Project Gutenberg's Die schwarzen Brüder. II. (of 3), by Heinrich Zschokke

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Title: Die schwarzen Brüder. II. (of 3)
       Eine abentheuerliche Geschichte

Author: Heinrich Zschokke

Release Date: July 9, 2013 [EBook #43164]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Die

schwarzen Brüder.


Eine abentheuerliche Geschichte
von
M. J. R.


Zweites Bändchen.


1793.

An
Herrn und Madame
Beneke
zu Landsberg an der Warte.

 

Meine Lieben,

Sagt’ ichs nicht gleich voraus, daß man mich misverstehen würde? — Da deutelt der eine über den Zwek meines Büchleins hierhin, der andre dahin, und keiner hat mich recht verstanden und verstehen wollen. Was in diesen Blättern mit deutschen, jedermann verständlichen Worten gesagt worden ist, sehn die sonderbaren Leute für Hieroglyphen an, worunter ein verborgner Sinn liegen müsse, der nun seyn mag, wer und wie er wolle.

Sie fragen mich: woher daß dieses komme? — Ich antworte: daher, weil viele der Herrn Märchendichter das mysteriensüchtige Publikum mit ihren Plaudereien verwöhnt haben. Da spricht der eine von einer Gans, und will darunter einen Fürsten verstanden — der andre von einem Tyger, und will darunter einen Kriminalrichter gedacht wissen. Das appliziren nun die Leute allenthalben; und Gott weis es, was sie sich nicht alles schon unter meinem Herzog Adolf, meinem Florentin, Holder, Hello u. s. f. geträumt haben.

Viele denken sich unter den schwarzen Brüdern nichts geringers, als die Herrn Freimäurer, andre wieder einen Orden aus Kagliostros Fabrik; und beide Theile habens doch nicht getroffen! — —

Aber wissen Sie, was mich am meisten von verschiednen Lesern gefreut hat? — daß sie dies Buch nicht ohne Theilnahme gelesen, wohl gar zuweilen die Richtigkeit meiner Empfindungen mit eignen Thränen bestätigt haben. O, der Lohn ist mir süsser, als jeder andre; denn die oben erwähnten Kannegiessereien sind nur eine ärgerliche Belustigung! —

Ich wünsche, daß Ihnen dies Bändchen viel Vergnügen in einsamen Stunden erwekke, und beherzigen Sie zulezt mit mir und Florentin von Duur die fürchterliche Wahrheit: „Selten ist der Mensch in der Gegenwart glüklich, am meisten in der Vergangenheit und Zukunft, in der Rükerinnerung und Erwartung!“ —

Ja in der Rükerinnrung bin auch ich jezt glüklich! — Wie gern vertauscht ich jezt meine Feder mit der bunten Mahlerschürze, um Burgheims originellen Pinselstrich zu belachen — oder säß ich neben meiner Freundin H**, um in ihrer Gesellschaft eine Dachspizze zu betrachten, — Behalten Sie mich lieb und vergessen Sie nicht den

Verfasser.

Inhalt
des zweiten Bändchens.

Erster Abschnitt.
Erstes Kapitel. Seelengröße.1
Zweites Kapitel. Monolog eines guten Fürsten, Glossen darüber. — Abreise.7
Drittes Kapitel. O, die glükliche Nachwelt!13
Viertes Kapitel. Abschied von der Sorbenburg.26
Fünftes Kapitel. Eine schöne Erscheinung.29
Sechstes Kapitel. Aufklärungen.36
Siebentes Kapitel. Ein Nachtstük.44
Achtes Kapitel, Freude — Verdrus — und Schauder.54
Zweiter Abschnitt.
Erstes Kapitel. Kanella.61
Zweites Kapitel. Der Landesvater mit seinen Landeskindern.67
Drittes Kapitel. Gewitterwollen, die sich zerstreun.74
Viertes Kapitel. Das Haus im rothen Walde.81
Fünftes Kapitel. Etwas für Republikaner.95
Sechstes Kapitel. Die Eremitage.101
Siebentes Kapitel. Florentin in Kanella112
Dritter Abschnitt.
Erstes Kapitel. Umfaßt einen Zeitraum von drei Jahren.153
Zweites Kapitel. Die Dachspizze.157
Drittes Kapitel. Florentins Verwandlung.169
Viertes Kapitel. Neue Verwirrungen.185
Fünftes Kapitel. Sturm und Liebesfreuden.197
Sechstes Kapitel. Die schwarzen Brüder.214
Siebentes Kapitel. Der Garten von Dosa.221
Achtes Kapitel. Fortsezzung des vorigen.229
Neuntes Kapitel. Sturm in Kanella.244
Vierter Abschnitt.
Erstes Kapitel. Ruhe? — für Florentin?257
Zweites Kapitel. Mühvolle Jahre.270
Drittes Kapitel. Dulli und Ladda.276
Viertes Kapitel. Der große Florentin im Vaterlande.284
Fünftes Kapitel. Der Kirchhof.289
Sechstes Kapitel. Die Alpen. — Epilog an den Leser.299

Die
schwarzen Brüder.

Erster Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Seelengröße.

Ich riß den Faden meiner Erzählung im vorigen Bande da ab, wo unser Delinquent entgeistert in des Herzogs Arme stürzte; ich knüpfe ihn wieder an, die Geschichte weiter zu spinnen.

Florentins Selbstbewustsein erwachte, aber es war ein fürchterliches Erwachen — das Erwachen zum Tode. Der Anblik der schwarzen Tapeten des Zimmers, der matte Schimmer der Wachskerze, welcher zum Theil von den düstern Wänden eingetrunken wurde, die schrekliche Stille dieser Mitternacht, die Rükerinnerung an dasjenige Verbrechen, welches ihn hieher gebracht — alles das wirkte so sehr auf ihn, daß ihm wenig fehlte, um in eine neue Entgeisterung zurük zu sinken.

Er fand sich von den Armen eines Mannes gehalten, drehte sich um und der Herzog lies ihn los.

„O, gnädigster Herr!“ rief, er, und wollte sich auf die Kniee niederwerfen, aber der Fürst verhinderte es.

„Mensch, was haben Sie begangen?“ fragte Herzog Adolf nach einer Weile mit fürchterlichen, majestätischen Ernst im Ton und Mienen.

„„Ich weis es,““ entgegnete der unglükselige Graf, der bleichen Antlizzes, zur Erde gebeugten Blikkes, mit gefaltenen vor sich niedergestrekten Händen da stand, als einer, über welchem das verdammende Urtheil des Richters herniederdonnert: — „„ich weis es gnädigster Herr, ich läugne mein Verbrechen nicht.““

Herzog. Sonderbar, wie würden Sie das auch im Stande sein? Aber fühlen Sie das ganze, schrekliche Gewicht desselben, Leichtsinniger?

Graf. Ich fühle es. — Sie, der Sie mich zu den glänzenden Ehrenstufen, die nur nur je die ausschweifendste Einbildungskraft vorzeichnen konnte, empor halfen, Sie sind durch mich — entehrt worden.

Herzog. Warum fühlten Sie das nicht früher, schlechter Mensch?

Graf. O, Durchlauchtigster Herr, es sind Stunden wo — doch nein, ich kann mich nicht entschuldigen.

Herzog. Nicht genug, daß Sie einen Fürstenstamm entehrten, welcher nur gewohnt ist Königskronen auf seinen Nebenzweigen zu tragen; nicht genug, daß sie jede Pflicht des Unterthanen vergessen; nicht genug, daß Sie die Wohlthaten Ihres Gönners mit Niederträchtigkeiten bezahlten — so haben Sie auch auf ewig die so seltne häusliche Glükseeligkeit einer fürstlichen Familie zerstört — haben mich auf meine Lebenszeit misvergnügt, elend gemacht, und meine Schwester, die ich sonst so sehr liebte, gleichfalls.

Graf. Ich bin strafwürdig — ach, nicht so sehr Ihre Durchlauchte Schwester. Lassen Sie mich unser beider Vergehen allein abbüßen, sammeln Sie alle Strafen für mich allein!

Herzog. Elender, die Zeit ist vorüber, wo Ihre Bitten bei mir galten. Jetzt bereiten Sie sich zu ihrem Urtheil. — Ich werde Sie verlassen; haben Sie noch in diesem Leben Ihrer Familie etwas zu vertrauen: so schreiben Sie. In jenem Winkel liegen Papier, Dinte und Federn auf dem Tische. In zwanzig Minuten müssen Sie fertig sein.

Der Fürst verlies ihn wieder.

Florentin rang die Hände; Schauer des Todes wehten ihn an.

„Ach, so ist denn das Ziel meiner Hoffnungen, meiner Arbeiten, meiner schlaflosen Nächte? — Ein unnatürlicher, früher, schändlicher Tod! — Gott, und dahin konnte ein wollüstiger Rausch führen? — O mein guter Oheim, meine Schwester und du mein Holder wüßtet ihr! — wüßtet ihr! — wo Florentin stände! —“

Er gieng zum Winkeltischchen, zog die Taschenuhr hervor, legte sie neben die Papiere, ohne in der Angst nach ihren Minuten hinzusehn, und schrieb mit kalter bebender Hand:

Freunde,

Ich bin ein Verbrecher. — Diese Nacht ist die letzte meines Lebens, ich leide in ihr die wohlverdiente Strafe. — Verzeiht mir, wie Gott mir verzeihen wird, zu dem ich hoffe. — Ich danke Euch für Eure Liebe. Erinnert Euch noch zuweilen des unglükseeligen Florentins, wenn er lange schon im Grabe vermodert ist. — Bittet dem beleidigten, ehmals so liebevollen, Herzog, nach meinem Tode noch, in meinem Namen um Verzeihung. — Nun lebt wohl, ich getröste mich der süssen Hoffnung, in einer bessern Welt Euch wieder zu sehn. Lebt wohl.

Florentin.

Der Graf schrieb so langsam, legte so oft die Feder nieder, setzte dann wieder an, sprang auf, schwankte jammernd durchs Zimmer, setzte sich wieder hin, um zu schreiben, daß er kaum das Billet beendiget hatte, als die bestimmten 20 Minuten schon vorüber waren und der Herzog ins Zimmer trat.

Florentin stand auf, ergriff den Zettel, überreichte ihn dem Fürsten, ohne eine Sylbe zu sprechen.

Adolf wikkelte das Papier ungelesen zusammen, trat Florentinen um einen Schritt näher, nahm dessen Hand in die seine, und betrachtete so den Unglüklichen lange Zeit mit wehmüthigen Blikken.

„Noch hab ich,“ sagte er „keinen Freund gehabt, wie dich, das heißt, ich, habe noch keinen Mann so sehr geliebt, wie dich — o Florentin, daß du mich doch nicht so wieder lieben konntest! Der Herzog spricht jetzt nicht mit dir, sondern dein ehemaliger vertrauter Freund!“

Florentin. (mit stets niedergeschlagenen Blikken) Mein Fürst — — —

Herzog. Nicht dein Fürst, sondern dein Freund spricht jezt mit dir, und zwar in diesem Leben zum leztenmahle. Der Herzog hat dich gerichtet, und der Freund nimmt von dir Abschied; — kömmt, dir das lezte Lebewohl zu sagen. — Fühlst du gar nichts mehr für Adolfen?

Florentin. (bestürzt) Ich verstumme, wie ich —

Herzog. O lieber Florentin, es thut weh, sich trennen zu müssen von dem, den unser Herz lieb gewonnen.

Die Stimme des guten Fürsten zitterte bei den lezten Worten. Florentin verwirrt durch die jähe Verwandlung des zürnenden Fürsten in den mitleidenden Freund, schlug die Augen auf, und gewahrte Thränen auf der Wange desselben. Der Herzog drehte sich von ihm ab, gieng an ein Fenster und rief: „ich bin noch zu jung, bin noch nicht eiskalt genug — meine Gefühle schweigend zu machen! Aber sag mir, sonderbarer Mensch, wie ist dir? hast du deine Empfindung ganz verloren?“

Florentin. Ganz; nur das Gefühl meines Elendes meiner Reue ist mir geblieben, und die Hoffnung, Gott werde sich meiner Seelen in der lezten Erdenstunde erbarmen, — und droben — droben wirds besser sein.

Herzog. Du willst sterben?

Florentin. Ich bin bereit.

Herzog. Nein, dein Leben soll dir der Herzog nicht nehmen, aber — —

Florentin. (erschüttert) Mein Fürst! (zu seinen Füssen stürzend) Mein Fürst!

Herzog. Was machst du? steh auf.

Florentin. Ich kann nicht. Ich habe keine Gnade verdiene, und auch nie Anspruch darauf gemacht.

Herzog. Bist nicht begnadigt. Du hattest das Leben verwirkt, aber theils deiner Verdienste um Herzog und Land, theils der Geheimhaltung von der Schwangerschaft der Prinzeßin Louise willen, wird dir das Leben geschenkt. Noch weis niemand am Hofe und in der Stadt von der unglüklichen Begebenheit. Die Prinzeßin heißt es, ist wegen ihrer Kränklichkeit auf eines ihrer Landgüter gereiset, und du bist wichtiger geheimer Geschäfte willen zu mir berufen. — Deine Strafe ist — — Landesverweisung. Mehr konnte die Freundschaft bei der Gerechtigkeit nicht auswirken. So lange Herzog Adolf lebt und regiert, sollst du nie wieder die vaterländischen Fluren erblikken, im Auslande sollst du umherwandeln, von mir vergessen, keine andere Strafe zu fürchten haben, als die, welche dir das zarte Gewissen eines gefühlvollen Biedermanns auflegen wird.

Florentin umarmte weinend, mit sprachlosen Danke, die Knieen des gütigen Fürsten.

„Noch vier Wochen,“ fuhr lezterer in seiner Rede fort: „noch 4 Wochen hältst du dich in meiner Residenz auf, erscheinst du öffentlich am Hofe, um dem Volke jeden Verdacht zu rauben, und damit du dich zur Abreise aus deinem Vaterlande vorbereiten, wie auch die angefangenen Staatsgeschäfte beenden kannst, — so dann gehst du unter dem Vorwande, daß ich dich auf Reisen schikke, fremde Länder, Einrichtungen, Sitten, und Verhältnisse zu studieren, auf ewig aus deinem Vaterlande. Ließest du dich irgend einmahl wieder in demselben gewahr werden: so stehe ich nicht für dein Leben. Und nun, mein lieber ehemaliger Freund, leb wohl! So wie wir uns jezt sahen und sprachen, sehn und sprechen wir uns nie wieder in dieser Welt!“

Florentin stand auf, der bewegte Herzog sank dem Grafen um den Hals und weinte. Florentin von zu vielen Empfindungen bestürmt, empfand gar nicht. Der grosmächtige Fürst verzieh ihm diese scheinbare Kälte sehr gern, denn er wußte, daß Florentin mehr denn zu gefühlvoll war.

„Komm, es ist schon spät in der Nacht. Mein Wagen wartet unten auf dich, er soll dich zu deinem Hause bringen!“ sprach Adolf nach einer Weile, küßte ihn noch einmal heftig, führte ihn selber die Treppen hinab, ließ ihn in die Kutsche steigen und heimfahren.

Zweites Kapitel.
Monolog eines Fürsten, Glossen
darüber — Abreise.

Adolf hörte das dumpfe Donnern des Wagens über die Schloßbrükke; wehmüthig flog er in sein Schlafkabinet, vermummte er sein Gesicht in das Schnupftuch, um keinem lauschenden Ohre seine Seufzer, sein lautes Schluchzen wahrnehmen zu lassen.

Die tiefste Stille wohnte im ganzen Schlosse — der Mond schwebte gebrochen hinter Wolkenstreifen, alles athmete Schwermuth, alles war von dem Pinsel der Melancholie mit traurigen Farben überkleidet. Kein Wunder, wenn der gefühlreiche Fürst die Mitternacht im Arme des seelnagenden Grames überwachte.

„O wie ich so elend bin!“ rief er: „ich habe alles verloren, denn ich habe einen Freund verloren! — da fuhr er bin, der unglükseelige Verbrecher, von mir verdammt, der ich ihn doch liebe! — Noch hab ich keinen gehabt, welchen ich so liebte, und nun werde ich nie einen wieder erhalten! — O verdammt sei das schönlarvigte Gespenst, Weiberliebe, das sich in den Zirkel unsrer Freuden schleicht, und jede derselben erwürgt! — Florentin, warum mußt ich dich verlieren? —“

So klagte ein Herzog, und er hatte Recht zu klagen; denn Freundschaft ist das schönste Blümchen, welches der Sterbliche am Lebenswege pflükken kann. — Man klage nie über die Seltenheit wahrer Freunde. Gotteswelt ist schön, und faßt manches schöne Herz in sich; schwarze Seelen sind nur da, den Glanz von jenem zu erhöhn. Wer die Seltenheit ächter Freunde beklagt, der nährt entweder ein überspanntes Ideal von der Freundschaft, oder ihm mangelt selber das Wesentliche ein Freund sein zu können; ist eher vielleicht im Stande Freundschaften zu knüpfen, als zu erhalten. Freundschaft, die bei ihrem Entstehen heftig aufbraußet, tändelt, mit Küssen spielt, und Umarmungen sich als das höchste Gut derselben vorschwärmt, ist eben so bald verdünstet, als die, welche beim Weinglase entspringt, und sich mit dem Rausche verliert.

Der Fürst trauerte lange noch um Florentinen, da dieser schon Jahr und Tag von ihm geschieden war; ein Beweis, daß seine Liebe gewis aus lautern Quellen floß.

„Wenn denn Adolf Florentinen so sehr liebte, warum vergab er ihm sein Verbrechen nicht ganz und behielt ihn nicht an seinem Hofe?“ So mögten einige meiner Leser fragen, denen ich zur Antwort gebe, der Fürst mußte, als Fürst, so handeln, er darf mit den Gesezzen keinen Schleichhandel treiben — der Freund mußte als Freund, so handeln, wenn er seinem Geliebten nicht eine noch schreklichere Zukunft bereiten wollte, weil Florentins Verbrechen doch gewis einmal offenbart werden konnte, und die herzoglichen Verwandten dann nicht geschwiegen haben würden. Der Bruder mußte als Bruder, gegen seine Schwester so handeln, um eine Leidenschaft in ihren Busen zu unterdrükken, die sie nie nähren dürfte. — Landesverweisung war Florentins Strafe, hart für ihn, aber doch milde!

Unser Graf war einige Tage hindurch unpäslich — die lezten Begebenheiten des Lebens hatten gleich mächtig auf Seel und Körper gewirkt, beiden stand eine auffallende Veränderung bevor. Kaum hatte er sich erholt, so erschien er wieder am Hofe; der Herzog lächelte wiederum gnädig auf ihn hin, die Damen kokettirten von neuem, die Hofschranzen schmeichelten wieder öffentlich und verfluchten insgeheim. Alles gieng den ehmaligen Gang, keiner von allen ahndete etwas von dem Vorgefallenen und Zukünftigen, keiner wußte, daß Florentins Versendung auf Reisen eine Landesverweisung sei.

Ein Tag vergieng nach dem andern, eine Woche nach der andern und ehe es Herzog und Florentin vermutheten, rükte die lezte Woche heran.

Gram im Herzen, Gram im Blik nahm der Graf von seinen Freunden Abschied; er beurlaubte sich von der herzoglichen Familie — jeder wünschte ihm mit beklemmter Brust glükliche Reisen, jeder sich selber sein baldigen Wiedersehn. Nur der Herzog that Angesichts aller kalt, und keiner litte mehr, als er, in seinem Herzen um Florentins Verlust.

O wie schöne Thränen sah man izt an den seidnen Wimpern manches Mädchens beben, deren schüchterne Liebe nie um Florentins Gegenliebe buhlte! wie viel niedliche Lippen küßten hier den heftigsten Abschiedskuß, die sich sonst spröde dem Munde liebender Jünglinge entzogen! — der Neid selber trauerte um Florentins Verlust, denn nun blieb ihm nichts mehr zu beneiden übrig.

Der Graf hatte seine Geschäfte in Ordnung gebracht, alles Ueberflüßige in Geld umgewandelt, die Bedienten sammt und sonders abgedankt, ausser dem alten, stummen Badner und seinen Reitknecht, dem frohgelaunten Gotthold.

Der Graf hatte vom Herzoge noch die Erlaubnis genommen, den Rest der lezten, vierten Woche bei seiner Familie zu genießen. Der Morgen graute für ihn zum leztenmale in der Residenz; die Pferde waren gesattelt, die Pilger in ihr Reisegewand gehüllt.

Man wollte aufbrechen; eine große Menge Volks stand um den ehmaligen Duurschen Pallast versammelt, den Besizzer desselben noch einmal zu sehen.

Und als Florentin eben heraustrat, sank ein Greis vor ihm nieder, seine Kniee umfassend. Ein Haufen Kinder drängte sich hinzu, seine Hände zu küssen; einige Männer und Frauen schlossen sich näher an dieselben — keiner sprach, aber in den Zügen ihrer Gesichter las man die unter allen Zonen der Erde bekannte Sprache der Empfindung.

Bestürzt fragte der Graf: „was wollt ihr, lieben Leute?“

„Nichts, nichts!“ stammelte der Greis: „Sie haben uns schon so viel gegeben, wir wollen nichts mehr! — aber — sehn Sie nur, lieber Herr, ich bin noch in meinen alten Tagen durch Sie recht froh, recht glüklich geworden, und meine Kinder auch. Da kommen wir nun und wollen danken, und Sie noch einmal recht ansehn, um Ihr Bildnis sobald nicht zu vergessen. Auch, wir haben Sie so lieb, so lieb!“

„„Ja, so lieb! so lieb!““ lallten einige von den Kindern, die an seinen Händen hiengen. „Ich bin nunmehro alt und schwach,“ fuhr der Greis mit gebrochner Stimme fort: „der liebe Gott wird mich bald heimfodern zu sich und da will ich an seinem Throne für Sie beten, und der liebe Gott wird mich gewis erhören. — Ach, sehn Sie doch um sich, sehn Sie diese Familien, das sind da meine Kinder, die dort meine Enkel, und ich, ich bin ihr Grosvater — und wir alle freuen uns des Lebens, denn Sie habens ja so herzlich gut mit uns gemeint. Und nun — und nun ach! — —“

Der Alte schluchzte; die jungen Männer und Weiber verhüllten ihre Augen in Tücher und Schürzen, die kleinen lärmten lustig an Florentins Seite, und Florentin — fühlte alles und nichts, stand da mit düstrer Stirn, sah umher durch die Menge der Zuschauer, als suchte er einen Mittelsmann, welcher ihn mit guter Art von diesem schönen Auftritte ablösen möchte.

Die erste traurige Spur von den Wirkungen seiner Schiksale auf sein Herz! Er war nicht mehr der herrliche, blühende Jüngling, voll Hochgefühl für der Natur erhabne Szenen; nicht mehr dürstend nach den Thränen des Dankes; nicht mehr ringend nach Unsterblichkeit seines Namens. Misgestimmt stand er da unter lieblich gestimmten Seelen, als verständ’ er die Sprache der Herzen nicht mehr. Das ehrerbietige Schweigen der Menge begeisterte ihn nicht; das schwimmende Nas in Männer- und Weiberaugen belohnte ihn nicht, das Lallen der Unmündigen war ihm keine Harmonie mehr. Er, ehmals mit dem lieblich schwankenden Karakter, der nach allem sich hinewigte, von einem Gefühl zum andern, von einer Leidenschaft zur andern überflog, hatte jezt eine melancholische Festigkeit gewonnen.

„Lebt wohl!“ rief er, ris sich los, schwang sich aufs Roß, sprengte die noch schlummernden Straßen hinunter, Gotthold und Badner ihm nach, und so zum Thor hinaus.

„Lebt wohl! lebt wohl!“ riefen ihm einige hundert Stimmen nach: „lebt wohl! Gott vergelts! glükliche Reise! Habt Dank! in der Ewigkeit wieder!“ — — —

Drittes Kapitel.
O, die glükliche Nachwelt!

Was soll denn der Küster, Onkelchen?“ fragte Rikchen den alten Herrn von Duur, der sich voll heimlicher Freude, die Hände rieb.

„„Du wirsts ja sehn, du neugieriges Ding!““ antwortete der Onkel, und schob sich die weiße Mütze tief über die schmunzelnden Augen herunter, indem er gegen das Fenster gieng.

„Aber Sie haben ja heute schon dreimahl zu ihm geschikt?“

„„Ja, ja, das läßts vermuthen, daß ich jezt eine Sache von Wichtigkeit, die auch dich interessiren, muß!““

„Auch mich, Onkelchen?“

„„Auch dich, gnädige Frau von Sorbenburg!““

Man klopfte an. Der Küster des Dorfes Sorbenburg trat herein, mit drei respektvollen Verbeugungen. Er war heut ungewöhnlich gepuzt; in seiner Hand hielt er ein halbes Duzzend zusammengelegter Briefe.

„Habe die unterthänige Gnade, Ew. Hochgräflichen Gnaden, hier — habe — war — ich machte — Gnaden — die Gevatterbriefe. —“

Der gute Custos loci, welcher sein erlerntes Kompliment so schmälig vergessen hatte, stotterte, wurde blas, wurde roth, hielt die Papiere hin, zog sie wieder zurück und kam darüber so ausser aller Fassung, daß wenig fehlte und er wäre wieder zurück gelaufen, um das Kompliment besser durchzustudiren.

„Gevatterbriefe?“ fragte Rickchen, indem sie von der Seite sah und roth wurde.

Onkel. (lächelnd) Freilich, Gevatterbriefe, freilich! — es hätte mit ihnen wohl noch ein paar Monate Zeit gehabt, aber das ist nun so einmahl mein Fehler, daß ich die Zeit nie abwarten kann. Ich mußte sehn, wie sich dein Name auf einem Gevatterbriefe präsentirt. — Nun und du wirst ja wissen, ob wir bald Gebrauch davon machen können. He, he, he, he!

Küster. (der sich inzwischen zu sammeln suchte) Verzeihen unterthänigst Ew. Hochgräfl. Gnaden, daß wenn — aber — ich wollte — hatte — hier sind die Gevatterbriefe.

Onkel. Was fehlt ihm denn, Herr Küster; Er bringt ja kein vernünftiges Wort heraus? hat Er etwa schon auf baldige Kindtaufe seiner gnädigen Frau ein Schnäpschen getrunken? bravo! geb Er die Briefe her.

Küster. (reicht sie dem Grafen) Ew. Hochgräflichen Gnaden unterthänigstermaaßen aufwarten zu thun.

Onkel. (die Aufschriften lesend) „Sr. Wohl- und Hochgeboren dem Herrn, Herrn von Bastholm“ — ha, ha, ha, der soll sich wundern! — „Sr. Gräflichen Hochgebornen Gnaden dem Herrn, Herrn von Duur, herzoglichen“ — — allerliebst! nun geh Er, Küster, und laß Er sich vor der Hand ein Glas guten Landwein geben.

Der Küster gieng. Onkelchen öffnete einen der Briefe und las: „Nachdem es nun dem grundgütigen Gott gefallen, was maaßen er meine liebe Frau —“ Hier hielt ihm Rikchen die Hand vor den Mund und stellte sich lächelnd böse. Der frohe Alte wollte lesen, Rikchen hinderte es, erwischte die Briefe und lief zum Zimmer hinaus.

„Wart! warte!“ rief der Onkel, indem er aufstand, und sie so eilfertig, als es seine Wohlbeleibtheit verstattete, verfolgte: „warte, das soll dir durchgehen!“

Er schlenderte eben die Hausflur hinunter, als er zu seinem größten Erstaunen die Briefe zerstreut auf dem Erdboden liegen sah. Er machte Anstalten sie aufzulesen, als er Florentins Namen unzählige mahle von Rikchens Lippen hörte. Frohe Ahndung durchzukte ihn — rasch lief er der Stimme nach, und sah — o Wunder! — sah den lieben Florentin in den Armen seiner holden Schwester liegen.

Ihn umarmen, ihn küssen, ihm Vorwürfe machen, war Eins.

„Ei du Blizkammerherr, mußt du denn immer das Spiel der Ueberraschung mit uns treiben?“ rief der frohe Greis: „unvermuthet, verschwandst du vor etlichen Wochen, und unverhoft stehst du wieder hier.“

Man begab sich in ein Zimmer. Florentin erzählte die vorgeblichen Ursachen seiner plözlichen Ankunft.

„Ein paar Tage nur willst du bei uns sein?“ fragte der Onkel und sah ziemlich misvergnügt aus.

„Ein paar Tage nur,“ sagte Rikchen, und es war ihr, als sollte sie weinen.

„Doch nein!“ hub der Onkel wieder an, da er Rikchens Stimmung gewahrte: „Das ist recht! das ist brav, daß dich Sr. Durchlaucht auf Reisen schikt — Donner, aus dir kann einmal ein ganzer Mann werden. Höre, Florentin, höre, und hast du denn die lezte Ehrenstufe erklettert, gafft dich verwundrungsvoll das ganze Herzogthum an, hast du recht viel braves gethan und bist müde: dann nimm deinen Abschied und ein Weibchen, komm zu uns und ruhe im Arme deiner guten Freunde von guten Thaten aus. Hörst du? — o, wenn ich doch nur die Seeligkeit noch erlebte, dann wollt’ ich meinen Kopf herzlich gern zur ewigen Ruhe niederlegen! —“

„Alter, guter Mann, wirst sie nicht erleben; wohl dir, daß du nicht allwissend bist!“ dachte Florentin bei sich selber.

Man konnte sich nicht sobald müde schwazzen, aber weil Holder noch fehlte, so wollte man Boten ausschikken, ihn herbei zu rufen, denn er war aufs Feld hinausgegangen. Allein Florentin brachte in Vorschlag, daß er sich die Freude des Ueberraschens nicht rauben lassen, sondern ihn selber aufsuchen wolle. Wer konnte ihm widerstehn? Er gieng.

Florentin, wie war dir, als du jezt vor dir hinwandertest, du zum Dorfe hinaustratest, und in nachbarlicher Ferne das Duursche Schloß erbliktest, die fröhliche Wohnstatt deiner Jugend? — In schwermüthige Gedanken verloren, gieng er unwillkührlich den Weg, welcher dorthin führte, und er wäre vielleicht, ohne zu wissen wie, dort angekommen, hätte ihn nicht eine bekannte Stimme aus seinen melancholischen Träumen erwekt. Er blieb stehn, sah sich um und ward Holdern gewahr, der seitwärts über eine Wiese zu ihm herangelaufen kam.

Florentin erschrak, ohne sich angeben zu können, warum?

„Nun, irrender, in Bann und Acht erklärter, vogelfreier Ritter, wie gehts?“ fragte Holder mit einem traurenden Lächeln, und schloß den Grafen in seine Arme.

Florentin. (mit einem Seufzer) Wie du siehst, es geht alles nach Wunsche.

Holder. Es freut mich, armer Landesverwiesner, dich noch einmahl im Vaterlande zu sehn.

Florentin. (bestürzt) Wie?

Holder. Warum so befremdend, da ich doch um dein Schiksal weis? Sei zufrieden mit deinem Loose, es ist noch nicht das fürchterlichste.

Florentin. Fürchterlich genug!

Holder. Der Erdenball ist unser Vaterland; ein Weiser ist an allen Orten zu Hause, denn allenthalben bietet ihm die Gelegenheit Stoff dar, wodurch er sich um das Wohl seiner Brüder verewigen kann.

Florentin. Und allenthalben Stoff zu neuen Leiden.

Holder. Mensch, wer bist du geworden? Bist du noch Florentin von Duur, er der ehmals versprach, jeder Gefahr lachend ins Auge zu sehn? Bist du der Thatensüchtige Jüngling, der für das Wohl der Menschen sein Wohl opfern wollte?

Florentin. (verdrüslich) Was willst du?

Holder. Was ich will? — Erforschen will ich, wer du jezt bist? — erforschen, ob ich mich schändlich in dir betrog? — erforschen, ob du auch der erhabne Mann im Unglükke bist der du im Glükke warst?

Florentin. (wie oben) Wozu das?

Holder. Um danach meine Freundschaft abzumessen? Große Menschen bedürfen unsrer größten Freundschaft, kleine Seelen mögen sich mit einem Lächeln, einem Händedruk, einem Kus begnügen.

Florentin. (ihn um den Hals fallend) O Bruder!

Holder. Laß uns nach Sorbenburg zurükkehren.

Florentin. Nein, noch nicht. Bleib noch! — ein Viertelstündchen muß ich mit dir allein sein!

Holder. Man wird sehnsuchtsvoll auf uns warten.

Florentins. Ich bitte dich, bleib. Ich habe vorher viel mit dir zu besprechen.

Holder. Das ich nicht wüßte.

Florentin. Uebermorgen muß ich schon über die Gränze gehn.

Holder. Ich weis es.

Florentin. Du weißt es? — ist dir alles bekannt, was zwischen mir und dem Herzog — —

Holder. Alles.

Florentin. (verwunderungsvoll die Hände faltend) Ist es möglich? — Holder, ich kenne dich noch nicht ganz. Räthsel löse dich mir endlich!

Holder. Laß uns weiter gehn, der Himmel bezieht sich mit Regenwolken.

Florentin. (ungeduldig) Bleib, wenn du mein Freund bist.

Holder. Rede, was willst du von mir?

Florentin. Aufschlus, und Rath!

Holder. Sprich deutlich.

Florentin. Holder, du der du mir sonst in allem zuvor kamst, Holder, du, verstehst mich nicht?

Holder. Wie sollt’ ich?

Florentin. (ihm näher tretend und ins Auge fassend) Julius, Regent Julius, sprich, hat mich ein Traum belogen?

Holder. Ja, Vinzenz, und nein!

Florentin. (froh auffahrend) Nun, Gott seis gedankt, nein! — nein, es war kein Hirngespinnst, Wahrheit ists — die schwarzen Brüder sind vorhanden! du bist nicht allwissend, wie wolltest du sonst wissen, was ich nur träumte und noch keinem Sterblichen verrieth? — du bist der Regent der Brüder, ich bin dein Genosse! —

Holder. (lächelnd) Bist du’s?

Florentin. Spotte nicht, um Gotteswillen nicht! ich stehe izt von allen Verhältnissen und Verbindungen abgerissen, werde aus meinem Vaterlande verstoßen, habe keinen Freund, keinen Bruder. Mein Traum — nein, Traum wars nicht! — hat mich noch gefesselt an diese Welt und an die Lust großer Thaten. Nimm mir den Traum, und ich bin nichts! gieb mir ihn noch einmal zurük und ich bin alles was du willst.

Holder. (mit sich aufklärender Miene) Ich spottete dein nicht. — Bruder, sei ruhig.

Florentin. Ich ruhe nicht; laß mich noch einmal den schreklichen, geliebten Traum zurükträumen, ich fühl es, er würde mich wieder erquikken; würde meinem Geiste den alten Schwung wiedergeben, und Kraft und Gefühl für das Große. —

(beide schweigen lange.)

Florentin. Warum verstößest du mich? — Bruder, es ist wahr, ich bin ein Verbrecher, aber die Unbekannten wußten darum, und fanden mich doch würdig einer ihrer geringsten Diener zu sein. Und warum verstössest du mich?

Holder. Laß uns davon abbrechen. Doch zum Troste sage ich dir dies: Du bist des Landes verwiesen, und dies ist der erste Schritt für dich auf einer gefährlichen Laufbahn zu einem glorvollen Ziele. Jeder andre, als du, würde nun in die weite Welt hineingehn, und der Gelegenheit in Osten und Westen nachlaufen, sich durch schöne Thaten zu vergrössern, aber sie nicht sobald erhaschen. Für dich ist sie schon bestimmt. — Das Gebiet großer Handlungen liegt offen vor dir da, den nächsten Weg dahin zu gelangen findest du folgendermaaßen. Ohnweit dem Städtchen Mungenwall liegt ein kleines Gehölz, der rothe Wald genannt, dahin begieb dich am Tage des heiligen Urbanus von Mungenwall aus. In der Mitternachtsstunde mußt du an der Landstraße links, ohnweit einem steinernen daselbst aufgerichteten Kreutze sizzen; Es wird ein Mensch die Landstraße gen Mungenwall herauf kommen, welcher einen Bündel Reiser auf dem Rükken trägt, und eine Axt unter dem linken Arm hält. Grüßt er dich, so antworte: „Gott dank euch, Hugo!“ fragt er, warum du da sizzest? so entgegne: „Ich sizze zum Feste der Schwarzen.“ Nimmt er sodann die Axt und schlägt dreimal wider das steinerne Krucifix: so folge ihm.

Florentin. Sonderbar.

Holder. Und von nun an, Florentin, falle kein Wort davon weiter, während deines Aufenthalts in Sorbenburg, zwischen uns vor; komm zurük nun, es regnet schon stark!

Schweigend eilten sie nach Sorbenburg, wo der Onkel und Rikchen indessen mit ängstlicher Ungedult beider Zurükkunft entgegen sahn.

Ach, wie seelig flog das schöne Paar dieser Tage vorüber! Florentin selber glaubte sich heitrer zu fühlen, von seiner Schwermuth zu genesen — als der lezte Abend über diese Glüklichen verdämmerte, und der Traum seiner Freuden zugleich.

Nur Träume sind des Lebens Gold,

Nur Träume, die die Brust des Sterblichen beleben,

Und feuchte Wimpern heben,

Von welchen noch des Harmes Zähre rollt;

Nur Träume, die uns hold,

Im frohen Augenblik vor unsrer Stirne schweben.

Es war der lezte Abend; man nahm sich vor, ihn recht innig zu genießen, und genos ihn nicht. Man wollte fröhlich sein, und trauerte. Seufzer waren die Aufmunterungen zur Freude; wehmüthige Blikke vertraten die Stelle des Lächelns; die Weingläser standen gefüllt da, winkten zum Genus — und wurden nicht geleert.

In einer rührenden Gruppe sas das Vierblatt bei einander, welches sich mehr mit Blikken, Seufzern, Händedrükken und Empfindungen über Florentins Scheiden, als durch Wortgespräche unterhielt. Selbst der sonst so wohlgemuthe Onkel konnte nicht sich, nicht seine Lieben aufhellen. In einem Lehnsessel ruhend, die Füsse übereinander geworfen, sas er da, düsterstirnigt, mit bebender Lippe, als wollt er das Stillschweigen unterweilen mit seinen gewöhnlichen frohen Einfällen brechen, und doch wagte ers nicht. Oft zerpreßt’ er mit den Wimpern eine Thräne, die ihm unwillkührlich die Augenwinkel füllte. Sorgenvoll stüzte sich sein graubeloktes Haupt auf die Linke, mit der Rechten hielt er des Neffen Hand auf seinem Schoose fest. Florentin sas in einer ähnlichen Attitüde, den Kopf zurükgeworfen und nach einer seiner Schultern hingeneigt, die Augen starr vor sich aufblikkend, als säh er träumend in die umnebelten Stunden der Zukunft. Rikchen drükte mit ihrer einen Hand die seinige an sich, mit der andern umschlang sie Holders Nakken, auf dessen Schoose sie sas, und auf dessen Achsel ihre Stirn ruhte, an dessen Brust sie ihr nasses Antliz verbarg. — Holder mit einem Arme sein Weib, mit dem andern seinen Schwager umfassend, starrte ernsthaft vor sich hin, als überblikte er Pläne des Schiksals. Zuweilen biß er mit den Zähnen zusammen, wenn Empfindung ihn übermannte, ihms warm wurde um Herz und Angesicht und ein Thränenflor sein Auge bewölkte.

So verfloß eine Stunde, wieder eine Stunde und keiner wagte Veränderung. So hätte die Nacht sie überfallen können, wenn Florentin nicht aufgestanden wäre, um einiges wegen seiner Abreise zu verordnen.

„Wahr ists, und wahr bleibts,“ rief der Onkel, und erhob sich: „’s ist doch des Menschenelendes gar viel in diesem Leben. Und da hab ich mir das so überdacht in der Stille, und habe gefunden, daß doch viele Leiden aus der vermaledeieten Dependenz entspringen. Sie haben recht, lieber Holder, die republikanischen Staatsverfassungen sind, mein Seel, die Besten. Hätten wir unsre Hütte in einer Republik aufgeschlagen, so wollt’ ich doch den Herzog sehn, der uns Florentinen nehmen und auf Reisen schikken dürfte!“

„„Das würde freilich keiner!““ antwortete Holder, dem die Philosophie des gutherzigen Onkels ein Lächeln abzwang.

„Drum glaub ich auch,“ kontinuirte jener: „daß unsre Nachkommen gewiß noch alle Alleinherrschaften in Republiken umschmelzen werden.“

„„Despotien in Republiken!““ sagte Holder mit einem bedeutenden Tone zu Florentinen hinblikkend.

„Ja, Despotien in Republiken umgemünzt, wirds eine gangbare Waare für die freigeborne Menschheit!“ rief Florentin, und ihm wars, als träumte er den Traum von den schwarzen Brüdern, wo sich in seiner Seele das erste lebhafte Gefühl für Freiheit, und schwarzer Groll wider Fürsten entwikkelte. — Er that einen freiern Athemzug — ihm wars ungewöhnlich wohl. „Despotien in Republiken!“ schallte es immer noch in seinen Ohren: „und da würdest du Louisen ungestört lieben dürfen, würdest du nicht über die Gränze wandern müssen, um einer frohen Nacht willen!“ setzte er bei sich stillschweigend hinzu, und ihn wandelte ein sonderbarer Schauer an; er fühlte sich in seiner ganzen Größe, sein Odem flog schneller, seine Hände krallten sich zusammen, sein Auge blikte funkelnd empor — sein Geist schwebte auf stürmendem Gefieder der ahndenden Fantasie.

„Ich sehe nur nicht ein, warum nicht jezt schon, das alles so ist, wie’s sein soll? warum sich erst künftige Jahrhunderte dieses Glüks erfreuen sollen? — O, die glükliche Nachwelt!“ sagte der alte Graf mit einer Mine der bittersten Unzufriedenheit. Der Onkel, der seine Lieblingsgrille, welche wir schon an ihm kennen1), zum Stoff der Unterhaltung machte, als die übrigen, schwazten und schwärmten so den Rest des Tages hinweg, umarmten sich dann noch einmahl und eilten halb traurig und halb getröstet ihren Betten zu.

Man freute sich Florentinen am folgenden Tage noch einige Stunden sehn zu können, und schlief ruhig mit diesem Gedanken ein. Aber, — Gott! wer schildert den Jammer dieser liebenden, treuen Seelen, als sie Florentinen am künftigen Morgen nicht mehr erblikten, der sich wahrscheinlich schon in der Nacht mit seinen beiden Dienern aufgemacht hatte!

Viertes Kapitel.
Abschied von der Sorbenburg.

Mein Bruder hat uns verlassen, ohne uns das Lebewohl zu sagen!“ rief Rikchen ihrem Onkel weinend entgegen, der ungewöhnlich früh aus den Federn gestiegen war, um sich noch desto länger mit seinem Neffen unterhalten zu können.

Dem Alten fuhrs wie ein Donnerschlag durch die Ohren. „Uns schon verlassen?“ stammelte er, und sein Unwille sprach aus Blikken und Gebehrden: „das war dumm!“

Holder, welcher noch die meiste Fassung hatte, suchte beide zu beruhigen. Es gelang ihm nur schwer.

„Dumm ists!“ rief der alte Graf: „und dumm bleibts. Ich sehe im Grunde nicht ein, warum der Kammerherr so sehr mit seiner Reise eilt. Ich weis, der Herzog würde gewis nicht böse sein, wenn Florentin noch einige Monate, wenigstens einige Wochen, bei seinen Verwandten geblieben, wäre.“

Holder. Aber es war ja des Herzogs ausdrüklichster Befehl, daß Florentin seine Reise je bälder je lieber antreten sollte. Serenissimus bedient sich ihres Neffen höchst wahrscheinlich in ausserordentlich wichtigen Angelegenheiten, welches daraus erhellt, daß der Zwek dieser Reise so sehr geheim gehalten wird und der Termin der Abreise sobald angesezt ist.

Onkel. Die vermaledeiete Dependenz!

Holder. Und weil es denn einmahl geschieden sein sollte: so wollte sich und Ihnen der gute Florentin die Trennung dadurch erleichtern, daß er plözlich verschwand. Sie kennen ja seine Art in diesen Fällen!

Onkel. Jedes andre macht verzeihlich, nur heute nicht. O, mir ahndets, ich soll ihn nicht wiedersehn auf Erden — seine Heimkunft nicht erleben.

Rikchen. O doch, Onkelchen! und geben Sie acht, er holt sich gewis die schöne Marinerin aus Italien2) und feiert hier in Sorbenburg die Hochzeit. Das ahndet mir!

Onkel. Gott weis es, wessen Ahndung trügen wird!

Der Onkel schien so unrecht nicht zu haben, aber Rikchen gewis auch nicht. Und wenn unser fahrender Ritter auch das schöne Mädchen aus St. Marino nicht mitbrachte, könnte er nicht irgendwo für sich ein andres holdes Weibchen auffinden!

Inzwischen verstrichen nach diesem traurigen Morgen Monate nach Monaten, es wurde ein Jahr daraus; Florentin kam nicht wieder heim in die vaterländische Wohnung, und man verschmerzte endlich seinen Verlust. Zwei, drei, vier Jahre folgten dem ersten, doch man vergas ihn nicht!

Graf Florentin von Duur, den wir jezt auf seiner Abentheuerjagd begleiten müssen, denn die Sorbenburgsche Familie werden wir nicht so bald wieder besuchen können, war am Abend seines Abreisetags über die Gränze des Vaterlandes mit seinen Gefährten Badner und Gotthold. Es war ihm wehe und wohl, wenn er hinter sich in die Vergangenheit, oder vor sich in die Zukunft hinausblikte, sahe was er dort überstanden, und hier noch zu erwarten hatte! —

Der Winter war vorüber, der Frühling begonnen, und die schönen Tage des Maies erwachten; aber über seine Seele streute die liebliche Jahrszeit keine Freuden. Ungewis und unbestimmt, mehr ernst, als froh, kreuzte er etliche Wochen in den benachbarten Gegenden seines Vaterlandes umher; ohne sich dessen klar bewußt zu sein, wurde er immer noch magnetisch dahingezogen. Und so rükte der Tag des heiligen Urbanus unvermerkt näher, an welchem er sich in dem Städtlein Mungenwall befinden sollte.

Fünftes Kapitel.
Eine schöne Erscheinung.

Es war ein herrlicher Sonntagsmorgen, als unser Graf mit seinen Kumpanen ein niedliches Dorf unten im Thale vor sich erblikten. In angenehmer Verwirrung lagen die braunen Strohhütten da zerstreut, jede von krausem Gebüsche überwachsen und beschattet. Zur rechten und zur linken sahe man Gärten in todte und blühende Hekken eingefaßt, und zur rechten und zur linken tönte der süsse Gesang der Vögel fröhlich daher. In der Mitte des Dörfchens ragte über alles in prachtloser Einfalt die spizze Kuppel des Kirchenthurmes hervor, dessen hellschlagende Glokke mit silbernen Ton die frommen Christen zur Andacht in Tempel rief.

Florentin von dieser Gegend überrascht, hielt sein Pferd an, sein Auge länger noch an dem Reiz der vollkommenen Natur zu laben. Seine Seele klärte sich auf; die Stirn entfaltete sich und er wurde zum erstenmahle mit seinen Gefährten gesprächig, denn bisher hatte man aus seinem Munde nur kaum ein andres Wort, als das trockne: „Ja“ oder „Nein“ gehört.

„Wie heißt das Dörfchen da unten?“ fragte er ein vorübergehendes junges Bauermädchen und lächelte einmahl wieder seit langer Zeit freundlich.

„Gott grüß’ euch, meine Herrn,“ erwiederte die junge Bäuerin, ohne stehn zu bleiben: „Riedelsheim!“ —

„Wir wollen in die Kirche gehn, und Gott danken für den schönen Frühling!“ sagte der Graf und trottete den Bergweg hinab ins Thal; Gotthold und Badner ihm nach.

Leztere bestaunten den Einfall ihres Herrn, eine Dorfkirche zu besuchen; aber man hatte kaum im Wirthshause gefrühstükt, so sahe man, daß es dem Grafen Ernst sei.

Der Pfarrer zu Riedelsheim bestieg in eben dem Augenblik die Kanzel, als unser Graf in die Kirche trat. Er sezte sich in einen Winkel auf ein Bänkchen, um kein Aufsehn zu erregen; hörte andächtig dem lehrenden Greise zu, fühlte sich durch den herzlichen Vortrag desselben bis zum Weinen gerührt, und würde sehr erbaut von hinnen gegangen sein, wären seine Sinne und Gedanken nicht mit einem mahle von aller Andacht hinweg und auf einen andern Gegenstand — eine weibliche Gestalt gezogen worden.

Er sah hinter einem Gitter, dreißig Schritt ohngefähr von sich entfernt, ein Frauenzimmer sizzen, dessen Kleidung und Anstand dasselbe auffallend von Dorfbewohnerinnen unterschied. Der Anzug dieser Schönen war einförmig, aber doch mit Geschmack angeordnet; und so viel der obere Theil ihres Körpers verrieth, denn mehr konnte man nicht von ihr erblikken, mußte sie noch jung sein. Ihr Gesicht war leider verschleiert.

Ich weis selbst nicht, welcher Dämon Florentins Augen auf die Dame hinlenkte, da er doch seit der unglüklichen Liebe Louisens beinahe einer der ärgsten Misopyne geworden war, die nur je die Menschheit des weiblichen Geschlechts bezweifelten.3)

Unverwandt starrten seine Augen nach dem Gitterstuhle. Er zitterte, wenn die Dame sich bewegte, und rükte ungeduldig hin und her, wenn sie stille sas. — Er selber wußte sich seine Empfindungen nicht zu erklären; er wollte seinem Geiste die verlorne Andacht wiedergeben — umsonst, seine Augen glitschten immer von der Kanzel auf den Gitterstuhl zurük, von dem Munde des Predigers auf den Schleier der Dame.

Eine sonderbare Ahndung überflog ihn. Er glaubte in der Gestalt, in den Bewegungen der Dame im Gitterstuhle auffallende Gleichheiten mit Louisen zu entdekken. Seine Fantasie wurde lebhafter; die Möglichkeit stieg in ihm zur Gewisheit empor.

Plözlich schlug die Unbekannte mit ihrer schönen Hand den Flor vom Gesichte zurük — — o Himmel! und Florentin sah Louisen. Ihm wurd’ es dunkel vor den Augen; eine Ohnmacht schien sein ganzes Wesen aufzulösen — Noch einmahl sah er hin, und — ach! der Gitterstuhl war ledig, Louisens Bild verschwunden.

In einer süssen Betäubung sas er da. „Sie ists! sie ists!“ rief sein Geist in ihm; „dem Unglüklichen wird noch einmal das Glük die Geliebte zu sehn!“ —

Der Prediger prieß die Schönheiten der göttlichen Schöpfung; Duur zergliederte sich Louisens Reizze. — Amen scholl es von der Kanzel, und der Liebetrunkne stürzte zur Kirche hinaus. Er durchreiste das Dörfchen, suchte das verschleierte Gesicht und — fand es nirgends.

Hinter einer dichten Reihe hoher, breitlaubigter, finsterer Kastanienbäume entdekte er am Ende den Dorfes ein im neusten Geschmack errichtetes, zweistokhohes Gebäude, welches das ansehnlichste in Riedelsheim war. Er blieb stehn, und maaß das Haus mit neugierigen Blicken. Gern wär er hineingegangen, um auch da der geliebten Schwester des Herzogs nachzuspüren, wenn es ihm nicht die Etikette verboten hätte.

Was sollt er thun? — umkehren und Riedelsheim verlassen, ohne Sie zu sehn die geliebte Stifterin seines Unglüks? — sie jezt nicht wiedersehn, die er vielleicht dann nie, weder in diesem, oder jenem Leben wieder zu erblikken glüklich genug sein könnte! — Unmöglich, kein Liebender hätte dies an Florentins Stelle gethan, und Florentin thats auch nicht.

Als er noch unentschlossen da stand, mit einem Stökchen im Staube malend, zeigte sich seinen Augen ein junger, wohlgekleideter Mann, dessen Aeusseres viel gutes ahnden lies. Florentin machte sich sogleich an ihn und fragte nach dem Besizzer des weißen Hauses.

„Sie sehen ihn vor sich!“ antwortete jener und Florentinen ward seltsam zu Muthe durch diese Antwort, denn Mann und Stimme desselben waren ihm sehr wohl bekannt. Kurz gesagt, die Gestalt und der Ton gehörten in den Traum von den schwarzen Brüdern hin, und zwar dem Puppenspieler, der im Wirthshause die grausamliche Zerstörung Magdeburgs aufgeführt, und dessen Kasten unser Graf zertrümmert hatte. Daß Florentin durch die frappante Aehnlichkeit zweier so heterogener Personen etwas bestürzt gemacht wurde, läßt sich denken.

„Wen hab’ ich dass Glük zu sprechen?“ fragte er.

„„Ich hin der *** Prinzenerzieher Aellmar, lebe hier durch die Gnade meines Fürsten ein angenehmes Privatleben, und werde mich freuen, wenn Sie in meiner Wohnung mit einer ländlichen Bewirthung vorlieb nehmen wollen. Sie sind — —?““

„Der Graf von Duur.“

„„Ich kenne Sie schon näher, wie mich däucht.““

„Und mir ists, als hätte ich ebenfalls schon das Glük gehabt Ihre Person einmahl, aber Gott weis, wo und in welcher Verkappung, zu sehn. Ihre Gesichtszüge — ihre Stimme —“

„„Vielleicht haben Sie sich nicht geirrt.““

„Wär es möglich!“

„„Wie befindet sich Herr Holder von Sorbenburg? Wahrscheinlich haben Sie ihn noch — —?““

„So wahr ich lebe, Herr Aellmar, Sie und ein gewisser, schwarzer Puppenspieler“ — —

„„Ganz recht, Vinzenz!““

„Gott, ich bin glüklich.“

„„Still, wir plaudern nachher mehr. Haben Sie die Güte mein Gast zu sein.““

„Haben Sie Fremde?“

„„Sie werden niemanden ausser dem Prediger Leedri, meinen Schwiegervater, und seine Tochter, meine Agathe, antreffen.““

Wie gern folgte Florentin der willkommenen Einladung des metamorphosirten Puppenspielers! Hier hofte er gewis Aufschluß über das verschleierte Frauenzimmer in der Kirche zu empfangen. Er unterlies auch nicht beiläufig zu fragen, ehe sie das Haus erreicht hatten.

„Wahrscheinlich meine Frau!“ antwortete Aellmar und führte den halb unzufriednen Duur in ein Zimmer, worin sich der alte Pastor Leedri allein befand. Man wurde bald bekannt mit einander; sprach, von diesem und jenem; Aellmar entfernte sich seine Gemahlin herbeizuhohlen, und Florentin exegisirte über das „Wahrscheinlich“ des Aellmar.

„Wahrscheinlich ist doch nicht gewis; es läßt noch immer der Vermuthung Raum, daß der Schleier eben so gut der Prinzeßin, als der Madame Aellmar angehören konnte!“ dachte er bei sich.

Die Thür eröffnete sich nach einiger Zeit. Die verschleierte Schöne, in ihrem Anstande, ihrer Gestalt, ihrer Kleidung eben diejenige, welche im Gitterstuhle sas, trat herein, schlug den gewebten Nebel hinweg von ihrem Gesichte und machte dem Grafen ihr Kompliment. Florentin der anfangs in heftiger Bewegung da stand, ward noch verwirrter, als er hier eines der liebenswürdigsten, sanftesten Weiber — aber nicht das Idol seiner Seele sah.

So gut es sich thun lies, verbarg Florentin seinen Mismuth; er mußte es nun einmahl geschehn sein lassen, daß er sich getäuscht hatte. Eine freundliche, gewisse Unterhaltung bei Tische war die Würze der Speisen. Sobald man von der Tafel aufgestanden war, suchte unser Pilgram, der noch an eben dem Tage abreisen wollte, um zur rechten Zeit in Mungenwall einzutreffen, den gastfreundlichen Aellmar unter vier Augen zu sprechen.

Es gelang ihm.

Sechstes Kapitel.
Aufklärungen.

Der Graf und sein Wirth entfernten sich von dem alten Leedri und seiner Tochter, begaben sich in den naheliegenden Garten, wanderten hier die sandigten Gänge, Arm in Arm, in wichtigen Gesprächen versenkt, einige Viertelstunden auf und nieder, giengen dann, um desto unbelauschter zu sein, in ein nettes, bequemes Gartenhäuschen, lagerten sich da auf ein Sofa, und sezten ihre Unterhaltung fort.

„Ich bedaure,“ sagte Aellmar lächelnd: „Ich bedaure, daß Sie sich durch den Schleier so verführen ließen, meine Frau für Ihre Durchlaucht die Prinzeßin Louise zu halten. Zudem, wie sollt ich zu der Ehre gelangen, eine fürstliche“ — —

Florentin. Aber wissen Sie gar nicht, wo sich die Prinzeßin befindet?

Aellmar. Wie sollt’ ich? so viel ist gewis, und das wird Ihnen ja besser, als mir bekannt sein, daß die Prinzeßin Louise, wegen ihrer Kränklichkeit, auf einem ihrer Landgüter lebte. Die Aerzte haben es ihr gerathen; Veränderung der Luft und des Aufenhalts soll sie bald wieder herstellen. Die Prinzeßin, um sich zu gleicher Zeit ein seltneres Vergnügen zu gewähren, macht inkognito, von wenigen Bedienten nur begleitet, kleine Reisen durchs Herzogthum, so daß niemand eigentlich weis, wo sie sich befindet.

Florentin. (rieb sich die Stirn.)

Aellmar. Dies ist alle Auskunft, die ich Ihnen geben kann, das heißt, ich sage, was man allenthalben spricht. — Doch lassen Sie uns davon abbrechen. Sie wollen nach Mungenwall reisen.

Florentin. Wie ich Ihnen gesagt habe.

Aellmar. Und wohin zielt von da Ihre Reise?

Florentin. Wohin mirs gelüstet. Des Herzogs Befehl bindet mich an keinen Ort und keine besondern Geschäfte.

Aellmar. So würd ich mich in Ihrer Stelle um Menschen, Länder, Politik und Volkskraft zu studieren, ohne Anstand nach Kanella begeben, wo jezt Volk und Fürst im Prozeß liegen, Komplote geschmiedet, Pläne entworfen und zerrissen, Kabalen gespielt und Gährungen erregt und gedämpft werden.

Florentin. (zerstreut) Ich fänd’ es selber nicht unangenehm.

Aellmar. Ich witterte diese Unruhen schon vor einigen Jahren, als ich mit Holdern nach Italien reisen mußte, und wir zwei Monate in Kanella hinbrachten.

Florentin. (aufmerksam) Mußte Holder nach Italien reisen.

Aellmar. Er mußte, und zwar in Geschäften der schwarzen Brüder.

Florentin. Und Sie begleiteten ihn?

Aellmar. In einer ähnlichen Angelegenheit.

Florentin. Darf ich um Holders Geschäfte in Italien wissen? Es intereßirt mich zu sehr, um so seltsamer mir damahls seine Entschwindung vorkam, als er — —

Aellmar. Ich erinnere es mich noch sehr gut. — Der Zwek der schwarzen Brüder ist Verbreitung des Guten, Unterdrükkung des menschlichen Elends. Wir waren es, welche die Jesuiten aus Italien vertrieben hatten, ohne daß diese eben so wenig, als die übrige ungeweihte Welt davon ahndeten. Unser Triumpf war groß. Die Zerstörung der jesuitischen Hierarchie war eine herrliche That unsers Bundes, lange schon beschlossen in unserm Rathe, und so meisterhaft ausgeführt, daß niemand dabei unsern Einfluß ahndete — Diese in Heiligenmasken verkappten Teufel aber schlichen sich bald wieder an einigen italiänischen Höfen ein; ihre Fortschritte machten uns besorgen zu frühzeitig triumfirt zu haben; sie hatten ihre Nezze so fein und so stark gewebt, daß es eben so leicht möglich war, sich in ihnen zu vergarnen, als unmöglich sich denselben wieder zu entwinden. Wir bekamen Wind davon. Der Plan, die Gespinnste des Jesuitismus ganz zu zerreißen, ward entworfen, ihn auszuführen bedurfte es einen Mannes mit dem schärfsten, alles umfassenden Blik, mit der feinsten Politik, mit einer ausserordentlichen Geistesgegenwart begabt. Alles beruhte auf diesen Mann allein und — Holder wurde erwählt.

Florentin. Sie sezzen mich in Erstaunen.

Aellmar. Holder lebte zu der Zeit auf dem Landgute ihres Oheims, wo er von allem, was geschah, schriftlich und mündlich Notiz erhielt. An 6 verschiedne Herrschaften Italiens wurden einige schwarze Brüder verschikt, die Jesuiten in der Nähe zu beobachten, Holder selber sollte sich dahin begeben, um die mannigfachen Pläne des Ordens der schwarzen Brüder, die an den verschiedenen Höfen realisirt werden sollten, harmonisch zu erhalten, Maasregeln, die aus der Uebersicht des Ganzen entspringen mußten, zu ertheilen, mit einem Worte alles zu dirigiren. Seine Abreise hing noch von der Einwilligung eines deutschen Fürsten in einen gewissen Vorschlag in Rüksicht der jesuitischgesinnten Italiäner ab. Alle hofften wir auf Entscheidung. Auch ich wurde bestimmt mit Holdern zu reisen, um seinen Befehlen zu gehorchen. Damahls lernt ich ihn kennen; ich sprach ihn zuweilen in der Nacht in der Nähe des Duurschen Landgutes, wann er mir und andern das Signal durch einen Büchsenschuß gab. Ich bewunderte schon in diesen seltnen nächtlichen Konversazionen den schlauen, weisen, ehrwürdigen Mann. Der deutsche Fürst lies uns lange hoffen, Holder wurde beinah ungeduldig, er liebte Ihre Fräulein Schwester und hätte sich gern mit ihr genauer verbunden, wenn nicht die Macht des Ordens auf eine Zeitlang dawider gestanden. Plözlich erhielten wir Befehl aufzubrechen, ohne Zeitverlust, ohne Schonung der Geldkosten, so schleunig, als möglich, weil von unsrer baldigen Ankunft in Italien alles dependirte. Wir gaben Holdern das Signal. Er erschien; unsre Nachricht dekontenanzirte ihn anfangs — allein, weil wir schon seit eingen Monaten Befehl hatten, uns in jeder Stunde zum schleunigsten Aufbruch bereit zu halten, so mußte er noch in eben der Nacht mit uns. Rastlos gieng die Reise durch Deutschland. Wir kamen nach Italien; zerstreuten uns, jeder an dem ihm vorbestimmten Posten. Holder zeigte sich hier, als Meister. Er kam zurük zu den Brüdern in Deutschland, die seine bewundernswürdige Thaten, seinen Eifer mit dem Stuhl des Regenten belohnten. Glauben Sie mir, Herr Graf, es leben eben so viel große Männer unbekannt, als bekannt! —

Florentin. Wahrlich ich bin stolz der schwarzen Brüder einer zu sein.

Der Graf sprach dies in der That, nicht als ein Compliment, sondern als Aeusserung derjenigen höhern Empfindung, welche aus dem süssen Bewußtsein quoll, du bist auch einer derselben, die, wie die Gottheit, ungesehn sichtbare herrliche Thaten üben. Wahr ists, das Schiksal hat mich eben so sehr über gewöhnliche Menschen emporgehoben, als es mich sinken lies unter denselben! —

„Und auch Sie, lieber Aellmar,“ fuhr der Graf nach einer Pause fort: „auch Sie haben schon an der allgemeinen Glükseligkeit des Menschengeschlechts gearbeitet — und ich — — —“

Aellmar. Graf, Sie thaten schon ein Gleiches in ihrem Vaterlande. Schon damahls waren Sie ein Werkzeug der schwarzen Brüder, schon damahls zur Aufnahme bestimmt. Erinnern Sie’s sich nicht mehr, wie sich die Unbekannten Ihnen schon lange bekannt machten? — Haben Sie die Ihnen zugesandten Briefe vergessen, welche — —

Florentin. Wie sollt’ ich!

Aellmar. So darf ich Ihnen nichts mehr erklären.

Florentin. Demungeachtet ist mir noch manche Aufklärung nöthig. Zum Beispiel, woher es kam, daß man um meine Geheimnisse wußte, wußte, was in meinem Herzen, und in meinen vest verwahrten Koffern und Schränken vorgieng!

Aellmar. Ein Räthsel welches leicht aufzulösen ist, wenn Sie wissen, wie ausgebreitet unser Orden ist, und daß der meisten Ihrer Bedienten und Vertraute, so wie die Aerzte am Hofe u. s. f. zur Zahl der schwarzen Brüder gehören.

Florentin. (bestürzt lächelnd) Ha!

Aellmar. Ich habe Ihnen nun so viel anvertraut, als ich darf, und Sie bedürfen. Jezt erlauben Sie, daß wir hievon schweigen.

Florentin. Werd’ ich nicht auch zu dieser Kenntnis alles dessen was im Orden vorgeht, und wie es geschieht, gelangen?

Aellmar. Nicht früher, als Sie sich dazu würdig gemacht haben; sodann gehört die Kenntnis des was und wie? zu Ihren Belohnungen.

Hier brach Aellmar das Gespräch ab, nöthigte den Grafen sich wieder zu zerstreuen und — heilige Verschwiegenheit zu beobachten.

Sie verließen das Gartenhaus.

Der Graf sonderte sich von seinem neuen Freunde ab, wankte tiefsinnig mit verschränkten Armen durch die Gänge des Gartens, und überdachte da die Worte Aellmars.

Es stiegen sonderbare Empfindungen in ihm auf. Ihm wars, als wäre er zu einer Klasse höherer Wesen gezählt — er fühlte sich in ihrer Mitte zu stehn, unwürdig und kleinlich, und wieder gros, wenn er der Thaten gedachte, zu welchen der Orden ihm Bahn bräche. Seine Fantasie begann lieblicher um ihn zu spielen; er warf sich halbträumend in den Schatten eines Kastanienbaums.

„O, werd’ ich einst ausgerungen haben, nennt mich die künftige Zeit gros, rauschet der kühlende Lorbeer um meine glühnde Schläfe — kehre ich heim aus dem Felde der Thaten und begrüsset mich die vaterländische Flur wieder, wo ich als Kind tändelte, als reifender Jüngling schwärmte, ruhe ich dann aus in den heimischen Thälern in der Stille des väterlichen Hains, o wie seelig wird dann mein Loos sein! — Nein, ich fordre nicht zur Vergeltung fürstliche Palläste, nicht die Freundschaft der Großen, nicht Anbetung vom Volke und Vergötterung, — nein ihr Gewaltigen, die ihr euren Arm in den Mantel der Nacht verberget, gebt mir, wenn ihr es geben könnet, Louisens Liebe in einem entlegnen Winkel der Erde, meinen Tod in Louisens Armen, an Louisens Busen!“

So träumte der gute Graf sich noch manchen angenehmen Traum, von wehmüthiger Sehnsucht nach Ruhe durchwebt; denn Ruhe bedurfte sein diefleidendes Herz, oder eine ungewöhnliche Zerstreuung.

Glüklich war Florentin in der Mitte dieser ihn umwallenden Bilder, welche die Fantasie erschuf; und so ist jeder glüklicher in der Rükerinnrung oder Hoffnung, als im Genuss selber!

Siebentes Kapitel.
Ein Nachtstük.

Es war ein schwüler Nachmittag; die Luft glühte, der Erdboden schmachtete, kein Wind wehte Erfrischung; Florentin entschlos sich also leicht, Aellmars Bitte zu erhören und erst am Abend dieses merkwürdigen Tages seine Reise zu verfolgen.

Unterdes suchte Aellmar seinem Gaste diese wenigen Stunden so sehr, als möglich zu verannehmlichen. Weil der Graf, über dessen Seele ein ewger Gram brütete, der nur selten und auch dann nur erzwungen, lächelte, jede Gesellschaft ennuiant fand, wo Scherz und muntre Laune das Herz für Freude stimmten, so unterhielten sich beide stets allein.

Unter andern führte Aellmar seinen Freund in sein Studierzimmer, welches rings herum mit vortreflichen Gemählden ausgeschmükt war. Florentin heftete gleich beim Eintritte sein Auge auf einen männlichen Kopf. Er gieng näher und erkannte bald, daß Holder zu demselben das Original sei.

„Auffallend ähnlich!“ rief der Graf: „dies hat ein Meister gemacht!“

„„Es ist sehr wohl gerathen.““ Erwiederte Aellmar und stellte sich neben Florentinen.

„Ganz seine freie stolze Stirn, welche der Gefahr trozt — ganz sein feierlich ernster, majestätischer Blik, der das menschliche Herz durchspäht, und über die Entwürfe des Schiksals hinblikt, als lebte er mit demselben in einem höhern Einverständnis. Sein Mund — ganz eben der, welcher sich immer nur zum Wohl des allgemeinen Ganzen zu öffnen scheint, und nur das Orakel der Weisheit sein kann. Dieser matte Zug um die Lippen, diese matte Falten der Stirn, welche die stoische Kälte, den strengen oft furchtbaren Ernst des Mannes so karakteristisch mahlt — Aellmar, ich bin stolz, daß Holder mein Blutsverwandter ist, und hasse mich selber, daß ich der Gelegenheiten so wenig vest hielt mich durch diesen Ausserordentlichen und nach seinem großen Muster zu bilden.“

„„Ich schäzze den höher, welcher sich durch die Natur ausbilden läßt, und nicht die Größe eines andern zu seinem Maasstabe macht. Erstere veredelt den menschlichen Geist, so sehr es ihm seinem innern Gehalte nach möglich ist, lezteres verzerrt denselben und bringt gewöhnlich Karrikaturen zur Welt. Ich zweifle nicht daran, Herr Graf, daß auch Sie ein Holder werden können, wenn sie in Verhältnisse gerathen, wie er; daß Sie in der Gefahr so kalt bleiben, wenn Sie, wie er, zweimal in einem Meersturme scheidern, oder, wie er, sich durch einen Haufen Banditen schlagen, oder unter malthesischen Flaggen an einen türkischen Seefahrer entern —““

„Was sagen Sie mir da? — Sie scheinen mehr von Holders ehemaligen Lebensumständen zu wissen, als ich. Er hat sich in unsrer Familie selten davon etwas verlauten lassen; nur so viel wissen wir, daß er von blutarmen Eltern am Rheine geboren wurde.“

„„Im Orden, lieber Graf, werden Sie mehr darüber erfahren können. Nur so viel ist gewiß, daß Holder ein grösserer Abentheurer, als irgendein Bruder von der Küste4) geworden wäre, hätten die schwarzen Brüder ihn nicht in ihre Pläne verstrikt, unter ihre Zahl aufgenommen, und seinem Genie eine edlere Bahn angewiesen.““

Vergebens bemühte sich Florentin Aellmarn mehrere Skizzen von Holders Leben abzulokken, dieser wußte immer unter einem artigen Vorwande den Versuchen des Grafen zu widerstehn.

Schon sank die Sonne mit aller ihrer Pracht hinter den Tannenwipfeln des benachbarten Forstes unter; schon wurden die Lüfte kühler und graue Dämmerung umflog die Landschaft; schon tönte vom Thurme von Riedelsheim die späte Abendglokke, und das Geräusch der Menschen schwieg und die Dorfbewohner suchten das Lager, um früher zur Arbeit aufzubrechen, als Florentin erst von Aellmar, dem alten Pastor Leedri und dessen Tochter Agathe schied, um in der Nacht die versäumte Reise des Tages zu ersezzen.

Der Graf mit seinen beiden Kumpanen trottete langsam zum Dorfe Riedelsheim hinaus, das Thal hindurch, die Hohlwege hinan. Florentin war im Geiste noch immer um Aellmar, hörte ihn noch immer von Holdern, oder der heiligen Bestimmung der schwarzen Brüder plaudern; sah noch immer den verführerischen Gitterstuhl in der Kirche, oder die verschleierte Agathe Leedri, Aellmars Weib, darinnen. So schlenderte sein Gaul ruhig unter ihm den Weg hin, ohne daß es einmal die Spornen seines Ritters in den Seiten fühlte, und Gotthold, nebst dem alten Badner, der, wie ich anzumerken vergas, eben so bald zu seiner, des schwazhaften Gottholds und des Grafen Freude die verlorne Sprache wieder gewann, als er über die herzogliche Landesgränze hinaus war, ich sage Gotthold und Badner trabten, im Mondenscheine vertraulich mit einander plaudernd, bald voran, bald zur Seite, bald hinterher.

„Kopf ab!“ rief Gotthold nach einer halben Stunde dem Grafen zu, der sich rasch niederdukte, um nicht mit den Baumästen über sich in Kollision zu gerathen, und nun erst bemerkte, daß er sich in einem angenehmen Wäldchen befände.

Dies sehn und den Entschluß fassen eine Strekke Weges zu Fuße zu wandern, war eins. Er stieg ab, reichte Gottholden den Zaum seines Rosses und trabte frisch voran.

Die Nacht war angenehm, zum Schwärmen reizend, einladend zum Vollgenus reinerer Empfindungen. Der Graf gieng mit starken Schritten vorwärts, schwärmte, genoß. Er war noch keine Viertelstunde gegangen, als ihn eine weibliche Stimme, welche durch die tiefe Stille der Mitternacht seitwärts ertönte, vom Wege ablokte.

Meine Leser, wenn Sie hier ein gewöhnliches Waldabentheuer erwarten; so täuschen Sie sich. Es geschah etwas sehr natürliches, was nur in Florentins Augen den Anstrich des Wunderbaren trug.

Florentin gehörte eben nicht zu der Gattung neugieriger Lauscher, welche das Sumsen einer Mükke aufmerksam macht. Es hätte vielleicht für ihn in jeder andern Seelenstimmung die Weibesstimme süs oder sauer tönen mögen, sie hätte ihn nicht von seinem Wege abgebannt, — aber jezt. — Doch um die Ursachen recht einzusehn, welche ihn reizten den Fußsteig zu verlassen, müssen wir sein unmittelbar vorhergehendes Gedankenspiel wissen.

Die Nacht, wie man weis, war schön;

Ein wunderbar Gemisch von Licht und Schatten

Verherrlichte den Wald mit unbekannter Pracht.

Auf jedem Zweige sahe man die Nacht

Sich mit des Mondes reinstem Silber gatten.

Verworren schliefen Hain und Hügel in der Tracht

Des alten Chaos — Edens Nächte hatten

Nicht solchen Reiz gesehn, und solcher Augenlust

Sind sich die Heilgen kaum im Paradies bewußt.

Florentin knüpfte an das Bild dieser Nacht das Bild aller ehmals im Vaterlande genossenen schönen Nächte; natürlich spielte in diesen auch Louise eine hervorstrahlende Rolle, und, was noch natürlicher war, die Schönheit der nächtlichen Natur wurde in eben dem Augenblikke über die Schönheit der angebeteten Auserwählten gänzlich vergessen.

Nun schwamm ihm nur das magische Gebild

Louisens vor der Stirne;

Ihm malt der Bach, der von dem Felsen quillt

In Silberringen seine Dirne.

Süs haucht ein Zefyr von der hoch umbüschten Flur,

Doch haucht er ihren Namen nur,

Nur ihrer Wangen Roth zu zeigen

Entknospen frühe Rosen sich,

Vor ihres Busens Blenden neigen

Sich Lilien schamhaftiglich.

Aus dichtverwachsnen Büschen schläget

Vergebens schön die Nachtigall.

In seinem tauben Ohr erreget

Der Liebeswahn ihm süssern Hall!

Und in diesem Moment hört er einen Ton, der schlechterdings nur weiblichen Lippen entfliehen konnte. „Louise ists! Louise ists!“ rief ihm sein liebendes Herz zu, und alles Blut stürmte wilder den Pulsen entgegen, seine Wangen glühten, seine Augen leuchteten Freude und Hoffnung. „Ich muß sie sehn!“ dachte er bei sich und schlich behutsam durch das Dikkigt derjenigen Gegend zu, von wannen ihm die Stimme des Frauenzimmers zugeweht war. Er hatte kaum einige Schritte gethan, als er, wie angewurzelt, stehn blieb, und ohnmächtig sich an eine hundertjährige Eiche lehnte.

Durchs Gebüsch sah er in einer mäßigen Entfernung ein schöngebildetes Frauenzimmer. Zwar schien der Mond sehr hell, und des Gebüsches Schatten traf kaum eine Falte vom weißen Gewande der Dame, demungeachtet hätte jedes andre Auge nichts deutlich an derselben unterscheiden können, was der Blik des sterblich verliebten Grafen, oder vielmehr seine dienstfertige Einbildungskraft, sehr genau sah und unterschied. Und was Florentin erblikte, oder doch zu erblikken glaubte, mußte seine Liebe doppelt anfachen. Es hält freilich schwer das Fantom eines liebenden Sehers nachzuzeichnen, indes will ichs einmal wagen, ob ich gleich gewiß bin, daß ich mit meiner Beschreibung weit unter dem Ideal bleiben werde, welches der trunkne Liebhaber sich vorschuf.

Denn nie war Sterblichen noch der Schönheit liebliches Urbild in der Hülle eines sterblichen Weibes erschienen; nie bis dahin die Begeisterung heiliger Barden aufgestiegen, und nie ein Bild dem Meißel entsprungen, welches hier Louisen glich, die Florentin wahrzunehmen wähnte. Hier raubt der zitternde Pinsel tausend Reizze mit jedem vermessenen Auge. Erröthend schweigt die Muse vor dem Werke, welches nur einmal die Natur in ihrer Zauberfülle geboren.

Regellos, doch schön umschwamm, in schimmernden Lokken, goldnes Haar der Geliebten alabasternen Nakken. Sanft umfieng dasselbe die weiße blendende Stirne in geziemende Gränzen. Ueber die zärtlichen blauen Augen, die der Liebe begeisternde Sprache verstanden, majestätisch sich wandten, und ein himmlisches Feuer in des Marmors Busen zu entzünden vermögend, wölbten zartverrinnend sich zwei dunkele Bögen, welche die Schwermuth sich zu ihrem Throne erlesen. Zwischen den rosig blühenden, schneeummaleten Wangen, von dem ewigen, süssen Lächeln der Liebe umspielet, stieg, im feinsten Ebenmaaße, lieblich erhöht die Nas’ empor, und tiefer der schmalen, purpurnen Lippen schönes elastisches Paar, verführend zum tändelnden Kusse. Ihren Busen umfloß des Flores wallender Nebel, welcher in tausend Falten dem entweihenden Blik des Weibes Heiligthum barg. Und um die göttliche, weiche Bildung floß der Unschuld weisses Gewand, von dem schwarzen, silbergestirnten Gürtel unter dem Busen geschlossen. — Aber wer malet nun den unaussprechlichen Liebreiz, welcher über diese hehre Gestaltung gegossen? Jenen rührenden Zauber in der leichten Bewegung, der die Herzen verwandelt, die Empfindungen auflößt, in die seligste Ohnmacht welche Seelen verzükket und in öden Wüsten der Schönheit Altäre erbauet?

Unmöglich konnte Florentin alles dies mit seinen beiden leiblichen Augen sehn; das Bild lebte in seiner Fantasie, aber nicht vor seinen Blikken. Er hatte schon einige Minuten dagestanden an der Eiche, als er erst inne ward, daß die Erschienene unsichtbar geworden sei. Sie aufzusuchen wurde beschlossen; denn in allen Fällen blieb es ein sonderbares Phänomen, wie ein Frauenzimmer, es mogte nun sein, wie es wolle, zur Mitternachtsstunde hieher in das Gehölz gerieth? Wäre dies in den Tagen des alten Roms oder Graciens geschehn: so hätte man glauben müssen, Diana habe sich verloren, einen schlafenden Endymion zu finden; lebten wir in den Tagen Hüons, Rolands oder Doolins: so wär es vielleicht die Königin der Elfen, oder irgend eine gute, schöne Fee gewesen; oder wären wir abergläubig, so muthmaaßten wir, Louise habe sich in ihrer Todesstunde geahndet. Dies alles konnte es nicht sein, doch was es mit der Erscheinung eigentlich vor eine Bewandnis hatte, hegen wir auch nicht Hoffnung so bald zu erfahren, weil sich dem guten Willen des liebenden Duur, die gewähnte Louise auszuforschen, ein breites, sumpfigtes Gewässer entgegenstellte, welches sich in die Länge umherzog, und ohne Brükke unmöglich passirt werden konnte.

Eine gute Viertelstunde irrte er an dem morastigen Ufer des Sees oder Baches umher, allein fruchtlos für seine Wünsche; fruchtlos rief er öfters den Namen der Geliebten, er verhallte gebrochen in dem krausen Gewölbe des Waldes und keine Antwort scholl zurük.

Müde endlich des vergeblichen Suchens, kehrte er misvergnügt, mit gewachsener Sehnsucht im Busen, zu den harrenden Kumpanen heim; seufzend schwang er sich aufs Roß und traurig suchte er wieder die reizenden Geschöpfe seiner Einbildung auf, weil er um Realitäten betrogen war.

In der Liebe süsbethörende Träume verloren, flog nun trunken sein Geist durch die Gefilde des Himmels. Feiernd sangen ihm die Harmonien der Sfären Louisens Namen entgegen durch die hallende Schöpfung. Louisens Namen malten flammend die irrenden Sterne an die blaue Tafel des unermeßlichen Aethers.

Doch ermüdet senkte der Einbildung buntes Gefieder wieder herab sich in der Wahrheit kalte Umarmung. Ach, da entzükte nicht sein Auge das Anschaun der Geliebten, da umschwebte nicht das Gelispel geistiger Küsse sein Ohr und nicht der harmonische Wohlklang, den die schöpfrische Lieb’ um Louisens Namen gewunden.

Doch ich befürchte, zulezt noch aus dem Märchenerzähler ein epischer Dichter zu werden, wenn ich mich länger in Florentins Fantasien einträume.

Kurz und gut seis denn prosaisch gesagt, daß Duur mit Badnern und Gotthold nach acht Tagen im Städtchen Mungenwall waren.

Achtes Kapitel.
Freude — Verdrus und Schauder.

Die Empfindungen der Freude, des Verdrusses und des Schauders sind ziemlich heterogen; es könnte schier glaublich werden, als habe mir ein muthwilliger Freund diese Worte zum Text eines Kapitels gegeben, mein Erfindungsvermögen zu taxieren. Aber nicht also! — sondern, so wie sich täglich und stündlich in unsrer Seele die entgegengeseztesten Empfindungen durchkreuzen: so wars auch bei dem exilirenden Florentin.

Zuerst will ich umständlich erzählen, wie der Freudenlose endlich einmal zu einer Freude gelangte.

Er lebte schon seit zwei Tagen im Städtlein Mungenwall dem Tage des heil. Urbanus entgegen harrend, als eines Morgens an die Thür gepocht wurde und der Briefträger hereintrat. Florentin nahm den Brief, erkannte in der Addresse eine Frauenzimmerhand, fertigte behende den Postboten ab und erbrach neugierig das Couvert.

Lieber Graf,“

Also leben Sie noch? — o, wohl mir und Ihnen; haben wir das Leben noch nicht verloren, so ist nur wenig verloren! — Sind Sie vergnügt? doch wie sollten Sie das, Sie armer, vertriebener Mann? — aber getrost, ruhig doch? — o ja, das müssen Sie sein; ich bins nun auch, ob ichs gleich vor einem Monate nicht war. Aber so bald ich erfuhr, daß Florentin noch auf einer Welt mit mir lebte, war ich zufrieden, war ich gesund. Bist Du’s auch? Florentin, bist Du’s auch?“ —

„Ach, lieber Einziger, ich könnte Dich trösten, und warum sollt’ ichs nicht? Warum soll sich die Gattin schämen vor — ihrem Gatten? — Florentin, lächelst Du nicht, wenn ich Dir sage, daß ich jezt Florentins Ebenbild stündlich küssen, täglich an den — — Mutterbusen drükken kann! — Ich werde so roth, indem ich schreibe, und finde doch keine Ursach dazu. — O Florentin, wärst du izt bei mir! doch, du darfst es nicht sein.“

„Ich habe Dich gesehen in der Kirche zu Riedelsheim. Ich traute meinen Augen nicht, schlug den Flor vom Gesichte und sah Dich. Um mich, die ich im strengsten Inkognito lebte, nicht zu verrathen, begab ich mich eilend in meine Wohnung. Du kamst zu Aellmarn — o, hättest du’s gewußt, daß wir in den Mauern eines Hauses beisammen waren — —! nein, so ists besser. Du hast mich also in der Kirche erkannt? denn warum drangen Aellmar und sein gutes Weibchen so sehr in mich, daß ich dem leztern meinen Anzug leihen mußte, um dich zu täuschen?“

Aellmar hat in einem angenehmen Lustwalde bei Riedelsheim ein schönes Haus. Hierhin floh ich, damit Du mich nicht entdektest, aber meine Gedanken begleiteten Dich stets. Ich fantasirte Dich zu mir her, meine Einbildungskraft trieb ihr Spiel so hoch, daß ich zuweilen glaubte, Du riefest mich laut bei Namen.“

„Das unstäte Herumreisen gefällt mir. Ich bin schon ganz wiederhergestellt; in der andern Woche muß ich am Hofe erscheinen, aber, ach, Florentin, wie öde ists dort, wenn Du nicht da bist! Mein Bruder, der Herzog soll sehr niedergeschlagen sein — ich wünschte die Hälfte Sehnsucht nach Dir, die mich quält, in seinen Busen und er würde Dich gewiß mit Thränen der Reue in sein Land heimrufen.“ —

„Antworten mußt Du nie auf meine Briefe. Man hat mir aber versprochen, mich von allem zu benachrichtigen, was sich mit Dir ereignet. — Florentin liebe mich — bleib mir ewig gut! die Hand, die uns trennte, führt uns vielleicht einst wieder zusammen. Erinnerst Du Dich noch eines Abends, da du im Schloßgarten mir das Strumpfband applündertest?“

„Florentin lieb ewig

Louisen.“

„Geschrieben im Aellmarschen
Waldhause bei
Riedelsheim.“

Daß Florentin beim Lesen und nach Lesung dieses Briefes in eine ihm jezt sehr ungewöhnliche heitre Seelenstimmung versezt wurde, ist leicht zu errathen. Er küßte das Blatt, welches ihre Hände berührt, küßte die Züge, welche sie gezeichnet hatten.

Aber die Wonne des Grafen war nicht das liebliche Rosenroth auf die grüne Farbe der Hoffnung hingegossen, um mit Farben Florentins Seelenzustand zu mahlen: sondern ein düsteres Roth auf schwarzem Grunde. Ein unwandelbarer Trübsinn dämpfte jedes aufwallende, frohe Gefühl, und ließ im Freudestrahlenden Auge die Thräne der Schwermuth blinken.

Gewöhnlich glaubt man, daß Entfernung von der Geliebten den Schmerz sie nicht besizzen zu können, und am Ende die Liebe selber, mildert, auch der brave Herzog Adolf gieng wahrscheinlich von diesem Standpunkte aus, da er Florentinen und Louisen mit weiser Vorsicht trennte — aber hier fand das Gegentheil statt. Seine Liebe wurde mit jeder Entfernung von dem Gegenstande derselben heftiger, und er empfand die traurig angenehme Wahrheit des Owenischen Spruches an sich, daß

Je mehr man dem Feuer der Liebe entfliehe,

Je mehr es glühe.

Er hätte gern anizt die Pferde satteln und sich im sausenden Gallopp wieder nach Riedelsheim oder dem Aellmarschen Waldhause zurüktragen lassen, um Louisen zu sehn, zu umarmen, zu sprechen, um sein Ebenbild an das Vaterherz zu drükken — aber der Urbanstag war nicht mehr weit, und die Prinzessin, die sogar seine Briefe verbat, konnte vielleicht auf seine Selbsterscheinung noch ungehaltner werden; überdem war ihr Aufenthalt äusserst ungewiß.

Gezwungen also mußte er so weise sein, die in ihm aufsteigenden Wünsche schweigen zu machen. Aber Aellmarn konnte ers lange nicht vergeben, daß er ihn so heimtükkisch hintergangen, und die Anwesenheit der Prinzeßin in Riedelsheim nicht verrathen habe. — Wäre Aellmar nicht der schwarzen Brüder einer gewesen, so fürchte ich, daß Florentin blutige Rache an ihm genommen haben würde.

„O!“ rief der betrogne, tiefgekränkte Graf, mehr als einmahl mit wildem Verdrusse aus: „fürwahr, spielt man doch mit mir, als einem Kinde. Nein, so wahr ein Gott über uns lebt, so wahr ich frei bin und Mann bin, ich will länger nicht sein der, welcher ich war. O, Freundschaft, Freundschaft, bist doch nur eine schöne Puppe, welche man fühlenden, reinen Seelen, mit Kindesunschuld begabt, auf eine Zeitlang zum Tändeln giebt! du selber reizendes Ideal, Inbegrif jeder Tugend, hast dein Antliz abgewandt von der entarteten Menschheit, dein Schatten nur schwebt noch auf der Geschichte der Vorwelt und den Werken des Dichters!“

Ich glaube, der Graf würde nicht unrecht gethan haben, wenn er das beherzigt hätte, was wir oben (Seite 9.) über den Monolog eines Fürsten gloßirten! —

Inzwischen hatte er weder Zeit genug seine Freude, noch seinen Verdrus lange zu verfolgen, weil endlich der Tag des heiligen Urbanus anbrach und — verdämmerte.

Schon vorher hatte der Graf von einem Mungenwallischen Wirthe nöthige Kunde über den rothen Wald, die Heerstraße, das steinerne Kreuz und dergleichen mehr eingezogen, wovon ihm Holder sagte, so daß er jezt unmöglich irren konnte, da er gegen Abend zum Mungenwaller Thore hinauswanderte, und dem vor ihm liegenden Gehölz entgegen.

Er trat hinein in den sogenannten rothen Wald, der an sich jedem andern grünen Walde gleich war, nur daß mit Anfang des Gebüsches auch der Erdboden in Berg und Thal sich zu verändern anfing, und Florentins Straße sich in ewgen Krümmungen um Hügel, durch Thäler, grausenvolle mit hohen Rüstern überwölbte Hohlwege eine gute halbe Meile hinschlängelte.

Die Mitternachtsstunde nahte. Florentin sah links das steinerne Kreuz auf einer mit Sträuchern wildumwachsenen Anhöhe. Er lagerte sich am Fuße derselben, harrend der Dinge, welche kommen sollten.

Der Himmel war mit Wolken bezogen; hie und da funkelte ein Stern herab; dann und wann trat der Mond aus den Nebeln hervor, übrigens herrschte Todesstille im Walde.

Der Graf hatte noch Zeit genug vor sich seine Begebenheiten zu überdenken, die ihn hieher gebracht hatten.

„Wie wunderbar das Verhängnis mit uns spielt!“ — dachte er bei sich: „wie hätt’ ich je glauben sollen, daß ich einmal in diesem Walde um Mitternacht liegen würde, Abentheuern entgegen zu gehn? — Sollte man nicht beinahe des Menschen freien Willen für ein Selbstgespinst seiner Fantasie halten? Ich kam an den Hof eines Fürsten, wurde sein Vertrauter. Seine Schwester war zu schön, daß ich nicht Liebe für sie hätte empfinden sollen und Sie liebte mich wieder. Eine glükliche Nacht war die Quelle vieler Unglüksfälle. Ich würde verloren gewesen sein, hätte mich nicht die Güte unbekannter Männer erhalten; ich wäre nicht durch diese so glüklich gewesen, hätte ein Ungewitter und ein rother Mantel nicht Holdern mit meinem Onkel verbunden. Ich stand dem Tode nahe, wurde gerettet — war dies nicht vielleicht nur Plan der schwarzen Brüder? — Ungewiß über mein künftiges Leben schweif ich umher. Ich komme in ein Dorf; der heitre Morgen reizt mich in die Kirche zu gehn, und dieser Gang ist eine neue Ursach von tausend angenehmen und widrigen Empfindungen. Könnte der Geist des Menschen die Folgen jeder, auch der kleinsten, That überschaun, würd’ er wohl je Thorheiten begehn?“

Florentin hörte jezt den Fußtritt eines Wandelnden durch das stille Gebüsch hallen. Er horchte; es kam näher. Ein Mensch wie ihn Holder beschrieben hatte, gieng die Landstraße nach Mungenwall; einen Bündel dürrer Reiser auf dem Rükken, eine Axt unterm linken Arm tragend. Es war hell genug einander, wiewohl nur schwach, wahrzunehmen. Florentin wußte, was jezt geschehn würde.

Der Fremde gieng hart an ihm vorüber, ward seiner gewahr und sprach: „Seid gegrüßt!“

„Gott dank Euch, Hugo!“ antwortete der Graf und lauschte.

„„Es ist kalt, und nicht mehr weit von Mungenwall, warum verweilet Ihr am Wege hier?““

„Ich sizze zum Feste der Schwarzen.“

„„Gut! gut! ich verstehe!““ erwiederte der Holzträger, gieng an das steinerne Kreuz und schlug mit dem Rükken der Axt dreimahl mit solcher Energie wider das Kruzifix, als wollt’ ers mit jedem Schlage zermalmen. —

„Was bedeutet dies?“ fragte Florentin, indem er aufstand.

„„Man soll uns erwarten und verstehn wie wir uns erwartet und verstanden haben. Folgt mir!““

Der seltsame Holzträger wanderte frisch voran, Florentin ihm nach. Sie giengen einen wenig betretenen Fußsteig rechts ins Gehölz hinein, verloren denselben, drangen durch Buschwerke, sprangen über Graben, giengen neue Wege, verloren sie wieder, bis sie nach anderthalb Viertelstunden vor einem Hause standen, wo man eben niemanden zu erwarten, sondern wo vielmehr alles ausgestorben zu sein schien. Der Holzträger klopfte dreimahl an. Es wurde aufgethan.

Zweiter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Kanella.

Unter andern sagte Aellmar zum Grafen Florentin von Duur, während der Anwesenheit des leztern im Dorfe Riedelsheim:

„Volk und Fürst liegen jezt zu Kanella mit einander im Prozesse. Um Menschen, Hofkreaturen, Politik und Volkskraft zu studieren, ist das für jezt die beste hohe Schule.“

Ich zweifle gar nicht, daß sich meine Leser dieser Worte so gut, als ich mich, zu erinnern wissen. — Die politischen Romane so wohl, als die politischen Schauspiele und Staatsakzionen sind ziemlich aus der Mode gekommen, ich finde auch kein Behagen sie wieder in den alten Flor zu bringen, aber so viel es zu der Erzählung unsrer Geschichte gehört, muß ich doch der Kanellesischen Unruhen erwähnen.

Piedro, Fürst von Kanella, war schön gewachsen, in den besten Lebensjahren, hatte ein niedliches Gesicht, viel Galanterie und hinreißende Swade. Dieß aber war die ganze Summe seiner Tugenden! er war der angenehmste Gesellschafter und der elendeste Regent. Wie man nach gewöhnlicher Art den Fürstenpöbel erzieht, war er erzogen; Stupidität, Wollust, Aberglaube, Prachtliebe, Bigotterie, und Selbstsucht gaben die Grundlinien seines Karakters an. Er regierte nicht, sondern diejenigen, welche seine Einfalt vergötterten, seine Leidenschaften küzzelten; und regierte er: so war er Despot.

Ein unglükseeliges Volk, welches ein solches Unhaupt zum Haupte hat!

Die Kanelleser fühlten Piedros eisernen Zepter und murrten; sein Prachtaufwand war groß, groß wie ihre Armuth — sie murrten lauter; ihr Gewissen selber wurde als dependent von der Laune des Fürsten erklärt, die Freiheit ihres Geistes in Fesseln geschlagen und dies war das Signal zu thätigen Erklärungen des Volks wider den Fürsten.

„Vergeuden will er mit seinen Konkubinen unser Hab und Gut!“ rief hier mit Thränen ein Bürger aus, der einen Theil seines Silbergeräths zu Gelde gemacht hatte, um die vielen Steuern und Abgaben zu entrichten: „mit Lekkerbissen und Weinen aus allen Welttheilen herbeigeführt, will er sich und seine Hofschranzen mästen, indeß wir seine Bürger mit unsern Weibern und Kindern an Brodrinden knauern und Quellwasser trinken sollen! Nein, Piedro, fürwahr du treibst es nicht lange so!“

„Ha, des fürchterlichen Schlaukopfs!“ schrie dort ein andrer: „wir sind ihm zu klug, er will uns umschaffen zu Dummköpfen, damit wir ruhiger seine Tükke dulden, seine Pläne nicht sobald durchschauen, und gewahren, wo uns die Ketten schaben. Darum verdammet er die Aufklärung, darum giebt er uns bigotte Religionslehrer, darum dürfen die Gelehrten auf der hohen Schule nicht mehr sprechen, wie sie wohl wollten, und die Schriftsteller nicht mehr schreiben, wie sie gern mögten. O Piedro, es wird dir doch nicht gelingen!“

So dachte man und sprach man leise und laut im ganzen Gebiete Kanellas; täglich erschienen Pasquille auf dem Fürsten, seine Lieblinge und Ministers, wöchentlich traten heimlich gedrukte Schriften über die Regierung ans Licht, welche dieselben vor den Augen des ganzen lesenden Volks in ihrer Blöße darstellten.

Piedros Aufwand überstieg beiweiten seine Einnahmen; alle Mittel wurden hervorgesucht, und waren es die abscheulichsten, um die zerrütteten Finanzen wiederherzustellen. Eine auswärtige große Macht, welche schon seit etlichen Jahren in einen schweren Krieg verwickelt war, verlangte vom Kanellesischen Hofe Truppen gegen Bezahlung einiger Millionen. Wem konnte dies Anerbieten willkommener geschehn, als dem Piedro? — die Regimenter wurden kompletirt, exercirt und in marschfertigen Stand gesezt. Die Kanelleser murmelten zwar manches von Unrecht, Widersezzen, Aufsagung des Gehorsams und dergleichen mehr, aber wer hörte auf sie? — Doch gab dies den ersten Anlaß zum öffentlichen Ausbruch des allgemeinen Misvergnügens.

Der Kardinal Benedetto, Piedros Favorit und Universalminister, hatte durch seine Spione manches erfahren, was allerdings für den Hof nicht allzugünstig ablaufen konnte, begab sich also zum Fürsten, und zwar am Tage vor dem Abmarsch der Regimenter.

Er fand den Landesvater in den Armen der schönen Gräfin Rosaffa, wollüstig in ihren schwarzen Haarlokken tändelnd. Der Kardinal wollte zurüktreten.

„Nicht doch, Herr Kardinal,“ rief ihm die Geliebte Piedros zu: „kommen sie herein, wir werden nicht gestört.“

Piedro. (lachend) Nein, nein, wir werden nicht gestört! ha, ha, ha!

Kardinal. Ich habe Ew. Durchlaucht nur ein Wort, aber ein wichtiges Wort zu sagen.

Piedro. So? reden Sie; Donna Rosaffa darfs ja wohl hören.

Rosaffa. (einen intressanten Blik auf den Kardinal werfend.) Ich bitte selber darum.

Kardinal. (sie anlächelnd) Ich muß gehorsamen.

Piedro. Was verlangen Sie denn?

Kardinal. Daß der Prinz Moriz nicht mit den Truppen Ew. herzogl. Durchlaucht abgehe — —

Piedro. Sondern?

Kardinal. Noch eine zeitlang in Kanella bleibe, weil das Volk unruhig geworden ist.

Piedro. (auffahrend) Unruhig?

Kardinal. Wegen des Abmarsches unsrer jungen Mannschaft.

Rosaffa. Die Burschen werden ihre Mädchen nicht verlassen wollen.

Piedro. Dem ersten, der da mukst eine Kugel vor den Kopf! — Was soll aber Moriz hier?

Kardinal. Er ist vom ganzen Volke gefürchtet; ich habe Proben davon erfahren, die unglaublich scheinen. Er wird am besten Ordnung zu erhalten wissen — befehlen Ew. Durchlaucht, daß er zurük bleibe.

Piedro. Meinethalben.

Rosaffa. Moriz ist ein fürchterlicher Mann; ich glaube seine trozzige Miene allein schon kann eine Armee in die Flucht jagen.

Piedro. Sind die Unruhen von Bedeutung?

Kardinal. Noch nicht, könntens aber werden. Alles die traurigen Folgen der Freigeisterei und eingerißnen Aufklärungssucht. Wehe, wehe dem Staate, wo diese herrschen! — doch ich denke ja mit der Hülfe des Himmels und Ew. Durchlaucht bald die Kezzereien auszurotten, und Ihre Unterthanen in ein sanftes, frommes, gottgefälliges Volk umzubilden. Ei, ei, ei, Dero Durchlauchte Vorfahren haben das Uebel schon zu tief — —

Piedro. Verbessern Sie, Herr Kardinal. Und, wie gesagt, jedem widerspenstigen Buben die Kugel oder den Galgen.

Rosaffa. Wenn marschieren die Soldaten aus?

Piedro. Wir sehen sie morgen vor unserm Pallast durchziehen. (er flüstert der Gräfin etwas ins Ohr.)

Rosaffa. (beleidigte Schaamhaftigkeit affektirend) Nicht doch!

Kardinal. (empfiehlt sich)

Prinz Moriz empfieng noch an selbigem Tage vom Hofe Befehl in Kanella zu bleiben, weil hier seine Anwesenheit vonnöthen sei. Zwar war ihm dies eine sehr ungelegne Ordre; doch einige Zeilen von Benedettos Hand beruhigten ihn, machten ihn sogar zufriedner mit seinem Heimbleiben, als seiner determinirten Abreise.

Ich darf den Karakter Morizens meinen Lesern nicht erst schildern; wahrscheinlich kennen Sie den Mann noch, nebst seinem getreuen Flimmer, aus seinen Händeln mit den schwarzen Brüdern und den Grafen Duur in Herzog Adolfs Residenz. Hier am Hofe zu Kanella wurde er, wie man sieht, ungemein geschäzt. Besonders bediente sich seiner Benedetto treflich, weil dieser schlaue Mönch durch ihn manches Plänchen zu realisiren wußte, welches nur durch einen so wilden, rauhen Moriz realisirt werden konnte; denn ausser diesem war das ganze Hofvolk ein Heer entnervter Wollüstlinge, Sodomitten und Tribaden.

Zweites Kapitel.
Der Landesvater mit seinen Landeskindern.

Am folgenden Tage war es schon früh in den Straßen von Kanella lebhaft. Soldaten und Bürger, Männer und Weiber, Hohe und Niedrige rannten durcheinander, sagten sich das Lebewohl, wünschten sich das baldige Wiedersehn. Die Rosse schnoben, die Fahnen und Standarten wehten, die Waffen klirrten, die Trommeln wurden gerührt, man sties in die Trompeten, die Compagnien stellten sich, alles zog sich auf dem großen St. Dominikusplaz zusammen.

Es war ein rührendes Schauspiel anzusehn, wie sie da standen die Greise, Männer und Jünglinge unter ihren Waffen. Verzweiflung und Schmerz malte sich in ihren Mienen — ein gebrochnes Jammergetön durchdrang die Luft — keiner aber sprach. Die Männer, welche vorübergingen, riefen ihnen ein banges: „Gott mit euch!“ zu und verbargen die heimlichen Thränen, welche sich aus ihren Augen stahlen. Aber die Krieger verbissen ihren Schmerz — still lächelten sie und drükten einander wehmüthig die Hände.

Mit einemmahle sahe man einen langen Zug von Weibern dem Dominikusplaz entgegen wanken; jedes beinahe führte ein Kind an der Hand. Es waren die Weiber und Kinder der scheidenden Krieger. — Diese sahen sich, vom Anblik dieser Szene durchbohrt, an, jedem zitterte eine Thräne vom männlichen Auge und jeder nahm vom Weibe und Kinde den lezten Abschied. „Lebet wohl, mein Vater!“ riefen die unmündigen Kleinen. — „Lebet wohl!“ lallte ein weinender Greis und stämmte sich auf seine Flinte: „lebet wohl, ihr kleinen Engel!“

Die Weiber umschlangen ihre Gatten, stammelten ihnen tausend heiße Wünsche, und jeder Wunsch wurde von einer Flut von Thränen und Küssen erstikt.

„Gott ziehe mit dir, mein Einziger!“ rief ein junges Mädchen und sank ohnmächtig an den Hals des geliebten Jünglings, und der Jüngling erwiederte: „Tröste dich unser Gott, meine Traute, wenn ich nicht heimkomme! In der Ewigkeit sehn wir uns wieder!“

„Ja in der Ewigkeit sehen wir uns wieder und da soll Gott der Gerechte richten!“ heulten einige Weiber, und der Jammer ward allgemein.

Plözlich schwieg alles; Todesschauer faßte jeden und jede, denn es hieß: „Moriz kömmt! Moriz kömmt!“

Der Prinz kam wirklich von einigen seiner Offizieren begleitet zu Pferde herbeigesprengt.

„Allons, weg Weiber und Mezzen von den Soldaten; Memmen sinds ohnedem!“ rief er.

„Wären nicht Memmen!“ replizirte hierauf einer der Senatoren von Kanella, der unter dem Volke stand, so deutlich, daß es Moriz hören mußte, wenn er nicht im dem Augenblik mit Taubheit geschlagen gewesen: „nicht Memmen, sobald man sie wider die Feinde ihres Vaterlandes ausschikte!“

Moriz stuzte; sein Stolz der hier Angesichts des Volks beleidigt wurde, wiegelte seinen Zorn auf. Mit fürchterlichem Blik sah er um sich und fragte: „Wer spricht das?“

Der alte Senator trat aus dem Gedränge hervor und antwortete: „Borsellino, Prinz, ein edler Kanelleser.“

„„Elender Graukopf, hüte dich!““

„Vor wem? ich bin sicher.“

„„Ich will dir den Lohn deiner Kanellesischen Frechheit auszahlen lassen.““

„Prinz, ich bin ein Bürger Kanellas!“

„„He, Wache herbei!““

„Herr, ich bin der Senatoren einer!“

„„Wache!““

Das Volk stürzte zusammen; der Lärmen ward grösser, zwölf junge Edelleute, verwandt und unverwandt mit dem Hause Borsellinos, umringten den Greis, ihn gegen Gewaltthätigkeiten zu beschirmen.

Die Wache kam. Moriz befahl Borsellino’n zu ergreifen und wegzuführen. Die zwölf Kanellischen Edeln baten für ihn, umsonst. Sie drohten; Moriz wurde wüthend.

Der neugierige Pöbel sammelte sich näher; einige im Volle schrieen: „Borsellino darf nicht angetastet werden, er ist der Senatoren einer!“ und plötzlich riefen mehrere Stimmen: „Wehe, wehe dem, der den braven Bürger Kanellas mishandelt!“ und so grif der Tumult um sich, der Pöbel lärmte, alles schrie: „Bürgerrechte werden zertreten! steht Borsellino’n bei! wer thut ihm Gewalt?“

Moriz sas etliche Minuten durch dies ungewohnte Schauspiel versteinert da auf seinem Rosse; seine Lebensgeister waren entflohen, aber bald kehrten sie wieder bei ihm ein und wie es schien in Furien umgewandelt. Er rollte die Augen fürchterlich umher, knirschte laut mit den Zähnen, schäumte, sties gräsliche Flüche wider die Kanelleser aus und kommandirte das nächststehende Regiment die Gewehre scharf zu laden und auf seinen Wink unter das Volk zu feuern.

Beinahe der ganze Adel von Kanella, welcher ausser dem Hofe lebte, war jezt herbeigeeilt, Morizens Befehl wirkte anfangs allgemeine Bestürzung und Stille. Aber diese Stille verwandelte sich bald wieder in leises Flüstern und Murren, das Geflüster in lauteres Murmeln, das Murmeln wurde stärker und stärker und endlich das vorige Schreien und Toben.

Der alte Borsellino inzwischen glich einem Rasenden. Er hörte Morizens Kommando die Gewehre zu laden und Feuer zu geben; dies sezte ihn ausser sich, er war seiner nicht Mann, zog den Degen, und versuchte sich durch den Haufen der Edelleute zu drängen. „Ungeheuer!“ rief er mit glühendem Gesicht: „Ungeheuer! ists erhört, das Blut der Bürger von Kanella zu vergießen? — Ungeheuer, wag es, einen Schuß wage! He! will das unser Landesherr? — Ungeheuer, wird das Piedro wollen?“ —

Man bemühte sich den jähzornigen Borsellino zu überlärmen, zu besänftigen, aber er ruhte nicht. „Laßt mich hin zu ihm, laßt mich! Bürgerblut will er vergießen — hört ihrs denn nicht? Ists nicht genug, daß man uns zu Sklaven machen will, zum Viehe sollen wir noch herabgewürdigt werden, das man morden darf, nach Herzenslust! — Laßt mich, laßt mich! — Heda, verdammter Fremdling, mit dem Leben der Kanelleser willst du spielen? ho! ho! — Bürgerblut! Bürgerblut! — Männer von Kanella ihr schweigt? — ho! hindurch!“

Der Prinz sah den schnaubenden Borsellino, hörte seine Worte, hörte des Volkes verwirrtes Geschrei, aber fühlte nicht, daß er es gewesen sei, der den schlummernden Funken des allgemeinen Unwillens zur lodernden Flamme angeblasen hatte — und wurde ob dieser unerhörten Vermessenheit eines Kanellesischen von Adel dreimahl wilder, als zuvor. Sein Gefolge stämmte sich ihm entgegen, aber Zwang empört den Zorn, stillt ihn nicht.

Es war ein entsezlicher Anblik, die beiden Wüthenden gegen über, jeder von den seinigen umringt und zurükgehalten. Aber unmöglich konnte man Borsellino’n länger widerstehn, er, in dem die Wuth Riesenstärke und Feuer der Jugend ausgegossen hatte. Er stürmte hervor und sties blindlings das gezukte Schwerd bis an den Heft dem Rosse des Prinzen in den Leib, und in eben den Augenblik stürzte Morizens Klinge auf Borsellinos Schädel herab.

„Gebt Feuer!“ schrie der Prinz, indem sein Pferd unter ihm sank: „Feuer auf die Hunde!“ und von verschiedenen Seiten fielen — einzelne Schüsse.

Dies that Wirkung, wie sie Moriz hoffte. Der Pöbel flüchtete; alles wurde still. — —

Borsellino lag ohnmächtig, in eignen Blute sich badend, in den Armen seiner Freunde. Man trug ihn fort. Moriz gab eiligst Befehl zum Aufbruch der Soldaten. Es flogen die Rosse, die Fahnen und Standarten wehten, die Waffen klirrten, die Trommeln wurden gerührt, man sties in die Trompeten und so gieng der Marsch durch die Straßen von Kanella, an das herzogliche Palais vorüber.

Piedro, Rosaffa, Benedetto mit verschiedenen Herrn und Damen des Hofs standen auf den Gallerien und Altanen vertheilt, dem Zuge zuzuschaun.

Aber ehe die verkauften Landeskinder mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen herankamen, erschien in trauriger Prozeßion der blutende Borsellino, getragen von den Vornehmsten von Adel. Nicht ohne Absicht schleppte man den Verwundeten, der sich etwas erholt hatte, hier vorüber.

Der Fürst hatte den Lärmen und später nachher das Schießen gehört, und von einem Adjutanten aus Morizens Suite Nachricht darüber empfangen.

„Wer ist der, welchen Ihr da unten traget?“ fragte der Herzog mit Neugier und heimlichen Schaudern.

„„Der edle Borsellino!““ scholl die Antwort zurük.

Der Verwundete richtete sich mit dem Leibe empor, schlug die Augen auf, sammlete alle Kräfte und sprach mit matter Stimme: „Herzog Piedro, dein Landeskind! — Piedro dein Landeskind, erschlagen von dem Fremdling der nach dem Blute deiner guten Bürger dürstet! — Piedro, Rache und Recht, wenn du Landesvater bist!“

Piedro war erschüttert. — Rosaffa schrie hinunter: „Schaffet den abscheulichen Anblik aus unsern Augen!“ und Piedro das Echo seiner Rosaffa intonirte sogleich: „Schaft ihn fort!“

Borsellino seufzte; die ihm umgebenden Edelleute murmelten unwillig unter sich, und gehorchten der Mätresse ihres Herrn.

Die Truppen marschirten bald darauf vorbei.

„Es lebe Piedro! — es lebe Piedro, die Lust seines Volkes!“ schrien die Soldaten, wenn sie nahe am Schlosse waren, und wischten zu gleicher Zeit die Thränen vom Auge, und der Landesvater lächelte huldreich auf sie herab.

Drittes Kapitel.
Gewitterwolken, die sich zerstreun.

Seit diesen Auftritten herrschten in Kanella tiefe Stille und Ruhe; es kam nirgends zu öffentlichen Händeln. Aber diese allgemeine Stille glich der vor einem Gewitter; sie ist schreklich. Die Volksfeste wurden nicht mehr so lebhaft, als sonst gefeiert; in den Tabagien und Gasthöfen lärmte nicht mehr der frohe Muthwille; die schönsten Spaziergänge wurden seltner besucht. Gram und Mismuth war auf jedem Gesichte zu lesen; Armuth wohnte unter den meisten Dächern, Unthätigkeit, Ekel der Arbeit in den meisten Werkstuben.

Nichts ist für einen Staat unglükweissagender, als solche Phänomene! Armuth gebiert Muthlosigkeit, Misvergnügen, Widerwillen gegen alle Arbeiten beim gemeinen Mann, weil er noch nur das wenigste von dem durch seinen Fleis Gewonnenen für sich behält, sondern den größten Theil seines Erwerbs den Pächtern, Monopolisten, Zöllnern, Steuern- und Acciseeinnehmern für den Fürsten u. s. f. entrichten muß. Träger Müssiggang ist der Vater gefährlicher Projekte und Träume, wo man sich denn durch irgend ein Wagstük in die ehmaligen Glüksumstände wieder hinauf zu schwingen hofft.

Der habsüchtige Benedetto, der schwelgerische Piedro argwöhnten von diesem Erfolg ihrer Unternehmungen zur Verbesserung der Finanzen nicht das geringste. Nothdurft, — so machiavellisirten sie — ist das Triebrad im Staate, welches Industrie, Künste und Handwerke befördert. Reichthum der Landeseinwohner macht sie frech, luxuriös, träge. Der Unterthan ist ein Esel, der nur mit Zwang seine Pflichten erfüllt.

Ob Piedro und sein Universalminister richtig argumentirten, wird uns der Erfolg mit Thatsachen belegen können. — Nur so viel war jezt schon gewiß, daß das Gebiet von Kanella um diese Zeiten ungleich mehr verarmte Familien, Bankeroteurs, Bettler, Beitelschneider, Straßenräuber, und andres unnüzzes Gesindel aufzuzeigen hatte, als irgend sonst.

Mehr gährte es in den Köpfen des so oft beleidigten, oft ungerecht herabgewürdigten Senats und Adels. Der erstere hatte kein anderes Gesezbuch, als die Laune des Kardinals, des Prinzen Moriz und der Gräfin Rosaffa, lezterer keine Anwartschaft durch Verdienste sich emporzuschwingen; Mittel waren nur etwa die Schürze einer fürstlichen Beischläferin, oder eine Börse gepreßt voller Goldstükken.

Borsellinos Schiksal machte neue Sensazion; dieser unglükliche Greis starb an seinen Wunden. Vor seinem Ende schrieb er noch an den jungen Giovanni, seinen Sohn, der sich damahls in Rom befand, einen beweglichen Brief, worin er ihn bat nach Kanella zurükzukommen, um den Prozeß auszuführen, welchen sein Mörder wider ihn anhängig gemacht hatte. — Giovanni, dem der ganze Karakter seines Vaters angeerbt war, kam — und fand Borsellinos Leichnam im Sarge.

„Oh!“ rief er, und warf sich über den entseelten Vater, hin: „ich bin zu spät gekommen! — Gott, mein Gott, daß ich ihn verlieren könnte, das wußt ich wohl — aber so ihn zu verlieren, das vergebe ich dem Mörder nie, wenns auch der Himmel könnte! — Erschlagen, meuchelmörderischerweise erschlagen mein Vater — nein, das hat er nicht verdient um Kanellas Wohl!“ —

Es waren viele Edle und Senatoren in dem Trauerzimmer versammelt — alle bemitleideten in den zärtlichsten Ausdrükken den leidenden Giovanni.

„Nein, nein,“ unterbrach er sie: „tröstet mich nicht, das Werk der Barmherzigkeit will ich an mir selber verrichten. Das Blut des Mörders löschet meine Wuth früh oder spät! — O, namenloser Verbrecher, o Mörder! Mörder, verflucht seist du vor dem Schöpfer und der Kreatur, verflucht sei dein Schlaf und dein Wachen, verflucht der Becher, den du leerst, verflucht sei der Bissen, welcher dich sättigt. — Es rüttle dich aus mitternächtlichem Halbschlummer Borsellinos Geist, es verjage dir die Freude des Tages Borsellinos Gespenst! — Mörder, entsezlicher Mörder, sichre dich, denn die Rache schläft nicht. — Verflucht will ich sein vor dem Weltrichter ewig, wenn ich nicht die Blutsünden abwasche — verflucht sei der Gedanke, welcher sich in meine Seele hineinstiehlt, ohne daß Rache ihm dieselbe aufschloß — es verdorre meine Hand, die sich dir friedlich darreicht, es verblinde mein Auge, wenn es dich anlächelt. Drükke ich einst den lallenden Säugling an mein Vaterherz, so sei das erste Gebet, welches ich ihn lehre, der gräslichste Fluch über dich und deine dann vermoderte Asche! — Oh! oh!“ —

Der ganze Senat, unzähliche vom Adel, zahlloses Volk begleiteten den Sarg zum Grabe, in einem feierlichen Zuge, desgleichen in Kanella noch unerhört war.

Was Giovanens Prozeß betraf: so wurde vom Fürst dahin entschieden, daß, weil Borsellino einen frevelhaften Aufruhr begonnen, derselbe das Leben gerichtlich hätte verlieren müssen, da aber der natürliche Tod seiner Strafe zuvorgekommen; so würden die Erben des Delinquenten verbunden sein, drei Viertel vom Vermögen desselben, als Strafgebühren, zu entrichten. Von Rechtswegen.

Giovanni liebte die schöne Laura, Tochter des edeln Kanellesers Eo. Viele Wochen verflossen, ehe Giovanni zu seiner Geliebten ging. Er fand sie das erstemahl, als er sie wieder erblikte, in Thränen. „Nun, trautes Mädchen, wirst du nie Giovannens Weib — was soll dir ein armer Edelmann?“ sagte er. Laura war untröstlich; der junge Borsellino unerschöpflich an Witz, das arme Mädchen zu foltern. „Ich sehe dich gern leiden, denn dein Leiden quält mich zum Ziele hin, das mir vorgestekt ist. Morizens lezte Nacht sei unsre Hochzeitnacht! verstehst du mich?“

„„Ich hab’ Euch verstanden, edler Borsellino,““ sagte der alte Eo, indem er ins Zimmer hereintrat, und von mehrern Edelleuten begleitet wurde: „„seht hier Eure Freunde, die Euch zur baldigen Hochzeit helfen wollen.““

Giovanni war bestürzt; er bat um Erklärung des Räthsels und man gab sie ihm mit den Worten: „Wir alle arbeiten an Morizens Fall — arbeiten an Aufrechthaltung des Senats, des Adels und der Bürgerrechte. Piedro ist ein schwacher Fürst, es gilt eine gewagte That! — Ihr seid unser Genosse?“

„„Mit Herz und Hand!““ erwiederte glühend Giovanni und warf sich den Männern in die Arme.

In öftern Zusammenkünften entwarf man den Plan, aber die Meinungen waren beständig getheilt. Einige drangen nur auf Morizens Wegräumung, andere auf allgemeine Reform der Regierung.

Man suchte beides zu verbinden — es gelang; es wurde die lezte nächtliche Zusammenkunft bestimmt, in welcher die Rollen vertheilt werden sollten.

Die Nacht erschien und jeder der Verschwornen mit ihr im Pallast des Eo. Ihre Zahl war vierzig. Die folgende Nacht wurde zur Ausführung des patriotischen Entwurfs geweiht. Zehn Edelleute sollten nach Mitternacht in Morizens Schloß eindringen und ihn ermorden oder lebendig fangen. Eben so viel sollten sich des Fürsten und des Kardinals zu gleicher Zeit versichern; dann sollte mit den Glokken gestürmt, das Volk versammelt und Freiheit ausgerufen werden. Im Fall einer Widersezzung der Fürstlichgesinnten, müsse jeder der Verschwornen Sorge tragen, eine gewisse Anzahl Bürger bereit und unter Waffen zu halten.

Der Plan war in der That sehr unreif, doch die Rache- und Freiheitdurstigen achteten es für Feigheit länger zu projektiren und die Unternehmung aufzuschieben.

„Auf!“ rief der begeisterte Giovanni: „laßt uns in dieser lezten Nacht den Bund besiegeln mit Eiden — Leben für Leben, Tod oder Freiheit und Rache!“

„„Leben für Leben! Kanella frei, oder wir verderbt!““ schrien alle, und wilde Schwärmerei umfaßte sie.

Die Weinbecher wurden gefüllt und geleert. „Borsellinos Geist umschwebt uns!“ rief Giovanni: „er sieht wohlgefällig unsern Bund! wohlan, laßt uns gehn und ringen, als Brüder oder sterben mit Brudertreue. Heda, wir trinken Bruderschaft, nicht etwa in Wein, sondern in unserm Blute. Auf, folgt mir nach!“

Er ergrif ein Messer, sties es sich in die linke Hand, daß das rauchende Blut in seinen Pokal stürzte. Jeder that ein gleiches; ging durch einander her, lies jedem von seinem blutigen Becher kosten, und trank von des andern Blut.

Aber mitten in dem Rausch dieser Begeisterung öffneten sich die Thüren — es blizten Gewehre herein — die Verschwornen erstarrten, die Leibwache Piedros besezte rings das Zimmer und rief: „ergebt euch auf Gnade und Ungnade!“

Viertes Kapitel.
Das Haus im rothen Walde.

Es ist unverzeihlich, daß wir Florentinen so lange verließen, ohne uns zu bekümmern, wem das Haus im Walde angehörte, wer die Thür öfnete, wen Florentin hier erblikte und welche Miene er annahm, als er wieder herausging? Was interessirte uns der wollüstige, Kabalensüchtige Hof zu Kanella? was jenes unzufriedne feige Volk, das nicht Muth genug hatte seine Ketten abzuwerfen? was die Borsellinos, Giovanni’s, Lauren und Eo’s?“

Machen Sie mir keine Vorwürfe, meine Leser! Es ist nun einmal meine Absicht, mich ungenirt auf meinem wilden Pegasus Fantasie herum zu tummeln, und ohne mich nach den Launen und der Neugier meiner Beobachter zu richten, bald in Osten, bald in Westen, bald unter guten, bald unter schlechten Menschen, bald in den lieblichen Revieren ländlicher Einfalt und Unschuld, bald an Höfen, wo Kunst die Natur verstümmelt und verzerrt, bald auf schauerlichen Wahlpläzzen, wo ein leidendes Volk verzweiflungsvoll nach Freiheit ringt, zu schwärmen.

Doch, ohne uns länger die edle Zeit mit Gezänken zu verderben, laßt uns mit Florentin in die ehrwürdige Provinzialversammlung der schwarzen Brüder treten. Wahrscheinlich erhält mancher Leser, welcher nach Aufklärung über das Wesen derselben dürstet, mit dem gräflichen Novitz, Befriedigung.

„Wer hauset hier?“ fragte Florentin den Bruder Holzhakker.

„„Der Forstmeister Blattrabe, ein Schwarzer!““ antwortete Hugo. Dieser führte seinen Mann in ein Zimmer, kleidete ihn da in ein schwarzes Gewand, öffnete darauf eine Nebenthür und lies den frohbestürzten Duur hineintreten.

Florentin sah sich wieder in der Mitte der Unbekannten, wieder in seinen Traum zurükgesezt. Es war ein großer, prächtiger Saal, erleuchtet von unzähligen Wachskerzen, angefüllt von einer ansehnlichen Menge schwarzer Herrn. Viel derselben eilten ihm sogleich entgegen, umarmten ihn, wünschten ihm Glük zur Aufnahme in den Bund der schwarzen Brüder, sprachen mit ihm von gewissen Szenen seines Lebens so bekannt, so vertraut, als wären sie Zuschauer und Theilnehmer derselben gewesen.

Man mischte sich brüderlich untereinander, füllte die Weingläser, sang feierliche Bundesgesänge; trank Gesundheiten und rief mehr als einmahl: es lebe republikanische Freiheit.

Aber Florentin wußte sich eigentlich noch nicht in diesen Wirrwarr zu finden; sein Herz sehnte sich nach dem, was Holder ihm verheissen hatte, und welches er gewiß hier antreffen sollte. Doch es vergiengen anderthalb Stunden, ehe man Miene machte, die Nacht mit etwas anderm, als Singen, Trinken, freundschaftlichen und politischen Diskursen hinzubringen. — — —

Mit einemmahle änderte sich die Szene. Jeder riß den Faden des Gesprächs ab; dieser sezte das schon zum Trinken aufgehobne Weinglas nieder, jener verzog sein Lächeln in die Falten des Ernstes. Aufmerksam wandte sich jedes Angesicht zu einem erhabnen Stuhle, welchen ein Greis so eben in Besiz genommen hatte.

Einige Minuten herrschte eine ungewöhnliche Stille, wie in einer Todtengruft; alles schien sich zu einer merkwürdigen Sache vorzubereiten.

„Nun, Vinzenz,“ sprach der Greis vom Stuhle herab, indem er dem Grafen mit der Hand winkte: „nun tretet mir näher.“ Florentin gehorchte; er ging näher zu dem Manne, dessen Anstand, Gebehrden, Sprache und Gesichtszüge ganz dem Ideale entsprach, welches sich unsre Einbildungskraft von Ehrfurcht erwekkender persönlicher Majestät zu machen gewohnt ist. Florentin hatte vor Fürsten gestanden, aber nie einen solchen Grad der Hochachtung empfunden als izt.

„Wir haben Euch werth gefunden ein Glied in der Kette der schwarzen Bruder zu werden!“ fuhr der Mann fort, welcher Verehrung abzwang: „Euer Wunsch sei Euch gewährt. — Bruder, unser aller Bruder, bedenket wohl, zu welcher Menschengattung Ihr gerathen seid! Bedenket wohl, daß von nun an das allgemeine Glük des Menschen euch näher liegt, als sonst — daß Ihr nicht mehr so sehr für Euer Interesse allein arbeiten dürfet — daß klippenvolle Umwege künftig Eures Lebens Pfade, Gefahren Eure Führerinnen, Mühe und Sorgen Eure Erholungen, und Undank der Menschen Eure Belohnungen sind! — Noch einmahl dürfet Ihr wählen: bleibt und seid unser Bruder, oder gehet, und schweiget von dem was zwischen uns vorgefallen ist.“

Florentin. (stark) Ich bleibe, bin Euer Bruder.

Greis. Du hast gewählt, von nun an ist jeder Rüktritt unmöglich. Du bist und bleibest unser im Guten und Widrigen; nie werden wir dich verlassen, aber nie wirst du auch, als Verräther, unserm Arm entwischen können, es sei denn, durch die Pforten des Todes. Hörst du, du bist unser! ganz unser! zerbrochen hast du jezt alle Ketten, die dich an andre Verhältnisse binden, — sei treu, Vinzenz, um deiner Wohlfarth willen, sei treu! Und bist du in der Treue bewährt — dann mache Ansprüche auf unsere Vergeltung deiner Thaten. Und vergelten wollen wir, so wahr Gott allgegenwärtig ist, der unser Versprechen hört, und den Bruch desselben rüge in Zeit und Ewigkeit! — Auch träume nicht, Vinzenz, schon jezt die höchste Stufe in unserm Orden erstiegen zu haben, dahin erheben dich erst Verdienste. Doch so viel du als Bundesglied erfahren darfst in deinem Range, wollen wir dir nicht verheelen.

Der Greis winkte. Einer der schwarzen Brüder trat hervor, wandte sich zum Grafen und redete also:

„Unser Bruder! treue Freundschaft ist die Quelle unsers Glüks. Disharmonie zerstört Staaten. Dies war von jeher der Grund, auf welchen alle Systeme irrdischer Glükseeligkeit erbaut wurden. Banditen und Räuber verbanden sich mit einander auf die Ruinen fremden Glüks das ihrige zu gründen. Aberglaube und Schwärmerei verbrüderten sich auf das Elend der Zeitgenossen das große Gebäude einer allgemeinen Hierarchie zu errichten — warum sollten sich nun nicht auch brave Männer mit denkenden Köpfen vereingen, dem allgemeinen Unwesen, welches die Menschheit unter tausenderlei Verkappungen verheert und elend macht, entgegen — zu arbeiten? — Soll ich Euch das menschliche Elend in seiner ganzen, schauerlichen Größe malen? soll ich Euch die mancherlei Klassen öffentlicher und heimlicher Bösewichter vom Thron herab bis zum Bettler durch alle Stände schildern? — Fordert Ihrs; so trage ich Mitleid mit Eurer wenigen Kenntniß der Welt, und Eurer Stubenweisheit; Ihr wärt kein Mann für uns.“

„Nur Leute vom erprobtesten guten Herzen und gutem Kopfe werden in unsern Bund aufgenommen, und diese befördern wir nach allen Kräften zu den vorzüglichern Aemtern des Staats, damit sie für ihr Herz und ihren Kopf den ausgebreitetsten Wirkungskreis auf das Wohl des Ganzen erhalten. Der Staat gewinnt dadurch Männer in seine Aemter, wie sie sein sollten; Dummköpfe, die durch Geld, Familienansehen oder andre Schleichwege nach glänzenden Posten trachten, werden zurükgedrängt. Und finden wir einen herrlichen Mann auf dem Wege zu solchem Amte; so helfen wir ihm selber empor, und ist er noch der schwarzen Brüder keiner, so wird ers dann jedesmahl. — Daher kömmts, daß wir jeden schäzbaren Mann, er lebe im Staate wo und in Dunkelheit gehüllt, wie er wolle, auf unsrer Liste führen und bei Gelegenheit hervorziehn. Auch geringere Leute stehn in unsern Sold, an uns gekettet durch die festesten Banden, und dieß sind unsre Spione, nothwendige Helfershelfer — sie wissen nichts von dem, was unter uns Höhern vorgeht, und erscheinen seltner in unsern Synoden.“

„Ungeachtet aber wir einander selber unser zeitliches Wohl befördern: so sind Menschen doch immer Menschen, oft von schwachen Grundsäzzen, oder voll unglaublicher Verstellung. Verschwiegenheit und Treue zu beobachten werden die Novizen mit einem Eide verpflichtet. Wen Wort und Versprechen nicht mehr bindet, verdient nicht Mitglied im Orden der redlichen Menschheit, geschweige in unserm Bunde, zu sein. Doch wollte ein solcher auch nachtheilig für uns werden, uns verrathen: so wird er doch nur Kleinigkeiten auszuschwazzen wissen, denn er kennet wenige Mitglieder, von den meisten nur den angetauften Ordensnamen der Bündner und Städte. Das Noviziat dauert nach Beschaffenheit der Verhältnisse länger oder kürzer — Treue, Eifer und große Thaten weihen erst zum Anschaun tieferer Misterien ein. Wehe aber dem Verräther! unmittelbare Strafe folgt ihm auf dem Fuße nach, die um so furchtbarer ist, je ausgedehnter die Macht des Bundes, je unsichtbarer die Rächer sind!“

„Von Seiten der Verrätherei haben wir also wenig nur zu befürchten. Jezt hört mehr! Ihr seid künftighin verbunden, wie jedes andre Glied unsrer Kette vierteljährige Nachrichten von Euern Plänen, Thaten, Familienumständen, Veränderungen des Aufenthalts, neuen Bekanntschaften u. s. f. ohne Heuchelei und Trug an den Ordensregenten Eurer Provinz einzuliefern, das heißt, der Ordensprovinz, in welcher Ihr Euch befindet. Die Regenten haben unter sich wiederum einen Obern, der uns allen unbekannt ist, die wir nie auf dem Regentenstuhle saßen. An diesen Obern fließen die merkwürdigsten Gegenstände aus der Geschichte des Bundes in Auszügen von den Regenten aus ihren Provinzialmemoiren geliefert. Dieser Obere überblikt das Ganze; unbekannt wirkt er auf alle; theilt den Regenten Entschlüsse mit; formt Staaten um und hat Kunde von den Kabinettsgeheimnissen aller Mächte in Norden, Süden, Westen und Osten, — wo denn ein Federzug von ihm, sobald es der Menschheit heilsam ist, Kriege, Aufrühre, Staatsumwälzungen und Friedensschlüsse verursacht. Er ist ein Gott, welcher über die Fürsten dieser Welt durch die ausgebreitetste, fein- und festgewebteste, ehrwürdigste Verbindung der besten Köpfe und Karaktere jedes Reichs, erhaben steht; welcher Potentaten lenkt am unsichtbaren Faden seiner Macht; ihnen beglükende Pläne zuspielt, oder schlechte zerreißt. Ihr staunet? — Ha, Vinzenz, es ist schmeichelhaft, die Laienwelt unvermerkt hinzudrängen zum Ziele alles Strebens, zum allgemeinen Wohl! — Es ist schmeichelhaft, mit seinen Augen die Zukunft guten Theils schon jezt durchschauen zu können; Entwürfe in unsern Archiven zu erblikken, welche diesem oder jenem Monarchen vorgeschrieben wurden, die er ausführte oder noch vollenden soll. Noch ists nicht die Zeit, aber einst wird sie tagen, wo wir Urkunden über die Motive mancher ehmaligen Begebenheiten ausstellen, und die neuere Geschichte der Welt fürchterlich reformiren werden. Wer, meint Ihr, Vinzenz wars, der die Jesuiten entthronte? wer, der die Befreiung Nordamerikas beschlos und vollenden half? wer, durch dessen Arm Künste und Wissenschaften in die nördlichern unkultivirten Gegenden des Erdbodens verpflanzte? wer, der den Geist des Freidenkens und Aufklärens über Deutschland ausgoß? — O, könnte mancher Todte, dürfte mancher Lebende, von dem man es am wenigsten erwarten sollte, reden! — Vinzenz — doch ich schweige! Aber, wer Ohren hat zu hören, der höre! wer Augen hat zu sehen, der sehe nun! — Es kann noch kein Jahrhundert verfließen: so wird man nie geträumte Verwandlungen in den Staatsverhältnissen Europens wahrnehmen; Kanella, Holland, Brabant, Frankreich, Pohlen, Ost- und Westindien werden unter den Händen der schwarzen Brüder neue, dem menschlichen Geschlechte wohlthätige Formen gewinnen. — Ihr zweifelt?“

„„Ich erstaune!““ rief Bruder Vinzenz, und schlug die Hände zusammen.

„Wenn Ihr wißt, daß wir aus unsrer Mitte die Männer liefern, welche die interessantesten Rollen im Staate zu spielen haben; die Räthe zum christlichen Ministerio, Konsisiorio, Militair, Schulwesen, und so liefern; wißt, daß Schriftsteller, Hofleute, Aerzte, Bischöffe, Lehrer, Prinzenerzieher, Buchhändler, Kapitalisten, Kriegsleute, Schauspieler unsre Genossen sind, die eine Kette in vielen aneinanderhängenden Gliedern ausmachen, so denke ich, werdet Ihr nicht mehr zum Erstaunen Ursach haben.“

„„Aber wie,““ entgegnete bestürzter, als je, der Graf: „„wie ists möglich, daß Männer von so verschiednen Talenten und Launen für den schwarzen Bruderbund gewonnen, festgehalten, und an einem Ziele hingestimmt werden können?““

„Eben ihre Talente, Schiksale und Launen sind es, deren wir uns bedienen, sie an uns zu ziehn, und festzuhalten!“ erwiederte der Redner: „Denket an Euch! Holder ließ Euch einen Traum von zween Tagen träumen; ein Schlaftrunk brachte Euch in unsere Gewalt; berauschende Getränke schlossen uns Euern Karakter ganz auf; wir gaben Euch durch mancherlei Maschienerien diejenige Seelenstimmung, welche wir wollten; wir enthüllten Euch, so viel Ihr anfangs wissen dürftet, um lüstern nach mehrern Offenbarungen zu werden. Euer Traum war vorbei. Wir beobachteten Euch nach demselben; Ihr gewannet unsern Beifall, Euer Schiksal an Adolfs Hofe machte Euch ganz zu unserm Eigenthum. Jezt seid Ihr unser, so wie wir Euer, Ihr werdet gern zur Ausführung unsrer wohlthätigen Absichten für die Menschheit stimmen, wenn Ihr anders das Biederherz in der That besizzet, welches Ihr zu besizzen durch mehr, als eine, Handlung zu verrathen gabet. — Und so, Vinzenz, wie Ihr, auch tausende. Glaubt mir, es ist nichts leichter, als Menschen zu erobern und an Entwürfe festzuschmieden, wenn man ihr Temperament zur Kette für sie macht!

Florentin. Aber wie mag nun dieser ungeheure Koloß zur Bewerkstelligung einer einzigen großen Absicht hingeleitet werden? Sollten nie Uneinigkeiten unter Euch herrschen? sollte in Eurem Bunde das Sprüchwort zum erstenmahle lügen: viel Köpfe, viel Sinne?

Redner. Uneinigkeiten sind nach der Einrichtung unsere Bundes unmöglich. Die weisesten, edelsten, leidenschaftslosesten Männer machen das kleine Corps unserer Obern aus — und wo die Leidenschaft schweigt, findet sich das Gute und die Wahrheit bald. Sodann gehn die Befehle von dem Munde der Regenten an die einzelnen Bündner, und zwar so, daß jeder Kopf etwas seinem Sinne behagliches zur Ausführung empfängt. Jeder Befehl ist weiter nichts, als die besondre Aufmunterung zu einer jezt vorzüglich nothwendigen guten That. Jeder Kopf wirkt nun nach seinem Sinn wie wir es wünschen im Staatsrathe, in dem Sinedrio, in Parlamenten, in Reichsversammlungen, Landtägen, Kirchen, Schulen, Schriften, Schauspielen — kurz von allen Seiten her wirkt alles nun nach einem Mittelpunkt hin. —

Florentin. (begeistert) Man sagt in der gewöhnlichen Welt; der Flug des menschlichen Geistes sei in unsern Tagen kühn und erhaben, aber, bei Gott, hier däucht mir jede große That, wie Knabentändelei gegen das Werk eines Riesen.

Redner. Ihr scheint außer Euch zu sein, Vinzenz, schon berauscht zu sein vom ersten flüchtigen Abschlürfen des Bechers, welchen wir Euch reichen — wie wird es werden, wenn Ihr ihn ganz auszuleeren Erlaubnis und Macht empfanget?

Florentin. Also harrt meiner noch eine Zeit, welche viel grössere Geheimnisse abschleiern kann?

Redner. Wohl harrt sie Eurer!

Florentin. Ihr stürzt mich von einem Erstaunen ins andre; ich komme nicht zu mir selber.

Redner. Glaubet mir, Bruder, daß zwischen Erd und Himmel noch Wahrheiten und Möglichkeiten im geheimnisvollen Dunkel wohnen, noch Sinne für gewisse Dinge vorhanden sind, von welchen der großen Schaar hochgelahrter Akademisten und Stubengelehrten noch nicht die flüchtigste Muthmaaßung angeschwebt ist! — Doch vor izt habet Ihr genug erfahren; große Handlungen bahnen Euch den Weg zu erhabnern Einsichten. Amen!

Florentins Bestürzung läßt sich unmöglich beschreiben. Man hörte auf zu ihm allein zu reden, sondern die Unterhandlung wurde wie vorher, gemeinschaftlicher, lebhafter. Nur Florentin, mit unter einander geschlagnen Armen, in tiefer Betrachtung herabgesenktem Haupte, stand unbeweglich da auf seiner Stelle, und achtete nicht auf das, was um ihn her vorging.

Einer der Schwarzen, der höhern Ranges im Bunde zu schien, schlos sich jezt an ihn:

„Die Zeit unsers Beisammenbleibens ist kurz; vergrabet Euch nicht in Euch selber, Vinzenz, sondern benuzzet die flüchtigen Minuten!“

Florentin. Gott! sollt’ es möglich sein alles das, was ich so eben gehöret habe? — Ist die Gewalt unsers Bundes in der That so groß?

Ein Schwarzer. Unstreitig.

Der Redner. Jeden Zweifel in Eurer Brust zu tödten ist unsre und Eure Pflicht; unbegränztes Vertrauen auf die Macht der schwarzen Brüder ist Euch nothwendig. Fordert deswegen von dem Orden ein Beweisstük dessen, was ich Euch im Namen der Brüder vortrug.

Florentin. (zurükgezogen) Ich fodre nicht, — ich zweifle nicht mehr.

Der Redner. Ihr sollt durch Thatsachen überführt werden, daß wir nur Wahrheit reden und nicht prahlen können. Wünschet!

Florentin. Ich — doch nein, jeder Wunsch würde beleidigenden Verdacht äussern müssen.

Viele Brüder. Verlanget! wünschet! wir bitten Euch.

Florentin. (stokkend) Führt mir die liebenswürdige Schwester des Herzog Adolf, und wenn auch nur auf eine kurze Zeit, zu.

Der Greis. (lächelnd) Mehr nicht?

Florentin. (staunend) Ich befürchtete, um eine Unmöglichkeit gebeten zu haben.

Der Greis. Ihr habt jezt, weil Ihr von allen andern Verbindungen durch Eure Landesverweisung abgerissen seid, für den Orden, in Sachen der menschlichen Freiheit, eine ansehnliche, baldige Reise vor Euch. Diese läßt sich unmöglich aufschieben — aber auch in fremden, ziemlich entfernten Landen soll Euch Euer Wunsch gewährt werden.

Florentin. Wann — wann soll ich die Prinzessin Louise sehn?

Der Greis. Dann, Vinzenz, wann Euch Erquikkung nach der Arbeit noth ist. — Dies könnte wohl bald geschehn!

Florentin. In einem entlegnen Lande die Prinzeßin wiederfinden? Ist das möglich?

Der Greis. (ihm die Hand drükkend) Vertrauet uns!

Einige der Schwarzen. Der Morgen graut! laßt uns zum Ziele eilen!

Der Greis nahm sogleich seinen Thronsessel von neuem ein; die schwarzen Brüder stellten sich um denselben schweigend hin und der Redner führte abermals den Grafen vor den Greis und die Versammlung.

„Laut Nachrichten, die wir von dem Obern empfangen,“ begann der Redner: „beläuft sich die Zahl der schwarzen Brüder in Kanella nicht hoch. Es sind ihrer nur zehn; seit dem Tode Borsellinos noch neun. Die Zahl derselben muß vermehrt, und Kanellas despotische Regierungsform umgeschmolzen werden. Die Bürger Kanellas bedürfen eines Anführers, um frei zu werden, loszuschütteln die angelegten Ketten, zu zerschmettern den Thron, um welchen die Elenden, als Sklaven kriechen. — Vinzenz, wir haben Euch geprüft! Ihr seid zum Befreier Kanellas berufen?“

Florentin. (den Redner anstarrend) Ich berufen?

Redner. Verhüllt Eure Talente, Eure Wissenschaften, Euern unternehmenden Geist nicht vor uns in den unnüzzen Mantel der Bescheidenheit — Kanella hofft von Euch Freiheit.

Florentin. Werd ich sie dem unglüklichen Staate geben können? — An Muth mangelts dieser Brust nicht, ein solches gefährliches Wagstück zu wagen; schon der Gedank’ ist begeisternd, es zu unternehmen, was nur die größten Männer je unternahmen, wenn auch eignes Unglük nothwendig an das Glük Kanellas gebunden läge — aber — — —

Fünftes Kapitel.
Etwas für Republikaner.

Ich weis nicht, ob ich nicht mancher meiner Leser — ermüden würde, wenn ich ihm von den politischen Plänen der schwarzen Herrn vorplauderte; ich weis aber auch nicht, ob ich manchem gefallen könnte, wenn ich die Gründe des schwarzen Bundes zu Staatsreformen verschwiege — beiden also ein Genüge zu thun, widme ich diesem Stoffe ein eignes Kapitelchen, welches nun nach Belieben zu lesen oder zu überblättern ist.

Florentin, der düstre, wilde Florentin, welcher so unglüklich war, Alles zu verlieren, was ihm hienieden Seeligkeit war, eine Geliebte, viele Freunde und Freundinnen, Verwandte, Vaterland, Aussichten in ein Thatenreiches Leben zu verlieren; Florentin, dessen brennender, unersättlicher Durst nach Ruhm und großen Handlungen aus jeder seiner ehmaligen Absichten zu erkennen war, und welcher jezt in der Mitte von Männern, die mit ihm so sehr in diesem Punkte harmonirten, doppelt anwuchs; Florentin, der jedes, auch das geringste Elend des Menschen so innig mitfühlte, der aus jenem erkünstelten, wachendgeträumten Traum einen fürchterlichen Haß wider alle fürstliche Despotie eingesogen hatte — dieser Florentin, sage ich, konnte unmöglich länger einem Antrage widerstehn, der so sehr allen Gefühlen, Affekten und Leidenschaften in ihm schmeichelhaft klang.5) — Er hätte lieber aufjauchzen mögen im Hoch- und Frohgefühl seiner Seele, bei dem Zuruf der Schwarzen: „seid Kanella’s Retter!“ als einen unnatürlichen Widerwillen oder Gleichgültigkeit zu simuliren. — Er konnte nicht lange diese Maske tragen; er warf sie ab und alle Anwesende riefen ihm Beifall und Glükwünsche.

Der schwarze Redner aber reichte ihm ein versiegeltes Paket Schriften, welches fernerweitige Instrukzionen des Ordens bei dieser seiner Operation enthielt, welche der Graf zu sich nahm, und worauf jener so eine Apologie dieser Handlung des Ordens anhub:

„Brüder, der Zwek unsers alten Bundes wars immer: Beförderung menschlicher Glükseligkeit, sie zu bewachen in einzelnen Personen und im Ganzen. Der feinsten Moral wird durch diesen Grundsaz nicht wehe gethan, eben so wenig durch die Mittel denselben anwendbar zu machen!“

„Und wenn nun ein ganzes Volk unterm Tyrannenjoche seufzend, seine Rechte zertreten, seinen Handel und Gewerbe blütenlos, seine Freuden vernichtet sieht — sollte solch ein Gegenstand, welcher das Gefühl jedes Menschen empört, nicht auch unser Erbarmen rege machen? Freiheit ist nun einmahl der Natur schönstes Vermächtnis an den Sterblichen, darf ein Mensch dieses dem andern gewaltsam oder listigerweise rauben? Sklaverei ist der Tod alles irdischen Glüks! —“

„Zwar hat das Volk seinem Fürsten gewisse Rechte zuerkannt, aber nie das Recht der allgemeinen Freiheitsräuberei. Das Volk ist nicht um des Fürsten willen, sondern der Fürst um des Volkes willen vorhanden.“

„Jeder Staat ist an sich eine Republik; bürgerliche Ordnung und Sicherheit zu erhalten mögen mehrere, oder einer die Aufsicht über das gemeine Wesen haben, — gleichviel, wenn nur die Beschüzzer der Ordnung und Ruhe ihre Pflicht erfüllen, daß Gott und Menschheit zufrieden sein dürfen. Wie aber, wenn das Gegentheil eintritt? soll da das Volk verzweifeln und schweigen? soll der zertretne Wurm sich nicht krümmen dürfen unter den eisernen Fersen der Grausamkeit? soll das freigebohrne Volk seine geraubte Freiheit nicht wiederfodern dürfen?“

„O, es müssen viele Szenen vorangehn, ehe die Nazionen sich auflehnen, ehe die Liebe zu ihren Beherrschern ausgetilgt wird! Nur die Verzweiflung wagt erst einen solchen Schritt, aber dieser ist dann auch desto fürchterlicher!“

„Nur erst, wenn jede andre Hoffnung dem bedrängten Volke entschwindet, wenn eine ganze Reihe von Tyrannen und Tyranneien die Geduld desselben ermüdete, wenn neue Neronen zum Ruin des Landes ausgebildet, die traurigste Aussicht in die Zukunft darstellen, nur dann erst ist das Volt berechtet, eigenmächtige Veränderungen in seiner Regierung vorzunehmen.“

„Brüder, sehet auf manche Staaten Europens — und fühlet Ahndungen. Nicht vergeblich hat der Orden der schwarzen Brüder allenthalben und durch mannigfache Mittel den Geist der Freiheit auszubreiten gesucht — nicht umsonst sind dadurch hie und da kleine Revolten entsprungen; alles dies geschah die Landesherrn aufmerksamer auf ihr, ihnen vom Volke anvertrautes, Amt zu machen, wehe ihnen, wenn sie diese unsre Winke mißverstehen!“

„Hätten alle Nazionen nur Josephe, Friedriche, und Wilhelme auf ihren Thronen, o, so würde nie ein Miston in die Hymnen derselben auf ihre Fürsten einschleichen! Aber mancher Staat ist unglüklich genug, einen Piedro, einen Ludwig als seinen Landesvater verehren zu müssen, unglüklich genug noch eine ganze Reihe von Piedronen und Ludwigen erwarten zu müssen, — darum, Freunde habet auf die Folgen wohl acht!“

„Auf, Vinzenz, flieget nach Kanella, feuert den Genius des Volkes wieder an, groß und liebenswürdig zu sein, wie ehmals; durchspähet die Intriguen der Mittyrannen Piedros, wiegelt Volk und Fürsten gegen einander auf, verlieret eher Euer Leben, als Euern Muth. Freilich ist der Kampf zwischen Sklaverei und Freiheit schreklich, er wird mit Bürgerblut verbunden sein; aber der Staat laborirt an einer Todeskrankheit, Ihr seid der Arzt; laßt es immer hin zur furchtbaren Krisis kommen, die Krankheit muß sich brechen. Eilet hin, Piedros Grausamkeiten ein Ziel zu sezzen, — ein andrer soll, später oder früher Ludwigen ein Gleiches thun!6)

„Aufklärendes, herrliches Jahrhundert, du erschienst den Erdbewohnern in einem glänzenden Gefolge — führst du uns nicht auch die goldne republikanische Freiheit zu? — Geht, Vinzenz, wir sehen im Geiste einen schönen Ausgang Eurer Unternehmungen zuvor. Und sollte Euer Muth erschlaffen: so suchet in den Jahrbüchern der Welt die seligsten Perioden der meisten Völker auf, Ihr werdet sie finden unter der Rubrik: republikanische Staatsverfassung. Forschet dann nach den traurigsten Zuständen der meisten Völker, Ihr findet sie größtentheils unter der Regierung monarchischer Despoten. Rom und Griechenland sanken, als sie nicht mehr frei waren, die nordamerikanischen Freistaaten stiegen empor, da sie frei wurden!“

„Gegen einen Numa, Titus, Mark Aurel, Alraschid, Nusirvan, Heinrich IV. Friedrich II. Joseph II., Fr. Wilhelm II. findet Ihr immer zehn Alexanders, Solimanne, Tarquine, Neronen, Kaligulas, Herodesse, Genserichs, Christierne, Mulei Ismaels, Karl XII., Philippe II. u. s. w. Gelüstet Euch zur Belustigung von Bluthochzeiten, oder Greueln eines Alba zu lesen: so forschet in den monarchischen Regierungen nach. Und erwacht dann nicht Euer Muth, empört sich dann nicht Euer Herz, erglühet dann nicht Euer Busen vom Thatensüchtigen, Hülfe und Rettung suchenden Erbarmen: so habt ihr nie an den Brüsten einer Sterblichen gesogen! — Auf, es lebe die Freiheit, sei es in Demokratien, oder weisen Monarchien!7)

Der Redner riefs, und die Versammlung der schwarzen Brüder stimmte Tutti ein: es lebe die Freiheit! die Gläser wurden geschwänkt, Gesänge der Freiheit wurden gesungen, und, trunken von lieblicher Schwärmerei schied man beim Anbruch des Morgens auseinander. In einer Chaise des Forstmeisters Blattrabe traf Florentin an eben dem Tage wieder zu Munchenwall ein.

Sechstes Kapitel.
Die Eremitage.

Keiner war lustiger, als der ehrliche Badner, da er seinen Herrn wiederkommen sah.

„Wars mirs doch schon gewaltig bang’ um Sie!“ rief er ihm entgegen: „ich dachte, hohl’ mich, straf mich! unser gnädiger Herr hat ein unglükliches Abentheuer gehabt, siehst ihn gewis nicht vergnügt wieder!“

„„Du hast dich diesmahl unnöthig geängstet!““

„Hab ichs? nun, meiner Sixt! das freut mich.“

Der alte, gute Mann lief jezt Trepp an, Treppe nieder, seinem Grafen alle Wünsche zu erfüllen, die er nur aus dessen Blicken zu lesen glaubte. Nachdem sichs Florentin bequem gemacht, und Badner die Schokolate besorgt hatte, mußte sich der leztre zu ihm niedersezzen.

„Höre, Badner,“ Florentin: „bezahl’ unserm Wirthe die Rechnung, sorge für alles, was zu einer ziemlich langen Reise nothwendig ist, pakke ein, und halte alles bereit, damit wir Morgen in der Frühe Munchenwall verlassen können.“

Badner. Gehts wirklich schon fort? — scharmant! mir behagts auch meiner Treu in diesem Neste nicht mehr.

Florentin. Aber wirds dir auch dort behagen, wohin ich jezt reise, und wo ich wahrscheinlich mehr als ein Jahr zubringen werde?

Badner. Das ist —?

Florentin. In Kanella.

Badner. Hu, so weit vom deutschen Vaterlande?

Florentin. Meine Pflicht ruft mich dahin.

Badner. Gnädger Herr, Sie wissen doch daß es dort in jezzigen Tagen ein unsichers Leben ist?

Florentin. Ich weis es.

Badner. Der Herzog soll ja, wie die Zeitungen lauten, ein leibhaftiger Behemot sein!

Florentin. Eben deswegen.

Badner. Wie? Sie werden sich doch nicht in die Händel dort hineinmengen wollen?

Florentin. Vielleicht.

Badner. Ei! ei!

Florentin. Willst du mit mir? willst du da Glük und Unglük einige Jahre mit mir theilen?

Badner. (sich hinter den Ohren krauend) Wenns nur im heiligen deutschen Reiche wäre — aber, meiner Sixt, die Kanelleser sind heuer gar nicht aufgelegt, einem das Leben angenehm zu machen.

Florentin. Zwingen will ich dich nicht, mir zu folgen. Willst du bleiben im Vaterlande, so widerstehe ich dir nicht, ich bezahle dir meine Schuld, gebe dir Empfehlungen, so viel ich geben kann, und scheide von dir, als Freund.

Badner. (bieder) Nein, gnädiger Herr, ich folge; und wenn sie zu den Hottentotten gingen, ich folgte. Verlassen will und kann ich Sie nicht. — Wollen Sie mich behalten?

Florentin. Eine unnöthige Frage, lieber Badner!

Badner. Na, so bin ich der Ihrige mit Seel und Leib bis an mein seelges Ende. Ich gehe in Gottes Namen mit Ihnen aus Deutschland, — zurükbringen werden Sie mich wohl nicht wieder.

Florentin. Frag Gottholden, ob er Lust hat nach Kanella zu gehn, weigert er sich, so zahle ihm seinen vollen Lohn aus.

Badner. O, der bleibt bei uns! — na, allons, eingepakt, ’s geht risch nach Kanella!

Der Alte entfernte sich froh gelaunt; Florentin erbrach das Paket, welches er in der nächtlichen Versammlung der schwarzen Brüder empfangen hatte und las mit Begierde alles darin, was lesbar hies.

Was für uns beinahe nicht weniger Interesse darunter haben könnte, als für Florentin, theile ich mit. Erstlich ein Empfehlungsschreiben Sr. Herzogl. Durchlaucht, Adolfs, an den Hof zu Kanella. Dies hatten die schwarzen Brüder vom Herzog Adolf für den Grafen von Duur ausgewirkt. Florentin verwunderte sich bas ob dieser Erscheinung, denn dies schien offenbar zu verrathen, daß auch sein ehmaliger fürstlicher Freund unter die fürchterliche Anzahl der schwarzen Brüder gehöre. Und überdies war es an sich nichts Unmögliches, weil Adolfs politisches Interesse durch eine solche Verbindung schlechterdings Nuzzen gewann. Und warum hätten die Schwarzen nicht einen so guten Fürsten unter sich aufnehmen sollen, und können, da sie hier eine wichtige Stüzze erhielten, und es nicht grössere Mühe kostet einen Fürsten in ein gewisses Interesse zu verspinnen, als einen andern Menschen? Kurz, es war ungemein wahrscheinlich! — Das Empfehlungsschreiben mußte zu seiner Zeit die gewünschte Wirkung hervorbringen, um so mehr, da Adolf mit dem Geblüte Piedros weitläuftig verwandt war.

Ich könnte hier noch die besondern Instrukzionen des Ordens erwähnen, oder der Wechselbriefe, welche Florentinen im Fall der Noth zum Herrn ansehnlicher Summen machen konnten; aber ich schlüpfe über das alles stillschweigend hin, weil die Folgen der Instrukzion und Wechsel vielleicht künftig sichtbar werden werden, und gehe zu einem Briefe über, den Freund Holder aus Sorbenburg geschrieben, und mit zwei Miniaturgemälden, Holdern und Louisen vorstellend, beschwert.

Lieber Graf!

Ich bin izt von einer kurzen Reise heimgekommen, setze mich sogleich hin und schreibe dir, weil ich wünsche, daß dich dieser Brief noch in Munchenwall antreffen mögte. — Du gehst also nach Kanella? Glük zu, Bruder! ich denke du wirst dort in deinem Elemente leben, denke, daß die Zerstreuungen daselbst dich von den melancholischen Anfällen des etwannigen Heimwehs heilen werden.“

„Die Rolle, welche du zum Spiel übernommen, ist gefahrvoller, als die gefährlichste bisher gespielte. Siehe, dich vor; bewache dein Leben, wenn du noch lüstern bist, mit mir nach einigen Jahrhunderten wiederum einmahl diese Erdenwelt zu bewandern — und nirgends steht dein Leben mehr dem Tode nahe, als zu Kanella. — Hüte dich!“ —

„Gott, wenn wir alle hier in Sorbenburg dich einst, als den Befreier Kanellas umarmen sollten! — kannst du dir mit der üppigsten Fantasie eine wollustvollere Szene vorträumen? — Geh, junger Mann, sei gros! mußt du gleich einen wichtigen Theil deiner schönsten Lebensfreuden einbüßen, mußt du gleich fern von einer angebeteten Fürstin, fern von dem guten Rikchen, fern von dem braven Onkel und deinem Holder wohnen, o so wird doch die Nachwelt, werden auch die Zeitgenossen dich seegnen, der du lieber selber ein Leidender warst, um die Leiden eines Volkes zu enden! —“

„Aellmar schrieb mir, daß du mein Bildnis zu besizzen wünschtest — ich schikke dirs, und noch ein andres, welches dir gewis tausendmahl angenehmer sein muß — Louisens Bild. Ich habe sie gesehn; Florentin, nein, du bist kein Sünder, daß du sie liebtest und liebst! Sie ist zurükgekehrt an den herzoglichen Hof und wieder, wie einst, die Seele, desselben geworden. Aber, wie mich dünkt, ists nicht mehr das feurige lachende Mädchen, — eine sanfte Schwermuth wohnt in ihrer Seele, strahlt aus ihren Blikken, aus ihren liebezeugenden Mienen hervor. Weißt du’s schon — doch wie solltest du nicht? — daß sie — daß sie von einem Knaben entbunden worden, dessen Vater du Ueberglüklicher bist? — Ich habe das Kind gesehn — Florentin, ich glaube dich in einen jungen Abkömmling der Menschheit verwandelt zu erblikken. Es ist dir ganz ähnlich, und blüht in voller Gesundheit. — Wenn du einst heimkehrst über Jahr und Tag, o Bruder, und der Knabe (Karl heißt er) dir entgegenspringt, und dein Onkel, und ich mit meinem Weibchen dich auf immer in unsre Mitte aufnehmen — wenn wir dann wieder da liegen auf dem bekannten Hügel, wo wir sonst den Sonnenaufgang und Untergang betrachteten, oder wir im Garten, wo du unter dem Fliederbaum so gern träumtest, umherwandeln, — — nein, Florentin, ich breche ab, — die Freude über deine noch so entfernte einstige Wiederkunft macht mich schwärmen. Leb wohl! — wir alle sind gesund hier, und glüklich, so sehr wir es ohne dich sein können. Noch einmahl, mein Bruder, leb wohl. Die Zeitungen und Journale werden mir wahrscheinlich bald von dir mehr sagen, als deine Briefe. — Nun, es lenke der Arm des Schiksals alles wohl, gedenke oft deines

Holder

Wie wär’ es möglich gewesen, daß Florentin diesen Brief hätte lesen können, ohne von den traurigsten und schmeichelhaftesten Empfindungen gequählt und entzükt zu werden? Mit heisser liebender Inbrunst drükte er wechselsweis Louisens und Holders Bildnisse an seine Lippen, er dachte sich nun alle Szenen zurük, welche ihm in der Gesellschaft dieser schönen Seelen verflossen waren, dachte hinaus in die Zukunft, wo er sie vielleicht nicht wieder genießen würde, und übermannt von Lust und Wehmuth entquollen seinen Augen ein paar sprechende Thränen.

Am folgenden Tage verließ der Graf mit seinen Getreuen das interessante Munchenwall. Ohne Verzug strich man quer durchs deutsche Land, und gesund langte man auf die äussersten Gränzen desselben an.

Badner hielt seinen Gaul an, schob sich den runden Hut von der Stirn, und nahm mit seinen Blikken rührenden Abschied von den geliebten vaterländischen Gegenden. Die Sonne sank unter; die Landschaft war romantisch schön. Dies bewog auch den Grafen still zu halten, abzusteigen, einen Felsen hinanzuklettern und da unter einer Fichte sich hinzulagern, in deren Wipfel feierlich der Abendwind säuselte. Badner that desgleichen, kroch zu seinem Herrn hinauf und legte sich neben ihm nieder. Gotthold blieb allein unten.

„Ade, ade! deutsches Mutterland; habs nicht geglaubt, daß ich noch hinaus wandern würde im Alter über deine Gränzen, — aber das Schiksal hat oft wunderliche Launen!“ rief Florentins Reisegesell, und murmelte noch einige Worte vor sich nieder.

Florentin. Sei ruhig, Badner, lacht nicht Gottes Sonne allenthalben schön? — Sieh doch hinaus, wie prachtvoll sich jene Gegenden vor uns hinlagern, jene Gegenden, in denen wir bald heimisch sein werden! Sieh dort die niedlichen Berggruppen, die schwarzen, buschreichen Thäler, und droben über den kühn himmelangethürmten Felsen das rothflammende Wolkengebürge schweben.

Badner. Ach, gnädiger Herr, ich bitte Sie, sehn Sie doch hinter sich die Straße hinab, welche wir daherzogen — das ist noch deutsches Land!

Florentin. Eine traurige, weitläuftige, die Augen ermüdende Ebne, sandigt und dürr — nirgends ein Wäldchen, nirgends ein Hügel, nirgends — —

Badner. Ja, ja, Sie haben recht! aber, dort hinten ragt ein einsames Gesträuch hervor, und da muß sichs doch schön drunter ruhen lassen; bei Gott, schöner als in jenen fremden, buschigten Thälern. Der angenehme deutsche Strauch würde mir angenehmere Kühlung verleihen, es würde mir drunter sein, wenn der Wind durch ihn spielte, als spräche er zu mir: ruh aus alter Badner, du bist ein Sohn meines Landes, schläfst hier sicher! — bei Gott, so würde mirs sein.

Florentin. Wir werden wieder heimkehren ins Vaterland.

Badner. Werden! — und wann?

Florentin. Zu seiner Zeit.

Badner. Zu seiner Zeit! (ernstvoll) zu seiner Zeit!

Indem sie noch mit einander dies und das plauderten, und sie einander ihre Seelen unwillkürlich trüber stimmten, wurden sie gewahr, daß Gotthold mit einem fremden Manne sprach. Sie sahen, daß Gotthold nach ihrem Felsen herauf zeigte, daß er heftig mit den Händen gestikulirte, drohte und mit dem Fremden in einem unangenehmen Wortwechsel verwikkelt sein müsse.

Jach sprangen Florentin und Badner auf; so eilend, als möglich stiegen sie hinab, nun flogen sie hin zu ihrem Reisegefährten.

„Was ist hier?“ schrie Florentin, indem er herbei kam.

Gotthold. Ein Räuber!

Fremder. (zugleich) Ein Bettler und Grobian!

Gotthold. (aufgebracht) Der Kerl macht Ansprüche auf unsre Mundprovisionen.

Fremder. Ich bat darum.

Gotthold. Wills uns mit Gewalt abnehmen.

Fremder. (trozzig) Wird und muß geschehn, wenn man mirs nicht giebt, was ich will.

Florentin. (mit Ernst) Mensch, was treibt dich uns auf der Landstraße anzugreifen?

Fremder. Herr, der Hunger.

Florentin. (zu Gotthold) Reich ihm von unserm Speise- und Weinvorrath. Hunger ist ein fürchterlicher Treiber. Wes Landes bist du?

Fremder. Kanella’s.

Florentin. Verstehst du kein andres Gewerbe, als Menschen anzufallen?

Fremder: (mit großer Eßlust die dargebotnen Speisen verschlingend) Ich habe Hunger.

Der Graf lächelte über die Sonderbarkeit des Menschen, welcher ihm seine unzeitigen Fragen so trokken verwies, lies ihn sich sättigen und fuhr in seiner Unterredung fort mit ihm.

„Ich war ehmahls,“ erzählte der Kanelleser: „ich war ehmals ein Bürger, in einer von den Vorstädten Kanellas ansässig, hatte mein Haus und Gut und ein herrliches Mädchen zur Braut. Die vielen und ewigen Abgaben brachten mich zurük, ich verlor dadurch einen ansehnlichen Theil meines Vermögens; ein Kammerdiener des Fürsten verführte meine Verlobte, — sie wurde schwanger, und ich bei der ersten Nachricht davon rasend. Der Schurke, welcher mir meine Ladda geschändet hatte, kam mir einst auf der Straße entgegen; jach fuhr ich mit der Hand in die Tasche, riß ein Messer hervor, und schnitt dem Buben den Anfangsbuchstaben, meiner Ladda ins Gesicht. Ich wurde gefänglich eingezogen, mein Vermögen verprocessirt, und ich nach jahrlangem Gefängnis, als ein Bettler, entlassen. So wollten mich meine Verwandte nicht mehr kennen, — was sollt ich thun, um nicht vor ihren Thüren betteln zu gehn? — ich verlies das heillose Kanella, siedelte mich hier in der Nachbarschaft an, wo ich nun vom Vogelfangen, Quirlschneiden und Korbmachen lebte. Ein kümmerliches Leben, — oft fehlt’ mirs trokne Brod, und dann bettl’ ich. Heut bettelte ich, bekam nichts, und um nicht Hunger zu sterben, mußt ich Gewalt drohen. Das ist meine Geschichte und mein Name Dulli.“ —

Der edle Duur mit seinen Dienern hörten mitleidig die Geschichte des Unglüklichen an; jeder von ihnen zog die Geldbörse hervor und jeder gab, so viel er geben konnte.

„Ho!“ rief Dulli: „was fehlt mir nun noch? womit soll ich danken?“

Florentin. Daß du uns den nächsten Weg zum bequemsten Wirthshause zeigest.

Dulli. Wenn Ihr nicht die Nacht hindurch traben wollet; so werdet Ihr ausser einigen elenden Dörfern 3 Meilen in der Runde nichts Gutes finden. Doch, still, behagts Euch, so nehmt bei mir Herberge in meiner Einsiedelei. Eßlust soll Euch da die Speisen würzen, Müdigkeit und eine weiche Streu Euern Schlaf. Für die Pferde ist Grasung noch vorhanden, und für Eure Unterhaltung meine Person und die lustige Thalgegend.

Florentin nahm nach einigem Bedenken das Anerbieten an; man sezte sich zu Pferde und folgte dem Eremiten zu seiner Eremitage nach, die in der That angenehm umgegnet war, wenn mir der Ausdruk erlaubt ist.

Siebentes Kapitel.
Florentin in Kanella.

Der Abend war schön, die Landschaft begeisternd unterm Rosenscheine, — Florentins Seele hochgestimmt zu lieblichen Empfindungen; darum blieb er lange bis in die sinkende Nacht mit dem sonderbaren Dulli vor dessen Hütte sizzen.

Ihr Gespräch bezielte vornämlich die ewigen Unordnungen in Kanella; Florentin suchte vom Dulli den Geist der Kanelleser zu studieren; er lies sich Adel und Volk durch einzelne Anekdoten karakterisiren, und erfuhr aus alle dem so viel, daß jenen Unglüklichen, welche vom Druk einer ganzen Reihe Despoten schier zu allem Großen entnervt waren, nur ein schlauer, kalter Wagehals mangelte, um die Ketten zu sprengen, das Joch abzuwerfen, den Tyrannen zu stürzen.

Florentin. Dulli, begleite mich dahin.

Dulli. (ihn angaffend) Nach Kanella?

Florentin. Nach Kanella.

Dulli. Mag ich nicht. Habt Ihr denn noch nicht genug gehört, um Abscheu wider Kanella zu fassen?

Florentin. Nein, ich bin nur doppelt gereizt dahin zu eilen.

Dulli. Bei Gott, das versteh’ ich nicht.

Florentin. Kehr’ in meinem Gefolge nach deiner Vaterstadt zurük.

Dulli. Nein. Ich hasse die Stadt. Meine Ladda lebt noch!

Florentin. Desto besser.

Dulli. Desto schlimmer.

Florentin. Vielleicht bist du im Stande deinem seufzenden Vaterlande zu helfen.

Dulli. Helfen? — hi, hi! schaden würd’ ich, schaden! rächen würd’ ich mich, wo mir die Gelegenheit auch nur einen Finger, statt der Hand, böte.

Florentin. Desto besser, wenn du mit solchem Plan und solchem Muth nach Kanella kämest.

Dulli. Was?

Florentin. Mir scheints, als würd’ es bald zu großen Auftritten kommen, als werde bald Blut vergossen werden, um die alte Freiheit wieder zu erringen.

Dulli. Sagt lieber, um den Strik fester zu drehen, welchen man der Freiheit an den Hals legt.

Florentin. Ich stehe den Kanellesern wider ihre Tyrannen bei. — Ich sage dir, Dulli, komm mit mir!

Dulli. (lachend) Meint Ihr?

Florentin. Ein Mann deines Schlages fehlt mir.

Dulli. Nein, nein, schleppt mich nicht wieder zurük zu jener Schädelstatt Kanella!

Florentin. Aber wenn du nun hören wirst, wie sich der Staat frei gemacht hat, wie Piedro, wie Benedetto, wie Moriz und der ganze fürchterliche Anhang geschlagen worden sind — wenn du nun das hören wirst! — —

Dulli. Das sollte mich doch ärgern, wär ich nicht dabei gewesen.

Florentin. Hast du Muth?

Dulli. Gebt mir ein Messer und ich schlage mich wieder zwei, drei Degen.

Florentin. Bist du treu?

Dulli. Wie Euch Euer Schatten.

Florentin. (ihm auf die Achsel schlagend) Kanella wird frei! (steht auf)

Dulli. (aufspringend) Herr, ich gehe mit Euch.

Diese Worte sprach Dulli mit halben Jauchzen. Seine ganze Seele schilderte sich in seinen Tönen. Er sprang auf; lief in die Hütte; sammelte seine Kleinigkeiten; schnürte ein Bündel daraus; suchte sein verrostetes Jagdmesser hervor, schliff es blank auf einem Steine und konnte die ganze Nacht nicht ruhen.

Der Morgen brach endlich an. Florentin, Badner, Gotthold und Dulli, welchem man in dem ersten Dorfe ein Pferd erhandelte, sezten ihre Reise fort.

Ich halte mich nicht mit der Erzählung von tausend kleinen Merkwürdigkeiten auf, die abwärts vom Plan meiner Geschichte führen, sondern eile so sehr als möglich dem kühnen Grafen nach, der, unterstüzt durch seine schwarzen Bündner angeflammt durch die große wohlthätige Sache, es über sich nahm, einem Auslande Rettung und Freiheit zu verschaffen, das bis jezt noch nicht an sich selber im Stande war, ihm solche fürchterliche Verpflichtung aufzulegen. In der That, es ist noch nicht so gros gehandelt, wenn Patriotismus, Selbstrache, eignes Elend, und Elend seiner Vertrauten einen Mann zu dem Entschluß führt, solche Riesenthat in begehen, als wenn Ehre, Gefühl und Mitleid für die leidende Menschheit einen Fremdling dazu auffodert und wirken macht. — Verzweiflung ist gewöhnlich die Mutter aller Revolutionen, nur hier war sie’s nicht, sondern Florentins ungewöhnliche Geistesgröße und Empfindsamkeit für alles was Noth duldet, was den Stempel des Guten trägt.

Und doch zweifle ich sehr, ob je unser guter Graf sich je einer solchen gefährlichen Arbeit unterwunden hätte, wenn nicht seine Schiksale eben die dazu erforderliche Stimmung der Seele in ihm erschaffen, nicht mannichfache Gefahren ihn furchtlos vor denselben, nicht unzählige Leiden ihn zum wilden, schwärmerischen Starrkopf gebildet, nicht Erziehung und verlorner Genuß des allgemeinen Ruhmes ihn dürstiger nach demselben gemacht hätten.

Als er eines Tages mit seinem Gefolge eine Anhöhe erreicht hatte, von welcher man meilenweit umherschauen konnte; als Dulli plözlich und mit heilsamen Grausen ausrief: „dort! seht dort die Thürme von Kanella!“ — als alle bei diesen Worten standen, ihre Augen hinwandten nach der Gegend und: „Kanella!“ leise stammelten — da blizte ihm frohe Hoffnung durch die Seele, die Szenen der Zukunft gruppirten sich prophetisch vor ihm hin, und er fühlte sich stark genug für sie. Wer den Mann in diesem Augenblik gesehn hätte, wie er da stand Kanellas Schuzgott, der Freiheit herbeifliegender Genius, wie seine ganze Seele sich wiederspiegelte in seinen Mienen, wie die Sonne Glanz der Verklärung über ihn herabgoß, seine Haarlokken stürmisch im Winde rollten; — fürwahr der würde ihn mit einem Helden der Vorwelt verwechselt, für einen Scipio, oder Tell gehalten haben.

Sie schritten die Anhöhe jenseits hinunter und fanden am Fuße derselben einen Zug von Reisenden, die ihnen theils auf Pferden, theils in Wagen entgegen kamen, bald darauf, ohnweit einem Wirthshause an der Landstraße still hielt und sich da voneinander trennen zu wollen schien. Man sahe ein rührendes seltsames Schauspiel, indem sich Männer und Damen wechselseitig unter einander umarmten, einige laut weinten, andre wieder fluchten und die Degen zogen und hochschwangen. Ein junges Frauenzimmer sank ohnmächtig zwischen einem Greise und einem Jüngling nieder.

Florentin gab seinem Pferde den Sporn und flog dem Auftritt näher. Er grüßte die Personen, welche wir, meine Leser und Leserinnen, schon größtentheils einmal irgendwo gesehn haben, aber niemand erwiederte Florentins Gruß.

„Hilf Himmel!“ rief Dulli mit einemmale indem er sich einem jungen Manne nahte: „seh’ ich recht? Giovanni Borsellino!“

Der Jüngling drehte sich um; mit rothgeweinten Augen starrte er den Frager an.

„Kennt Ihr mich nicht mehr?“ fuhr Dulli fort.

„„Ah, wie sollt’ ich nicht, Dulli?““

„Ihr steht ja so verwildert da? was macht der alte Borsellino, Euer herrlicher Vater?“

„„Er schläft unter der Erde — Moriz hat ihn erschlagen, und die feigen Kanelleser sahen dem ruhig zu.““

„Und Ihr?“

„„Und ich und jene dort sind Landesverwiesene jezt.““

„Landesverwiesne!“

„„Wo willst du hin?““

„Nach Kanella.“

„„Und wer ist dein Herr dort?““

„Ein deutscher Graf, genannt Florentin von Duur, der Geschäfte am Hofe Piedros hat, werth ist Euer Freund zu sein und vielleicht Eure und Eures Vaters Schmach rächt.“

Borsellino und die übrigen hörten nicht sobald Piedros interessante Worte, als sie sich unserm Grafen näherten, ihn begrüßten, sich in Unterredung mit ihm einließen und ihn liebgewannen.

„Ich dächte,“ sagte der alte Eo: „wir träten auf ein paar Augenblikke in jenes Haus. Bei einem Glase Wein ließe sich so manches verhandeln, und Ihr, Graf Fiorentino, ob wir gleich mit Euerm Herzen noch gar wenig vertraut sind, Ihr dürftet es vielleicht nicht bereuen, uns kennen gelernt zu haben.“

Alle stimmten dem Landesverwiesnen Eo bei, und Florentin willigte ein.

Gewiß gereuete dem Grafen dieser Gang nicht, so wenig derselbe für ihn auch anfangs bedeutend schien; denn nicht genug, daß er hier eine kleine Anzahl merkwürdiger Männer kennen lernte, welche auch selber in ihrem Exil auf Kanella’s Wohl und Weh Einflus haben konnten; nicht genug, daß er die Lage dieses verunglükten Staats von ganz neuen Seiten zu betrachten Gelegenheit hatte; nicht genug, daß er schon das Volk zu einer großen Regimentsumwälzung vorbereitet fand, und daß allen Entwürfen zu derselben bisher nur feinere Politur, Reife, und Abwartung eines Zeitpunktes gemangelt hatte, um sie mit Glük auszuführen: so lernte er jezt auch einen für die Folge wichtigen Menschen kennen — nämlich einen adlichen Kanelleser, Borghemo.

Borghemo, welcher nicht selber Exulant war, sondern nur die verwiesnen Freunde begleitete, wußte durch sein Aeusseres einem jeden zu gefallen. Er war ein schöner, junger Mann; stark gebaut und nervigt, wie ein Herkules; war der Stolz des Kanellesischen Adels, der Liebling der meisten Damen. — Borghemo wäre vielleicht allein im Stande gewesen mit seinem Kopf eine Revoluzion zu bewirken, Piedros Minen wider ihn selber aufzusprengen, und den fürstlichen Bösewicht mitten unter seinen Schaarwachen zu züchtigen, hätte nicht dieses Halbmuster männlicher Vollkommenheit durch einen eben so vortreflichen als verhaßten Karakter sich selber und seinem Vaterlande geschadet. Stolz war der Grundzug desselben; nur diesem ein Opfer zu bringen, war er heut ein Engel, morgen ein Teufel; liebte er heute, haßte er morgen. Die sprödesten Vestalinnen waren das Ziel seiner Eroberungen, die Gefahr hieß seine Favorite, Tugend und Laster waren seine Bediente.

Sehr natürlich, daß dieser Mann unserm Grafen auffiel, daß er sich vorzüglich mit ihm unterredete, und um seine Freundschaft buhlte.

„Fiorentino!“ rief Borghemo und zog ihn mit sich zum Zimmer hinaus, durch den Hausgarten in ein dicht daran stoßendes Gebüsch.

„Fiorentino, seid wer Ihr wollt, treibt mit unserm Afterfürsten Geschäfte, welche Ihr wollt — Ihr seid ein Deutscher und das ist genug für mich. Ich kann mich unmöglich überreden, daß Ihr ein Schurke seid, nicht mein Freund werden werdet. Hört mich an! — Ihr habt jezt den wakkern Eo, den jungen Borsellino gesehn, und die andern, welche heut über die Gränze wandern werden. Sie zettelten, Kanella von einem Ungeheuer zu erlösen, eine Konspirazion unter sich an, die mehr ihrem unternehmenden Geiste, als ihrer Ueberlegung Ehre macht, denn sie wurden verrathen in einer ihrer Zusammenkünfte sämmtlich aufgehoben, als Staatsverräther und Rebellen angeklagt, und, weil sie hartnäkkig läugneten, aus lauter Gnaden von Piedro, Moriz und Konsorten nur aus dem Kanellesischen Gebiete verwiesen. — Aber, bei Gott, sie werden dort nicht müssig Piedros Tyranneien zuschaun, und ich nicht müssig in Kanella umherwandern. Ich — ich sezze das begonnene Werk fort! Sagts dem Piedro und seinen Orakeln wieder, ich stürze ihn, oder er mich! — Seid ihr mein Freund? — redet! redet, hat mich Euer Vaterland und Euer Gesicht belogen?“

„„Ich hoff es nicht!““ erwiederte Florentin.

Borghemo führte den Grafen in einen abgelegnen dunkeln Winkel, zog ein Blatt aus seiner Brieftasche, starrte seinen Mann an und schien eine wichtige Frage vorräthig zu haben.

„Fiorentino, hört mich — wenn — nein — doch es ist möglich! — könnt Ihr diese Zeilen lesen? Sie sind in einer abgestorbnen Sprache mit fremden Lettern geschrieben.“

Florentin nahm das Blättchen, las, erstaunte freudig und fuhr mit der flachen Hand plözlich gegen seine Stirn, Borghemo ward aufmerksam:

„Wahrhaftig, ein Schwarzer?“

„„Ein Schwarzer!““ antwortete Duur leise und zeichnete mit dem Stokke sieben verschiedne Züge in den Sand. —

Borghemo lag in Florentins Armen.

Das stille Entzükken der neugebornen Freundschaft durchwärmte sie, drängte ihre hochklopfenden Busen aneinander, lies ihre Arme sich in einander verschränken, glühende Lippen an glühenden Lippen sinken und ihre glänzenden von einer leichten Thräne gebrochnen Augen aufstarren in seeligen Taumel. Sie empfanden beide das süße Vorrecht zarter, gefühlreicher Seelen, den Kelch der Freude da ganz ausschlürfen zu können, wo andere nur nippen dürfen.

„Heilig, heilig ist das Band!“ rief Borghemo: „heilig das Band, welches uns zusammenführte und uns umschlang, ehe wir gegenseitige Ahndung von unserm Dasein in der Welt empfanden! Heilig ist der Bund der schwarzen Brüder!“

Sie drükten sich noch einmahl Brust an Brust, und kehrten wieder, Arm in Arm, zur Gesellschaft zurük. Hier herrschte eine traurige Stille; nur Giovanni Borsellino schien von allen Exulanten noch der zufriedenste zu sein, weil er an der Seite der geliebten Laura Eo Kanella verlassen konnte. Jezt bestieg man wieder Pferde und Wagen; die Trennung war schmerzhaft, die Verwiesnen zogen über die Gränzen des unglüklichen Vaterlandes; Borghemo mit seinen Freunden aber und Florentin mit Gotthold, Badner und Dulli trafen spät in der Nacht zu Kanella ein.

Dritter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Umfaßt einen Zeitraum von drei Jahren.

Von drei Jahren!“ hör ich mir meine Leser unwillig zurufen. — Freilich, meine Lieben, eine ansehnliche Lükke, oder vielmehr ein großer Sprung über tausend Tage hinweg; doch vergessen Sie auch nicht, daß ich nur ein unterhaltender Erzähler, mit nichten aber ein gewissenhafter Historiograph, sein will. Dieser würde über die meisten von mir hocherwähnten Begebenheiten, als Bagatellen, hinübergegangen sein; ich hingegen vergesse alle chronologische, politische, statistische Notizen, die ihn mehrentheils beschäftigen, und suche mir aus der bunten Menge der Szenen nur diejenigen hervor, in welchen sich menschliche Karaktere am deutlichsten wieder gespiegelt haben.

Florentin von Duur befand sich, wie Sie wissen, in Kanella; vermöge eines gewissen fürstlichen Empfehlungsschreibens gelang es ihm an Piedros Hofe eingeführt zu werden. Sein Aeusseres mußte nothwendig den Kanelleserinnen ersten Ranges gefallen, und gewis würde er im Zirkel derselben eine glänzende Rolle gespielt haben, wenn nicht sein ernstes Wesen, seine unzerstörbare Melancholie, welche durch all seine Blikke, Mienen, Gespräche und Handlungen hervorschien, eben so sehr zurükgestoßen hätte, als sein männlicher Reiz anzog. Daher floß die natürliche Folge, daß er am Hofe Kanellas weniger bemerkt wurde; daß ihn die Damen bewunderten, aber nicht liebten; daß ihn Piedro zwar seiner Staatskunde und Einsichten in die Volksregierung willen achtete, nicht selten auch seinen Rath annahm, aber ihn doch nur ausserordentlich selten hervorzog; daß Prinz Moriz und der Kardinal Benedetto ihn kaum ihrer Aufmerksamkeit würdigten, besonders, da er sich in Rüksicht dieser beiden Halbungeheuer, stets nach aller Hofetikette leidend und unterthänig verhielt.

Hiezu kam noch, daß Florentin, da er kaum ein halbes Jahr in Kanella figurirt hatte, von einer Krankheit überfallen wurde, die ihn viele Monate unthätig machte. Nur seine Jugend rettete ihn vom Tode, dessen Pfortenschwelle er schon betrat. —

Mit einem Worte drei Jahre waren ihm verschwunden wie drei Tage.

Allein müssig konnte ein Florentin von Duur in dieser Epoche nicht sein. Einen verdorbnen Staat zu reformiren, dazu bedarf es mehr, als oberflächicher Kenntnis desselben. Sich ganz in diesen neuen, unbekannten Verhältnissen zu orientiren, alle geheimliegende, verstokte, oder vergiftete Quellen, aus welchen so vieles Wehe über Kanellas Bürger quoll, aufzuspüren; sich Freunde in der Noth, Anhänger inner- und ausserhalb der Kanellesischen Gränzen anzuwerben — dazu waren mehrere Jahre nur kaum hinlänglich.

Anfänglich versuchte der biedre Graf, mit Hülfe des geringen Einflusses, welchen er sich auf eine verstekte, schlaue Weise in die Regierung zu verschaffen gewußt hatte, das Schiksal Kanellas erträglicher zu machen. Es gelang ihm einigermaaßen; und hiedurch kühn gemacht, schöpfte er, jedoch viel zu voreilig, die befriedigendsten Hofnungen für die Folgezeit.

Allein, alles war vergebens, dem unglüklichen Landeseinwohner die ihm auferlegte Bürde zu erleichtern; vergebens jede Stunde, auf diese Art aufgeopfert für das Wohl der leidenden Menschheit. Was Florentin mit unsäglicher Mühe für Kanellas Heil errang, zerstörte ein einziges Machtwort des stürmischen Moriz, ein einziges Achselzukken des listigen Pfaffen Benedetto, ein einziger buhlerischer Kuß Rosaffens.

Drei Jahre waren vorübergeflogen, und die Kanelleser noch um keinen Schritt durch den Grafen dem Ziel ihrer Wünsche und Hofnungen näher geführt. Borghemo raste; Dulli fluchte, Giovanni Borsellino bestürmte den edeln Duur mit Vorwürfen in wöchentlichen Briefen; denn alle hatten unsern Mann jezt genauer kennen gelernt, sich seinen großen Geist vertrauter gemacht, ihr unbegränztes Vertrauen auf ihn gesezt — und alle glaubten sich in ihm getäuscht zu finden, rechneten seine Langsamkeit, sein Verzögern einer heimlichen Feigheit zu.

Aber wie gesagt, Florentins Zaudern war Weisheit, sein thatenlosscheinendes Leben eine ewige Kette von Arbeiten. Die Zahl der schwarzen Brüder, in Piedros Staat, hatte sich unter ihm zu einer furchtbaren Menge vermehrt, die er nach dem Modell, der deutschen Logen in obere und untere Klassen eingetheilt hatte, deren lezte die Brüder der obern nicht kannte, und zu welcher der Graf auch den wilden Borghemo, wegen seines unsteten Karakters gesellt hatte, so sehr er auch sonst diesen Mann zu achten wußte. Jezt durfte nur noch eine bequeme Stunde schlagen und Piedros Despotie hatte ihre Endschaft, Kanella die ersehnte Freiheit, und der Wunsch tausend guter Bürger seine Erfüllung erreicht.

Und die erwartete Stunde näherte sich!

Zweites Kapitel.
Die Dachspitze.

Ein herrlicher Mondscheinabend lokte Florentinen hinaus zu einer Wanderung durch die Straßen der Residenz. Dulli begleitete ihn. Der Graf, versenkt in seelige Träumereien von der geliebten Sorbenburg und seiner Louise, schlenderte hierhin, Dulli mit dem Bilde seiner Ladda, welche sich nicht mehr in Kanella befand, beschäftigt, schlenderte dorthin. Beide hingen ungestört ihren Gedanken nach. Es war eine traurige Stille in allen Gassen der Stadt; die meisten Familien saßen in ihren Zimmern verkerkert, um sich gemeinsam einander ihre Noth zu klagen; viele schlummerten schon, um sich von Träumen das vergüten zu lassen, dessen sie sich wachend beraubt sahen.

Unsre Nachtwandler hatten aber kaum eine kleine Viertelstunde mit ihren Streifereien hingebracht, als sie durch einen ziemlich laut gehaltnen Dialog aufmerksam gemacht und zum Stillstehn und Lauschen bewogen wurden.

Sie bemerkten einen jungen Menschen, welcher neben einem Mädchen im Mondscheine saß. Beide schienen für einander dasjenige Feuer zu fühlen, welches Jüngling und Mädchen von Anbeginn der Welt zu empfinden pflegten, — beide umschwebte die heilige Tugend mit ihrer Begleiterin, der Grazie Schüchternheit. — Florentinen wurd es bang und wohl beim Anschaun dieser Gruppe; „o Louise!“ dachte er: „einst waren wir auch so glüklich!“ — — „„Einst waren wir auch so glüklich, schwache, gesunkene Ladda!““ murmelte Dulli ärgerlich, und ballte die Faust zusammen und drehte das Gesicht hinweg.

Die Liebenden tändelten froh mit einander, und befürchteten keine Belauschung.

„Gianetta, schöne Gianetta!“ rief der Jüngling: „nimm herab deinen Hut vom Kopfe mit den stolzen, schattenden Federn. Am Tage steht er dir schön, aber Abends verdunkelt er dein holdes Gesicht. Nimm ihn herab, und laß den Mond auf dein Antliz schimmern!“

Gianetta lächelte, und lies sich den Hut nehmen. Der Jüngling sezte ihn sich selber auf und schmiegte sich kosend an das Mädchen, indem er mit einem Handkus Verzeihung erflehte. Gianetta drängte ihn sanft zurük. Der junge Mann erschrak.

„Du scheinst,“ sagte Gianetta nach einer Weile: „du scheinst sehr vergnügt zu sein diesen Abend? Bist du’s, Enriko?“

Enriko. Wie sollt’ ichs bei dir nicht?

Gianetta. Bist du’s wirklich?

Enriko. Zweifle nicht, Gianetta.

Gianetta. Was macht dein Vater?

Enriko. (stokkend) Er seufzt im Gefängnis.

Gianetta. Wie lange schläft deine herrliche Mutter den Todesschlaf schon?

Enriko. (niedergeschlagen) Seit fünf Wochen.

Gianetta. Junge, bist du vergnügt diesen Abend?

Enriko. (wehmüthig aufblikkend zu ihr) Gianetta!

Gianetta. (inniger) Bist du vergnügt bei mir?

Enriko. (ihre Hand von seinen Augen drükkend) O, Gianetta!

Gianetta. (kalt) Geh!

Enriko. (weich) Du liebst mich nicht? — (sie schweigen beide, — nach einer Pause) Sieh mich nur noch einmahl an, dann will ich gern gehn! (abermahliges Stillschweigen unter beiden) Liebst du mich nicht schönes Mädchen? — soll ich dich verlassen, Gianetta?

Gianetta. (ein Seufzer hebt ihren Busen. — Sie sieht den Bittenden an und spricht langsam, mit zitternder Stimme, zu ihm) Wohin willst du gehn?

Enriko. Von dir hinweg. Will die Nacht durch Stadt und Feld umherschweifen — ich muß mich zerstreuen — ich kann nicht schlafen.

Gianetta. (ihm die Hand drükkend) Ich bin dir gut.

Enriko. Ach, schöne Gianetta, wäre das wahr?

Gianetta. Gewis, lieber Enriko.

Enriko. (sich niederwerfend vor ihr und ihre Knien umschlingend) O, sags mir — sag’s mir noch einmahl, daß du mir gut bist!

Gianetta. (schmeichelnd den Arm um seinen Hals legend) Lieber Enriko.

Enriko. (sein glühendes Gesicht in ihr Gewand verbergend) Gott, mein Gott!

Gianetta. Empfindsamer Junge, bist du allenthalben so? Ich liebe diesen Ton und diesen Karakter — ich mögte dich darum küssen! — Steh doch auf.

Enriko. (sezt sich neben ihr nieder, schmiegt sich dicht an sie) Gianetta!

Gianetta. (ernsthaft) Wie gehts dem Sekretair Flimmer?

Enriko. O, des abscheulichen Bösewichts, ihm wirds nie wohlergehen!

Gianetta. Warum sagst du nicht: soll’s nie wohlergehn? das klingt doch männlicher, und giebt dir wenigstens den Schein, als würdest du dich wider ihn zum Rächer deiner unglüklichen Eltern aufwerfen.

Enriko. Ja, kann ich damit deine Huld erwerben, siehe, so erschlag ich ihm auf öffentlichem Marke, und den Moriz dazu und selbst den verdammten Piedro, wenn du willst.

Gianetta. (lächelnd) Fürchterlicher Herkules!

Enriko. Du spottest?

Gianetta. Ich bezweifle deine Tollkühnheit nicht — aber gewis, du würdest das Opfer für Kanellas Wohl werden, würdest — nein, eher billige ich in Aufruhr und Verschwörungen! —

Enriko. Wohlan denn, die Zahl meiner Freunde ist gros — Verschwörung und Rebellion! — Gianetta, wünsche nur den leisesten Wunsch und ich weihe mein Leben dir und der Freiheit. In einigen Monaten ist der Staat umgestürzt, oder — ich ruhe neben meiner Mutter!

Gianetta. (schwärmerisch) Und ruhst du neben deiner guten Mutter, Enriko, dann folg’ ich dir! Enriko dann siehst du mich droben wieder, wo wir nicht schmachten dürfen in Armuth, nicht zittern dürfen vor Piedros Einfällen!

Enriko. (mit aufgewandten freudeglänzenden Augen) Gianetta, du willst?

Gianetta. Sei vorsichtig!

Enriko. Die Hand der Vorsehung führe mich!

Gianetta. Der Tag, an welchen Kanellas Volk seine wieder eroberte Freiheit feiert, feiern wir unsre Vermählung! — (nimmt ihn in ihre Arme) Da, nimm bis dahin den lezten Kuß! Stirbst du, Enriko, — mein Enriko, so sterb’ ich mit dir! —

(beide umarmen sich — schweigen lange)

Enriko. (sich loswindend) Ade, Gianetta, ade! doch, gieb mit ein Zeichen, bei dessen Anblik ich stets dieses heiligen Abends eingedenk sei. Nenn’ es — sieh umher — wär es auch nur die Dachspizze deines väterlichen Hauses.

Gianetta. (scherzhaften Tones) Gern hätt ich dir mich selber genannt, — aber du sollst mich von nun an selten, oder gar nicht sehen! — Wohl — die Dachspizze!

Enriko. Ade, schöne Gianetta! —

Der Jüngling flog davon. Das Mädchen sah ihm lange nach, entfernte sich dann. Florentin und Dulli kehrten schweigend um und begaben sich nach Hause.

Der Graf war kaum einige Minuten in seinem Zimmer umhergegangen, als Dulli hereintrat.

Florentin. Woher, Dulli, so spät in der Nacht?

Dulli. (schlägt die Arme unter einander, seufzt und schweigt.)

Florentin. Gieb Antwort! — quält dich die Erinnerung an deine Ladda?

Dulli. Quält mich, und quält mich nicht, ich habe sie halb vergessen. —

Florentin. Was willst du?

Dulli. Fort von Euch, heim in meine Eremitage.

Florentin. (verwundert) Mensch!

Dulli. In allem Ernst Herr.

Florentin. Was hat dich auf den Einfall gebracht?

Dulli. (mit einem tiefen Seufzer) die Dachspizze.

Florentin. Wie? — bist du Zeuge von jenem Auftritt gewesen, dem ich vor einigen Augenblikken begegnete?

Dulli. Ich bins gewesen.

Florentin. Und willst darum Kanella verlassen?

Dulli. Ja und heim in meine Eremitage.

Florentin. Doch nicht aus Furcht vor Enrikos gedrohter Empörung?

Dulli. Aus Furcht vor der Nichterfüllung der Eurigen! — O, Herr, warum habt Ihr mich herausgelokt aus meiner Ruhe, wo ich längst schon Kanella, Tyrannen und Tyrannisirte vergessen hätte? — Warum habt Ihr mich lüstern gemacht nach Dingen, die eher ein berauschter Liebhaber, — eher der Knabe Enriko erfüllen wird, als Ihr? — Bei Gott und dem heiligen Petrus, Herr, Ihr solltet nur den Jammer nur das Herzeleid sehn, in welchem Kanella verstoßen liegt; — solltet nur das Winseln brodbettelnder Kinder, und das ohnmächtige Fluchen der Erwachsenen hören, die kein Brod geben können, und ich will des Todes sein, wenn Ihr nicht Augen und Ohren zupressen und Euch nach andern Gegenden umsehn würdet, wie ich.

Florentin. (kalt) Leicht möglich.

Dulli. Nein, unwidersprechlich wahr! — aber Ihr, gnädger Graf, nehmts mir nicht übel, wenn ichs dürr heraussage — Ihr seid schon leider verpestet von Piedros Hofluft und Eure prangenden Wünsche sind elendiglich eingetroknet am Strahl seiner Majestät. O, da, auf den glänzenden Assembleen und Redouten, und Bällen und Maskeraden, und wie die höllischen Freuden des Hofes mehr heißen, — da gehts lustig her! da hört man vorm Pauken- und Geigenschall das Aechzen der Hungrigen nicht, da sieht man die Blutthränen des Unterthanen nicht vor den Reihen der blanken Tänzer und der geschwungnen Weinbecher! Gott erbarms! — Ihr seid verpestet!

Florentin. (warm) So wahr ich lebe, Dulli, noch bin ichs nicht!

Dulli. (freudig) Seid Ihrs noch nicht? — wahrlich noch nicht? O dann, Herr, dann steht meinem Vaterlande bei; — Ihr könnts! Um Gotteswillen, hastet Euch. — Seht, sinds nicht schier vierzig Monate, daß wir hier leben? Habt Ihr Euch in vierzig Monaten noch nicht auf das Wie? besinnen können? — O es ist ja so leicht zu erfinden, wenn Ihr nur ein warmschlagendes Herz besizt! — Seht, nehmt einen Dolch und stoßt ihn in Piedros Wanst, erwürgt seinen Spürhund Benedetto, seinen Mordhund Moriz, wenn sie von griechischen Weinen benebelt sind, oder sie an der Tafel vom Mark des Unterthans schwelgen, oder sie am Busen ihrer Huren wollüsteln! — Es ist ja kinderleicht! — und dann lauf’ ich hin auf den Dominikusplaz, und schreie: Kanella du bist frei! und Tausende werden Freiheit mit mir rufen und Tausende mit mir ihre Kniee vor Euch beugen! — Nun, Herr?

Florentin. (ihm die Hand drükkend) Du bist ein vortreflicher Kerl! —

Dulli. Aber — —?

Florentin. (geht nachdenkend durchs Zimmer, kehrt schnell zurük) Ueberwarte noch drei Monate, und bist du dann nicht mit mir zufrieden, so nimm alles, was ich habe und zieh in deine Wüste damit!

Dulli. (bedenklich) Noch drei Monate — noch zwölf ganze Wochen, Gott weis es, wie viel hundert Tage dazu gehören! — — doch ich harre sie aus.

Florentin. Rufe morgen die alte Wahrsagerin zu mir — Es ist ein verwegnes Weib, sie soll Lärmen unter dem gemeinen Volk machen!

Dulli. (horchend) Ein altes Weib muß zu Euern Plänen — —

Florentin. Alte Weiber und Pamfletenschmierer gehören zu den wohlthätigsten Uebeln in dieser untermondischen Welt. — Geh!

Dulli ging mit hoher Verwunderung ab; der Graf aber mas noch lange das Zimmer mit seinen Schritten. Es kämpfte seine Seele einen schweren Kampf — und er siegte ob.

„So geh es denn, wie es wolle!“ dachte er bei sich, als zum Resultate seiner Ueberlegungen: „Gute, und schlaue Sanftheit sind vergebens angewandt, die Hyder auf Kanellas Thron zu zähmen — sie falle nun! — Befördre ich die Rebellion nicht, so werden es mehrere Enrikos und vielleicht unglüklicher, als ich, weil sie im Sturm der Leidenschaft handeln. Es sei; Kanella, ich reiße dir das Joch ab, freigeborne Menschheit, fühle dich frei und gros. — Bürgerblut wird vergossen werden, aber auch das Blut der Tyrannen!“ —

„Und du, allgegenwärtiges Wesen, du siehst jezt das Gewebe meiner Gedanken und Empfindungen, stehe du mir bei, und denen die dich anrufen? Gott, du siehst ja deiner Kinder Thränen, hörst ihr flehendes Wimmern — erbarme dich ihrer. Verstoße sie nicht aus dem Gebiet der Freude, laß sie nicht ewig schmachten in Verzweiflung. O, Gott, mein Gott — es ist für die schwache Menschheit ein fürchterlicher Gang, — verlaß uns nicht!“

So dachte, so betete Duur in stiller, mitternächtlicher Stunde. Seine Seele fühlte sich beruhigt; sein Auge glänzte von einer Thräne. Er spürte heilige Glut durch seine Adern fliegen; ihm wars, als riefe sein Schuzgeist ihm leise ins Ohr: „auf, es wird der guten Sache wohlgelingen!“ —

In solcher Stimmung sezte er sich nieder, um den Plan der Staatsumwälzung zu entwerfen.

Drittes Kapitel.
Florentins Verwandlung.

Wie gesagt, ich begreife ihn nicht!“ antwortete vierzehn Tage später der Sekretair Flimmer dem Prinzen Moriz.

„„Ei nun,““ erwiederte dieser: „„er wird doch endlich zur Vernunft kommen. So, wie jezt, ist der Kerl auf dem sichersten Wege sein Glük zu poussiren.““

Doch ehe ich die beiden Herrn weiter plaudern lasse, muß ich meinen Lesern sagen, daß Florentin von Duur der Gegenstand ihrer Unterhaltung war. Dieser durch so manche Erfahrung gewizte, durch so manche Fatalität stolzer und kühner gemachte, Hofmann hatte in einem Zeitraum von wenigen Tagen, (nur wenigen wars bekannt, durch welchen Talisman,) sich dermaaßen im Kredit der Piedronen, Benedetten und Morizze emporzuschwingen gewußt, daß man aus wichtigen Gründen für seine Tugend und ehmalige Rechtschaffenheit hätte zittern können. —

Alle Thüren standen ihm offen; kein Kammerdiener, keine Leibwache hielt ihn von den Kabinetern der Großen zurük; unangemeldet trat er zum Herzoge und dessen Favoriten ins Zimmer, in deren Gesellschaft er sich von nun an täglich befand.

Einige riethen hier hin, andere dorthin, um Florentins plözliches Steigen beim Hofe zu erklären; die meisten deuteten alles auf Rosaffen hin, welche den schönen Grafen vielleicht genauer ins Auge gefaßt, und ihn liebenswürdig gefunden haben konnte. Die Leute hatten in so fern nicht unrichtig gedeutelt, aber die eigentliche Schnellfeder des Duurischen Hofglüks war ihnen doch unbekannt geblieben.

Was Rosaffen betrift: so hatte sie in der That Florentinen izt erst schöner gefunden, als ers ihr bis dahin geschienen. Alle übrige Damen des Hofes bemerkten in diesen Tagen am Grafen ein Gleiches. Er war bei weitem nicht mehr der sonstige, schüchterne, zurükhaltende, misantropische Sauertopf, sondern gefälliger, kekker, tändelnder, unterhaltender, als irgend ein unter dem Panier der Venus graugewordner Ritter — Wo er hintrat, erschien neben ihm die muthwilligste Freude, wo er einen Zirkel verlies, schlich die gähnende Langeweile mit allen ihren Foltern ein.

Die schöne, wollustathmende Rosaffa, welche noch die alten Launen unsers Grafen kannte, wußte jezt ihre Schwächen und Fehler so reizend in die Glorie der Tugend zu verhüllen, daß sie dreimahl schöner, als vorher war; Oeffentlich hing sie freilich an Piedro; aber wer konnte ihrs verwehren im Geheimen nach den Grafen hinzuschielen, oder ihm unvermerkt die Hand zu drükken, oder ihm unterweilen einen von tiefen Seufzern gehobnen Busen erblikken zu lassen? — So listig, so erfahren wie sie in der Kunst war Nezze für Männerherzen zu strikken, waren nur wenige, und eben dies lies gewis den herrlichsten Sieg über Florentin für sie hoffen. Und als sie schon liebebekennende Erwiedrungen ihrer Blikke, ihrer Händedrükke, ihrer Seufzer spürte — o, welches weibliche Herz hätte da noch von fehlgeschlagnen Wünschen träumen können?

So wie in der Damenwelt der Name: Fiorentino! Fiorentino! allenthalben die Losung geworden war, eben so auch in der männlichen und vorzüglich politischen Welt Kanellas. Ich wag’ es nicht zu bestimmen, von welcher Seite er mehr geliebt und geschmeichelt wurde. Aber so viel ist gewis, daß Florentin bei den Kanellesischen Volkspressern ursprünglich und am meisten sein Glük gegründet hatte.

So unwichtig er auch bisher in den Augen des Hofes gewesen war: so zeigte man sich ihm denn doch mehr, als kaltblütig und gleichgültig, weil er im Verdacht stand, als hielt er sich mehr zur Volksparthei, denn zum Hofe. Allein nun war auch der geringste Argwohn von ihm in dieser Rüksicht verschwunden, denn er hatte eine neue, goldhaltige Quelle für Piedros Finanzen aufgefunden, die freilich im Herzen des Volks aufgeschlagen werden mußte, aber auch um deswillen desto ergiebiger floß.

Bald darauf rükte er mit mehrern Plänen hervor, die so fein ausgearbeitet waren, und so lieblich nach Machiavellis Kompendium der Staatskunst schmekten, daß Piedro, Moriz und Benedetto dem erfinderischen Kopf schlechterdings ihre Bewunderung nicht versagen konnten. Kurz, er hatte aller Beifall gewonnen; — eine fürchterliche Art Freunde zu erlangen, wenn das schon gemärterte Volk unter diesen neuen Foltern noch mehr leiden und Weh’ und Jammer über solchen Bund schreien muß!

Auf alles dies, meine Leser, bezog sich nun das Gespräch des Prinzen Moriz mit seinen Getreuen. — Flimmer, der vorher nicht wenig argwöhnisch auf den Grafen gewesen war, wurde es durch dessen jähe Metamorphose noch mehr. Nur Moriz, der um die ganze Sache genauer zu wissen glaubte, schäzte Florentinen, doch heißt das a la Moriz!

„Ich traue ihm nicht!“ rief Flimmer einmal über das andere des Prinzen tauben Ohren zu.

„„Du bist ein Narr!““ war die gewöhnliche Replik darauf.

Flimmer. Und gebt acht, gnädigster Herr, gebt acht, daß Euer Flimmer, der sich noch so selten betrogen, sich auch diesmahl nicht hintergeht.

Moriz. Sprich, du Erzhase, du furchtsamer Teufel sprich — hast du je, binnen der Zeit, daß er sich in Kanella befunden, eine einzige schiefe Handlung von ihm observirt?

Flimmer. Ich muß es eingestehn, keine einzige, ungeachtet ich ihn schärfer beobachtet habe, als der Satan eine arme Sündersseele — aber — —

Moriz. (lachend) Ich kenne meinen Mann von innen und von aussen — wenn mancher wüßte, was ich weis — ha, ha, ha! er kettet sich nicht so leicht wieder von uns los — zum Glük, daß er mir diesmal mit seiner Gipspuppengestalt nicht wieder ins Gehege fällt! — Na, trink ein Glas Zyprier! Ich hab’ heut Laune.

Flimmer. (trinkt)

Moriz. Kannst dich dem Teufel darauf ergeben, daß er sich so sehr vergarnt hat, — — doch, trink! —

Flimmer. (gießt ein und trinkt)

Moriz. Weißt du sonst irgend etwas aufzutischen? Wie bin ich beim Volke akkreditirt?

Flimmer. (lächelnd) Wird darum sich ein Moriz kümmern?

Moriz. Ich hab’ heut Laune, und frage danach.

Flimmer. Akkreditirt? — hm, mehr als der Landesherr selber.

Moriz. Und der Kardinal? — Fülle den Becher und trink!

Flimmer. (grinsend) Sr. Eminenz? — hm, wird allgemein — — gehaßt.

Moriz. (sich mit der Hand übers Gesicht fahrend, um ein Lächeln zu verwischen) Wirklich? (zukt die Achseln.) Doch von etwas andern. — Sag mir, befindet sich noch der alte, stumme Schurke beim Grafen, der ihn einmal vor Jahr und Tag aus der Welt befördern sollte?

Flimmer. Freilich! freilich!

Moriz. ’s ist mir doch lieb, daß mein damahliges Projekt mit dem Gifttrank scheiterte. Duur soll und wird mir mit seinem Kopf noch wichtige Dienste leisten.

Flimmer. Aber eben der Badner, und der mit dem Grafen zurükgekommne verwegne Dulli, dessen Geschichte mit der Ladda — —

Moriz. Ich weis es ha, ha, ha!

Flimmer. Ich sage, eben diese odieuse Gesellschaft des Grafen erregt in mir so viel Besorgnisse! —

Moriz. Schweig mit deinen ewigen Besorgnissen! Gesezt auch, der Graf führe etwas Hinterlistiges im Schilde: so müßten du und ich den Kopf verloren haben, wenn wir nicht bald davon Wind bekämen — und dann läßt man ihn gefänglich einziehn, oder schikt ihn auf die Galeere, oder geradenwegs in die andre Welt. —

Flimmer. (am Fenster) Sein Wagen hält jezt, unten am Schlosse — er springt heraus — —

Moriz. Sein Besuch ist mir willkommen; Ich habe Laune. — Geh du!

Ehren-Flimmer entfernte sich, halbbenebelt von Zyprier. Der Prinz war noch keine Minute allein, als Florentin ziemlich eilfertig hereintrat.

„Nun, lieber Graf! das gefällt mir; Ihr vergeßt mich doch nicht unter so vielen andern, die von Euch nicht vergessen sein wollen! Sezt Euch neben mir nieder und seid vertraulich, wie mit Eurem Busenfreunde.“

Florentin. (höflich) Ew. Hoheit machen mich stolz. — Doch wer würde sich solcher Gnade und einer solchen Busenfreundschaft weigern?

Moriz. Na, ich denks auch. Sezt Euch doch. Ich hasse die steife, vermaledeiete Etikette unter vier Augen. Dort stehn dreierlei Sorten des kostbarsten Weines — wählt! — sezt Euch her und trinkt!

Florentin. (gehorchend) Ihr überhäuft mich mit Gnadenbezeugungen, gnädigster Fürst.

Moriz. Nicht doch. Hört, Ihr habt des Herzogs Beifall, und da könnt’ Ihr des meinigen leicht vergessen.

Florentin. (mit einem Blik voller Sprache) Prinz — Ihr fühlt Euern Werth, wisset, wer im Lande dominirt — und das macht Euch so sprechen!

Moriz. (füllt die Gläser) Ha, ha, ha! Schelm! (er klingelt. Ein Lakai tritt herein, zu welchem er sagt) Ich befinde mich nicht wohl — bin in einigen Stunden nicht zu sprechen — selbst wenn Sr. Eminenz der Kardinal, — oder des Herzogs Durchlaucht schikt. (der Lakai entfernt sich) Nun, Fiorentino, wir sind ungestört. Eure Miene schien mir so etwas zu weissagen — laßt uns plaudern.

Florentin. Ich bringe Euch dazu einen wichtigen Stoff.

Moriz. Nun?

Florentin. Es herrschen furchtbare Gährungen im Volk.

Moriz. Volk! Volk! — pah, was will der Wurm?

Florentin. Es läßt sich alles zu einer allgemeinen Empörung an. —

Moriz. (kalt) So?

Florentin. Die Sache ist für uns um so bedeutender, je geheimer sie gehalten wird.

Moriz. Woher habt Ihrs denn? (trinkt)

Florentin. Von meinen Spionen. Ja, noch mehr. Einer derselben bringt mir eine Liste mit den Namen derer, die, im Fall einer Rebellion, massakrirt werden sollen. Der Eurige steht oben an.

Moriz. (sezt gleichgültig das Glas hin) Ehre dem Ehre gebührt!

Florentin. (mit Nachdruk) Im Raum dreier Monate soll unsre jezzige Regierung umgeworfen sein!

Moriz. (die Stirn faltend) Und wer soll herrschen?

Florentin. Das Volk.

Moriz. (bitter) Wer?

Florentin. Das Volk!

Moriz. Wer — wer soll herrschen, wenn Piedros Unvermögen zum Regieren öffentlich anerkannt worden? — Wer? —

Florentin. (kalt) das Volk!

Moriz. (aufspringend) Und das wird nicht geschehn! oder Moriz müßte von einer Bettlerfamilie stammen — müßte nicht in Kanella sein.

Florentin. (steht auf und geht durchs Zimmer, indem er sich auf den Finger beißt, und eine Miene zieht, als einer, welcher diebischerweise ein Geheimnis entwendet.)

Moriz. Verdammt! — da sollts auf diese Gefahr zu einer Rebellion kommen, und Ihr Schurken von Demokraten solltet Morizen kennen lernen!

Florentin. (sich umdrehend) Ja, gnädigster Prinz, ich zweifle, nicht, — besonders wenn Ihr dies an der Spizze von wenigstens zehn bis zwanzig tausend Mann sagtet!

Moriz. (starrt lange vor sich nieder, geht dann rasch zum Grafen, legt vertraulich seine Hand auf dessen Achsel; seine Mienen sprechen, aber — sein Mund schweigt. Er dreht sich wieder um und pfeift — geht zum Tisch und klingelt.)

Florentin. (beobachtet den Prinzen mit scharfen Blikken unverwand, so sehr er sich auch den Schein des Gleichgültigen giebt)

Moriz. (zum hereintretenden Lakai) Schampagner!

Florentin. (mit Theilnehmung und Ernst) Prinz!

Moriz. (zerstreut) Was ist?

Florentin. Ihr scheint ein großes Geheimnis in Eurer Seele zu führen; scheinet — (abspringend) doch, Ihr kennet mich noch zu wenig, Prinz, ich verarg’ es Euch nicht.

Moriz. (mit untergeschlagenen Armen dicht vor ihm hintretend) Mensch!

Lakai. (sezt den Wein auf, und entfernt sich)

Moriz. (mit verstellter Lustigkeit) Hier die Flasche laßt uns umstürzen; sie wird köstlich sein! (er füllt zwei Becher) Trinkt, Graf! —

Florentin. (schmeichelnd) Gnädigster Herr, Ihr seid ein Räthsel, von dessen Auflösung die Kunst des erfahrensten Menschenkenners zu Schanden wird.

Moriz. (zufrieden lächelnd) Wirklich? — (den Becher hebend) Auf, es blühe lang die Schönheit Rosaffens!

Florentin. (sich verwirrt stellend) Sie blühe! (beide trinken)

Moriz. (lachend) Rosaffa! ha, ha, ha!

Florentin. (nimmt den Becher von neuem auf) Es lebe hoch Sr. Durchlaucht Herzog Moriz von Kanella! (Zerstreuung simulirend) O, verzeiht, ich vergas mich, ich weis nicht mehr, was ich spreche.

Moriz. (sezt bestürzt das Glas nieder) Was war das?

Florentin. (angenehm) Vielleicht ein gutes Prognostikon!

Moriz. (strenge) Graf, äfft mich nicht! — (beide schweigen und beobachten sich lange)

Moriz. Graf, Ihr gäbet den Mahlern einen treflichen Heiligenkopf ab — mit Lust würde man dazu Eure Mienen kopiren, denn man würde den Heilgen in Euch, ohne Heilgenschein, erkennen. — Lüget Euer Gesicht nur nicht?

Florentin. (lächelnd) Ich antworte kein Ja, oder Nein, um wenigstens den Mund nicht lügen zu lassen.

(abermahlige Pause)

Florentin. Wie ists, mein gnädigster Fürst, wie ists mit Euerm Entschluß die Volksgährung betreffend? — Laßt uns den Aufrührern beizeiten entgegenarbeiten!

Moriz. Fürchtet Ihr denn Gefahr?

Florentin. Allerdings, in so fern weder Ihr, noch des Herzogs Durchlaucht hinlängliche Sicherheit besizt, noch Kraft einem rebellischen Volke entgegenzustehn.

Moriz. Woher?

Florentin. Wegen Mangel an Soldaten. — Es ist nothwendig, daß ein Corps errichtet werde, welches Eure Superiorität bewacht.

Moriz. (nach einiger Stille) Ja, ja, es muß eine große Werbung angestellt werden. Das ganze Land soll kontributiren. Wir haben jezt kaum tausend Mann auf den Füssen.

Florentin. Ist Munition genug vorhanden?

Moriz. Das Kriegskollegium soll mir morgen ein genaues Verzeichnis davon einliefern. In allen Fällen muß ausser Landes eingekauft werden. — Wenigstens müssen in zwei Monaten zehntausend Mann da stehn.

Florentin. Und zwar aus Landeskindern gesammelt; denn auf Ausländer ist in solchen kritischen Zeitpunkten nicht sicher zu rechnen.

Moriz. Aber es ist unmöglich aus eitel Landeskindern in so kurzer Zeit zehntausend Mann herbei zu schaffen; der Staat ist von keiner übermäßigen Größe, in welchem überdies mehrere Städte ein ausschließendes Recht haben, von allen Werbungen frei zu sein.

Florentin. Was kümmert uns dies? — Sie sollen ihre Dokumente und Urkunden vorweisen, diese müssen erst untersucht werden und ich wüßte nicht, welcher Dämon seine Hände im Spiel hätte, wenn wir nicht vermögend wären Worte zu verdrehn und zu verdeuteln und ihnen einen verlornen Prozeß an den Hals zu spielen.

Moriz. (mit geballter Faust auf den Tisch schlagend) Warum haben wir uns beide nicht früher kennen gelernt! — (seine Hand ergreifend) Fiorentino! Fiorentino! Ich hätte Euch noch manches — manches noch zu vertrauen, aber — —

So gut als wir, verstand auch Florentin das mistrauische Aber, und er wandte seine ganze Kunst daran den geringsten Argwohn aus dem Gemüthe des Prinzen zu vertreiben. Ob er glüklich, ob er unglüklich darin war, mag die Folge aufklären. Was ihre fernern politischen Unterredungen betrift: so find’ ichs nicht behäglich meine Leser dieselben länger anhören zu lassen; doch die Resultate derselben äusserten sich nach etlichen Wochen im Lande. — Hatte man vorher geseufzt, so schrie man jezt über Ungerechtigkeiten; wo man ehmahls weinte, verzweifelte man jezt. Und Florentin, der von seinen Freunden scharf bewacht wurde, dessen kleinste That ihnen nicht unbemerkt vorüberschlüpfte, wurde denselben mit jedem Tage ein dunkleres Räthsel.

Borghemo vorzüglich war um deswillen äusserst empfindlich. Er suchte täglich den Grafen in seinem Hause auf, wo er ihn aber nie fand; aufgebrachter, als vorher, kehrte er dann gewöhnlich heim und fluchte über das Schiksal und heuchlerische Menschenbrut. — Dulli nahm sich seines Herrn noch am meisten an; denn der alte Badner spielte, seit er mit Florentin in Kanella war, wiederum die Rolle eines Stummen und sogar Halbtauben, um einen desto geschiktern Horcher abgeben zu können.

„Gieb deinem Herrn diesen Brief;“ sagte eines Abends Borghemo zu Dulli: „vergiß es nicht! sobald er in der Nacht zu Hause kömmt!“

„„Ihr zürnt noch immer auf meinen Herrn?““

„Mit Recht!“

„„Ihr irrt Euch in ihm!““

„So irren sich tausende und du allein betrügst dich nicht?“

„„Freilich!““

„Narr!“

„„Ich verzeih’ Euch!““

„Nun, Schurke, was hältst du denn vom Grafen?“

„„Daß Ihr seine Größe nicht fasset, und ich seine Pläne nicht durchschaun kann.““

„Gieb ihm den Brief!“

Der Graf erhielt den Brief, der nichts geringers, als eine Herausfoderung zum Duell enthielt. Florentin konnte sich des Lächelns nicht erwehren; Dulli und Badner gaben auf sein Mienenspiel Acht. Er schrieb noch in der Nacht ein Billet, welches sogleich an Ort und Stelle gebracht wurde; zwar nicht an Borghemo selbst ging, aber doch die Widerlegung desselben betraf. —

„Was spricht man von mir in Kanella?“ fragte er Dulli’n und Badner’n, welche ihm vorm Schlafengehn die Geschichte des Tages zu rapportiren pflegten. Beide bezeugten, wie mit einem Munde, daß sein Kredit noch der alte sei, nur daß man vielerlei über seine Rolle am Hofe kannengiessere. — — — — —

Viertes Kapitel.
Neue Verwirrungen.

O!“ rief Borghemo am folgenden Tage in wilder Wuth, als er sich auf dem in seinem Billet Florentinen genannten Kampfplazze eingefunden und schon, seinen Gegner erwartend, einige Gänge auf und ab gemacht hatte: „O, Freundschaft, Redlichkeit, Freiheit — was seid ihr? Doch nur Ideale, todte, unnüzze Ideale, dem Gehirn der Dichter in schwärmerischen Stunden entsprungen, welche das schönste Thier in der Schöpfung bewundert, aber in sich zu realisiren weder Muth noch Kraft hat! — Daß ich so belogen werden konnte, so — so von einem Duur! — — Nein, erschien mir jezt ein Engel vom Himmel, ich würde seiner Larve und seinen Worten nicht mehr trauen. — Freundschaft! ist dies nicht heuer ein Modegedanke, worin sich verkrüppelte Seelen verstekken, wie häsliche Gestalten hinter ihren Puz? — O, verdammt, von solchem Abentheurer betrogen zu werden!“ — —

Borghemo schlug sich mitgeballter Faust vor die Stirn — ging einige Schritte vorwärts — blieb stehn, — sah nach der Uhr und lachte gräßlich auf: „Er kömmt noch nicht! pfui, des elenden Feiglings! er, — er eine Revoluzion bewirken? — ha, ha, ha, wahrscheinlich unter den Weibern des Hofes! er die despotische Regierungsform zerstören, die mit tausend Klingen verfochten werden dürfte, er, der sich vor der meinigen allein schon fürchtet? —“

So tobte er eine Viertelstunde hindurch, ohne zu bemerken, daß der Plaz, auf welchem er sich befand, der zwar ein schöner Spaziergang vor der Stadt war, aber doch nur selten besucht wurde, jezt, und zwar zu einer sehr ungewöhnlichen Stunde, denn es war früh nach Sonnenaufgang, ziemlich lebhaft geworden. Ueberall, wohin er um sich her sah, erblikte er zu seiner unaussprechlichsten Verwunderung bekannte und unbekannte Männer, höhern und niedern Ranges, einzeln und in Gruppen lustwandelnd.

Er blieb eine Weile, wie versteinert, stehn: ging dann zu dem nächsten, ihm bekannten Mann, um sich über diese Szene Licht zu verschaffen. Kaum daß er sich diesem näherte, so zogen sich auch alle übrige Personen, wie nach einem verabredeten Signal, um denselben zusammen. Borghemo’s Erstaunen wuchs immer mehr, und noch mehr, da ihm der bekannte Mann folgendes sagte:

„Edler Borghemo, Ihr erwartet den Grafen, aber vergebens, denn seine Zeit ist jezt zu köstlich, als sie mit Euch hier zu versplittern, und die Gesundheit seiner Gliedmaßen ihm für den Tag der Revoluzion zu theuer, als daß er sie hier Eurer Laune und Eurer aufbrausenden Hizze opfern sollte. Gesezt, daß er bei dem nahen Aufruhr sein Leben nicht einbüßt, so steht er euch gleich den folgenden Tag darauf zu Diensten. Dies ists, was er Euch durch mich sagen läßt.“

„„Aber ich begreife nicht — —““ stotterte Borghemo und warf seine Augen auf die ihn umgebenden Männer.

„Leicht möglich!“ antwortete man ihm: „Was die lieblosen Beschuldigungen betrift, welche Ihr ihm gestern in dem bewußten Billette machtet, so hört dies darauf zur Erwiederung: Duur verdient sie nicht. Daß er Eure Freundschaft der, gegen den unglüklichen Staat, hintenansezt, werdet Ihr ihm hoffentlich verzeihen; daß er, wie Ihr ihm vorwerfet, seine großen Versprechungen in Absicht der Befreiung Kanella’s vergessen, darüber werdet Ihr in Kurzem vom ganzen Staat die Antwort hören; und daß er schon viel gethan hat, und nicht wenig Anhänger besizt, — davon könnt Ihr Euch durch uns überzeugen lassen, indem jeder von diesen bereitwillig ist, sich statt seiner mit Euch um Leben und Tod zu schlagen, wenn Ihr anders noch nicht hinlänglich vergewissert seid, wie sehr Ihr dem Grafen Fiorentino Unrecht gethan habt.“

Der gute Borghemo war noch nicht ganz zu sich selber gekommen, und er stand nahe dabei, alles das, was er sah und hörte, für ein Gaukelspiel seiner Einbildungskraft zu halten.

„Fiorentino!“ sagte er: „du hast in der That bewiesen, welch’ ein ausserordentlicher Mann du bist; — ich will gehn und deine verborgnen Pläne im Stillen bewundern!“

„„Wohl!, Fiorentino vermuthete diesen Entschlus von euch,““ antwortete einer aus der Menge: „„kommt mit uns; wir haben Befehl Euch zu uns zu sammeln.““

Wie ein gedankenleerer Träumer folgte Borghemo — — den schwarzen Brüdern nach.

Sehnsuchtsvoller selbst als vom rachsüchtigen Borghemo wurde Duur an eben dem Morgen von Sr. Eminenz, dem Kardinal erwartet, welcher den Grafen und sein politisches, raffinirendes Genie nicht weniger zu schäzzen verstand, als der rauhe Moriz. Der Favorit ließ sich lange vergebens erwarten. Benedetto war sehr unruhig. Er ging von Zimmer zu Zimmer; bald hinaus auf den Altan; bald hinaus in den Garten. Es war dieser Tag für ihn von großer Wichtigkeit, denn er hatte bei sich beschlossen heut gegen Florentinen mit einem wichtigen Projekt hervorzurükken. — Er, der sonst nie zitterte, der sonst keines Menschen Gewalt befürchtete — zitterte jezt bei jedem Rauschen der Thüren seines Pallastes. Er wünschte Duurs baldige Erscheinung und doch machte ihm sein böses Gewissen diesen Mann furchtbar.

„Was hilfts?“ sagte endlich der heilige Mann zu sich trostvoll, indem er seine dürre Gestalt über ein Faulbett hinlagerte: „Es reife endlich, was reifen soll; längerer Verzug ist der Tod meiner Hofnungen. Ob nun der Graf meine Vorschläge acceptiren, meine Entwürfe gemeinsam mit mir ausführen wird — das entscheide dieser Tag. Seine Treue, sein Karakter ist seit drei Jahren und länger der Gegenstand meiner Beobachtungen gewesen, ich hab ihn ächt befunden, täuschen, konnt’ er mich nicht! — Und gesezt, daß er — — nein, unmöglich! Er ist durch Rosaffen zu fest an mein Interesse geknüpft, er liebt sie, und sie ist ja, was sie ist, durch mich geworden; sie ist mit meinen Plänen halbvertraut; ihr ekelt vor Piedro schon und sie kennet ja seine Untüchtigkeit zur fernern Regierung! —“

Indem Benedetto also kalkulirte, fand sich Duur ein. Mit welcher ungewöhnlichen Gnade er von dem feinen Mönch aufgenommen wurde, wie geschmeidig diese steife Eminenz war, wie huldreich lächelnd und vertraulich dessen sonst ernste, zurükschrekkende Mienen sich zeigten, ist beinahe unbeschreiblich.

Die Unterredung dieser beiden Hofleute wurde bald sehr intrikant; jeder horchte, jeder forschte, beide handelten aber aus verschiedenen Absichten.

„Ich läugn’ es nicht, Fiorentino, ich preis’ Euch glüklich!“ sagte Benedetto unter andern, als Replik auf vorhergehende Reden.

Florentin. Darum, daß mich die Gräfin Rosaffa wieder liebt?

Kardinal. Eben darum! Es ist noch etwas Niegeschehnes, daß Rosaffens Herz für irgend einen Mann wärmer geschlagen, als für den andern. Ihr seid der erste, und fürwahr seid auch der Einzige. — Sie ist schön, der Liebe des schönsten Mannes in Europa würdig; sie ist reich und vom Range. Und nun denkt Euch im Besiz eines solchen allbeseeligenden, entzükkenden Weibes — —

Florentin. (einfallend) Im Besiz?

Kardinal. Sie liebt Euch ja!

Florentin. Liebt mich? — Sei es, ich bezweifle die Wahrheit Eurer Worte nicht — aber Besiz? — Wer besizt sie? Wer? —Ist sie nicht Piedros?

Kardinal. (mit Besinnung) Es ist wahr! —Ich bedaure Euch und — die unglükselige Gräfin. — Was seztet Ihr wohl daran Rosaffen zu befreien? —

Florentin. (verwirrt) Eine verfängliche Frage, die ich kaum zu beantworten weis. — Doch — — Ihr wißt, ich liebe sie heftig.

Kardinal. (die Achsel zukkend) Piedro — — — —

Florentin. (mit einem Seufzer) O Gott!

Kardinal. (mitleidig, ernst und ausspähend) Piedro — —

Florentin. Ich bitt Euch, nennt mir diesen Namen nicht; raubt mir nicht die lezte elende Hofnung.

Kardinal. Euer Leiden thut mir weh. Könnt’ ich helfen — könnt’ ichs — doch aus Liebe für Euch, mein Bester, wag ich alles. (Er steht auf und geht umher, indem er sich nachdenkend stellt.)

Florentin. (seufzt ohngefähr so laut, daß es den Ohren Sr. Eminenz nicht unbemerkt bleiben kann.)

Kardinal. (rasch zurükkehrend) Fiorentino, Rosaffa sei die Eure!

Florentin. (aufsprengend mit Aeusserungen des Entzükkens) Wär es möglich?

Kardinal. Wie viel wagt Ihr daran?

Florentin. So viel die verzweifelnde Liebe wagen kann!

Kardinal. (lächelnd) Es soll nicht Tod und Leben gelten, sondern daß Ihr, nächst Rosaffen, mir Eure ganze Zuneigung schenket.

Florentin. O, die war die Eure, ehe ich Rosaffen liebte, und ist noch die Eure und zwar in solchem Grade, als Ihr es vielleicht selber nicht von mir erwartet. Ich könnte Euch gewisse Proben davon vor Eure Augen legen — ich sage Proben — — — doch davon zu seiner Zeit.

Kardinal. Ich bewunderte von jeher Eure Offenherzigkeit und zugleich Eure Verschwiegenheit. Wendet diese beiden Tugenden von nun an zu meinem Interesse an; denn an meiner Glükseligkeit liegt die Eurige durch Rosaffen unauflöslich gefesselt.

Florentin. (mit einem Blik voller Rührung) Benedetto!

Kardinal. (ihm die Hand und den Mund reichend) Seid mein! — Jezt bin der Eurige!

(sie küssen sich)

Kardinal. Und nun zuerst, Fiorentino sag mir, — bei unsrer Freundschaft beschwör ich dich — sag mir, zu welchem Entzwek läßt Moriz im ganzen Lande werben? Ich befürchte Nebenabsichten!

Florentin. (geheimnisvoll) Mit Recht!

Kardinal. Wär es möglich?

Florentin. Dem Herzoge und wahrscheinlich auch Euch ist ein fremder Zwek vorgespiegelt.

Kardinal. Mir hat man von einer bevorstehenden Revoluzion in Kanella gesagt, welche Verstärkung der Truppen nothwendig mache.

Florentin. Mir der Revoluzion hat es seine Richtigkeit; in der That muß sich das Volk in einigen Monaten empören, wovon man die untrüglichsten Spuren vorgefunden. — Allein Moriz trift keine Gegenanstalten, sondern — — doch Euch sind ja Morizens Kabinetsgeheimnisse so wohl, als mir bekannt.

Kardinal. (sich vertraulich an ihn schließend) Er will die Regentschaft von Kanella an sich reißen, wenn das Volk im Aufruhr Piedron minorenn am Verstande und der Regierung unfähig erklärt.

Florentin. Ihr habts getroffen.

Kardinal. (hämisch lachend) Ha, ha, ha, ha! (er geht zu einem Pulte und zieht verschiedene Papiere hervor, die er dem Grafen überreicht.) Seht hier! Piedros Untüchtigkeit zur Staatsverwaltung ist allgemein bekannt — der Aufruhr des Volks mag vor sich gehn; er ist nothwendig — aber Kanellas Heil liegt meinem Herzen zu nahe. Seht hier, und leset, wie lange ich deswegen schon mit dem Römischen Hofe korrespondirt habe.

Florentin. (durchfliegt mit froher Bestürzung die Blätter) Ich bin ausser mir!

Kardinal. (wohlgefällig lächelnd) Und seht nun hier das Finale — eine Bulle Sr. päbstlichen Heiligkeit, die mich zum Regenten Kanellas ernennt.

Florentin. (liests) Bei Gott, ja! — Wohlan, ich sprach vorhin mit Euch von gewissen Proben meiner Liebe, welche ich aufzuzeigen hätte. (Er zieht Papiere aus dem Busen) Seht hier — leset dies Bittschreiben von beinah hundert der vornehmsten Bürger Kanellas eigenhändig unterschrieben und an Ew. Eminenz gerichtet.

Kardinal. (wird beim Lesen aus Freuden halb ohnmächtig — er reißt das Fenster auf, lehnt sich lange hinaus, troknet sich die Thräne der freudigen Ueberraschung vom Auge und fällt dem Grafen um den Hals) So hat man mich denn in der That lieb? verlangt mich in der That an Kanellas Staatsruder? — o Fiorentino, Fiorentino! steh mir bei, ich bin zu schwach solche Last zu ertragen! Aber Moriz?

Florentin. Laßt ihn werben, er wirbt vor Euch.

Kardinal. Die guten Bürger sollen in weniger Zeit eines großen Theil ihre ungeheuern Abgaben überhoben werden. Ich wills dahin bringen; notifizirt ihnen das; sagt ihnen, daß es Benedetto nie anders, als wohl mit Kanella gemeint habe und meinen werde. Ich will mich den Kanellesern von der blendensten Seite zeigen.

Florentin. Um alles zu verderben?

Kardinal. Wie?

Florentin. Drängt vielmehr die Kanelleser bis zu des Elends äussersten Gipfel hinan, daß sie revoltiren müssen, desto eilender gelangt Ihr zum Ziele. Güte beruhigt die Leute und zerstört Eure Pläne.

Kardinal. Verzeiht, verzeiht! Ihr habt Recht, die Freude machte mich wirbeln. Und doch — o, wär es möglich, daß ich jezt ganz Kanella für mich einnehmen könnte!

Florentin. Kanella verehrt Euch wie seinen Vater, aber haßt den Prinz Moriz.

Kardinal. Ihr schmeichelt. Aber unterlaßt auch ja nicht, den vertrauten Umgang mit Moriz fortzusezzen. Es ist uns nothwendig!

Florentin. Sehr natürlich. Selbst die Morizischen Werbungen empören das Volk nicht wenig, in eingen Dörfern ist es schon zum Aufstande gekommen.

Kardinal. (applaudirend) Bravo! bravo! — Laßt uns alles zur Beförderung und Beschleunigung der Revolte beitragen. Ich werde Euch die dazu erforderlichen Geldsummen anzeigen.

Florentin. Ich hege keinen Zweifel am — glüklichen Ausgang dieser fürchterlichen, verworrenen Händel!

Kardinal. Und Euer ist Rosaffa, Euer das schönste Weib von ganz Kanella, sobald Piedro enttrohnt ist und Benedetto an seiner Statt herrscht.

Florentin. (im Ausbruch der Freude die dürre Kardinalshand küssend) Benedetto!

Kardinal. (gnädig lächelnd) Fiorentino!

Florentin. (auf die Knie niederstürzend vor ihm) Gebt mir — gebt mir Rosaffen!

Kardinal. (hebt den Grafen liebreich auf) Ihr seid ausser Euch!

Fünftes Kapitel.
Sturm und Liebesfreuden.

Inzwischen die Kabale und Intrigue heimlich den Hof in Partheien zertrennte, und Wollust und Zeremoniel ihn öffentlich zu einem harmonischen Ganzen machte; inzwischen Piedro mit seinem Mädchen und Hofbuben lustig schwelgte und nichts minder als eine baldige Störung seiner Feste ahndete; indessen Rosaffa um Florentins Wiederliebe buhlte; Benedetto mit dem Vatikan wegen seiner Regentschaft briefwechselte, Moriz sich kriegerisch rüstete, die heimlich unterstüzte Rebellion zu seinem Vortheil zu lenken, und beide der Prinz und Kardinal Florentin zu ihrem vertrautesten Vertrauten machten — unterdessen Bälle, Assembleen, Karnevals, Geburtsfeste beständig am Hofe abwechselten und alles in einer frohen nichtsbesorgenden Stimmung erhielten, wüthete Verzweiflung und Hungersnoth im Volke; zogen sich die Elenden immer genauer an einander; stimmte alles immer inniger zu einem totalen Aufruhr zusammen; fachten die schwarzen Brüder, im ganzen Lande verstreut, das glimmende Gefühl für die geraubte Freiheit immer mehr an, und bestimmte man zulezt einmüthig den Abend des ersten Septembers zum Termin der bisherigen Sklaverei und der zu erringenden Volksfreiheit. Die Verschwörung der Kanelleser beschäftigte mehr das Herz, als die Lippen; so verschwiegen war noch keine Konspirazion, und so geheim noch keine Vorbereitung zu derselben gehalten worden. Alles trug um so mehr den Anschein eines glüklichen Erfolgs, da selbst Moriz und Benedetto von allem wußten, selbst den ersten Septemberabend kannten und dennoch, statt zu verhindern, Unterstüzzung leisteten.

Piedro! Piedro! hättest du Augen gehabt zu sehn, du würdest nicht länger, hinter Weibern und Flaschen verschanzt, sardanapalisirt haben! denn der August begann sich allmählig seinem Ende entgegen zu neigen und das ehmals trauernde Volk lies nun eine zu rasche Veränderung spüren. Geduldig ließen die Richter ihre Rechte verhunzen von Hofschranzen, denn sie sahen den ersten Septemberabend schon im Geiste grauen, der ihnen alles zurükgeben sollte; Städte ließen sich ohne Murren um ihre lezten Freiheiten plündern, denn sie hofften in etlichen Wochen sie mit Wucher zurük zu gewinnen; verarmte Familien aßen ihr schimmlichtes Brod, ohne es noch mit Thränen des Kummers zu nezzen, die Hofnung strahlte auch ihnen trostvoll entgegen, welche sie glauben machte, bald ein besseres Schiksal zu empfangen.

Viele von den Großen Kanella’s und der Parthei des Herzogs wurden dieser Phänomene frühzeitig genug inne. Ihre Spione brachten ihnen aus allen Gegenden der Republik Nachrichten, eine furchtbarer, als die andre; sie fingen sogar an argwöhnischer auf den so fahrläßig scheinenden Kardinal zu werden, und ehe man es erwartete, zogen drei tausend Mann ausländischer Soldaten, von einem benachbarten kleinen Fürsten gemiethet, in Kanellas Gebiet. Hier handelte Piedro einmahl ohne Mitwillen seiner Beherrscher, das heißt des Prinzen und des Kardinals, sondern nach dem Einfall einiger andern ihm getreuen Räthe. Aber dieser Schritt wurde ihm sehr natürlich von den beiden Universalministern gewaltig verübelt, und gemisdeutet. „Der Schaz ist größtentheils erschöpft,“ hieß es und lies man im Volke aussprengen: „demungeachtet beruft er fremde Soldaten ins Land, welche den Einwohner noch mehr aussaugen müssen; Er marchandirt mit seinen Landeskindern, verkauft seine Regimenter, um sich fremde Truppen wieder zu miethen! o des fürstlichen Dummkopfs!“ —

Piedros Ansehn litte dadurch ungemein, wozu Moriz und Benedetto das meiste unter der Hand beitrugen. Der Muthwille des Pöbels ging so weit, daß sich eines Tages tausende vor dem Herzoglichen Pallast versammelten und unter fürchterlichen Drohungen dem Piedro geboten, die Miethssoldaten aus dem Lande zu schaffen. Allein ein Detaschement derselben zerstreute das aufgebrachte Volk, und dieses lies sich willig auseinander treiben, denn noch war der erste Septemberabend nicht erschienen!

Niemand aber von allen rang und arbeitete mehr, als Florentin von Duur, niemand bedürfte mehrerer Erquikkung und Anfrischung, und niemanden wurde weniger von derselben zu Theil. Die einzige Erhohlung, welche er sich gewährte, war die, daß er sich oft Abends hinausschlich aus dem Gewühle des Hofes und der Stadt, hinaus in einen an die Stadt gränzenden Park, welcher dem Herzoge zugehörte, aber wegen der seltnen Besuche ganz verwildert war. Hier lagerte sich dann der ermüdete Held entweder in dunkle Nischen dichtverflochtenen Gebüsches, oder an eine kleine Quelle, oder er begab sich in ein niedliches Landhaus, welches in der Tiefe eines Thales lag und von einem Paar alter Eheleute bewohnt wurde. Seine Thaten mit froher Seele überschauend, hinausblikkend in die belohnende Zukunft, wars ihm hier nur allein wohl, und genos er nur hier die lieblichsten Stunden seiner Tage in Kanella.

Wer ihn im Park belauscht hätte, würde Florentinen, den großen, höfischen, verwegnen Florentin, den ernsten, hochgeachteten Bündner der schwarzen Brüder nicht erkannt, sondern einen sanften, liebesiechen, schwärmenden jungen Mann gefunden haben. Da stand er oft und schnizte den Namen, seiner Louise in die Rinde junger Linden; oder er drükte Holders Bildnis an seinen Mund, oder er rief den Namen seiner Schwester Friederike mit brüderlicher Wehmuth aus.

Ungestört hatte er hier bisher sich so manchen schönen Abend selber leben können, aber — ein schwarzer Dämon raubte dem guten Duur auch diese lezten Freuden.

Einsmahls lag er seiner Gewohnheit nach in seiner Lieblingsnische; der Abend war einer der schönsten des Augusts, die Gegend durch denselben so reizvoll geworden, das Abendroth zitterte wie in goldnen Tropfen am Halm und Laub, die Vögel gossen Melodien durch das Gehölz. Plözlich schlug der Saitenton einer nahen Guitarre sein Ohr; bald darauf mischte sich eine süsse, klagende Weiberstimme dazu. Florentin horchte betroffen; er hörte folgenden Sang:

Dich zu sehn, und dich zu lieben,

Einziger in der Natur,

Allgewaltsam hingetrieben

Auf der Liebe Dornenspur —

Eine That vom Augenblik

War mein Leiden, war mein Glük.

Dürft’ ich, Trauter, dir bekennen,

Was mein wundes Herz gefühlt,

Wie mir Herz und Wangen brennen,

Nie vom Troste angekühlt —

O, du würdest hold und schön

Auf mein Leid hernieder sehn.

Würdest weinend mitempfinden,

Was ich weinend schon empfand;

Würdest mir verzeihn die Sünden,

Daß, wenn Gott und Welt verschwand,

Du vor mir in Liebespracht

Meine Seele angelacht!

Daß in stillen Mitternächten

Mir dein süsses Bild erschien,

Um die Stirne Sternen flechten,

An den Busen — Rosmarin;

Aber ach! ich sah genau

Auf den Zweigen Thränenthau!

Daß des Mondes Silberstrahlen,

Aus des Himmels lichten Höhn,

Immer mir dein Bildnis malen

In den Glanz der Heiligen,

Und ich dann im trüben Weh

Auf zu dir anbetend seh’!

Ach, du lächelst, thust den Himmel

Mir in deinen Blikken auf;

Aus der großen Welt Getümmel

Ziehst du mich zu dir hinauf —

Trinkend Paradieseslust,

Ruhe ich an deiner Brust.

Selige Gefühle keimen

Aus der Seele düsterm Raum;

Dürft’ ich, Jüngling, ewig träumen

Meiner Liebe schönen Traum? —

Aber, ach, zu bald, zu bald

Ist dies Lustgebild verwallt.

Warum sah’ ich dich, mein Leiden

Namenloser zu erhöhn?

Warum konnt’ ich dich nicht meiden,

Mußt’ ich deine Schönheit sehn?

O des Schiksals Eisenhand

Schlang um uns dies Zauberband!

Liebe heilet nur die Wunden

Meines Herzens wieder zu,

Gieb mir, was du mir entwunden,

Gieb mir die verlorne Ruh’:

Liebe, Theurer, liebe mich,

Gott erschuf mich ja für dich! —

Florentins seltsame Verwirrung läßt sich unmöglich beschreiben. Ihm wars, als lebte er in jenen Zeiten des Schäferlebens, wo eine schüchterne Grazie einsam fantasirend dem Echo und den Winden ihre unglükliche Liebe entgegenklagte, oder in jenem romantischen Zeitalter, welches Wieland mit so unnachahmlichen Schönheiten ausschmükte, wo ein schmachtendes Mädchen in ihrem bezauberten Thurm dem abwesenden Geliebten Liebe bekennt, die sie ihm in seiner Anwesenheit läugnet.

Dem Grafen war die Stimme der schwermüthigen Sängerin nicht unbekannt, nur daß er des Liedes Inhalt eher von einer liebenden Nonne, als — einer fürstlichen Mätresse erwartet hätte. So unwillkommen ihm diese Ueberraschung war, mußte er sich dennoch der Etikette unterwerfen, sich wiederum in den täuschenden Mantel der Verstellung vermummen und — Rosaffen aufsuchen.

Schön wie eine Halbgöttin, reizend wie eine Griechin gekleidet, trat sie jezt aus dem Gebüsch ihm entgegen. Sie schien ihm nicht so nahe beahndet zu haben, denn sein Anblik jagte all ihr Blut hinauf um Wangen und Busen. Florentin selber bebte zurük; so gewaffnet mit allem Zauber des Schönen, glaubte er sie noch nie gesehn zu haben, wozu nicht wenig ein gewisses schwermüthiges Etwas, welches in ihren Lineamenten und Tönen und Bewegungen lag, beitrug. Zwar war die Gräfin nichts weniger, als zur Mislaune gestimmt; allein sie kannte Florentinen zu genau und den Geschmak gewisser Männer, welche lieber ihre Damen schwärmen und empfindeln, als natürlich froh sehn. Sie wußte zu gut, wie viel ein solches Madonnengesicht bewirke; wie leicht die Saite des Mitleids in männlichen Seelen anzuschlagen und wie klein der Sprung vom Mitleid zur Liebe sei.

Drum hatte sie, welche die geheime Retirade des Grafen in diesen Park ausgeforscht, und sich, Gott weis es, unter welchem Vorwande, auf den Fittigen der sehnsuchtsvollen Liebe hieher führen lassen, den Rath des Dichters benuzt, der da sagte:

Gern seh ich das Mädchen in Wollust und Scherz,

Doch lieber die Liebe im weinenden Schmerz,

Ein Thränchen im schwimmenden Blaue;

Denn lächelt die Sonne nicht hinter dem Flor

Verschleiernder Nebel noch schöner hervor,

Nicht schöner die Rose im Thaue?

„So ward Ihr, schöne Gräfin, die angenehme Sängerin selber?“

Rosaffa. (sich an seinem Arm stüzzend) Schmeichler, war Euch Gesang oder Sängerin angenehmer?

Florentin. Hätt’ es das Lied ohne die Sängerin sein können?

Rosaffa. Vielleicht doch!

Florentin schwieg; Rosaffens Hand schmiegte sich um die seine — langsam schlenderten sie fort, und immer tiefer in das liebliche Gehölz hinein; der bange Florentin bebte an Rosaffens Arm; sie war zu schön.

„Wir verirren uns,“ sagte er: „laßt uns einen geebneten Fußsteig aufsuchen.“

„„Um Gotteswillen nicht, damit mich nicht ein Verräther in diesem Park und Eurer Gesellschaft allein erblikt.““

„Vor wem darf eine Rosaffa zittern?“

„„Ah, Fiorentino, wär Euch der ganze Umfang meines Elends bekannt! — Doch, wir wollen den Fußsteig vermeiden; lenkt hier rechts ein.““

„Seht, wie uneben dieser Weg für Eure zarten Füsse, die solcher Wanderungen nicht gewohnt sind!“ „„Wohl, so ruhen wir auf diesem Rasenhügel aus. Man wird uns hier nicht beobachten können.““

Sie sprachs, und sezte sich nieder. Der Graf gehorchte, halb mit Grauen, halb mit Lust ihren Wink, und warf sich neben ihr hin.

Sie sprachen lange kein Wort, aber ihre Hände fanden sich unvermerkt wieder zusammen.

„Sag mir, Fiorentino, wie ists möglich, daß Ihr so langes Wohlgefallen an dem Aufenthalt in Kanella hegen könnet, in Kanella, wo der Sammelplaz so vieler Unruhen und Unannehmlichkeiten ist?“

„„Hat nicht jeder Plaz auf der Erde sein Angenehmes und Widriges?““

„Wohl, so frag ich bestimmter: wie ists möglich, daß Kanella mehr Reizze, als Unangenehmes für Euch haben kann?“

„„Ihr solltet dies nicht fragen, nur Ihr nicht; — jeder andre könnte es vielleicht, und vielleicht antwortete ich jedem darauf.““

„Mir nicht? wie so?“

„„Rosaffa, so unwissend seid Ihr nicht!““

„Aber wie, wenn ichs nun bin?“

„„So dürft’ ich der Geliebten des Herzog Piedros nicht antworten.““

„Ihr seid grausam. Warum laßt Ihr — Ihr es mich und just es jezzo fühlen, wer ich Unglükliche bin?“

„„Rosaffa!““

„Fiorentino, bei Gott, ich hab es nicht ganz, und am mindesten um Euch verdient!“

„„Ich verstehe Euch nicht.““

„So verstand ich Euch besser, als Ihr es wolltet.“

„„Verzeiht mirs, schöne Gräfin, wenn ich Euch unwissend kränkte!““

„Unwissend? o, Fiorentino, heuchelt dies einer andern! — Unwissend? — also nur Euch wär’ es unbekannt, an welches Ungeheuer mich das Schiksal verkaufte? Euch nur unbekannt, wie Rosaffa leidet in eines elenden Wollüstlings Riesenarmen? — Eines Herzogs Geliebte! ach Fiorentino, hättet Ihr nie diese Worte ausgesprochen!“

„„Eben dieser stolze Name, um welchen Euch alle Kanelleserinnen beneiden —““

„Eben dies ists, was mein Leiden vermehrt. Die einzige Thräne eines mitleidigen Freundes ist in der Noth köstlicher, als die Bewunderung von der halben Welt.“

„„Ihr seid unglüklich?““

„Daß Ihr dies fragen könnet!“ — (Rosaffa schwieg lange still; Thränen stiegen in ihren Augen auf; sie suchte dieselben zu verbergen.) „Denkt Euch, Fiorentino, denkt Euch ein junges, unerfahrnes Mädchen, welches noch nichts von den Gefühlen der Liebe kannte, welches nur zu tändeln, sich zu schmükken und zu gefallen verstand; ein Mädchen, welches von seinen eignen Eltern, von Verwandten und Fremden ihrer Schönheit willen geschmeichelt, von Dichtern unzählig oft besungen, von Malern und Bildhauern zu Modelen ihrer Göttinnen erhoben wurde. Denkt Euch solch ein Mädchen und sagt mir, wessen war die Schuld, wenn dasselbe so bald verdorben wurde? — Dieses Mädchen, angebetet von allen Jünglingen, wurde der Gegenstand von der Liebe eines Fürsten. Er warb um ihr Herz, um ihren Besitz. O, Fiorentino, und hätte auch der Werber selber nicht Reize genug besessen ein schwaches Weib zu fesseln, wie viel verführerische, allgewaltige Mittel sind zu einem solchen Zwek nicht in den Händen der Fürsten? wie könnte da ein eitelgebildetes Mädchen länger widerstreben, wo die Eltern es selbst zu dem reizenden Schritte zwingen? Fiorentino, hasset mich nicht, denn ich rede von mir selber.“

Duur wußte nicht wie ihm wurde. Stiller Mitschmerz beklemmte seine Brust; er rükte Rosaffen näher, und sah ihr mit weichern Blikken ins Auge.

„Wenn nun endlich der Geist des betrognen Mädchens erwacht;“ fuhr Rosaffa fort: „wenn es sichs nun seiner Unschuld, wie in einem Traum, entrissen findet; wenn nun das reine Feuer der Liebe für einen Liebenswürdigen zum erstenmahle in ihrem Busen aufzulodern beginnt — ach, und keine gütige Hofnung ihren Wünschen wohlthut; wenn — — doch ich breche ab! — Fiorentino, ich frage dich, zweifelst du noch, ob ich unglüklich sei?“

„„Ihr habt mich gerührt!““

„Kalter, Gefühlloser — nur gerührt? — o Fiorentino!“ (mit diesen Worten sank sie nieder in seinen Arm, und blikte schwimmenden Auges zu ihm auf.)

„„Rosaffa!““ stammelte er und drükte sie an sich.

„Ich — liebe dich, Fiorentino! — bist du diesem Geständnis böse?“

„„Wie könnt’ ich das?““

„Liebst du Rosaffen — kannst du Rosaffen lieben?“

„„Herzog Piedro““ — — —

„Nur ein einziges, armseliges Ja, oder Nein antworte mir!“

„„Der Herzog — — —““

„Ha, verdammt, mit deinem Herzoge!“ rief sie und sprang auf: „Sich mich an, Mensch, verblüht bin ich noch nicht, und noch nicht deines Ekels werth!“

Florentin bestürzt und verwirrt stand auf, und suchte dies gefährliche Mädchen zu besänftigen; aber die Kanelleserin hörte ihn nicht. Sie ging seufzend auf und ab. „Nein,“ sagte sie: „du liebst mich nicht, denn die Sprache des Liebenden tönt anders, als die deine. Und doch, Fiorentino, o Fiorentino, wär’ es nicht möglich, daß du mich einst — — Aber nein; nur ausforschen wollt’ ich dich — Mehr wollt’ ich nicht. Ein Wort von dir konnte mir schon zu viel sagen!“

Der Graf wollte reden, aber sie hörte ihn nicht. Die weibliche Schaam bestürmte sie mit hundert Vorwürfen; ihr Stolz empörte jeden Tropfen Bluts in den Adern; sie wollte sich fassen und vermogt’ es nicht. So dauerte es lange.

„Ich bin unglüklich!“ sagte sie nach einer Pause, in welcher der Graf in keiner geringen Verlegenheit dagestanden: „ich bin sehr unglüklich, dem Himmel seis geklagt! — Geht, und laßt niemanden eine Spur von dem, was unter uns vorfiel, wittern, oder, bei Gott, Ihr lernt eine Kanelleserin kennen! — Geht, und, um alles in der Welt, bemitleidet mich nur nicht. Euer Mitleiden ist mir entsezlich; hütet Euch! Hütet Euch, sagte ich, oder ich mache Euch in eingen Tagen zum Gegenstand des allgemeinen Mitleids und Bedauerns. Mir sind gewisse Geschichten bekannt, welche Euch um den Kopf bringen dürften, wenn sie bekannter würden; gewisse Pläne von Aufruhren, Enthronungen und so mehr! — Ich wette, Euer ganzer Anhang dürfte sich in kurzer Zeit auf dem Schaffot wälzen! — Kennt Ihr mich nun?“

„„O, so wahr ich lebe,““ rief Duur plözlich wider das Weib angeflammt mit einer wilden, schreklichen Miene: „„Kanelleserin, ich kenne Euch! — Aber bei dem gegenwärtigen Gott seis Euch furchtbar geschworen, der erste mordsüchtige Gedanke, welcher in Eurer schwarzen Seele aufschießt, soll Euch mit selbiger Münze bezahlt werden. Gelüstets Euch den Grafen Duur kennen zu lernen, so erprobt ihn!““

Er sprachs, wandte sich um und lies sie betäubt allein dastehn.

So hatte Rosaffa noch nie den Grafen gesehn, noch nie hatte so ein Mann in Kanella wider sie gestanden. — Sie bebte; ihr Gewissen schauderte; sie sah den Fürchterlichen zwischen den Bäumen verschwinden; Fieberfrost in den Gliedern und Rache im kochenden Busen verlies sie den Park.

Sechstes Kapitel.
Die schwarzen Brüder.

Aber ein schreklicher Tumult erhob sich eines Morgens im herzoglichen Pallast; alles lief blas und verwirrt durcheinander hin; Piedro rasete von Zimmern zu Zimmern; der Kardinal und Moriz wurden eiligst herbeigeschaft; die Hofdamen weinten, und ermannten sich von Ohnmachten, um in neue zu fallen — alles lies die größte Bestürzung blikken. —

Rosaffa war ermordet.

Schwimmend in geronnenem Blute, einen Dolch in der Brust fand man sie entgeistert in ihrem Bette, als sie von ihren Zofen früh besucht wurde. Auf der Erde lag eine Pergamentrolle, darauf stand mit großen, lesbaren Zügen geschrieben:

„Sie trat das Recht öffentlicher Richter mit Füssen, drum ward sie von uns gerichtet. — Auf ihr ruhte das Verderben des Staats; auf ihr der unschuldige Tod manches Biedern, auf ihr das Elend der Verwiesnen und Verarmten — sie ward am Ende dem allgemeinen Wohl gefährlicher noch, darum ward sie hingerichtet vom

Gericht der Unbekannten.“

Niemand war entnervter bei dieser Szene, als der schwache Piedro, niemand ob dieses Zettels bestürzter, als der Prinz Moriz, und niemand verzweiflungsvoller, als — Duur. Mit Grausen standen sie alle da um Rosaffens Bett, anstarrend die Ueberreste einer so gewaltsam zernichteten Schönheit. Sie, deren Lächeln noch vor zwölf Stunden den ganzen Hof entzükken, deren finstre Stirn einen Fürsten zittern, ein Herzogthum schaudern machen konnte, — sie war jezt ein machtloses, zerstörtes, unnüzzes Prachtstük.

Königlich waren die Anstalten zu ihrem Begräbnis; drei Tage stand ihr Leichnam hindurch in einem kostbaren Sarge zur Schau — aber niemand, auch kaum ein neugieriges altes Weib, schlich sich herbei die Ermordete zu sehn. Meister der harmonischen Tonkunst führten am Tage ihrer Beerdigung öffentliche Trauermusiken auf, aber — kein Auge näßte sich. Kanellas Dichter besangen die Hingesunkene, und keiner las die schwarzberänderten Blätter.

Elendes Loos der im Leben vergötterten Bosheit! — der Seufzer eines Edeln über dem Grabe des Guten ist unendlich köstlicher, als die kunstgebildete Thräne eines Marmorbildes über des Sünders Gruft, welche die Flüche der Unglüklichen umrauschen!

Moriz, dessen Gedächtnis die ehmahlige Korrespondenz der Unbekannten mit ihm, und die fatale Begebenheit mit den maskirten Kerln, welche ihn auf der Straße so unsanft zugesprochen8), noch nicht verloren gegangen war, befand sich jezt in keiner angenehmen Lage.

Freilich waren es bis zum entscheidenden Abend des ersten Septembers nur etwa noch acht Tage hin, — aber wie viel Querstriche konnten ihm nicht in dieser Zeit noch von den verwünschten Unbekannten durch seine Pläne gezogen werden? — Jezt fing er sich an vor Florentinen zu fürchten, denn um seinetwillen hatten die Unbekannten ihn ehmals an Herzog Adolfs Hof so übel mitgenommen, und seit Florentin in Kanella etwas merkwürdiger geworden, hub sich auch sogleich das alte Unwesen wieder an.

Morizens Gewissen pochte; es war sich keiner schönen Thaten bewußt, welche sonst die beste Arzenei in kritischen Augenblikken wider das Herzklopfen sind; überdies hatte Florentin die sämmtlichen Papiere von Sr. Hoheit in den Händen, worin das ganze Gewebe der schlummernden Verschwörung und des drohenden Aufruhrs gar deutlich angegeben stand, — und wie leicht konnte der Graf auf einen bösen Einfall gerathen! — Der einzige Trost für ihn waren die glüklich ablaufenden Werbungen, indem jezt schon nicht mehr, als funfzehn tausend Mann auf den Beinen standen, die theils in der Residenz, theils in der Nachbarschaft quartirt waren. Zur größten Sicherheit verstärkte er die Wachen um seinen Pallast.

Aber man denke sich sein Entsezzen, als Flimmer an Rosaffas Begräbnistage mit der Botschaft zu ihm hereintrat, daß er aus sicherm Munde erfahren habe, Sr. Eminenz der Kardinal Benedetto wisse nicht nur umständlich von Morizens Anschlägen, von der Bestimmung der angeworbnen Mannschaften, von der am Septemberabend bevorstehenden Landesrebellion, sondern habe auch schon, im Fall der Aufruhr nach Wunsch ablaufe, eine Bulle von Sr. päbstlichen Heiligkeit in Bereitschaft, vermöge welcher er sich zum Vormund des Piedro und Interimsregenten des Staats aufzuwerfen die Vollmacht habe.

Dem Prinzen wurd’ es bei dieser Post dunkel um die Augen; sein braunes Gesicht wurde blasgelb, und es fehlte wenig, daß er vor Schrekken umgesunken wäre.

Was blieb ihm bei solchen Umständen zu thun übrig? — Hiergegen fruchtet keine Verstärkung der Leibwache, und eine Bulle konnte leicht dreisig tausend Mann schlagen!

Flimmer fragte den Prinz etliche mal, aber gewann keine Antwort; erst nach einer halben Stunde kam dieser wieder zu sich selber. Einige Flüche machten ihm erstlich Luft, dann war seine sehr natürliche Frage: „Was soll ich thun?“

„Eben das ists, was ich schon längst gern von Euch erfahren möchte!“ entgegnete der Sekretair.

„Ich werde unsinnig!“

„„Freilich, es ist schmerzhaft solchen Streich leiden zu müssen — erfahren zu müssen, daß, wo man am sichersten mit seinem Schiffe zu seegeln wähnt, Klippen, Sandbänke und Untiefen den augenbliklichen Untergang drohn. Und doch ists besser noch zur rechten Zeit die gefährliche Situazion zu entdekken, als dem Schiffbruch unwissend mit vollen Seegeln entgegenzustürzen.““

„Da hast du Recht, aber das beruhigt mich nicht!“

„„Ihr habt ja einen so wakkern Piloten, gnädigster Herr, einen Duur, der Euch leichtlich retten könnte!““ sagte Flimmer und grinsete teuflisch dazu.

„Ah, verdammt! wer weis, ob nicht der Schurke selbst mein ganzes Verderben zubereitet hat!“

„„Aber Ihr selber, mein Prinz, Ihr selber habt mir ja oft die Unmöglichkeit dargethan, daß Duur so handeln könne.““

„Und du elender Bube, willst meiner auch noch spotten?“ —

„„Ihr versteht mich nicht.““

„Augenbliklich schikke einen Boten zum Grafen, daß er sogleich zu mir komme.“

Der Bote ging; der Bote kam und brachte statt des Grafen Entschuldigungen zurük.

Jezt faßte Morizens Argwohn Wurzel, und seine Wuth wurde fürchterlich. Flimmer stand rath- und thatlos da, und grübelte und spannte seinen Wiz auf die Folter, und erfolterte nichts.

„Was sinnst du da, Narr!“ redete ihn Moriz an, der auf ihm zuging und ihn so vertraulich an die Schulter anpakte, daß er gern hätte laut aufschreien mögen: „Was sinnst du? — Wenn die Noth am größten ist, wird doch Moriz nur allein Rath zu schaffen und zu helfen wissen. Sei ruhig, sei ruhig, armer Gauch! der Kardinal soll sich betrogen haben, entsezlich betrogen haben. Das sagt Moriz! Ich stehe wider den ganzen Sturm; mag er nur entgegenbrausen — ich will stehn. Siehe, wenn mein Kopf erkrankt, meine Autorität im Volke stirbt, meine funfzehn tausend die Flucht ergreifen, wenn alles verloren geht, alles: — so geht auch ein Kardinalsleben zur Neige. Verstehst du mich? — Es ruhen schrekliche Mittel in meiner Macht; ich kann einen Staat umstürzen, wenn auch nicht wieder aufbauen; ich kann mir Wege über Leichen bahnen, wo Lebende mir die Huldigung versagen; ich will über Trümmern wohnen, wo man mir den Besiz des Pallasts abschlägt. Folge mir in mein geheimstes Kabinet, vorher aber befiehl, daß binnen drei Stunden kein Mensch sich in der Nachbarschaft desselben gewahren lasse.“

Siebentes Kapitel.
Der Garten von Dosa.

Noch war an eben diesem interessanten Tage die Sonne nicht untergangen, als auch Florentin unruhiger war. — Badner hatte ihm nämlich einen Brief gebracht, der abentheuerlich genug klang und in folgenden Worten abgefaßt war:

Vinzenz,“

Habt Dank von uns, daß Ihr unsre Hoffnungen nicht zu täuschen vermochtet; Heil Euch, Ihr seid der größten einer im Bunde! — Beharrt Euern Plan getreu. Verherrlicht Euch in der nahen erhabnen That; ein lieblicher Glanz wird von Euch auf unsern Bund zurükfallen. Wir sind Eurer wohl eingedenk; den Beweis davon findet Ihr im Städtlein Dosa, an der Kanellesischen Gränze. Dahin eilet straks nach Empfang dieser Zeilen, es wird Euch nicht gereuen. Euer Quartier sei das Wirthshaus zum goldnen Dorn. Eilet!“

Die schwarzen Brüder von
Deutschland
.“

So wahr, als jeder meiner Leser, durch solchen Brief in Florentins izzigen Verhältnissen mit Kanella, in Verlegenheit gerathen wäre, eben so gerieth auch Florentin nach Lesung des Schreibens in eine der unangenehmsten. Was sollt’ er thun? — Kanella verlassen, zu eben der Zeit, da sich der Staat der lezten, entscheidenden Krisis genahet? Kanella verlassen und zwar in einem Zeitpunkt wo seine Gegenwart unausbleiblich nothwendig, wo noch einer der gefährlichsten Streiche in Rüksicht des Prinzen und des Kardinals zu vollführen war? —

Er schwankte.

„Was hab’ ich in Dosa mit den schwarzen Brüdern aus Deutschland zu schaffen?“ fragte seine Neugier oft, und die thätige Fantasie wußte tausenderlei Vielleichts zu entgegnen. Das lieblichste war Florentinen das angenehmste, und dieses lies nichts geringers muthmasen als Holdern in Dosa zu finden.

„Holder in Dosa!“ sprach er dann zu sich selber in halbem Entzükken: „Holder in Dosa! o, mein Gott, da ihn nach so langer Trennung wieder zu finden, wieder zu umarmen! — Was wird er mir alles zu sagen, ich ihm alles zu erzählen haben! — Da werd’ ich von dir hören, göttliche Louise, da von meinem Erstgebornen, meinem Karl! — da von Schwester Rikchen, vom guten Onkel. — Ach, Gott, ja! ich muß dahin, ich lasse die seligste Stunde meines Lebens so nicht entstreichen!“

Sogleich wurden einige Billette geschrieben, versiegelt und an die schwarzen Brüder in Kanellas verschikt, welche sich um Mitternacht in Florentins Garten, der an seinen Pallast stieß, zu versammeln eingeladen wurden. Gotthold und Dulli richteten alles zur schleunigen, geheimen Abreise ein; der Graf selber arbeitete bis um Mitternacht. Er siegelte zwei ansehnliche Pakete von Schriften und Briefen ein, beide an Sr. Durchlaucht, dem Herzog Piedro von Kanella addreßirt, höchst eigenhändig von demselben zu erbrechen.

Eine fürchterliche Mine sollte zum Wohl der Republik gesprengt, der Kardinal Benedetto und Prinz Moriz morgendes Tages von ihrer gefährlichen Höhe herabgestürzt und zur Revoluzion am ersten Septemberabend kraftlos gemacht werden.

Lange hatte der Graf hieran gearbeitet; denn nicht umsonst war er in die Geheimnisse dieser beiden Staatsmänner eingedrungen, hatte er einen schönen Theil seines Lebens in den ekeln Gesellschaften des Hofes vergehn lassen, hatte er die unsichre, gefahrvolle Protheusrolle gespielt und oft sein Leben daran gewagt.

Inzwischen hatten sich die schwarzen Brüder der höhern Ordnung im gräflichen Garten versammelt, wohin sie durch eine abgelegne Hinterpforte unvermerkt gelangen konnten. Es war finstre Nacht, der Himmel umwölkt, mond- und sternlos. Florentin, den Brief der schwarzen Deutschen in der Hand, trat jezt unter ihnen hin.

„Freunde,“ sprach er: „entschuldigt bin ich durch diesen Brief, worin ich von den deutschen Verwandten unsers heiligen Bundes gen Dosa beschieden worden, ich sage, entschuldigt bin ich durch ihn, daß ich Euch auf eine Stunde im nächtlichen Schlummer störte und hier versammelte.“

„„Ihr nach Dosa? — jezt nach Dosa? verlassen wollt Ihr uns jezt in der Noth?““ so schollen etliche Stimmen verworren aus der Menge hervor, indessen andre der Versammelten beim Laternenschein Florentins Brief lasen.

„Ja, ich muß Euch verlassen, muß dem Bunde gehorchen; ehe noch der Morgen graut bin ich ausser Kanellas Mauern. Dosa ist von hier nicht allzu entlegen; es wird die Reise von etlichen Tagen sein. Der erste September sieht mich wieder hier.“

„„Warum wollt Ihr jezt hinweg, da die Gefahr vor der Thür liegt?““ schollen die vorigen Stimmen, aber schon weniger laut zurük.

„Ihr habt meine Antwort gehört!“ entgegnete Duur mit ernsterm Ton: „Glaubt Ihr, daß ich aus Furcht zu entfliehn, oder mich von der nahen furchtbaren Szene zu entfernen gedenke? Ha, Brüder, kann man mich einer feigen Schurkerei bezüchtigen unter Euch? Sezt ich nicht oft schon Gesundheit und Leben öffentlichen und verborgnen Gefahren um Kanellas Wohl aus? — Ich kehre zurük, um am Abend des ersten Septembers an Eurer Spizze zu stehn, kehr zurük, und wär es auch zum Opfertode für Eure Freiheit.“ —

„„Ihr seid entschuldigt!““ riefen einige.

„Verlangt Ihr, daß ich durch einen Eid zeitliches und ewiges Wohl verpfände?“

„„Ihr seid gerechtfertigt! Ihr seid gerechtfertigt!““ riefen mehrere.

„Oder will jemand meinen Muth auf dieser Stätte in diesem Augenblick mit seiner Degenklinge messen?“

„„Still! still! still!““ riefen alle: „„kein Mistrauen unter uns!““

„Wohlan!“ erwiederte mit sanfterer Stimme der Graf: „so laßt mich ziehn, und beweiset nun auch Ihr während meiner Abwesenheit Muth und Geistesgröße. Habt Acht! kaum werde ich in Dosa angelangt sein, so stürzen zwei Männer von ihrer schwindlichen Höhe hernieder, die der Volksfreiheit die gefährlichsten waren. — Moriz und Benedetto, diese Riesen werden fallen!“

„„Wie ist es möglich!““

„Diese Männer wußten allein am Hofe um die große Verschwörung; sie wußten um alles durch mich. Sie selber mußten die Hände anlegen die Schlinge wieder aufzuknüpfen, welche sie despotisch um den Hals der Kanelleser geworfen hatten; sie selber mußten Waffen und Geldsummen liefern, damit wir den großen Plan mit Nachdruk ausführen könnten. Ohne ihre Hülfe würden wir nichts vermogt haben, darum verzettelt’ ich sie selber in das Komplot, und hielt ich sie fest darin durch falsche Vorspieglungen. Jezt aber ist es Zeit sie wieder von uns auszustoßen; sie gruben der Nazion eine Grube, darum stürz’ ich sie selber hinein. Ihre wichtigsten Papiere, und selbst Benedetto’s päbstliche Bulle, welche ihn zum Vormund Piedros und Kanellas Regenten erkohr, sind in meinen Händen, und morgen lieset sie der Herzog! — Morgen sind Moriz und Benedetto Staatsgefangne! —“

Ein frohes, verworrnes Gemurmel erhob sich; die Männer drängten sich näher um den Edeln.

„„Seit ich am Hofe öfter und geliebter erschien, werdet Ihr, Brüder, bemerkt haben, daß die Kanelleser zehnfach unglüklicher geworden, als sie es vorher waren. Ihr schienet vor mir zu zittern, und mich geheim als den Urheber dieser allgemeinen Noth anzuklagen. Ja, und ich wars. Ich wars, der die empörendsten Ungerechtigkeiten wider Kanella übte; ich wars, der die unseligen Werbungen im Lande veranstaltete; ich wars, der die ältesten Rechte der Städte mit Füssen trat — wars, der die elenden, bejammernswürdigen Bürger oder Sklaven von Kanella bis zur Verzweiflung trieb, in welcher sie sich izt befinden. Allein so weit mußt’ es im ganzen Lande gedeihen, verzweifeln mußten die Kanelleser, um fähig zu sein ihr Joch abzuschütteln, denn Gefühl für Größe und Freiheit schlief unter ihnen. Jezt ist eine allgemeine Revolte nothwendig; sie ist nicht mehr zu verhindern. Ihr indessen wacht jezt mit verdoppelter Scharfsichtigkeit über alles, was geschehn könnte; hütet das Arsenal, die Magazine; und was sonst von importanten Pläzzen, Gebäuden und Wachthäusern in der Gewalt der schwarzen Brüder ist, wohl; erhaltet Ordnung, und harret mit Kälte und Geistesgegenwart dem ersten Septemberabend entgegen! — Lebt wohl!““

Der Graf sprachs und wünschte ihnen eine gute Nacht — „Gute Nacht!“ riefen die Männer, und wer da konnte, drükte dem großen Fiorentino dankbar die Hand.

Achtes Kapitel.
Fortsezzung des Vorigen.

Gewis war Duur mit Dulli noch nicht eingetroffen im Dosanischen Wirthshause zum goldnen Dorn, als seine Weissagung zu Kanella schon in Erfüllung gegangen. —

Es bedürfte eben keiner Thron- und Lebensgefahren um einen Schwächling, als Piedro, aus aller Fassung hinauszustürzen. Ein mislungenes wollüstiges Projekt, eine verdorbne Frisur, die Ohnmacht einer Dame, der Tod eines Schooshundes war allein schon stark genug ihn aus dem Sattel seines Gleichmuths zu heben. Und nun denke man sich die Lage dieses kleinherzigen Prinzen beim Empfang der Florentinischen Briefe; denke sich sein Entsetzen, Schaudern, Verzweifeln während des Lesens.

Er sank, wie vom Schlage gerührt, kraftlos auf das Sofa nieder; Todesblässe floß über sein Angesicht, Todesschweis drang in kalten Tropfen aus allen Poren hervor; die Hände zitterten wie in einer betäubenden, halben Lähmung, die Knie schlotterten heftig.

So lag er da, ein Gegenstand des Mitleidens, der Erbarmung, lag er da, als hätte ein Donnerschlag seinen Insektenmuth gänzlich vernichtet, und alle Kraft aus Nerven und Gebeinen verzehrt. Nach Viertelstunden erwachte er wieder wie von einem Todesschlaf — Traum wars nicht gewesen, die gräflichen Briefe widerlegten ihn, so gern er sich vom Gegentheil überredet hatte. — Er weinte.

Jezt erschien seinem Geiste Florentin von Duur in der erhabensten Größe; er bewunderte den Mann mit Thränen, eben den, welchen er einst so sehr übersah. All sein Vertrauen warf er izt auf diesen Engel; er schikte zum Grafen, wünschte ihn privatissime zu sprechen, allein Duur war längst verschwunden.

Zum Erstaunen des ganzen Kanella wurden der Prinz Moriz und der eminente Kardinal an eben dem Tage unsichtbar; denn Piedro hatte beide hinterlistig zu sich gebeten, sodann von verschwiegnen, getreuen Offiziren in abgelegnen Zimmern seines herzoglichen Pallastes gefangen halten und in der Nacht heimlich auf ein Landschloß transportiren lassen. Ihre Palais wurden stark bewacht, ihre Geräthschaften versiegelt und eine Untersuchungskommißion wurde niedergesezt, die den beiden Staatsverräthern den Prozeß machen sollten.

Wir lassen jezt Morizen fluchen, Benedetten anathematisiren und Piedron sich schmeicheln eine Verschwörung zerstört, einem nahen Aufruhr vorgebeugt zu haben, und wenden uns zum Grafen, der kaum anderthalb Tage in Dosa war, als er die Ursach seiner Dahinberufung erfuhr.

Ein Mädchen trat an einem Vormittage in sein Zimmer, erkundigte sich nach ihm und überreichte ihm ein versigeltes Handbriefchen. Florentin stuzte, erbrach das Billet und las:

Gnädiger Herr,“

Sie werden von einem Landsmanne ergebenst gebeten, diesen Nachmittag ein Glas Wein mit ihm in seinem Garten vor Dosa zu trinken. — Ich erwarte sie gewis.“

„Ihr Freund.“

Der Graf war etwas verlegen. Die Zofe sah ihn unverwandt an und lächelte.

„Wer ist denn dein Herr, liebes Mädchen?“

„„Er hat mirs verboten Ihnen seinen Namen zu nennen!““ antwortete sie in deutscher Sprache.

„Wie? bist du eine Deutsche?“

„„Freilich; mein Herr hat mich aus Deutschland mit hieher genommen; ich bin die Gesellschafterin seiner Tochter.““

„Seiner Tochter!“ wiederhohlte Florentin langsam, der noch immer im süssen Wahne gestanden, daß Holder ihm den Scherz spiele. Er besann sich ein Weilchen.

„„Werden Sie hinauskommen?““

„Sag mir, mein Kind, ob dein Herr“ — —

„„Ich verrathe Ihnen gewis nichts.““

„Gesezt aber ich erriethe seinen Namen.“

„„Desto besser für Sie.““

„Heißt er etwan — Aellmar?“

„„Mit nichten! — aber werden Sie kommen?““

„Gewis. Wo liegt der Garten?“

„„Zum Südthore hinaus, eine Viertelmeile von der Stadt entlegen, am Dosanischen Gehölz. Sie können ihn unmöglich verfehlen. Eine hohe Kastanienallee führt Sie da links vom Wege ab; die Gartenpforte steht offen und über derselben werden Sie drei Aloeblumen entdekken.““

„Das Geheimnisvolle deines“ —

„„Ihre Dienerin!““ sagte lächelnd das Mädchen und hui schlüpfte sie hinaus zur Thür.

Duur stand lange verwirrt ob der seltsamen Erscheinung da, doch was sollt er machen? mit Ungedult erwartete er den Nachmittag und bis dahin suchte er sich die Langeweile, welche er bis jezt nur dem Namen nach gekannt zu haben schien, so gut als möglich zu vertreiben, durch Musik und Träumereien.

Aber eben diese versezten ihn bald in eine mehr wehmüthige als ernste Stimmung des Gemüths; der Nachmittag erschien, und mit halbem Widerwillen lies er das Pferd satteln, schwang er sich auf und trabte er langsam der angewiesnen Straße zum Garten am Dosanischen Gehölz nach. —

„Wann werd’ ich Euch wieder erblikken, Gespielen meiner Jugend, ihr Geliebten meines Herzens?“ schwärmte er vor sich hin: „Wann werd’ ich euch wieder erblikken, ihr heiligen Gegenden meines Vaterlandes, worin ich zuerst des Lebens Werth empfand? Ach, daß ich es dürfte, wie gern flög ich Euch jezt entgegen! — — Onkel, mein alter guter Onkel, ich will ja gern in deiner Umarmung alles, alles vergessen, was der Nachruhm herrliches hat; Will gern bei deinen süssen Plaudereien, o Rikchen, das Jauchzen des dankenden Volks vergessen; will bei dir, mein Holder, in seliger Ruhe aller Pracht und Größe entsagen — ach, ich opferte gern die Unsterblichkeit meines Namens einigen frohen Augenblikken in eurer Mitte auf! — O Schiksal, Schiksal gieb mir Ruhe! — und du, Bündnis der Schwarzen, wieviel bist du mir zu geben schuldig!“

Inzwischen er so mit sich selber sprach, stand sein Pferd am Ende der Kastanienallee vor der Gartenthür mit den Aloeblumen.

Er stieg ab, band das Ros an und trat in den einsamen Garten. War es Ahndung, oder die von den vorigen Bildern aufgeregte Einbildungskraft, welche in ihn wirkten, weis ich nicht. Ein heimlicher Schauer drang durch seine Glieder; beklemmt und froh schlug sein Herz einem unbekannten Etwas entgegen; seine Blikke durchflogen die liebliche Wildnis, wo halbe Kunst und halbe Natur herrschten.

Niemand, ausser ihm, war im Garten. Er erstaunte. „Was soll ich hier?“ fragte er sich laut, und leise schien ihm eine innre Stimme zu antworten: „Freund, nicht vergebens bist du hier!“ — Er schwankte vorwärts, halb mißvergnügt, halb neugierig.

In der Ferne, hinter Gebüschen, schien etwas Weises vorüber zu schweben. Mit einer unerklärlichen Unruhe eilte er dahin, je näher er dem Orte kam, je mehr seine Schritte an Schnelligkeit verloren.

Er stand vor einer verschlossenen Laube. Plözlich flog ein Gewebe von Ranken zurük, und — o Gott! — — Louise lag in seinen Armen.

„Louise! — Louise! — angebetete, geliebte Louise! —“ rief er bebend; Seine Knie brachen; er sank auf den Rasen nieder, und sie hieng in seiner Umarmung fest.

„O Louise!“ rief er, nach einer nur der Empfindung, nicht der Dichtkunst heiligen Pause, und preßte seine Lippen auf ihren Mund: „Louise, träum’ ich dich!“

Aber Louisens Lippen öffneten sich nicht zur Antwort. Da lag sie mattathmend, aufgelöst in schmerzlicher Wollust, alles- und nichts-empfindend in seinen Armen. Ihre schönen Augen starrten ihn unabwendlich an, als wollten sie seine Züge für eine ewige Trennung auffassen. Ihr Mund war verschlossen, ihre kippen vergalten keinen Kuß; ihr Ohr schien den Ausrufungen seines Entzükkens taub; ihr ganzer, mit tausend Reizzen geschmükter Leib schien Kraft und Leben verloren, ihr Geist berauscht sich höhern Regionen entgegengeschwungen zu haben.

„Meine Louise!“ rief der Liebende und seine Augen zerschmolzen in Thränen. Er hob seufzend die schöne Leblose zu sich empor, und verbarg sein Antlitz an ihrem Busen.

Lange verweilten beide in dieser Attitüde; keiner sprach; Seufzer traten an die Stelle der Wörter.

So lohnt die Liebe. So lohnt sie nach überstandnen Leiden; sie schöpft ihre Wonne aus himmlischen Quellen, und beut tröstend dem müden Sterblichen ihren heiligen Kelch. Dann verliert die irdische Herrlichkeit ihren Werth; dann verschwindet jeder Reiz dieser Erdenwelt, und die Seelen der Liebenden schweben, entrückt des Staubes Hülle, über den Sternen hinaus.

Wiederfinden, Wiedersehn nach langer quaalvoller Trennung, wie lieblich bist du! Bei dir zerschmilzt die heisse Sehnsucht in Ruhe; da zerlöst sich der Harm in süsser Wehmuth; da vergißt die Sterblichkeit ihr Loos, und zerfließt die Sinnlichkeit in Nichts. Da vermählen sich Seelen mit Seelen unterm Seegensruf der Ewigkeit; da fühlen Geister ihren göttlichen Ursprung, und die schweigende Natur feiert die hohe Empfindung. — Wiedersehn, Wiederfinden nach langer quaalvoller Trennung, wie lieblich bist du! —

„Ach, Florentin!“ stammelte nach einer halben Stunde Louise, und ein tiefer Seufzer erhob ihren Busen.

„„Bist es wirklich, Einzige! — kein Traumbild, kein Fantom! Du bists. Es ist deine liebende Stimme!““

„Unglüklicher Florentin, du liebst Louisen noch? — Hast deine Liebe so schwer büßen müssen!“

„„Ewig hängt meine Liebe an dir.““

„Hast viel gelitten um Deiner Louise willen.“

„„Unendlich viel! — ich hatte ja alles verloren. — Ach, seit du an meiner Brust liegst, hab ich dreifach — tausendfach mehr dafür wieder gewonnen. Ich bin zufrieden. Meine Wünsche hören auf.““

„Florentin, so viel Liebe hab’ ich nicht verdient.“

„„Hast sie verdient und mehr. — Was war ich ehe du mich geliebt? ein Geschöpf sonder Werth! — durch dich wurd ich alles.““ — —

Sie weinten beide. Ihre Sprache verlor sich. Sie umarmten sich lange.

„Ah!“ lispelte Louise und die Seligkeit ihrer Seele mahlten sich in den schwimmenden Blikken, auf den erröthenden Wangen, in den lächelnden Zügen ihres Angesichts wieder:

„Wer hätte es im herzoglichen Schloßgarten an jenem Abend von uns wähnen sollen, daß wir uns hier wieder finden würden? Erinnerst du dich noch an das Strumpfband?“

„„Wie könnt’ ich den kleinen Urheber all meiner Freuden und Leiden vergessen? — Ach preise jene Stunden selig, da eine morsche Bank dein Thron war und ich zu deinen Füssen lag und dir Liebe gestand. Ich preise jene Stunden meines Lebens selig, denn ohne sie würd’ ich dich hier nicht besizzen.““

So sprachen, so koseten die Liebenden lange miteinander. Alle frohe und traurige Szenen der Vergangenheit wurden geschildert und wieder geschildert; jede Kleinigkeit ward zur Merkwürdigkeit, ein hie und da verloschnes Bild mit neuen Farben aufgefrischt.

Bald wandelten sie Arm in Arm, Hand in Hand verschränkt in einsamen Gängen umher; bald ruhten sie wieder im Schatten hoher Bäume; bald genossen sie in einer angenehmen Grotte Erquikkungen von den auserlesensten Speisen und Getränken; bald schwiegen sie Viertelstunden hindurch, Hand in Hand, Blik in Blik, Seufzer in Seufzer, Seel’ in Seele, verloren. Und so entschwand der Tag, so entfloh der schönste Abend wie die Fantasie eines Augenbliks. Kein fremdes Auge belauschte die Glüklichen; nur die Zofe Louisens, die bewußte Briefträgerin, sorgte für die Bequemlichkeiten der geheimen Liebenden.

Die Nacht zog am Himmel herauf; es war eine begeisternd schöne Nacht, war gewis von allen angenehm durchwachten Nächten des Grafen eine der lezten für ihn auf Erden. Hingegossen lag er unter einem Pfirsichbaum; die schwanweißen Arme um ihn geschlagen ruhte die Fürstentochter neben ihm. Ueber und um beiden webte ein Hollunderbusch die niedlichste Laube. Hell funkelten die Sterne aus der wolkenlosen Luft herunter; verklärt im Mondlicht schwamm der Garten; sanft rauschte der Abendwind durch die Wipfel der Bäume.

„Was fehlt unserer Glükseligkeit noch?“ fragte Duur und küßte Louisens Stirn.

Louise. Die Dauer der Ewigkeit.

Duur. (erschüttert) Du hast Recht. O, warum sind die Freuden des Lebens an den Maasstab der Zeit gebunden? — Ach, Louise, Louise, wie bald werden wir uns trennen müssen! (Eine Pause. Er versucht es sich von dem traurigen Gedanken loszuwinden. Indem er sich über Louisens Angesicht hinbeugt:) Du bist mein Weib?

Louise. (schaamvoll zitternd) Ich bin noch — dein Weib.

Duur. (ihren Worten nachsinnend) Ja, du bists, und wirst nie einem andern werden.

Louise. (schmeichelnd) Mein Florentin.

Duur. Nie einem andern, Louise?

Louise. Florentin, warum fragst du so? — O, du hast mich zum Weibe — zur Mutter gemacht.

Duur. Gott, es ist wahr, und ich konnte unsers Karlchens vergessen? — wo ist er — Mutter, Mutter, wo ist er?

Louise. In Deutschland bei Holder von Sorbenburg. — Ach, Florentin, wie gern hätt’ ich Ihn dir mitgenommen, aber — ich konnte nicht, durfte nicht! (schwärmerisch) Es ist ein göttlicher Bube, so schön, so klug, so schmeichelnd — Florentin, es ist dein Ebenbild Du solltest ihn sehn — bei Gott unter Tausenden würdest du ihn erkennen. Ich habe ihn oft auf meinem Schoose getragen; habe oft mit dem verführerischen Knaben getändelt; habe ihn den Mutternamen gelehrt und von seinem lieben Vater ihm erzählt. Wie neugierig er dann nach dir fragte, wann du heimkommen würdest — ach, Florentin, die Freuden der Mutter kann kein Männerherz nachempfinden! —

Duur. Vortrefliche!

Louise. Du wirst ihn bald sehn können: so bald du es willst.

Duur. (entzükt) Meinen Karl sehn?

Louise. Mein Bruder Adolf hat dir verziehen. Schreib an den Herzog, nur eine Zeile schreib’ ihm, und du darfst wieder in dein Vaterland zurükkehren.

Duur. Friedensbotin, wie dank ich dir?

Louise. Ja, Adolf liebt dich unaussprechlich! er ist nie düsterer, als dann, wann er an deinen Verlust erinnert wird. „Du, du hast ihn mir geraubt, Schwester“ sagte er mir oft, und so oft er mir dies sagte, bemerkte ich Thränen in seinen Augen. Kehre zurük.

Duur. (betrübt) Bald vielleicht.

Louise. Gieb ihm die alte Fröhlichkeit wieder. Zwar ist er unterdes vermählt; aber seine Gemahlin kann die Wunde nicht heilen, die dein Verlust seinem Herzen schlug.

Duur. Ich kehre zurük, so bald Kanella mich loßläßt. Ich habe dir meine Lage geschildert; du weißt wie sehr ich an Kanellas Wohl gebunden bin, oder Kanellas Wohl vielmehr an meinem Willen hängt. Du weißt, welch ein Tag mir bald bevorsteht. — —

Louise. (ihn inniger umschließend) Bedauernswürdiger Mann!

Duur. Doch sei’s. Getrost geh ich meinem Schiksal entgegen. Aber hier, an diesem Busen, will ich vorher ausruhn von meinen Thaten; von diesen Lippen will ich mir erst Kraft und Feuer zu neuen sammeln. Hier will ich Vergangenheit und Zukunft vergessen, um harmlos an der Gegenwart zu schwelgen. — O, Einzige, Liebliche, du bist ja mein, — mein! mehr verlange ich nicht aus der Fülle der Seeligkeiten.

Inbrünstig hingen die Lippen des seligsten Paars aneinander. Schön war die Nacht, aber schöner war der nächtliche Triumf der Liebe.

Der Morgen erschien. Ein halber Tag entfloß; bald war ein ganzer dahin. Die Stunde des Scheidens schlug — von einander gerissen waren die noch vor einigen Stunden die Glüklichsten der Erde, verweht wie ein Nebel, ihre Freuden. Duur glaubte aus einem Traum erwacht zu sein, als er sich nicht mehr im Arm, am Busen Louisens, sondern auf seinem Rosse den Weg von Dosa nach Kanella zurüktrabend fand.

„Gott, so habe ich nichts, nichts von der Freude genossen; ich habe mich mit Schattenbildern ergözt!“ rief er bekümmert aus.

„„Das ist’s Menschenloos nun einmal so!““ gähnte Dulli, der hinter seinem Herrn ruhig dahin trottete.

„Aber doch ist auch ein Traum schön! Schwarzen Freunde, ihr habt ritterlich Wort gehalten, Florentin von Duur wird desgleichen thun.“

„„Morgen ist der erste September!““ brummte Dulli, und ein Schauder floß kalt über seine Haut.

Neuntes Kapitel.
Sturm in Kanella.

Ho, Gianetta, schöne Gianetta, es ist der Abend aufgedämmert! Gianetta, die Erlösung Kanellas beginnt!“ rief der liebetrunkne Enriko vor dem Gemach seiner Geliebten. Und die Thüren sprangen auf; der Jüngling flog in die Arme der stolzen Republikanerin.

„Was willst du, Trauter?“ fragte sie und ihr Auge wandte sich begeistert von den Waffen des schwärmerischen Enriko hinweg.

„„Dich noch einmal sehn. O Gianetta, vielleicht, daß ich für die Vaterlandsfreiheit mein Leben ausblute.““

„Küsse mich, schöner Junge; so liebte ich dich noch nie als in diesem Augenblik!“

„„Ha, der Kuß, und dieser! — o, noch eine Million derselben und ich fühle Muth in mir den Erdkreis zu verwüsten! —““

„Ungestüm!“

„„Ha, bald schwärzt sich unsre Hochzeitnacht! Gianetta —!““

„Wie wenns Grab unser Brautbett würde? — Enriko, mein Enriko, wie dann?“

„„Wehe, ich mag den Gedanken nicht denken! — Und nun, ade, ich habe dich gesehn! ade!““

„Bleib noch! — Ist Florentin von Duur schon heimgekommen?“

„„Wahrscheinlich! weis es nicht! — Ade!““

„Verweile noch!“

„„Horch, lautet man nicht in der Ignatiuskirche? — hörst du, sie stürmen mit den Glokken! es ist das Signal!““

„Man läutet zur Vesper. Bleib noch, Trauter, o, wie wirds mir so bang im Herzen!“

„„Laß mich! — still, das war Trommelschlag! horch, wies die Gasse hinunterwirbelt. Es ist Zeit!““

„Ach, einen Augenblik noch! — Es ist das Wirbeln der Pauken im herzoglichen Pallast, beim Gastmahl!“

„Sieh, wie strömt das Volk zusammen! Waffen an Waffen! Gianetta, schöne Gianetta, ade!“

Enriko entfloh.

Wohl stürmten die Glokken, wirbelten die Trommeln, rasselten die Waffen der zusammenströmenden Kanelleser. Borghemo hörte die seltne Musik. Jach sprang er auf in einsamen Zimmer, haschte er sein Schwerd, und stekte die Pistolen in seinen Gürtel.

„Freiheit! Freiheit, du kömmst?“ rief er entzükt: „Ha schwarzen Brüder, fürwahr jezt muß ich Eure Macht anerkennen. Borghemo ist Eures Bundes nicht unwerth; schwarzen Brüder, ich leiste meine Pflicht! — Aber du, großer Fiorentino, du bist anbetungswürdig! — o wie konnt ich dich einst mißverstehen Fiorentino, ich wasche in dieser Nacht mit Blut mein Vergehen rein; Fiorentino, ich streite, siege oder falle unter deinen Augen!“

Er riefs, drükte sich den Hut tief ins Angesicht und wollte hinausfliegen, als sich plözlich die Thür öffnete und Giovanni Borsellino mit mehrern Exulanten hereintrat.

„Heil unserm Vaterlande!“ riefen die Kommenden, und der Jüngling Borsellino hing am Halse seines Freundes Borghemo.

Borghemo. (bestürzt) Wie? woher kommt Ihr Landesverwiesne?

Giovanni. Geradeswegs aus dem Exil. Ha Borghemo, sollt’ ich Euch allein in Kanella die Freiheit erkämpfen lassen? — Erinnerst du dich nicht, daß die Borsellinen von Anbeginn jedesmahl da standen, wo die Gefahr am furchtbarsten war?

Borghemo. Wo ist der alte Eo?

Giovanni. An der Spizze aller Verwiesnen und Misvergnügten im Kanellesischen Gebiet. Das ganze Land ist in Bewegung.

Borghemo. Herrlich, herrlich!

Giovanni. Bruder, wo find ich den Fiorentino von Duur? Ich muß den Mann sehen, der die ganze Maschine des verdorbnen Staats mit seiner Riesenfaust zermalmt.

Borghemo. Den Mann suche da, wo das Gemezzel am wüthendsten sein wird.

Einige Exulanten. Laßt uns den Helden aufsuchen.

Andre. Das müssen wir; bei Gott, das müssen wir.

Giovanni. Ich begebe mich nach dem Dominikusplaz.

Borghemo. Dort ists schon lebhaft

Einige Exulanten. Auf zum Fiorentino!

Giovanni. Geht, wohin Ihr wollt, ich eile zu der Stätte, welche mir in dieser Nacht die heiligste ist. Kennt ihr nicht mehr den Dominikusplaz, wo weiland mein Vater erschlagen wurde? — da will ich seinem Schatten ein blutiges Opfer bringen; da will ich morden, und meinen Vater versöhnen. Borsellino! Vater Borsellino, es schwebe dein Geist um mich in dieser Nacht.

Borghemo. Der Lärmen wächst mit jedem Pulsschlage draussen.

Giovanni. Hui! da fiel ein Schuß!

Exulanten. (stürmisch) Hinaus! hinaus!

(man hört rufen: „es lebe der Herzog Piedro!“)

Borghemo. Was?

Giovanni. (schreiend) Es sterbe der Herzog!

Alle. Es lebe die heilige Volksfreiheit!

Borghemo. Ho! wer stürmt in unser Haus?

Etliche. Leibwachen des Herzogs. Zieht die Klingen!

(Geschrei von aussen: „Verräther heraus, Rebellen heraus! es lebe Piedro!“)

Alle. (sich hinausdrängend mit bloßen Degen und Geschrei) Es sterbe Piedro, es lebe die Freiheit! — —

„Wo säumt denn Fiorentino?“ sagte Dulli ärgerlich und ungeduldig zu sich indem er seine Klinge wezte: „hussah, wie sie haussen wimmeln und lärmen, und ich darf nicht darunter wühlen; muß hier sizzen in der verdammten, engen Stube und seiner warten. — Ladda, Ladda! heut räch’ ich deine Schande! — o, arme Ladda, sähest du in dieser Nacht deinen Dulli, du würdest ihn liebgewinnen! — Still! Was war das? riefen sie drunten nicht: „es lebe Piedro?“ (er lehnt sich zum Fenster hinaus) Es sterbe der Bluthund Piedro und seine höllische Rotte! — — Hu, ein dunkler regnichter Abend — desto herrlicher wird der Morgen anbrechen. Dulli, du erlebst einen Morgen der Freiheit, oder siehst die Sonne nie wieder aufgehn. Ja, Dulli schwörts bei seiner unglüklichen Ladda!“

Inzwischen dieser wilde, mordsüchtige Mann ungeduldig das Zimmer auf- und ablief, und Florentins Langsamkeit verwünschte, saß ruhig der große Fiorentino da — und weinte.

Und weinte?“ — Ja, meine Leser, er weinte; und Thränen, wie die seinen, glänzen als Perlen, in der Ehrenkrone der Menschheit.

Er hörte das Stürmen der Glokken, Trommeln und Trompeten; er hörte den wachsenden Tumult in der Stadt; er hörte das Klirren der Klingen für und wider die Freiheit gezogen; hörte endlich auch das Angstgeschrei der Weiber und unmündigen Kleinen — und er, groß genug einen Herzog vom Thron herabzureißen, war auch gros genug alles Elend zu betrauern, welche diese Rebellion über manche Familie verschütten mußte.

„Aufruhr! Kampf der Freiheit!“ sprach er leise vor sich hin: „wie die Wörter längst in meiner Seele brannten! — Jezt beginnt das furchtbare Schauspiel, und ich — o dürft ich noch einmal den Vorhang fallen lassen! — Unerforschliche Hand des ewigen Schiksals, du warst es, die mich hieherführte, du warst es, welche die schreklichen Knoten schürzte, so diese Nacht auflösen soll — dir vertrau ich, führe mich ferner durchs Dunkel. — O das Blut der Unschuld bedekke mich nicht; nicht mir gelte euer Wimmern, lieben Kleinen; nicht mir euer Fluch in der Verzweiflung, unglükliche Weiber! — Ach, es ist so schreklich die Lebensfreuden der Glüklichen zu morden — und doch!“ — —

Florentins Seele war bewegt. Er liebte, war kaum den Armen einer Hochgeliebten entwunden — kein Wunder, wenn er so zart empfand, wenn er den einzelnen Unglüklichen, welche es durch ihn wurden, eine Thräne des Mitleids weinte.

Aber bald ermannte er sich. Kaum daß er die Waffen angelegt hatte, traten der schwarzen Brüder zwanzig bis dreißig zu ihm herein.

„Fiorentino,“ riefen sie halb verzweifelnd: „wir verlieren!“

Florentin. (kalt) Wer?

Ein Bündner. Wir, wir! des Herzogs Anhang ist gros.

Florentin. Wo stehn unsre Regimenter?

Ein Bündner. In den Straßen vertheilt nach Euerm Plan. Sie dekken die Kirchen, das Arsenal, und die Stadtthore.

Ein anderer. Was ist zu beginnen?

Ein Dritter. Borghemo hohlt jezt aus den benachbarten Dörfern die dasigen einquartirten Truppen! —

Florentin. Ihr scheint muthlos. Erlischt die Flamme des Patriotismus so bald in Euch?

Alle. (durcheinander lärmend.) Bei Gott nicht! wer spricht das? — wir wollen sterben, wenn wir nicht siegen!

Florentin. Still! — Ein Streich muß gewagt werden, der alles entscheidet. Hört an!

Alle. Redet, wir hören.

Florentin. Ist Piedro noch nicht entschlüpft?

Einer. Die Thore sind gesperrt, und stark besezt, wie könnt’ er?

Ein anderer. Tausend Mann stehn um seinen Pallast und verrammeln den Aus- und Einweg.

Florentin. Feinde?

Alle. Feinde.

Florentin. Befehlt, daß man in der Gegend des Herzoglichen Schlosses laut aussprenge, auf dem Dominikusplaz werde ein herzogliches Regiment in die Pfanne gehauen; ruft Hülfe, lokt einen Theil der Wachen des Herzogs vom Schlosse ab, sodann folgt mir nach; schleppt einige Kanonen herbei, die uns durch die zurükgelaßnen Wachen einen Weg bahnen, und dringt dann mit mir ins Schloß. Piedro muß unser sein. Auf, folgt mir.

Er sprachs.

Schon schwankten die Haufen der zurükgeschlagnen Bürger; schon scholl durch Kanellas Straßen das wilde, jauchzende: „Piedro lebe!“ schon strömte Bürgerblut, und erlosch das Feuer der Freiheitssucht in ihm; schon verzweifelten Mann und Weib den Morgen in einem republikanischen Staat zu begrüssen — als Fiorentino erschien, und sein Hervortreten den Tumult erneuerte, und seine Gegenwart neue Raserei verbreitete.

Es stürmte von den Thürmen, es stürmte durch die Straßen. Allenthalben Mord und Flucht und Sieg. Die Freiheitskämpfer griffen abermals an; laut hallte der Kanonen-Donner; Prinz Morizens Palais gerieth in Flammen. Benedettens Schloß loderte ebenfalls auf; — mit jeder Minute wurde das nächtliche Spiel fürchterlicher.

Plözlich scholls: „Hülfe! Hülfe! getreue Kanelleser hin zum Dominikusplaz! die Rebellen schlagen des Herzogs Regiment!“ — Ein Donnerschlag in den Ohren der Herzoglichen. Alles stürzte verwirrt zum Dominikusplaz; halb verlassen stand Piedros Burg.

Und jach flog Florentin an der Spizze der schwarzen Helden hervor aus dem Hinterhalte; zahllose Kanelleser umringten das Schloß; die Wachen strekten das Gewehr — die Pforten des Pallasts wurden gesprengt; der Graf mit funfzig Schwarzen durchsuchten das Gebäude und zogen den Herzog, mehr einem Todten als Lebenden ähnelnd aus seinem Schlupfwinkel hervor.

Piedro schlug die Augen auf. Beim Schimmer brennender Fakkeln erkannte er unter den ihn umgebenden Männern den Grafen.

Piedro. (zitternd — athemlos) Graf Fiorentino.

Graf. Eure Tyrannei ist zu Ende, Herzog.

Piedro. (beweglich) Fiorentino, auch Ihr?

Graf. Seht, Herzog, seht hinaus; betrachtet draussen den Greuel dieser Nacht; seht wie Bürger wider Bürger wüthen; hört das Aechzen der Erschlagenen, hört das Winseln der Verwaisten — Herzog, Landesvater, sieh das Elend deiner Kinder und rechtfertige Dich.

Piedro. (entnervt) Nehmt — nehmt alles hin, ich entsage allem — nur schüzt mein Leben wider die Rebellen.

Graf. Ich selber bin der Rebellen einer.

Piedro. Nein, Graf, unmöglich seid Ihr dies.

Graf. Ich bin mehr, bin der Rebellen Anführer.

Piedro. (zurüktaumelnd) Wehe, auch Ihr!

Graf. (mit Majestät) Piedro, vergeßt in dieser Nacht, daß Ihr vor fünf Stunden noch Herzog waret, und unterwerfet Euch der Rache des Schiksals. — Kanellas Bürger sind fortan nicht mehr Piedros Sklaven; hört Ihr’s? nicht mehr Eure Sklaven! — — Ihr bleibt inzwischen diese Nacht hindurch in der Bewahrung dieser Männer, seid ruhig, wenn Ihrs sein könnet und fürchtet nichts für Euer Leben. —

Piedro. (ergreift bebend die Hand des Grafen) Fiorentino — —

Graf. (führt den Herzog an ein Fenster) Fakkeln leuchtet hinaus! — Piedro, ruft den Kanellesern zuerst ihre Freiheit zu!

Piedro. (sich zum Fenster hinauslehnend) Wehe, welch ein Anblik.

Einige der Schwarzen. (hinunterschreiend) Stille unter Euch! der Herzog spricht! Ruhe! —

(Todtenstille von unten)

Piedro. (dreht sich vom Fenster ab) Fiorentino!

Graf. (mit furchtbaren Ernst) Ihr säumet? Hat Kanella noch nicht lange genug in Euern Fesseln geschmachtet?

Piedro. (die Hände ringend) Gott!

Graf. Seht, so triumfirt die Freiheit an der Hand der Verzweiflung. Und dies alles ist Euer Werk! — (Pause) Das Volk schweigt.

Piedro. (lehnt sich abermahls zum Fenster hinaus; er ruft weinend) Lieben Kanelleser, Euer Herzog verkündet Euch — Freiheit!

„Freiheit! Freiheit!“ schrieen tausend Stimmen durch die benachbarten Gassen, und: „Freiheit! Freiheit!“ scholls zurük von allen Gegenden der Stadt.

Ueberwunden strekten die Herzoglichen Soldaten das Gewehr — die Sonne ging auf und beleuchtete einen neugebornen Freistaat.

„O Gianetta! Frei ist Kanella!“ rief der heimkehrende Enriko, indem er der Wohnung seiner Geliebten entgegen flog. Aber ach! — im Blute schwimmend, erschossen, lag die schöne Kanelleserin an der Thürschwelle ihres Hauses.

„Gianetta! Gianetta!“ stammelte seellos der arme Jüngling, und sank mit diesen Worten auf den Leichnam seiner Angebeteten hinab. Er brannte tausend Küsse auf ihren kalten Mund; aber umsonst, der schöne Geist der Geliebten war entflohn; er durfte nicht heimkehren aus seinen neuen Wohnungen. Das Volk umringte dieses unglükliche Paar, die Wuth der ergrimmten Rebellen zerschmolz bei diesem Anblik in Mitleiden.

„Ach, so ists denn vergebens!“ jammerte Enriko! „darf ich nicht hoffen glüklich mit dir im freien Kanella zu sein? — O Himmel und Erde, erbarmt Euch mein — ich habe sie verloren; meine Seligkeit, meine Hoffnungen, mein Einziges verloren! — Grausames Verhängniß, warum ein solches Spiel mit mir!“

Er sank schmerzvoll zu Boden, sein plözliches Schweigen, sein dumpfes Röcheln machte einige Männer aufmerksam; man eilte zu ihm; riß ihm vom Boden auf und fand einen Selbstmörder.

Vierter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Ruhe? — für Florentin?

Die Sonne war aufgegangen, den Triumf der Freiheit von Kanella zu verschönern. Licht und Leben ergoß sich durch die große Natur; Licht und Leben wohnten nach langen, düstern Zeiträumen endlich wieder im Busen der Kanelleser.

Berauscht von der Freude, nun am längst erseufzten Ziele dazustehn, schwärmte das Volk durch die Straßen, mit Jubelgeschrei. Entzükken glänzte aus jedem Angesicht; neugeboren wankten Greise und Mütter und Väter hervor sich, als freie Geschöpfe, am Strahl der Sonne zu erwärmen, zu jauchzen und zu hüpfen unter Kindern und Kindeskindern; Hohe und Niedre umarmten sich auf öffentlichen Pläzzen, uneingedenk des Ranges und der Würden, welche sie sonst unterschied; was sich sonst haßte, liebte sich jezt; was sich sonst nie gekannt, schlos jezt der Freundschaft heiligen Bund miteinander. Alles war vereint, alles fühlte sich groß, und gut und edel.

„Ich bin frei!“ lallten Greise verjüngt. „Ich bin frei!“ riefen die Kranken und genasen.

„Frei sind wir!“ jubelten Männer und Weiber, und die Kinder auf den Straßen.

Duur aber befand sich noch immer im Pallast des verunglükten Herzogs. Hier empfieng er von den schwarzen Brüdern aus dem ganzen Staate die frohsten Nachrichten; hier ertheilte er ihnen seine Befehle; hier gab er die ersten Gesezze zur Wiederherstellung der alten Ordnung; hier sezte er vor den Augen Piedros die Stadtobern in ihre ehmahligen Rechte ein.

Freilich erlaubte sich der Pöbel, vom Freiheitsrausche benebelt, tausend Ausschweifungen, lange noch nach diesem Tage dauerten dieselben fort, und jeder zitterte, daß sich Kanellas Bürger durch eine fürchterliche Anarchie in grösseres Elend stürzen würden, als dem sie so eben entronnen waren; — allein Florentin verzagte nicht. Er hatte es vorausgesehn, wie geschehn würde, was geschah, und daher befremdete ihn die Wuth und Raserei den trunknen Vollers nicht. Doch die höchste Gewalt in den Händen des Pöbels ist Jupiters Donner in den Händen eines spielenden Kindes. Hier mußten Vorkehrungen dagegen getroffen, mußten Schranken wieder aufgebauet werden, und sie wurden getroffen, und die Schranken wurden erbaut.

Die Sonne gieng unter. Ermüdet von den zahllosen Arbeiten begab sich der edle Graf in seine Wohnung heim; in seinen Mantel vermummt, durch die einbrechende Finsterniß gesichert, erkannten ihn die umherschwärmenden Haufen nicht, wiewohl sein Name in der Sprache des dankbaren Entzükkens von ihren Lippen oft erscholl. Er kam an, und Dulli war der erste, so ihm auf der Schwelle des Hauses entgegen trat.

Florentin. (freundlich) Guten Abend, lieber Dulli! nicht so, Kerl, die Nacht und der Tag spielen wohl in der Geschichte deines Lebens die glänzendsten Szenen?

Dulli. (bebend, sprachlos sich vor ihm auf die Knie niederlassend) Graf!

Florentin. (verwundert) Was ist dir?

Dulli. (gerührt) Gott, Ihr fühlt nicht, was ich gern bekennen mögte? — Graf, großer Graf! — —

Florentin. Ich verstehe dich nicht, Lieber. Warum auf den Knien?

Dulli. Ach laßt mich doch noch lange in dieser Stellung verbleiben — sie thut meinem Herzen so wohl! — — Graf, ich zolle Euch meinen Dank! —

Florentin. (lächelnd) Du bist ein freier Kanelleser worden und knieest dennoch?

Dulli. Ah, ich liege ja vor keinen Despoten — ich verehre den größten Menschen meiner Zeit! — Laßt mich so liegen; Dulli dankt dem Erlöser seines Vaterlandes! (eine Thräne tröpfelt aus seinen großen, emporgewandten Augen.)

Florentin. Du bist ein sonderbares Geschöpf; so rauh, und so weich! — Steh auf!

Dulli. Nein, nein, beim heilgen Petrus, nein, noch kann ichs nicht! — O laßt mich so, so ist mirs wohl! — Wenn ich nichts mehr sagen, nicht mehr danken kann, dann will ich aufstehn, dann führ ich Euch zu einem andern guten Freund.

Florentin. (neigt sich innig bewegt zu ihm herab, und küßt, ihn) Ich bin dir gut!

Dulli. O, das ist auch mein schönster Lohn; nach ihm hab ich geschmachtet. Ich sah Euch nur in der Nacht kämpfen; den ganzen Tag erwartete ich Euch vergebens. Wohl schlich ich von Stunde zu Stunde um das herzogliche Schloß Euch zu erblikken — aber ich sah Euch nicht. Und nun — nun bin ich glüklich, Ihr habt den armen Dulli geküßt. Und (indem er vorn das Wams aufreißt) seht hier meine Wunden! eins, zwei, drei, — fünf Wunden — und ein Kuß von Euch läßt mir ihren Schmerz nicht fühlbar werden. — (er steht auf.)

Florentin. Ist unser alter Badner auch daheim?

Dulli. Er ists. Er ist der gute Freund, zu dem ich Euch noch führen wollte.

Florentin. Ich bedarf der Ruhe; laß Badnern zu mir in mein Zimmer kommen;

Dulli. Nein, das kann der gute alte Mann nicht. Ihr müßt nun wohl zu ihm gehn.

Florentins Mienen schilderten seine Verwunderung über Dulli’s Worte; er gieng, wohin ihn Dulli führte; sein Herz weissagte nichts Angenehmes.

Er trat in Badners Stube, und fand den guten Greis auf dem Bette liegend. Badner schien durch das Hereinwandeln der beiden aus einem leichten Schlummer aufgestört zu, werden; durch Anstrengung all seiner Kräfte erhob er sich mit dem halben Leibe, den Grafen zu bewillkommen.

„Lieber Badner, was ist dir geschehn?“ fragte Florentin ängstlich, indem er sich dem Bette näherte.

Badner. (mit matter, oft abgebrochner Stimme) Mein Herr, — mein lieber Herr!

Florentin. Um Gotteswillen, wie siehst du so blaß, so elend aus!

Badner. Ach Gott, erinnert Ihrs Euch noch, was ich sprach, da wir über die deutschen Gränzen ritten?

Florentin. Nein, Badner, so arg ist es noch nicht. Wirst nicht in Kanella dein Begräbnis finden.

Badner. Ich werd es. — Ach, lieber — lieber Herr!

Florentin. (zu Dulli) Was ist ihm wiederfahren?

Dulli. Verwundet ist er in der Nacht, und wie ich glaube, gefährlich verwundet. Halbtod schleppte man ihn hieher.

Florentin. Ist kein Wundarzt gerufen worden?

Dulli. Mehr, als einer.

Florentin. Und?

Dulli. (zukt die Achseln)

Badner. Sterben werd’ ich, sagen sie. Oh, ich sterbe so gern! Hab ich Euch doch noch einmal gesehn in dieser Zeitlichkeit, nun bin ich herzlich zufrieden.

Florentin. (mit feuchten Augen) Nein, mein Badner, nein, du stirbst nicht.

Badner. Ich weis es, ich fühl es — ich muß scheiden von Euch. — Ich habe noch eine Bitte eine große Bitte an Euch.

Florentin. Was bittest du denn?

Badner. Laßt meine Gebeine in der deutschen Muttererde verscharren. — Wollt Ihr das?

Florentin. Ich will es. Aber — —

Badner. Nun — nun gute Nacht

Florentin. (sich mit Wehmuth über ihn hinbeugend) Mein einziger, lieber Leidensgefährte, mein treuer Freund, du willst gern von mir?

Badner. Ich muß, und darum — gern. Meine Liebe zu Euch nehme ich mit ins Grab, mit in jenes beßre Leben.

Florentin. Und willst deinen Gefährten allein da stehn lassen?

Badner. Ach, Lieber, Guter, Seelen, wie die Eurige, finden immer Verwandte hienieden und droben. — — Lieber Herr, ich muß Euch noch Dank sagen für Eure Freundschaft; o, wir haben wohl manche Noth, wohl manche frohe Stunde mit einander brüderlich getheilt.

Florentin. (fühlte den nahen großen Verlust seines Badners und er weinte.) Ich danke — danke auch dir für deine namenlose Treue.

Badner. Nun — Lieber — gute Nacht! — Wir haben nichts mehr mit einander. — Kommt Ihr jemahls heim ins deutsche Vaterland, so grüßet den braven Holder von seinem verstorbnen Freund. — Oh, oh! — Eins noch — Ihr — —

Florentin. Ruhe, Lieber, ruhe! das Sprechen schadet dir — —

Badner. (schwach) Wenn Ihr und Holder noch einst — über fünfhundert Jahren auf dieser Erde — so — so —

Wie ein öhlloses Lampenlicht verklimmt, wie der Hauch des Mundes verrinnt, wie ein leiser Ton verhallt — so verschwand Badners Lebenskraft. Er war hinübergeflohn in jene Welt, zu der wir alle hinüber wandeln werden.

Dulli’n schossen Thränen ins Auge; Duur warf sich schmerzvoll über die Leiche seines treuen Dieners, und küßte unzähligemahl’ die kalten Lippen des Entschlafenen.

„Auch er ist dahin!“ — seufzte er: „auch mein Badner ist dahin! — o, ich glaubte ruhen zu können nach überstandnen Gefahren und Leiden — aber, ach, Ruhe! für Florentin — nein sie scheint für mich bei der Unmöglichkeit zu wohnen! — Mein Badner, lebe wohl!“

Mit einemmahle scholl von der Straße auf ein feierlicher Gesang. Dulli flog ans Fenster; er sah die Gassen von tausend Fakkeln erleuchtet und eine zahllose Menge von Menschen um Florentins Hause versammelt. Der Gesang stieg langsam und rührend-feierlich empor; Trompeten und Pauken begleiteten ihn. — Ein Kanellesischer Dichter hatte ihn längst schon auf die wiederkehrende Freiheit angefertigt; er lautete so:

Heilig ist Gott und groß!

Heilig ist Gott und gnädig!

Heilig ist Gott und gerecht!

Hallelujah! Hallelujah!

Ach seufzete das Land,

Unter der Tyrannenwuth;

Greise flehten, Kinder flehten:

„Herr erbarme dich unser!“

Aber des lachten die Tyrannen,

Gott im Himmel und Tugend auf Erden

Waren ihres Spottes Ziel.

Blut floß an ihrem Schwerdte,

Blut trof von ihren Händen,

Und ihre Pfade waren Blut.

Da schrie in dumpfen Klagen

Die leidende Kreatur:

„Herr, erbarm dich unser!“

„Herr, erbarme dich unser!“

Doch Gottes Langmuth, Gottes Güte

Verzögerte der Frevler Tod.

Des jauchzten die Tyrannen;

Mit ungeweihten Händen;

Zerstörten sie der Menschheit Heiligthum!

Und ihrer Sünden Maas ward voll,

Und ihre Bosheit unbegränzt!

Da ächzte sterbend der Greis,

Da ächzte sterbend der Säugling:

„Herr, erbarme dich unser!“

„Herr, erbarme dich unser!“

„Herr, erbarme dich unser!“

Und unser erbarmte sich Gott,

Es rollte in Gewitterschnelle

Sein Strafgericht hervor;

Sie sahn’s, die Mörder und erbleichten

Und schaudernd stürzten sie nieder —

Das Sklavenland ward frei!

Hallelujah! Hallelujah!

Der Gesang schloß sich. Dulli weinte Freuden- und Jammerthränen vermischt; Florentin hörte nichts, er saß an Badners Bette: starrte schwermüthig den Leichnam seines Getreuen an und hielt die Hand seines Lieblings fest in der seinigen verschlossen.

Aber das Volk lärmte unaufhörlich fort, und wiederholte die Worte des Gesanges: „das Sklavenland ward frei!“ mit dem größten Enthusiasm. — „Ja, das Sklavenland ward frei!“ hörte man einige rufen: „und frei durch den Helden Fiorentino!“ —

„„Großer Fiorentino wir lieben dich!““

„„„Freiheitsbringer, lebe lange!“““

„„„„Fiorentino, lebe hoch!““““

So schrie man verwirrt durcheinander und Florentin — achtete des nicht. Am Lager des Verstorbnen sizzend, hatte sein Leben jeden Reiz verloren. Er war nun einmal wieder so arm an aller Freude, so arm an aller Hofnung, jemahls wieder froh werden zu können, als er es irgend schon einmahl war.

Freund, Blutsbruder, Vater — oder welcher Name heiliger ist — alles das war ihm der ehrliche Badner gewesen, und diesen sah er jezt für sich verloren. — Wer nun schon einen solchen Freund, Bruder und Vater verlor, der male sich des armen Florentins Schmerz. Indem sich die Augen eines einzigen Freundes auf ewig verschließen, schließen auch tausend Götterchen der Freuden die ihrigen zu.

„Hört Ihrs nicht, gnädiger Herr, wie das Volk Euern Namen ausruft“ sagte Dulli, indem er sich zum Grafen wandte; aber er vermogte es nicht ihn aus dem Strom seiner Empfindungen hervorzureißen.

„Die Kanelleser werden ungestüm, sie verlangen Euch zu sehn, Euch zu huldigen!“ fuhr Dulli nach einiger Zeit fort, inzwischen das Volk auf der Straße tobte und schrie.

„„O Kanelleser,““ erwiederte Florentin traurig: „„und legtet Ihr mir die herzogliche Krone zu Füssen — jezt hüb’ ich sie nicht auf. — Geh, Dulli, sage deinen Landesleuten, daß Sie auseinander gehn, und mich nicht stöhren sollen in meinem Schmerz!““

Dulli. (zum Fenster hinunter) Freie Kanelleser, stöhret den Grafen nicht, ihm ist sein Liebling ermordet für Eure Freiheit.

Stimmen von unten. Fiorentino! großer Fiorentino, die Bürger Kanella’s wünschen den Heiland ihres Staats zu sehn. Fiorentino tretet hervor!

Dulli. Fiorentino danket Euch für Eure Huld; aber erscheinen wird er nicht.

Stimmen des Volks. Fiorentino, erhöret uns!

Dulli. Gönnet ihm Ruhe, opfert ihm Eure Wünsche auf, da er seine Freuden für Euch hingab.

Stimmen. Fiorentino! Fiorentino!

Florentin erschien. Mit nassen Augen stand er da, auf den erhabnen Stufen, welche zum Eingang seines Pallastes führten. — Man sahe ihn, und wie die Erscheinung einen Gottes war die seinige; die Luft, vor einem Augenblik noch vom verworrendsten Geschrei zerrissen, wurde jezt durch einen leisen Odemzug erschüttert.

Fakkeln flogen herbei und umringten ihn; wie in einer himmlischen Verklärung stand er da vor den Augen des Volks: die ihm nächststehenden sanken nieder auf die Kniee um den entferntern Zuschauern den Anblik eines Halbvergötterten nicht zu rauben; alle entblößten ihre Häupter in stiller Ehrfurcht. —

Ruhig war die Nacht; sternenschwer der Himmel; der Mond stieg in dieser Minute hinter einem Gebirge schimmernder Wolken hervor, die Szene zu verherrlichen; kühl und leise hauchte der Nachtwind über die Menge des Volks hin und goß ein heiliges Schauern über sie aus.

Florentin von Wehmuth und Entzükken hingerissen, vermogte lange kein Wort zu reden. Endlich sprach er:

„Brüder, — meine Brüder, Ihr seid glüklich; aber ich bins nicht, kanns nicht sein. Ich weis es, daß Ihr mich liebet, aber, — was ich verlor, könnt Ihr mir nicht wiedergeben. Darum laßt mich trauern; laßt mich ungestört Mensch sein, und einem Freunde den lezten Zoll der Liebe — Thränen um seinen Verlust entrichten. Nur der Gedanke an ihn gewährt mir Trost. — — Gute Nacht, Freunde!“

„„Gute Nacht! unglüklicher Mann, gute Nacht!““ riefen ihm unzähliche Stimmen in eine verschmolzen nach. Mitleid und Liebe erpreßten manchem Auge Thränen, — ach und diese Thränen waren das Herrlichste in diesem nächtlichen Triumpfe Florentins von Duur!

Zweites Kapitel.
Mühvolle Jahre.

Nur der Gedank’ an ihn gewährt ihm Trost?“ sprachen am folgenden Tage die Kanelleser: „Laßt uns den großen Mann trösten, er hat ja unsre Thränen abgetroknet!“

Nach einigen Monaten wurde Florentin lieblich überrascht. Eines Morgens lehnte er sich, nach seiner Gewohnheit, zum Fenster hinaus, und o! wie staunte er, da er seinem Hause gegen über eine in der vergangnen Nacht errichtete Statüe erblikte. Es war Badners Gestalt, Badners Miene; mit der rechten Hand winkte das Gebild zu ihm herauf, als riefe es leise: „komm’ zu mir!“ — Drunten standen in Goldschrift die Worte:

„Badner, Liebling des großen Fiorentino von Duur.“

Anfangs wollte der Graf seinen Augen nicht glauben; er rieb die Wimpern; starrte wieder dahin, und gewahrte abermals Badners Gestalt, wie sie winkend dastand.

„Dulli! Dulli!“ rief er wonnetrunken, und Dulli kam.

Florentin. (frohbebend) Ach, Dulli, sieh hinaus. Sage, was erblikst du?

Dulli. Beim heiligen Petrus, gnädiger Herr, Euern getreuen Badner, Gott hab’ ihn selig, wie er leibt und lebt!

Florentin. Nein, soviel hab’ ich nicht an Euch verdient, Kanelleser! — Sage mir, ist ers wirklich? täuscht sich mein Gesicht?

Dulli. Das Bildnis ist ja so gar weit nicht entfernt.

Florentin (ihn umhalsend) O Dulli!

Dulli. Gott, gnädiger Herr, wie Ihr nun da seid? Ihr habt Millionen verspendet und das dankbare Völklein beut euch dafür einen Heller; — Ihr sehet wenigstens, wie werth Ihr den Kanellesern seid.

Florentin. Ich seh’s, ich fühls, ich danke! — Ja, Badner hat’s verdient! —

Dulli. Bei Gott, das hat er.

Florentin. War’s noch nicht genug, daß man die Asche dieses Redlichen in feierlicher Prozeßion durch Stadt und Land seinem Grabe in Deutschland entgegenführte, mußte man ihm noch die Säule weihn?

Dulli. Gnädiger Herr, Ihr verdientet einen höhern Lohn, als einen geschnizten Marmor, darum errichtete man Euch keine Statüe — diese ist nur für Eure Freunde gut.

Kaum eine halbe Stunde war verflossen, als das Volk haufenweis herbeiströmte und neugierig die Bildsäule am Duurschen Pallast umringte. Das Spiel jener Nacht wurde wiederhohlt; wiederum der hehre Freiheitsgesang:

„Heilig ist Gott und groß! &c.“ angestimmt; wiederum Fiorentino’s Wohl ausgerufen und dergleichen mehr.

Angenehmer konnte kein Trost erfunden werden für des Grafen leidenden Seele; und kein Trost war auch für ihn von erwünschtern Folgen, als dieser.

Mit verdoppeltem Eifer bemühte sich Florentin, nebst den Großen von Kanella, den errungenen Freiheitskranz nun unentreisbar zu befestigen. Moriz sowohl als Benedetto, welche sich in der ersten Septembernacht der allgemeinen Verwirrung zu Nuzzen gemacht und die Flucht ergriffen hatten, arbeiteten freilich an verschiednen mächtigen Höfen, Piedro’n wieder auf den monarchischen Thron zu erhöhn, und die alte Staatsverfassung zu restauriren; suchten freilich die Kanelleser unter einander zu entzwein, und Contrerevoluzionen anzuspinnen, allein gleich einer unsichtbaren Gottheit widerstand ihnen der schwarzen Brüder heiliger Bund.

Vergebens fachten sie den Argwohn der ausländischen Potentaten an, daß die Freiheitssucht, durch der Kanellesen glükliches Beispiel vergrößert, um sich greifen und auch sie enthronen dürfte; vergebens streuten sie durch elende besoldete Broschürenschmierer den Saamen der Zwietracht unter den befreiten Bürgern aus — die schwarzen Brüder, selber verschiedene Staaten-Ruder regierend, löschten den aufglimmenden Funken des Argwohns im Busen der Fürsten aus, und zertraten allgewaltig den versäeten Saamen der Zwietracht, daß er nicht reifen konnte.

Aber es verflossen Jahre, ehe der Sturm ausgebrauset, die Gährungen sich aufgelöset, und die Bewohner Kanellas ein neues Staatssystem aufgeführt hatten. Doch die schwarzen Freunde des menschlichen Wohles wollten, und Kanella blieb frei! —

Und schon sank, die glänzende, hochgeschwungene Palme in seinen Händen, den Frieden herab über ein neugebornes Volk; schon erndteten die Kämpfer ihres Sieges Lohn ein; schon fühlten sich alt und jung, Hohe und Niedre selig auf Erden — da empfand Florentin, nun erst entlassen von den öffentlichen Geschäften der Republik, mächtiger, als jemahls den süssen Hang, heimzukehren ins geliebte Vaterland, auszuruhn im Arme der entfernten Blutsverwandten von seinen Thaten.

Zwar hatte Kanellas Dankbarkeit eine große lebenslange Pension ihm und seinen etwannigen Nachkommen ausgesezt; zwar hatte man ihm einen beinahe fürstlichen Hofstaat eingewilligt, ihm den geschmackvollsten Pallast in der Residenz geschenkt — aber die Sorbenburg, das ländliche Schloß seines Onkels lokte ihn mehr, als jede Herrlichkeit Kanellas. Ueberdies besaß er schon seit einiger Zeit mehrere Briefe vom Herzog Adolf, in welchen sein Exil gänzlich aufgehoben, förmliche Versöhnung angeboten war — wie konnte Duur, der weiche, zartfühlende Duur widerstreben?

Wir, meine Leer, begleiten ihn schon durch so viele Szenen, aber immer erkannten wir in ihm einen und eben denselben. Jezt war er nicht mehr Jüngling — er war Mann in voller Blüthe, oder vielmehr Reife des Lebens. Ausgebildet, groß, majestätisch an Körper und Geist stand er jezt da; aber sein Karakter war noch immer der stolze, schwankende, schwärmerische, welchen er den Kinderjahren abgeerbt hatte — Jezt sehnte er sich nach Ruhe. — Ruhe nach so mühvollen Jahren, auch zu ihr wollen wir ihn geleiten.

Vielleicht daß er sich nicht sobald entschlossen hätte den Kanellesischen Pallast mit dem vaterländischen Landgute zu vertauschen, wenn ihn nicht ein unerwartetes Schreiben — (nicht Holders, oder des Onkels oder Aellmars, denn diese schwiegen, als wären sie ausgestorben) nein, ein Schreiben Louisens, der herzoglichen Schwester, von Kanella hinweggetrieben hätte.

Drittes Kapitel.
Dulli und Ladda.

Ists möglich — ewiger, barmherziger Gott, ists möglich!“ schrie der Graf, indem er Louisens Brief fallen lies und die Hände verzweiflungsvoll über sein Haupt zusammenschlug.

Dulli, der in einem Winkel des Zimmers gestanden und einen mitleidenden Zuschauer von der Szene abgegeben hatte, da Florentin den Brief las, und von Minute zu Minute die Farbe des Gesichts änderte, trat jezt hervor und wollte trösten.

Florentin. (sich ruhig stellend) Nein, lieber Dulli, es hat nichts zu sagen; ich habe ihn längst erwartet diesen Streich des Schiksals.

Dulli. Desto besser, desto besser. — Aber — —

Florentin. Du willst sagen, ich sei sehr unglüklich — nicht wahr? — Du hast wohl recht! —

Dulli. Und, gnädiger Herr, Euer Karakter! Ihr seid so zart empfindend; jede Lust oder Unlust, die euch anweht, reizt Eure Nerven mehr, als her größte Schmerz, oder das größte Glük einen andern. Und das ist eben die Quelle Eures Leidens.

Florentin. (eine Thräne erstikkend) Freilich, freilich Philosoph. — Gieb Befehl, daß man alles zur Abreise anordne.

Dulli. (erschrokken) Im Ernst?

Florentin. Ich scherze nicht; Dulli, die Zeiten sind vorüber, da ich scherzen durfte. —

Dulli. Ihr wollt uns verlassen? doch mich nicht gnädiger Herr! Ich folge Euch nach, gnädiger Herr, beim heiligen Petrus, ich folge Euch nach.

Florentin. So lange du noch Hofnungen nährest hier in dein Vaterlande dein Seelenglük zu finden, so bleib hier, warum willst du es unter einem fremden Himmelsstrich suchen.

Dulli. Gnädiger Herr, ich würde, wenn ich Euch verlöre, nie wieder froh sein können.

Florentin. Meinst du? — doch, ich weis schon ein Etwas für dich, bei dem Du mein vergessen kannst.

Dulli. (befremdet) Wie?

Florentin. Daß du während meiner Abwesenheit über dies Schloß und meine Einkünfte verwaltest, ist das geringste, aber — — doch stille deine Neugier! — Geh und bereite alles zur Abreise nach Deutschland! —

Dulli. (sich traurig umwendend) Ich gehe.

Florentin. (weichmüthig) Dulli!

Dulli. Gnädiger Herr!

Florentin. Sei nicht so niedergeschlagen. Es steht in deiner Willkühr, ob du mich in mein Vaterland begleitest.

Dulli. Werdet Ihr da glüklicher sein?

Florentin. (frohglänzenden Auges) Ja, gewiß!

Dulli. So bin ichs auch dort.

Florentin. Lade meine Freunde sammt und sonders auf übermorgen zu einem Gastmahle und Ball ein.

Dulli. Ha, wie werden die Kanelleser bestürzt sein, wenn sie vom Valetschmaus hören!

Florentin. Geh!

Dulli gieng. Florentin hob zitternd den fatalen Brief auf und überlas ihn noch einmal.

„Geliebter!“

Diese Zeilen sind — zittre nicht — sind die lezten, welche Louise dir schreibt. Ich liege zwar nicht auf dem Sterbebett; aber doch für dich bin ich hinfort so gut, als verstorben. — Begnüge dich mit den seligen Stunden, welche meine Liebe dir einst erschuf, geize nicht mehrern nach. — — Vielleicht verstehst du mich nicht; vielleicht glaubst du, ich habe aufgehört dich zu lieben; allein, wenn dieses wäre, so hätte ich mir ja nicht die Mühe genommen dir noch zu schreiben. Nein, Louise wird die Gemahlin des Erbprinzen von Z**, wird das Opfer des politischen Interesse.“

„Als wir uns vor einigen Jahren im Garten von Dosa sahn, damahls, mein Lieber, reiste ich an den Hof, dessen Erbprinzeßin ich nun bald sein werde. Holder, ein gewisser Aellmar, und ein alter Rath am Hofe meines Bruders ließen mirs wissen, daß du mich noch mit aller Liebe liebtest, daß ich dir in der Nähe vorüberreisen würde, daß ich dich an einem dritten Orte noch einmal sehn, noch einmal sprechen könnte, — ihnen also hast du unsere Zusammenkunft in Dosa zu danken.“

„Und nun, Florentin, tröste dich. Ein Mann wie du findet leicht mehrere Louisen, aber ich werde keinen Florentin wieder finden. Der Erbprinz besizt zwar der männlichen Schönheiten manche, aber sie sind doch nur kaum ein Schatten von den Deinigen. Und vielleicht — vielleicht sind wir so glüklich auch künftig noch unsrer geheimen Liebe Nahrung zu geben; vielleicht darf dich auch noch einmal die Erbprinzeßin umarmen. Leb wohl, sei heiter und vergiß — oder vergiß nicht die ehmalige

geliebte Louise.“

„Ja, ich will deiner vergessen, ehmahlige Louise!“ sagte der Graf: „denn du hast meiner vergessen. — Freilich wie konnt ich armer Thor es hoffen, daß eine Fürstin mir treue Liebe vergelten würde, und doch war diese Hofnung so reizvoll für mich! — Ach, auch diese Freude ist mir genommen; o, ich sehe eine Lebensperiode vor mir, die die schreklichste ist, welche je ein Sterblicher durchwandeln mußte. — Nun lebe wohl, Kanella, durch mich glüklich gewordnes Kanella, lebe wohl; der dir dein Leiden abnahm, wird elender als er zu dir gekommen, deine Gränzen verlassen!“

Nichts liessen die edlen Kanelleser unangewandt den bedauernswürdigen Grafen bei sich zu behalten. Vergebens boten sie ihm grössere Macht und höhern Rang an; umsonst flehten ihn weinend die schönsten Damen der Republik auf dem Balle im Florentinischen Pallast an, daß er zurükbliebe — nichts vermochte bei ihm etwas. Er suchte Ruhe, Ruhe, die er nicht im glänzenden, geräuschvollen Stande zu Kanella, aber vielleicht wohl in den väterlichen Gegenden, in der Mitte seiner theuern Verwandten, finden konnte. Hier glaubte er seiner Leiden vergessen, seines Herzens Wunden heilen, seinen sonstigen Frieden wieder gewinnen zu können.

„Ah, wär ich ein Kind geblieben, seufzte er: so wär ich glüklich geblieben. Nun wohlan, so laßt mich hinziehn in jene Thäler, wo ich den Morgen meines Lebens durchtändelte; laßt mich hinziehn zu jenen Hainen, zu jenen Thälern, wo ich unschuldsvoll am Mutterbusen der gütigen Natur hing und keinen Schmerz, keinen Seelenharm kannte. Laßt mich wiederum werden wie ein Kind, und meines Daseins Stunden in mir selber verleben. Ja, es ist wahr, und abermahls wahr: selten, ist der Mensch in der Gegenwart glüklich, am meisten in der Vergangenheit, und Zukunft, in der Rükerinnerung und Erwartung!“

Borghemo, Giovanni Borsellino, der alte Eo, die schwarzen Brüder von Kanella, da sie sahen, wie unabänderlich Florentins Entschluß sei, ergaben sich mit traurenden Herzen in seinen Willen — alle nahmen sie den wehmüthigsten Abschied. Duur, der sich so leicht an gleichgestimmte Seelen kettete, litte ungemein, da er einen seiner Freunde nach dem andern von ihm hinweg eilen sah. Nur Dulli wollte nicht von seinem Herrn ablassen; allein Florentin selber fesselte ihn an sein Vaterland.

Einige Tage vor der Abreise rief ihn der Graf zu sich. Dulli trat wohlgemuth ins Zimmer, aber erschrokken fuhr er drei Schritte zurük, da er an der Seite des Grafen seine halbvergeßne Ladda erblikte.

Sie sehen alle vergangne Szenen der Liebe wieder heim rufen in die Seele, sprachlos ihr entgegen wanken, Vorwürfe und Verzeihung im Blikke tragen — war das Werk einer Minute.

Florentin. Nun, Dulli? kennst du dies schöne Mädchen?

Dulli. (mit beklemmter Brust und Freudenthränen) Ach, Ladda!

Ladda. (indem das stürmische Steigen und Sinken ihres Busens die Gefühle des Herzens verräth) Mein lieber — lieber Dulli!

Dulli. Du hier?

Ladda. Ich suchte dich, und habe dich gefunden.

Dulli. Und hofftest von mir noch Liebe?

Ladda. (mit Seelenruhe im glänzenden Auge) Ich hoffe sie. — (Pause. Sie tritt ihm näher) Dulli! (sie ergreift seine Hand und drükt sie weinend an ihren Mund) Mein Dulli!

Dulli. (ihr an die Brust sinkend) Ach, ja, Ladda, meine Ladda, Dulli liebt dich noch! —

Mit unbeschreiblicher Wonne lagen sie beide lange einander in den Armen, küßten sie sich der Versöhnung süssen Kuß, und vergaßen sie des Grafen, der ein gerührter Zuschauer dieses schönen Schauspiels war. Selber ein Unglüklicher in seiner Liebe ward er der Schöpfer fremden Liebes-Wohls. —

Viel zu fest waren die Banden, mit welchen Dulli nun an Kanella gebunden lag, als daß er sie hätte zersprengen und seinem geliebten Herrn folgen können, der begleitet von den Ersten der Republik, Kanella verlies.

Viertes Kapitel.
Der große Florentin im Vaterlande.

Müd’ und Thatensatt eilte Duur in Gottholds Gesellschaft der Heimat entgegen. Sobald er die deutsche Gränze erreicht hatte, schrieb er sogleich an seinen Onkel folgenden Brief:

„Mein Onkelchen!“

Ihr Neffe, Ihr Florentin kömmt, um bei Ihnen, so lange Gott es will, zu leben. Ich habe manches unterdessen erlitten, manche Thräne unterdessen geweint, — verfolgt vom Schiksal, fliehe ich in ihre väterlichen Arme zurük; da werd’ ich sicher ausruhn dürfen vom Sturm des Lebens. Nicht wahr, Sie haben sich eben so oft nach mir gesehnt, wie ich mich nach Ihnen — jezt werden unsre Wünsche erfüllt werden, wird uns beiden wohl sein. — Höchstens in vier Wochen treffe ich auf Ihrem Landgute ein, höchstens in vier Wochen küß’ ich Sie und meine Schwester und meinen Holder! O, ich zittre so bang, als würde ich die göttliche Stunde des Wiedersehns nicht erleben. — Wie viel werden wir da uns zu erzählen, wie viel uns da zu klagen haben! — Ich stelle mirs schon im Geiste vor, wie sie hervorstürzen werden aus dem Schlosse, wenn Sie die Hufen meines Pferdes schlagen hören; wie Rikchen weinend an meinem Halse hängen, Holder mich feurig umarmen wird. Ich fühle schon alle Freude voraus, die dann — ach, dann mir allein angehören werden! —“

„Hat sich vieles während unsrer Trennung auf dem Schlosse verändert? — lebt der alte Herr von Bastholm noch? Laden Sie ja ihn und den ganzen benachbarten Adel ein, daß nichts in unserm Feste mangle, was ihm Reiz gewähre. Leben Sie wohl indeß; leb’ auch du wohl, geliebtes Rikchen, die ich nun bald umarme; küsse deine Kinder — wenn du Mutter bist, denn ich weis ja noch gar nichts von Euern häuslichen Umständen, weil Ihr mir keine Nachricht gegeben habet, ihr bösen Leutchen! — und bleibt mir alle gewogen, Euerm Florentin.“

Dieser Brief hatte kaum das Duursche Landgut erreicht, als auch unser Graf schon mit seinem Gotthold daselbst anlangten.

Es war des Morgens. Die herbstliche Sonne hing hinter Nebeln verschleiert; die Felder standen, ihrer Halme und Goldähren entmäht, kahl und reizlos; die Natur schien sich allmählig, ihrer Arbeiten müde, zum Wiederschlafe zu bereiten — gelb und welk floß das Laub in kalten Morgenduft.

„Wir sind zur Stelle, Gotthold!“ rief der Graf, indem er den krummen Fahrweg zum Dorfe seines Onkels hinuntertrabte.

Gotthold. (freudig) Ja, ja! Sehn Sie nicht dort — dort wo hinter den Ulmen die graue Kuppel des Duurschen Schlosses hervorragt?

Florentin. Ich seh’s! Laß uns hier die Pferde ein Weilchen anhalten! — o Gott, mein Blut wallt ungewöhnlich, ich bin ausser mir!

Gotthold. Ach, da meine Eltern noch in dem Dörfchen hier lebten, da war ich wohl glüklich! Sehn Sie, gnädger Herr, hier rechts den Hügel hinter den beiden Scheunen? Sehn Sie die hohe Fichte darauf? — die hab ich als Knabe dahin gepflanzt, weil mir der Berg und die Aussicht von ihm hinab so wohl gefiel.

Florentin. Und bemerkst du nicht drunten den Bach? siehst du den Steig hinüber? Da baut ich meine Kähne, als Kind und lies ich meine papiernen Flotten aussegeln.

Gotthold. Ach, es waren schöne Zeiten.

Florentin. Waren schöne Zeiten, und sollten sie nicht wiederkehren? — O, gewiß! gewiß!

Gotthold. Aber es ist alles so still!

Florentin. Die Sonne ist kaum aufgegangen. Im Schlosse und Dorfe schläft noch jedes Auge.

Gotthold. Wenn man wüßte, wie nahe Sie wären, gnädiger Herr — —

Florentin. Ich kann unmöglich sogleich zu meinen Freunden fliegen — ich bin so verwirrt, so ängstlich, so froh — ein Heer von Empfindungen überwältigt mich. Ich will mich erhohlen. Reite voraus, Gotthold, erwekke die holden Schläfer aus ihren Morgenträumen, deren Inhalt vielleicht ich bin. Sag’ ihnen meine Ankunft! — tummle dich! — —

Der Knecht spornte sein Ros an und flog zum Dorfe hinab, den Steindamm zum Schloßhofe entlang.

Aber der Graf rükte nicht um einen Schritt von der Stelle. Er zitterte. Sein Blut stürmte ungestüm durch die Adern hin; der Purpur der Freude schimmerte ihm auf den Wangen; seine Augen befeuchteten sich in unwillkührlichen Thränen.

„Gott! mein Gott!“ sprach er mit leisem Ton, hoher Andacht, glühender Inbrunst: „gelobet sei dein Name, hochgelobet in Ewigkeit deine Güte! Ich war ein Kind, und du gabest mir Kinderfreuden zu schmekken; ich war Jüngling und du liessest mich schwelgen in deinen Seligkeiten auf Erden. Ich bin Mann worden und du hast mich nicht vergessen. Ja, mein Vater im Himmel, hast mich nicht vergessen, — du hast mich reinern Freuden aufgespart, deren Genuß mich nun erquikken soll. Vater, es danket dir dein Kind; mit Thränen dank’ ich dir und Seufzern, daß du mich nicht vergessen hast!“

Mehr konnt er nicht lallen. Die Sprache verlor sich, aber die Seele betete fort.

Einige Minuten verstrichen, ehe er zu sich selber kam; — er sahe die graue Schloßkuppel hinter den Ulmen und nun flog er der Erfüllung seiner Jahrlangen Schwärmereien und Erwartungen entgegen. Laut pfiff die Morgenluft durch seine Lokken, hoch hoben sich Staubgewölke um ihn her.

Er stand auf dem Schloshof — sprang ab vom Pferde, hinauf die Stiege zur offnen Pforte, wo Holder ihm in die Arme sank.

Fünftes Kapitel.
Der Kirchhof.

Noch einmahl sei Gott gelobet!“ rief der Freudenberauschte Graf: „so hab ich dich wieder!“

Holder. (mit bebender Stimme) Mein Florentin!

Florentin. (ihn heftig an sich pressend) Holder, Holder!

Holder. O Gott! — die Freude tödtet mich!

Florentin. Nun hab’ ich ausgerungen.

Holder. Ausgerungen?

Florentin. Nun will ich ausruhn von vielen Kämpfen, vielen Leiden! — Holder, was macht Onkelchen? — was dein Weibchen? — wo ist mein Sohn, mein Karl?

Holder. Sie schlafen.

Florentin. Sie schlafen? wir wollen sie erwekken, wollen ihnen den Schlummer von den Wimpern abküssen, sie aus einem Traum in den andern führen.

Holder. (lächelt schwermüthig) Wollen wir?

Florentin. Du siehst so blas, Holder, so kränklich! was fehlt dir?

Holder. Wenig — und viel! — doch davon ein andermahl.

Florentin. Auf — wo sind die Lieben?

Holder. Du scheinst sehr heiter zu sein.

Florentin. (verwundert) das bin ich, wiewohl ichs sonst nicht war. Aber, um Gotteswillen, wie geräthst du zu solchen Gedanken anjezt — anjezt!

Holder. Ich sah deine blühende Gesichtsfarbe, dein muntres Wesen. So warst du nicht vor Jahr und Tag, als ich dir den Weg zum rothen Walde vor Munchenwall beschreiben mußte.

Florentin. Die Zeiten sind vorüber!

Holder. Sind vorüber?

Florentin. Was zaudern wir? laß uns die Schläfer erwekken. — Dein kaltes, trübsinnathmendes Schweigen macht mich zittern — Holder, Holder, was ist geschehn? — ist einer von ihnen krank?

Holder. (ihm auf die Achseln klopfend) Keiner! — folge mir — doch eins noch; wen verlangst du zuerst zu sehn; den Onkel, mein Weib oder deinen Sohn Karl?

Florentin. (schwankend) Alle zugleich; führe mich zu allen. Und Karl — Karl ist hier im Schlosse?

Holder. Ja wohl!

Florentin. O, so führe mich zu meinem Sohn!

Holder, der so gern die fürchterlichste Schwermuth hinter seinem Lächeln und Scherzen verstekken wollte, ergrif die Hand des gerührten Vaters, welcher jezt zum erstenmahl die Frucht seiner Liebe umarmen sollte, und leitete ihn in ein bekanntes Kabinet, wo, halbnakt, blühend, schön und unschuldig ein Liebesgott auf weichen Pflaum hingestrekt schlummerte.

„Dies ist dein Sohn!“ sprach Holder und zeigte mit der Hand auf das schlafende Kind.

Der Graf stand frohbestürzt an Karlchens Bett; seine Augen wurden naß; seine Lippen bebten von einem Segensspruch über den schlummernden Sohn; bestürmt von den unaussprechlichen süssen Vaterfreuden sank er hin über den schönen Knaben, ihn mit tausend Küssen erwekkend.

„Karl! mein Karl!“ jauchzte Florentin mit väterlichem Hochgefühl.

Ein großes liebliches blaues Augenpaar schlug der Knabe auf, hochverwundert ob der fremden Erscheinung.

„Oheim Holder!“ rief er mit süsser, furchtsamer Stimme: „wer ist der Mann?“

„„Dein Vater!““ entgegnete Holder: „„dein von dir so lange erwarteter, lieber Vater ists!““

„Mein Vater bist du?“ sagte das Kind mit dem anmuthigen Lächeln eines Engels und wand sich so dicht mit Armen und Füssen um den wonnevollen Florentin, als hätte es in der That den traurigen Zustand zu fühlen gewußt, in welchem es sich bisher befand, da es weder seinen Vater noch seine Mutter kannte.

„„Ja, theures Karlchen — ja, mein Alles, mein Sohn, ja ich bin dein Vater!““ erwiderte der Graf, der nicht wußte, wie ihm geschah, als ihm der süsse Vaternamen zum erstenmahle von den Lippen des holdseligen Buben entgegen scholl: „„Ich bin dein Vater, der dich nun nie wieder verlässet.““

Liebst du mich denn?

„Ja, Karl ist dir recht gut?“

„„Wie sehr liebst du mich denn?““

Das Kind antwortete nicht, sondern drükte sich schmeichelnd an seinen Vater fest an.

Länger, als eine Stunde, tändelte Duur mit dem Kinde, indem er selbst vor Freuden zum Kinde ward. Bald wikkelte er die gelben Lokken des Knaben um seine Hand; bald küßt er ihm Stirn’, Augen, Mund und Wangen; bald suchte er Louisens Züge in Karlchens Mienen auf, bald die seinen.

O, Väter und Mütter, die Ihr diese Blätter leset, Ihr nur verstehet mich, Ihr nur wisset Florentins Tändeleien richtig zu beurtheilen, Ihr nur kennet die Sprache des zärtlichen Gefühls. Mahlet Euch die Szene mit all den weichen Farben aus, welche Eure Fantasie Euch beut — ich schweige. Schweige, damit nicht kalte Krittler mich langweilig finden, oder unnatürliche Eltern mich nicht einen empfindelnden Schwäzzer schelten mögen.

Wie gesagt, erst nach einer vollen Stunde fiel es dem Grafen bei auch die andern Geliebten zu sehen.

„Bringe mich zu ihnen!“ sagte er zur Holdern.

„„Sie schlafen!““ entgegnete dieser.

„Lass’ uns sie wach küssen.“

„„Wirst du es?““

„Ich werd’ es. Fort, fort, ich zittre vor Ungeduld meinen alten Onkel, meine Schwester zu, sehn!“

„„Komm!““ antwortete Holder, dessen Gesichtszüge sich plözlich verändert fanden, dessen Augen in Zähren schwammen, dessen Sprache stokte.

„Was ist dir?“ fragte der Graf.

„„Was soll mir sein?““ war die Gegenfrage.

Holder führte seinen Freund zum Schlosse hinaus, durchs Dorf.

„Wohin bringst du mich? führe mich zum Bette meines Onkels und meiner Schwester!“ sagte Duur ängstlich, indem er von schreklichen Ahndungen angeweht, sich dichter an Holdern schlos.

„„Ich führe dich dahin!““ antwortete dieser, indem er mit seinem Schwager so eben in den Dorfkirchhof trat, und den guten Duur vor einem verwitterten Leichensteine stehn lies, an welchem geschrieben war:

„Wandrer, stehe still!
Allhier
ruhen die Hüllen zweier guten, frommen
Seelen, die Gebeine
der
edeln, vielgeliebten
Friederike von Sorbenburg
und
des braven
Albertus Daniel von Duur.
Wandrer, der du Tugend liebest, weine, denn
diese sind deiner Thränen
werth!“

„Hilf mir Gott!“ schrie Duur erblassend und stürzte vom Schmerz entgeistert auf einen Grabhügel.

Holder. (vor sich niederstarrend, mit verschränkten Armen) Florentin!

Florentin. (nach einer langen Stille in tiefsten Jammer ausrufend) Auch sie sind dahin — o mein Gott, auch sie!

Holder. Du bist ein Mann, ich darf dich nicht trösten!

Florentin. (ihn nicht hörend) Auch sie!

Holder. Steh auf, Bruder; die Theuern haben längst ausgelitten.

Florentin. Längst schon?

Holder. Kaum wars ein Jahr nach deiner Wanderung aus Deutschland, da starb mein Weib in Kindesnöthen; der Onkel grämte sich um ihren Verlust zu Tode.

Florentin. Grausamer, warum erfuhr ich dies nicht schon lange?

Holder. Nenne mich gütig, nicht grausam; solch ein Unglük erfährt man jedesmahl nur zu früh; auch die schwarzen Brüder verhinderten, daß dir davon Nachricht ward, damit dich der Schmerz nicht großen Thaten entnervte.

Florentin. (jammernd) Schwester, Schwester, o meine Schwester, so seh’ ich dich nie wieder? O, mein alter, ehrwürdiger Oheim, so schläfst du ewig? erwachst nie wieder, deinen unglüklichen Florentin noch einmahl zu segnen?

Holder. (schmerzvoll) Florentin!

Florentin. Ha, Leben, schrekliches Leben, schreklicher Traum, wann werd’ ich von dir erwachen? —

Holder. Hörst du die Stimme deines Holder nicht mehr?

Florentin. Ich höre nichts — nichts mehr! für mich ist alles tod. Ich habe keine Schwester mehr, habe keinen Vater, keinen Badner, keine Geliebte — — alles ist dem unglüklichen Florentin geraubt. Ausruhen wollt’ ich, ach, und ich darfs nicht. Ich wähnte im Hafen des Friedens gelandet zu haben, wehe mir, und der Sturm des Schiksals schleudert mein zerbrechliches Schiff weit in den Ozean zurük.

Holder. Deine Seele leidet viel.

Florentin. Leidet unaussprechlich viel; ach, die ganze, fürchterliche Summe des menschlichen Elendes liegt auf sie allein hingebürdet.

Holder. Verzweifle nicht.

Florentin. Verliere deine Bluts- und Herzverwandten, verliere deine lezten Aussichten, den lezten tröstlichen Hofnungsschein, die allerlezte Zuflucht, verliere alles und fühle dieß alles — und sprich dann zu dir: verzweifle nicht! — Oh, prahlerischer Bund der Schwarzen, ich habe deine Wünsche gestillt, deine Entwürfe zur Wirklichkeit umgeschaffen — wo ist mein Lohn? wo sind die mir vorgespiegelten Freuden? — tritt her, gesammter, großer Bund, tritt her, in deiner ganzen Allmacht, und rufe meine Freuden aus dem Grabe hervor! —

Holder. Wird dein Klagen die Entschlafnen wekken?

Florentin. Wirds freilich nicht! Aber laß mich hier liegen auf dem kleinen Hügel, der die Asche meiner Ewiggeliebten verschließt — ich bin doch dieser Asche näher, fühle mich getrösteter. Bruder, o mein Bruder — ich bin ja ein Mensch!

Holder. Und bist ein Christ!

Florentin. (mit Bewegung) Ein Christ.

Holder. Und wirst wiedersehen die deiner Seele werth sind nach dieses Lebens entflohnem Traum.

Florentin. (nachlallend) Werde sie wiedersehn!

Holder. Drum auf, ermanne dich, Florentin, um ein Kleines, und du wirst Trost gefunden haben!

Florentin. (liegt in dumpfer Betäubung auf dem Grabe.)

Holder. Folge mir in unsre Wohnung; abgesondert von der Welt lebte ich dort lange schon das Leben eines Einsiedlers. Du bist jezt mein Gefährt. — Hörst du mich nicht?

Florentin. (schweigt)

Holder. Oeffne dein leidendes Herz für den Freund. Auf, folge mir nach.

Florentin. (antwortet nicht)

Holder. Vater, Vater, hörst du nicht die Stimme deines Kindes mehr? — Karl ruft! hörst du nicht, Florentin?

Florentin sprang bei diesen Worten auf. Er wandte die Augen gen Himmel und seufzte tief. Holder führte den leidenden Mann heim.

Sechstes Kapitel.
Die Alpen. — Epilog an den Leser.

Vergebens war Holders tröstliches Zureden, vergebens Karlchens kindisches Milleiden — nichts heiterte den Grafen wieder auf; seine Seele war allen frohen Empfindungen verschlossen. — Er hatte zu viel verloren, zu viel Empfindsamkeit für seinen Verlust; er war zu sehr getäuscht in Erwartungen, welche ihn ehemals zu den gefährlichsten Wagstükken Muth und Flügel gaben — kein Wunder, wenn er mit jeder Woche düstrer wurde, da jede Kleinigkeit ihn an den traurigen Verlust erinnerte.

Nur Holder, dieser seltsame, ausserordentliche Mann blieb sich immer gleich; er beschäftigte sich seit des Grafen Ankunft mehr, als sonst, mit gewissen chemischen Operazionen, Briefwechseln, und dergleichen mehr. Florentin achtete nicht darauf. — Holder machte ein Testament in seinen und Florentins Namen, worin er den Herzog Adolf, als Landesherrn zum Erben der Sorbenburg und des ganzen Duurschen Vermögens, einige Legate ausgenommen, einsezte. Duur mußte das Testament eigenhändig unterschreiben, doch keine Frage gieng aus seinem Munde, wegen des sonderbaren Betragens seines Freundes — Holder lies Anstalten zu einer großen Reise machen; Florentin erkundigte sich um diese Zurüstungen nicht.

Eines Tages trat der räthselhafte Mann vor dem Grafen hin; mit vieler Mühe gelang es ihm denselben in ein Gespräch zu verwikkeln.

Holder. Erinnerst du dich noch der Stunde, Bruder, da ich dir jenes Gelübde that; du solltest mich über fünfhundert Jahren wiedersehn in Deutschland?

Florentin. Dunkel.

Holder. Die Welt scheint dir verhaßt zu seyn.

Florentin. So, daß ich einen Selbstmord begehn könnte.

Holder. Spare den Rest deines Lebens für ein andres Jahrhundert. Ich thue desgleichen.

Florentin. Ich verstehe dich nicht.

Holder. Du sollst die Erde noch einmahl nach fünfhundert Jahren sehen. Vielleicht blühen dann für uns mehr Freuden, vielleicht hat dann die Vergessenheit einen Schleier über unsre vergangnen Leiden gewebt. Hast du Muth genug in meiner Gesellschaft ein halbes Jahrtausend zu verschlafen?

Florentin. (ihn anstarrend) Mensch!

Holder. Vielleicht wähnst du, ich scherze, oder rase. Aber bei dem Ewigen, du irrst.

Florentin. Ist es möglich?

Holder. Wann ertapptest du mich je auf einer Lüge? Klage mich vor dem Richterstuhl Gottes an, wenn ich dich betrog. — Hast du Muth?

Florentin. Aber mein Sohn Karl — —

Holder. Wird, unbewußt was mit ihm vorgeht, mit uns schlafen.

Florentin. Ich begreife dich nicht. Wann wirst du dich mir endlich enträthseln?

Holder. Nach fünfhundert Jahren, wenn du willst, dann will ich dir noch in Deutschland erklären, was ich bin und wer ich war.

Florentin. O, es ist ein schöner Traum, die Bürger der Erde nach fünf Jahrhunderten noch einmahl zu erblikken — allein — — —

Holder. Wenn wir dann vielleicht in einer einsamen Hütte friedlich beisammen sizzen und die neuen Menschen erblikken und die Hand Gottes anstaunen, dann könnte ich dir vielleicht noch manchen Aufschlus über manches geben, dann ließe es sich so schön von unsern vergangnen Freuden und Leiden plaudern.

Florentin. Noch einmahl, Holder, du weißt mir mit jedem Augenblick unerklärlicher? — wie ist es möglich, daß Seel’ und Körper ein halbes Jahrtausend unverlezt und sich ihrer bewußtlos existiren? —

Holder. Hast du die Geheimnisse der Natur alle erforscht, vermöge welcher der Körper auf Jahrtausende unverweslich erhalten, und das Band zwischen denselben und der Seele gestählt werden kann? — O Bruder, Hamlet hat Recht, wenn er sagt, wohl liegen unter dem Monde noch gewisse Dinge vorhanden, von denen sich das menschliche Geschlecht nichts träumen läßt! —

Florentin. (bestürzt) Holder!

Holder. (mit unbeschreiblicher Majestät) Wisse, ich bin der Obern einer im Bündnisse der schwarzen Brüder! — Eben dies Bündnis sendet mich an die Brüder nach fünf Jahrhunderten, um unsers Ordens heilige Statuten aufrecht zu erhalten zum Wohl der Menschheit; Ich musmus dahin! willst du mich begleiten?

Florentin. Wohl, ich schlage ein; denn was hab ich in diesem Leben noch zu verlieren, oder was noch zu gewinnen?

Holder. Ich habe jede Vorkehrung getroffen, daß wir, ohne Unordnungen zu erregen, aus den jetzigen Verhältnissen heraustreten dürfen. Wir reisen nun nach den Alpen.

Holder hielt Wort. Nach Verlauf weniger Monate standen sie schon beide, mit dem kleinen Karl, in einer der grausenvollsten, abgelegensten, unbekanntesten Höhlen des Alpengebürges.

Ein heimliches Schaudern schüttelte allen die Haut. Holder zündete Licht an, welches durch seinen matten Schimmer diesen unterirdischen Aufenthalt nur noch fürchterlicher machte. Sie suchten sich, jeder besonders, ihre künftige Ruhestätt aus; dann langte der Obere des schwarzen Bundes eine Flasche hervor, gefüllt mit einem unbekannten Getränk. Er goß davon eine silberne Schaale voll und trank sie rein aus. Er füllte die Schaale zum andernmahle, und bot sie dem Grafen. Der Graf schauderte und trank. Zum drittenmahle floß das Getränk in den Silberbecher, und Karlchen, ohne die seltsamen Wirkungen zu beahnden leerte das Gefäß.

„Jezt ists vollbracht!“ rief Ludwig Holder aus: „jezt ists vollbracht! leb wohl für diesmahl, Welt, nach fünf Jahrhunderten sehe ich dein Licht wieder!“

Sie umarmtem sich. Das brennende Licht verlöschte plötzlich. Alle sanken aufgelößt um.

„Herr Gott, erbarm dich unser!“ schrie der Graf.

„Vater! Vater!“ lallte das Kind.

Und sie entschliefen! — — —

*          *          *

 

Sie scheinen zu erstaunen, meine Leser und Leserinnen! — ich erstaune nicht weniger als Sie selber. Indessen was wahr ist, bleibt wahr. — Florentin und Holder schlummern ruhig den Morgen eines Tages vom Jahr 2300, nach Christi Geburt, entgegen.

Ich bin überzeugt, daß ein volles Drittheil meiner Leser, wo nicht alle, so gern als Florentin von Duur dem wunderbaren Ludwig Holder von Sorbenburg in die Alpenhöhle nachfolgen würden, wenn sie Gewißheit hätten, nach einem gewissen Zeitraum wieder zu erwachen. Wie viel Veränderungen haben sich in der Zeit nicht auf unserm Erdenplaneten ereignet! welche Revoluzionen in der politischen und Schriftstellerwelt haben sich unterdessen angesponnen und ausgebildet! — Wie sehn dann die Staaten, wie sehn dann die Menschen aus!

„Welche Moden werden dann herrschen?“ fragt mich eine Dame.

„Was wird man dann von mir und meinen operibus reden?“ fragt mich ein Autor.

„Wie stehts dann mit dem Bunde der schwarzen Brüder? und wird Florentin mit Holdern und Karlchen glüklicher sein?“

„„Wir möchten um alles in der Welt gern Zuhörer von Holdern abgeben, wenn er seinen Lebenslauf erzählt in der Hütte des vier und zwanzigsten Sekulums!““

Sie haben sammt und sonders, meine Leser, gar nicht unrecht. Allein um Ihren Zwek zu erreichen, ist es nothwendig, daß sie entweder mit Florentin und Holder fünf Jahrhunderte später wieder auferstehn, oder daß Sie mich und meine prophetische Muse bitten, damit wir Ihnen den schwarzen von der Hand des Fatums gewebten Vorhang vor dem Allerheiligsten der Folgezeit ein wenig lupfen, und Sie in den Gukkasten der Zukunft auf ein Weilchen hineinblikken.

Geben Sie mir also ein gutes Wort: so erzähle ich Ihnen im folgenden Bändchen Raritäten aus dem vier und zwanzigsten Jahrhundert nach Christi Geburt! —

Nun? — — —

Wegen Entlegenheit des Drukorts vom Verfasser sind manche den Sinn entstellende Drukfehler in den ersten Theil dieses Buches eingeschlichen. Vorzüglich beliebe man zu verbessern:

 

Seite 231. Zweihundert, lies fünfhundert.

— 233. Federn, lies Ideen.

Fußnoten

1)
Dem etwannigen kurzen Gedächtnis unserer Leser und Leserinnen zu Hülfe zu kommen, zitirt der Verf. des ersten Bändchen, 1. Abschnitt, 2. Kapitel.
2)
Siehe im ersten Bändchen, Abschnitt III. Kap. 1.
3)
Mir kömmts vor, als sähen mich einige von meinen Leserinnen mit großen Augen bei dieser Stelle an. Ja, ja, man war ehmals in der That so kühn oder so verwirrt, wider die Menschheit der Damen zu protestiren. Schon ums Jahr 590 unsrer Zeitrechnung that dies im Ernste ein heilger Mann und zwar ein Bischof, dem auch sogleich alle unglüklichen Liebhaber und Hagestolze, geplagte Eheherrn u. s. w. so sehr applaudirten, daß dem neuen Lehrer endlich ausdrüklich im dritten Synodo Matisconense Schweigen geboten werden mußte (S. Osiander in Eccl. histor. Cent. VI. L. 4. C. 15. p. 285.) Mit Ausgang des sechzehnten Jahrhunderts that ein Ungenannter abermals zum Schrekken der ganzen schönen Welt in einem ausserordentlich gelahrten lateinischem Traktate, mit vielem philosophischen und theologischen Argumenten die Nonhumanität der Weiber dar. Dieser seltsame Mann, welcher, wie Chr. Heerdreich in den Pandect. brandenb. T. I. p. 33. aus dem Barthio und Thuano erwies, der gelehrte Märker, Valentinus Acidalius war, machte vieles Aufsehn, und ihn ganz besonders zu widerlegen, warf sich der Churbrandenb. Hofprediger und nachmahlige Superintendent D. Simon Gediccius zum Verfechter des schönen Geschlechts auf, der das satanische Scriptum schnurgeradehin als kezzerisch verdammte und zu den libris comestis schleuderte. Die Welt muß sehr wahrscheinlich in ihren Gedanken vom Frauenzimmer schon ganz irre geworden sein, weil man die Apologie des Gediccius mit Gier verschlang, so daß sie mehr als einmal aufgelegt wurde. „Ja, es haben dazumahlen die theologischen Fakultäten zu Leipzig und Wittenberg die studierende Jugend vermahnt, jene verdammte und lästerliche Schrift nicht einmal des Lesens würdigen, geschweige denn das Frauensvolk im Scherze damit zu vexiren, damit dasselbe nicht in Zweifel wegen seiner Seeligkeit kommen mögte!“ (Titius in litt. hist. p. 196.) Der Buchdrukker Bärensprung zu Schwerin veranstaltete vor verschiedenen Jahren eine Uebersezzung der Acidalischen Schrift, aber ihr Verkauf wurde ihm unter der Hand verboten. Ah, quel Conte! mögte man rufen.
4)
Siehe des Herrn von Kozebu’s verm. kleine Schriften 3ter Theil. Geschichte der Flibustier nach Raynal.
5)
Hier hatte der Orden praktisch bewiesen, daß nichts leichter sei, als jemanden am Zaum seiner Neigungen zu einem beliebigen Ziele hinzuleiten!
6)
Die schwarzen Herrn sind fürchterliche Worthalter; wem ist Frankreichs jezzige Lage, Ludwigs mislungene Flucht aus seinem Reiche unbekannt?
7)
Meints der schwarze Redner so, wer wird da nicht freudig mitrufen: es lebe die Freiheit!? — Und wenn er mit dem vorigen sagen will, daß Laune eines Fürsten oft tausende, dahingegen die Laune eines republikanischen Volkes nur einzelne Bürger elend machen kann: so wird ihm niemand Unrecht geben.
8)
Siehe des ersten Bandes dritten Abschnitts, Kap. 8. S. 183.

 

 

 

Anmerkungen zur Transkription

Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt. Die kräftig variierende Schreibweise, Grammatik und Interpunktion des Originales wurden unverändert beibehalten. Die Seitennummern im Inhaltsverzeichnis stimmen nicht mit der Seitennumerierung im Buch überein. Auch dies wurde wie im Original belassen. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






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