mein Herz...«

»Halt, mein bester Baron!« sagte die Frau, ihn lächelnd abwehrend. »So weit sind wir noch nicht. Haben Sie alles besorgt, was ich Ihnen aufgetragen?«

»Alles, bis aufs letzte.«

»Ist der Wagen fort?«

»Heute morgen, zwei Stunden vor Tage.«

»Kennen Sie den Weg zur Zaubereiche?«

»Wie meine Tasche – ich bin hin und hergegangen und fürchte beinahe, ich habe mich dabei erkältet – der Schnee war so tief.«

»Ist Ihr eigenes Gepäck mit fortgegangen?«

»Alles, bis auf ein Täschchen, das ich am kleinen Finger tragen kann.«

»Vortrefflich! Sie sind ein Muster von Pünktlichkeit, Baron. Zur Belohnung sollen Sie auch heute eine Spazierfahrt mit mir machen. Haben Sie Lust dazu?«

»Bis ans Ende der Welt.«

»Um Gottes willen, nein!« lachte Georgine. »So weit will ich Ihre Güte nicht in Anspruch nehmen.«

»Aber wann brechen wir auf? – Jetzt?«

»Jetzt noch nicht. Ich muß einige Leute los werden, die mir hier im Wege sind. Um drei Uhr heute nachmittag wird der alte Mann, der gestern oder vorgestern verunglückt ist, unten im Dorfe beerdigt werden. Meine Wirtschafterin und der alte Verwalter werden mit zur Leiche gehen. Um drei Uhr fahre ich von hier fort. Seien Sie um diese Zeit, oder bald nachher, an der Zaubereiche.«

»Aber warum ließen Sie mich meinen Wagen fortschicken?«

»Ich nehme mein eigenes Pferd mit, das ich nicht zurücklassen möchte, und komme in einem Schlitten, in dem wir beide Platz haben. Fürchten Sie sich, mit mir allein zu reisen?«

»Georgine!«

»Gut; jetzt ist alles Nötige besprochen, und nun verlassen Sie mich. Wir dürfen keinen Verdacht erwecken.«

»Jetzt wollen Sie mich schon wieder fortschicken?«

»Sie werden meiner Gesellschaft noch überdrüssig werden,« lächelte die Frau. »Ich bitte Sie, jetzt zu gehen.«

»Ich gehorche Ihnen,« sagte von Silberglanz resigniert, »also um drei Uhr an der Zaubereiche. Ich werde die Minuten bis dahin zählen.«

»Dann sind Sie vollständig beschäftigt. Ist noch etwas?«

»Ja,« sagte von Silberglanz, entschlossen auf sie zugehend und ihre Hand ergreifend. »Sie haben mich zu Ihrem Beschützer erwählt, Georgine; ich bin bereit, alles daran zu setzen, Ihnen zu willfahren – seien Sie nicht grausam!« Er legte seinen Arm um sie und wollte sie an sich ziehen.

»Wir sind keinen Augenblick hier sicher, überrascht zu werden,« sagte Georgine, ihn von sich haltend; Herr von Silberglanz war aber nicht so leicht abzuschütteln.

»Und soll ich so lange auch ohne den kleinsten Lohn bleiben?« drängte der Verliebte. »Georgine – holdes, göttliches Wesen, in wenigen Stunden ketten Sie Ihr Geschick an das meine, und jetzt« – er drückte ihren Arm zurück und preßte, ehe sie es verhindern konnte, seine Lippen auf die ihrigen.

Georgine duldete den Kuß, dann aber sich von ihm losmachend, rief sie: »Seien Sie vernünftig, Baron! Sie setzen mich und sich der größten Gefahr aus, unsern ganzen Plan scheitern zu machen. Gehen Sie jetzt, es ist genug; um drei Uhr an der Zaubereiche.«

»Um drei Uhr,« rief Hugo, der sie wie in einer Verzückung anstarrte, »um drei Uhr!« und mit Gewalt sich losreißend, eilte er, so rasch er konnte, in das Dorf zurück, um dort seine Rechnung zu bezahlen, seine kleine Tasche zu packen und zur bestimmten Zeit an der bezeichneten Stelle nicht zu fehlen.

Georgine blieb allein in ihrem Zimmer zurück und starrte, als Herr von Silberglanz sie schon lange verlassen hatte, noch immer still und schweigend vor sich nieder; aber die Zeit für sie war auch zum Handeln gekommen, ein Rückschritt nicht mehr möglich, und das kühne, selbständige Weib gewann mit diesem Bewußtsein auch ihre ganze Energie und Entschlossenheit wieder.

»Frei – frei – frei!« flüsterte sie wie eine Beschwörungsformel leise vor sich hin, »frei bin ich wieder, wie der Vogel in der Luft, wie das wilde Roß, das die Steppe durchfliegt und seiner Verfolger lacht. Den Zwang habe ich abgeschüttelt, der mir die Seele wund gedrückt und Geist und Körper niedergebeugt hat, und schon fühle ich den beweglichen Boden wieder unter meinen Füßen, fühle, wie der wehende Luftzug mir die Locken um den Nacken peitscht – sehe die dichtgedrängte Schar der Zuschauer, höre ihr Jauchzen, höre ihr Jubeln und fliege im Triumph die alte Bahn dahin. – Georg wird wüten, wenn er zurückkehrt und mich – wenn er sein Kind nicht mehr findet, obgleich es ihm die deutschen Gesetze zusprechen. Weder Josefine noch ich werden jemals wieder deutschen Boden betreten. Und will er im Schweiße seines Angesichts, in ruhmloser Beschäftigung und Arbeit sein Brot hier verdienen, will er, kann er vergessen, was er einst gewesen, als ich ihn liebte, dann verdient er auch nicht, daß ich je mit einem Atemzuge an ihn gedacht. Und nun ans Werk, denn nur noch wenige Stunden sind mein!« Und mit den Worten, als ob sie damit alles abgeworfen habe, was sie bis jetzt noch gedrückt, ging sie rasch und fröhlich daran, den einmal festbeschlossenen und eingeleiteten Plan zur Flucht auszuführen.

Vorbereitet war er insofern schon lange, als Georgine ihre Künstlergarderobe gepackt in *** stehen und dort die Weisung hinterlassen hatte, sie ihr später dorthin zu schicken, wohin man eben die Weisung bekommen würde. Gestern hatte sie diese erteilt, und in wenigen Tagen konnte ihr Auftrag vollzogen sein. Ihre wie Josefinens nötigste Kleider waren heute morgen mit dem Wagen des Barons abgegangen, und was sie unterwegs brauchten, konnten sie recht leicht und unbemerkt mit in den Schlitten nehmen.

Allerdings war die Tour für ihr eigenes Pferd etwas stark, aber es mochte sich nachher lieber wieder ordentlich ausruhen, und auf andere Weise konnte sie es doch nicht mit sich fortführen. Josefine wußte freilich noch kein Wort von der beabsichtigten Flucht aus ihrer neuen Heimat; sie hätte vielleicht gegen ihre Gouvernante nicht geschwiegen, und diese jedenfalls versucht, die Ausführung des Planes zu hintertreiben. War Josefine nicht mehr da, so sah sie sich natürlich auch ohne Stellung – ohne Brot; und wer verliert das gern so leicht? Daß Josefine selber mit Freuden das alte fröhliche Leben begrüßen, daß sie den Vater bald vergessen würde, davon glaubte Georgine fest überzeugt zu sein. Ueberdies hatte das Kind keinen eigenen Willen und mußte der Mutter dahin folgen, wo diese für ihr Glück und ihre Wohlfahrt sorgen wollte.

Nur etwas mußte sie noch besorgen, dann war sie mit allem fertig, und zwar von des Kindes Leibwäsche genügend für die erste Zeit beiseite zu bringen, ohne daß es Mademoiselle Adele bemerkte. Ein Vorwand, diese zu entfernen, war aber bald gefunden. Georg hatte in seiner Stube einige alte Kupferwerke, die dem Grafen Geyerstein gehörten, und die er deshalb sorgfältig hütete. Josefine durfte die Bilder nicht besehen, wenn er nicht selber dabei war. Heute erlaubte Georgine dem Kinde, hinüberzugehen und sich die Kupferstiche zu betrachten, bat aber die Gouvernante, dabei zu bleiben, daß ja nichts mit den Büchern geschehe und die Erlaubnis nicht mißbraucht werde. Adele wandte allerdings ein, der Herr Baron würde es vielleicht nicht gern sehen und böse werden, wenn er es erführe; Madame dagegen erklärte, die Verantwortung allein auf sich nehmen zu wollen, und die Erzieherin konnte sich natürlich nicht länger weigern, dem Befehle zu gehorchen.

Die Zeit, die beide dort verbrachten, genügte vollkommen. Georgine packte alles Nötige in zwei große Fußsäcke und schrieb dann die letzten Zeilen an Georg. Der Brief war kurz und inhaltschwer; aber mit sich im reinen, grübelte sie nicht lange über die Fassung. Die Zeilen flogen auf das Papier, dann faltete sie das Blatt zusammen, überschrieb und siegelte es und legte es, als Adele und Josefine Georgs Zimmer wieder verlassen hatten, auf ihres Mannes Schreibtisch.

Nach dem Mittagessen ging sie noch mit der Wirtschafterin durch die Gebäude und ordnete einiges an, dann zu der Erzieherin auf die Stube und bat diese, Josefinen warm anzuziehen, da sie ein Stündchen mit ihr im Schlitten fahren wolle. Das war den Winter schon einigemal geschehen und konnte deshalb keinen Verdacht erregen. Josefine selber freute sich auch darauf, und mit dem Schlage drei Uhr hielt der eine Knecht, der den Auftrag dazu bekommen, mit dem kleinen leichten, mit Georginens eigenem Pferd bespannten Schlitten vor der Tür. Georgine trug selber den einen Fußsack hinunter und ließ den andern dann, während sie das Pferd hielt, von dem Knechte nachholen. Adele war noch beschäftigt, Josefine recht warm einzuhüllen, und wenige Minuten später klingelte das muntere Tier mit seiner leichten Last lustig zum Tore hinaus und auf der glatten Straße hin, dem Walde zu.

Unten im Dorfe läutete die Glocke zu dem Begräbnis des alten Tobias, dem die Wirtschafterin und der alte Verwalter pflichtschuldigst beiwohnten, und nach dem Begräbnis gingen die Leute ins Wirtshaus, tranken noch ihr Glas und sprachen über den Verunglückten und die Art seines Todes.

Von Schildheim aus schritt Herr von Silberglanz, fest in seinem Paletot eingepackt, und ein Paar Pelzstiefel, wie sein kleines Täschchen unter dem einen, seinen großen Pelz über dem andern Arm, einen schmalen Fußpfad entlang gerade dem Walde zu, das ihm bestimmte Rendezvous richtig und pünktlich einzuhalten.

Es war ein wundervoller Tag, der Schnee glitzerte und funkelte in dem kalten Sonnenlicht, und der hellblaue Himmel war von einem leichten Dunsthauche nur eben matt überzogen. Das muntere Pferd, mit dem leichten Schlitten hinter sich, das überdies jetzt lange im Stalle gestanden hatte, griff auch tüchtig aus, und die Kufen glitten blitzesschnell über den hartgefrorenen, knisternden Schnee.

»Freut es dich, Josefine,« fragte Georgine, als sie den Waldessaum erreichten, »so mit mir durch die Welt zu fahren?«

»Ach sehr, Mama, sehr,« rief das Kind, »es ist gar so wunderhübsch. Wäre nur Mademoiselle bei uns!«

»Und möchtest du lange, recht lange so mit mir fahren? weit, weit hinweg von hier?«

»Wenn Papa und Mademoiselle Adele mitführen, gewiß – und wenn wir wieder hierher zurückkämen.«

»Und wenn wir nun wieder hinausführen in die Welt?« sagte die Frau, der diese Worte einen Stich durch das Herz gaben, »wenn wir nun wieder draußen lustig unsere Pferde bestiegen und in Glanz und Lichterpracht dahinflögen?«

Josefine schüttelte das Köpfchen. »Zu Hause ist's hübscher,« sagte sie, »und ich habe schon beinahe vergessen, wie es früher war.«

»Zu Hause ist's hübscher?« wiederholte Georgine, »ei, ei, Josefine, hast du ganz vergessen, wie stolz wir früher auf dich waren, wie reizend du auf dem Pferde aussahst, und wie geschickt du deine Sachen machtest?«

»Ja – aber ich muß jetzt lernen, viel lernen, daß ich einmal eine wackere, brave Frau werden kann,« sagte das Kind, »ich muß auch dem lieben Gott dankbar sein, daß er mir eine Heimat und Eltern gegeben hat, die für meine Erziehung sorgen. Die armen kleinen Mädchen, die draußen auf den Pferden tanzen und springen müssen, haben es doch lange nicht so gut wie ich.«

»Wer, um Gottes willen,« rief Georgine erstaunt, »hat dir die albernen Dinge in den Kopf gesetzt?«

»Alberne Dinge, Mama?« sagte Josefine erschreckt, »ich habe eine hübsche Geschichte von einer armen Marie gelesen, und Mademoiselle Adele hat sie mir erklärt, und jetzt freue ich mich so darauf, daß mir Papa eine andere liebe Marie mitbringen will, mit der ich spielen und tüchtig lernen kann.«

»Und so sehnst du dich gar nicht wieder zu dem früheren Leben zurück, und wenn du auch ein eigenes kleines Pferd bekämest?«

»Nein, Mama,« sagte Josefine rasch, »ich will bei dir, bei Papa und Mademoiselle Adele bleiben, und mit Marie recht, recht fleißig lernen. Du sollst sehen, ich werde einmal ein recht gutes, braves Mädchen.«

Georgine erwiderte nichts, aber sie preßte die Lippen fest zusammen, und ihr Gaul fühlte die Peitsche, daß er in toller Flucht den Weg entlang stob.

Georgine kannte die Waldwege genau, und links abbiegend wußte sie, daß sie das Forsthaus umfahren konnte, um die bezeichnete Eiche zu erreichen. Außerdem glaubte sie kaum jemanden heute im Walde zu treffen, denn bei dem Begräbnis einer so allbekannten Persönlichkeit, wie der »faule Tobias«, von dem ihr die alte Wirtschafterin gestern abend noch viel erzählt hatte, litt schon die Neugierde die Leute nicht zu Hause. Begegnete sie aber auch wirklich einem oder dem andern der Forstleute oder Holzmacher, so rechtfertigte das schöne Wetter vollständig eine Spazierfahrt, und niemand hätte an etwas anderes denken können.

Georgine bog aufs neue in die vom Forsthaus nach der sogenannten »Zaubereiche« führende Straße ein. Hier war wieder Bahn, da einzelne Holzschlitten hin- und hergefahren sein mußten. Dort vor ihr lag der ziemlich freie, lichte Platz, an dem die alte, ehrwürdige Eiche stand. Dort sah sie auch die dunkle Gestalt eines Mannes, und kaum eine Minute später zügelte sie ihr schnaubendes Tier neben der Stelle ein – aber Herr von Silberglanz war nicht da.

Neben der Eiche, auf einer hölzernen Bank, von der er den Schnee hinweg gekehrt, neben ein paar roh behauenen mächtigen Steinblöcken, die der Volksmund als den Opferaltar der hier früher hausenden Heiden bezeichnete, saß der alte Forstwart Barthold und stand ehrerbietig grüßend auf, als er die »Frau Baronin« erkannte.

»Guten Tag, Forstwart,« sagte die Dame und nickte ihm zu, während ihr Blick ungeduldig den schmalen Pfad hinabflog, auf dem sie den hierher bestellten Herrn von Silberglanz erwarten mußte. »Wie geht's? – was habt Ihr da?«

»Einen Fuchs, gnädige Frau,« sagte der alte Mann, indem er seinen Ranzen öffnete, aus dem die Lunte des überlisteten Raubtieres heraushing. »Ich habe ihn heute morgen ausgegraben, denn das ist böses, nichtsnutziges Raubzeug, das im Winter wie im Sommer nur in einem fort zusieht, wo es was zu stehlen findet. Wir haben unter den Menschen auch solch Gesindel, nur daß man sie nicht immer gleich am Pelz draußen so gut erkennen kann, wie die da.«

»Seid Ihr schon lange hier, Forstwart?«

»Nein, gnädige Frau – etwa eine Viertelstunde.«

»Ihr seid nicht vom Dorfe heraufgekommen?«

»Nein – gerade von der andern Seite aus dem Walde. Nur als ich die Glocke unten hörte, die dem alten Tobias das Geleite zur letzten Ruhestätte gibt, da setzte ich mich hier auf die Bank und horchte den Tönen. Es klingt ja so heilig und erhebend, wenn man die Glocken kann im Walde anschlagen hören, noch dazu von einem solchen Platze aus, wie dieser, wo sie in früheren Jahrhunderten ihren Götzen Opfer schlachteten und von dem lieben Herrgott da oben nichts wissen wollten. Sonntagmorgens bin ich fast immer hier, besonders im Sommer, und mit dem Geläute unten, dem Singen der Vögel und dem Rauschen des Waldes müßte das ein verstockter Mensch sein, der da nicht von Herzen beten könnte.«

Georgine hörte kaum, daß er sprach. Ihr Blick schweifte unruhig über ihn hin und an den Stämmen der Bäume vorüber. Wenn er sein Wort nicht hielte! dachte sie mehr, als daß sie es durch die halb geöffneten Lippen murmelte, und fast unwillkürlich ballte sich die Rechte zornig um die gehaltenen Zügel. Das Pferd scharrte indessen ungeduldig den Schnee und blies den Dampf aus seinen feinen Nüstern in die klare Luft hinein.

»Aber, Mama,« sagte Josefine, »du hältst so lange still. Wird es deinem Fingal nicht schaden?«

Der alte Forstwart, der seinen Blick schon lange ernst und aufmerksam auf der Kleinen hatte haften lassen, lächelte, als er die Worte hörte.

»Sieh, wie besorgt das kleine gnädige Fräulein schon um das arme Tier ist! Das ist recht; das zeigt ein gutes Herz, und was wir an dem geringsten seiner Geschöpfe tun, wird uns der Herr da oben auch wieder zugute halten.«

»Fahren wir jetzt wieder nach Hause zurück, Mama?« fragte die Kleine, als Georgine den Schlitten langsam um die Eiche lenkte, das in der Tat warm gewordene Tier etwas in Bewegung zu halten.

»Nein,« sagte die Frau, »wir besuchen vielleicht einmal den Storchhof oder Kleinmarkstetten.«

»So weit?«

Der Schlitten hielt wieder neben dem Forstwart – Georgine zerbrach sich den Kopf, wie sie den lästigen Menschen entfernen könnte.

»Tätet Ihr mir einen Gefallen, Forstwart?«

»Mit dem größten Vergnügen, gnädige Frau.«

»Ginget Ihr wohl einmal jetzt – oder schicktet gleich, wenn Ihr nicht selber gehen könnt, irgend einen der Holzmacher auf das Gut hinüber, dort zu bestellen, daß ich möglicherweise mit meiner Tochter nach Kleinmarkstetten hinüber gefahren wäre und in dem Falle die Nacht nicht nach Hause käme, denn die Tour wäre für mein Pferd hin und zurück zu groß. Sie möchten sich also nicht ängstigen.«

»Sehr wohl, gnädige Frau – soll pünktlich besorgt werden,« sagte der Forstwart, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren.

»Nun? – ist noch etwas?«

»Hm – gnädige Frau – Sie lachen mich vielleicht aus, und – ich bin auch wohl ein alter Tor – aber – ich hätte auch eine Bitte an Sie – oder vielmehr an das kleine gnädige Fräulein.«

»An mich?« sagte Josefine erstaunt.

»Ja,« sagte der alte Mann, und sein gutmütiges, faltiges Gesicht rötete sich leicht, »es ist nicht viel,« setzte er aber rasch hinzu, »nur bitten möchte ich Sie, mir ein einzig kleines Mal – die Hand zu geben.«

»Gern!« rief das fröhliche Mädchen, indem sie ihre Hand aus dem Muff zog und dem Alten reichte.

Der alte Forstwart nahm sie, sah dabei dem Kinde recht treuherzig in die Augen, und das kleine Händchen dann an die Lippen drückend, sagte er freundlich: »Dank, mein kleines gnädiges Fräulein, Dank, tausend Dank, aber Sie glauben gar nicht, gnädige Frau, wie wohl der Anblick dieses jugendfrischen Gesichtchens mit den großen hellen Augen meinem alten Herzen tut. Es erinnert mich an die Zeit, wo die beiden jungen Herren Grafen hier bei uns wohnten, und aus den Augen da ist es mir immer, als ob der jüngste der beiden, das liebe, herzige Kind, herausschauen wollte. Ich habe den kleinen Burschen damals zu lieb gewonnen, ihn je wieder vergessen zu können.«

»Welcher beider junger Grafen?« sagte Georgine, die damit das Gespräch abzubrechen wünschte.

»Der jungen Grafen Geyerstein.«

»Der beiden jungen Grafen? hat Geyerstein noch einen Bruder?« fragte Georgine in dem Interesse, das sie plötzlich an der Sache nahm.

»Allerdings,« erwiderte der alte Mann, »einen jüngeren Bruder, und die beiden jungen gnädigen Herren waren als Kinder hier. Der jüngste von ihnen aber...«

»Wie hieß der?«

»Georg.«

»Georg?«

»Ja, gnädige Frau – der jüngste von ihnen kam aber nie wieder zurück – er soll draußen in der Fremde gestorben sein,« setzte er mit einem schmerzlichen Seufzer hinzu, »und das Kind da, wie es mich so lieb und mitleidig ansieht, gemahnt mich immer, als ob ich den jungen lieben gnädigen Herrn wieder vor mir sähe. Es ist freilich eine lange Zeit her, und ich bin alt – recht alt seither geworden. – Aber ich schwatze hier und schwatze, wo ich den Befehl Ew. Gnaden ausführen sollte. Gott schütze das liebe, kleine Haupt und streue ihm nur Blumen auf den Weg, gebe ihm Gesundheit, ein langes Leben und ein glückliches Alter mit seinem besten Segen!« Und eine tiefe Verbeugung machend, trat der alte Mann von dem Schlitten zurück, nahm dann seinen Ranzen wieder auf, sowie sein Gewehr und schritt langsam der Richtung nach dem Gute zu.

»Sein Bruder!« flüsterte Georgine leise und erschreckt vor sich hin, »sein Bruder – und das mir ein Geheimnis, mir, der Gattin – hätte ich das ahnen können – und wenn ich nun – zu spät!« stöhnte sie dann, ihr umherschweifender Blick fiel in dem Moment auf die Gestalt des Herrn von Silberglanz, der, unter seiner Pelzlast keuchend, im Schnee herangewatet kam. Er schaute aber nicht nach ihr hin, sondern den Weg zurück, und als sie den Kopf dahin wandte, bemerkte sie noch den alten Forstwart, der den Fremden gesehen hatte und jedenfalls abwarten wollte, was er hier suche, solange die gnädige Frau noch da hielt.

»Meine beste gnädige Frau!« rief das zierliche, im Schnee watende Männchen endlich, als er näher kam, »ich muß unendlich bedauern, wenn Sie auch nur eine Sekunde auf mich gewartet haben, aber der Schnee war« – sein Blick fiel auf Josefine, und er blieb mitten in seiner Rede stecken – »Ihre – Ihre Fräulein Tochter?«

»Nun?« sagte Georgine kalt.

»Diese – diese Ueberraschung...«

»Wünschen Sie noch uns zu begleiten?«

»Aber, gnädige Frau, welche Frage!« rief Herr von Silberglanz erschreckt.

»Sie werden dann hintenaufstehen müssen.«

»Erlauben Sie mir nur, daß ich meine Pelzstiefel geschwind anziehe. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, das war ein Schnee hier herauf, daß ich beinahe stecken geblieben wäre.«

»Im Pfad?«

»Ich – verfehlte den Weg. Glücklicherweise fand ich einen biedern Holzfäller oder Köhler oder was er sonst ist, der mich wieder zurechtwies,« sagte der Baron, der sich an der Holzbank den Schnee von dem dünnen Schuhwerk schlug und in aller Hast seine Pelzstiefel anzulegen suchte, »an dem Pelz hier habe ich mich beinahe tot geschleppt,« fuhr er dabei fort, »ich bin durch und durch echauffiert!«

»Sie werden Zeit haben, sich abzukühlen.«

»Das fürch – ja – ja, gewiß – aber der Pelz hier hält mich warm. Wer ist übrigens jener alte Förster? – Der scheint an dieser Stelle permanent Schildwache zu stehen, denn gestern fand ich ihn ebenfalls hier.«

»Der Forstwart,« sagte Georgine und drehte den Kopf nach ihm um. Der alte Barthold aber, der jetzt gesehen hatte, daß der Herr ein Bekannter der gnädigen Frau war, wandte sich langsam wieder und verfolgte seinen Weg. Herr von Silberglanz fuhr in seinen Pelz.

»Sind Sie fertig?«

»Vollständig – aber wollen Sie mir nicht gestatten, die Zügel zu nehmen?«

»Ich fahre selber – geben Sie mir Ihre Tasche in den Schlitten.«

»Geht der Herr mit uns, Mama?« fragte Josefine.

»Ja, mein Kind!« Sie drehte halb den Kopf, der Baron war auf die Pritsche gestiegen und setzte sich zurecht. »Komm, Fingal!« Sie schnalzte leise mit der Zunge, und das Pferd, das ungeduldig diesen Augenblick erwartet hatte, flog, aufwiehernd, die schmale, glatte Bahn dahin durch den Wald.

26.

Der Abend kam, und Mademoiselle Adele hatte die Botschaft Georginens durch einen der Holzmacher erhalten, den der Forstwart an sie abgeschickt. Sie war allein in ihrem Zimmer, aber sie las weder, noch arbeitete sie, wie sie es sonst an solchen Abenden tat, an denen sie sich ungestört wußte. Unruhig ging sie in dem kleinen Gemach auf und ab, trat ans Fenster, um hinauszusehen, und kehrte dann wieder zum Sofa zurück – nur, um im nächsten Augenblick aufzuspringen und ihre kaum unterbrochene Wanderung von neuem zu beginnen. Sie sprach kein Wort dabei; still und schweigend ging sie mit dem Lichte hinüber in Georginens Zimmer und schien dort etwas Außergewöhnliches zu suchen, so ängstlich leuchtete sie überall umher. Der Sekretär aber wie alle Schränke waren fest verschlossen, und die Schlüssel dazu trug Georgine stets selber bei sich.

Sie kehrte in ihr eigenes Zimmer zurück und begann von neuem, was sie schon am Nachmittag getan, die Kinderwäsche zu zählen und nachzusehen, und hier hatte sie sich vorher nicht geirrt. Die verschiedenen Stücke fehlten dutzendweise, und wie sie fest überzeugt war, sich darin nicht zu täuschen, überkam sie eine unsagbare Angst, der sie nur noch immer keine Form, keinen Namen geben konnte.

Einmal drängte es sie, die alte Wirtschafterin zu rufen und ihr den dunklen Verdacht mitzuteilen, der sich ihrer bemächtigt hatte; aber was konnte die ihr helfen oder raten! – Und doch noch war es möglich, daß sie sich irrte. Georgine konnte den Nachmittag, obgleich sie sich sonst nie um die Wäsche des Kindes kümmerte, doch vielleicht nachgesehen und den fehlenden Stücken einen andern Platz angewiesen haben, und war es überhaupt denkbar, daß sie so, ohne Abschied von dem Gatten...? Von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, griff das junge Mädchen ein Licht auf und eilte in des Barons Zimmer, denn sämtliche Schlüssel hatte sie in Georginens Abwesenheit in Verwahrung. – Sie brauchte dort nicht lange zu suchen; auf dem Schreibtisch des Barons lag ein gesiegelter Brief, dessen Adresse in Georginens Handschrift an ihren Gatten, den Baron von Geyfeln, lautete, und viele Minuten lang stand sie schweigend, zitternd über den verhängnisvollen Brief gebeugt und wagte nicht einmal, ihn zu berühren. Aber bald siegte ihr eigener klarer Verstand über das Gefühl. Hier durfte sie den Brief nicht liegen lassen; der Baron fand ihn vielleicht, während fremde Menschen ihn umstanden, und verriet im ersten Augenblick der Ueberraschung das Geheimnis anderen. Noch war es auch wohl möglich, den Schritt der unglücklichen verblendeten Frau ungeschehen zu machen, solange niemand darum wußte, als sie und der Baron – kam es erst auf die Zungen der Nachbarschaft, so blieb der Friede des Hauses gestört für immer.

Rasch entschlossen nahm sie deshalb den Brief an sich, er brannte wie Feuer in ihrer Hand, schloß die Tür wieder und eilte auf ihr eigenes Zimmer zurück, um dort zu überlegen, was jetzt zu tun sei, wie sie handeln solle. Aber so viel sie hin und her dachte, Pläne aufbaute und wieder verwarf, sie konnte nichts ersinnen. Eine genaue Adresse, wo er sich in diesen Tagen aufhalten würde, hatte Baron von Geyfeln gar nicht hinterlassen, und wohin also jetzt selbst einen Boten senden, um ihn, so rasch ihn die Pferde bringen konnten, herbeizurufen? Sie mußte warten – es blieb kein anderer Ausweg für sie, und länger war ihr noch nie eine Nacht – länger noch nie ein Tag geworden als der folgende.

Unzähligemal hatte sie dabei nach dem alten Forstwart schicken wollen, von diesem vielleicht etwas Näheres zu erfahren; aber sie fürchtete auch, damit das Geheimnis, das nicht das ihre war, einem dritten zu verraten. Und konnte nicht doch vielleicht die Frau noch zurückkehren – welchen Grund hatte sie gehabt, ihrer stillen, glücklichen Häuslichkeit zu entfliehen? Unzufrieden mit ihrem Gatten? Nie war, so viel sie wußte, ein hartes, unfreundliches Wort zwischen den beiden gewechselt worden, solange sie sich in dem Hause befand, und alles andere, was ihr das Leben bei nicht zu übermäßigen Ansprüchen bieten konnte, besaß sie ja doch hier. Und das Kind – ihre liebe, liebe Josefine – war sie freiwillig mit der Mutter gegangen? Nein, nein und zehnmal nein; sie hat keinen Abschied weiter von ihr genommen, als mit einem flüchtigen Kusse; das Kind hatte keine Ahnung gehabt, daß die Fahrt mehr als ihr gesagt worden, mehr als eine einfache Spazierfahrt bezwecke, und jetzt, dem Vater entrissen, wie unglücklich, wie elend würde sich dieser fühlen!

Noch immer hoffte sie – hundertmal den Tag ging sie in die andere Stube, in den Hof hinab, zu horchen, und den Weg nach dem Walde zu, den sie von ihrem Zimmer aus übersehen konnte, ließ sie nicht aus den Augen – umsonst. Der Abend dämmerte, jener blaue, die Nacht verkündende Lichtschein legte sich auf die schneebedeckten Felder, die Umrisse des Waldes verschwammen mit dem düstern Horizont, und nichts verkündete die Rückkehr der Entflohenen.

Die Wirtschafterin war indessen wieder und wieder zu der Erzieherin gekommen, Aufschluß über das rätselhafte Ausbleiben der »Gnädigen« zu erhalten. Adele aber hütete sich wohl, sie auch nur im entferntesten den wahren Tatbestand ahnen zu lassen. Ihrer Aussage nach hatte Frau von Geyfeln gleich von vornherein die Absicht gehabt, über Nacht auszubleiben, und ihr sogar gesagt, daß sie sich nicht ängstigen solle, wenn sie den Besuch noch ausdehne, da sie überdies so lange nicht bei den alten Bekannten und Freunden vorgesprochen hätte. Josefine besonders wäre gewiß nicht gern wieder so rasch von den dortigen Spielkameraden weggegangen. Aber das verdorbene Mittagsbrot – und wie sollte sie es jetzt mit dem Abendessen halten? Kam die Gnädige noch nach Hause oder nicht, und wenn sie kam, mußte sie doch etwas Warmes zu essen finden! Mademoiselle Adele riet ihr, Tee bereit zu halten, was ohne große Umstände geschehen konnte, und das Zimmer der gnädigen Frau heizen zu lassen – bliebe sie dann noch aus, so schadete es weiter nichts. Das geschah, aber die Frau kehrte nicht zurück.

Es schlug acht Uhr drüben an der kleinen Glocke, die sich über der Verwalterstube befand. Die Gouvernante, die keine Ruhe in ihrer Stube hatte, war wieder in das dunkle Zimmer getreten, von dem aus sie den Hof übersehen konnte. – Da klingelte ein Schellengeläute in den Hof, und ihre zitternden Knie versagten ihr fast den Dienst, sie aufrecht zu halten. Wer es war, konnte sie freilich nicht mehr erkennen, aber der Schlitten hielt unten am Portal, und gleich darauf hörte sie Schritte auf der Treppe und eine Kinderstimme.

Hatte sie sich geirrt? – war Georgine zurückgekehrt? – das Herz schlug ihr, daß es die Brust zu sprengen drohte, und sie wußte kaum, wie sie hinaus auf den Vorsaal kam.

Die Haushälterin leuchtete mit dem Licht den Heraufkommenden voran.

»Na, das ist schön, Herr Baron, daß Sie heute abend gekommen sind,« sagte sie dabei, »aber Ihr Zimmer habe ich nicht heizen lassen. Wir erwarteten Sie ja erst morgen – aber das von der gnädigen Frau ist warm – und die gnädige Frau wird wohl erst morgen wiederkommen.«

»Meine Frau ist nicht zu Hause?« sagte ruhig, aber erstaunt die tiefe Stimme Georgs.

»Nein – zum Besuche nach Kleinmarkstetten, mit dem gnädigen Fräulein.«

»Mit Josefinen?«

Mademoiselle Adele trat in den Schein des Lichtes. Es war der Baron selber, der zurückgekehrt, und während sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust entrang, trat sie auf den Baron zu. Sie hatte ihre ganze Ruhe und Festigkeit wiedererlangt.

»Ah, Mademoiselle, guten Abend!« rief Georg ihr entgegen, »meine Frau ist mit Josefinen ausgeflogen, wie ich höre, und hier bringe ich Ihnen die kleine versprochene Gespielin für Josefine – ich werde sie so lange unter Ihren Schutz stellen müssen.«

Die Kleine drückte sich schüchtern an ihren Begleiter an, Adele aber, freundlich auf sie zugehend und sie küssend, sagte: »Sei uns willkommen, mein liebes Herz, in deiner neuen Heimat. Deine kleine Spielgefährtin ist freilich nicht da, aber sie wird bald wiederkommen, und du wirst dann ein liebes, braves Schwesterchen an ihr finden und sollst dich recht bald wohl und zufrieden bei uns fühlen.«

»Komm, Marie,« ermunterte sie auch Georg, »fürchte dich nicht vor der Dame, sie wird dir eine zweite Mutter werden und dich lieb haben. – Das Kind hat im Schlitten geschlafen,« entschuldigte er es dann gegen die Erzieherin, »und eben erst erwacht, erschrecken es die fremden Gesichter.«

»Das wird sich bald geben,« erwiderte das junge Mädchen freundlich, »ich dürfte Sie auch wohl bitten, Herr Baron, es selber in mein Zimmer zu führen, daß es die Scheu erst ein ganz klein wenig ablegt. Wir wollen dann schon recht bald gute Freunde werden. Ach, Mamsell nicht wahr, Sie sorgen gleich dafür, daß der Herr Baron seinen Tee und die Kleine ein warmes Süppchen bekommt, nach der langen kalten Fahrt? – Wir brauchen kein Licht weiter – meine Tür ist offen.«

»Jawohl – ei gewiß – du meine Güte, daran hätte ich gar nicht gedacht!« rief die alte gute Mamsell geschäftig, »das soll gleich besorgt werden, und ein delikates Süppchen will ich selber gleich dem armen kleinen Würmchen kochen. Lieber Gott, das herzige Dingelchen muß ja ganz erfroren sein im Schlitten!« Und ihr Licht noch emporhaltend, daß Georg und Adele mit dem Kinde durch das dunkle Zimmer ihren Weg finden könnten, eilte sie rasch wieder über den Gang hinüber, der Küche zu, alles Nötige selber anzuordnen.

Georg überlief es dabei wie mit Fieberfrost – ein bittender Blick der Gouvernante hatte ihn getroffen – und er fühlte, es war etwas Außergewöhnliches vorgefallen. Rasch trat er in das Zimmer, und wie nur die Wirtschafterin weit genug entfernt war, sie nicht mehr hören zu können, sagte er leise und dringend in französischer Sprache. »Was ist geschehen, Mademoiselle? verhehlen Sie mir nichts.«

»Sie müssen alles wissen, aber – lassen Sie das Kind nichts merken,« bat die Gouvernante zurück. »Seit gestern ist Ihre Gattin mit Josefinen fort – diesen Brief hat sie für Sie zurückgelassen. Gehen Sie in das Zimmer Ihrer Gemahlin und lesen Sie dort die Zeilen – wenn ich Marie zu Bett gebracht habe, werde ich hinüberkommen, um mich zu erkundigen, was morgen mit ihr werden soll.«

Mit diesen Worten gab sie ihm den Brief, und Georg mußte sich gewaltsam zwingen, seiner Sinne bei der Schreckensbotschaft Meister zu bleiben. Aber die Gouvernante hatte recht. Das Kind durfte von dem Ungeheuren, was hier vorgefallen, nichts erfahren – nicht bei seinem Eintritt in dieses Haus, wo sich dem kleinen Kopfe jedes gehörte Wort nur so viel schärfer und unvergeßlicher eingeprägt hätte. Ruhig nahm er den Brief, den er, ohne ihn auch nur anzusehen, in die Brusttasche schob, sagte dann der Kleinen freundlich gute Nacht und verließ das Gemach. Wie er aber in das Zimmer seiner Frau kam, wußte er selber kaum. Dort warf er sich in einen Stuhl, erbrach den Brief, auf dem die Adresse: »An Herrn Baron von Geyfeln« stand, und las die wenigen Zeilen, die er enthielt. Sie lauteten:

An Herrn Baron von Geyfeln!

Schon diese Ueberschrift nimmt meiner Handlung jedes Bittere, das sie sonst für mich haben könnte. – An Herrn Baron von Geyfeln – der Name ist mir so fremd, wie der Mann es mir geworden, der ihn trägt. Seit du die Bahn verlassen, Georg, in der ich dich bewundern und lieben lernte, seitdem mußte ich mich zwingen, in deiner Nähe auszuharren – und tat es nur des Kindes wegen, dem ich Mutter bin und bleiben werde. Deine Gesetze begünstigen dich, daß ich nicht meinem Willen gleich von Anfang an folgen konnte. Ich habe jetzt Sorge getragen, daß sie nicht mehr imstande sein sollen, mich zu erreichen. Folge mir, wenn du kannst, als Baron von Geyfeln, und reklamiere das Kind, das mein ist im vollen Sinne des Wortes. Doch du wirst klug sein und nicht einmal den Versuch machen, von dem du von vornherein wüßtest, daß er erfolglos bleiben würde. – Kehre zu deiner früheren Kunst zurück, und ich will mit Freuden in deine Arme fliegen; verharre bei deinem tatenlosen Leben und wir sind für immer geschieden.

Suche nicht meinen jetzigen Aufenthalt zu erforschen; wenn du ihn selbst fändest, ich bin und bleibe für dich verloren. Mein Kind aber werde ich einem Glück entgegenführen, das es unter deiner Führung nimmer hätte erreichen können.

Lebe wohl!

Georgine.

Georg, der den Brief wieder und wieder durchgelesen hatte, hielt ihn noch in der Hand und starrte darauf nieder, als die Haushälterin mit der Magd ins Zimmer kam und das bestellte Abendbrot brachte. Georg faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche, und die geschwätzige Alte hätte gern ein Gespräch mit ihm angeknüpft, er wehrte sie aber unter dem Vorgeben ab, müde zu sein, verzehrte sein Abendbrot schweigend und fragte nur dann und wann die Wirtschafterin, die sich indessen im Zimmer zu schaffen machte, nach verschiedenen, höchst gleichgültigen Sachen. Die Mamsell erzählte ihm dabei natürlich, daß, gleich nachdem er fort gewesen, auch Besuch gekommen wäre: ein fremder Herr, der ihn hätte sprechen wollen.

»So? – in der Tat?« sagte Georg ruhig, »wie hieß er?«

»Ja, das weiß ich wahrhaftig nicht. Er gab mir seine Karte, aber der Name stand mit so winziger Schrift darauf, daß ihn meine alten Augen nicht mehr lesen konnten. Es war aber ein Baron.«

»So? – und wie sah er aus?«

»Ein kleiner, sehr zierlicher Herr war es, sehr hübsch und sauber angezogen, mit einem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen und solchen schwarzen Locken. Er war am nächsten Morgen noch einmal da, hat aber dann wohl nicht länger warten können, und da wir an dem Nachmittage – ach, das wissen der gnädige Herr ja auch noch nicht, daß der alte arme Tobias ertrunken ist!«

»Tobias? – wer ist Tobias?«

»I, der alte arme Teufel unten aus dem Dorfe – er war noch am Abend vor Ihrer Abreise hier oben und hatte wohl ein Glas zu viel getrunken, denn sonst habe ich ihn nie frech oder unverschämt gesehen, und Ew. Gnaden ließen ihn dann vom Hofe jagen.«

»Der ist ertrunken?«

»Er ist von hier aus nicht wieder ins Dorf gekommen. Ob er den Weg verfehlt hat, oder was sonst die Ursache war, Gott allein weiß es, aber am nächsten Morgen fischten sie ihn aus dem Bache unten auf, und gestern nachmittag haben wir ihn begraben – und eine schöne Leiche, wie der arme alte Mensch noch gehabt hat!«

»Der – ist – tot?« sagte langsam und sinnend Georg, »wunderbar!«

»Ach, du lieber Gott!« meinte die Haushälterin, »abkommen konnte er ja schon; zu was nütze war er doch nicht mehr auf der Welt, und Hunger und Kummer hätten ihn so vielleicht bald untergebracht; aber es tut einem doch immer in der Seele weh, wenn ein Christenmensch auf solcher Art, eigentlich wie ein ander Stück Vieh auch, seinen Tod findet, wenn es auch nicht einmal ein Verwandter gewesen wäre.«

Georg hörte schon gar nicht mehr, was sie sprach. – »Sind noch Briefe oder Zeitungen für mich gekommen?«

»Briefe – ja, ich weiß es wirklich nicht. Der Postbote war da, die werden aber dann wohl bei Ew. Gnaden im Zimmer liegen.«

»Haben Sie den Schlüssel?«

»Den hat das Fräulein.«

»Dann bitten Sie das Fräulein, mir alles, was etwa für mich angekommen wäre – und auch meinen Schlüssel mit herüber zu bringen.«

»Jawohl, Herr Baron. – Ist der Tee etwa nicht heiß genug?«

»O, vortrefflich – ich bin nur abgespannt heut abend und kann nicht viel genießen – ich werde mich ein wenig auf das Sofa legen.«

Die Wirtschafterin hatte Takt genug, dies als ein Zeichen zu nehmen, daß sie sich entfernen könne, und sie verließ das Zimmer, in dem Georg allein mit seinen Gedanken, und vor Ungeduld sich bald verzehrend, zurückblieb. – Und die Gouvernante kam noch immer nicht – aber sie hatte das Kind zu besorgen und eine volle Stunde mochte vergangen sein, ehe er ihren Schritt hörte. Gleich darauf trat sie ein und legte einige Briefe und Zeitungen auf den Tisch. Georg war aufgestanden und ging ihr entgegen.

»Mademoiselle,« sagte er, die Hand nach ihr ausstreckend, »nehmen Sie vor allen Dingen meinen herzlichsten Dank für die zarte Weise, in der Sie in dieser Sache gehandelt haben, und nun, bitte, setzen Sie sich und erzählen mir mit kurzen Worten, was Sie wissen.«

Während die Gouvernante der Einladung folgte, blieb Georg erwartungsvoll am Tische stehen.

»Ich habe nur meine Schuldigkeit getan,« sagte das junge Mädchen, leicht dabei errötend, »werde Ihnen selber, Herr Baron, aber wenig Auskunft geben können – ich durfte nicht nachforschen, denn ohne etwas damit gutmachen zu können, hätte ich die Aufmerksamkeit der Leute nur unnötigerweise und vor der Zeit darauf gelenkt.«

»Sie hatten recht, vollkommen recht.«

»Der erste Verdacht stieg in mir auf, als ich eine bedeutende Lücke in der Kinderwäsche bemerkte, nachdem die gnädige Frau mit Josefinen eine angebliche Spazierfahrt unternommen hatte. Auch eine Anzahl ihrer Kleider fehlte – dann fand ich den Brief in Ihrer Stube – denn Angst und Ungewißheit ließen mich danach suchen, und ich nahm ihn an mich.«

»Ich bin Ihnen dankbar dafür – aber wer glauben Sie, der mir weitere Auskunft geben könnte – oder haben Sie selber einen Verdacht? Es war ein Fremder hier. – Wie sah er aus?«

»Ich habe ihn gar nicht gesehen; aber gleich nach Ihrer Abreise kam er, und obgleich er nur zweimal hier oben im Gute war, fürchte ich fast, daß er der Sache nicht fern steht. Unser Hausmädchen hat ihn wenigstens zu der Zeit, als Madame fortfuhr, zu Fuß, mit seinem Pelz auf dem Arm, in den Wald gehen sehen.«

»Und welchen Weg nahm er?«

»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Der alte Forstwart aber hat die letzte Botschaft der gnädigen Frau, daß sie am vorigen Abend nicht nach Hause kommen würde, hereingeschickt. Möglich, daß er sie im Walde getroffen hat und etwas Näheres weiß.«

»Der Forstwart – Gott sei Dank, da ist ein Faden, an den ich anknüpfen kann. Georgine fuhr im Schlitten?«

»Ja, mit ihrem eigenen Pferde bespannt.«

»Es ist gut – ich danke Ihnen; gehen Sie jetzt wieder zu Ihrer kleinen Schutzbefohlenen und seien Sie ihr Mutter, stehen Sie überhaupt meinem ganzen Hause vor, bis – ich selber wieder zurückkomme.«

»Sie wollen doch nicht heut abend noch...«

»Nein,« unterbrach sie Georg ruhig, »erstlich wäre es nicht möglich, im Dunklen einer Spur zu folgen, und dann würde das auch Aufsehen erregen. Morgen früh reite ich fort – meine Frau in Kleinmarkstetten abzuholen – das genügt den Leuten. Sobald ich kann, schreibe ich Ihnen meine Adresse – wenn ich nicht selber indessen wiederkomme. Lange bleibe ich auf keinen Fall aus, es müßten mich denn ganz unvorhergesehene Hindernisse zurückhalten. Schlafen Sie wohl, Mademoiselle, und seien Sie versichert, daß ich Ihnen nie vergessen werde, wie wacker Sie mir in dieser schweren Zeit beigestanden haben.«

»Schlafen Sie wohl,« sagte das junge Mädchen schüchtern, und im nächsten Augenblick schloß sich die Tür wieder hinter ihr, während Georg noch wohl eine Stunde im Zimmer auf und ab schritt, ehe er sein eigenes Lager suchte.

Am nächsten Morgen war Georg wieder mit Tagesgrauen auf und ging selber in den Stall hinunter, um zu sehen, daß sein Reitpferd ordentlich gefüttert und dann ihm vorgeführt würde. Das geordnet, schickte er einen Boten in das Forsthaus, dem alten Forstwart zu sagen, er möge auf ihn warten, bis er hinauskäme, und ging wieder in seine eigene Stube hinauf. Dort sah er flüchtig die eingegangenen Briefe durch, wozu er sich gestern abend keine Zeit genommen, trank den ihm gebrachten Kaffee und blätterte noch, bis das Pferd ausgefressen hatte, in den neben ihm liegenden Zeitungen. Er las wohl, aber er wußte nicht, was er las, seine Gedanken waren fern von da, und den Kopf in die Hand gestützt, ließ er das Blatt wieder sinken und starrte finster vor sich nieder. Endlich sprang er ungeduldig auf und sah nach der Uhr – es war noch zu früh – eine halbe Stunde mußte er dem Pferde noch Zeit gönnen, denn es hatte vielleicht einen langen Ritt vor sich. Er ordnete indessen seine Briefschaften, versah sich mit Geld und warf sich dann noch einen Augenblick aufs Sofa. Die vor ihm liegende Zeitung hatte er dabei bewußtlos mit der Hand zusammengeballt und leise murmelte er: »Josefine – meine arme Josefine« – da fiel sein Blick plötzlich auf den Namen, der, größer gedruckt als die übrige Schrift, schon mit dem Zusatz »Zirkus« sein Auge fesselte und alle weiteren Gedanken in sich verzehrte. Die Worte lauteten:

Zirkus Royazet.

Noch nie hat der Zirkus in Altona in solchem Flor gestanden wie in der gegenwärtigen Saison. Es haben einzelne Direktionen vortreffliche Gesellschaften gehabt, mit ausgezeichneten Mitgliedern, deren einzelne zu den besten zählten; aber noch nie, wir wiederholen es, war ein Direktor imstande, solche Kräfte an einem einzigen Abend zu vereinigen, wie der jetzige. Royazet hat den Zirkus zu einer Art Pantheon der Reitkunst erhoben, in welchem er selbst auf der obersten Stufe thront, rings umgeben von den glänzendsten Koryphäen seiner Kunst. Ein Abend im Zirkus heißt jetzt so viel als ein Abend des Vollgenusses, ja, fast des Uebermaßes. Künstler, welche sonst die Zierden der Reitbahn ausmachen, rangieren hier in zweiter Reihe und gewähren dem Zuschauer die merkwürdige Gelegenheit, den Unterschied zwischen Meisterschaft und Vollkommenheit wahrzunehmen. Ein Kranz reizender, kunstgewandter Damen reiht sich an die männlichen Größen an, und der unübertreffliche Klown Mühler, die Perle des früheren berühmten und jetzt aufgelösten Zirkus Bertrand, ist, um das Maß vollzumachen, dieser Walhalla ausgezeichneter Künstler gewonnen worden – ja, andere Kräfte sind ihm noch versprochen, die, wenn möglich, diesen Kranz von Genüssen noch gipfeln und erhöhen sollen. Royazet selber bildet aber stets den Glanzpunkt des Abends, und gleichviel, welche Künste der Equilibristik neben und um ihn sich entfalten – er ist und bleibt stets der oberste Meister, und wir glauben das Publikum umsomehr auf diesen, sich ihm jetzt noch bietenden Genuß aufmerksam machen zu müssen, da der Zirkus nur noch wenige Tage in unserer Stadt verweilen wird, um einem ehrenvollen Rufe nach Petersburg zu folgen. Ganz enorme Garantien sollen dem Künstler dort geleistet sein.«

Georg hatte mit immer wachsender Spannung die prahlerische Anzeige wieder und wieder gelesen. Royazet – sein alter Rival in mehr als einer Hinsicht, in Altona – der alte Mühler dort wieder engagiert, wohin ihm Karl jedenfalls vorangegangen. Sollte Georgine – Altona lag unter dänischer Gerichtsbarkeit außerhalb der deutschen Gesetze, und Petersburg – wenn sie ihm sein Kind nach Rußland entführte! – Er barg das Antlitz einen Augenblick in die Hand, aber es war auch wirklich nur ein Moment, in dem ihn die Sorge um die Tochter überwältigte. Schon im nächsten war er wieder er selbst, und Hut, Handschuhe und Reitpeitsche aufgreifend, verließ er das Zimmer gerade, als der Verwalter zu ihm die Treppe herauf wollte, ihm anzuzeigen, daß sein Pferd gesattelt wäre.

»Lieber Schönle,« sagte Georg, »ich will jetzt nach Kleinmarkstetten hinüber, habe aber auch noch andere Geschäfte in der Nachbarschaft dort, und es ist möglich, daß ich mit meiner Frau erst in einigen Tagen zurückkomme. Einen erhaltenen Brief zu beantworten, muß ich aber einen Boten fortschicken, und da wir unsere Leute jetzt notwendig brauchen, werde ich einen Burschen aus der Försterei, den Forstwart oder wen sonst schicken. – Lassen Sie den alten Braunen herausführen, den Sattel auflegen und das Pferd dann, sobald Sie können, zum Forstwart hinaufschicken. Verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Baron!« sagte der alte Verwalter, »ich dächte aber, denen im Forsthause schadete es auch nichts, wenn sie ihre Beine auf Gottes Erdboden setzten, statt sie über einen Sattel hinüberzuhängen.«

»Das dauert mir dann zu lange,« erwiderte Georg. »Tun Sie nur, wie ich gesagt habe. Sonst ist nichts Besonderes vorgefallen?«

»Nicht das geringste, Herr Baron. Wir haben wacker gedroschen in der Zeit; Dünger ist gefahren, die Umzäunung am Garten ausgebessert, und jetzt sind nur noch die Holzfuhren zu machen, zu denen der Förster ein wenig drängt.«

»Er hat recht. Es ist auch die höchste Zeit, daß das Holz von dem Schlag fortkommt – also auf Wiedersehen, Schönle. Besorgt mir das alles gut; in einigen Tagen spätestens bin ich wieder da.«

Mit diesen Worten war er die letzten Stufen der Treppe hinuntergegangen, legte seine Satteltasche auf, schnallte den Plaid daran fest, griff seinen Zügel auf, schwang sich in den Sattel und trabte aus dem Hofe, die Straße nach dem Walde einschlagend.


So hart den trefflichen Reiter aber auch der Schlag im ersten Augenblick getroffen, daß ihm sein Kind, sein liebes Kind geraubt worden, so fest, ruhig und sicher fühlte er sich wieder, als er erst einmal im Sattel saß. Mit gutem Mut, durch eigene Kraft die List der Frau noch ausgleichen zu können und zuschanden zu machen, trabte er den Weg entlang, und wenn es ihn auch manchmal drängte, das Pferd, den wackern Rappen, der ihn trug, zu rascherem Tempo anzuhalten, versagte er es sich doch, weil er eben nicht wußte, ein wie weiter Ritt noch heute vor ihm lag, und er sein treues Tier zu schonen dachte. So erreichte er das Forsthaus und fand hier den Forstwart Barthold schon seiner harrend, mit der Flinte auf dem Rücken, vor der Tür. Als er den Herrn anreiten sah, kam er grüßend auf ihn zu, Georg aber, aus dem Sattel springend, warf seinem Pferde den Zügel über den Nacken und sagte zu dem Alten: »Guten Morgen, Barthold; kommt nur mit, ich begleite Euch ein Stück – ich habe etwas mit Euch zu reden.«

»Gern, gnädiger Herr,« erwiderte der Alte, »der Förster ist auch nicht zu Hause. Er ist auf den roten Schlag hinaus, um den Fuhren das Holz anzuweisen.«

»Ich weiß schon – ich will auch nicht zum Förster,« sagte Georg und schritt langsam den Waldweg entlang, bis sie aus Sicht des Forsthauses waren. Hier blieb er stehen und sich gegen Barthold wendend, fuhr er fort: »Ihr seid neulich meiner Frau hier begegnet, als sie im Schlitten die Straße nach Kleinmarkstetten fuhr, nicht wahr?«

»Ja, Ew. Gnaden.«

»Kennt Ihr den Herrn, der mit ihr im Schlitten saß?«

»Sie war allein – das heißt mit dem Fräulein Tochter.«

»Allein?« rief Georg überrascht.

»Allein, meine ich, als sie vom Gute an die große Eiche kam,« bestätigte der Alte, »und von dort schickte sie mich mit einem Auftrage nach dem Gute zurück.«

»So habt Ihr niemanden gesehen, der bei ihr war?« fragte Georg enttäuscht, denn auf den Forstwart hatte er seine ganze – seine letzte Hoffnung gesetzt.

»O, doch,« erwiderte der alte Mann. »Wie ich schon ein Stück fort war, kam ein Herr unten vom Dorfe den Weg herauf und stieg hinten auf den Schlitten, und dann fuhren sie zusammen fort. Ich blieb noch eine Weile stehen, weil ich glaubte, es wäre der gnädigen Frau vielleicht nicht angenehm, hier im Holze allein mit einem fremden Herrn zusammen zu treffen. Als ich aber sah, daß es ein Bekannter war, ging ich meiner Wege.«

»Und so kennt Ihr den Herrn gar nicht?«

»Nein, Ew. Gnaden – ich weiß nicht, wie er hieß,« sagte der Alte etwas erstaunt, denn das unruhige Wesen des Barons fiel ihm auf.

»Der Name tut nichts zur Sache,« rief Georg ungeduldig, »ich meine nur, ob Ihr nicht wißt, wie er aussah – ob Ihr ihn wieder kennen würdet.«

»Gewiß – an dem Tage habe ich ihn freilich nur von weitem und ganz flüchtig gesehen; den Tag vorher aber kam er schon einmal zur Eiche, die er sich wohl neugierig betrachten wollte, obgleich er ihr kaum einen flüchtigen Blick zugeworfen und von meiner Erklärung gar nichts wissen mochte. Es fror ihn ein wenig an den Füßen.«

»Wie sah er aus?«

»Ein zierliches, geschniegeltes Männchen, städtisch und ein bißchen fremdländisch angezogen, mit einem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen und einer Brille auf, obgleich er noch gar nicht alt sein kann, um schwache Augen zu haben.«

»Und Ihr kennt ihn genau genug, ihn mir zu bezeichnen, wenn Ihr ihn wiedersehen würdet?«

»Ich kenne ein Stück Wild wieder, wenn es mir nur einmal flüchtig über den Weg gesprungen ist, wie viel mehr denn solch ein wunderliches Menschenkind, dem ich Auge in Auge gegenübergestanden habe!«

»Gut – habt Ihr Lust, Barthold, mich auf einer Tour zu begleiten?«

»Ich, gnädiger Herr? gewiß – aber wohin?«

»Gleichviel – rüstet Euch, auf ein paar Tage auszubleiben. Für Lebensunterhalt braucht Ihr nicht zu sorgen; nehmt nur etwas reine Wäsche mit.«

»Ein Hemd und ein paar Socken stecke ich in den Jagdranzen.«

»Nein – den laßt zu Hause; auch Eure Flinte, die wir nicht brauchen werden, denn das Wild, das wir suchen, fangen wir lebendig.«

»Soll ich denn vielleicht einen Schwanenhals oder ein Tellereisen mitnehmen?«

»Nein,« lachte Georg, »auch das ist nicht nötig, es geht auf keine Witterung. Ich werde jetzt mit Euch zum Forsthause zurückkehren. Apropos, könnt Ihr reiten?«

»Reiten? ja – es soll gerade nicht hübsch aussehen, wenn ich auf einem Pferde sitze,« setzte er gutmütig hinzu, »und sie haben mich schon ein paarmal deshalb ausgelacht, aber ich hänge fest, Trapp oder Galopp, und herunter bringt mich keins.«

»Desto besser – es wird vom Gute aus ein Pferd für Euch heraufgebracht werden. Aber eine Bedingung habe ich zu stellen – könnt Ihr schweigen?«

»Sehe ich etwa aus wie eine Plaudertasche?« sagte der alte Mann ernst.

»Gut – ich glaube es auch. Kein Mensch erfährt später, wo wir gewesen – hört Ihr? – was wir dort getan – auch nicht, was ich vorhin über den Fremden mit Euch besprochen.«

»Kein Wort, Ew. Gnaden,« sagte der Alte, der zu ahnen begann, um was es sich hier handle. »Das bißchen Wäsche stecke ich dann einfach in die Tasche.«

»Ihr könnt es mir nachher in meine Satteltasche geben.«

»Ew. Gnaden wollen dem Schlitten folgen?«

»Ja – wißt Ihr genau, welchen Kurs er genommen?«

»Die gnädige Frau sagte, sie wolle nach Kleinmarkstetten, der Herr aber hat an dem Morgen seinen Wagen leer mit seinem Gepäck nach Hottweil geschickt.«

»Wißt Ihr das gewiß?«

»Unten im Krug haben sie so gesagt, und der Kutscher soll gestern abend spät wieder leer durchs Dorf gefahren sein, wie mir einer der Holzmacher heute morgen erzählte.«

»War es ein herrschaftliches Geschirr?«

»Wohl nur ein Lohnkutscher von Haidedorf.«

»Gut – wir dürfen aber trotzdem keine Zeit verlieren. Bestätigt sich das, so können wir vielleicht, wenn wir scharf zureiten, die Station noch erreichen, ehe der Schnellzug eintrifft. Das Pferd muß oben sein; jedenfalls ist es da, ehe Ihr Eure Sachen zusammen habt.« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, schritt Georg rasch zum Forsthause zurück, wenn auch der Förster nicht da war, doch dessen Frau davon in Kenntnis zu setzen, daß er den Forstwart auf einen oder zwei Tage in Geschäften mit sich nehme.

Barthold hatte indessen in wenigen Minuten seine geringen Vorbereitungen getroffen; bald darauf kam auch das Pferd, auf dem einer der Knechte heraufgeritten war, und sehr zum Erstaunen der Frau Försterin, die sich den ganzen Tag vergebens den Kopf darüber zerbrach, trabte Barthold hinter dem Herrn von Geyfeln in den stillen Wald hinein. Bis sie die Stelle erreichten, wo sich die verschiedenen Wege teilten, sprach auch Georg kein Wort, und kehrte sich nur manchmal nach seinem Begleiter um, zu sehen, wie er im Sattel saß. Der alte Mann hing allerdings in etwas wunderlicher Art auf dem Pferde, aber er hatte nicht zu viel von sich gerühmt, als er behauptete, daß er wenigstens fest säße. Georg fühlte sich darüber auch bald beruhigt und ließ sein eigenes Tier etwas schärfer austraben, bis er es an dem dreiarmigen Wegweiser zum erstenmal einzügelte.

Hier schieden sich die Wege; eine gewisse Spur war aber nur schwer noch zu erkennen, da Holz- und andere Fuhren die frische Schneebahn schon mit ihren verschiedenen Gleisen durchzogen und durchkreuzt hatten. Eine kurze Strecke indes langsam auf dem Wege nach Hottweil fortreitend, fand Georg bald die zarten, feingeschnittenen Hufe von Georginens Pferde seitwärts von der Bahn im Schnee abgedrückt, wo der Schlitten wahrscheinlich einer ihm begegnenden schweren Fuhr ausgewichen war, und die Zügel, ohne ein Wort weiter zu reden, wieder aufgreifend, schlug er den früheren scharfen Trab wieder ein, dem das alte und steifere Arbeitspferd kaum zu folgen vermochte. Die Station erreichten sie auch in der Tat bei guter Zeit, und wohl noch eine Stunde vor Ankunft des Zuges. Kurze Nachfrage genügte, Georg zu überzeugen, daß er sich auf der richtigen Spur befände. Das Pferd, das Barthold geritten, übergab er dann einem der Leute dort, es im Dorfe einzustellen, bis er zurückkehre; sein eigenes, in zwei dazu geborgte Decken eingehüllt, wurde in einen der glücklicherweise vorhandenen Pferdekasten geführt, und als der Zug heranbrauste, nahm er die Reisenden und das schon bereit gehaltene Pferd auf, und schnob davon, auf seiner schmalen eisernen Bahn, den heißen Atem in die frostige Winterluft ingrimmig hinausblasend.

27.

In Altona herrschte ein reges Leben, und der alte Forstwart Barthold schritt staunend an Georgs Seite durch die menschengedrängten Straßen. Das war eine Stadt – das war ein Treiben und Schieben durcheinander, und was für kostbare Waren überall – der Alte wäre am liebsten vor jedem Schaufenster stehen geblieben, immer Neues anzustaunen und zu bewundern. – Und aus diesem Gewimmel von Menschen, wo es, wie bei einem Bienenschwarm, herüber und hinüber fuhr, sollte er den einzelnen Fremden heraussuchen, den er draußen im Walde gesehen? Der Kopf schwindelte ihm, und er ging die ersten Stunden wie in einem Traume umher.

Georg, der ihn begleitete, fand sich ebenfalls in furchtbarer Aufregung – freilich aus einem andern Grunde – und mußte sich Mühe geben, wenigstens die äußere Fassung zu bewahren. Hatte er doch sein nächstes Ziel, den wahrscheinlichen Aufenthalt seines Kindes, seiner Josefine, jetzt erreicht – aber wo sie finden in der großen Stadt – und wenn gefunden, wie sie dann sich retten?

Gestern abend war er, aber zu spät, um noch irgend welche Nachforschungen anzustellen, mit seinem Begleiter in Hamburg eingetroffen, und heute morgen hatte er vergebens auf der Polizei in Altona angefragt, ob zwei Damen, eine Frau von Geyfeln und eine Frau Georgine Bertrand, angemeldet wären – man wußte dort noch nichts von ihnen. Den Namen des Entführers kannte er ja nicht.

In der Nähe des Zirkus durfte er auch nicht wagen, sich – wenigstens am Tage – blicken zu lassen, denn er blieb dort zu sehr der Gefahr ausgesetzt, von einem seiner früheren Leute, vielleicht gar von dem alten Mühler oder Karl erkannt und verraten zu werden. Georgine wäre in dem Fall augenblicklich gewarnt worden und sein ganzer Plan vernichtet, jede Aussicht auf Erfolg zerstört gewesen. Da wurde, als er eben nach Hamburg hinüber wollte, um dort den Abend abzuwarten, seine Aufmerksamkeit auf große Zettel gelenkt, die ein junger Bursche an den Ecken anklebte. Ein Holzschnitt oben darüber – einen Reiter zeigend, der mit sieben Pferden dahin flog – ließ keinen Zweifel, zu welcher Vorstellung, und Georg trat, zitternd vor Angst und Erwartung, hinan, den gesuchten und doch gefürchteten Namen seines Weibes – seines Kindes darunter zu finden – und er hatte sich nicht geirrt. Der Name Georgine Bertrand stand allerdings nicht auf dem Zettel, aber die pomphafte Ankündigung eines neuen Gastes, einer Madame Georgette mit ihrer Tochter Mademoiselle Georgette, ließ ihm fast keinen Zweifel, daß Frau und Kind schon an diesem Abend, wenn auch unter anderm Namen, im Zirkus wieder auftreten würden.

Vorsichtig suchte er jetzt Georgettens Wohnung zu erfragen, aber die Auskunft, die er darüber erhielt, machte ihn wieder irre, denn diese lautete dahin, daß Madame Georgette, die neue berühmte Kunstreiterin, in Royazets eigener Wohnung abgestiegen sei und ein Quartier bezogen habe, und der Mann, der ihm diese Auskunft gab, setzte aus freien Stücken hinzu, es hieße in der Stadt, Monsieur Royazet habe selber geäußert, die Dame sei seine ihm bestimmte Braut. Wer dann hatte Georginen entführt? Royazet selber? Die Beschreibung des jungen Mannes, die der alte Forstwart gab, paßte nicht dazu, auch sollte Royazet, wie er hier leicht erfragen konnte, Altona die letzte ganze Woche mit keinem Schritt verlassen haben.

Die Unruhe, hierüber Gewißheit zu erhalten, peinigte ihn zuletzt so, daß er beschloß, über Tag auf gut Glück hin die Stadt zu durchstreifen, vielleicht hier zufällig dem Entführer zu begegnen und ihn dann zu zwingen, ihm Rechenschaft zu geben.

Einmal schoß ihm der Gedanke durchs Hirn, Royazet selber aufzusuchen und von ihm sein Kind, wenn nicht im guten, mit Gewalt zurückzufordern; aber standen sie hier nicht unter dänischem Gesetz, und war Frau wie Kind nicht mit Leichtigkeit außer seinem Bereich gebracht, wenn er den langsamen Gang der Gesetze hätte zu Hilfe rufen wollen? Royazet war außerdem sein Feind, noch von früherer Zeit her, und auf einen Beistand von seiner Seite nicht zu rechnen – und doch blieb das seine letzte Hoffnung, wenn alles andere fehlschlug.

Heute abend wollte er selber den Zirkus besuchen – unkenntlich machte er sich leicht auf nicht auffällige Weise durch einen breiträndigen Hut, eine Brille und einen um das Kinn gelegten Schal, und dort konnte er mit eigenen Augen sehen, wie weit seine Befürchtungen gerechtfertigt seien. Bis dahin litt es ihn aber nicht, die Zeit ruhig und geduldig abzuwarten, sein Blut kochte und wallte in den Adern, und Straße auf und ab – nur die unmittelbare Nähe des Zirkus ängstlich meidend – zog er mit seinem auf dem ungewohnten Steinpflaster schon lange müde gewordenen alten Begleiter her und hin, sich selber nicht einmal ganz klar dabei, was er mit dem Entführer anfangen solle, wenn er ihn wirklich träfe.

Aber auch diese Suche mußte er endlich als durchaus hoffnungslos aufgeben, denn Barthold leistete ihm darin nicht einmal die Dienste, die er von ihm erwartet hatte. Durch die ganz ähnliche Kleidung so vieler Tausende nämlich fortwährend getäuscht, hielt er bald den, bald jenen für den Gesuchten, und brachte Georg dadurch ein paarmal so in Verlegenheit, daß er froh war, durch irgend eine Entschuldigung von fälschlich angeredeten Personen wegzukommen.

Sein Quartier hatte er in Hamburg bezogen und dort sein Pferd eingestellt, und dahin begab er sich endlich wieder mit dem Forstwart, den einbrechenden Abend und die Stunde der angekündigten Vorstellung abzuwarten.

Der Abend kam, und Georg, in einen alten Mantel gehüllt, nahm für sich und den Forstwart zwei Sitze auf dem dritten Platz, um dort keinerlei Gefahr ausgesetzt zu sein, erkannt zu werden. Und mit welchen Gefühlen wohnte er dem Beginn dieser Vorstellung bei – mit welcher furchtbaren Pein war er Zeuge ihres weiteren Verfolges.

Barthold hatte im Anfang die Zuschauer genau mustern müssen, ob er den Fremden aus dem Walde hier wiedererkenne, aber ohne Erfolg. So sicher er geglaubt, sich auf sein Auge verlassen zu können, so verwirrt sah er sich hier in dieser neuen, ihm völlig fremden Welt, mit tausend Gesichtern um sich her, die, alle in einer Kleidung steckend, auch für ihn alle den einen Stempel in Ausdruck und Form zu tragen schienen. Er konnte den, den er suchte, nirgends finden. Sowie aber die Vorstellung begann, wurde Georgs Aufmerksamkeit vollständig auf diese gelenkt – er hatte alles andere in dem einen Gefühl vergessen, sein Kind wiederzusehen – seine Josefine, und eine unsagbare Pein schoß ihm durchs Herz, als er sich dachte, wie.

Und die Musik begann. Der Possenreißer erschien, mit seinen eklen Gliederverrenkungen die Zuschauer zu belustigen, und Barthold hätte ein Jahr dasitzen können, ehe er in der buntbemalten, aus lauter Gelenken bestehenden Gestalt mit ihren widernatürlichen Bewegungen den sonst so steifen, ernsten »Schwiegervater vom Gute« wiedererkannt hätte. Georg wandte sich in Ekel von ihm ab. Jetzt schmetterten die Trompeten, jetzt wichen die Menschen in dem schmalen Eingange zurück – einige dänische Offiziere und andere Kavaliere, die sich dorthin, der Damen des Zirkus wegen, postiert hatten – und herein auf ihrem eigenen Pferde, in Licht und Glanz strahlend, das Antlitz ordentlich in Freude und Triumph, in wilder, ungebändigter Siegeslust leuchtend, flog – Georgine.

Und sie war schön, diese Königin der Amazonen, schön wie das flammende Meteor, das seinen Glutenstreifen pfeilschnell durch den dunklen Himmel zieht; schön wie das zuckende Nordlicht, das mit seinen Feuerstrahlen die kalte Winternacht erhellt. Ihre Augen flammten, ihre ganze Gestalt hob sich, und wie das Publikum erst in staunender Bewunderung diese plötzlich auftauchende, leuchtende Erscheinung angestarrt, so brach plötzlich das Eis, das es bis dahin wie gebannt gehalten, und donnernder, nicht endender Applaus grüßte sie beim ersten Betreten ihrer neuen Laufbahn wieder.

Dieser Beifallssturm schien den Körper des wirklich wunderschönen Weibes ordentlich zu durchzucken, schien ihn emporzutragen mit sich selbst. Kaum berührten ihre Fußspitzen den Sattel, über dem sie mehr schwebte, als daß sie auf ihm stand, und während höhere, fast glühende Röte ihr Antlitz färbte und ihre Augen leuchteten, während die Locken im scharfen Luftzuge flatterten, und das Pferd selber, das sie trug, einen Teil der Begeisterung mit zu fühlen schien, brach sich der stürmische Applaus, wie das regelmäßige Branden einer See, immer wieder und wieder Bahn und übertäubte selbst die schmetternde Musik. Barthold hatte sie erkannt – gleich auf den ersten Blick, denn diese Züge, einmal gesehen, waren nicht so leicht wieder vergessen. Er blickte auf Georg schüchtern und erstaunt von der Seite an. Dessen totenbleiches Antlitz verriet aber nur zu deutlich, was in ihm vorging, und er wagte nicht, ihn auch nur mit einem Laut, mit einer Bewegung zu stören.

Die Tour war vorüber – wieder und wieder mit tobendem Beifallsjauchzen gerufen, zog sich die schöne Reiterin zurück, und ein paar der Klowns zeigten jetzt ihre Künste.

»Mademoiselle Georgette!« verkündete der Mann in hohen Reitstiefeln und mit einer langen Peitsche in der Hand, der mitten in der Arena stand, den neuen Namen, indem er seine Waffe demonstrierend und mit einer Verbeugung gegen den Eingang neigte.

Georgs Blut stockte; die Lichter flimmerten ihm vor den Augen, der ganze Zirkus drehte sich mit ihm, und krampfhaft faßte er seines Nachbars Arm, sich an diesen zu halten. Aber die Schwäche, die ihn überkam, dauerte kaum länger, als sie gebraucht hatte, ihn zu bewältigen. Er war wieder er selbst, und sah jetzt, wie sein Kind geschmückt und aufgeputzt auf einem kleinen muntern Pony in die Arena sprengte und den Rundlauf begann. Wenn es aber auch das Publikum täuschte, dem Vaterauge konnte die stark aufgetragene Schminke das veränderte Aussehen des Kindes nicht verbergen.

Josefine sah leidend aus; ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und statt des fröhlichen Lächelns, das sonst in solchen Augenblicken ihre Züge belebte, trugen sie das deutlich auffallende Gepräge von Angst und Zaghaftigkeit. Ihr Blick flog nicht frei umher, sondern haftete an der Mähne des Pferdes, und sie schien sich erst in etwas zu sammeln, als sie den Zirkus einigemal umritten hatte.

Das Publikum verhielt sich dabei still. Die kurz vorher bewunderte glänzende Erscheinung der Mutter hatte es zum Teil verwöhnt, zum Teil empfand es aber auch wohl die unverkennbare Angst des Kindes mit und fühlte sich unbehaglich dabei. Die Musik wurde lebendiger, der Takt schneller, das Pferd, gewohnt, den Lauten zu gehorchen, flog rascher mit seiner kleinen Reiterin dahin, und während Josefine die früheren Stellungen und Bewegungen auf dem dahinschnaubenden Tiere auszuführen versuchte, erkannte Georg mit peinlichem Schmerz die Angst und Unsicherheit, in der sie sich befand.

Da trat neben Royazet Georgine in den Gang, zwischen die Schar der dort eingedrängten Zuschauer, und wie das Kind vorbeipassierte, rief sie ihm einige Worte der Ermunterung zu. Die Aufmerksamkeit der Kleinen wurde aber dadurch von ihrem Pferde abgelenkt, und gerade, als sie Georg wieder gegenüber kam, verlor sie das Gleichgewicht und mußte, um nicht zu stürzen, vom Pferde springen.

Im Publikum herrschte eine Totenstille, nur auf dem dritten Rang lachte eine Anzahl trunkener Matrosen, und einer schrie in seinem Plattdeutsch: »Nehmt doch de Deern weg, die kann ja nicht hopsen! Einer von den Hanswursten soll hereinkommen!«

Ein Teil lachte; Josefine aber hatte im Nu wieder das Pferd am Zügel; der Bereiter sprang hinzu, ihr zu helfen, das geduldige Tier stand, und von neuem umflog sie den Zirkus. Da wurden Reifen und Girlanden herbeigebracht, über und durch die sie springen sollte. Georgine stand noch immer im Eingange, mit keiner Ahnung, wie nah ihr Gatte sei – Josefine machte, als sie an ihr vorüber flog, eine bittende Bewegung und zeigte auf die Reifen, daß diese entfernt werden sollten. Wie sie vorüber kam, schüttelte Georgine mit dem Kopfe und lächelte dazu.

Einige der Klowns sprangen jetzt mit anderen dazu angestellten Dienern auf den Rand der vorderen Galerie, um die Reifen auszuhalten und dem Kinde das Springen durch Auf- und Niederheben so viel als möglich zu erleichtern. Josefine aber gab, obgleich das Pferd schon drei- oder viermal die Runde darunter durchgemacht hatte, noch immer nicht das Zeichen, daß sie bereit zum Voltigieren sei. Da endlich wurde das Publikum ungeduldig; es wünschte diesen »Schulübungen«, wie einige meinten, ein Ende gemacht zu sehen, und Georgine, dadurch gereizt, gab den Leuten einen Wink, die Reifen auszuhalten.

»Spring!« rief sie dabei der Tochter zu, »du hast es ja tausendmal getan!«

Der Klown, der den ersten Reifen hielt, zog ihn nochmals zurück, denn er sah, daß Josefine nicht fertig wurde – den zweiten mußte sie aber beachten und kam glücklich hindurch, ebenso durch den dritten. Das Publikum applaudierte, froh, dem jungen Mädchen einigen Mut machen zu können. – Wieder wurden einige Reifen aus ihrem Bereich gehoben, denn das Kind hatte aufs neue einen Fehltritt auf dem Sattel gemacht; aber sie gewann das Gleichgewicht wieder, stand fest, bog sich zum Sprunge wieder und flog hindurch.

War es nun Ungeschicklichkeit des Haltenden oder ihre eigene Schuld, es ließ sich das nicht in der Schnelle, mit der das Ganze vorwärts ging, bestimmen. Josefine blieb aber mit dem Fuße an dem Reifen hängen – der Klown ließ ihn los, um sie nicht vom Pferde zu reißen; doch ehe sie wieder festen Fuß fassen konnte, schnellte der elastische Reifen zwischen sie und den Sattel, und seitwärts abgedrückt, stürzte sie nach außen auf den Rand der Balustrade.

Wohl streckten sich eine Menge Arme nach ihr aus, ihren Fall zu brechen. Josefine selber war aber auch gewandt genug, die größte Gefahr schon selber zu vermeiden. Den fremden Armen dabei scheu entgleitend, sprang sie in die Arena zurück, neigte sich beschämt gegen die lautlos zu ihr niederschauenden Menschen und verschwand dann, an ihrer Mutter vorüber, in den Gang.

Unmöglich wäre es, die Gefühle zu schildern, die bei dieser Szene Georgs Herz zerschnitten, und einmal drängte es ihn schon, durch die Zuschauer hin in den Zirkus zu springen, sein Kind aufzugreifen und mit ihm zu entfliehen. Er mochte auch eine Bewegung dahin gemacht haben, denn Barthold hielt ihn plötzlich erschreckt am Arme fest. Er selber fühlte auch das Wahnsinnige eines solchen Unternehmens, hier in dem fremden Lande aus der Mitte der in Royazets Diensten stehenden Leute, in Gegenwart Georginens, die ihn augenblicklich erkannt hätte, etwas derartiges zu versuchen. Es hätte seine letzte Hoffnung vernichten müssen. Aber er vermochte auch nicht länger diesen Anblick zu ertragen, und Bartholds Arm fassend, zog er ihn mit sich fort, hinaus ins Freie.

Der alte Forstwart folgte willenlos, obgleich das alles so viel Reiz und Zauber für ihn hatte, daß er wohl noch gern eine Weile länger dageblieben wäre. So verdutzt war er aber auch zugleich über das prachtvolle Erscheinen seiner früheren Herrin und ihrer Tochter – der gnädigen Frau Baronin mit der kleinen Josefine – und so wenig konnte er sich in seinem schlichten Verstand das Ganze zusammenreimen, daß ihm selber vom vielen Denken wirr im Kopfe wurde. Er legte das freilich der furchtbar lärmenden Musik zur Last, von der sie gar nicht weit gestanden hatten, und seine Ohren gellten ihm noch, als sie schon eine Strecke die dunkle Straße entlang geschritten waren.

Unterwegs wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt. Stumm und schweigend schritten die beiden Männer nebeneinander her, drängten sich durch das Gewühl am Hamburger Berge, kreuzten die stillere Promenade, die Hamburg und Altona voneinander scheidet, und wanderten dann noch eine Strecke durch enge Straßen mit »baumhohen« Häusern, wie der Forstwart bei sich dachte.

Barthold, so gut er im Walde draußen zu Hause war, so völlig aus seiner Sphäre fühlte er sich hier, und wenn er sich dort etwas auf seine Ortskenntnisse zugute tat, mußte er sich hier gestehen, daß er wie ein Kind von der Führung seines Begleiters abhängig sei. Eine Straße glich ihm vollständig der andern, und bogen sie jetzt rechts und dann links ab, so hätte er zehn gegen eins wetten wollen, daß sie genau denselben Weg zurück machten, den sie gekommen wären. Sehnsüchtig bemerkte er indessen auf ihrem Wege eine Menge hell erleuchteter Fleischläden und Bäckerstände, und drehte ein paarmal verlangend den Kopf danach um. Es war auch kein Wunder; Georg in seiner Aufregung hatte den Tag noch keinen Bissen über seine Lippen gebracht, und dabei ganz vergessen, daß der Alte keineswegs geistig so bewegt sei, um seinen Hunger ebenfalls darüber zu vergessen.

So vertieft Georg aber auch in seine eigenen schmerzlichen Gedanken sein mochte, so entging ihm doch nicht das zeitweilige Zögern des Alten an solchen Stellen, und er sagte endlich, als sie wieder einmal einen ähnlichen Ort passiert hatten, ohne anzuhalten: »Ihr seid wohl hungrig, Barthold?«

»Hm – da einmal gerade die Rede davon ist,« meinte der Alte, »so hätte ich allerdings nichts dagegen, wenn ich mir ein Stück Brot und Fleisch kaufen könnte. In der Eile aber, in der wir daheim fortgingen, habe ich ganz vergessen, auch nur einen einzelnen Schilling einzustecken.«

»Armer Barthold!« sagte Georg gerührt, »habe ich Euch doch ganz vergessen! Aber wartet nur noch wenige Minuten; wir haben gleich unser Ziel erreicht, und dort wollen wir alle beide ordentlich essen. Wir haben es alle beide nötig, denn wir brauchen Kräfte für den morgenden Tag.«

»O, ich kann's schon eine Weile aushalten, wenn's sein muß – nur – da wir hier so bequem vorüber gingen, dachte ich...«

»Wir haben es dort noch bequemer. Seht Ihr den von vielen Laternen beleuchteten Platz, auf den wir zugehen? Dort sind wir jetzt zu Hause. Hättet Ihr selber dahin den Weg gefunden?«

»Im Leben nicht – ich weiß auch nicht – hier zwischen den hohen Häusern wird es mir so schwül und eng. Ich komme mir vor wie ein Vogel im Bauer, und wenn ich hier bleiben müßte – ich glaube, ich stürbe in der ersten Woche vor Sehnsucht nach einem Baume.«

»Aber wir haben heute Bäume genug gesehen.«

»Ja, leider Gottes,« seufzte der alte Mann, »und die armen Dinger haben mich auch genug gedauert. In Reihen aufgepflanzt, stehen sie wie die Soldaten, dürfen keinen Zweig über die Linie hinausstrecken, wenn ihnen nicht das widerspenstige Glied weggeschnitten werden soll, und statt der freien Himmelsluft, die gern von oben zu ihnen möchte, aber nicht kann, bekommen sie Steinkohlenqualm und allen möglichen andern Dunst und Stank zu atmen. Und nun erst so ein armer Baum mit einer flammenden Laterne neben sich, wie muß dem zu Mute sein! wie elend, wie gedrückt muß er sich fühlen! Die Bäume verlangen in der Nacht so gut ihre Ruhe wie der Mensch und das Tier, und kann so ein Baum schlafen, wenn ihm die neugierigen Flammen fortwährend zwischen die Aeste hinein leuchten und Wagengerassel und Menschenstimmen ununterbrochen das Rauschen seiner Wipfel übertäuben? – Es ist nichts mit den Bäumen in einer Stadt, und wie ein Reh kein Reh mehr bleibt, wenn man's in einen Kasten mit Gitterstäben steckt und notdürftig füttert, um das arme Ding am Leben zu erhalten, so sind meiner Meinung nach das hier, was wir heute gesehen haben, auch keine Bäume mehr, sondern nur grüne Verzierungen, die sich das Menschenvolk dort aufgestellt. Ich kann mir auch nicht denken, daß ein solcher Baum imstande ist zu wachsen – es ist gegen die Natur, und sein Laub wird im Sommer auch dürftig und staubbedeckt genug sein. Was ist da solch eine ganze Allee gegen einen einzigen Baum im freien, schönen Walde? – gegen meine alte Eiche?«

Der Alte hätte noch ruhig eine Weile so fortgeschwatzt, obgleich Georg, mit seinen Gedanken schon wieder weit zurück, nicht einmal die Worte hörte, die er sprach; aber sie erreichten jetzt den freien Platz, auf dem ihr Hotel lag, und Georg bog links danach ein, und betrat gleich darauf mit dem Forstwart die unten gelegene Restauration. Fühlte er doch selber das Bedürfnis, den abgespannten Körper auszuruhen und zu stärken, und Barthold war ordentlich heißhungrig nach irgend etwas Genießbarem geworden.

Der große Saal war noch schwach besetzt, füllte sich aber bald mit nach und nach eintreffenden Gästen, und Georg nahm an einem kleinen Tische Platz, bestellte bei einem rasch herbeispringenden Kellner ein kompaktes Abendbrot für sie beide und hing indessen seinen eigenen trüben Gedanken nach.

Barthold wußte sich besser zu beschäftigen und nahm einstweilen das vor ihn hingelegte Rundstück oder Brot in Angriff, dem knurrenden Magen nur wenigstens etwas zu bieten. Dann betrachtete er staunend das geräumige, prachtvoll eingerichtete Lokal, das seinem Begriff von einer »Stube« auch nicht im entferntesten entsprach. Das ganze Forsthaus daheim war nicht einmal so groß und geräumig, und auf dem Gute selber nicht die Hälfte der Pracht an Hausgerät, Tapeten und Beleuchtung. Was für ein schmähliches Geld mußte das alles kosten, und wie reich, steinreich mußte der Mann sein, dem das gehörte! Dann interessierten ihn auch die fremden Holzarten, die er hier sah, und er würde diese näher untersucht haben, wäre nicht in dem Augenblick das Essen gekommen. O, wie süß das duftete! und der alte Forstwart hatte im Nu alles andere darüber vergessen.

Der Saal füllte sich indessen mehr und mehr, und dem alten Forstwart wollte nur das nicht dabei gefallen, daß keiner den andern grüßte und Leute sich manchmal dicht neben andere hinsetzten, ohne auch nur so viel wie »guten Abend« zu sagen. Georg hatte eine Flasche Wein bringen lassen und schenkte dem Alten ein – und wie vortrefflich schmeckte das! – er trank ein Glas nach dem andern. Mehr und mehr Menschen kamen und besetzten die nächsten Tische. Barthold unterließ dann nie, zu grüßen, erhielt aber kaum ein Kopfnicken als Antwort – nicht einmal die Hüte setzten die groben Menschen ab! Das Essen schmeckte ihm aber trotzdem, und Georg war lange damit fertig, als er noch immer fleißig Messer und Gabel handhabte. Mehr und mehr Gäste kamen herein; an dem nämlichen Tische, an dem Georg und der alte Forstwart saßen, hatten schon neben ihnen vier oder fünf andere Gäste Platz genommen; Georg sah sie gar nicht; vor seinen Augen schwebte nur die unglückliche bleiche Gestalt des Kindes, das, seiner Heimat entrissen, mit einer solchen Mutter in das wilde Leben hinaus geschleudert worden war, und Plan nach Plan baute er auf, wie er sich ihm nahen, wie er es retten solle.

Der alte Forstwart trat ihn auf den Fuß; er litt es, bis es ihn schmerzte, dann zog er den Fuß zurück, ohne weiter darauf zu achten. Barthold aber fühlte unter dem Tische vorsichtig weiter nach dem ihm entzogenen Gliede, und wieder fühlte Georg die schwere Sohle des Alten auf seinen Zehen. Erstaunt sah er zu ihm auf und bemerkte jetzt erst, daß der Alte, über seinen Teller gebeugt und auf der Gabel ein großes Stück Beefsteak, ihm einen bedeutungsvollen Blick zuwarf und dann seitwärts nach einem jungen Manne schielte, der, den Hut auf dem Kopfe, eine viereckige Lorgnette ins Auge gekniffen, im Stuhle zurückgebeugt, dicht neben Barthold saß und die Weinkarte musterte. Georg wußte im ersten Augenblick nicht, was der Alte wollte, daß dieser aber irgend eine überraschende Entdeckung gemacht haben mußte, ließ sich nicht verkennen. Dem Blick folgend, den er noch immer von ihm selber auf den Fremden fallen ließ, schoß da plötzlich der Verdacht in ihm auf, ob das vielleicht der Fremde sei, den er den ganzen Tag gesucht und der ihm also zufällig hier in den Weg gelaufen. Eine Verständigung mit Barthold war aber an dem Tische selbst nicht möglich; er stand deshalb auf, gab dem Forstwart ein leises Zeichen, ihm zu folgen, und ging nach der andern Seite des Saales hinüber. Barthold verstand im Augenblick, was er wollte – blieb noch eine kurze Zeit sitzen und stand dann ebenfalls auf.

Der Fremde sah ihn über die Weinkarte an und rückte seine Lorgnette schärfer ins Auge; der Alte aber drehte sich langsam von ihm ab und stand wenige Sekunden später neben Georg.

»Was habt Ihr, Barthold?«

»Das ist er!« flüsterte der Forstwart rasch zurück.

»Wer? – der Fremde von Schildheim?« »Derselbe, den ich an der Eiche getroffen habe, und der dann am nächsten Tage mit in den Schlitten gestiegen ist.«

»Seid Ihr dessen ganz gewiß? – Ihr habt Euch heute so oft geirrt.«

»Alles, was ich gegessen habe, soll mir zu Gift werden, wenn das nicht der Rechte ist,« versicherte Barthold. »In dem irre ich mich aber nicht; das Gesicht ist nicht zu vergessen, und überdies hat er mich auch wiedererkannt.«

»Ihr glaubt wirklich?«

»Wenigstens ist ihm mein Gesicht bekannt vorgekommen, denn er hat mich ein paarmal durch sein viereckiges Glas, das er sich vors Auge klebte, betrachtet. Sehen Sie, Herr Baron, er dreht auch jetzt den Kopf wieder nach mir um. Das ist der Bursche, und ein schlechtes Gewissen hat er obendrein.«

Der alte Barthold hatte sich dieses Mal nicht geirrt; es war in der Tat Baron von Silberglanz, der, in der verdrießlichsten Laune von der Welt, dort am Tische saß und die Weinkarte musterte. Daß er allerdings dem, welchem er von allen am letzten zu begegnen wünschte, so unverhofft ins Garn gelaufen war, ahnte er noch nicht; des alten Forstwarts Gesicht und Kleidung war ihm aber in der Tat aufgefallen. Er mußte das Gesicht in letzterer Zeit irgendwo gesehen haben; das weiße Haar besonders machte ihn stutzig – doch wo? Er besann sich darauf, konnte aber nicht gleich die richtige Umgebung für ihn finden. Jetzt stand der andere Fremde auf, der mit am Tische saß – auch dessen Gesicht war ihm bekannt – jetzt folgte ihm der alte Jäger, und die beiden sprachen da hinten miteinander – er sah sich nach ihnen um und begegnete ihren auf ihm haftenden Blicken. Sie sprachen von ihm, und im Nu, während ihm das Lorgnon aus dem Auge fiel und sein Blut zum Herzen zurückfloh, kam ihm die Erinnerung an alle beide – kam ihm das Bewußtsein der Gefahr, in der er sich befand.

Das war der alte Jäger aus dem Walde bei Schildheim – der andere Monsieur Bertrand – der Baron von Geyfeln – wo um Gottes willen hatte er seine Augen gehabt, daß er ihn nicht gleich erkannte? Und rasch die Weinkarte hinlegend, dachte er jetzt nur daran, sich so rasch als irgend möglich zu entfernen, etwaigen unangenehmen Erörterungen am liebsten aus dem Wege zu gehen. Ein flüchtiger Blick dort hinüber überzeugte ihn auch rasch, daß er sich keineswegs geirrt. Georg, als er sah, daß er aufstand, bewegte sich durch die, dort für ihn glücklicherweise gedrängt sitzenden Gäste der Tür zu, jedenfalls in der Absicht, ihm den Weg abzuschneiden. Wenn er diese vorher erreichen konnte – sein Paletot hing dicht daneben – so war er sicher. Baron von Silberglanz dachte in der Tat in dem Augenblick gar nicht daran, daß er »Kavalier« sei, was er sonst selten vergaß. Sein einziger Gedanke war »Flucht«, und während er sich so wenig auffällig als möglich Bahn durch Kellner und Gäste machte, murmelte er leise und ängstlich vor sich hin: »O ja – weiter fehlte jetzt gar nichts mehr, um der ganzen Geschichte noch die Krone aufzusetzen – weiter gar nichts! Daß mich der Teufel auch plagen muß, gerade noch heute, den letzten Abend, diesem verzweifelten Menschen in den Weg...« Er streckte den Arm nach dem neben ihm hängenden Paletot aus; mit der Linken hatte er schon die Türklinke gefaßt, als er eine Hand auf seinem Arme fühlte und eine ruhige, tiefe Stimme an seiner Seite sagte: »Auf ein Wort, mein Herr.«

»Ja – bitte recht sehr – guten Abend,« erwiderte Herr Silberglanz rasch und verlegen.

»Bitte, Barthold, holt mir doch einmal meinen Hut dort – vom Tische da drüben. Ich stehe gleich zu Ihren Diensten.«

»Ich muß um Verzeihung bitten – ich bin in großer Eile.«

»Sie haben Zeit,« erwiderte Georg ruhig, »überhaupt ist es besser, daß das, was wir miteinander abzumachen haben, mit so wenig Aufsehen als möglich geschieht.«

»Ich begreife nicht, mein Herr – Sie irren sich wahrscheinlich in der Person. Ich bin Baron von Seltendorf.«

»Ich kenne Ihren Namen gar nicht,« erwiderte vollkommen gleichgültig Georg. »Der Name tut auch hier nichts zur Sache, wo wir uns bloß an die Person zu halten haben. – Ich danke, Barthold. Wartet hier, bis ich wieder zurückkomme.«

»Aber was wünschen Sie?«

»Da Sie so in Eile sind, werde ich Sie ein Stück begleiten. Was wir miteinander zu sprechen haben, bedarf überdies keiner Zeugen. Herr Baron, ich stehe zu Diensten.«

»Schön – sehr schön,« sagte von Silberglanz verlegen, indem er seinen Paletot anzog und sich in diesem Augenblick nach Paris oder London oder in irgend eine andere sehr entfernte Gegend wünschte. »Wenn es Ihnen denn gefällig ist...«

Georg machte eine auffordernde Bewegung für ihn, voranzugehen; von Silberglanz, sich jetzt mit einem tiefen Seufzer der Notwendigkeit fügend, gehorchte, und wenige Minuten später schritten die beiden Männer draußen am Bassin des Jungfernstiegs, von niemandem weiter gestört, dahin.

»Herr Baron,« brach Georg endlich das, für jenen schon drückend werdende Schweigen, »es ist zwischen uns beiden nicht weiter nötig, große Umschweife zu machen, und das beste wird sein, einfach und rasch zur Sache zu kommen. Ich weiß nicht, ob Sie mich kennen, obgleich ich es fast vermute.«

»Ich habe in der Tat nicht die Ehre...«

»Nun gut denn – ich bin derselbe Mann, den Sie früher unter dem Namen Georg Bertrand kennen lernten, und Madame Georgine, die Sie aus Schildheim mit ihrem Kinde entführten, ist meine Frau.«

»Mein Herr – ich gebe Ihnen mein Wort...«

»Halt! – Sie sind Kavalier,« unterbrach ihn Georg rasch, »bedenken Sie, was Sie sprechen, und verpfänden Sie Ihr Wort nicht an eine – Lüge.«

»Herr Baron...«

»Davon mehr nachher,« erwiderte Georg kalt. »Jetzt verlange ich Antwort – aufrichtige, unumwundene Antwort: Wo haben Sie mein Weib gelassen? – Wo befindet sie sich jetzt und – was war Ihre weitere Absicht mit ihr? – Glauben Sie dabei nicht, mich durch leere Ausflüchte, durch irgend ein Märchen zu täuschen. Ich will die Wahrheit von Ihnen, und wenn ich – doch genug,« brach er, sich gewaltsam fassend, in seiner Drohung kurz ab, »wir stehen hier nicht allein auf deutschem Boden, sondern Sie sind auch gezwungen, mir Genugtuung zu geben, und daß ich mir diese verschaffen werde, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Also beantworten Sie mir einfach und ehrlich meine Frage. Sie können Ihre Sache dadurch nicht verschlimmern, sondern nur verbessern. Wo ist Georgine und ihr Kind jetzt – in wessen Schutze?«

»Herr Baron,« sagte von Silberglanz, in dem Gedanken an ein Duell mit wirklich geladenen Pistolen innerlich erbebend, indem er zugleich einsah, daß alles weitere Leugnen fruchtlos sei, »ich – sehe vollkommen ein, daß Ihr Zorn gerechtfertigt ist – ich gestehe, daß ich gefehlt habe, und werde...«

»Davon später – bitte, kommen Sie zur Sache,« unterbrach ihn Georg kurz. »Wo wohnt Georgine – wo – wohnen Sie?«

»Lassen Sie mich ausreden,« bat von Silberglanz, der sich überdies zwingen mußte, seine Gedanken zusammen zu halten. »Sie haben das Recht, eine Erklärung zu fordern, und so weit, als ich sie Ihnen leisten kann, soll sie Ihnen werden. Für alles übrige muß ich Sie aber in der Tat bitten, sich an – Ihre Frau Gemahlin und – Herrn Royazet zu halten.«

»Royazet?« sagte Georg schnell, »so haben Sie für ihn...«

»Bitte, mißverstehen Sie mich nicht,« erwiderte von Silberglanz, schon bedeutend beruhigt, als ihm Georg weit kaltblütiger zu sein schien, als er ihn gefürchtet haben mochte. »Wollen Sie mich die ganze Sache einfach erzählen lassen, wie sie ist? Vielleicht finden Sie auch dann, daß ich weit weniger schuldig bin, als Sie jetzt zu glauben scheinen.«

»Reden Sie,« sagte Georg ruhig, »aber hoffen Sie nicht, mich zu täuschen.«

»Ich denke nicht daran,« erwiderte von Silberglanz, »um Ihnen aber einen klareren Ueberblick über alles zu geben, muß ich etwas weiter ausholen. Wollen Sie mich geduldig anhören?«

»Ja.«

»Ich wohne in ***. Ein Freund von mir hatte eine Reise in dieses Land gemacht, kam zurück und erzählte mir, daß er Sie und – Ihre Frau Gemahlin dort in stiller Einsamkeit gefunden.«

»Herr von Zühbig,« sagte Georg, während ein verächtliches Lächeln um seine festgeschlossenen Lippen zuckte.

»Erlauben Sie mir, daß ich nur dann Namen nenne, wenn es dringend nötig ist. Er sagte mir – jener Freund nämlich – daß sich Madame Ber – daß sich Frau Baronin von Geyfeln entsetzlich unglücklich fühle, und gab mir dabei deutlich zu verstehen, daß – daß ich – daß sie geäußert habe – ich – ich sei ein alter Freund von ihr – oder sie hege Zutrauen zu mir,« setzte er rascher hinzu, als er bemerkte, daß ihn Georg erstaunt ansah.

»Woher kennen Sie meine Frau?« fragte er ruhig.

»Ich – ich hatte das Vergnügen, sie in *** einigemal zu sehen.«

»Und Georgine hätte Ihrem Freunde zu verstehen gegeben, daß Sie ihr helfen sollten, aus ihrer unglücklichen Lage zu kommen?«

»Das war der Sinn.«

»Sonderbar! meine Frau hat mit Herrn von Zühbig keine drei Worte gesprochen, die ich nicht gehört hätte. Sie war nur beim Abendbrot gegenwärtig, und ich habe in der Zeit das Zimmer nicht verlassen. Ueberhaupt drehte sich das Gespräch, soviel ich mich erinnere, nur um ganz gleichgültige Dinge.«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Kavalier, daß ich nur unter dieser Voraussetzung gewagt habe, der Dame meine Dienste anzubieten.«

»Gut – fahren Sie fort; die Sache ist überhaupt unwesentlich und wir verlieren Zeit.«

»Ich konnte nicht denken,« fuhr Herr von Silberglanz fort, »daß mir Herr von – daß mir mein Freund eine Unwahrheit gesagt habe, denn als ich nach Schildheim kam und Sie zufällig verreist fand...«

»War das in der Tat zufällig?«

»Ich kann den höchsten Eid darauf ablegen – Sie zufällig verreist fand, bestätigte mir die Frau Baronin durch ihr ganzes Benehmen nicht allein, nein, auch deutlich in Worten, daß ich mich nicht geirrt, und bat mich, sie zu begleiten.«

»In der Tat?« flüsterte Georg leise zwischen den fest zusammengehaltenen Zähnen durch.

»Es änderte allerdings meinen ganzen Plan. Ich war auf einer Reise nach Paris begriffen.«

»Von *** über Schildheim?«

»Geschäfte hatten mich genötigt, den Umweg zu machen,« log von Silberglanz, »aber den Bitten einer Dame konnte ich keine Weigerung entgegenstellen.«

»Und Sie entführten Sie?«

»Will ich aufrichtig sein, Herr Baron,« versicherte der kleine Mann verlegen, »so – wurde ich von ihr entführt, denn die – gnädige Frau ordnete alles selber an, bestimmte Zeit und Ort, sorgte für Geschirr und alles, und ich – hatte eigentlich weiter nichts zu tun, als mitzufahren – ja, wenn ich alles zusammenrechne, so habe ich bis zu diesem Augenblick auch in Wirklichkeit nichts weiter getan, als daß ich eben mitgefahren bin, wobei mir die gnädige Frau als einzige Vergünstigung gestattete, die Passage zu zahlen.«

»Und das Kind?«

»Baron, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« rief Herr von Silberglanz rasch, »ich hatte keine Ahnung davon, daß uns das gnädige Fräulein begleiten sollte. Ja, ich war im höchsten Grade überrascht und be– und erstaunt darüber. Im Schlitten saß ich dabei hinten auf der Pritsche bei neun Grad Kälte; auf der Eisenbahn setzte sich Frau von Geyfeln mit ihrer Tochter in ein Damenkupee, wohin ich ihr nicht folgen durfte, und endlich in Altona angekommen...«

»Nun? fahren Sie fort.«

»In Altona angekommen,« sagte Herr von Silberglanz, und es war augenscheinlich, daß er über diesen Teil seiner Erzählung nicht gern mit der Sprache herausrückte, denn wenn es ihn auch in den Augen des Gatten entschuldigen mußte, so schien er sich doch »als Kavalier« der Rolle etwas zu schämen, die er dabei gespielt – aber er durfte nicht schweigen, und fuhr deshalb etwas verlegen fort: »in Altona angekommen, entließ mich Frau von Geyfeln mit freundlichem Dank und – quartierte sich ohne weiteres bei Monsieur Royazet ein, den sie jedenfalls schon von früher her kennen mußte.«

»Sie täuschen mich nicht?«

»Ich habe nicht den geringsten Grund dafür, irgend welche Rücksicht auf die Dame zu nehmen, da sie nicht die geringste auf mich genommen hat. Nach allem, was ich gesehen und erlebt, war ich nur ein Werkzeug, das sie benutzte, solange sie es brauchte, und es dann – beiseite warf. Sie werden es daher erklärt finden, mein bester Herr Baron, wenn ich es nicht für gerechtfertigt halten würde, daß Sie nach allem, was Sie jetzt gehört, und was, wie Sie mir fest glauben mögen, die reine, lautere Wahrheit ist, noch von mir Satisfaktion verlangen sollten. Ich würde dabei wahrhaftig auf das Unschuldigste von doppelten Ruten gepeitscht. Es ist mir außerdem schon sehr unangenehm, Ihnen das alles erzählen zu müssen, und ich tue es allein in der Ueberzeugung, Ihnen es einmal schuldig zu sein – und dann auch auf Ihre Diskretion rechnen zu können.«

Baron von Silberglanz würde sich noch weit mehr, als es schon der Fall war, gedemütigt gefühlt haben, hätte er den Ausdruck von Verachtung sehen können, den Georgs Züge annahmen. Schweigend schritt dieser eine Zeitlang neben ihm her, endlich sagte er, ohne auf die letzte Anrede ein Wort zu erwidern: »Folgte das Kind der Mutter willig?«

»Im Anfange, ja,« antwortete von Silberglanz rasch, denn er fand eine große Beruhigung darin, daß sein Begleiter auf etwas anderes übersprang; in der Frage lag überhaupt für ihn das geringste Kompromittierende, »das junge Fräulein schien zu glauben, daß die Reise nur eine gewöhnliche kurze Spazierfahrt sei.«

»Und nachher, als sie erfuhr, um was es sich handle?«

»Ich konnte nicht deutlich verstehen, was ihr die gnädige Frau sagte. Es war kurze Zeit vorher, ehe wir die Eisenbahnstation erreichten, und Sie werden sich erinnern, daß ich auf der Pritsche saß. Aber die Kleine weinte dann und bat die Mama, sie nicht mitzunehmen.«

»Das tat sie?«

»Ja, wahrhaftig! Ich erbot mich auch, als ich das bemerkte, die junge Dame sicher wieder nach Hause zurückbegleiten zu lassen, die gnädige Frau antwortete mir aber gar nicht auf den Vorschlag.«

»Und sind Sie später nicht mehr mit ihr zusammengetroffen? – Haben Sie verstanden, was ich Sie fragte?«

»Ich? – ja – vollkommen, sehr werter Herr. Ich – muß gestehen, ich suchte noch einige – wenigstens einmal wollte ich suchen, ihr zu nahen, was aber in ihrer Wohnung nicht möglich war. Die Leute dieses Monsieur Royazet sind ein außerordentlich rohes und ungebildetes Volk. Ich wußte mir dann heute morgen Zutritt zu einer der Proben zu verschaffen; aber auch ohne den geringsten glücklichen Erfolg. Frau von Geyfeln behandelte mich wie einen vollständig fremden Menschen.«

»Und Josefine?«

»Ihre Fräulein Tochter – ja – sie war auch in der Probe. Das arme Kind wollte erst nicht reiten – sie fürchtete sich jedenfalls und weinte, aber die gnädige Frau waren sehr böse, und es ging nachher recht gut, ja, ich kann wohl sagen, vortrefflich.«

»Und Ihre Absicht jetzt?«

»Meine Absicht? – Hamburg morgen früh mit dem Schnellzug wieder zu verlassen, um nach Paris zu gehen. Ich habe dort so dringende Geschäfte, daß ein versäumter Zug den Verlust eines Vermögens nach sich ziehen könnte,« rief von Silberglanz sehr rasch.

»Ich will Sie nicht aufhalten,« sagte Georg kalt. »Nach allem, was ich von Ihnen gehört habe – und ich glaube, daß Sie die Wahrheit sprechen, denn Ihr Hiersein bestätigt es schon, sind Sie genug mit der traurigen Rolle bestraft, die Sie gespielt haben. Aber, bitte, geben Sie mir Ihre Karte.«

»Meine Karte?« sagte von Silberglanz, der bei dem Anfang der Rede neue Hoffnung geschöpft hatte, erschreckt, »ich – ich bedaure sehr, ich habe gar keine bei mir.«

»Ich bitte Sie um Ihre Karte,« wiederholte Georg kalt und ruhig. »Sie werden mich nicht glauben machen wollen, daß eine Persönlichkeit wie Sie auch nur einen Schritt aus dem Hause ohne Karte gehe. Ich werde Sie dieser Sache wegen, wenn sich in der Tat alles so verhält, wie Sie sagen – nicht weiter belästigen. Verhält es sich aber nicht so, dann müßte ich doch suchen, näher mit Ihnen bekannt zu werden. Ich bitte um Ihre Karte oder ich begleite Sie bis in Ihre Wohnung.«

»Ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich mein Etui eingesteckt habe,« sagte von Silberglanz in äußerster Verlegenheit. »Sie können sich fest darauf verlassen, daß ich Ihnen kein falsches Wort gesagt habe.«

»Bitte, sehen Sie nach...«

Der Baron fand, daß er den Mann nicht los wurde, ohne ihm zu willfahren. Flucht war unmöglich – der gewandte Kunstreiter hätte ihn in wenigen Sätzen eingeholt. Er blieb stehen und suchte erst eine Zeitlang in allen den Taschen, in denen er genau wußte, daß das Etui nicht stak.

»Wenn ich Ihnen nun vielleicht meinen Namen aufschriebe,« bemerkte er dabei, als letzte Hoffnung auf Ausflucht.

»Ich muß und will Ihre Karte haben,« lautete die unerbittliche Antwort, und von Silberglanz brachte endlich das verlangte Etui zum Vorschein.

»Ah, wahrhaftig – da ist es doch – ich werde Ihnen gleich...«

»Bitte, erlauben Sie es mir,« sagte Georg ruhig, nahm ihm das Etui aus der Hand und wählte sich selber eine Karte aus, von der er überzeugt war, daß es keine fremde, erhaltene sei. Sie standen gerade unter einer der zahlreichen, hell brennenden Gasflammen, und er las den Namen laut:

Baron Hugo von Silberglanz,

»sagten Sie mir nicht vorhin, daß Sie Seltendorf hießen?«

»Ich?« wiederholte verlegen von Silberglanz, »wohl kaum – die Namen klingen so ähnlich – Sie haben sich vielleicht verhört.«

»Möglich – noch eins. Kann man leicht in Royazets Wohnung gelangen?«

»Es ist ganz unmöglich,« versicherte der Baron schnell. »Sie müßten denn vorher durch einen ganzen Saal seiner Bereiter und – Tänzer hindurch. Ihre Frau Gemahlin ist mit Fräulein Tochter in dem hintersten Teile der Wohnung einquartiert, und zwar drei Etagen hoch.«

»Es ist gut. – Herr Baron, wie Sie mir jetzt gegenüber stehen, fühlen Sie jedenfalls selbst am besten; es bedarf keiner weiteren Worte. Ich hatte anfangs im Sinne, Sie nicht so leicht zu entlassen, aber ich sehe, daß ich von Ihnen keine weitere Satisfaktion verlangen kann. Gehen Sie; das aber schwöre ich Ihnen zu, begegne ich Ihnen noch morgen, nach Abgang des ersten Zuges, hier in Hamburg oder in Altona, so befehlen Sie Ihre Seele Gott.«

»Wenn ich den Zug versäumte, würde ich einen Extrazug nehmen, von hier fortzukommen,« rief von Silberglanz rasch. »Ich bedaure unendlich, Ihnen in dieser bösen Sache...«

Georg drehte sich kalt von ihm ab und schritt die Straße wieder zurück, dem Hotel zu, den Baron sich selbst und seinen eigenen, nichts weniger als angenehmen Gefühlen überlassend.

28.

Am nächsten Morgen erhob sich Georg früh von seinem Lager, auf dem ihn der Schlaf die ganze lange Nacht geflohen hatte. Unzählige Pläne entwarf er dabei, aber nur um immer wieder zu fühlen, daß sie unausführbar wären, und keine Ruhe im Zimmer findend, kleidete er sich an, nach Altona zurückzugehen. Dort wollte er einen dänischen Advokaten als letzte Zuflucht aufsuchen, ihm den ganzen Fall erzählen und sehen, was er von ihm für Hilfe erhoffen durfte. Konnte der ihm nicht helfen, dann beschloß er, Gewalt zu brauchen. Wie das geschehen könne, wußte er freilich nicht, aber er vertraute auf sich und seine Kraft; für das übrige ließ er den Himmel sorgen. Den alten Forstwart konnte er jetzt natürlich nicht mehr gebrauchen. Er ließ ihn im Hotel zurück, schrieb ihm dessen Adresse genau auf und riet ihm dann, an den Hafen hinunter zu gehen und sich die Stadt anzusehen, bat ihn aber, um Mittag jedenfalls wieder zurück zu sein, da er nicht wüßte, was bis dahin vorfallen möchte. Dann ging er aus alter Gewohnheit zu dem Stalle, wo er sein Pferd stehen hatte, nach diesem zu sehen, ob es ordentliche Pflege habe, und darüber beruhigt, schritt er langsam und recht schweren Herzens nach Altona hinüber.

Es war noch früh, und obgleich er in Hamburg selber schon den besten und geschicktesten Advokaten Altonas erfragt, konnte er diesen doch noch nicht sehen. Der Herr hatte seine Sprechstunde von zehn bis zwölf Uhr – vorher nahm er niemanden an. Der Advokat wohnte ganz in der Nähe des Zirkus, und obgleich Georg nicht zu fürchten brauchte, zu so früher Stunde irgendwelchem von den Leuten zu begegnen, vermied er doch die allernächsten Restaurationen und ging in eine andere Straße, um in einem dortigen Café sein Frühstück zu nehmen und Zeitungen zu lesen, bis die anberaumte Stunde schlug. – Zeitungen zu lesen – lieber Gott! er überflog die Blätter; die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen, die Zeilen schwammen durcheinander, und er vergaß den Platz selbst, wo er saß. Nur eine Ankündigung fesselte wieder und wieder seinen Blick – die von Royazet, in der er dem Publikum verkündete, daß er nur noch drei Tage in Altona verweilen und unabänderlich am nächsten Montag die Stadt verlassen würde, um mit seiner Gesellschaft nach Petersburg zu gehen. – Nach Petersburg! – das Wort schon gab ihm einen Stich durchs Herz, und unruhig sprang er auf und trat ans Fenster. Aber dort gingen viele Menschen vorbei, von denen manche hereinsahen; fast unwillkürlich trat er wieder zurück und verbrachte die Zeit in einer Unruhe, die an fieberhafte Qual grenzte.

Und, o, wie langsam rückte der Zeiger vor – noch keine Zeit war ihm so lang geworden, wie diese wenigen Stunden, die er in dem Café verbrachte! Endlich war es zehn – noch fehlten Minuten daran, aber auch diese mußten ja endlich vergehen – und würde ihm der Rechtsgelehrte Trost und Hilfe geben? – Wenn nicht, so hilf dir selbst, flüsterte da der alte Trotz in ihm, und mit dem festen Entschlusse knüpfte er seinen Paletot bis oben hin zu, drückte seinen Hut in die Stirn und wollte eben, als die große Wanduhr die ersten Schläge der zehnten Stunde tat, das Zimmer verlassen, als draußen auf der Straße lustig schmetternde Musik erschallte und die Leute vor den Fenstern zusammenliefen.

»Was ist das?« fragte er, stehen bleibend, den Kellner, dem er eben seine Zeche bezahlt hatte und der ihm beim Anziehen seines Paletots behilflich gewesen war.

»O, bloß die Kunstreiter,« antwortete der junge Bursche, »sie halten ihren Umzug, weil heute wieder große Vorstellung ist.«

Georg schlug das Herz, als ob es ihm die Brust zersprengen wollte, aber er besaß Gewalt genug über sich, das den Fremden nicht merken zu lassen.

»So?« sagte er, während der Kellner die Augen schon draußen auf der Straße hatte, um nichts von dem Schauspiel zu versäumen, »dann werde ich mir das erst von hier mit ansehen. Ziehen sie lange herum?«

»Eine oder zwei Stunden manchmal, bis sie durch die ganze Stadt sind.«

»Und kommen sie nachher hier noch einmal vorbei?«

»Nein, zurück kommen sie durch die andere Straße da drüben, damit sie sich soviel wie möglich überall zeigen. Sehen Sie, das da vorn ist die neue Dame, die gestern zum erstenmal geritten ist – die kann's! Royazet wird sie heiraten. Sie soll ihrem Manne davongelaufen sein, nur um hierherzukommen.«

Georg fühlte, wie alles Blut sein Angesicht verlassen hatte; die Aufmerksamkeit des Kellners wie aller im Zimmer befindlichen Gäste war aber in diesem Augenblick einzig und allein auf die Straße gerichtet, und Georg trat zu einem der Seitenfenster. Vor diesem stand ein grünes Drahtgitter, so daß man wohl hinaussehen konnte, aber von draußen völlig unbemerkt blieb, und vor ihm vorbei, kaum zwanzig Schritt entfernt, bewegte sich der ganze Zug. Voran ritt die Musik, wie immer aufgeputzt in grellen Uniformen mit buntgefärbten Federbüschen und riesigen Epauletten; hinter dieser, die einen lustigen Reitermarsch spielte, kam der Herr des Zuges, der berühmte Royazet, und an seiner Seite, siegesstrahlend und Glück und Triumph in den hellen Zügen – ritt sein Weib. – Aber er sah sie kaum – nur einen flüchtigen Blick warf er auf die Treulose, von der er sein Herz schon lange losgerissen. Sein Blick suchte das Kind, sein armes, geraubtes Kind, und als er es nicht mit unter den ersten des Zuges fand, durchzuckte ihn ein plötzlicher Strahl von Hoffnung. War sie zu Hause geblieben – befand sie sich nicht beim Zuge, dann war es möglich, in dieser Zeit unbemerkt, wenigstens ungehindert, zu ihr zu gelangen, und während der Zug... Auch dieser Plan fiel, kaum aufgebaut, zu Trümmern – dort ritt sie – seine liebe, liebe Josefine, sein Kind, an dem sein Herz mit allen Fasern blutend hing – dort, aufgeputzt mit buntem Flittertand, der ihm nie so schal, so entsetzlich vorgekommen war, wie eben jetzt – die bleichen Wangen geschminkt, die Augen niedergeschlagen – eine gebrochene, halbwelke Blume, mit Farbe übermalt. Das andere kleine Mädchen an ihrer Seite lachte und sprach mit ihr, aber sie antwortete ihm nicht; ihr Auge hing an der Mähne des Ponys, den sie ritt – ihre Gedanken waren weit, weit fort von hier.

Mit Georg war plötzlich eine wunderbare Veränderung vorgegangen. Sein Auge haftete wohl noch auf dem Zuge, aber er sah ihn nicht mehr; sah nicht die faden Späße, die der wie früher dahinterher reitende Klown, der alte Mühler, mit der Stadtjugend trieb, sah nicht das Volk, das lärmend, schreiend, vorbeidrängte. Er blieb still und regungslos am Fenster stehen, bis die letzten Reiter vorüber waren und sich die Zuschauer wieder dahinter schlossen. Dann drehte er sich langsam um, verließ das Lokal und schritt auf die Straße hinaus, wo er stehen blieb und sich umsah. Eine zweispännige Droschke kam eben den Weg langsam daher gefahren. Er winkte, und der Kutscher hielt neben ihm.

»Nach Hamburg – Hotel de l'Europe.«

»Sehr wohl.«

»Du bekommst doppeltes Fahrgeld, wenn du mich so rasch dahin bringst, wie deine Pferde laufen können.«

»Soll ein Wort sein,« sagte der Mann vergnügt. Georg stieg ein, und fort rasselte der Wagen über das Pflaster. Die Pferde liefen vortrefflich, und in verhältnismäßig kurzer Zeit hatten sie den bestimmten Platz erreicht.

Georg, der schon vorher dem Kutscher das Fahrgeld gegeben, sprang aus dem Wagen und stand wenige Sekunden später im Stalle neben seinem Rappen.

»Den Sattel – den Zaum!« war alles, was er sagte, als einer der Leute dienstfertig herbeisprang, ihm zu helfen. Er nahm das Geschirr aber nur aus seiner Hand und legte es selber dem Pferde an. Er selber schnallte auch den Gurt und befahl dann, als er alles in Ordnung wußte, dem Knecht, das Pferd vor das Haus zu führen.

»Wollen Herr Baron ausreiten?« sagte einer der geschäftig herbeieilenden Kellner.

»Ja, bitte, lassen Sie mir aus meinem Zimmer die Reitpeitsche und den Plaid herunter holen, die zusammen auf dem Fauteuil liegen.«

»Sehr wohl; Charles, Reitpeitsche und Plaid für den Herrn Baron – auf dem Fauteuil Nr. 21.«

Der junge Bursche flog die Treppe hinauf und war wenige Minuten später mit den verlangten Sachen wieder unten. Georg festigte den zusammengeschnallten Plaid an seinem Sattel, nahm die Reitpeitsche mit ihrem schweren, bleigefüllten Griff, faßte den Zügel und flog im nächsten Augenblick die Straße hinunter. Sein wackeres Tier brauchte er auch nicht anzutreiben, denn durch den vollen Tag, den es im Stalle gestanden, war es schon ungeduldig und rastlos geworden. Aber er wollte es auch nicht vor der Zeit anstrengen, um seine Kräfte zu schonen. Ueberdies durfte er, sobald er in die engen Straßen einbog, nicht so rasch reiten, und sein Tier deshalb einzügelnd, trabte er, so schnell er hier noch vorwärts rücken konnte, seinem Ziel entgegen.

Bald hatte er Altona erreicht, und um ja den günstigen Moment nicht zu versäumen, ritt er augenblicklich dem Zirkus zu, dem Zuge dort, wenn er etwa schon auf dem Rückwege wäre, zu begegnen – aber noch war alles still. Ein Briefträger, den er anredete und nach der Kavalkade fragte, sagte ihm, daß er die Kunstreiter vor kaum zehn Minuten dort irgendwo rechts hinunter gehört hätte. Wo sie jetzt wären, wüßte er nicht, aber jedenfalls müßten sie hier wieder vorbei. Georg wartete nicht darauf; er hielt der bezeichneten Richtung zu und heftete seine ganze Aufmerksamkeit dabei nur auf die abzweigenden Straßen, um nicht in diesen irre zu werden und seinen Weg im entscheidenden Augenblick zu verfehlen. Sein Plan war gefaßt; ernst und ruhig ritt er im Schritt die Straße nieder, dann und wann haltend, ob er die laute Blechmusik durch das Gerassel der Wagen und das Gelärm der lebendigen Stadt nicht hören könne. Noch ließ sich kein derartiger Laut unterscheiden; als er aber wieder eine Straße entlang geritten war, kalt und umsichtig dabei jedes mögliche Hindernis erspähend, und eben wieder um eine Ecke bog, schlugen die fernen Klänge der Trompeten deutlich an sein Ohr. Fast unwillkürlich zügelte er sein Tier ein, den willkommenen Tönen zu lauschen – deutlich unterschied er die Richtung, näher und lauter wurde der Lärm – es war kein Zweifel mehr, sie kamen gerade auf ihn zu. Das aber lag nicht in seinem Plane, mit dem er fest mit sich im reinen war; aber er dachte auch nicht daran, sich zu übereilen. Ruhig erwartete er das Näherkommen des Zuges, sein Herz klopfte dabei fast hörbar in der Brust, sein Gesicht war aschfahl geworden, aber keine Muskel regte sich, und erst als er die voranreitenden Trompeter nach sich einbiegen sah, lenkte er sein Pferd in eine kleine Gasse hinein, die hier schräg abbog und ihn vollständig verdeckt hielt. Dort ließ er den Zug, der wieder dem Zirkusplatze zuhielt und jedenfalls seinen Rundritt vollendet hatte, vorüber, und schon klangen die Trompeten, da der Schall durch eine neue Biegung der Straße gebrochen wurde, wie aus weiter Ferne, als das Pferd den leichten Schenkeldruck des Reiters fühlte.

Der Zeitpunkt war gekommen, in dem er handeln mußte, und ein trotziges Lächeln zuckte zum erstenmal wieder seit langer Zeit um die fest zusammengepreßten Lippen des Mannes. Das Pferd bog in einem leichten Trab in die Hauptstraße ein, und eben konnte er noch die letzten des Zuges, die Klowns, erkennen, die mit dem Volke ihre Späße trieben. Mühler war der tollste von allen. Aber nicht diesen fürchtete er mehr, denn wenn er ihn auch erkannte, was tat's? Ehe er die vorn im Zug Reitenden warnen konnte, war sein Plan schon gelungen – oder mißglückt, und mit der Gefahr, der er sich aussetzte, wuchs ihm auch der Mut. So kaltblütig hielt er jetzt in scharfem Trabe auf die voranziehende Kavalkade zu, als ob es sich nur um einen Spazierritt handle, und mit raschem Blick sich dabei orientierend, war er auch sicher, keinen Zoll breit seiner Bahn zu vergeben.

Der Zug war gerade in eine der Hauptstraßen der Stadt eingebogen, die direkt auf den breit und hoch aufgeführten Zirkus des Monsieur Royazet zuführte; von weitem ließ sich schon das aus neuen Brettern aufgestellte Gebäude mit seinem schräg zulaufenden spitzen Dache erkennen. Georg übersah das alles; er hatte sein Terrain an diesem Morgen genau rekognosziert. Fest hielt er sein Tier im Zügel und lenkte jetzt um den Menschenschwarm herum, der die Hanswurste lachend und jauchzend umtobte. Allerdings hatten sich schon einige Reiter dem Zuge heute morgen angeschlossen, meist Neugierige, die ihn eine kurze Strecke begleiteten und dann wieder, durch das Schauspiel ermüdet, davon abbogen. Die zu den Kunstreitern gehörenden Personen interessieren sich aber natürlich für jedes Pferd, das sie sehen, besonders wenn es von edler Rasse ist, und der alte Mühler machte keine Ausnahme davon. Mitten in seinen Sprüngen und Neckereien, bei denen er rechts und links mit seiner klappernden Holzpritsche Schläge austeilte, haftete sein Auge an dem Pferde und fuhr erschreckt von ihm empor zum Reiter. Den Rappen konnte er nicht verkennen, und der leise Schreckensruf entfuhr seinen Lippen: »Beim Teufel – Georg!«

So geschickt Mühler auch bisher gewußt hatte, trotz allen ausgeteilten Hieben, Angriffen auf ihn selber zu entgehen und die Lacher auf seiner Seite zu behalten, so ganz aus aller Fassung brachte ihn die plötzliche Erscheinung des Mannes, den er von allen auf Erden in diesem Augenblick am meisten fürchtete. Er hatte in der Tat alles andere um sich her in dem einen Angstgedanken vergessen, was der Mann jetzt mit Georginen beginnen würde. Die mußte er warnen, und er sprang nach seinem Pony, fühlte sich aber auch in demselben Augenblick wieder zurückgerissen, denn drei oder vier Jungen hingen an seinen Schößen und hielten ihn jauchzend fest. Wie der Blitz fuhr er freilich mit seiner Pritsche herum, aber die Jungen waren durch die früher erhaltenen Hiebe schon gewitzigt worden, und sich fest an ihn drängend und ihn mit ihren Armen umfassend, gaben sie ihm keinen Raum, sie ordentlich zu treffen. Das half ihnen indes nicht viel, denn die anderen Klowns ließen ihren Kameraden nicht im Stich. Von beiden Seiten sprangen sie zu, und so derb hagelten diesmal die Prügel auf die ihnen verlockend genug zugedrehten Rückteile, daß die Bande, sehr zum Ergötzen des übrigen Publikums, heulend und schreiend auseinander stob. Mühler war aber dadurch in seinen Bewegungen gehemmt worden, und Minuten vergingen, ehe er seinen Pony wieder erreichte. In zitternder Hast warf er sich auf dessen Rücken, und seine Flanken mit den Hacken bearbeitend, sprengte er den Zug entlang, Royazet die gefährliche Nähe seines Nebenbuhlers zu melden und Georginen zu warnen.

Lange vorher aber hatte Georgs wackerer Rappe seinen Herrn am Zuge hinaufgetragen. Die Blicke des Vaters suchten dabei und fanden das Kind, und wenige Sekunden später war er an dessen Seite.

Josefine hatte an dem Morgen vergebens ihre Mutter gebeten, sie nicht mit auf die Straße zu nehmen. Bitten wie Tränen blieben gleich erfolglos: sie mußte, denn sie sollte sich wieder an das lustige Reiterleben gewöhnen und nicht allein daheim sitzen, zu denken und zu grübeln und zu weinen. Natürlich gehorchte sie – wie sie ihr kleines munteres Tier aber bestiegen hatte, so saß sie noch, die Blicke an der Mähne desselben haftend, das Antlitz bleich, der ganze kleine Körper zitternd, und die Gedanken waren weit von da. Nicht an den glänzenden Umzug dachte sie, an die schmetternde Musik und das gaffende Volk, sofern an die freundliche Heimat im Walde dort – weit von hier – an den Vater, dem sie entrissen worden und an dem ihre ganze Seele hing, an ihre liebe, freundliche Erzieherin, die sich jetzt ihretwegen sorgen und um sie weinen würde. Und konnten sie je erfahren, wo sie sei? – und wenn das, würde die Mutter sie je wieder freilassen aus diesem Leben, dessen ganze Qual sie erst am gestrigen Abend durchgekostet? Rasche Hufschläge neben ihr weckten sie aus ihren Träumen, und eine hohe, dunkle Gestalt warf ihren Schatten über sie hin.

»Josefine!« flüsterte eine so wohlbekannte Stimme an ihrer Seite. Staunend, erschreckt sah sie auf, und wie ihre Hand fast unwillkürlich, und mehr um sich zu halten, als aus einem andern Grunde, den Zügel faßte, rief sie: »Vater – du – du hier?«

»Willst du mit mir gehen?«

»Wohin du mich führst!«

»So komm – rasch – spring herüber!« rief der Mann, vor innerer Bewegung kaum fähig, die Worte über die Lippen zu bringen.

»Den Teufel auch – der Alte!« schrie es da, und Georg sah, ehe Josefine imstande war, ihre Sinne so weit zu sammeln, daß sie begriff, was ihr Vater von ihr wollte, wie sich einer der Reiter durch die übrigen drängte. – Es war Karl, der in diesem Augenblick frei aus dem Zuge, mit verhängten Zügeln nach vorn sprengte.

»Spring!« bat der Vater in Todesangst, denn keine Sekunde war zu verlieren, »spring zu mir, ich fasse dich!«

»Halt! was geht da vor?« riefen andere der Schar, die Georg nicht kannten; Josefine saß noch immer regungslos, nicht fähig, sich zu bewegen; aber Georg war nicht der Mann, den einmal gefaßten Sieg aus den Händen zu geben. Sich im rechten Steigbügel niederbiegend, faßte er sein Kind mit dem rechten Arm um den Leib, und noch während er sie emporhob, fühlte der Rappe den eingestoßenen Sporn, der ihn nach vorn trieb. Frei an seinem Arm hing bei dem ersten Satze des Pferdes das Kind in der Luft, aber schon saß der Reiter wieder eisenfest im Sattel, und während er die willenlose Kleine in seinen linken Arm warf, und der Rappe, das Feuer aus dem Straßenpflaster schlagend, den Zug entlang flog, faßte seine Rechte die bleibeschwerte Peitsche fest und sicher, sich seine Bahn frei zu hauen, wenn ihm kein anderer Ausweg blieb.

Links hinüber konnte er nicht; keine Straße bog hier ab, und hinter dem Zuge wälzte sich der dichte Menschenschwarm – also voraus, und mit Gedankenschnelle flog er hin. Da schoß Karl an Royazets Seite. – Dieser, durch das Getöse betäubt, das die dicht vor ihm reitenden Trompeter machten, hatte von dem, was hinter ihm im Zuge vorging, noch keine Ahnung – als plötzlich des erschreckten Burschen Stimme in sein Ohr dröhnte: »Dort ist Georg Bertrand! er entführt das Kind!«

»Georg? um Gott!« schrie Georgine, erschreckt emporfahrend, und die herandonnernden Hufe bestätigten schon die kaum gesprochenen Worte. Im Nu aber hatte Royazet seinen Zügel aufgegriffen, und dem eigenen Tiere beide Hacken in die Flanken bohrend, flog er mit ihm wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil dem Feinde entgegen.

In dem Moment brauste Georg heran, und aus dem Wege stob alles vor dem Rasenden.

»Halt!« donnerte ihm Royazet zu, und wie er, fast durch die Luft fliegend, an Georgs Seite war, griff seine Faust nach Josefinens Kleid. Da traf die schwere, bleigefüllte Peitsche den ausgestreckten Arm, daß er gelähmt zur Seite sank, und der Rappe schnob mit einem Satze vorbei. Den Verfolger war er deshalb freilich noch nicht los, denn Royazet brauchte die andere Hand nicht für den Zügel; sein Tier, von fast so edlem Blute wie das, welches seinen Gegner trug, flog, nur von den Schenkeln geführt, herum, den Rappen einzuholen, aber der hatte schon eine Pferdelänge Vorsprung, und wie ein Wetter sauste er dahin.

»Halt da – halt!« schrie Polizei, die dort im Wege stand, und sprang vor, dem Pferde nach dem Zügel zu greifen – wieder sank die Peitsche, und mit einem Schmerzensschrei fuhr der Dienstbeflissene zurück. Ein Schiebkarren fuhr quer über die Straße – der Mann ließ ihn fallen und floh zur Seite; einem Vogel gleich schnellte der Rappe darüber hin, der graue Araber, den Royazet ritt, blieb dicht an seinen Fersen. Wagen kreuzten ihren Weg, aber die beiden, der leisesten Führung gehorchenden Pferde fanden kein Hindernis, das sie nicht überwunden hätten. Wie ein Blitzstrahl schoß der Rappe über den Boden, wie der Schein, der dem Blitze folgt, folgte ihm der Graue, und beide Pferde schienen den Boden, aus dem sie die hellen Funken schlugen, kaum zu berühren. – Aber der Araber war dem Rappen nicht gewachsen, und selbst wenn er ihn eingeholt, fühlte Royazet recht gut, daß er allein dem Vater das Kind nicht würde entreißen können. Doch seine Ehre als Reiter stand hier auf dem Spiele, und weiter und weiter jagte er sein schnaubendes Roß. Der seidene Mantel, den er trug, schlug im Wind – wild wehten seine Haare hinterdrein, denn das Federbarett hatte ihm der tolle Ritt schon lange entführt. Aber seine Hacken trafen des arabischen Hengstes Flanken; mit Stimme und Schlag feuerte er ihn an – zu mehr, als er zu leisten vermochte – den Rappen einzuholen.

Wie in Erz gegossen saß dagegen Georg im Sattel. Sein dicht an seine Brust geschmiegtes Kind im Arm, das dunkle Auge in Siegesjubel blitzend, die Rechte mit der Peitsche bewehrt, so flog er dahin, sein Tier sich selber überlassend, wie eine Erscheinung an den entsetzt zur Seite Prallenden vorbei, bis Deutschlands Grenze, die Linie, die Altona von Hamburg scheidet, zwischen ihm und seinem Feinde lag. Noch ließ er seinem wackern Tiere den Zügel, bis er die nächste Häuserreihe fast erreicht. Jetzt wußte er, daß er auf deutschem Grund und Boden war, und nicht länger mehr brauchte er zu fliehen. – Wollte ihn sein Verfolger erreichen, hier hielt er ihm stand, und mit dem festen Willen fast parierte er sein Pferd, das so, in voller Flucht, sich auf den Hinterbeinen hob, herumflog und wie angegossen stand. – Aber Royazet war klug genug, den zum äußersten Getriebenen nicht auf sein eigenes Terrain zu folgen. Die Grenze bildete für ihn das letzte Ziel der Verfolgung, und dort sein Pferd so rasch und sicher parierend wie Georg, lenkte er es zurück, und war wenige Minuten später, beschämt, besiegt, zwischen den Häuserreihen Altonas verschwunden.

Ein triumphierendes Lächeln zuckte um Georgs Lippen, aber es war nur ein Moment. Die Gegenwart nahm ihn genug in Anspruch – das andere lag dahinten. Rasch schnallte er den Plaid von seinem Sattel, denn sein wilder Ritt sowohl, wie die wunderliche Tracht des Kindes, das er vor sich trug, erregten die Aufmerksamkeit der ruhigen, an so etwas nicht gewöhnten Bürger Hamburgs – Neugierige begannen schon sich um ihn zu sammeln. Ohne Zögern hüllte er die Kleine in den weichen Plaid, nahm ihr das Barett vom Haupte, das er darunter barg, verdeckte ihr geschminktes Antlitz, und trabte dabei schon wieder scharf dem nächsten Tore zu. Aus Sicht den Leuten, und er war vergessen. In der Stadt selber konnte der auf schweißbedecktem Tier Vorübertrabende nur flüchtige Aufmerksamkeit erregen; die Leute dort hatten auch zu viel mit sich selber zu tun, sich noch um andere, Fremde, zu bekümmern. So gewann er ohne weiteres Hindernis sein Hotel, sprang vom Pferde, das er dem Hausknecht übergab, um es rasch in den Stall zu führen und abzureiben, und trug sein Kind, noch eingehüllt in den Plaid, die breite Treppe selbst hinauf.

Das Stubenmädchen erstaunte allerdings, als ihr der Auftrag wurde, so rasch als möglich Kinderkleider für die Kleine herbeizuschaffen; dort aber war das leicht. In einer halben Stunde hing Josefine, Freudentränen weinend, in einem dunklen warmen Kleide an ihres Vaters Halse, und schon der Abendzug, der Hamburg verließ, führte sie mit dem Vater und dem alten erstaunten Barthold der Heimat wieder zu.

29.

Wolf von Geyerstein saß allein in seiner Stube, den Kopf in die Hände gestützt, und vor ihm lag ein offener Brief Georgs:

»Tausend und tausend Dank für deine brüderliche Liebe, mein Wolf! – Du hast recht – meine Stellung hier, nach dem Vorgefallenen, ist, wenn auch nicht unhaltbar, doch höchst drückend. Durch jenen Herrn von Zühbig, wie du aus meinen früheren Briefen weißt, und durch des alten Mühler trunkene oder seines Neffen boshafte Schwatzhaftigkeit ist mehr unter die Leute gekommen, als ich im Anfang selbst vermutete. Das Gerücht, was ich früher gewesen bin, hat Boden gefaßt, und die Gutsnachbarn ziehen sich von mir zurück, vermeiden mich wenigstens, soviel es geht, und ich werde sie nicht aufsuchen.

Meine ganze Seligkeit ist jetzt mein Kind, das ich glücklich dem ihm selber furchtbaren Leben entrissen habe. Auch mit dessen Mutter bin ich im reinen. Georgine weigerte sich auf meinen ersten Brief, in eine Scheidung zu willigen, und wollte es nur unter der Bedingung, daß ihr Josefine zurückgegeben würde. Durch ihre Flucht hat sie sich aber selber jedes gesetzlichen Schutzes beraubt, und außerdem scheint ihr auch der Wunsch, jene Verbindung mit Royazet zu schließen, den Schritt erleichtert zu haben. Wir sind geschieden, die Papiere darüber werde ich in nächster Zeit bekommen, und frei von allen Banden, die mich bis dahin an das alte Leben ketteten, will ich von nun an meine Bahn beginnen.

Für dein Anerbieten, mich nach Ungarn auf das dort für mich angekaufte Gut zu setzen, nimm meinen heißen Dank. Du hast schon mehr für mich getan, als selbst ein Bruder für den andern tun kann, aber – ich will dich aller weitern Sorge für mich entheben. Ich habe einen andern Plan für mich, der mich mir selber wiedergeben soll. Will es Gott, so sehen wir uns dereinst noch froh und fröhlich wieder, und dann kann ich der Mutter auch getrost ins Auge schauen.

Ich will nach Amerika. Es wird mir von meinem kleinen Kapital etwa so viel übrig bleiben, mit meinen Begleitern hinüberzukommen. Ich habe ein Kind angenommen – eine Waise – als Josefinens Gespielin, die mit unendlicher Liebe an der neuen Schwester hängt. Von allen meinen Sachen nehme ich nur den Rappen mit, der mir mein Kind befreit – aber nur bis zu dir. Mag er dir von jetzt an so treu dienen, als er mir gedient.

Alles weitere mündlich. Ich komme auf der Durchreise nach ***, um dich, du treues Herz, noch einmal zu sehen und dir selber für alles, was du an uns getan, zu danken. Wahrscheinlich folge ich diesem Briefe unmittelbar; denn wie du mir schreibst, wird der neue Pachter schon in acht Tagen eintreffen, und es ist alles hier so geregelt und in Ordnung, daß dem alten Verwalter das Gut auf die kurze Zeit ohne die geringste Sorge anvertraut werden kann. Ich bin gerade dabei, ihm das Inventar zu übergeben.

Es grüßt und küßt dich bis dahin

dein Georg.

P. S. Da du mich nach dem Namen des traurigen Individuums fragst, das meine Frau zu ihrer Flucht benutzte, so schreibe ich ihn dir. – Er nennt sich Baron Hugo von Silberglanz.«

Wolf hatte den Brief wieder und wieder gelesen. Er war aufgestanden und ging mit raschen Schritten in seinem Zimmer auf und ab.

»Er darf nicht fort!« flüsterte er dabei, »nicht nach Amerika! Er ist das letzte Herz, das hier noch mir gehört – wir gehen zusammen fort von hier – nach Ungarn. Brennt doch der Boden auch mir unter den Füßen. Gott sei Dank, daß er kommt – besprochen ist so etwas besser als geschrieben, und er wird – er könnte nicht von mir gehen – wüßte er nur den tausendstel Teil von dem, was ich um ihn hier leide,« setzte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme hinzu.

Mit dem Entschlusse, seine Stellung hier aufzugeben und die Stadt selber, die so viele trübe Erinnerungen für ihn barg, zu verlassen, kam auch plötzlich Ruhe über ihn. Er ordnete seine Papiere und ließ sich dann bei dem Fürsten melden. Der Fürst war aber auf die Jagd gefahren und wurde erst am nächsten Abend zurück erwartet. Die Lakaien schlenderten müßig im Schlosse herum und zählten vor lauter Langerweile die Fensterscheiben.

Karl, der Bursche des Rittmeisters, hatte indessen mehr Beschäftigung, denn ihm war der Auftrag geworden, zwei Zimmer für Gäste herzurichten, mit allem Nötigen zu versehen und ordentlich durchwärmen zu lassen, da der Besuch jeden Augenblick eintreffen konnte.

An dem Abend war Soiree bei Herrn von Zühbig und Graf Geyerstein ebenfalls eingeladen worden – der sich aber entschuldigen ließ. Gegen Abend, als er durch die Stadt ging, traf er den Baron zufällig auf der Straße.

»Aber lieber, bester Freund,« schoß dieser auf ihn zu, »zu meinem unendlichen Leidwesen höre ich eben, daß Sie uns heute abend Ihre unschätzbare Gegenwart grausamerweise entziehen wollen. Meine Frau ist ganz untröstlich darüber.«

»Das bedaure ich in der Tat,« sagte der Rittmeister kalt, »unaufschiebbare Geschäfte verhindern mich indes, da ich in nächster Zeit wieder länger abwesend sein werde.«

»Sie wollen wieder auf Urlaub gehen?« fragte Herr Zühbig rasch, und innerlich frohlockte er dabei über die frisch aufgefangene Neuigkeit.

»Ja,« erwiderte der Rittmeister, der den Grund nicht ahnte, weshalb sich der Baron in solcher Weise dafür interessierte.

»Auf Ihre Güter?«

»Wahrscheinlich – apropos, haben Sie lange nichts von Ihrem Freunde Baron Hugo von Silberglanz gehört?«

»Von meinem Freunde?« sagte Herr von Zühbig, dem dieses Epitheton in Verbindung mit sich und im Munde des stolzen Grafen eben nicht angenehm war, »ich weiß gerade nicht, daß Baron Silberglanz zu meinen speziellen Freunden gehörte. Er ist ein seelensguter Mensch und einmal in die Gesellschaft eingeführt, so daß man ihn nicht gut umgehen kann, aber...«

»Wenn Sie ihn wiedersehen sollten, und ich wäre vielleicht nicht hier,« sagte der Graf, »bitte, so grüßen Sie ihn doch von mir.«

»Von Ihnen?«

»Ja, er wird schon wissen, was es zu bedeuten hat.«

»Zu bedeuten hat?« wiederholte der Baron immer erstaunter, »ich gebe Ihnen mein Wort...«

»Ihr Wort?« fragte der Graf, ohne ihn ausreden zu lassen, »geben Sie das nicht auch manchmal leichtsinnig, Herr Intendant?«

»Ich will nicht hoffen,« sagte Baron von Zühbig rasch, aber doch mit einem etwas unbehaglichen Gefühl, das ihm sein Gewissen in diesem Augenblick aufdrängte. – »Haben Sie – haben Sie etwas mit Silberglanz gehabt?«

»Ich? – nicht das mindeste – ich kenne den Baron gar nicht,« sagte Graf Geyerstein gleichgültig. »Der Baron hat, wie ich erfahren, ein kleines Abenteuer gehabt, das er Ihnen aber wohl leider nicht ausführlich erzählen wird.«

»In der Tat? Sie machen mich unendlich neugierig!« rief Baron Zühbig gespannt. »Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie dann die Gnade haben wollten...«

»Tut mir leid, Herr Baron, nicht imstande zu sein, Ihnen darin zu willfahren; ich bin auch nur oberflächlich darin unterrichtet. Vielleicht kann Ihnen Ihr Orakel darüber Auskunft geben.«

»Mein Orakel, hahaha! Herr Graf, Sie sprechen heute in lauter Rätseln. Wen verstehen Sie unter meinem Orakel?«

»Fräulein Franziska von Zahbern.«

»Hahahaha!« lachte Baron von Zühbig, aber das Lachen kam nicht recht aus seinem Herzen, denn er fühlte, daß Graf Geyerstein mehr wußte, als er eigentlich sollte – ja, was noch schlimmer in diesem Augenblick war, mehr als er selbst. – »Sie sind göttlich, Graf, aber – furchtbar boshaft, daß Sie die arme Zahbern zu einem Orakel machen wollen. Kommen Sie – beichten Sie – wir gehen dort in den Keller hinunter und trinken eine Flasche Wein« – und damit faßte er den Grafen unter den Arm, ihn mit sich fortzuziehen; »die Geschichte von Silberglanz dürfen Sie mir gar nicht vorenthalten. Sie haben mich damit auf die Folter gespannt.«

»Es ist grausam, Sie darauf liegen zu lassen, Herr Baron,« sagte der Graf ruhig, »aber ich werde dazu gezwungen sein. Den ausführlichsten Bericht kann Ihnen jedenfalls Herr Hugo von Silberglanz selber geben, und Sie müssen sich auf den vertrösten. Ich bitte, daß Sie mich entschuldigen – ich habe Eile.«

»Sie wollen in der Tat nicht einen Augenblick mit mir...«

»In der Tat nicht – guten Abend, Herr Baron,« und der Graf neigte sich leicht, während er sich von Herrn von Zühbig abdrehte und die Straße hinunter schritt. Herr von Zühbig blieb in einer höchst unbehaglichen Stimmung zurück.

Graf Geyerstein suchte indessen den Kriegsminister von Ralphen auf, um diesem sein Anliegen vorzutragen; Seine Exzellenz mußte aber gerade in eine Session und ließ den Grafen bitten, morgen früh Punkt zwölf Uhr wieder zu ihm zu kommen, da er ihm überdies etwas mitzuteilen habe.

So ließ sich denn für heute nichts weiter tun, und der Graf verbrachte den Abend damit, seine Briefschaften zu ordnen, alte Korrespondenz zu verbrennen, wichtige zu versiegeln und einige notwendige Briefe außerdem zu schreiben. Am nächsten Morgen war er wieder früh auf und setzte seinen Burschen Karl in nicht geringes Erstaunen, als er ihm befahl, seine Koffer herbeizuholen und sämtliche Kleidungsstücke zu reinigen, sowie zum Packen bereitzuhalten. Karl schüttelte heimlich mit dem Kopfe, denn das paßte nicht zu dem erwarteten Besuche. Er war aber ein zu guter Diener, weiter zu fragen, und ging an seine Arbeit.

»Wann kommt der erste Zug?« rief ihm der Graf nach.

»Woher, Ew. Gnaden?«

»Von Berlin.«

»Ah so – der wird jetzt herein sein oder doch gleich kommen. Da unten hör' ich schon die Droschken – er muß schon da sein.«

»Es ist gut.« – Wolf trat ans Fenster, und Karl ging hinaus, seine Aufträge auszuführen.

Eine lange Reihe von Droschken kam die Straße daher, die eingetroffenen Fremden in die verschiedenen Hotels zu fahren. Eine davon lenkte nach seiner Tür zu und hielt. Ein Mann in einem grünen Rocke saß neben dem Kutscher vorn auf dem Bock – er sah herauf – es war der alte Forstwart Barthold von Schildheim, und Wolf flog nach der Tür, den Bruder zu begrüßen.

»Karl! Karl!«

»Gnädiger Herr!«

»Hinunter – die Gäste sind da – schnell das Gepäck herauf!«

Rasche Schritte nahten von der Stiege her, Wolf trat in sein Zimmer zurück, in der ersten Begrüßung nicht von Fremden gestört zu werden, und wenige Minuten später lagen sich die Brüder in den Armen.

»Gott grüß' dich, Georg – Gott grüß' dich tausendmal, und herzlich willkommen hier bei mir! Wo sind die Kinder?«

»Mein guter, guter Wolf! – sie kommen nach; der alte Barthold bringt sie mit ihrer Erzieherin die Treppe herauf.«

»Den Alten hast du von Schildheim entführt?«

»Ja – nur bis hierher. Ich mußte jemanden des Pferdes wegen bei mir haben, und er weiß mit Pferden besser umzugehen, als ich ihm zugetraut. Du hast wohl jemanden, um den Rappen vom Bahnhof abholen zu lassen?«

»Gewiß! Nun mache es dir bequem und ruhe dich aus! Wir haben viel, sehr viel miteinander zu besprechen. – Karl – wo steckt der Bursche wieder? Karl, daß die Kinder mit der jungen Dame gleich ihr Zimmer bekommen – es ist alles in Ordnung, Georg; ich habe auch eine Frau, eine ganz tüchtige Person besorgt, damit die Kleinen für die Zeit ihres Aufenthalts hier ordentliche Verpflegung haben. – Ein Junggeselle ist sonst nicht darauf eingerichtet.«

»Wir wollen dir nicht lange zur Last fallen.«

»Davon später – und nun erst her zu mir,« sagte er, indem er die Tür schloß, dann auf den Bruder zuging und ihn umarmte und küßte und wieder küßte. – »Du armer, armer Georg, was hast du ertragen müssen, und doch bei alledem so brav, so wacker dich gehalten! Jetzt bist du wieder der Unsere. Du darfst jedem frei ins Auge schauen, und – wir trennen uns auch jetzt nicht mehr.«

»Mein braver Wolf!« rief Georg, ihn fest an sich pressend, »du treues, brüderliches Herz! – Ueber meine Pläne sprechen wir nachher. Doch was fehlt dir? Du siehst verändert aus, seit ich dich nicht gesehen.«

»Nichts – ein leichtes Unwohlsein. – Und wie geht es deinem Kinde, deiner armen kleinen Josefine – meiner Nichte? Sie wird uns beiden wohl fortan gehören müssen.«

»Du willst auch nach Amerika?« rief Georg erstaunt.

»Nein, das nicht,« lächelte Wolf, »aber deine Pläne wirst du den meinen schon fügen müssen, aus Liebe zu mir. Doch deinen Kinderraub mußt du mir ausführlicher, als es durch den Brief geschehen, erzählen. Merkwürdig, daß nichts davon in den Zeitungen stand.«

»Das Ganze ging zu rasch,« lächelte Georg, »und Royazet wäre der letzte gewesen, es bekannt zu machen. Er mag außer sich genug gewesen sein, daß bei seinem prunkenden Zuge ein anderes Pferd ihn überbieten konnte. Meinen Rappen aber holt keins von seinen Tieren ein. Ich sah, wie Georgine erbleichte, als ich vorüberbrauste – die Falsche – keine Ader meines Herzens schlägt mehr für sie; mag sie dem Leben bleiben, dem sie sich geweiht. Das alles aber erzähle ich dir ausführlich, wenn wir heute abend still und traulich beisammensitzen. Du bist doch nicht beschäftigt?«

»Mit keinem Gedanken, ich gehöre euch; und nun zu den Kindern, daß wir die begrüßen!« Und seines Bruders Arm ergreifend, wollte Wolf eben mit ihm das Zimmer verlassen, als Karl, ein sehr bedenkliches Gesicht ziehend, die Tür öffnete und herein meldete: »Herr Rittmeister, halten zu Gnaden, eine Dame ist draußen, die nach Ihnen fragt.«

»Eine Dame? – nach mir?« rief Wolf erstaunt, des Bruders Arm loslassend, »das ist wohl ein Irrtum.«

»Nein; sie fragte nach dem Herrn Rittmeister von Geyerstein.«

»Eine junge Dame?«

»Halten zu Gnaden, nein; sie ist schon in den Jahren, sieht aber sehr vornehm aus.«

»Und hast du nicht nach ihrem Namen gefragt?«

»Sie wollte ihn nicht nennen. Ich sollte dem Herrn Rittmeister nur sagen, eine Dame wünsche ihn zu sprechen.«

»So geh allein voran, Georg; ich folge dir gleich nach,« sagte Wolf. »Gott weiß, wer es ist! Ich werde keineswegs lange aufgehalten werden. Wir frühstücken dann zusammen.«

»Mach', daß du bald kommst,« erwiderte Georg, indem er durch die ihm bezeichnete Tür verschwand. Karl blieb noch einen Augenblick stehen.

»Alle Wetter,« dachte er bei sich, »der Herr sieht genau so aus wie der famose Kunstreiter Monsieur Bertrand, und mein Herr und er duzen sich?«

»Nun, auf was wartest du?«

»Halten zu Gnaden!« rief Karl erschreckt, »soll ich sie hereinführen?«

»Es sieht hier freilich ein wenig wild aus, aber die besseren Zimmer sind besetzt. Wenn sie einen Junggesellen besucht, muß sie fürlieb nehmen, wie sie es findet. Bitte sie, näher zu treten. – Apropos, den Jäger, der mit – dem Herrn gekommen, bringe mir gut unter, und sorge, daß es ihm an nichts fehlt. Wenn alles in Ordnung ist, soll er herauf zu mir kommen; ich will mit ihm sprechen. Noch eins – der Johann muß dann gleich auf den Bahnhof, um ein Pferd dort abzuholen.«

»Sehr wohl!«

Karl verschwand durch die Tür, die sich bald darauf wieder öffnete, und eine Dame trat herein und ging auf Wolf zu.

»Gnädige Frau,« sagte dieser, »Sie haben gewünscht...«

Die Dame stand mitten im Zimmer und sah ihn lächelnd an.

»Heiliger Gott!« fuhr Wolf erschreckt empor. »Mutter – du?«

»Das war eine Ueberraschung, nicht wahr?« sagte die alte Dame, indem sie ihre Arme liebkosend um das an sie geschmiegte Haupt des Sohnes legte. »So habe ich es mir ausgedacht und mich lange, lange schon darauf gefreut.«

Karl öffnete in diesem Augenblick die Tür ein wenig, denn es war ihm, als ob ihn sein Herr gerufen hätte, schloß sie aber auch augenblicklich wieder, als er die Gruppe bemerkte und murmelte nur leise vor sich hin: »Sonderbar! sonst ist mein Herr mit allen Leuten, die zu ihm kommen, ganz erschrecklich kalt und kurz angebunden, und heute fällt er allen um den Hals – doch was geht's mich an!«

»Aber was führt dich jetzt hierher zu uns?« rief Wolf, indem er seine Mutter zum Sofa führte. »Keine Silbe hast du davon in deinem letzten Briefe erwähnt.«

»Komme ich dir so ungelegen, mein Kind?«

»Nie glücklicher als jetzt,« rief Wolf, »so lieb du mir auch immer bist, aber fröhlicher begrüßt hätte ich nie deine Ankunft.«

»In der Tat?« lächelte die alte Dame, »und was ist heute morgen so Besonderes vorgefallen? Apropos, da draußen standen Koffer; ist jemand zu dir gekommen oder willst du verreisen?«

»Beides – wenn auch nicht gleich, da ich dich jetzt hier habe.«

»Aber, Wolf, Wolf,« sagte die alte Dame, ihn mit wachsender Unruhe betrachtend, »was fehlt dir? – bist du krank gewesen? – Deine Wangen sind bleich und eingefallen; deine Augen liegen tief in ihren Höhlen und haben das Feuer nicht mehr, das sie früher hatten. Ist etwas vorgefallen? – Laß mich's wissen, Wolf – sonst,« setzte sie herzlich hinzu, »war ich ja doch immer deine Vertraute.«

»Vorgefallen ist allerdings etwas, lieb Mütterchen,« sagte Wolf, der ihre Aufmerksamkeit von sich abzulenken wünschte, »aber nichts, was mich niederdrücken könnte. Ein leichtes Unwohlsein hat mir vielleicht für den Augenblick die sonst lebendigere Farbe genommen – weiter nichts.«

»Nein, mein Kind,« sagte aber die alte Dame, denn das Mutterauge sah schärfer als das der anderen, »das ist mehr als ein leichtes Unwohlsein. Du warst entweder ernstlich krank, Wolf, oder irgend ein geheimer Kummer nagt dir am Herzen. Du kannst mich nicht täuschen. – Habe ich dein Vertrauen verloren, Wolf?«

»Nein, liebe Mutter, gewiß und wahrhaftig nicht, und du sollst später alles erfahren, was geschehen, aber nicht jetzt – nicht in diesem Augenblick, wo ich dir nur Freudiges zu verkünden habe. Erst sage mir aber, wo du abgestiegen bist.«

»Im Russischen Hofe. Ich wollte niemandem zur Last fallen. Ralphens hatten mich allerdings in früherer Zeit gebeten, wenn ich einmal wieder nach *** käme, ihr Haus als das meine zu betrachten, und es sind liebe, gute Leute; ich habe es aber doch vorgezogen, ein Hotel zu wählen. Bleibe ich länger hier, was leicht möglich ist, so quartiere ich mich vielleicht bei dir ein – wenn du mich nämlich haben willst.«

»Gute Mutter.«

»Es ist mir in der letzten Zeit,« fuhr die alte Dame fort, »recht weh und einsam zu Hause geworden. Ich weiß eigentlich selber nicht, wie es kam, aber – alles schien mir wie ausgestorben um mich her, und alte trübe Gedanken gewannen mit jedem Tage, soviel ich mich auch gegen sie wehrte, mehr Gewalt über mich. War es die Wiederkehr des Jahrestages, an dem uns Georg damals verlassen,« setzte sie leise und schmerzlich hinzu, »ich kann es nicht sagen, aber meine Sehnsucht ergriff mich nach dir, mein Wolf, nach meinem einzigen Kinde, das mir noch geblieben, der ich endlich nicht länger widerstehen konnte. War es eine Ahnung, Wolf? – Du hast vielleicht gerade in der Zeit gefährlich krank gelegen, ohne deine Mutter ein Wort davon wissen zu lassen und sie an dein Lager zu rufen?«

»Nein, liebe Mutter,« sagte Wolf mit vor innerer Bewegung erstickter Stimme, denn ihn drängte es, den Sohn wieder an das Herz der Mutter zu führen. »Ich nicht, aber dennoch hat dich deine Ahnung nicht getäuscht. Ein anderer lag schwer krank danieder, wenn auch nicht an Körper, doch an Geist, und ist jetzt vollständig und froh genesen. Mutter – liebe Mutter – bist du stark genug, eine recht große Freude zu ertragen?«

»Wolf!« rief die alte Dame und Leichenblässe deckte in dem einen Moment ihre Züge, »ich – ich kenne nur eine große Freude in der Welt. – Wolf,« fuhr sie fort, indem sie mit zitternder Hand des Sohnes Arm ergriff, »weißt du – weißt du von Georg?«

»Er lebt,« sagte Wolf leise, die Mutter dabei umfassend.

»Er lebt? Gott sei ewig gelobt, und seinen Segen auf dein Haupt, mein Kind, für diese Kunde – und – geht es ihm gut?«

»Ja, Mutter – er – wird kommen – hierher.«

»Hierher? wann, Wolf – wann?«

»Bald – recht bald. Er hat viel gelitten und ertragen, aber die früheren Fehler auch bereut und abgebüßt – wirst du ihm verzeihen?«

»Fragst du das die Mutter? Vater im Himmel, meine ganze Seele drängt hin nach dem verlorenen Kinde. O, er ist hier, Wolf, quäle mich nicht länger; ich bin stark – ich bin kräftig. Die Freude tötet nicht; da es die langen Jahre der Schmerz, der bitter nagende Schmerz nicht vermochte. O, laß mich hin zu ihm!«

»So rasch geht es nicht, Mutter,« lächelte Wolf unter Tränen, indem er mit Gewalt nach Fassung rang. »Ich will ihn rufen lassen; er selber hat ja noch keine Ahnung von deiner Nähe. Bleibe indessen hier – ich bin bald wieder bei dir.«

»Und du kehrst bald zurück? – mit ihm?«

»Noch weiß ich ja nicht, ob ich ihn gleich finde – aber heute noch sollst du ihn sehen – gewiß. Sammle dich, Mütterchen, bis dahin. Du wirst große Freude an ihm haben, denn er ist ein wackerer, braver Mann geworden in der Zeit.« – Und selber zitternd vor Freude und ängstlicher Erwartung verließ Wolf das Zimmer, den Bruder auf dieses Wiedersehen vorzubereiten. Alles, was ihn selber drückte und beengte, hatte er auch vergessen, vergessen in dem einen frohen Gedanken, den Bruder – die Mutter wieder vereinigt, glücklich, zufrieden zu sehen. Das andere lag alles entfernt, und mit dem Gefühl der eigenen Kraft, dem Bewußtsein, gut und treu gehandelt zu haben, hob sich ihm die Brust froh und leicht, und er empfand das reinste, schönste Glück dieser Welt: im eigenen Entsagen eine gute, edle Tat getan zu haben.

Doch wer könnte mit Worten dieses Wiedersehen schildern – die Seligkeit, die jetzt die Herzen dieser guten Menschen füllte! Georg lag vor der Mutter auf den Knien, seine Arme um sie geschlagen, sein Antlitz an ihrem Herzen bergend, und während sie das liebe Haupt wieder und wieder küßte, fielen heiße Freudentränen in die dunklen Locken des Sohnes. Wolf war Zeuge dieses ersten seligen Augenblicks, dann aber verließ er leise das Zimmer, die Glücklichen nicht zu stören, und als er wieder, Josefinen an der Hand, zurückkehrte, saß die Mutter neben ihrem wiedergefundenen Sohne, ihre beiden Hände fest um seine Rechte geschlossen, als ob sie ihn jetzt festhalten und wahren wolle für alle Zeiten; sie schaute in seine treuen, klaren Augen und wurde nicht satt, ihn anzusehen und die lieben Laute seiner Stimme zu hören. Was er sprach, verstand sie freilich nicht, die Töne verschwammen ihr wie ferner Glockenklang vor den Ohren, aber sie hatte ihn wieder – sie hielt seine Hand, sie hörte seiner Stimme Musik, und jeder ihrer Atemzüge war ein Dankgebet zu Gott. Und da die Enkelin – zitternd fuhr sie von ihrem Sitz empor, und Josefine, schüchtern halb, halb ahnungslos dem süßen, ungekannten Klange des Wortes Großmama entgegen lauschend, glitt zu ihr hin, die Hand der ihr noch fremden Dame zu küssen, und fühlte sich von ihren Armen umschlungen, fühlte sich emporgezogen zu ihr und geherzt und geküßt, und weinte still jetzt an der neuen Mutter Brust. Wie aber nur der erste Freudenrausch vorüber war, da faßte sich Georg zuerst, und mit kurzen Worten, kein Hehl der Mutter gegenüber haltend, schilderte er ihr klar und einfach sein früheres Leben, sein verzweifelndes Herz, den kindischen Trotz, der ihn in eine falsche, wilde Bahn geworfen, bis seines Bruders treue Liebe ihn daraus errettet und ihn sich selber wiedergegeben hatte. Dann beschrieb er sein Leben auf Schildheim, wie er dort gekämpft und gerungen, die Seinen mit sich emporzuheben aus ihrer früheren Lage, und wie ihm das mißglückt. Der Gattin Flucht dann beschrieb er – seine Verzweiflung bei dem Verluste des Kindes, und wie er, zum Aeußersten getrieben, das Aeußerste auch gewagt, es zu retten. Jetzt sei er frei – das frühere Leben liege wie ein Traum hinter ihm; ein neues aber zu beginnen brauche er frischen und freien Boden, wo nichts ihn an die früheren Ketten mahne, die er getragen. Das durchzuführen, fühle er die Kraft in sich, und sei das Ziel, das er sich gesteckt, auch weit, er hoffe es zu erreichen und sich selbst dort wiederzufinden.

Die Mutter horchte seinen Worten wie einem Märchen. Das Bild, welches er vor ihr entrollte, lag ihrem eigenen Leben und Wirkungskreise so fern, daß sie nicht halb es faßte und begriff. Durch alles das aber schimmerte nur immer das eine selige Gefühl, den Sohn wieder zu haben, den verlorenen, und während sie die Enkelin an ihre Brust geschmiegt hielt, lauschte sie Georgs Worten wie frohen Sagen einer andern Welt. Wolf indessen, der einzige, der klar und ruhig das Ganze überschaute, und für sie alle schon gedacht, gehandelt, ließ den Bruder seine Erzählung ungestört beenden, ließ ihn von seinen Plänen, seinen Hoffnungen sprechen, und als er geendet, legte er ihm und der Mutter mit klaren, einfachen Worten den Plan vor, den er sich selber für sie ausgedacht. Nach Schildheim konnte und sollte Georg nicht mehr zurück, in Ungarn aber, einem fernen, reichen Land, hatte Wolf in Gemeinschaft mit seiner Mutter, die damals freilich noch nicht ahnte, zu welchem Zweck, eine große prächtige Besitzung billig angekauft. Dorthin wollten sie alle ziehen – dort sollte die Mutter, im Kreise der Ihrigen, ihr Leben wieder frisch erblühen sehen, und dort fände auch Georg die neue Heimat weit besser als in dem fernen, überseeischen Lande, das sie aufs neue nur getrennt und das kaum geknüpfte Band zerrissen hätte. Georg wollte sich dagegen sträuben: es drängte ihn, selbständig aufzutreten und seine Lebensbahn mit eigener starker Hand erst aufzubauen und fest zu begründen – aber die Mutter ließ ihn nicht – des Kindes wegen schon, das sie umschlossen hielt.

»Das hast du mir geschenkt,« sagte sie unter Tränen lächelnd, seine Hand gefaßt, »das darfst du mir nicht wieder nehmen, wenn du dich selber zum zweitenmal vom Herzen der Mutter reißen könntest. Ihr Männer denkt vor allem nur an euch, wo aber dieses arme Kind und die kleine Waise, deren du dich angenommen und von der du mir erzählt, eine Mutter wiederfinden sollen, das fällt dir gar nicht ein.«

»Und wenn ich nun daran gedacht hätte?« rief Georg, »wenn ich dir heute nicht allein den Sohn, nein, auch die Tochter brächte für dein spätes Alter?«

Die Mutter und der Bruder sahen erstaunt zu ihm auf, Georg aber sprang von seinem Sitz empor und verließ das Zimmer, und nach wenigen Minuten zurückkehrend, führte er an seiner Hand die Erzieherin seines Kindes, Adele, herein, die schüchtern und errötend der alten Dame gegenübertrat.

»Wenn ich euch folge,« sagte er dabei, »so sei es nur mit dieser Bürgschaft für unser aller künftiges Glück. Adele, aus einem alten, edlen französischen Geschlecht, deren Großvater mit Karl dem Zehnten aus Frankreich verbannt wurde und seine Enkelin, die Waise, in der Fremde zurückließ, ist meinem Kinde nicht allein eine so treue Mutter geworden, und Josefine hängt mit so herzlicher Liebe an ihr, sie hat auch in der schweren letzten Zeit mir so treu und aufopfernd zur Seite gestanden, daß weder ich, noch meine Josefine uns je wieder von ihr trennen können.«

Die alte Dame war bewegt von ihrem Sitz aufgestanden, und dem jungen, in ihrer Verlegenheit gar so lieben Mädchen entgegentretend, sagte sie freundlich: »Und wollen Sie, mein liebes Kind, wirklich Ihr Leben an das dieses unruhigen, wilden Geistes fesseln? wollen Sie meiner Enkelin eine Mutter, wollen Sie mir eine Tochter sein?«

»Gnädige Gräfin!« stammelte Adele verwirrt.

Die alte, sonst so stolze Dame aber, ihr Herz von dem Glücke erweicht, das eigene, lang beweinte Kind wiedergefunden zu haben, schloß sie freundlich in die Arme, und an der Brust der Mutter, schluchzend in Glück und Jubel, hing Adele.

»Herr Rittmeister haben befohlen,« sagte Karl, der in diesem Augenblick die Tür öffnete und, über die neue Umarmung betroffen, mitten in seiner Rede und in der Tür stecken blieb.

»Was gibt's?« sagte Wolf, »was hast du?«

»Herr Rittmeister haben befohlen,« fuhr Karl rasch und etwas bestürzt empor, »daß der Alte in dem grünen Rock zu Ihnen heraufkommen sollte, wenn er unten fertig wäre. Er steht vor der Tür.«

»Unser alter Forstwart Barthold von Schildheim, den uns Georg von dort mitgebracht,« rief Wolf rasch, »du kennst ihn ja, Mutter.«

»Gewiß; es ist noch ein Stück aus der alten Zeit.«

»Er soll noch warten,« sagte Wolf.

»Zu Befehl, Herr Rittmeister.«

»Halt!« rief Georg, »bitte, laß ihn herein – er gehört mit dazu, und in diesem schönsten Augenblick meines Lebens darf mir der alte Mann nicht fehlen, der noch mit treuem Herzen an dem wilden Knaben hängt.«

»An welchem Knaben?« fragte Wolf erstaunt.

»An mir,« erwiderte Georg, »aber er kennt mich nicht; laß ihn jetzt zu uns kommen, denn in der rauhen Schale steckt ein wackerer Kern.«

Wolf winkte seinem Diener, und wenige Sekunden später trat, den Hut verlegen in der Hand herumdrehend, der alte Mann ins Zimmer und blieb an der Tür stehen.

»Kommt hierher, Forstwart,« sagte Wolf, »ich freue mich, Euch hier und wohl zu sehen.«

»Gnädigster Herr Graf sind gar zu gütig,« sagte der Alte, der Aufforderung Folge leistend.

»Meine Mutter dort will Euch guten Tag sagen.«

»Die gnädigste Frau Gräfin auch hier?« stotterte der Alte, während sein Blick erstaunt und verwirrt von ihr zu den beiden Söhnen hinüberflog.

»Kennt Ihr mich noch, Barthold?« fragte die alte Dame, »es ist eine lange Zeit, daß wir uns nicht gesehen haben.«

»Werd' ich Sie nicht kennen, gnädigste Frau Gräfin!« sagte der alte Mann, indem er auf sie zuging und die ihm gereichte Hand ergriff und küßte. »Ihr lieber Blick tut meinen alten Augen wohl und bringt die alte, langverflossene Zeit wieder lebendig herauf. – Aber – wie ist mir denn?« setzte er hinzu, und wieder fiel sein Blick von Wolf auf Georg, »so hatte ich es mir eigentlich wohl oft gedacht, aber...«

»Was habt Ihr Euch gedacht?«

»O, nichts, gnädigste Frau Gräfin!« rief der Alte bestürzt, »nur alberne Gedanken von mir, wie es mir oft geschieht, daß ich die Jahre verwechsele und mich manchmal um ein Menschenalter dabei verrechne. Halten Sie es mir zugute.«

»Wir ziehen nach Ungarn, Barthold,« sagte Wolf, »hättet Ihr Lust, Schildheim zu lassen und uns zu begleiten?«

»Nach Ungarn – so? Es soll ein schönes, reiches Land sein, mit prächtigen Wäldern und weiten Steppen, wie ich oft gehört – aber daheim – ich habe so viele alte Bekannte in meinem Walde stehen, daß sich das Herz wohl schwer von ihnen losreißen würde. Wenn der Herr Graf aber befehlen...«

»Von Befehlen ist keine Rede, Barthold,« sagte Wolf, »es müßte Euer freie Wille sein.«

»Wollt Ihr nicht mit mir gehen, Franz?« sagte Georg, ihn ruhig und lächelnd ansehend.

»Franz?« rief der alte Mann fast erschreckt, indem er den Redenden groß ansah, »Franz? lieber Gott, so hat mich nur einer genannt, vor vielen, langen Jahren, und der...«

»Den kennt Ihr nicht mehr oder wollt ihn nicht mehr kennen?« fragte Georg gerührt.

»Den will ich nicht mehr kennen?« rief Barthold, bestürzt die Hände faltend, »großer Gott, wie ist mir denn? – die Frau Gräfin hier und der Herr Graf und Sie – wie zwei junge Eichen von demselben Stamme!«

»So habt Ihr mit dem Georg so lange gelebt,« sagte dieser herzlich, »und doch nicht gemerkt, daß er derselbe kleine wilde Bursche sei, der damals auf Euch geritten und Euch bös geneckt. Alter Franz, wollt Ihr mit uns gehen?«

»Bis ans Ende der Welt!« schrie der Alte, dem die großen, hellen Tränen über die Backen liefen, indem er des jungen Grafen Hand ergriff und mit seinen Küssen bedeckte, »bis nach Amerika und Australien, und zu den Menschenfressern, wenn's sein muß! Guter, lieber Gott! nehmen Sie's nicht ungnädig, Herr Graf, aber das Herz ist mir über und über voll, und solche Freude hatte ich mir nicht mehr gedacht. Der kleine Georg – so hat er doch Wort gehalten und ist wiedergekommen – und wie sich meine Vögel erst freuen würden, wenn ich es denen noch erzählen könnte!«

»Ihr sollt es ihnen erzählen, Barthold,« sagte freundlich Wolf, »wenn auch nur Euren Vöglein. Ihr mögt morgen wieder nach Hause reisen, um Briefe von mir an den Verwalter und Eure Sachen gleich in Ordnung zu bringen. Jetzt geht zu Karl und laßt Euch Euer Frühstück geben. Nachher sprechen wir weiter.«

Wolf mußte heute für alle denken; die Freude, einander wieder zu haben, hatte selbst den sonst so ernsten und gesetzten Georg betäubt, daß er sich, wie in einem Traume, nur noch dem Glücke hingab, der Mutter wieder zu gehören. Während aber die alte Dame jetzt, Adelens Hand in der ihren und mit der Rechten Josefine an sich pressend, auf dem Sofa saß und sich erzählen ließ, und auch die kleine Marie herübergerufen war, nicht allein und verlassen in diesem allgemeinen Glücke zu sein, ging Wolf in sein Schlafzimmer, um sich anzukleiden und zur bestimmten Zeit beim Kriegsminister einzutreffen. Um zwölf Uhr war er dorthin beschieden worden, und es blieb ihm gerade noch Zeit, die Ralphensche Wohnung bis dahin zu erreichen.

30.

Als Wolf die breite, teppichbelegte Treppe hinaufstieg, murmelte er leise vor sich hin:

»Zum letztenmal! – Wie viel leichter ist mir jetzt, da ich das alles abgeschüttelt habe! Melanie – es war ein schöner Traum, aber auch nichts weiter – sie hat kein Herz, sonst hätte sie nicht so sich von mir losreißen können. Fort damit! In wenigen Wochen liegt das alles nur noch in der Erinnerung« – und rasch die letzten Stufen hinaufspringend, bat er einen der herbeieilenden Diener, ihn bei seiner Exzellenz anzumelden. Der Bediente ersuchte ihn, ihm nur zu folgen, da Seine Exzellenz schon nach dem Herrn Rittmeister gefragt hätten. Er führte ihn aber nicht nach des Ministers Arbeitszimmer, sondern nach Melanies Gemächern und klopfte hier an, ehe Graf Geyerstein eine Einwendung dagegen machen konnte.

»Herein!«

Der Diener steckte den Kopf in die Tür und meldete: »Der Herr Graf von Geyerstein sind eben gekommen und lassen anfragen, ob Exzellenz...«

»Soll herein kommen!« rief die fröhliche Stimme des alten Herrn, »wollen die Sache gar nicht so förmlich machen.«

Der Diener warf die Tür weit auf, und seinen Helm im Arm, stand im nächsten Augenblick Graf Geyerstein auf der Schwelle von Melanies Zimmer, die sich bei seinem ehrfurchtsvollem Gruße verlegen halb von ihrem Sitze erhob.

»So, das ist recht, lieber Geyerstein,« sagte die alte Exzellenz, ihm herzlich die Hand reichend, »daß Sie so pünktlich Wort halten. Ich habe Ihnen heute auch eine angenehme Kunde zu bringen.«

»Der Kanzleibote steht auch noch im Vorsaale, Exzellenz,« erinnerte der Diener.

»Lieber Gott, auch den hatte ich ganz vergessen!« rief der Kriegsminister, unwillig mit dem Kopfe schüttelnd, »den muß ich erst abfertigen – aber das ist gleich geschehen. Bleiben Sie nur einen Augenblick hier bei meiner Tochter – ich bin gleich wieder da und bringe Ihnen dann auch die Papiere mit.«

»Welche Papiere, Exzellenz?«

»Werden schon sehen – daß du mir indessen nicht plauderst, Melanie!« Und der Tochter mit dem Finger drohend, verließ der alte Herr das Zimmer.

»Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Graf?« sagte Melanie leise.

Graf Geyerstein nahm, ohne seinen Helm abzulegen, sich leicht verneigend, einen Stuhl der jungen Dame gegenüber.

»Ich hoffe nicht, daß ich störe, Komtesse.«

Melanie verneinte durch eine Bewegung.

»Dann möchte ich den mir vergönnten Augenblick zugleich benutzen, mich Ihnen – auf längere Zeit – zu empfehlen.«

»Sie wollen wieder auf Urlaub gehen?« sagte Melanie, und ein einziges wehes Gefühl ergriff ihr Herz.

»Dieses Mal nicht,« sagte Graf Geyerstein ruhig, »der Zweck meines Besuches bei Seiner Exzellenz ist, ihn darum zu bitten, mein Entlassungsgesuch aus ***schen Diensten bei dem Fürsten zu befürworten. Ich habe im Sinne, den Dienst für immer zu quittieren.«

»In der Tat?« sagte Melanie ruhig, »um sich auf Ihre Güter zurückzuziehen?«

»Ja, Komtesse – mit meiner Mutter. Die Gräfin Geyerstein hat mich heute morgen durch ihre Ankunft überrascht. Ich habe eine Besitzung in Ungarn gekauft, die ich selber zu bewirtschaften gedenke.«

»Mit Ihrer Mutter?« rief Melanie erstaunt.

»Finden Sie das so außerordentlich, Komtesse? Wir haben so lange getrennt gelebt, daß wir beide das Bedürfnis fühlen, von jetzt an einander näher zu stehen. – Meine Familie wird von da an auch das einzige sein, auf das ich angewiesen bleibe.«

Melanie neigte leise das Haupt, erwiderte aber nichts. Sollte die alte, stolze Gräfin Geyerstein ein solches Verhältnis billigen können? Sollte sich der Graf selber so weit vergessen, jener – Frau die Hand zu reichen? Die Gedanken tauchten in ihr auf, ohne daß sie sich selber Rechenschaft zu geben wußte. Das Gespräch überhaupt wurde ihr peinlich – sie wünschte, daß ihr Vater zurückkomme, und mehr um die drückend werdende Stille zu unterbrechen, als eine Antwort zu erhalten, sagte sie nach einer Pause: »Sie hatten noch ein anderes Gut, wenn ich nicht irre, Schildheim?«

»Allerdings, Komtesse.«

»Es soll reizend gelegen sein.«

»Hat Ihnen vielleicht Herr von Zühbig eine Beschreibung davon geliefert?« fragte Graf Geyerstein plötzlich mit so kalter und scharfer Betonung, daß Melanie überrascht, fast erschreckt zu ihm aufsah.

»Ich wußte nicht,« setzte sie rasch hinzu, »daß Ihnen schon die Erwähnung jenes Gutes so unangenehm war; ich würde es sonst vermieden haben.«

»Komtesse,« sagte Graf Geyerstein, sich langsam von seinem Stuhl erhebend, »ich weiß nicht, auf welche Art Sie in den Besitz meines Geheimnisses gelangt sind – sogar ehe ich selber imstande gewesen war, es Ihnen zu enthüllen, denn ich hatte keine Ahnung, daß Sie es mit solcher Strenge beurteilen würden.«

»Herr Rittmeister?« rief Melanie erstaunt.

»Wie dem aber auch sei,« fuhr Wolf bewegt fort, »ich habe mir keinen Vorwurf zu machen. Was jugendlicher Leichtsinn verbrach, hat der Mann gebüßt und gut gemacht, so viel in seinen Kräften stand.«

»Herr Graf,« sagte Melanie ruhig, »ich hoffe nicht, daß Sie mir gegenüber eine Entschuldigung des Geschehenen für nötig halten, wie ich ebenso darauf verzichte, die Triebfedern zu erfahren, welche Sie zu handeln zwangen, wie – Sie eben nun einmal gehandelt haben.«

»Nein, Komtesse,« sagte der Rittmeister, während auch der letzte Blutstropfen seine Wangen verlassen hatte, »meine Worte sollen, selbst Ihnen gegenüber, keine Entschuldigung enthalten. Wie ich gehandelt habe, ich konnte nicht anders, ich hätte denn das eigene Herz, das Herz der Mutter zerfleischen müssen. Mir blieb nur die Wahl, mich von meinem Bruder loszusagen und ihn rettungslos auf der eingeschlagenen Bahn zugrunde gehen zu lassen, oder ihn mit starker, hilfreicher Hand zu fassen und mir, der Mutter – der Welt zu erhalten. Ich habe dabei gehandelt, wie ich es mit meiner Ehre, mit der Ehre meines Namens vereinbarlich hielt – daß ich Sie dadurch verloren, Melanie, schmerzt mich tief, nicht allein meinet- – nein, auch Ihretwegen; aber selbst um diesen Preis, um den ich mein Leben selber gern und freudig in die Schanze schlagen würde – selbst um diesen Preis möchte ich das, was ich getan, nicht ungeschehen machen.«

»Von Ihrem Bruder?« sagte Melanie, die den letzten leidenschaftlichen Worten des Mannes mit immer wachsender Spannung gelauscht, »Sie sprechen in Rätseln, Herr Graf. Ich habe keine Ahnung gehabt, daß Ihnen überhaupt ein Bruder lebt.«

Graf Geyerstein sah die Sprechende groß und erstaunt an. »Gnädige Komtesse,« sagte er, »für eine bloße gesellschaftliche Redensart ist Ihr Erstaunen zu wahr – wenn aber nicht – was dann noch konnte Sie bewegen, mich so zurückzuweisen – woher wußten Sie dann von einer – entehrenden Verbindung, in der ich mit jener Kunstreitergesellschaft gestanden?«

»Aber was – was hat Ihr Bruder mit den Kunstreitern zu tun?« fragte Melanie, durch das ernste, stolze Benehmen des Grafen nur noch verwirrter gemacht.

»Entweder Sie spotten meiner,« entgegnete Graf Geyerstein bewegt, »und kein Augenblick wäre unglücklicher dazu gewählt gewesen als der jetzige, oder ein eigenes Verhängnis hat uns beide verwirrt. Antworten Sie mir ehrlich, Komtesse Melanie – es soll die letzte Frage sein, die ich in diesem Leben an Sie stelle – wußten Sie nicht, daß Georg Bertrand mein Bruder sei?«

»Georg Bertrand?« hauchte Melanie, in Todesschreck die Hände faltend, »so wahr ich einst selig zu werden hoffe – nein.«

»Welch anderes Geheimnis flößte Ihnen denn solche Verachtung gegen mich ein, Komtesse?« sagte der Graf ruhig, »aber ich habe nicht danach zu fragen,« brach er kurz und bitter ab. »Daß ich, der Graf Geyerstein, der Adjutant des Fürsten und Offizier, den Kunstreiter als meinen Bruder anerkannte, daß ich ihn jenem Leben, in das ihn sein jugendlicher Leichtsinn geworfen, entzog, daß ich ihn nach Schildheim brachte, freilich in der vergeblichen Hoffnung, auch seine Frau einem geregelten Leben zu gewinnen – und heute nun geerntet, wo ich gesäet, heute den Sohn wieder an das Herz der Mutter legen konnte und seinem Haupte ihren Segen gerettet habe, das hielt ich für mein Verbrechen Ihnen gegenüber – das einzige, dessen ich mich schuldig weiß, und damit werde ich mich jetzt von einem Stande zurückziehen, dem ich, wie ich bis heute glauben mußte, Ihrer Meinung nach nicht mehr mit Ehren angehören konnte.«

»Graf Geyerstein!« rief Melanie und ihre ganze Gestalt zitterte, ihr Auge hing in Schmerz und Angst an den bleichen, ernsten Zügen des jungen Mannes. Dieser aber fuhr ruhig fort: »Eine große und schwere Last wäre von meiner Seele genommen, wüßte ich, daß dem nicht so sei. – Doch wie auch immer, Komtesse, leben Sie wohl, und vielleicht bringt Ihnen einmal eine spätere Zeit die Ueberzeugung, daß der Mann, der es gewagt hatte, selbst Ihren Besitz zu erhoffen, dessen vielleicht nicht würdig gewesen sei – nie aber seiner selbst unwürdig gehandelt haben konnte. Leben Sie wohl – ich sehe, meine Nähe ist Ihnen peinlich; ich werde die Rückkunft Seiner Exzellenz im Vorsaal erwarten.«

Er verbeugte sich vor der jungen Gräfin und wollte sich so verabschieden; da aber hielt sich Melanie nicht länger.

»Graf Geyerstein!« rief sie, die Arme nach ihm ausstreckend, »Wolf! – können Sie mir verzeihen?«

»Melanie!« hauchte der Graf, in freudigem Schreck zu ihr aufschauend; die Jungfrau aber, ihrer selbst nicht mächtig, wankte auf ihn zu, und ihr Haupt an seine Brust legend, während Wolf in jubelndem Entzücken sie an sich preßte, flüsterte sie: »Wie tief und unverdient hab' ich dies edle, treue Herz gekränkt!«

»Scharmant!« rief in diesem Augenblick die lachende Stimme des alten Herrn, der gerade in der Tür erschien. »Da mache ich mir die bittersten Vorwürfe, daß ich den Grafen so lange warten und sich langweilen lasse, und in der Zeit hat der meine Tochter beim Kopf und antichambriert auf die Art nach Herzenslust. Was machen Sie da, Geyerstein?«

»Exzellenz!«

»Er hat mich gebeten, Väterchen,« sagte da Melanie, unter Tränen lächelnd, während sie ihre Stellung nicht verließ und nur etwas den Kopf gegen den Vater wandte, »doch sein Fürsprecher zu sein, daß du ihm seine Entlassung aus ***schen Diensten bewilligtest.«

»Das sieht beinahe so aus,« lachte der Kriegsminister, »und Entlassung aus dem Dienste? Was fällt dem Herrn Major denn jetzt auf einmal ein, den Dienst zu quittieren, in dem er sich als Rittmeister so lange Jahre wohlbefunden?«

»Major?« rief Graf Geyerstein, erstaunt den Kriegsminister anblickend, der ein großes, mit einem mächtigen Siegel petschiertes Kuvert in der Hand und ihm lachend entgegenhielt.

»Da auf dem Ding,« rief er dabei, »steht wenigstens die Adresse groß und breit, dem Major Grafen Wolf von Geyerstein, von des Fürsten eigener Hand geschrieben. Den Herrn Major werde ich jetzt aber auch um eine Erklärung bitten und besonders fragen müssen, ob er seine Wartezeit nicht besser anzuwenden weiß, als anderer Leute Tochter den Kopf zu verdrehen?«

»Exzellenz,« sagte der junge Mann, in einem wahren Taumel von Glück und Seligkeit, ohne jedoch die noch immer an ihn geschmiegte Melanie aus seinem Arm zu lassen, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich in diesem Augenblick selber nicht weiß, wo mir mein eigener Kopf steht – ich bin zu glücklich, zu selig, Sie auch nur...«

»Um deinen Segen zu bitten, Papa!« flüsterte Melanie, sich ihm entwindend und zum Vater eilend, an dessen Hals sie flog. »Ich war ein böses – böses Kind, Papa, und habe viel, gar sehr viel gut zu machen; aber,« setzte sie mit herzlichem Tone hinzu, indem sie dem Ueberglücklichen die Hand entgegenstreckte, »auch eine ganze Lebenszeit vor mir, es zu vollbringen.«

»Dann nehmt von ganzer Seele meinen Segen,« sagte der alte Herr gerührt. – »Sie, Graf, war ich gewohnt, seit langen Jahren als mit zum Hause gehörig zu betrachten, und daß Sie die letzten Monate sich dem so entfremdeten, hat mir wehe getan. Die Sache hattet ihr beiden mitsammen auszumachen, und nur die Pläne, die eure Mama – aber alle Teufel, weiß denn die Mutter schon um dieses Bündnis, das die beiden kriegführenden Mächte auf einmal miteinander geschlossen haben?«

Melanie schüttelte den Kopf.

»Gut,« lachte der alte Herr still vor sich hin, »dann kann sie sich die Neuigkeit gleich selber holen, denn das ist ihre Stimme draußen. Und nun, Herr Major, bitte ich mir auch aus, daß Sie mich nicht den ganzen Tag hier mit dem Patent in der Hand stehen lassen. Sie scheinen sich keinen Pappenstiel daraus zu machen.«

»Bester Vater!«

»Ahem, da bekomme ich gleich einen neuen Titel. Schön, werde augenblicklich Gebrauch davon machen. – Frau von Ralphen,« wandte er sich in dem Moment zu der eben eintretenden Exzellenz, die mit einem Brief in der Hand das Zimmer ihrer Tochter betrat und überrascht schien, den Grafen Geyerstein hier zu finden. »Ich habe die Ehre, Ihnen hier Herrn Major von Geyerstein vorzustellen, der Sie durch mich ersuchen läßt, ihm für heute abend ein gutes Souper herzurichten und ihm in Zukunft eine gnädige liebevolle Schwiegermutter zu sein.«

»Eine Schwiegermutter?« rief die alte Dame, im höchsten Erstaunen von einem zum andern blickend, »Melanie!«

»Meine liebe, liebe Mutter!« flüsterte Melanie an der Mutter Brust, »ich habe ihn ja immer geliebt – und bin so glücklich jetzt – so herzensfroh!«

»Aber, liebes Kind,« sagte die alte Exzellenz bestürzt, »das ist – Herr Graf, Sie entschuldigen – eine Wendung, auf die ich in der Tat nicht gefaßt war. Graf Selikoff schreibt mir soeben, daß er dich um deine entscheidende Antwort bittet, da er in nächster Zeit hier wieder eintreffen will.«

»Nun, da ist ja noch gar nichts versäumt,« lachte Herr von Ralphen gutmütig, »da kann er's ja noch immer bis dahin erfahren.«

»Aber, Melanie!« rief Frau von Ralphen.

»Hast du dem Grafen Selikoff ein Versprechen gegeben?«

»Nein, Papa.«

»Oder ihm Hoffnungen gemacht?«

»Nie,« sagte Melanie mit fester Stimme, ihrem Vater dabei offen ins Auge schauend.

»Bon!« sagte der alte Herr, sich vergnügt die Hände reibend. »Der Selikoff ist ein herzensguter und ganz gescheiter Mensch, mit dem man recht angenehmen Umgang haben kann, und hätte Melanie ihn zu ihrem Gatten gewählt, nun, so würde ich mich dem gefügt haben, denn meinem Kinde will ich keinen Zwang antun. Wie die Sache aber jetzt steht, ist mir der neugebackene Major lieber, und daß auch du ihm eine freundliche Mutter sein wirst, dürfen wir von dir erwarten.«

»Aber ich begreife gar nicht...«

»Nachher, Mütterchen, nachher,« bat Melanie, während Graf Geyerstein auf sie zuging und ehrfurchtsvoll ihre Hand an seine Lippen zog, »der Graf selber begreift es noch nicht, und ihm bin ich vor allen anderen eine Erklärung schuldig, dann kommst du und Papa auch daran. Nicht wahr, ihr laßt mich einen Augenblick mit ihm allein?«

»Ja, wenn wir hier aus dem Zimmer geworfen werden, Mütterchen, dann müssen wir wohl gehen,« lachte Herr von Ralphen; »und ob mir der verzweifelte Mensch nur den Brief aus der Hand genommen hätte,« setzte er hinzu, indem er das Schreiben mit komischem Zorn auf den Tisch warf.

»Und das alles hier –« begann die Mutter noch einmal; ihr Gatte aber nahm ihren Arm in den seinen, und mit einem freundlichen »Macht's kurz, ihr beiden, und Sie, Major, kommen dann zu mir hinüber,« zog er die noch immer halb Widerstrebende lachend aus der Tür und mit sich in sein Arbeitszimmer, um dort den glücklichen Bräutigam zu erwarten.

31.

Bei Herrn von Zühbig war großes Diner zur Geburtstagsfeier der gnädigen Frau.

Geladen waren: Herr Staatsrat von Zädnitz mit Gemahlin, Herr General von Schoden mit Fräulein Euphrosyne von Schoden, Herr Geheimer Finanzrat von Eitelbrand mit Gemahlin und Tochter, Fräulein Franziska von Zahbern, Herr Baron Hugo von Silberglanz, Herr Gerichtsassessor Freiherr von Helmersdorf.

Das Diner war verzehrt, die Diener schafften Schüsseln und Weinflaschen hinaus, die Damen und Herren hatten sich in einen benachbarten Salon begeben, wo Kaffee serviert wurde, und während sich die Gäste hier in kleinen Gruppen absonderten, gelang es dem Staatsrat von Zädnitz endlich, wonach er schon lange gestrebt, den Baron Hugo von Silberglanz in einem Knopfloch zu erwischen.

»Aber, mein Herr Baron,« rief der etwas ausgetrocknete Herr, indem er sein scharfmarkiertes Gesicht in ein süßliches Lächeln zog, »man wird Ihrer ja gar nicht habhaft, und ich habe mir bis jetzt die größte, wenn auch immer vergebliche Mühe gegeben, Ihnen auch nur einmal für einen Moment beizukommen.«

»Herr Staatsrat, ich stehe ganz zu Ihren Diensten,« sagte unser alter Freund Hugo von Silberglanz mit einer tiefen Verbeugung, »Sie haben nur zu befehlen.«

»Zu bitten, Verehrtester, zu bitten, nämlich uns einige Data über Ihre französische Reise. – Ach, Paris, Baron – es gibt doch nur ein Paris!«

»Da kommen Sie uns zu Hilfe, mein lieber Staatsrat,« sagte Fräulein von Zahbern, die an seiner Seite stand. »Aus dem Baron ist aber nicht so viel herauszubekommen. Wissen Sie, daß ich ihn in Verdacht habe, in Paris unter die Freimaurer gegangen zu sein?«

»Ich glaube schwerlich, daß er dazu in Paris wird Zeit gehabt haben,« lächelte die Frau Staatsrätin, eine volle üppige Gestalt, neben der ihr Gatte sich in den Falten seines Fracks zu verlieren schien.

»Allerdings nicht, gnädige Frau,« sagte von Silberglanz, sich verneigend, »ich war sehr beschäftigt dort, wenn auch nicht in der Weise, wie Sie zu glauben scheinen. Aber auch Fräulein von Zahbern tut mir unrecht, denn ein so schlechter Erzähler bin ich doch wahrhaftig nicht.«

»Mein lieber Silberglanz,« nahm aber auch Herr von Zühbig gegen ihn Partei, indem er seine kleine Gestalt mit dem vom genossenen Weine seligen Gesicht zwischen die Gruppe schob. »Die Damen haben vollkommen recht – ganz ausschließlich. Sie sind eine Sphinx, eine wahre steinerne Sphinx, und da wir Sie jetzt hier eingefangen und fest haben, mache ich den Vorschlag, Sie nicht eher wieder freizugeben, als bis Sie uns Ihr Abenteuer aus Schildheim gebeichtet haben.«

»Aber, Baron, ich bitte Sie um tausend Gottes willen,« flüsterte leise und erschreckt Hugo von Silberglanz.

»Tut mir leid, hilft Ihnen aber nichts,« lachte von Zühbig, der sich gerade in einer Stimmung befand, alle leichteren Hindernisse des menschlichen Lebens als gar nicht bestehend zu betrachten. »Machen Sie keine unnötigen Schwierigkeiten, Freund, Sie sitzen einmal in der Falle.«

»Bravo! bravo!« rief fröhlich in die Hände schlagend Fräulein von Zahbern, die sich heute schon den ganzen Tag in ausnahmsweise froher und heiterer – selbst harmloser Stimmung befand – etwas, das sich von der jungen Dame nicht immer sagen ließ. »Da in die Ecke wollen wir ihn setzen lassen, Herr von Zühbig, und dann Wache bei ihm stehen, bis er auch das letzte gebeichtet hat.«

»Aber was ist das mit Schildheim?« fragte die Frau Staatsrätin. »Ist das nicht das Gut, das der Gräfin Geyerstein gehört und da oben irgendwo an der schwedischen oder norwegischen Grenze liegt?«

»Dasselbe, Verehrteste,« schmunzelte von Zühbig, »und ein leichtfertiger Baron hat da, wie ich fürchte, ein paar abnorme Abenteuer bestanden, von denen es seine Bescheidenheit jetzt nicht erlaubt, Rechenschaft zu geben.«

»Ein paar gleich?« sagte die Frau Staatsrätin, »und sollte ihm seine Bescheidenheit dabei wirklich im Wege stehen? Die ist sonst Ihr Fehler nicht, nicht wahr, Baron?«

»Gnädige Frau,« erwiderte von Silberglanz etwas pikiert, »es tut mir leid, Ihnen diesmal widersprechen zu müssen, denn meine Bescheidenheit verbietet mir allerdings, verschiedene Abenteuer zu erwähnen, und diese nicht allein, sondern auch meine Diskretion.«

»Aber, Herr Baron,« klagte Fräulein von Zahbern, »Sie machen uns dadurch ja nur noch immer neugieriger.«

»Seien Sie nicht ängstlich, mein gnädiges Fräulein,« beruhigte sie von Zühbig mit einer entsprechenden Handbewegung, »seine Diskretion erstreckt sich nicht bis auf Hölderleins Keller, und dort hat er mir schon, gleich gestern nach seiner Ankunft und trotz dieser entsetzlichen Diskretion, ein offenes Bekenntnis der Hauptdata wenigstens abgelegt...«

»Aber dabei auf die Ihrige gerechnet, Baron.«

»Ohne Vorbehalt, Freundchen,« schmunzelte von Zühbig gnädig den kleinen Mann an, »ohne den geringsten Vorbehalt.«

»Aber Sie werden doch nicht...«

»Erzählen, daß Sie die göttliche Georgine Bertrand wirklich entführt und sie jetzt, ein zweiter Aeneas, auf Naxos haben sitzen lassen? Gott bewahre,« lachte von Zühbig, »das wäre in der Tat indiskret.«

»Ich will doch nicht hoffen –« mischte sich hier etwas rasch Frau von Zühbig in das Gespräch.

»Daß er so glücklich war? – allerdings,« lachte ihr Gatte, »aber das Interessanteste verschweigt er grausamerweise.«

»Aber, Baron, ich bitte Sie ernstlich.«

»Pst! Freundchen, jeder solcher der Gesellschaft vorenthaltene Punkt ist ein Raub, den wir an ihrer Unterhaltung, also an ihrer ganzen Existenz begehen, und sollte einen Platz im Kriminalgesetzbuche finden, wenn überhaupt Gerechtigkeit in der Welt wäre. – Er verschweigt nämlich, was geschehen ist, als er mit dem betrogenen und gekränkten Gatten wieder zusammentraf.«

»In der Tat?« rief Fräulein von Zahbern, jetzt ganz Ohr.

»Und etwas muß da vorgefallen sein,« fuhr von Zühbig erbarmungslos fort.

»Lieber Zühbig,« sagte von Silberglanz entschlossen, »Sie mögen mich als einen indiskreten oder vielmehr zu vertrauensvollen Freund kennen gelernt haben, aber daß ich ein Prahlhans sei, kann mir niemand vorwerfen.«

»Also Sie haben sich duelliert?« fragte Fräulein Franziska rasch. »Gott! wie schrecklich!«

»Sie sehen, mein gnädiges Fräulein, daß ich noch gesund vor Ihnen stehe,« bemerkte von Silberglanz.

»Unser Monsieur Bertrand ist ebenso gesund davongekommen,« kaute der Staatsrat mit seiner breiten Stimme und einem vergnügten Grinsen.

»Aber woher weißt du das?« sagte seine Frau.

»Woher, mein Schatz? – als ob ein Mann in meiner Stellung nicht alles wissen müßte.«

»Alles?« lächelte die Frau Staatsrätin und warf ihrem Gatten einen spöttischen Seitenblick zu.

»Alles, mein Kind,« bestätigte ihr Mann, »und daher weiß ich denn auch, daß eben dieser Georg Bertrand vor etwa drei Wochen drei ganze Tage lang im Hause des Grafen Geyerstein war und dort mit seinem Kinde gewohnt hat.«

»Mit seiner Tochter?« rief von Silberglanz rasch.

»Mit seiner Tochter. Sie scheinen auch in der Familie näher bekannt.«

»Aber, Herr Staatsrat,« rief Fräulein von Zahbern, »davon sollten wir in der Residenz gar nichts erfahren haben?«

»Daß es Ihnen entgangen ist, mein gnädiges Fräulein, wundert mich selber,« bemerkte der Staatsrat, »aber seine Abreise stand mit der der Gräfin Geyerstein in genauester Verbindung, denn sie sind – in einem Wagen abgereist.«

»Und davon haben Sie uns die ganze lange Zeit kein Wort gesagt?«

»Dann hat ihn auch die alte Gräfin mit auf ihre neuen ungarischen Güter genommen,« rief von Zühbig, »und dahin ist denn auch jedenfalls vor acht Tagen das junge Ehepaar nachgereist.«

»Aber in welcher Verbindung könnte Georg Bertrand mit ihnen stehen?« fragte die Staatsrätin; »Franziska, das müßten Sie uns eigentlich herausbekommen. Sie sind ja mit der alten Exzellenz von Ralphen ein Herz und eine Seele, und Melanie...«

»Ich habe seit dieser Verbindung keinen Fuß wieder in das Haus gesetzt,« sagte Fräulein von Zahbern, den Kopf stolz zurückwerfend.

»Ein neues Rätsel,« rief der Staatsrat, »und die ganze Stadt behauptete, es sei einzig und allein Ihr Werk gewesen.«

»Dann tut mir die ganze Stadt zu viel Ehre an,« erwiderte Fräulein von Zahbern kalt. »Melanie hat den Grafen Geyerstein nur genommen, weil sie sich Hoffnungen auf Selikoff gemacht hatte und diese zuletzt doch wohl nicht haltbar fand. Sie mochte nicht als alte Jungfer sterben.«

»Sehr vernünftig von der jungen Dame,« bemerkte der Staatsrat mit einem bedenklichen Blick auf Fräulein von Zahbern, der aber von dieser glücklicherweise nicht bemerkt wurde.

»Apropos, Selikoff,« sagte von Silberglanz, der bei der neuen Wendung des Gespräches eine Last von seinem Herzen gewälzt fühlte. »Als ich damals abreiste, hieß es ja, daß er nur nach Petersburg ginge, um einige Geschäfte zu ordnen.«

»Das hieß damals so,« sagte Frau von Zädnitz, »seit sich die Sachen hier aber so geändert haben, wird er schwerlich wiederkehren.«

»Gnädige Frau möchten sich darin doch vielleicht irren,« erwiderte Fräulein von Zahbern, und ein eigener triumphierender Blick schoß dabei nach dem Baron Silberglanz hinüber, von dem er jedoch total abprallte. »Ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß Melanie von Ralphen keinen Einfluß auf sein Herkommen oder Wegbleiben hat, und daß er also, trotz Komtesse von Ralphens Heirat und sehr unbekümmert darum, in etwa vierzehn Tagen hier wieder eintreffen wird.«

»Ei, ei, mein gnädiges Fräulein,« schmunzelte von Zühbig, »sollen wir da vielleicht veranlaßt werden, andere zarte Bande als Magnet zu betrachten, die ihn hierher ziehen könnten? Selikoff hat Ihnen einmal, ehe er sich so ganz nach Ralphens hinzog, entsetzlich die Tour gemacht.«

»Nein, da tun Sie Fräulein von Zahbern unrecht, Herr Baron,« rief der Staatsrat, ihre Partei ergreifend, »diesmal ist das gnädige Fräulein nicht allein vortrefflich unterrichtet, sondern interessiert sich auch aus vollkommen uneigennützigen Absichten für den jungen Russen. Allerdings ist dieser über seine sich früher gesetzte Zeit ausgeblieben – wahrscheinlich hat er nicht früher nach *** zurückkehren können – jetzt weiß ich aber bestimmt, daß er in vierzehn Tagen wieder hier eintreffen wird, um – der Residenz seine junge Frau vorzustellen.«

Fräulein von Zahbern sah vor sich nieder und flüsterte: »Nun, mein Herr Staatsrat, so weit ist die Sache denn doch eigentlich nicht.«

»Allerdings, mein gnädiges Fräulein – Pardon, wenn ich Ihnen widerspreche. Die Trauung wird am 17. dieses Monats mit der jungen Fürstin Orlikoff vollzogen werden.«

Fräulein Franziska wurde leichenblaß; im nächsten Moment aber auch schon zog sich ein höhnisches Lächeln um ihre Lippen, und sie erwiderte: »Der Herr Staatsrat geruhen zu phantasieren, die Braut soll er sich wohl im Vorbeigehen aufgelesen haben!«

»Bitte um Entschuldigung,« entgegnete von Zädnitz mit der boshaftesten Geflissenheit, »er hat um sie nach alten Rechten und Gebräuchen geworben – wahrscheinlich, um Komtesse Ralphen zu beweisen, daß er nicht um eine gute Partie verlegen zu sein braucht, denn die junge Fürstin soll eine der ersten Partien in Petersburg sein.«

»Es ist eine boshafte Erfindung von Ihnen,« sagte Fräulein von Zahbern, indem ihr Antlitz eine fast dunkle Färbung annahm und ihre Augen wie ein paar Brillanten leuchteten.

»Dann habe ich auch wahrscheinlich diesen Brief gefälscht,« sagte der Staatsrat, indem er ein Kuvert aus der Tasche und sorgfältig und sehr langsam ein zierliches Billett aus diesem nahm. Höchst vorsichtig und umständlich faltete er es dabei auseinander, indes Fräulein Franziska wie auf Nadeln neben ihm stand und sich augenscheinlich alle Gewalt antun mußte, es ihm nicht aus den Fingern zu reißen. Von Zädnitz sah das auch recht gut, wenn sein Auge auch nicht nach ihr hinüberflog, und ein leises Lächeln zuckte ihm dabei um die dünnen Lippen. Aber er beeilte sich deshalb nicht im geringsten, und endlich das zartduftende Billett vor sich haltend, las er:

»Lieber Zädnitz!

Ich weiß, daß Sie Anteil an mir nehmen, deshalb zeige ich Ihnen hiermit, und nur Ihnen, meine am 17. dieses Monats stattfindende Vermählung mit Feodorowna Fürstin von Orlikoff an. Teilen Sie es meinen Freunden mit. Zugleich bitte ich Sie, mir zu Ende des Monats und für den Sommer ein passendes Quartier in *** auszumachen, in bester Lage, und mit jeder irgend möglichen Räumlichkeit für uns, Dienerschaft und zehn Pferde. Der Preis ist natürlich gleichgültig. Indem ich Sie bitte, mich Ihrer liebenswürdigen Frau Gemahlin zu Füßen zu legen, bleibe ich wie immer Ihr –«

»Bitte, gnädiges Fräulein, kennen Sie die Unterschrift?«

»Selikoff,« las Fräulein von Zahbern, die sich indessen gewaltsam gesammelt hatte, vollkommen gleichgültig. »Der Herr Staatsrat mußten nach solcher direkten Anzeige allerdings besser unterrichtet sein als wir.«

»Aber die liebenswürdige Frau Gemahlin,« bemerkte Frau von Zädnitz, »hat ja bis jetzt kein Wort, nicht einmal von dem Gruß erfahren.«

»Weil ich den Brief zehn Minuten vorher erhielt, ehe wir von Hause fortfuhren, mein Schatz,« erwiderte ihr Gatte, »und ich dann von deiner brillanten Toilette so geblendet war, daß ich alles andere darüber vergaß.«

»Und Fräulein Franziska hättest du die Nachricht auch nicht so unvorbereitet mitteilen sollen.«

Der Blick, den die junge Dame in diesem Augenblick – vielleicht unbewußt, aber gewiß nicht unbeobachtet – auf die Frau Staatsrätin warf, hätte, wäre er ein Dolch gewesen, ihren unmittelbaren Tod zur Folge haben müssen. Lächelnd aber erwiderte sie: »Und warum nicht mir, gnädige Frau? Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß ich solches Interesse an jenem sibirischen Grafen nehme, wie – vielleicht manche andere »liebenswürdige« Damen dieser Stadt? – Aber, Herr von Zühbig, ich dächte, es wäre Zeit zum Theater, und ich möchte das heutige Stück um keinen Preis versäumen.«

»Parbleu! das gnädige Fräulein hat recht,« rief Herr von Zühbig, erschreckt nach seiner Uhr sehend, »in so angenehmer Gesellschaft hätte ich beinahe meine eigene Pflicht versäumt. Bitte, meine Herrschaften, lassen Sie sich ja nicht durch mich stören – aber ich muß fort.«

»Donnerwetter, Zühbig, es ist wohl Theaterzeit,« rief der alte General von Schoden vom Fenster aus, »warten Sie – wir gehen alle mit.«

»Aber, liebe Euphrosyne,« rief Frau von Zühbig, »Sie wollen doch nicht auch schon fort?«

»Wenn ihr Weiber hier noch einen Klatsch zusammen haben wollt, so habe ich nichts dagegen – du kannst noch da bleiben, Kind,« sagte der alte General.

»Papa, je vous prie!« rief das gnädige Fräulein, die Hände zusammenlegend.

Die Gesellschaft war aber einmal gestört, das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Die Herren sehnten sich auch hinaus in die freie Luft, ihre Zigarre zu rauchen – die Damen mußten noch Toilette zum Theater machen – die Wagen hielten außerdem schon großenteils vor der Tür, und eine Viertelstunde später saß Frau von Zühbig allein in ihre Sofaecke hineingeschmiegt, sah träumerisch vor sich hin, und ein eigenes Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie an ihre arme Freundin Franziska dachte.

Ende.

Hinweise zur Transkription

Gegenüber der Erstausgabe aus dem Jahr 1861 wurde die vorliegende Ausgabe im Jahr 1914 überarbeitet, ohne dem Werk gerecht zu werden: Modernisierung der Rechtschreibung, großenteils Verzicht auf Texthervorhebungen in gesperrter Schrift, Verzicht auf Textmarkierungen in Antiqua-Schrift, teilweise Zusammenlegen von Absätzen, teilweise Änderung von Textpassagen, Neuaufteilung der drei Bände des Buches.


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Offensichtliche Fehler wurden korrigiert, bei Zweifeln der Originaltext beibehalten. Änderungen in der Schreibweise sind in der nachstehenden Liste ausgewiesen, Änderungen in der Zeichensetzung nicht.

Änderungen:

Seitenangabe
originaler Text
geänderter Text

Seite 8
und der alte Verwalter werden werden mit zur
und der alte Verwalter werden mit zur

Seite 15
Georg trug selber den einen Fußsack hinunter
Georgine trug selber den einen Fußsack hinunter

Seite 19
vom Forsthaus nach der solenannten »Zaubereiche« führende Straße
vom Forsthaus nach der sogenannten »Zaubereiche« führende Straße

Seite 22
über ihn hin und an den Stämmen der Bänme vorüber
über ihn hin und an den Stämmen der Bäume vorüber

Seite 23
und in dem Falle die Nacht nicht Hause käme
und in dem Falle die Nacht nicht nach Hause käme

Seite 28
Wer ist übrigens jener alter Förster?
Wer ist übrigens jener alte Förster?

Seite 36
Wir erwartete Sie ja erst morgen
Wir erwarteten Sie ja erst morgen

Seite 48
es müßten mich denn ganz unvergesehene Hindernisse zurückhalten
es müßten mich denn ganz unvorhergesehene Hindernisse zurückhalten

Seite 70
zu fühlen schien, brach sie der stürmische Applaus
zu fühlen schien, brach sich der stürmische Applaus

Seite 73
Girlanden herbeigebracht, über und durch die sie sprin- sollte
Girlanden herbeigebracht, über und durch die sie springen sollte

Seite 84
dicht neben Barthold saß und die Weinkarte mußerte
dicht neben Barthold saß und die Weinkarte musterte

Seite 89
um Verzeihung bitten – ich bin in grorßer Eile
um Verzeihung bitten – ich bin in großer Eile

Seite 101
Anfang der Rede neue Hoffnug geschöpft hatte
Anfang der Rede neue Hoffnung geschöpft hatte

Seite 102
ist es doch – ich werden Ihnen gleich
ist es doch – ich werde Ihnen gleich

Seite 109
durchzuckte ihn eni plötzlicher Strahl von Hoffnung
durchzuckte ihn ein plötzlicher Strahl von Hoffnung

Seite 110
aber er sah ihn nicht nicht mehr
aber er sah ihn nicht mehr

Dann drehet er sich langsam um, verließ das Lokal
Dann drehte er sich langsam um, verließ das Lokal

Seite 113
Ein Briefträger, den er anderete und nach der
Ein Briefträger, den er anredete und nach der

Seite 116
schon einige Reiter dem Zeuge heute morgen angeschlossen
schon einige Reiter dem Zuge heute morgen angeschlossen

Seite 123
folgte ihm der Graue, und beiden Pferde schienen
folgte ihm der Graue, und beide Pferde schienen

Seite 135
denn das paßte nicht zu dem erwarteteten Besuche
denn das paßte nicht zu dem erwarteten Besuche

Seite 140
Und hast du nicht nach ihrem Namen gebragt?
Und hast du nicht nach ihrem Namen gefragt?

Seite 151
an ihre Brust geschmiegt hielt, lauschet sie Georgs Worten
an ihre Brust geschmiegt hielt, lauschte sie Georgs Worten






End of Project Gutenberg's Der Kunstreiter, 3. Band, by Friedrich Gerstäcker

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both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
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LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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