The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 5 by Theodor Mommsen

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Title: Römische Geschichte Book 5

Author: Theodor Mommsen

Release Date: February, 2002 [Etext #3064]
[Most recently updated: January 15, 2020]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***











Römische Geschichte

Fünftes Buch
Die Begründung der Militärmonarchie

von Theodor Mommsen


The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some (ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek words, nor is there any differentiation between the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Contents

Fünftes Buch—Die Begründung der Militärmonarchie
KAPITEL I. Marcus Lepidus und Quintus Sertorius
KAPITEL II. Die Sullanische Restaurationsherrschaft
KAPITEL III. Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius
KAPITEL IV. Pompeius und der Oste
KAPITEL V. Der Parteienkampf während Pompeius’ Abwesenheit
KAPITEL VI. Pompeius’ Rücktritt und die Koalition der Prätendenten
KAPITEL VII. Die Unterwerfung des Westens
KAPITEL VIII. Pompeius’ und Caesars Gesamtherrschaft
KAPITEL IX. Crassus’ Tod. Der Bruch der Gesamtherrscher.
KAPITEL X. Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus
KAPITEL XI. Die alte Republik und die neue Monarchie
KAPITEL XII. Religion, Bildung, Literatur und Kunst

Fünftes Buch
Die Begründung der Militärmonarchie

Wie er sich sieht so um und um,
Kehrt es ihm fast den Kopf herum,
Wie er wollt’ Worte zu allem finden?
Wie er möcht’ so viel Schwall verbinden
Wie er möcht’ immer mutig bleiben
So fort und weiter fort zu schreiben?

Goethe

KAPITEL I.
Marcus Lepidus und Quintus Sertorius

Als Sulla im Jahre 676 (78) starb, beherrschte die von ihm restaurierte Oligarchie unbeschränkt den römischen Staat; allein wie sie durch Gewalt gegründet war, bedurfte sie auch ferner der Gewalt, um sich gegen ihre zahlreichen heimlichen und offenen Gegner zu behaupten. Was ihr entgegenstand, war nicht etwa eine einfache Partei mit klar ausgesprochenen Zwecken und unter bestimmt anerkannten Führern, sondern eine Masse der mannigfaltigsten Elemente, die wohl im allgemeinen unter dem Namen der Popularpartei sich zusammenfaßten, aber doch in der Tat aus den verschiedenartigsten Gründen und in der verschiedenartigsten Absicht gegen die Sullanische Ordnung des Gemeinwesens Opposition machten. Da waren die Männer des positiven Rechts, die Politik weder machten noch verstanden, denen aber Sullas willkürliches Schalten mit dem Leben und Eigentum der Bürger ein Greuel war. Noch bei Lebzeiten Sullas, während jede andere Opposition schwieg, lehnten die strengen Juristen gegen den Regenten sich auf: es wurden zum Beispiel die Cornelischen Gesetze, welche verschiedenen italischen Bürgerschaften das römische Bürgerrecht aberkannten, in gerichtlichen Entscheidungen als nichtig behandelt, ebenso das Bürgerrecht von den Gerichten erachtet als nicht aufgehoben durch die Kriegsgefangenschaft und den Verkauf in die Sklaverei während der Revolution. Da waren ferner die Überreste der alten liberalen Senatsminorität, welche in früheren Zeiten auf eine Transaktion mit der Reformpartei und mit den Italikern hingearbeitet hatte und jetzt in ähnlicher Weise geneigt war, die starr oligarchische Verfassung Sullas durch Zugeständnisse an die Popularen zu mildern. Da waren ferner die eigentlichen Popularen, die ehrlich gläubigen bornierten Radikalen, die für die Schlagwörter des Parteiprogramms Vermögen und Leben einsetzten, um nach dem Siege mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, daß sie nicht für eine Sache, sondern für eine Phrase gefochten hatten. Ihnen galt es vornehmlich um die Wiederherstellung der von Sulla zwar nicht aufgehobenen, aber doch ihrer wesentlichsten Befugnisse entkleideten tribunizischen Gewalt, welche nur mit um so geheimnisvollerem Zauber auf die Menge wirkte, weil das Institut ohne handgreiflichen praktischen Nutzen und in der Tat ein leeres Gespenst war - hat doch der Name des Volkstribuns noch über ein Jahrtausend später Rom revolutioniert. Da waren vor allem die zahlreichen und wichtigen Klassen, die die Sullanische Restauration unbefriedigt gelassen oder geradezu in ihren politischen oder Privatinteressen verletzt hatte. Aus solchen Ursachen gehörte der Opposition an die dichte und wohlhabende Bevölkerung der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen, die natürlich die Gewährung des launischen Rechts im Jahre 665 (89) nur als eine Abschlagszahlung auf das volle römische Bürgerrecht betrachtete und der Agitation einen willfährigen Boden gewährte. Desgleichen die ebenfalls durch Anzahl und Reichtum einflußreichen und durch ihre Zusammendrängung in der Hauptstadt noch besonders gefährlichen Freigelassenen, die es nicht verschmerzen konnten, durch die Restauration wieder auf ihr früheres, praktisch nichtiges Stimmrecht zurückgeführt worden zu sein. Desgleichen ferner die hohe Finanz, die zwar vorsichtig sich still verhielt, aber ihren zähen Groll und ihre nicht minder zähe Macht nach wie vor sich bewahrte. Ebenso mißvergnügt war die hauptstädtische Menge, die die wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere Erbitterung gärte in den von den Sullanischen Konfiskationen betroffenen Bürgerschaften, mochten sie nun, wie zum Beispiel die Pompeianer, in ihrem durch die Sullanischen Kolonisten geschmälerten Eigentum innerhalb desselben Stadtgebiets mit diesen zusammen und mit ihnen in ewigem Hader leben oder, wie die Arretiner und Volaterraner, zwar noch im tatsächlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem Damoklesschwert der vom römischen Volke über sie verhängten Konfiskation sich befinden oder endlich, wie dies besonders in Etrurien der Fall war, als Bettler in ihren ehemaligen Wohnsitzen oder als Räuber in den Wäldern verkommen. Es war endlich in Gärung der ganze Familien- und Freigelassenenanhang derjenigen demokratischen Häupter, die infolge der Restauration das Leben verloren hatten oder in allem Elend des Emigrantenrums teils an den mauretanischen Küsten umherirrten, teils am Hofe und im Heere Mithradats verweilten; denn nach der von strenger Familiengeschlossenheit beherrschten politischen Gesinnung dieser Zeit galt es den Zurückgebliebenen als Ehrensache ^1, für die flüchtigen Angehörigen die Rückkehr in die Heimat, für die toten wenigstens Aufhebung der auf ihrem Andenken und auf ihren Kindern haftenden Makel und Rückgabe des väterlichen Vermögens auszuwirken. Vor allem die eigenen Kinder der Geächteten, die der Regent von Rechts wegen zu politischen Parias herabgesetzt hatte, hatten damit gleichsam von dem Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die bestehende Ordnung sich zu empören.

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^1 Ein bezeichnender Zug ist es, daß ein angesehener Literaturlehrer, der Freigelassene Staberius Eros, die Kinder der Geächteten unentgeltlich an seinem Kursus teilnehmen ließ.

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Zu allen diesen oppositionellen Fraktionen kam weiter hinzu die ganze Masse der ruinierten Leute. All das vornehme und geringe Gesindel, dem im eleganten oder im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf gegangen war; die adligen Herren, an denen nichts mehr vornehm war als ihre Schulden; die Sullanischen Lanzknechte, die der Machtspruch des Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht in Ackerbauer hatte umschaffen können, und die nach der verpraßten ersten Erbschaft der Geächteten sich sehnten, eine zweite ähnliche zu tun - sie alle warteten nur auf die Entfaltung der Fahne, die zum Kampfe gegen die bestehenden Verhältnisse einlud, mochte sonst was immer darauf geschrieben sein. Mit gleicher Notwendigkeit schlossen alle aufstrebenden und der Popularität bedürftigen Talente der Opposition sich an, sowohl diejenigen, denen der streng geschlossene Optimatenkreis die Aufnahme oder doch das rasche Emporkommen verwehrte und die deshalb in die Phalanx gewaltsam sich einzudrängen und die Gesetze der oligarchischen Exklusivität und Anciennität durch die Volksgunst zu brechen versuchten, als auch die gefährlicheren Männer, deren Ehrgeiz nach einem höheren Ziel strebte, als die Geschicke der Welt innerhalb der kollegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen. Namentlich auf der Advokatentribüne, dem einzigen von Sulla offengelassenen Boden gesetzlicher Opposition, ward schon bei Lebzeiten des Regenten von solchen Aspiranten mit den Waffen der formalen Jurisprudenz und der schlagfertigen Rede lebhaft gegen die Restauration gestritten; zum Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tullius Cicero (geboren 3. Januar 648 106), eines Gutsbesitzers von Arpinum Sohn, machte durch seine halb vorsichtige, halb dreiste Opposition gegen den Machthaber sich rasch einen Namen. Dergleichen Bestrebungen hatten nicht viel zu bedeuten, wenn der Opponent nichts weiter begehrte, als den kurulischen Stuhl damit sich einzuhandeln und sodann als Befriedigter den Rest seiner Jahre auf demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populären Mann dieser Stuhl nicht genügen und Gaius Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeidlich; indes für jetzt wenigstens war noch kein Name zu nennen, dessen Träger ein so hohes Ziel sich vorgesteckt hätte.

Derart war die Opposition, mit der das von Sulla eingesetzte oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem dasselbe, früher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen sozialen und politischen Übelstände dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine Schwierigkeit, teils die Militärchefs in den Provinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste bürgerliche Obrigkeit zu erhalten, teils in der Hauptstadt mit den Massen des daselbst sich anhäufenden italischen und außeritalischen Gesindels und der in Rom großenteils in faktischer Freiheit lebenden Sklaven fertig zu werden, ohne doch Truppen zur Verfügung zu haben. Der Senat stand wie in einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung, und ernstliche Kämpfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstandsmittel waren ansehnlich und nachhaltig; und wenngleich die Majorität der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, offenbar abgeneigt, ja ihr feindselig gesinnt war, so konnte nichtsdestoweniger gegen die irre und wirre Masse einer Opposition, welche weder im Ziel noch im Weg zusammen und hauptlos in hundert Fraktionen auseinanderging, die Regierung sehr wohl noch auf lange hinaus in ihrer festen Burg sich behaupten. Nur freilich mußte sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Verteidigung heranbringen; für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der größte Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben.

Je mehr schließlich alles ankam auf die Persönlichkeit der leitenden Männer auf beiden Seiten, desto übler war es, daß es genau genommen auf beiden Seiten an Führern fehlte. Die Politik dieser Zeit ward durchaus beherrscht von dem Koteriewesen in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues; die Familien- und Klubgeschlossenheit ist untrennbar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit Jahrhunderten in Rom übermächtig. Aber allmächtig wurde dieselbe doch erst in dieser Epoche, wie denn ihr Einfluß auch erst jetzt (zuerst 690 64) durch gesetzliche Repressivmaßregeln weniger gehemmt als konstatiert ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinnten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, taten sich in Hetärien zusammen; die Masse der Bürgerschaft, soweit sie überhaupt an den politischen Vorgängen regelmäßig sich beteiligte, bildete nach den Stimmbezirken gleichfalls geschlossene und fast militärisch organisierte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den “Bezirksverteilern” (divisores tribuum), ihre natürlichen Hauptleute und Mittelsmänner fanden. Feil war diesen politischen Klubs alles: die Stimme des Wählers vor allem, aber auch die des Ratsmanns und des Richters, auch die Fäuste, die den Straßenkrawall machten, und die Rottenführer, die ihn lenkten - nur im Tarif unterschieden sich die Assoziationen der Vornehmen und der Geringen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloß die Anklagen, die Hetärie leitete die Verteidigung; sie gewann den angesehenen Advokaten, sie akkordierte im Notfall wegen der Freisprechung mit einem der Spekulanten, die den einträglichen Handel mit Richterstimmen im großen betrieben. Die Hetärie beherrschte durch ihre geschlossenen Banden die Straßen der Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und sozusagen öffentlich; das Hetärienwesen war besser geordnet und besorgt als irgendein Zweig der Staatsverwaltung; wenn auch, wie es unter zivilisierten Gaunern üblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Einverständnis nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch niemand dessen ein Hehl, und angesehene Sachwalter scheuten sich nicht, ihr Verhältnis zu den Hetärien ihrer Klienten öffentlich und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzelner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politischer Don Quichotte. An die Stelle der Parteien und des Parteienkampfes traten die Klubs und deren Konkurrenz, an die Stelle des Regiments die Intrige. Ein mehr als zweideutiger Charakter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, später als Überläufer zu Sulla zu Gnaden aufgenommen, spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einflußreichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und Vermittler zwischen den senatorischen Fraktionen und als staatsmännischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied über die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo keiner der politisch tätigen Männer sich über die Linie des Gewöhnlichen erhob; jedes außerordentliche Talent hätte diese Faktionenwirtschaft wie Spinnweben weggefegt; aber eben an politischen und militärischen Kapazitäten war der bitterste Mangel. Von dem älteren Geschlecht hatten die Bürgerkriege keinen einzigen angesehenen Mann übriggelassen als den alten, klugen, redegewandten Lucius Philippus (Konsul 663 91),. der, früher popular gesinnt, darauf Führer der Kapitalistenpartei gegen den Senat und mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug, um Dank und Lohn zu ernten, übergetreten zu der siegenden Oligarchie, zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern der folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius (Konsul 674 80), Sullas Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Konsul in Sullas Todesjahr 676 (78), der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Auszeichnung unter Sulla gefochten hatten; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius (640-704 114-50), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Iunius Brutus (Konsul 677 77), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Konsul 677 77) und andern solchen Nullitäten, an denen der vollklingende aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswert der vornehmen Adligen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Vater ein feingebildeter Mann und ehrlicher Aristokrat, aber von mäßigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht bloß ein persönlich achtbarer Charakter, sondern auch ein fähiger und erprobter Offizier: nicht so sehr wegen seiner engen verwandtschaftlichen und kollegialischen Beziehungen zu dem Regenten, als besonders wegen seiner anerkannten Tüchtigkeit war er im Jahre 675 (79) nach Niederlegung des Konsulats nach Spanien gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen Emigranten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere, der ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher literarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und auch als Mensch ehrenwert erschien. Allein als Staatsmänner waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der Zeit. Dem äußeren Feind gegenüber bewährten die namhafteren darunter sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von ihnen bezeigte Lust und Geschick, die eigentlich politischen Aufgaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte See der Intrigen und Parteiungen als rechter Steuermann zu lenken. Ihre politische Weisheit beschränkte sich darauf, aufrichtig zu glauben an die alleinseligmachende Oligarchie, dagegen die Demagogie ebenso wie jede sich emanzipierende Einzelgewalt herzlich zu hassen und mutig zu verwünschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit wenigem vorlieb. Was von Metellus in Spanien erzählt wird, daß er nicht bloß die wenig harmonische Leier der spanischen Gelegenheitspoeten sich gefallen, sondern sogar, wo er hinkam, sich gleich einem Gotte mit Weinspenden und Weihrauchduft empfangen und bei Tafel von niederschwebenden Viktorien unter Theaterdonner das Haupt mit dem goldenen Siegeslorbeer sich kränzen ließ, ist nicht besser beglaubigt als die meisten geschichtlichen Anekdoten; aber auch in solchem Klatsch spiegelt sich der heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst die Besseren waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluß, sondern das Konsulat und der Triumph und im Rate ein Ehrenplatz errungen war, und traten da, wo sie bei rechtem Ehrgeiz erst angefangen haben würden, ihrem Vaterland und ihrer Partei wahrhaft nützlich zu sein, von der politischen Bühne zurück, um in fürstlichem Luxus unterzugehen. Männer wie Metellus und Lucius Lucullus waren schon als Feldherren nicht weniger als auf die Erweiterung des römischen Gebiets durch neu unterworfene Könige und Völkerschaften bedacht auf die der endlosen Wildbret-, Geflügel- und Dessertliste der römischen Gastronomie durch neue afrikanische und kleinasiatische Delikatessen und haben den besten Teil ihres Lebens in mehr oder minder geistreichem Müßiggang verdorben. Das traditionelle Geschick und die individuelle Resignation, auf denen alles oligarchische Regiment beruht, waren der verfallenen und künstlich wiederhergestellten römischen Aristokratie dieser Zeit abhanden gekommen; ihr galt durchgängig der Cliquengeist als Patriotismus, die Eitelkeit als Ehrgeiz, die Borniertheit als Konsequenz. Wäre die Sullanische Verfassung unter die Obhut von Männern gekommen, wie sie wohl im römischen Kardinalskollegium und im venezianischen Rat der Zehn gesessen haben, so ist es nicht zu sagen, ob die Opposition vermocht haben würde, sie so bald zu erschüttern; mit solchen Verteidigern war allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr.

Unter den Männern, die weder unbedingte Anhänger noch offene Gegner der Sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr die Augen der Menge auf sich als der junge, bei Sullas Tode achtundzwanzigjährige Gnaeus Pompeius (geb. 29. September 648 106). Es war das ein Unglück für den Bewunderten wie für die Bewunderer; aber es war natürlich. Gesund an Leib und Seele, ein tüchtiger Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und gewandter Reiter und Fechter, ein kecker Freischarenführer, war der Jüngling in einem Alter, das ihn von jedem Amt und vom Senat ausschloß, Imperator und Triumphator geworden und hatte in der öffentlichen Meinung den ersten Platz nächst Sulla, ja von dem läßlichen, halb anerkennenden, halb ironischen Regenten selbst den Beinamen des Großen sich erworben. Zum Unglück entsprach seine geistige Begabung diesen unerhörten Erfolgen schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein unfähiger, aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, durch die Natur geschaffen, ein tüchtiger Wachtmeister, durch die Umstände berufen, Feldherr und Staatsmann zu sein. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener, durchaus vorzüglicher Soldat, war er doch auch als Militär ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt ist es ihm eigen, mit einer an Ängstlichkeit grenzenden Vorsicht zu Werke zu gehen und womöglich den entscheidenden Schlag erst dann zu führen, wenn die ungeheuerste Überlegenheit über den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung der Zeit; obwohl durch und durch Soldat versäumte er doch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekünstler pflichtmäßig zu bewundern und zu beschenken. Seine Rechtschaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem beträchtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus hält; er verschmähte es nicht, in der üblichen senatorischen Weise Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich, um deswegen sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm den - relativ allerdings wohl gerechtfertigten - Ruhm der Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit verschafft. Sein “ehrliches Gesicht” ward fast sprichwörtlich, und noch nach seinem Tode war er ein würdiger und sittlicher Mann; in der Tat war er ein guter Nachbar, welcher die empörende Sitte der Großen jener Zeit, ihre Gebietsgrenzen durch Zwangskäufe oder, noch Schlimmeres, auf Kosten der kleineren Nachbarn auszudehnen, nicht mitmachte, und zeigte er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder; es gereicht ihm ferner zur Ehre, daß er zuerst von der barbarischen Sitte abging, die gefangenen feindlichen Könige und Feldherrn nach ihrer Aufführung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem verfemten Geschlecht angehörte, und auf desselben Gebieters Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hilfreich beigestanden hatten, mit großer Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen; er war nicht grausam, wie man ihm vorwarf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Guten wie im Bösen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetümmel sah er dem Feinde das Weiße im Auge; im bürgerlichen Leben war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veranlassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Verlegenheit öffentlich sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr. Bei all seinem hoffärtigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind, die ihre Selbständigkeit zur Schau tragen, ein lenksames Werkzeug in der Hand derjenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freigelassenen und Klienten, von denen er nicht fürchtete, beherrscht zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staatsmann. Unklar über seine Ziele, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im kleinen wie im großen kurzsichtig und ratlos, pflegte er seine Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu verbergen und, wenn er fein zu spielen meinte, nur mit dem Glauben andere zu täuschen, sich selber zu betrügen. Durch seine militärische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne sein Zutun eine ansehnliche, ihm persönlich ergebene Partei zu, mit der sich die größten Dinge hätten durchführen lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfähig, eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten, und wenn sie dennoch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zutun durch das bloße Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin wie in andern Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder unerträglich als dieser langweiligste und steifleinenste aller nachgemachten großen Männer. Seine politische Stellung war durchaus schief. Er war Sullanischer Offizier und für die restaurierte Verfassung einzustehen verpflichtet, und doch auch wieder in Opposition gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze senatorische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den Konsularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr gehässige Zwitterstellung eingenommen und er selbst einst in den Reihen der Cinnaner gestanden - Erinnerungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die hervorragende Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, entzweite ihn innerlich ebensosehr mit der Aristokratie, wie sie ihn äußerlich mit derselben verflocht. Schwachköpfig wie er war, ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und leicht erklommenen Ruhmeshöhe vom Schwindel ergriffen. Gleich als wolle er seine dürr prosaische Natur durch die Parallele mit der poetischsten aller Heldengestalten selber verhöhnen, fing er an sich mit Alexander dem Großen zu vergleichen und sich für einen einzigen Mann zu halten, dem es nicht gezieme, bloß einer von den fünfhundert römischen Ratsherren zu sein. In der Tat war niemand mehr geschaffen, in ein aristokratisches Regiment als Glied sich einzufügen, als er. Pompeius’ würdevolles Äußere, seine feierliche Förmlichkeit, seine persönliche Tapferkeit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an aller Initiative hätten ihm, wäre er zweihundert Jahre früher geboren worden, neben Quintus Maximus und Publius Decius einen ehrenvollen Platz gewinnen mögen; zu der Wahlverwandtschaft, die zwischen Pompeius und der Masse der Bürgerschaft und des Senats zu allen Zeiten bestand, hat diese echt optimatische und echt römische Mediokrität nicht am wenigsten beigetragen. Auch in seiner Zeit noch hätte es eine klare und ansehnliche Stellung für ihn gegeben, wofern er damit sich genügen ließ, der Feldherr des Rates zu sein, zu dem er von Haus aus bestimmt war. Es genügte ihm nicht und so geriet er in die verhängnisvolle Lage, etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Beständig trachtete er nach einer Sonderstellung im Staat und wenn sie sich darbot, konnte er sich nicht entschließen, sie einzunehmen; mit tiefer Erbitterung nahm er es auf, wenn Personen und Gesetze nicht unbedingt vor ihm sich beugten, und doch trat er selbst mit nicht bloß affektierter Bescheidenheit überall auf als einer von vielen Gleichberechtigten und zitterte vor dem bloßen Gedanken, etwas Verfassungswidriges zu beginnen. Also beständig in gründlicher Spannung mit und doch zugleich der gehorsame Diener der Oligarchie, beständig gepeinigt von einem Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele erschrickt, verfloß ihm in ewigem innerem Widerspruch freudelos sein vielbewegtes Leben.

Ebensowenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den unbedingten Anhängern der Oligarchie gezählt werden. Er ist eine für diese Epoche höchst charakteristische Figur. Wie Pompeius, dem er im Alter um wenige Jahre voranging, gehörte auch er zu dem Kreise der hohen römischen Aristokratie, hatte die gewöhnliche standesmäßige Erziehung erhalten und gleich Pompeius unter Sulla im Italischen Kriege mit Auszeichnung gefochten. An geistiger Begabung, literarischer Bildung und militärischem Talent weit zurückstehend hinter vielen seinesgleichen, überflügelte er sie durch seine grenzenlose Rührigkeit und durch die Beharrlichkeit, mit der er rang, alles zu besitzen und zu bedeuten. Vor allen Dingen warf er sich in die Spekulation. Güterkäufe während der Revolution begründeten sein Vermögen; aber er verschmähte keinen Erwerbszweig; er betrieb das Baugeschäft in der Hauptstadt ebenso großartig wie vorsichtig; er ging mit seinen Freigelassenen bei den mannigfaltigsten Unternehmungen in Kompagnie; er machte in und außer Rom, selbst oder durch seine Leute den Bankier; er Schoß seinen Kollegen Im Senat Geld vor und unternahm es, für ihre Rechnung wie es fiel Arbeiten auszuführen oder Richterkollegien zu bestechen. Wählerisch im Profitmachen war er eben nicht. Schon bei den Sullanischen Ächtungen war ihm eine Fälschung in den Listen nachgewiesen worden, weshalb Sulla sich von da an in Staatsgeschäften seiner nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm er darum nicht weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein Name stand, notorisch gefälscht war; er hatte nichts dagegen, wenn seine Meier die kleinen Anlieger ihres Herrn von ihren Ländereien gewaltsam oder heimlich verdrängten. Übrigens vermied er offene Kollisionen mit der Kriminaljustiz und lebte als echter Geldmann selbst bürgerlich und einfach. Auf diesem Wege ward Crassus binnen wenig Jahren aus einem Mann von gewöhnlichem senatorischen, der Herr eines Vermögens, das nicht lange vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer außerordentlicher Ausgaben sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (13 Mill. Taler) belief: er war der reichste Römer geworden und damit zugleich eine politische Größe. Wenn nach seiner Äußerung niemand sich reich nennen durfte, der nicht aus seinen Zinsen ein Kriegsheer zu unterhalten vermochte, so war, wer dies vermochte, kaum noch ein bloßer Bürger. In der Tat war Crassus’ Blick auf ein höheres Ziel gerichtet als auf den Besitz der gefülltesten Geldkiste in Rom. Er ließ es sich keine Mühe verdrießen, seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Bürger der Hauptstadt wußte er beim Namen zu grüßen. Keinem Bittenden versagte er seinen Beistand vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel für ihn als Sprecher getan: seine Rede war trocken, der Vortrag eintönig, er hörte schwer; aber sein zäher Sinn, den keine Langeweile abschreckte wie kein Genuß abzog, überwand die Hindernisse. Nie erschien er unvorbereitet, nie extemporierte er, und so ward er ein allzeit gesuchter und allzeit fertiger Anwalt, dem es keinen Eintrag tat, daß ihm nicht leicht eine Sache zu schlecht war und daß er nicht bloß durch sein Wort, sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden Falls durch sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der halbe Rat war ihm verschuldet; seine Gewohnheit, den Freunden Geld ohne Zinsen auf beliebige Rückforderung vorzuschießen, machte eine Menge einflußreicher Männer von ihm abhängig, um so mehr, da er als echter Geschäftsmann keinen Unterschied unter den Parteien machte, überall Verbindungen unterhielt und bereitwillig jedem borgte, der zahlungsfähig oder sonst brauchbar war. Die verwegensten Parteiführer, die rücksichtslos nach allen Seiten hin ihre Angriffe richteten, hüteten sich, mit Crassus anzubinden; man verglich ihn dem Stier der Herde, den zu reizen für keinen rätlich war. Daß ein so gearteter und so gestellter Mann nicht nach niedrigen Zielen streben konnte, leuchtet ein; und, anders als Pompeius, wußte Crassus genau wie ein Bankier, worauf und womit er politisch spekulierte. Seit Rom stand, war daselbst das Kapital eine politische Macht; die Zeit war von der Art, daß dem Golde wie dem Eisen alles zugänglich schien. Wenn in der Revolutionszeit eine Kapitalistenaristokratie daran hatte denken mögen, die Oligarchie der Geschlechter zu stürzen, so durfte auch ein Mann wie Crassus die Blicke höher erheben als zu den Rutenbündeln und dem gestickten Mantel der Triumphatoren. Augenblicklich war er Sullaner und Anhänger des Senats; allein er war viel zu sehr Finanzmann, um einer bestimmten politischen Partei sich zu eigen zu geben und etwas anderes zu verfolgen als seinen persönlichen Vorteil. Warum sollte Crassus, der reichste und der intriganteste Mann in Rom und kein scharrender Geizhals, sondern ein Spekulant im größten Maßstab, nicht spekulieren auch auf die Krone? Vielleicht vermochte er allein es nicht, dies Ziel zu erreichen; aber er hatte ja schon manches großartige Gesellschaftsgeschäft gemacht: es war nicht unmöglich, daß auch hierfür ein passender Teilnehmer sich darbot. Es gehörte zur Signatur der Zeit, daß ein mittelmäßiger Redner und Offizier, ein Politiker, der seine Rührigkeit für Energie, seine Begehrlichkeit für Ehrgeiz hielt, der im Grunde nichts hatte als ein kolossales Vermögen und das kaufmännische Talent, Verbindungen anzuknüpfen - daß ein solcher Mann, gestützt auf die Allmacht der Koterien und Intrigen, den ersten Feldherren und Staatsmännern der Zeit sich ebenbürtig achten und mit ihnen um den höchsten Preis ringen durfte, der dem politischen Ehrgeiz winkt.

In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen Konservativen als unter den Popuhren, hatten die Stürme der Revolution mit erschreckender Gründlichkeit aufgeräumt. Unter jenen war der einzig übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta (630 bis ca. 681 124 -73), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und deswegen im Jahre 663 (91) verbannt, sodann durch Sullas Krieg zurückgeführt in die Heimat; er war ein kluger Mann und ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Partei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei zog unter dem jungen Nachwuchs der vierundzwanzigjährige Gaius Iulius Caesar (geb. 12. Juli 652? 102) ^2 die Blicke von Freund und Feind auf sich. Seine Verschwägerung mit Marius und Cinna - seines Vaters Schwester war Marius’ Gemahlin gewesen, er selbst mit Cinnas Tochter vermählt -; die mutige Weigerung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings, nach dem Befehl des Diktators seiner jungen Gemahlin Cornelia den Scheidebrief zuzusenden, wie es doch im gleichen Falle Pompeius getan; ein keckes Beharren auf dem ihm von Marius zugeteilten, von Sulla aber wieder aberkannten Priesteramt; seine Irrfahrten während der ihm drohenden und mühsam durch Fürbitte seiner Verwandten abgewandten Ächtung; seiner Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und in Kilikien, die dem zärtlich erzogenen und fast weiblich stutzerhaften Knaben niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen Sullas vor dem “Knaben im Unterrock”, in dem mehr als ein Marius stecke - alles dies waren ebenso viele Empfehlungen in den Augen der demokratischen Partei. Indes an Caesar konnten doch nur Hoffnungen für die Zukunft sich knüpfen; und die Männer, die durch ihr Alter und ihre Stellung im Staat schon jetzt berufen gewesen sein würden, der Zügel der Partei und des Staates sich zu bemächtigen, waren sämtliche tot oder geächtet. So war die Führerschaft der Demokratie in Ermangelung eines wahrhaft Berufenen für jeden zu haben, dem es belieben mochte, sich zum Vertreter der unterdrückten Volksfreiheit aufzuwerfen; und in dieser Weise kam sie an Marcus Aemilius Lepidus, einen Sullaner, der aus mehr als zweideutigen Beweggründen überging in das Lager der Demokratie. Einst ein eifriger Optimat und stark beteiligt bei den über die Güter der Geächteten abgehaltenen Auktionen, hatte er als Statthalter von Sizilien die Provinz so arg geplündert, daß ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn von zweifelhaftem Werte. Zwar ein bekannter Name, ein vornehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der Opposition erworben; aber Lepidus war ein unbedeutender und unbesonnener Kopf, der weder im Rate noch im Felde verdiente, an der Spitze zu stehen. Nichtsdestoweniger hieß die Opposition ihn willkommen, und dem neuen Demokratenführer gelang es nicht bloß, seine Ankläger von der Fortsetzung des gegen ihn begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch, seine Wahl zum Konsul für 676 (78) durchzusetzen, wobei ihm übrigens außer den in Sizilien erpreßten Schätzen auch Pompeius’ albernes Bestreben förderlich war, bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern zu zeigen, was er vermöge. Da also, als Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt gefunden hatte und da dieser ihr Führer der höchste Beamte des Staats geworden war, so ließ sich der nahe Ausbruch einer neuen Revolution in der Hauptstadt mit Sicherheit vorhersehen.

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^2 Als Caesars Geburtsjahr pflegt man das Jahr 654 (100) anzusetzen, weil er nach Sueton (Caes. 88), Plutarch (Caes. 69) und Appian (civ. 2 149) bei seinem Tode (15. März 710 44) im 56. Jahre stand; womit auch die Angabe, daß er zur Zeit der Sullanischen Proskription (672 82) achtzehn Jahre alt gewesen (Vell. 2, 41), ungefähr übereinstimmt. Aber in unauflöslichem Widerspruch damit steht es, daß Caesar im Jahre 689 (65) die Ädilität, 692 (62) die Prätur, 695 (59) das Konsulat bekleidet hat und jene Ämter nach den Annalgesetzen frühestens resp. im 37/38., 40/41. und 43/44. Lebensjahr bekleidet werden durften. Es ist nicht abzusehen, wie Caesar sämtliche kurulischen Ämter zwei Jahre vor der gesetzlichen Zeit bekleidet haben, noch weniger, daß hiervon nirgends Erwähnung geschehen sein sollte. Vielmehr legen diese Tatsachen die Vermutung nahe, daß er, da sein Geburtstag unbezweifelt auf den 12. Juli fiel, nicht 654 (100), sondern 652 (102) geboren ist, also im Jahre 672 (82) im 20/21. Lebensjahre stand und nicht im 56., sondern 57 Jahre 8 Monate alt starb. Für diesen letzteren Ansatz läßt sich ferner geltend machen, was man auffallenderweise dagegen angeführt hat, daß Caesar “paene puer” von Marius und Cinna zum Flamen des Jupiter bestellt wurde (Vell. 2, 43); denn Marius starb im Januar 668 (86), wo Caesar nach dem gewöhnlichen Ansatz dreizehn Jahre und sechs Monate alt, also nicht “beinahe”, wie Velleius sagt, sondern wirklich noch Knabe und aus diesem Grunde eines solchen Priestertums kaum fähig war. War er dagegen im Juli 652 (102) geboren, so stand er bei dem Tode des Marius im sechzehnten Lebensjahr; und dazu stimmt die Bezeichnung bei Velleius wie die allgemeine Regel, daß bürgerliche Stellungen nicht vor Ablauf des Knabenalters übernommen werden. Zu diesem letzteren Ansatz paßt es ferner allein, daß die um den Ausbruch des Bürgerkrieges von Caesar geschlagenen Denare mit der Zahl LII, wahrscheinlich dem Lebensjahr, bezeichnet sind; denn als er begann, war Caesar hiernach etwas über 52 Jahre alt. Auch ist es nicht so verwegen, wie es uns an regelmäßige und amtliche Geburtslisten Gewöhnten erscheint, in dieser Hinsicht unsere Gewährsmänner eines Irrtum zu zeihen. Jene vier Angaben können sehr wohl alle auf eine gemeinschaftliche Quelle zurückgehen und dürfen überhaupt, da für die ältere Zeit vor dem Beginn der acta diurna die Angaben über die Geburtsjahre auch der bekanntesten und höchstgestellten Römer, zum Beispiel über das des Pompeius, in der auffallendsten Weise schwanken, auf keine sehr hohe Glaubwürdigkeit Anspruch machen. Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 570.

In dem ‘Leben Caesars’ von Napoleon III. (Bd. 2, Kap. 1) ist hiergegen eingewandt worden, teils daß das Annalgesetz für Caesars Geburtsjahr nicht auf 652 (102), sondern 651 (103) führen würde, teils besonders, daß auch sonst Fälle bekannt sind, wo dasselbe nicht befolgt worden ist. Allein die erste Behauptung beruht auf einem Versehen; denn wie Ciceros Beispiel zeigt, forderte das Annalgesetz nur, daß bei Antritt des Amtes das 43. Lebensjahr begonnen, nicht daß es zurückgelegt sei. Die behaupteten Ausnahmen aber von der Regel treffen sämtlich nicht zu. Wenn Tacitus (ann. 11, 22) sagt, daß man ehemals bei der Vergebung der Ämter gar keine Rücksicht auf das Alter genommen und Konsulat und Diktatur an ganz junge Leute übertragen habe, so hat er natürlich, wie auch alle Erklärer anerkennen, dabei die ältere Zeit im Sinne, vor Erlaß der Annalgesetze, das Konsulat des dreiundzwanzigjährigen M. Valerius Corvus und ähnliche Fälle. Daß Lucullus das höchste Amt vor dem gesetzlichen Alter empfing, ist falsch; es wird nur berichtet (Cic. ac. 2. 1, 1), daß auf Grund einer uns nicht näher bekannten Ausnahmeklausel zur Belohnung für irgendwelche von ihm verrichtete Tat er von dem gesetzlichen zweijährigen Intervall zwischen Ädilität und Prätur dispensiert war - in der Tat war er 675 Ädil, wahrscheinlich 677 Prätor, 680 Konsul. Daß der Fall des Pompeius ein gänzlich verschiedener ist, liegt auf der Hand; aber auch von Pompeius wird mehrfach ausdrücklich gemeldet (Cic. imp. Cn. Pomp. 21, 62; App. civ. 3, 88), daß der Senat ihn von den Altersgesetzen entband. Daß dies für Pompeius geschah, der als sieggekrönter Oberfeldherr und Triumphator, an der Spitze eines Heeres und seit seiner Koalition mit Crassus auch einer mächtigen Partei, sich um das Konsulat bewarb, ist ebenso begreiflich, als es im höchsten Grade auffallend sein würde, wenn dasselbe für Caesar bei seiner Bewerbung um die minderen Ämter geschehen sein sollte, wo er wenig mehr bedeutete als andere politische Anfänger; und noch viel auffallender ist es, daß wohl von jener selbstverständlichen Ausnahme, aber nicht von dieser mehr als seltsamen sich Erwähnung findet, so nahe solche Erwähnungen, namentlich im Hinblick auf den 21jährigen Konsul Caesar den Sohn auch gelegen haben würden (vgl. z. B. App. civ. 3, 88). Wenn aus diesen unzutreffenden Beispielen dann die Folgerung gezogen wird, daß “man in Rom das Gesetz wenig beachtet habe, wenn es sich um ausgezeichnete Männer handelte”, so ist über Rom und die Römer wohl nie etwas Irrigeres gesagt worden als dieser Satz. Die Größe des römischen Gemeinwesens wie nicht minder die seiner großen Feldherren und Staatsmänner beruht vor allen Dingen darauf, daß das Gesetz auch für sie galt.

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Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Dieser vorzügliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich organisiert - die fast schwärmerische Liebe für seine Mutter Raia zeigt es - und zugleich von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem Kimbrischen, dem Spanischen und dem Italischen Krieg heimgebrachten ehrenvollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult, erregte er durch den natürlichen Fluß und die treffende Sicherheit seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein ungemeines militärisches und staatsmännisches Talent hatte er namentlich in dem von den Demokraten so über die Maßen elend und kopflos geführten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in glänzendem Kontrast zu beweisen: anerkanntermaßen war er der einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu leiten verstand, und der einzige demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen Treiben und Wüten seiner Partei mit staatsmännischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloß deswegen, weil er gleich diesem im Kriege ein Auge eingebüßt hatte. Er erinnert in der Tat an den großen Phöniker durch seine ebenso verschlagene als mutige Kriegführung, sein seltenes Talent, den Krieg durch den Krieg zu organisieren, seine Gewandtheit, fremde Nationen in sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie in der Abwendung der Folgen seiner Niederlagen. Man darf zweifeln, ob irgendein römischer Staatsmann der früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent mit Sertorius sich vergleichen läßt. Nachdem Sullas Feldherren ihn gezwungen hatten, aus Spanien zu weichen, hatte er an den spanischen und afrikanischen Küsten ein unstetes Abenteuerleben geführt, bald im Bunde, bald im Kriege mit den auch hier einheimischen kilikischen Piraten und den Häuptlingen der schweifenden Stämme Libyens. Selbst hierhin hatte die siegreiche römische Restauration ihn verfolgt; als er Tingis (Tanger) belagerte, war dem Fürsten der Stadt zu Hilfe aus dem römischen Afrika ein Korps unter Pacciaecus erschienen; aber Pacciaecus ward von Sertorius völlig geschlagen und Tingis genommen. Auf das weithin erschallende Gerücht von solchen Kriegstaten des römischen Flüchtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeblichen Unterwerfung unter die römische Oberhoheit tatsächlich ihre Unabhängigkeit behaupteten und jährlich mit den Statthaltern des Jenseitigen Spaniens fochten, Botschaft an Sertorius nach Afrika, um ihn zu sich einzuladen und ihm das Feldherrnamt über ihre Miliz zu übertragen. Sertorius, der zwanzig Jahre zuvor unter Titus Didius in Spanien gedient hatte und die Hilfsquellen des Landes kannte, beschloß, der Einladung Folge zu leisten, und schiffte mit Zurücklassung eines kleinen Postens an der mauretanischen Küste nach Spanien sich ein (um 674 80). Die Meerenge, die Spanien und Afrika scheidet, war besetzt durch ein römisches, von Cotta geführtes Geschwader; sich durchzuschleichen war nicht möglich; so schlug Sertorius sich durch und gelangte glücklich zu den Lusitanern. Es waren nicht mehr als zwanzig lusitanische Gemeinden, die sich unter seine Befehle stellten, und auch von “Römern” musterte er nur 2600 Mann, von denen ein guter Teil Übergetretene aus dem Heer des Pacciaecus oder römisch bewaffnete Afrikaner waren. Sertorius erkannte es, daß alles darauf ankam, den losen Guerillaschwärmen einen festen Kern römisch organisierter und disziplinierter Truppen zu geben; er verstärkte zu diesem Ende seine mitgebrachte Schar durch Aushebung von 4000 Fußsoldaten und 700 Reitern und rückte mit dieser einen Legion und den Schwärmen der spanischen Freiwilligen gegen die Römer vor. Den Befehl im jenseitigen Spanien führte Lucius Fufidius, der durch seine unbedingte und bei den Ächtungen erprobte Hingebung an Sulla vom Unteroffizier zum Proprätor aufgerückt war; am Baetis ward dieser völlig geschlagen; 2000 Römer bedeckten die Walstatt. Eilige Boten beriefen den Statthalter der benachbarten Ebroprovinz, Marcus Domitius Calvinus, um dem weiteren Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen; bald erschien (675 79) auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, von Sulla gesandt, um den unbrauchbaren Fufidius im südlichen Spanien abzulösen. Aber es gelang doch nicht, des Aufstandes Herr zu werden. In der Ebroprovinz wurde von dem Unterfeldherrn des Sertorius, dem Quästor Lucius Hirtuleius, nicht bloß Calvinus’ Heer vernichtet und er selbst getötet, sondern auch Lucius Manlius, der Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem Kollegen zu Hilfe mit drei Legionen die Pyrenäen überschritten, von demselben tapferen Führer vollständig geschlagen. Mühsam rettete Manlius sich mit weniger Mannschaft nach Ilerda (Lerida) und von da in seine Provinz, auf welchem Marsch er noch durch einen Überfall der aquitanischen Völkerschaften sein ganzes Gepäck einbüßte. Im Jenseitigen Spanien drang Metellus in das lusitanische Gebiet ein; allein es gelang Sertorius, während der Belagerung von Longobriga (unweit der Tajomündung) eine Abteilung unter Aquinus in einen Hinterhalt zu locken und dadurch Metellus selbst zur Aufhebung der Belagerung und zur Räumung des lusitanischen Gebietes zu zwingen. Sertorius folgte ihm, schlug am Anas (Guadiana) das Korps des Thorius und tat dem feindlichen Oberfeldherrn selbst unsäglichen Abbruch im kleinen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas schwerfälliger Taktiker, war in Verzweiflung über diesen Gegner, der die Entscheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und Kommunikationen ihm abschnitt und von allen Seiten ihn beständig umschwärmte.

Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in beiden spanischen Provinzen erfocht, waren im so bedeutsamer, als sie nicht bloß durch die Waffen errungen wurden und nicht bloß militärischer Natur waren. Die Emigrierten als solche waren nicht furchtbar; auch an einzelnen Erfolgen der Lusitaner unter diesem oder jenem fremden Führer war wenig gelegen. Aber mit dem sichersten politischen und patriotischen Takt trat Sertorius, sowie er irgend es vermochte, statt als Condottiere der gegen Rom empörten Lusitaner auf als römischer Feldherr und Statthalter von Spanien, in welcher Eigenschaft er ja von den ehemaligen Machthabern dorthin gesandt worden war. Er fing an ^3, aus den Häuptern der Emigration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert Mitglieder steigen und in römischen Formen die Geschäfte leiten und die Beamten ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein römisches und besetzte die Offiziersstellen ohne Ausnahme mit Römern. Den Spaniern gegenüber war er der Statthalter, der kraft seines Amtes Mannschaft und sonstige Unterstützung von ihnen einmahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten despotischen Regiments bemüht war, die Provinzialen an Rom und an sich persönlich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht und erweckte bei dem spanischen Adel für den wahlverwandten wunderbaren Fremdling die glühendste Begeisterung; nach der auch hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriegerischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier, zu ihrem römischen Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in ihnen zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten und Parteigenossen. Er verschmähte es nicht, auch den Aberglauben der roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar zu machen und seine kriegerischen Pläne als Befehle der Diana durch die weiße Hindin der Göttin sich zutragen zu lassen. Durchaus führte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine Truppen mußten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im allgemeinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel. Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Soldaten an, sich für den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die drückende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle unsäglicher Übelstände und Quälereien verstopft ward. Für die Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Akademie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen höheren Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und die Toga tragen lernten - eine merkwürdige Maßregel, die keineswegs bloß den Zweck hatte, von den Verbündeten die in Spanien nun einmal unvermeidlichen Geiseln in möglichst schonender Form zu nehmen, sondern vor allem ein Ausfluß und eine Steigerung war des großen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokratischen Partei, die Provinzen allmählich zu romanisieren. Hier zuerst wurde der Anfang dazu gemacht, die Romanisierung nicht durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emigranten zu bewerkstelligen, sondern die Provinzialen selbst zu romanisieren. Die Optimaten in Rom spotteten über den elenden Emigranten, den Ausreißer aus der italischen Armee, den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn fiel auf sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius ins Feld geführt worden waren, mit Einschluß des spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuß, 2000 Bogenschützen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure Übermacht hatte Sertorius nicht bloß sich in einer Kette von glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den größten Teil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen Provinz sah sich Metellus beschränkt auf die unmittelbar von seinen Truppen besetzten Gebietsteile; hier hatten alle Völkerschaften, die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer mehr. Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische Gebiet; schon fingen auch hier die Stämme an, sich zu regen, und zusammengerottete Haufen, die Alpenpässe unsicher zu machen. Die See endlich gehörte ebensosehr den Insurgenten wie der legitimen Regierung, da die Verbündetem jener, die Korsaren, in den spanischen Gewässern fast so mächtig waren wie die römischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (jetzt Denia zwischen Valencia und Alicante) richtet Sertorius jenen eine feste Station ein, wo sie teils den römischen Schiffen auflauerten, die den römischen Seestädten und dem Heer ihren Bedarf zuführten, teils den Insurgenten die Waren abnahmen oder lieferten, teils deren Verkehr mit Italien und Kleinasien vermittelten. Daß diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden Brandstätte überall hin die Funken trugen, war in hohem Grade besorgniserregend, zumal in einer Zeit, wo überall im Römischen Reiche so viel Brennstoff aufgehäuft war.

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^3 Wenigstens die Grundzüge dieser Organisation müssen in die Jahre 674 (80), 675 (79), 676 (78) fallen, wenngleich die Ausführung ohne Zweifel zum guten Teil erst den späteren Jahren angehört.

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In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod (676 78). Solange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes und zuverlässiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erheben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, entschiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten sowie die Wahl des Führers der Opposition daheim zum höchsten Beamten des Reiches allenfalls als vorübergehende Mißgeschicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, daß entweder die Opposition es nicht wagen werde, zum offenen Kampfe zu schreiten, oder daß, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie dieselbe zum dritten Male herstellen werde. Jetzt war der Stand der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heißsporne in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien, drängten zum Losschlagen, und Lepidus, bei dem augenblicklich die Entscheidung stand, ging mit dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm persönlich eigenen Leichtfertigkeit darauf ein. Einen Augenblick schien es, als solle an der Fackel, die den Scheiterhaufen des Regenten anzündete, auch der Bürgerkrieg sich entflammen; indes Pompeius’ Einfluß und die Stimmung der Sullanischen Veteranen bestimmten die Opposition, das Leichenbegängnis des Regenten noch ruhig vorübergehen zu lassen. Allein nur um so offener traf man sodann die Einleitung zur abermaligen Revolution. Bereits hallte der Markt der Hauptstadt wider von Anklagen gegen den “karikierten Romulus” und seine Schergen. Noch bevor der Gewaltige die Augen geschlossen hatte, wurden von Lepidus und seinen Anhängern der Umsturz der Sullanischen Verfassung, die Wiederherstellung der Getreideverteilungen, die Wiedereinsetzung der Volkstribune in den vorigen Stand, die Zurückführung der gesetzwidrig Verbannten, die Rückgabe der konfiszierten Ländereien offen als das Ziel der Agitation bezeichnet. Jetzt wurden mit den Geächteten Verbindungen angeknüpft; Marcus Perpenna, in der cinnanischen Zeit Statthalter von Sizilien, fand sich ein in der Hauptstadt. Die Söhne der Sullanischen Hochverräter, auf denen die Restaurationsgesetze mit unerträglichem Drucke lasteten, und überhaupt die namhafteren marianisch gesinnten Männer wurden zum Beitritt aufgefordert; nicht wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an; andere freilich folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die Nachricht von Sullas Tode und Lepidus’ Plänen aus Asien heimgekehrt war, aber nachdem er den Charakter des Führers und der Bewegung genauer kennengelernt hatte, vorsichtig sich zurückzog. In der Hauptstadt ward auf Lepidus’ Rechnung in den Weinhäusern und den Bordellen gezecht und geworben. Unter den etruskischen Mißvergnügten endlich ward eine Verschwörung gegen die neue Ordnung der Dinge angezettelt ^4.

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^4 Die folgende Erzählung beruht wesentlich auf dem Bericht des Licinianus, der, so trümmerhaft er auch gerade hier ist, dennoch über die Insurrektion des Lepidus wichtige Aufschlüsse gibt.

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Alles dies geschah unter den Augen der Regierung. Der Konsul Catulus sowie die verständigeren Optimaten drangen darauf, sofort entschieden einzuschreiten und den Aufstand im Keime zu ersticken; allein die schlaffe Majorität konnte sich nicht entschließen, den Kampf zu beginnen, sondern versuchte so lange wie möglich, durch ein System von Transaktionen und Konzessionen sich selber zu täuschen. Lepidus ging zunächst auf dasselbe auch seinerseits ein. Das Ansinnen, die Zurückgabe der den Volkstribunen entzogenen Befugnisse zu beantragen, wies er nicht minder ab wie sein Kollege Catulus. Dagegen wurde die Gracchische Kornverteilung in beschränktem Umfang wiederhergestellt. Es scheinen danach nicht wie nach dem Sempronischen Gesetz alle, sondern nur eine bestimmte Anzahl - vermutlich 40000 - ärmere Bürger die früheren Spenden, wie sie Gracchus bestimmt hatte, fünf Scheffel monatlich für den Preis von 6 1/3 Assen (2¾ Groschen) empfangen zu haben - eine Bestimmung, aus der dem Ärar ein jährlicher Nettoverlust von mindestens 300000 Talern erwuchs ^5. Die Opposition, durch diese halbe Nachgiebigkeit natürlich ebensowenig befriedigt wie entschieden ermutigt, trat in der Hauptstadt nur um so schroffer und gewaltsamer auf; und in Etrurien, dem rechten Herd aller italischen Proletarierinsurrektionen, brach bereits der Bürgerkrieg aus: die expropriierten Faesulaner setzten sich mit gewaffneter Hand wieder in den Besitz ihrer verlorenen Güter und mehrere der von Sulla daselbst angesiedelten Veteranen kamen bei dem Auflauf um. Der Senat beschloß auf diese Nachricht, die beiden Konsuln dorthin zu senden, um Truppen aufzubieten und den Aufstand zu unterdrücken ^6. Es war nicht möglich, kopfloser zu verfahren. Der Senat konstatierte der Insurrektion gegenüber seine Schwachmütigkeit und seine Besorgnisse durch die Wiederherstellung des Getreidegesetzes: er gab, um vor dem Straßenlärm Ruhe zu haben, dem notorischen Haupte der Insurrektion ein Heer; und wenn die beiden Konsuln durch den feierlichsten Eid, den man zu ersinnen vermochte, verpflichtet wurden, die ihnen anvertrauten Waffen nicht gegeneinander zu kehren, so gehörte wahrlich die dämonische Verstocktheit oligarchischer Gewissen dazu, um ein solches Bollwerk gegen die drohende Insurrektion aufrichten zu mögen. Natürlich rüstete Lepidus in Etrurien nicht für den Senat, sondern für die Insurrektion, höhnisch erklärend, daß der geleistete Eid nur für das laufende Jahr ihn binde. Der Senat setzte die Orakelmaschine in Bewegung, um ihn zur Rückkehr zu bestimmen, und übertrug ihm die Leitung der bevorstehenden Konsulwahlen: allein Lepidus wich aus, und während die Boten deswegen kamen und gingen und über Vergleichsvorschlägen das Amtsjahr zu Ende lief, schwoll seine Mannschaft zu einem Heer an. Als endlich im Anfang des folgenden Jahres (677 77) an Lepidus der bestimmte Befehl des Senats erging, nun ungesäumt zurückzukehren, weigerte der Prokonsul trotzig den Gehorsam und forderte seinerseits die Erneuerung der ehemaligen tribunizischen Gewalt und die Wiedereinsetzung der gewalttätig Vertriebenen in ihr Bürgerrecht und ihr Eigentum, überdies für sich die Wiederwahl zum Konsul für das laufende Jahr, das heißt die Tyrannis in gesetzlicher Form. Damit war der Krieg erklärt. Die Senatspartei konnte, außer auf die Sullanischen Veteranen, deren bürgerliche Existenz durch Lepidus bedroht ward, zählen auf das von dem Prokonsul Catulus unter die Waffen gerufene Heer; und auf die dringenden Mahnungen der Einsichtigen, namentlich des Philippus, wurde demgemäß die Verteidigung der Hauptstadt und die Abwehr der in Etrurien stehenden Hauptmacht der Demokratenpartei dem Catulus vom Senat übertragen, auch gleichzeitig Gnaeus Pompeius mit einem anderen Haufen ausgesandt, um seinem ehemaligen Schützling das Potal zu entreißen, das dessen Unterbefehlshaber Marcus Brutus besetzt hielt. Während Pompeius rasch seinen Auftrag vollzog und den feindlichen Feldherrn eng in Mutina einschloß, erschien Lepidus vor der Hauptstadt, um, wie einst Marius, sie mit stürmender Hand für die Revolution zu erobern. Das rechte Tiberufer geriet ganz in seine Gewalt und er konnte sogar den Fluß überschreiten; auf dem Marsfelde, hart unter den Mauern der Stadt, wurde die entscheidende Schlacht geschlagen. Allein Catulus siegte; Lepidus mußte zurückweichen nach Etrurien, während eine andere Abteilung unter Lepidus’ Sohn Scipio sich in die Festung Alba warf. Damit war der Aufstand im wesentlichen zu Ende. Mutina ergab sich an Pompeius; Brutus wurde trotz des ihm zugestandenen sicheren Geleits nachträglich auf Befehl des Pompeius getötet. Ebenso ward Alba nach langer Belagerung durch Hunger bezwungen und der Führer gleichfalls hingerichtet. Lepidus, durch Catulus und Pompeius von zwei Seiten gedrängt, lieferte am etrurischen Gestade noch ein Treffen, um nur den Rückzug sich zu ermöglichen, und schiffte dann in dem Hafen Cosa nach Sardinien sich ein, von wo aus er der Hauptstadt die Zufuhr abzuschneiden und die Verbindung mit den spanischen Insurgenten zu gewinnen hoffte. Allein der Statthalter der Insel leistete ihm kräftigen Widerstand, und er selbst starb nicht lange nach seiner Landung an der Schwindsucht (677 77), womit in Sardinien der Krieg zu Ende war. Ein Teil seiner Soldaten verlief sich; mit dem Kern der Insurrektionsarmee und mit wohlgefüllten Kassen begab sich der gewesene Prätor Marcus Perpenna nach Ligurien und von da nach Spanien zu der Sertorianern.

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^5 Unter dem Jahre 676 (78) berichtet Licinianus (p. 23 Pertz, p. 42 Bonn): (Lepidus) [Ie]gem frumentari[am] nullo resistente l[argi]tus est ut annon[ae] quinque modi popu[lo da]rentur. Danach hat also das Gesetz der Konsuln des Jahres 681 (73) Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus, welches Cicero (Verr. 3, 70, 136; 5, 21, 52) erwähnt und auf das auch Sallust (hist. 3, 61, 19 Dietsch) sich bezieht, die fünf Scheffel nicht erst wiederhergestellt, sondern nur durch Regulierung der sizilischen Getreideankäufe die Kornspenden gesichert und vielleicht im einzelnen manches geändert. Daß das Sempronische Gesetz jedem in Rom domizilierenden Bürger gestattete, an den Getreidespenden teilzunehmen, steht fest. Allein die spätere Getreideverteilung hat diesen Umfang nicht gehabt; denn da das Monatkorn der römischen Bürgerschaft wenig mehr als 33000 Medimnen = 198000 röm. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3, 30, 72), so empfingen damals nur etwa 40000 Bürger Getreide, während doch die Zahl der in der Hauptstadt domizilierenden Bürger sicher weit beträchtlicher war. Diese Einrichtung rührt wahrscheinlich aus dem Octavischen Gesetze her, das im Gegensatze zu der übertriebenen Sempronischen eine “mäßige, für den Staat erträgliche und für das gemeine Volk notwendige Spendung” (Cic. off. 2, 21, 72; Brut. 62, 222) einführte; und allem Anschein nach ist ebendies Gesetz die von Licinianus erwähnte lex frumentaria. Daß Lepidus sich auf einen solchen Ausgleichsvorschlag einließ, stimmt zu seinem Verhalten in Betreff der Restitution des Tribunats. Ebenso paßt es zu den Verhältnissen, daß die Demokratie durch die hiermit herbeigeführte Regulierung der Kornverteilung sich keineswegs befriedigt fand (Sallust a. a. O.).

Die Verlustsumme ist danach berechnet, daß das Getreide mindestens den doppelten Wert hatte; wenn die Piraterie oder andere Ursachen die Kornpreise in die Höhe trieben, mußte sich ein noch weit beträchtlicherer Schaden herausstellen.

^6 Aus den Trümmern des Licinianischen Berichts (p. 44 Bonn) geht auch dies hervor, daß der Beschluß des Senats: “uti Lepidus et Catulus decretis exercitibus maturrume proficiscerentur” (Sall. hist. 1, 14 Dietsch) - nicht von einer Entsendung der Konsuln vor Ablauf des Konsulats in ihre prokonsularischen Provinzen zu verstehen ist, wozu es auch an jedem Grunde gefehlt haben würde, sondern von der Sendung nach Etrurien gegen die aufständischen Faesulaner, ganz ähnlich wie im Catilinarischen Kriege der Konsul Gaius Antonius ebendorthin geschickt ward. Wenn Philippus bei Sallust (hist. 1, 84, 4) sagt daß Lepidus ob seditionem provinciam cum exercitu adeptus est so ist dies damit vollständig im Einklang; denn das außerordentliche konsularische Kommando in Etrurien ist ebensowohl eine provincia wie das ordentliche prokonsularische im Narbonensischen Gallien.

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Über Lepidus also hafte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah sie sich durch die gefährliche Wendung des Sertorianischen Krieges zu Zugeständnissen genötigt, die den Buchstaben wie den Geist der Sullanischen Verfassung verletzten. Es war schlechterdings notwendig, ein starkes Heer und einen fähigen Feldherrn nach Spanien zu senden; und Pompeius gab sehr deutlich zu verstehen, daß er diesen Auftrag wünsche oder vielmehr fordere. Die Zumutung war stark. Es war schon übel genug, daß man diesen geheimen Gegner in dem Drange der Lepidianischen Revolution wieder zu einem außerordentlichen Kommando hatte gelangen lassen; aber noch viel bedenklicher war es, mit Beseitigung aller von Sulla aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie einem Manne, der noch kein bürgerliches Amt bekleidet hatte, eine der wichtigsten ordentlichen Provinzialstatthalterschaften in einer Art zu übertragen, wobei an Einhaltung der gesetzlichen Jahresfrist nicht zu denken war. Die Oligarchie hatte somit, auch abgesehen von der ihrem Feldherrn Metellus schuldigen Rücksicht, wohl Ursache, diesem neuen Versuch des ehrgeizigen Jünglings, seine Sonderstellung zu verewigen, allen Ernstes sich zu widersetzen; allein leicht war dies nicht. Zunächst fehlte es ihr durchaus an einem für den schwierigen spanischen Feldherrnposten geeigneten Mann. Keiner der Konsuln des Jahres bezeigte Lust, sich mit Sertorius zu messen, und man mußte es hinnehmen, was Lucius Philippus in voller Ratsversammlung sagte, daß unter den sämtlichen namhaften Senatoren nicht einer fähig und willig sei, in einem ernsthaften Kriege zu kommandieren. Vielleicht hätte man dennoch hierüber sich hinweggesetzt und nach Oligarchenart, da man keinen fähigen Kandidaten hatte, die Stelle mit irgendeinem Lückenbüßer ausgefüllt, wenn Pompeius den Befehl bloß gewünscht und nicht ihn an der Spitze einer Armee gefordert hätte. Catulus’ Weisungen, das Heer zu entlassen, hatte er bereits überhört; es war mindestens zweifelhaft, ob die des Senats eine bessere Aufnahme finden würden, und die Folgen eines Bruchs konnte niemand berechnen - gar leicht konnte die Schale der Aristokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloß sich die Majorität zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmannes mit der höchsten Amtsgewalt sich handelte, verfassungsmäßig hätte befragt werden müssen, sondern vom Senate empfing Pompeius die prokonsularische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und ging vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 (77), über die Alpen.

Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu tun, wo zwar eine förmliche Insurrektion nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestört worden war; infolgedessen Pompeius den Kantons der Volker-Arekomiker und der Helvier ihre Selbständigkeit entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpenstraße über den Kottischen Berg (Mont Genèvre; 2, 105) eine kürzere Verbindung zwischen dem Potal und dem Keltenlande hergestellt. über dieser Arbeit verfloß die gute Jahreszeit: erst spät im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen.

Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jenseitige Provinz entsandt, um Metellus in Schach zu halten, und war selbst bemüht, seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen zu verfolgen und sich auf Pompeius’ Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hielten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen; zuletzt, schon mitten im Winter, war das feste Contrebia (südöstlich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedrängten Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt: er ließ sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vorschreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die römische Flotte verteidigt wurden, und der Distrikte der Indigeten und Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pompeius, als er endlich die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte und seine ungeübten Truppen, um sie an die Strapazen zu gewöhnen, den Winter hindurch biwakieren ließ, war am Ende des Jahres 677 (77) das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Gewalt von Sertorius abhängig geworden, und die Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stütze seiner Macht. Selbst die Besorgnis, die das frische römische Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee hervorrief, hatte für dieselbe heilsame Folgen. Marcus Perpenna, der bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbständiges Kommando über die von ihm aus Ligurien mitgebrachte Mannschaft Anspruch gemacht hatte, wurde auf die Nachricht von Pompeius’ Eintreffen in Spanien von seinen Soldaten genötigt, sich unter die Befehle seines fähigeren Kollegen zu stellen.

Für den Feldzug des Jahres 678 (76) verwandte Sertorius gegen Metellus wieder das Korps das Hirtuleius, während Perpenna mit einem starken Heer am unteren Laufe des Ebro sich aufstellte, um Pompeius den Übergang über diesen Fluß zu wehren, wenn er, wie zu erwarten war, in der Absicht, Metellus die Hand zu reichen, in südlicher Richtung und, der Verpflegung seiner Truppen wegen, an der Küste entlang marschieren würde. Zu Perpennas Unterstützung war zunächst das Korps des Gaius Herennius bestimmt; weiter landeinwärts, am oberen Ebro, holte Sertorius selbst die Unterwerfung einzelner, römisch gesinnter Distrikte nach und hielt zugleich sich dort bereit, nach den Umständen Perpenna oder Hirtuleius zu Hilfe zu eilen. Auch diesmal war seine Absicht darauf gerichtet, jeder Hauptschlacht auszuweichen und den Feind durch kleine Kämpfe und Abschneiden der Zufuhr aufzureiben. Indes Pompeius erzwang gegen Perpenna den Übergang über den Ebro und nahm Stellung am Fluß Pallantia bei Saguntum, unweit des Vorgebirgs der Diana, von wo aus, wie schon gesagt ward, die Sertorianer ihre Verbindungen mit Italien und dem Osten unterhielten. Es war Zeit, daß Sertorius selber erschien und die Überlegenheit seiner Truppenzahl und seines Genies gegen die größere Tüchtigkeit der Soldaten seines Gegners in die Waagschale warf. Um die Stadt Lauro (am Xucar südlich von Valencia), die sich für Pompeius erklärt hatte und deshalb von Sertorius belagert ward, konzentrierte der Kampf sich längere Zeit. Pompeius strengte sich aufs äußerste an, sie zu entsetzen; allein nachdem vorher ihm mehrere Abteilungen einzeln überfallen und zusammengehauen worden waren, sah sich der große Kriegsmann, ebenda er die Sertorianer umzingelt zu haben meinte und schon die Belagerten eingeladen hatte, dem Abfangen der Belagerungsarmee zuzuschauen, plötzlich vollständig ausmanövriert und mußte, um nicht selber umzingelt zu werden, die Einnahme und Einäscherung der verbündeten Stadt und die Abführung der Einwohner nach Lusitanien von seinem Lager aus ansehen - ein Ereignis, das eine Reihe schwankend gewordener Städte im mittleren und östlichen Spanien wieder an Sertorius festzuhalten bestimmte. Glücklicher focht inzwischen Metellus. In einem heftigen Treffen bei Italica (unweit Sevilla), das Hirtuleius unvorsichtig gewagt hatte und in dem beide Feldherrn persönlich ins Handgemenge kamen, Hirtuleius auch verwundet ward, schlug er diesen und zwang ihn, das eigentliche römische Gebiet zu räumen und sich nach Lusitanien zu werfen. Dieser Sieg gestattete Metellus, sich mit Pompeius zu vereinigen. Die Winterquartiere 678/79 (76/75) nahmen beide Feldherren an den Pyrenäen. Für den nächsten Feldzug 679 (75), beschlossen sie, den Feind in seiner Stellung bei Valentia gemeinschaftlich anzugreifen. Aber während Metellus heranzog, bot Pompeius, um die Scharte von Lauro auszuwetzen und die gehofften Lorbeeren womöglich allein zu gewinnen, vorher dem feindlichen Hauptheer die Schlacht an. Mit Freuden ergriff Sertorius die Gelegenheit, mit Pompeius zu schlagen, bevor Metellus eintraf. Am Flusse Sucro (Xucar) trafen die Heere aufeinander; nach heftigem Gefecht ward Pompeius auf dem rechten Flügel geschlagen und selbst schwer verwundet vom Schlachtfelde weggetragen. Zwar siegte Afranius mit dem linken und nahm das Lager der Sertorianer, allein während der Plünderung von Sertorius überrascht, ward auch er gezwungen zu weichen. Hätte Sertorius am folgenden Tage die Schlacht zu erneuern vermocht, Pompeius’ Heer wäre vielleicht vernichtet worden. Allein inzwischen war Metellus herangekommen, hatte das gegen ihn aufgestellte Korps des Perpenna niedergerannt und dessen Lager genommen; es war nicht möglich, die Schlacht gegen die beiden vereinigten Heere wiederaufzunehmen. Die Erfolge des Metellus, die Vereinigung der feindlichen Streitkräfte, das plötzliche Stocken nach dem Sieg verbreiteten Schrecken unter den Sertorianern, und wie es bei spanischen Heeren nicht selten vorkam, verlief infolge dieses Umschwungs der Dinge sich der größte Teil der sertorianischen Soldaten. Indes die Entmutigung verflog so rasch wie sie gekommen war; die weiße Hindin, die die militärischen Pläne des Feldherrn bei der Menge vertrat, war bald wieder populärer als je; in kurzer Zeit trat in der gleichen Gegend, südlich von Saguntum (Murviedro), das fest an Rom hielt, Sertorius mit einer neuen Armee den Römern entgegen, während die sertorianischen Kaper den Römern die Zufuhr von der Seeseite erschwerten und bereits im römischen Lager der Mangel sich bemerklich machte. Es kam abermals zur Schlacht in den Ebenen des Turiaflusses (Guadalaviar), und lange schwankte der Kampf. Pompeius mit der Reiterei ward von Sertorius geschlagen und sein Schwager und Quästor, der tapfere Lucius Memmius, getötet; dagegen überwand Metellus den Perpenna und schlug den gegen ihn gerichteten Angriff der feindlichen Hauptarmee siegreich zurück, wobei er selbst im Handgemenge eine Wunde empfing. Abermals zerstreute sich hierauf das Sertorianische Heer. Valentia, das Gaius Herennius für Sertorius besetzt hielt, ward eingenommen und geschleift. Römischerseits mochte man einen Augenblick der Hoffnung sich hingeben mit dem zähen Gegner fertig zu sein. Die Sertorianische Armee war verschwunden; die römischen Truppen, tief in das Binnenland eingedrungen, belagerten den Feldherrn selbst in der Festung Clunia am oberen Duero. Allein während sie vergeblich diese Felsenburg umstanden, sammelten sich anderswo die Kontingente der insurgierten Gemeinden; Sertorius entschlüpfte aus der Festung und stand noch vor Ablauf des Jahres wieder als Feldherr an der Spitze einer Armee. Wieder mußten die römischen Feldherrn mit der trostlosen Aussicht auf die unausbleibliche Erneuerung der sisypheischen Kriegsarbeit die Winterquartiere beziehen. Es war nicht einmal möglich, sie in dem wegen der Kommunikation mit Italien und dem Osten so wichtigen, aber von Freund und Feind entsetzlich verheerten Gebiet von Valentia zu nehmen; Pompeius führte seine Truppen zunächst in das Gebiet der Vasconen ^7 (Biscaya) und überwinterte dann in dem der Vaccäer (um Valladolid), Metellus gar in Gallien.

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^7 In den neu gefundenen Sallustischen Bruchstücken, welche dem Ende des Feldzuges von 75 anzugehören scheinen, gehören hierher die Worte: Romanus [exer]citus (des Pompeius) frumenti gra[tia r]emotus in Vascones i .. [it]emque Sertorius mon …o, cuius multum in[terer]at, ne ei perinde Asiae [iter et Italiae intercluderetur].

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Fünf Jahre währte also der Sertorianische Krieg und noch war weder hüben noch drüben ein Ende abzusehen. Unbeschreiblich litt unter demselben der Staat. Eine Blüte der italischen Jugend ging in den aufreibenden Strapazen dieser Feldzüge zugrunde. Die öffentlichen Kassen entbehrten nicht bloß die spanischen Einnahmen, sondern hatten auch für die Besoldung und Verpflegung der spanischen Heere jährlich sehr ansehnliche Summen nach Spanien zu senden, die man kaum aufzubringen wußte. Daß Spanien verödete und verarmte und die so schön daselbst sich entfaltende römische Zivilisation einen schweren Stoß erhielt, versteht sich von selbst, zumal bei einem so erbittert geführten und nur zu oft die Vernichtung ganzer Gemeinden veranlassenden Insurrektionskrieg. Selbst die Städte, die zu der in Rom herrschenden Partei hielten, hatten unsägliche Not zu erdulden; die an der Küste gelegenen mußten durch die römische Flotte mit dem Notwendigen versehen werden, und die Lage der treuen binnenländischen Gemeinden war beinahe verzweifelt. Fast nicht weniger litt die gallische Landschaft, teils durch die Requisitionen an Zuzug zu Fuß und zu Pferde, an Getreide und Geld, teils durch die drückende Last der Winterquartiere, die infolge der Mißernte 680 (74) sich ins unerträgliche steigerte; fast alle Gemeindekassen waren genötigt, zu den römischen Bankiers ihre Zuflucht zu nehmen und eine erdrückende Schuldenlast sich aufzubürden. Feldherren und Soldaten führten den Krieg mit Widerwillen. Die Feldherren waren getroffen auf einen an Talent weit überlegenen Gegner, auf einen langweilig zähen Widerstand, auf einen Krieg sehr ernsthafter Gefahren und schwer erfochtener, wenig glänzender Erfolge; es ward behauptet, daß Pompeius damit umgehe, sich aus Spanien abberufen und irgend anderswo ein erwünschteres Kommando sich übertragen zu lassen. Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut von einem Feldzug, in dem es nicht allein weiter nichts zu holen gab als harte Schläge und wertlose Beute, sondern auch ihr Sold ihnen höchst unregelmäßig gezahlt ward; Pompeius berichtete Ende 679 (75) an den Senat, daß seit zwei Jahren der Sold im Rückstand sei und das Heer sich aufzulösen drohe. Einen ansehnlichen Teil dieser Übelstände hätte die römische Regierung allerdings zu beseitigen vermocht, wenn sie es über sich hätte gewinnen können, den Spanischen Krieg mit minderer Schlaffheit, um nicht zu sagen mit besserem Willen zu führen. In der Hauptsache aber war es weder ihre Schuld noch die Schuld der Feldherren, daß ein so überlegenes Genie, wie Sertorius war, auf einem für den Insurrektions- und Korsarenkrieg so überaus günstigen Boden aller numerischen und militärischen Überlegenheit zum Trotz den kleinen Krieg Jahre und Jahre fortzuführen vermochte. Ein Ende war hier so wenig abzusehen, daß vielmehr die Sertorianische Insurrektion sich mit andern gleichzeitigen Aufständen verschlingen und dadurch ihre Gefährlichkeit steigern zu wollen schien. Ebendamals ward auf allen Meeren mit den Flibustierflotten, ward in Italien mit den aufständischen Sklaven, in Makedonien mit den Völkerschaften an der unteren Donau gefochten, und entschloß sich im Osten König Mithradates, mitbestimmt durch die Erfolge der spanischen Insurrektion, das Glück der Waffen noch einmal zu versuchen. Daß Sertorius mit den italischen und makedonischen Feinden Roms Verbindungen angeknüpft hat, läßt sich nicht bestimmt erweisen, obwohl er allerdings mit den Marianern in Italien in beständigem Verkehr stand; mit den Piraten dagegen hatte er schon früher offenes Bündnis gemacht, und mit dem pontischen König, mit welchem er längst durch Vermittlung der an dessen Hof verweilenden römischen Emigranten Einverständnisse unterhalten hatte, schloß er jetzt einen förmlichen Allianztraktat, in dem Sertorius dem König die kleinasiatischen Klientelstaaten, nicht aber die römische Provinz Asia abtrat, überdies ihm einen zum Führer seiner Truppen geeigneten Offizier und eine Anzahl Soldaten zu senden versprach, der König dagegen ihm 40 Schiffe und 3000 Talente (4½ Mill. Taler) zu überweisen sich anheischig machte. Schon erinnerten die klugen Politiker in der Hauptstadt an die Zeit, als Italien sich durch Philippos und durch Hannibal von Osten und von Westen aus bedroht sah; der neue Hannibal, meinte man, könne, nachdem er, wie sein Vorfahr, Spanien durch sich selbst bezwungen, eben wie dieser mit den Steilkräften Spaniens in Italien gar leicht früher als Pompeius eintreffen, um, wie einst der Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu rufen.

Indes dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war bei weitem nicht stark genug, um das Riesenunternehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spanien verließ, an dessen Landes- und Volkseigentümlichkeit all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genötigt, der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswertes Führergeschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern; der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen versammelt, bald wieder auf eine Handvoll Leute zusammengeschmolzen; in gleicher Weise blieben die römischen Emigranten unbotmäßig, hoffärtig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die längeres Zusammenhalten der Korps erfordern, wie namentlich die Reiterei, waren natürlich in seinem Heer sehr ungenügend vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner Veteranen rieb der Krieg allmählich auf, und auch die zuverlässigsten Gemeinden fingen an, der Plackerei durch die Römer und der Mißhandlung durch die Sertorianischen Offiziere müde zu werden und Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswert, daß Sertorius, auch darin Hannibal gleich, niemals über die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich getäuscht hat; er ließ keine Gegenheil vorübergehen, um einen Vergleich herbeizuführen und wäre jeden Augenblick bereit gewesen, gegen die Zusicherung, in seiner Heimat friedlich leben zu dürfen, seinen Kommandostab niederzulegen. Allein die politische Orthodoxie weiß nichts von Vergleich und Versöhnung. Sertorius durfte nicht rückwärts noch seitwärts; unvermeidlich mußte er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und schwindelnder ward.

Pompeius’ Vorstellungen in Rom, denen Mithradates’ Auftreten im Osten Nachdruck gab, hatten Erfolg. Er erhielt vom Senat die nötigen Gelder zugesandt und Verstärkung durch zwei frische Legionen. So gingen die beiden Feldherren im Frühjahr 680 (74) wieder an die Arbeit und überschritten aufs neue den Ebro. Das östliche Spanien war infolge der Schlachten am Xucar und Guadalaviar den Sertorianern entrissen; der Kampf konzentrierte sich fortan am oberen und mittleren Ebro um die Hauptwaffenplätze der Sertorianer Calagurris, Osca, Ilerda. Wie Metellus in den früheren Feldzügen das Beste getan hatte, so gewann er auch diesmal die wichtigsten Erfolge. Sein alter Gegner Hirtuleius, der ihm wieder entgegentrat, ward vollständig geschlagen und fiel selbst mit seinem Bruder - ein unersetzlicher Verlust für die Sertorianer. Sertorius, den die Unglücksbotschaft erreichte, als er selbst im Begriff war, die ihm gegenüberstehenden Feinde anzugreifen, stieß den Boten nieder, damit die Nachricht die Seinigen nicht entmutigte; aber lange war die Kunde nicht zu verbergen. Eine Stadt nach der andern ergab sich. Metellus besetzte die keltiberischen Städte Segobriga (zwischen Toledo und Cuenca) und Bilbilis (bei Calatayud). Pompeius belagerte Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das aber Sertorius entsetzte und den Pompeius nötigte, sich auf Metellus zurückzuziehen; vor Calagurris (Calahorra am oberen Ebro), wohin Sertorius sich geworfen, erlitten sie beide empfindliche Verluste. Dennoch konnten sie, als sie in die Winterquartiere gingen, Pompeius nach Gallien, Metellus in seine eigene Provinz, auf beträchtliche Erfolge zurücksehen; ein großer Teil der Insurgenten hatte sich gefügt oder war mit den Waffen bezwungen worden.

In ähnlicher Weise verlief der Feldzug des folgenden Jahres (681 78); in diesem war es vor allem Pompeius, der langsam, aber stetig das Gebiet der Insurrektion einschränkte.

Der Rückschlag des Niedergangs ihrer Waffen auf die Stimmung im Insurgentenlager blieb nicht aus. Wie Hannibals wurden auch Sertorius’ kriegerische Erfolge notwendig immer geringer; man fing an, sein militärisches Talent in Zweifel zu ziehen; er sei nicht mehr der alte, hieß es, er verbringe der Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl der Ausreißer, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald kamen Pläne der römischen Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, zumal da so manche Offiziere der Insurgentenarmee, namentlich Perpenna, nur widerwillig sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit langem von den römischen Statthaltern dem Mörder des feindlichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt war. Sertorius entzog auf jene Inzichten hin die Hut seiner Person den römischen Soldaten und gab sie erlesenen Spaniern. Gegen die Verdächtigen selbst schritt er mit furchtbarer, aber notwendiger Strenge ein und verurteilte, ohne wie sonst Ratmänner zuzuziehen, verschiedene Angeschuldigte zum Tode; den Freunden, hieß es darauf in den Kreisen der Mißvergnügten, sei er jetzt gefährlicher als den Feinden. Bald ward eine zweite Verschwörung entdeckt, die ihren Sitz in seinem eigenen Stabe hatte; wer zur Anzeige gebracht ward, mußte flüchtig werden oder sterben, aber nicht alle wurden verraten und die übrigen Verschworenen, unter ihnen vor allem Perpenna, fanden hierin nur einen Antrieb, sich zu eilen. Man befand sich im Hauptquartier zu Osca. Hier ward auf Perpennas Veranstaltung dem Feldherrn ein glänzender Sieg berichtet, den seine Truppen erfochten hätten; und bei der zur Feier dieses Sieges von Perpenna veranstalteten festlichen Mahlzeit erschien denn auch Sertorius, begleitet, wie er pflegte, von seinem spanischen Gefolge. Gegen den sonstigen Brauch im Sertorianischen Hauptquartier ward das Fest bald zum Bacchanal; wüste Reden flogen über den Tisch, und es schien, als wenn einige der Gäste Gelegenheit suchten, einen Wortwechsel zu beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager zurück und schien den Lärm überhören zu wollen. Da klirrte eine Trinkschale auf den Boden: Perpenna gab das verabredete Zeichen. Marcus Antonius, Sertorius’ Nachbar bei Tische, führte den ersten Streich gegen ihn, und da der Getroffene sich umwandte und sich aufzurichten versuchte, stürzte der Mörder sich über ihn und hielt ihn nieder, bis die übrigen Tischgäste, sämtlich Teilnehmer der Verschwörung, sich auf die Ringenden warfen und den wehrlosen, an beiden Armen festgehaltenen Feldherrn erstachen (682 72). Mit ihm starben seine treuen Begleiter. So endigte einer der größten, wo nicht der größte Mann, den Rom bisher hervorgebracht, ein Mann, der unter glücklicheren Umständen vielleicht der Regenerator seines Vaterlandes geworden sein würde, durch den Verrat der elenden Emigrantenbande, die er gegen die Heimat zu führen verdammt war. Die Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem hochherzigsten, genialsten, bedauernswertesten unter allen hat sie keine Ausnahme gemacht.

Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Mörder zu tun. Nach Sertorius’ Tode machte Perpenna als der höchste unter den römischen Offizieren der spanischen Armee Ansprüche auf den Oberbefehl. Man fügte sich, aber mißtrauend und widerstrebend. Wie man auch gegen Sertorius bei seinen Lebzeiten gemurrt hatte, der Tod setzte den Helden wieder in sein Recht ein, und gewaltig brauste der Unwille der Soldaten auf, als bei der Publikation seines Testaments unter den Namen der Erben auch der des Perpenna verlesen ward. Ein Teil der Soldaten, namentlich die lusitanischen, verliefen sich; die zurückgebliebenen beschlich die Ahnung, daß mit Sertorius’ Tode der Geist und das Glück von ihnen gewichen sei. Bei der ersten Begegnung mit Pompeius wurden denn auch die elend geführten und mutlosen Insurgentenhaufen vollständig zersprengt und unter anderen Offizieren auch Perpenna gefangen eingebracht. Durch die Auslieferung der Korrespondenz des Sertorius, die zahlreiche angesehene Männer in Italien kompromittiert haben würde, suchte der Elende sich das Leben zu erkaufen; indes Pompeius befahl, die Papiere ungelesen zu verbrennen und überantwortete ihn sowie die übrigen Insurgentenchefs dem Scharfrichter. Die entkommenen Emigranten verliefen sich und gingen größtenteils in die mauretanischen Wüsten oder zu den Piraten. Einem Teil derselben eröffnete bald darauf das Plotische Gesetz, das namentlich der junge Caesar eifrig unterstützte, die Rückkehr in die Heimat; diejenigen aber, die von ihnen an dem Morde des Sertorius teilgenommen hatten, starben, mit Ausnahme eines einzigen, sämtlich eines gewaltsamen Todes. Osca und überhaupt die meisten Städte, die im Diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten hatten, öffneten dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Tore; nur Uxama (Osma), Clunia und Calagurris mußten mit den Waffen bezwungen werden. Die beiden Provinzen wurden neu geordnet; in der jenseitigen erhöhte Metellus den schuldigsten Gemeinden die Jahrestribute; in der diesseitigen schaltete Pompeius belohnend und bestrafend, wie zum Beispiel Calagurris seine Selbständigkeit verlor und unter Osca gelegt ward. Einen Haufen Sertorianischer Soldaten, der in den Pyrenäen sich zusammengefunden hatte, bewog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte ihn nordwärts der Pyrenäen bei Lugudunum (St. Bertrand im Departement Haute-Garonne) als die Gemeinde der “Zusammengelaufenen” (convenae) an. Auf der Paßhöhe der Pyrenäen wurden die römischen Siegeszeichen errichtet; am Ende des Jahres 683 (71) zogen Metellus und Pompeius mit ihren Heeren durch die Straßen der Hauptstadt, um den Dank der Nation für die Besiegung der Spanier dem Vater Jovis auf dem Kapitol darzubringen. Noch über das Grab hinaus schien Sullas Glück mit seiner Schöpfung zu sein und dieselbe besser zu schirmen als die zu ihrer Hut bestellten unfähigen und schlaffen Wächter. Die italische Opposition hatte durch die Unfähigkeit und Vorschnelligkeit ihres Führers, die Emigration durch inneren Zwist sich selber gesprengt. Diese Niederlagen, obwohl weit mehr das Werk ihrer eigenen Verkehrtheit und Zerfahrenheit als der Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch ebensoviele Siege der Oligarchie. Noch einmal waren die kurulischen Stühle befestigt.

KAPITEL II.
Die Sullanische Restaurationsherrschaft

Als nach Unterdrückung der den Senat in seiner Existenz bedrohenden Cinnanischen Revolution es der restaurierten Senatsregierung möglich ward, der inneren und äußeren Sicherheit des Reiches wiederum die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Lösung nicht verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten Interessen zu verletzen und gegenwärtige Unbequemlichkeiten zu künftigen Gefahren anwachsen zu lassen. Abgesehen von der sehr ernsten Verwicklung in Spanien war es schlechterdings notwendig teils die Barbaren in Thrakien und den Donauländern, die Sulla bei seinem Marsch durch Makedonien nur oberflächlich hatte züchtigen können, nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten Verhältnisse an der Nordgrenze der griechischen Halbinsel militärisch zu regulieren, teils den überall, namentlich aber in den östlichen Gewässern herrschenden Flibustierbanden gründlich das Handwerk zu legen, teils endlich in die unklaren kleinasiatischen Verhältnisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den Sulla im Jahre 670 (84) mit König Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte und von dem der Vertrag mit Murena 673 (81) wesentlich eine Wiederholung war, trug durchaus den Stempel eines notdürftig für den Augenblick hergestellten Provisoriums; und das Verhältnis der Römer zu König Tigranes von Armenien, mit dem sie doch faktisch Krieg geführt hatten, war in diesem Frieden ganz unberührt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes darin die stillschweigende Erlaubnis gefunden, die römischen Besitzungen in Asien in seine Gewalt zu bringen. Wenn dieselben nicht preisgegeben bleiben sollten, war es notwendig in Güte oder Gewalt mit dem neuen Großkönig Asiens sich abzufinden.

Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die mit dem demokratischen Treiben zusammenhängende Bewegung in Italien und Spanien und deren Überwältigung durch die senatorische Regierung dargestellt wurde, in diesem das äußere Regiment, wie die von Sulla eingesetzte Behörde es geführt oder auch nicht geführt hat.

Man erkennt noch Sullas kräftige Hand in den energischen Maßregeln, die in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefähr gleichzeitig gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen die kilikischen Piraten verfügte.

Die Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den Zweck, teils die barbarischen Stämme botmäßig oder doch zahm zu machen, die das ganze Binnenland vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere durchstreiften und unter denen vornehmlich die Besser (im großen Balkan), wie man damals sagte, selbst unter den Räubern als Räuber verrufen waren, teils die namentlich im dalmatischen Litoral sich bergenden Korsaren zu vernichten. Wie gewöhnlich ging der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und von Makedonien aus, in welcher letzteren Provinz ein Heer von fünf Legionen hierzu gesammelt ward. Der gewesene Prätor Gaius Cosconius, welcher in Dalmatien den Befehl führte, durchstreifte das Land nach allen Richtungen und erstürmte nach zweijähriger Belagerung die Festung Salona. In Makedonien versuchte der Prokonsul Appius Claudius (676 bis 678 78-76) zunächst sich an der makedonisch-thrakischen Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des Karasu zu bemeistern. Von beiden Seiten ward der Krieg mit arger Wildheit geführt; die Thraker zerstörten die eroberten Ortschaften und metzelten die Gefangenen nieder und die Römer vergalten Gleiches mit Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht erreicht; die beschwerlichen Märsche und die beständigen Gefechte mit den zahlreichen und tapferen Gebirgsbewohnern dezimierten nutzlos die Armee; der Feldherr selbst erkrankte und starb. Sein Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679-681 75-73) wurde durch mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht unbedeutenden Militäraufstand bewogen, die schwierige Expedition gegen die Thraker fallen zu lassen und dafür sich nach der makedonischen Nordgrenze zu wenden, wo er die schwächeren Dardaner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682, 683 72, 71) rückte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama (Adrianopel) und zwang sie, der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König der Odrysen, Sadalas, und die griechischen Städte an der Ostküste nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kallatis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden abhängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäßiger Teil der Provinz Makedonien.

Aber weit nachteiliger als die immer doch auf einen geringen Teil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester sich organisierte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Produkte aus-, noch das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangels an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine große Anzahl angesehener Römer wurde von den Korsaren aufgebracht und mußte mit schweren Summen sich ranzionieren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte, an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten bestimmten römischen Truppenabteilungen fingen an, ihre Fahrten vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die freilich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere verschwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der Normannenzeit liefen die Korsarengeschwader bei den Seestädten an und zwangen sie, entweder mit großen Summen sich loszukaufen, oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mithradates Samothrake, Klazomenä, Samos, Iassos von den Piraten ausgeraubt wurden (670 84), so kann man sich denken, wie es da zuging, wo weder eine römische Flotte noch ein römisches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1500000 Talern) weggeführt worden sein. Apollon, heißt es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden, daß er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen früher blühenden Insel- und Küstenplätzen wanderte die gesamte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, daß sie ein bis zwei Tagemärsche von der Küste belegene Ortschaften überfielen. Die entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im griechischen Osten erliegen, stammt großenteils aus diesen verhängnisvollen Zeiten. Das Korsarenwesen hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne, die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Peloponnes - in der Flibustiersprache dem “goldenen Meer” - von dem großen Zug des italisch-orientalischen Sklaven- und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete Sklavenfänger, die “Krieg, Handel und Piraterie” ebenmäßig nebeneinander betrieben, es war ein Korsarenstaat mit einem eigentümlichen Gemeingeist; mit einer festen, sehr respektablen Organisation, mit einer eigenen Heimat und den Anfängen einer Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der Tat fanden auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kretischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius’ Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Parteien, alles was elend und verwegen war - und wo war nicht Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zusammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Ächtung und der Missetat an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb dessen das Verbrechen, wie so oft, vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feigheit und Unbotmäßigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung erschlafft hatten, mochten die legitimen Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Not und Gewalt, in den allein von allen das unverbrüchliche Zusammenstehen, der kameradschaftliche Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort und den selbstgewählten Häuptern, die Tapferkeit und die Gewandtheit sich geflüchtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne dieses Staats die Rache an der bürgerlichen Gesellschaft geschrieben war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich ausgestoßen hatte, so ließ sich darüber streiten, ob diese Devise viel schlechter war als die der italischen Oligarchie und des orientalischen Sultanismus, die im Zuge schienen, die Welt unter sich zu teilen. Die Korsaren wenigstens fühlten jedem legitimen Staate sich ebenbürtig; von ihrem Räuberstolz, ihrer Räuberpracht und ihrem Räuberhumor zeugt noch manche echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher Banditenweise; sie meinten, und rühmten sich dessen, in einem gerechten Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen, das hieß ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem ergriffenen Flibustier in jedem römischen Hafen das Kreuz gewiß war, so nahmen auch sie als ihr Recht in Anspruch, jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu dürfen. Ihre militärisch-politische Organisation war namentlich seit dem Mithradatischen Krieg festgeschlossen. Ihre Schiffe, größtenteils “Mauskähne”, das heißt kleine, offene, schnellsegelnde Barken, nur zum kleineren Teil Zwei- und Dreidecker, fuhren jetzt regelmäßig in Geschwader vereinigt und unter Admiralen, deren Barken in Gold und Purpur zu glänzen pflegten. Dem bedrohten Kameraden, mochte er auch völlig unbekannt sein, weigerte kein Piratenkapitän den erbetenen Beistand; der mit einem aus ihrer Mitte abgeschlossene Vertrag ward von der ganzen Gesellschaft unweigerlich anerkannt, aber auch jede einem zugefügte Unbill von allen geahndet. Ihre rechte Heimat war das Meer von den Säulen des Herkules bis in die syrischen und ägyptischen Gewässer; die Zufluchtsstätten, deren sie für sich und ihre schwimmenden Häuser auf dem Festlande bedurften, gewährten ihnen bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel Kreta, vor allem die an Vorsprüngen und Schlupfwinkeln reiche, die Hauptstraße des Seehandels jener Zeit beherrschende und so gut wie herrenlose Südküste Kleinasiens. Der lykische Städtebund daselbst und die pamphylischen Gemeinden hatten wenig zu bedeuten; die seit 652 (102) in Kilikien bestehende römische Station reichte zur Beherrschung der weitläufigen Küste bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft über Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar ersetzt worden durch die armenische, deren Inhaber als echter Großkönig um das Meer gar nicht sich kümmerte und dasselbe bereitwillig den Kilikern zur Plünderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die Korsaren hier gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloß besaßen sie hier überall am Ufer Signalplätze und Stationen, sondern auch weiter landeinwärts, in den abgelegensten Verstecken des unwegsamen und gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen Binnenlandes, hatten sie sich ihre Felsschlösser erbaut, in denen, während sie selbst zur See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schätze bargen, auch wohl in gefährlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtsstätte fanden. Namentlich gab es solche Korsarenschlösser in großer Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen Waldungen zugleich den Piraten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau lieferten und wo deshalb ihre hauptsächlichsten Schiffbaustätten und Arsenale sich befanden. Es war nicht zu verwundern, daß dieser geordnete Militärstaat unter den mehr oder minder sich selber überlassenen und sich selber verwaltenden griechischen Seestädten sich eine feste Klientel bildete, die mit den Piraten wie mit einer befreundeten Macht auf Grund bestimmter Verträge in Handelsverkehr trat und der Aufforderung der römischen Statthalter, Schiffe gegen sie zu stellen, nicht nachkam; wie denn zum Beispiel die nicht unbeträchtliche Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren Werften Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Marktplatz feilzubieten.

Eine solche Seeräuberschaft war eine politische Macht; und als politische Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst der syrische König Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft auf sie gestützt hatte. Wir finden die Piraten als Verbündete des Königs Mithradates von Pontos sowie der römischen demokratischen Emigration; wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas in den östlichen wie in den westlichen Gewässern. Wir finden einzelne Piratenfürsten, die über eine Kette von ansehnlichen Küstenplätzen gebieten. Es läßt sich nicht sagen, wieweit die innere politische Entwicklung dieses schwimmenden Staates bereits gediehen war; aber unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekönigtums, das bereits sich ansässig zu machen beginnt und aus dem unter günstigen Verhältnissen wohl ein dauernder Staat sich hätte entwickeln mögen.

Es ist hiermit ausgesprochen und ward zum Teil schon früher bezeichnet, wie die Römer auf “ihrem Meere” die Ordnung hielten oder vielmehr nicht hielten. Roms Schutzherrschaft über die Ämter bestand wesentlich in der militärischen Vormundschaft; für die in der Hand der Römer vereinigte Verteidigung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Römern die Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Mündel unverschämter betrogen als die römische Oligarchie die untertänigen Gemeinden. Statt daß Rom eine allgemeine Reichsflotte aufgestellt und die Seepolizei zentralisiert hätte, ließ der Senat die einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die ebenhier gar nichts auszurichten war, gänzlich fallen und überließ es jedem einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Klientelstaat, sich der Piraten zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt daß Rom, wie es sich anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell souverän gebliebenen Klientelstaaten Gut und Blut ausschließlich bestritten hätte, ließ man die italische Kriegsmarine eingehen und lernte sich behelfen mit den von den einzelnen Kaufstädten requirierten Schiffen oder noch häufiger mit den überall organisierten Strandwachen, wo dann in beiden Fällen alle Kosten und Beschwerden die Untertanen trafen. Die Provinzialen mochten sich glücklich schätzen, wenn der römische Statthalter die für die Küstenverteidigung ausgeschriebenen Requisitionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht für sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr häufig geschah, angewiesen wurden, für einen von den Seeräubern gefangenen vornehmen Römer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verständiges begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens 652 (102), verkümmerte sicher in der Ausführung. Wer von den Römern dieser Zeit nicht gänzlich in der gangbaren duseligen Vorstellung von nationaler Größe befangen war, der hätte wünschen müssen, von der Rednerbühne auf dem Markte die Schiffsschnäbel herabreißen zu dürfen, um wenigstens nicht stets durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen Seesiege sich gemahnt zu finden.

Indes tat doch Sulla, der in dem Kriege gegen Mithradates wahrlich hinreichend sich hatte überzeugen können, welche Gefahren die Vernachlässigung des Flottenwesens mit sich bringe, verschiedene Schritte, um dem Übel ernstlich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen er den von ihm in Asien eingesetzten Statthaltern zurückgelassen, in den Seestädten eine Flotte gegen die Seeräuber auszurüsten, hatte wenig gefruchtet, da Murena es vorzog, Krieg mit Mithradates anzufangen, und der Statthalter von Kilikien, Gnaeus Dolabella, sich ganz unfähig erwies. Deshalb beschloß im Jahre 675 (79) der Senat, einen der Konsuln nach Kilikien zu senden; das Los traf den tüchtigen Publius Servilius. Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten und wandte sich darauf zur Zerstörung derjenigen Städte an der kleinasiatischen Südküste, die ihnen als Ankerplätze und Handelsstationen dienten. Die Festungen des mächtigen Seefürsten Zeniketes: Olympos, Korykos, Phaselis im östlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien wurden gebrochen, und in den Flammen der Burg Olympos fand der Fürst selbst den Tod. Weiter ging es gegen die Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des rauben Kilikiens am nördlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen Eichenwäldern bedecktes Labyrinth von steilen Bergrücken, zerklüfteten Felsen und tiefgeschnittenen Tälern bewohnten - eine Gegend, die noch heute von den Erinnerungen an die alte Räuberzeit erfüllt ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten und sichersten Zufluchtsstätten der Flibustier, zu bezwingen, führte Servilius die erste römische Armee über den Tauros und brach die feindlichen Festungen Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal einer Räuberstadt, auf der Höhe eines schwer zugänglichen Bergzuges gelegen und die weite Ebene von Ikonion vollständig überschauend und beherrschend. Der erst im Jahre 679 (75) beendigte Krieg, aus dem Publius Servilius für sich und seine Nachkommen den Beinamen des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine große Anzahl von Korsaren und Korsarenschiffen geriet durch denselben in die Gewalt der Römer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien wurden arg verheert, die Gebiete der zerstörten Städte eingezogen und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert. Allein es lag in der Natur der Sache, daß die Piraterie doch damit keineswegs unterdrückt war, sondern nur sich zunächst nach andern Gegenden, namentlich nach der ältesten Herberge der Korsaren des Mittelmeers, nach Kreta, zog. Nur umfassend und einheitlich durchgeführte Repressivmaßregeln oder vielmehr nur die Einrichtung einer ständigen Seepolizei konnten hier durchgreifende Abhilfe gewähren.

In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Verhältnisse des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die hier zwischen Rom und den Königen von Pontos und Armenien bestand, ließ nicht nach, sondern steigerte sich mehr und mehr. Auf der einen Seite griff König Tigranes von Armenien in der rücksichtslosesten Weise erobernd um sich. Die Parther, deren in dieser Zeit auch durch innere Unruhen zerrissener Staat tief daniederlag, wurden in andauernden Fehden weiter und weiter in das innere Asien zurückgedrängt. Von den Landschaften zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Corduene (nördliches Kurdistan) und das Atropatenische Medien (Aserbeidschan) aus parthischen in armenische Lehnkönigreiche verwandelt und das Reich von Ninive (Mosul) oder Adiabene, wenigstens vorübergehend, gleichfalls gezwungen, in die armenische Klientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in und um Nisibis, ward die armenische Herrschaft begründet; nur die südliche, großenteils wüste Hälfte, scheint nicht in festen Besitz des neuen Großkönigs gekommen und namentlich Seleukeia am Tigris ihm nicht untertänig geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder Osrhoene übergab er einem Stamme der schweifenden Araber, den er aus dem südlichen Mesopotamien hierher verpflanzte und hier ansässig machte, um durch ihn den Euphratübergang und die große Handelsstraße zu beherrschen ^1. Aber Tigranes beschränkte seine Eroberungen keineswegs auf das östliche Ufer des Euphrat. Vor allem Kappadokien war das Ziel seiner Angriffe und erlitt, wehrlos wie es war, von dem übermächtigen Nachbar vernichtende Schläge. Die östliche Landschaft Melitene riß Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit der gegenüberliegenden armenischen Provinz Sophene, wodurch er den Euphratübergang mit der großen kleinasiatisch-armenischen Handelsstraße in seine Gewalt bekam. Nach Sullas Tode rückten die Armenier sogar in das eigentliche Kappadokien ein und führten die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (später Caesarea) und elf anderer griechisch geordneter Städte weg nach Armenien. Nicht mehr Widerstand vermochte das in voller Auflösung begriffene Seleukidenreich dem neuen Großkönig entgegenzustellen. Hier herrschte im Süden von der ägyptischen Grenze bis nach Stratons Turm (Caesarea) der Judenfürst Alexandros Jannaeos, der im Kampfe mit den syrischen, ägyptischen und arabischen Nachbarn und mit den Reichsstädten seine Herrschaft Schritt vor Schritt erweiterte und befestigte. Die größeren Städte Syriens, Gaza, Stratons Turm, Ptolemais, Beröa versuchten, sich bald als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene Hand zu behaupten; vor allem die Hauptstadt Antiocheia war so gut wie selbständig. Damaskos und die Libanostäler hatten sich dem nabatäischen Fürsten Aretas von Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten die Seeräuber oder die Römer. Und um diese in tausend Splitter zerschellende Krone fuhren die Seleukidenprinzen, als gälte es das Königtum allen zum Spott und zum Ärgernis zu machen, beharrlich fort, untereinander zu hadern, ja, während von diesem gleich dem Hause des Laios zum ewigen Zwiste verfluchten Geschlechte die eigenen Untertanen alle abtrünnig wurden, sogar Ansprüche auf den durch den erblosen Abgang des Königs Alexander Il. erledigten Thron von Ägypten zu erheben. So griff König Tigranes hier ohne Umstände zu. Das östliche Kilikien ward mit Leichtigkeit von ihm unterworfen und die Bürgerschaften von Soloi und anderen Städten ebenwie die kappadokischen nach Armenien abgeführt. Ebenso wurde die obere syrische Landschaft, mit Ausnahme der tapfer verteidigten Stadt Seleukeia an der Mündung des Orontes, und der größte Teil von Phönike mit den Waffen bezwungen: um 680 (74) ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und schon der Judenstaat ernstlich von ihnen bedroht. Die alte Hauptstadt der Seleukiden Antiocheia ward eine der Residenzen des Großkönigs. Bereits von dem Jahre 671 (83) an, dem nächsten nach dem Frieden zwischen Sulla und Mithradates, wird Tigranes in den syrischen Jahrbüchern als der Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien und Syrien als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter des Großkönigs Magadates. Die Zeit der Könige von Ninive, der Salmanassar und Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der orientalische Despotismus schwer auf der handeltreibenden Bevölkerung der syrischen Küste, wie einst auf Tyros und Sidon; wieder warfen binnenländische Großstaaten sich auf die Landschaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von angeblich einer halben Million Streiter an den kilikischen und syrischen Küsten. Wie einst Salmanassar und Nebukadnezar die Juden nach Babylon geführt hatten, so mußten jetzt aus allen Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Corduene, Adiabene, Assyrien, Kilikien, Kappadokien, die Einwohner, namentlich die griechischen oder halbgriechischen Stadtbürger, mit ihrer gesamten Habe bei Strafe der Konfiskation alles dessen, was sie zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Residenz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die Größe der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigtums auf das Machtwort des neuen Großsultans aus der Erde springen. Die neue “Tigranesstadt”, Tigranokerta, gegründet an der Grenze Armeniens und Mesopotamiens und bestimmt zur Hauptstadt der neu für Armenien gewonnenen Gebiete, ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von fünfzig Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mitgehörigen Palast-, Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue Großkönig sich nicht: wie in der ewigen Kindheit des Ostens überhaupt die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit wirklichen Kronen auf dem Haupte niemals verschwunden sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weißen, halb purpurnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem hohen Turban und der königlichen Stirnbinde, wo er ging und stand von vier “Königen” in Sklavenart begleitet und bedient.

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^1 Das Reich von Edessa, dessen Gründung die einheimischen Chroniken 620 (134) setzen, kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die arabische Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir später daselbst finden. Offenbar hängt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber durch Tigranes den Großen in der Gegend von Edessa, Kallirhoe, Karrhä (Plin. nat. 5, 20, 85; 21, 86; 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21) berichtet, daß Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie seinem Reiche näher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu bemächtigen. Vermutlich ist dies so zu verstehen, daß die Beduinen, die gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstraßen zu eröffnen und auf diesen feste Durchgangszölle zu erheben (Strab. 14, 748), dem Großkönig als eine Art von Zollkontrolleuren dienen und an der Euphratpassage für ihn und für sich Zölle erheben sollten. Diese “osrhoenischen Araber” (Orei Arabes), wie sie Plinius nennt, müssen auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius überwand (Plut. Pomp. 39).

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Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien der Übergriffe und begnügte sich, was kein Traktat ihm verbot, seine Herrschaft am Schwarzen Meere fester zu begründen und die Landschaften, die das Bosporanische jetzt unter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte Königreich von dem Pontischen trennten, allmählich in bestimmtere Abhängigkeit zu bringen. Aber auch er wandte alle Anstrengungen darauf, seine Flotte und sein Heer instand zu setzen und namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen und zu organisieren, wobei die römischen Emigranten, die in großer Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten.

Den Römern war nichts daran gelegen, in die orientalischen Angelegenheiten noch weiter verwickelt zu werden, als sie es bereits waren. Es zeigt sich dies namentlich mit schlagender Deutlichkeit darin, daß die Gelegenheit, die in dieser Zeit sich darbot, das Ägyptische Reich auf friedlichem Wege unter unmittelbare römische Herrschaft zu bringen, vom Senat verschmäht ward. Die legitime Deszendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns war zu Ende gegangen, als der nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Königs Lathyros von Sulla eingesetzte König Alexandros II., ein Sohn Königs Alexandros I., wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auflauf in der Hauptstadt getötet ward (673 81). Dieser Alexandros hatte in seinem Testament ^2 zum Erben die römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Dokuments ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbenen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathyros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flötenbläser (Auletes) genannt, Ägypten, dem andern, Ptolemäos dem Kyprier, Kypros tatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden zwar vom Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine bestimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet. Die Ursache, weshalb der Senat diesen unklaren Zustand fortdauern ließ und nicht dazu kam, in bindender Weise auf Ägypten und Kypros zu verzichten, war ohne Zweifel die ansehnliche Rente, welche jene gleichsam auf Bittbesitz herrschenden Könige für die Fortdauer desselben den römischen Koteriehäuptern fortwährend zahlten. Allein der Grund, jenem lockenden Erwerb überhaupt zu entsagen, liegt anderswo. Ägypten gab durch seine eigentümliche Lage und seine finanzielle Organisation jedem dort befehligenden Statthalter eine Geld- und Seemacht und überhaupt eine unabhängige Gewalt in die Hände, wie sie mit dem argwöhnischen und schwächlichen Regiment der Oligarchie sich schlechterdings nicht vertrug; von diesem Standpunkt aus war es verständig, dem unmittelbaren Besitz der Nillandschaft zu entsagen.

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^2 Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von Alexander I. († 666 88) oder Alexander II. († 673 81) herrühre, wird gewöhnlich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzulänglich; denn Cicero (leg. agr. 1, 4, 12; 15, 38; 16, 41) sagt nicht, daß Ägypten im Jahre 666 (88), sondern daß es in oder nach diesem Jahr an Rom gefallen sei; und wenn man daraus, daß Alexander I. im Ausland, Alexander II. in Alexandreia umkam, gefolgert hat, daß die in dem fraglichen Testament erwähnten in Tyros lagernden Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daß Alexander II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Ägypten getötet ward (J. A. Letronne, Recueil des inscriptions grecques et latines de l’Egypte. Bd. 2, Paris 1848, S. 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daß der zweite Alexander der letzte echte Lagide war, da bei den ähnlichen Erwerbungen von Pergamon Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Sproß der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Das alte Staatsrecht, wie es wenigstens für die römischen Klientelstaaten maßgebend gewesen ist, scheint dem Regenten das letztwillige Verfügungsrecht über sein Reich nicht unbedingt, sondern nur in Ermangelung erbberechtigter Agnaten zugestanden zu haben. Vgl. Gutschmids Anmerkung zu der deutschen Übersetzung von S. Sharper, Geschichte Ägyptens. Bd. 2, S. 17. Ob das Testament echt oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; besondere Gründe, eine Fälschung anzunehmen, liegen nicht vor.

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Weniger läßt es sich rechtfertigen, daß der Senat es unterließ, in die kleinasiatischen und syrischen Angelegenheiten unmittelbar einzugreifen. Die römische Regierung erkannte zwar den armenischen Eroberer nicht als König von Kappadokien und Syrien an; aber sie tat doch auch nichts, um ihn zurückzudrängen, wie nahe immer der Krieg, den sie 676 (78) notgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begann, ihr namentlich das Einschreiten in Syrien legte. In der Tat gab sie, indem sie den Verlust Kappadokiens und Syriens ohne Kriegserklärung hinnahm, damit nicht bloß ihre Schutzbefohlenen, sondern die wichtigsten Grundlagen ihrer eigenen Machtstellung preis. Es war schon bedenklich, wenn sie in den griechischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und Tigris die Vorwerke ihrer Herrschaft opferte; aber wenn sie die Asiaten am Mittelmeer sich festsetzen ließ, welches die politische Basis ihres Reiches war, so war dies nicht ein Beweis von Friedensliebe, sondern das Bekenntnis, daß die Oligarchie durch die Sullanische Restauration wohl oligarchischer, aber weder klüger noch energischer geworden war, und für die römische Weltmacht der Anfang des Endes.

Auch auf der andern Seite wollte man den Krieg nicht. Tigranes hatte keine Ursache, ihn zu wünschen, wenn Rom ihm auch ohne Krieg all seine Bundesgenossen preisgab. Mithradates, der denn doch nicht bloß Sultan war und Gelegenheit genug gehabt hatte, im Glück und Unglück Erfahrungen über Freunde und Feinde zu machen, wußte sehr wohl, daß er in einem zweiten römischen Krieg sehr wahrscheinlich ebenso allein stehen würde wie in dem ersten und daß er nichts Klügeres tun konnte, als sich ruhig zu verhalten und sein Reich im Innern zu stärken. Daß es ihm mit seinen friedlichen Erklärungen Ernst war, hatte er in dem Zusammentreffen mit Murena hinreichend bewiesen; er fuhr fort, alles zu vermeiden, was dazu führen mußte, die römische Regierung aus ihrer Passivität herauszudrängen.

Allein wie schon der Erste Mithradatische Krieg sich entsponnen hatte, ohne daß eine der Parteien ihn eigentlich wünschte, so entwickelte auch jetzt aus den entgegengesetzten Interessen sich gegenseitiger Argwohn, aus diesem gegenseitige Verteidigungsanstalten, und es führten diese endlich durch ihr eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit langem die römische Politik beherrschende Mißtrauen in die eigene Schlagfertigkeit und Kampfbereitschaft, welches bei dem Mangel stehender Armeen und dem wenig musterhaften kollegialischen Regiment wohl erklärlich ist, machte es gleichsam zu einem Axiom der römischen Politik, jeden Krieg nicht bloß bis zur Überwältigung, sondern bis zur Vernichtung des Gegners zu führen; man war insofern mit dem Frieden Sullas von Haus aus in Rom so wenig zufrieden wie einst mit den Bedingungen, die Scipio Africanus den Karthagern gewährt hatte. Die vielfach geäußerte Besorgnis, daß ein zweiter Angriff des pontischen Königs bevorstehe, ward einigermaßen gerechtfertigt durch die ungemeine Ähnlichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse mit denen vor zwölf Jahren. Wieder traf ein gefährlicher Bürgerkrieg zusammen mit ernstlichen Rüstungen Mithradats; wieder überschwemmten die Thraker Makedonien und bedeckten die Korsarenflotten das ganze Mittelmeer; wieder kamen und gingen die Emissäre, wie einst zwischen Mithradates und den Italikern, so jetzt zwischen den römischen Emigranten in Spanien und denen am Hofe von Sinope. Schon im Anfang des Jahres 677 (77) ward es im Senat ausgesprochen, daß der König nur auf die Gelegenheit warte, während des italischen Bürgerkriegs über das römische Asien herzufallen; die römischen Armeen in Asia und Kilikien wurden verstärkt, um möglichen Ereignissen zu begegnen.

Andererseits verfolgte auch Mithradates mit steigender Besorgnis die Entwicklung der römischen Politik. Er mußte es fühlen, daß ein Krieg der Römer gegen Tigranes, wie sehr auch der schwächliche Senat davor sich scheute, doch auf die Länge kaum vermeidlich sei und er nicht umhin können werde, sich an demselben zu beteiligen. Der Versuch, das immer noch mangelnde schriftliche Friedensinstrument von dem römischen Senat zu erlangen, war in die Wirren der Lepidianischen Revolution gefallen und ohne Erfolg geblieben; Mithradates fand darin ein Anzeichen der bevorstehenden Erneuerung des Kampfes. Die Einleitung dazu schien die Expedition gegen die Seeräuber, die mittelbar doch auch die Könige des Ostens traf, deren Verbündete sie waren. Noch bedenklicher waren die schwebenden Ansprüche Roms auf Ägypten und Kypros; es ist bezeichnend, daß der pontische König den beiden Ptolemäern, denen der Senat fortfuhr, die Anerkennung zu weigern, seine beiden Töchter Mithradatis und Nyssa verlobte. Die Emigranten drängten zum Losschlagen; Sertorius’ Stellung in Spanien, die zu erkunden Mithradates unter passenden Vorwänden Boten in das Pompeianische Hauptquartier abordnete, und die in der Tat eben um diese Zeit imposant war, eröffnete dem König die Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg gegen die beiden römischen Parteien, sondern mit der einen gegen die andere zu fechten. Ein günstigerer Moment konnte kaum gehofft werden, und am Ende war es immer besser, den Krieg zu erklären, als ihn sich erklären zu lassen. Da starb im Jahre 679 (75) König Nikomedes III. Philopator von Bithynien und hinterließ als der letzte seines Stammes - denn ein von der Nysa geborener Sohn war oder hieß unecht - sein Reich im Testament den Römern, welche diese mit der römischen Provinz grenzende und längst von römischen Beamten und Kaufleuten erfüllte Landschaft in Besitz zu nehmen nicht säumten. Gleichzeitig wurde auch Kyrene, das bereits seit dem Jahr 658 (96) den Römern angefallen war, endlich als Provinz eingerichtet und ein römischer Statthalter dorthin geschickt (679 75). Diese Maßregeln in Verbindung mit den um dieselbe Zeit an der Südküste von Kleinasien gegen die Piraten ausgeführten Angriffen müssen in dem Könige Besorgnisse erregt haben; die Einziehung Bithyniens namentlich machte die Römer zu unmittelbaren Nachbarn des Pontischen Reiches; und dies vermutlich gab den Ausschlag. Der König tat den entscheidenden Schritt und erklärte im Winter 679/80 (75/74) den Römern den Krieg.

Gern hätte Mithradates die schwere Arbeit nicht allein übernommen. Sein nächster und natürlicher Bundesgenosse war der Großkönig Tigranes; allein der kurzsichtige Mann lehnte den Antrag seines Schwiegervaters ab. So blieben nur die Insurgenten und die Piraten. Mithradates ließ es sich angelegen sein, mit beiden durch starke, nach Spanien und nach Kreta entsandte Geschwader sich in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius ward ein förmlicher Vertrag abgeschlossen, durch den Rom an den König Bithynien, Paphlagonien, Galanen und Kappadokien abtrat - freilich lauter Erwerbungen, die erst auf dem Schlachtfeld ratifiziert werden mußten. Wichtiger war die Unterstützung, die der spanische Feldherr dem König durch Sendung römischer Offiziere zur Führung seiner Heere und Flotten gewährte. Die tätigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius Magius und Lucius Fannius, wurden von Sertorius zu seinen Vertretern am Hofe von Sinope bestellt. Auch von den Piraten kam Hilfe; sie stellten in großer Anzahl im Pontischen Reich sich ein, und namentlich durch sie scheint es dem Könige gelungen zu sein, eine durch die Zahl wie durch die Tüchtigkeit der Schiffe imponierende Seemacht zu bilden. Die Hauptstütze blieben die eigenen Streitkräfte, mit denen der König, bevor die Römer in Asien eintreffen würden, sich ihrer Besitzungen daselbst bemächtigen zu können hoffte, zumal da in der Provinz Asia die durch die Sullanische Kriegssteuer hervorgerufene finanzielle Not, in Bithymen der Widerwille gegen das neue römische Regiment, in Kilikien und Pamphylien der von dem kürzlich beendigten verheerenden Krieg zurückgebliebene Brandstoff einer pontischen Invasion günstige Aussichten eröffnete. An Vorräten fehlte es nicht; in den königlichen Speichern lagen zwei Millionen Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft waren zahlreich und wohlgeübt, namentlich die bastarnischen Soldknechte eine auserlesene, selbst italischen Legionären gewachsene Schar. Auch diesmal war es der König, der die Offensive begann. Ein Korps unter Diophantos ruckte in Kappadokien ein, um die Festungen daselbst zu besetzen und den Römern den Weg in das Pontische Reich zu verlegen; der von Sertorius gesandte Führer, der Proprätor Marcus Marius, ging in Gemeinschaft mit dem pontischen Offizier Eumachos nach Phrygien, um die römische Provinz und das Taurusgebirge zu insurgieren; die Hauptarmee, über 100000 Mann nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, geführt von Taxiles und Hermokrates unter der persönlichen Oberleitung des Königs, und die von Aristonikos befehligte Kriegsflotte von 400 Segeln bewegten sich die kleinasiatische Nordküste entlang, um Paphlagonien und Bithymen zu besetzen. Römischerseits ward zur Führung des Krieges in erster Reihe der Konsul des Jahres 680 (74), Lucius Lucullus, ausersehen, der als Statthalter von Asien und Kilikien an die Spitze der in Kleinasien stehenden vier Legionen und einer fünften von ihm aus Italien mitgebrachten gestellt und angewiesen ward, mit dieser auf 30000 Mann zu Fuß und 1600 Reiter sich belaufenden Armee durch Phrygien in das Pontische Reich einzudringen. Sein Kollege Marcus Cotta ging mit der Flotte und einem anderen römischen Korps nach der Propontis, um Asia und Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allgemeine Armierung der Küsten, namentlich der von der pontischen Flotte zunächst bedrohten thrakischen, angeordnet und die Säuberung der sämtlichen Meere und Küsten von den Piraten und ihren pontischen Genossen außerordentlicherweise einem einzigen Beamten übertragen, wofür die Wahl auf den Prätor Marcus Antonius fiel, den Sohn des Mannes, der dreißig Jahre zuvor zuerst die kilikischen Korsaren gezüchtigt hatte. Außerdem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill. Sesterzen (5½ Mill. Talern) zur Verfügung, um davon eine Flotte zu erbauen; was Lucullus indes ablehnte. Aus allem sieht man, daß die römische Regierung in der Vernachlässigung des Seewesens den Kern des Übels erkannte und hierin wenigstens so weit Ernst machte, als ihre Dekrete reichten.

So begann im Jahre 680 (74) der Krieg auf allen Punkten. Es war ein Unglück für Mithradates, daß eben im Moment seiner Kriegserklärung der Wendepunkt im Sertorianischen Kriege eintrat, wodurch von vornherein eine seiner hauptsächlichsten Hoffnungen ihm zugrunde ging und es der römischen Regierung möglich ward, ihre ganze Macht auf den See- und den kleinasiatischen Krieg zu verwenden. In Kleinasien dagegen erntete Mithradat die Vorteile der Offensive und der weiten Entfernung der Römer von dem unmittelbaren Kriegsschauplatz. Dem Sertorianischen Proprätor, der in der römischen Provinz Asia vorangestellt ward, öffneten eine beträchtliche Anzahl kleinasiatischer Städte die Tore und metzelten wie im Jahre 666 (88) die bei ihnen ansässigen römischen Familien nieder; die Pisider, Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die Waffen. Die Römer hatten an den bedrohten Punkten augenblicklich keine Truppen. Einzelne tüchtige Männer versuchten wohl auf ihre eigene Hand dieser Aufwiegelung der Provinzialen zu steuern - so verließ auf die Kunde von diesen Ereignissen der junge Gaius Caesar Rhodos, wo er seiner Studien wegen sich aufhielt, und warf sich mit einer rasch zusammengerafften Schar den Insurgenten entgegen; allein viel konnten solche Freikorps nicht ausrichten. Wenn nicht der tapfere Vierfürst des um Pessinus ansässigen Keltenstammes der Tolistoboger, Deiotarus, die Partei der Römer ergriffen und glücklich gegen die pontischen Feldherrn gefochten hätte, so hätte Lucullus damit beginnen müssen, das Binnenland der römischen Provinz dem Feind wiederabzunehmen. Auch so aber verlor er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der Zurückdrängung des Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen Erfolge, welche seine Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als vergütet ward. Ungünstiger noch als in Phrygien gestalteten sich die Dinge für die Römer an der Nordküste Kleinasiens. Hier hatte die große Armee und die Flotte der Pontiker sich Bithyniens vollständig bemeistert und den römischen Konsul Cotta genötigt, mit seiner wenig zahlreichen Mannschaft und seinen Schiffen in den Mauern und dem Hafen von Kalchedon Schutz zu suchen, wo Mithradates sie blockiert hielt. Indes war diese Einschließung insofern ein günstiges Ereignis für die Römer, als, wenn Cotta die pontische Armee vor Kalchedon festhielt und Lucullus ebendahin sich wandte, die sämtlichen römischen Streitkräfte bei Kalchedon sich vereinigen und schon hier statt in dem ferneren und unwegsamen pontischen Land, die Waffenentscheidung erzwingen konnten. Lucullus schlug auch die Straße nach Kalchedon ein; allein Cotta, um noch vor dem Eintreffen des Kollegen auf eigene Hand eine Großtat auszuführen, ließ seinen Flottenführer Publius Rutilius Nudus einen Ausfall machen, der nicht bloß mit einer blutigen Niederlage der Römer endigte, sondern auch den Pontikern es möglich machte, den Hafen anzugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und sämtliche daselbst befindliche römische Kriegsschiffe, gegen siebzig an der Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von diesen Unfällen, die Lucullus am Fluß Sangarios erhielt, beschleunigte derselbe seinen Marsch, zur großen Unzufriedenheit seiner Soldaten, welche nach ihrer Meinung Cotta nichts anging und die weit lieber ein unverteidigtes Land geplündert als ihre Kameraden siegen gelehrt hätten. Sein Eintreffen machte die erlittenen Unfälle zum Teil wieder gut: der König hob die Belagerung von Kalchedon auf, ging aber nicht nach Pontos zurück, sondern südwärts in die altrömische Provinz, wo er an der Propontis und am Hellespont sich ausbreitete, Lampsakos besetzte und die große und reiche Stadt Kyzikos zu belagern begann. Immer fester verrannte er sich also in die Sackgasse, die er eingeschlagen hatte, statt, was allein für ihn Erfolg versprach, die weiten Entfernungen gegen die Römer ins Spiel zu bringen. In Kyzikos hatte die alte hellenische Gewandtheit und Tüchtigkeit sich so rein erhalten wie an wenigen anderen Orten; ihre Bürgerschaft, obwohl sie in der unglücklichen Doppelschlacht von Kalchedon an Schiffen und Mannschaft starke Einbuße erlitten hatte, leistete dennoch den entschlossensten Widerstand. Kyzikos lag auf einer Insel unmittelbar dem Festland gegenüber und durch eine Brücke mit demselben verbunden. Die Belagerer bemächtigten sich sowohl des Höhenzuges auf dem Festland, der an der Brücke endigt, und der hier gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der berühmten Dindymenischen Höhen, und auf der Festland- wie auf der Inselseite boten die griechischen Ingenieure alle ihre Kunst auf, den Sturm möglich zu machen. Allein die Bresche, die endlich zu machen gelang, wurde während der Nacht wieder von den Belagerten geschlossen und die Anstrengungen der königlichen Armee blieben ebenso fruchtlos wie die barbarische Drohung des Königs, die gefangenen Kyzikener vor den Mauern töten zu lassen, wenn die Bürgerschaft noch länger die Übergabe verweigere. Die Kyzikener setzten die Verteidigung mit Mut und Glück fort; es fehlte nicht viel, so hätten sie im Laufe der Belagerung den König selbst gefangengenommen. Inzwischen hatte Lucullus sich einer sehr festen Position im Rücken der pontischen Armee bemächtigt, die ihm zwar nicht gestattete, der bedrängten Stadt unmittelbar zu Hilfe zu kommen, aber wohl dem Feinde alle Zufuhr zu Lande abzuschneiden. So stand die ungeheure, mit dem Troß auf 300000 Köpfe geschätzte Mithradatische Armee, weder imstande zu schlagen, noch zu marschieren, fest eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt und dem unbeweglich stehenden römischen Heer und für allen ihren Bedarf einzig angewiesen auf die See, die zum Glück für die Pontiker ihre Flotte ausschließlich beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit brach herein; ein Unwetter zerstörte einen großen Teil der Belagerungsbauten; der Mangel an Lebensmitteln und vor allem an Pferdefutter fing an unerträglich zu werden. Die Lasttiere und der Troß wurden unter Bedeckung des größten Teils der pontischen Reiterei weggesandt mit dem Auftrag, um jeden Preis sich durchzuschleichen oder durchzuschlagen; aber am Fluß Rhyndakos östlich von Kyzikos holte Lucullus sie ein und hieb den ganzen Haufen zusammen. Eine andere Reiterabteilung unter Metrophanes und Lucius Fannius mußte nach langer Irrfahrt im westlichen Kleinasien wieder in das Lager vor Kyzikos zurückkehren. Hunger und Seuchen räumten unter den pontischen Scharen fürchterlich auf. Als der Frühling herankam (681 73), verdoppelten die Belagerten ihre Anstrengungen und nahmen die auf dem Dindymon angelegten Schanzen; es blieb dem König nichts übrig, als die Belagerung aufzuheben und mit Hilfe der Flotte zu retten, was zu retten war. Er selber ging mit der Flotte nach dem Hellespont, erlitt aber teils bei der Abfahrt, teils unterwegs durch Stürme beträchtliche Einbuße. Eben dahin brach auch das Landheer unter Hermaeos und Marius auf, um in Lampsakos und von dessen Mauern geschützt sich einzuschiffen. Ihr Gepäck ließen sie im Stich, sowie die Kranken und Verwundeten, die von den erbitterten Kyzikenern sämtlich niedergemacht wurden. Unterwegs fügte ihnen Lucullus beim Übergang über die Flüsse Äsepos und Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch erreichten sie ihr Ziel: die pontischen Schiffe entführten die Überreste der großen Armee und die lampsakenische Bürgerschaft selbst aus dem Bereiche der Römer.

Lucullus’ folgerechte und bedächtige Kriegführung hatte nicht bloß die Fehler seines Kollegen wieder gutgemacht, sondern auch, ohne eine Hauptschlacht zu liefern, den Kern der feindlichen Armee - angeblich 200 000 Soldaten - aufgerieben. Hätte er noch die Flotte gehabt, die im Hafen von Kalchedon verbrannt war, so würde er die ganze feindliche Armee vernichtet haben; so blieb das Zerstörungswerk unvollendet, und er mußte sogar es leiden, daß trotz der Katastrophe von Kyzikos die pontische Flotte in der Propontis sich aufstellte, Perinthos und Byzantion auf der europäischen Küste von ihr blockiert, Priapos auf der asiatischen ausgeraubt, das königliche Hauptquartier nach dem bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward. Ja ein erlesenes Geschwader von fünfzig Segeln, das 10000 erlesene Leute, darunter Marcus Marius und den Kern der römischen Emigranten trug, fuhr sogar hinaus in das Ägäische Meer; es ging die Rede, daß es bestimmt sei, in Italien zu landen, um dort aufs neue den Bürgerkrieg zu entfachen. Indes fingen die Schiffe, die Lucullus nach dem Unfall von Kalchedon von den asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an, sich einzustellen und ein Geschwader lief aus, um das in das Ägäische Meer abgegangene feindliche aufzusuchen. Lucullus selbst, als Flottenführer erprobt, übernahm das Kommando. Vor dem Achäerhafen, in den Gewässern zwischen der troischen Küste und der Insel Tenedos, wurden dreizehn feindliche, auf der Fahrt nach Lemnos begriffene Fünfruderer unter Isidoros überfallen und versenkt. Bei der kleinen Insel Neä zwischen Lemnos und Skyros sodann, an welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille von 32 Segeln auf den Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff zugleich die Schiffe und die auf der Insel zerstreute Bemannung an und bemächtigte sich des ganzen Geschwaders. Hier fanden Marcus Marius und die tüchtigsten der römischen Emigrierten entweder im Kampfe oder nachher durch das Henkerbeil den Tod. Die ganze ägäische Flotte der Feinde war von Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien hatten inzwischen mit dem durch Nachsendungen aus Italien verstärkten Landheer und einem in Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und die Legaten Luculls Voconius, Gaius Valerius Triarius und Barba fortgesetzt. Barba nahm im Binnenland Prusias am Olymp und Nikäa, Triarius an der Küste Apameia (sonst Myrleia) und Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte sich dann zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates selbst in Nikomedeia; indes der König, ohne nur den Kampf zu versuchen, entwich auf seine Schiffe und fuhr heimwärts, und auch dies gelang ihm nur, weil der mit der Blockierung des Hafens von Nikomedeia beauftragte römische Flottenführer Voconius zu spät eintraf. Unterwegs ward zwar das wichtige Herakleia an den König verraten und von ihm besetzt; aber ein Sturm in diesen Gewässern versenkte über sechzig seiner Schiffe und zerstreute die übrigen; fast allein gelangte der König nach Sinope. Die Offensive Mithradats endigte mit einer vollständigen und durchaus nicht, am wenigsten für den obersten Leiter, rühmlichen Niederlage der pontischen Land- und Seemacht.

Lucullus ging jetzt seinerseits zum Angriff vor. Triarius übernahm den Befehl über die Flotte mit dem Auftrag, vor allem den Hellespont zu sperren und den aus Kreta und Spanien rückkehrenden pontischen Schiffen aufzupassen, Cotta die Belagerung von Herakleia; das schwierige Verpflegungsgeschäft ward den treuen und tätigen Galaterfürsten und dem König Ariobarzanes von Kappadokien übertragen; Lucullus selbst rückte im Herbst 681 (73) ein in die gesegnete und seit langem von keinem Feinde betretene pontische Landschaft. Mithradates, jetzt entschlossen zur strengsten Defensive, wich, ohne eine Schlacht zu liefern, zurück von Sinope nach Amisos, von Amisos nach Kabeira (später Neo-Caesarea, jetzt Niksar) am Lykos, einem Nebenfluß des Iris; er begnügte sich, den Feind immer tiefer landeinwärts sich nachzuziehen und ihm die Zufuhren und Verbindungen zu erschweren. Rasch folgte Lucullus; Sinope blieb seitwärts liegen; die alte Grenze des römischen Machtgebiets, der Halys, ward überschritten, die ansehnlichen Städte Amisos, Eupatoria (am Iris), Themiskyra (am Thermodon) umstellt, bis endlich der Winter den Märschen, aber nicht den Einschließungen der Städte ein Ende machte. Die Soldaten Luculls murrten über das unaufhaltsame Vordringen, das ihnen nicht gestattete, die Früchte ihrer Anstrengungen zu ernten, und über die weitläufigen und in der rauben Jahreszeit beschwerlichen Blockaden. Allein es war nicht Lucullus’ Art, auf dergleichen Klagen zu hören; im Frühjahr 682 (72) ging es sofort weiter gegen Kabeira unter Zurücklassung zweier Legionen vor Amisos unter Lucius Murena. Der König hatte während des Winters neue Versuche gemacht, den Großkönig von Armenien zum Eintritt in den Kampf zu bestimmen; sie blieben wie die früheren vergeblich oder führten doch nur zu leeren Verheißungen. Noch weniger bezeigten die Parther Lust, bei der verlorenen Sache sich zu beteiligen. Indes hatte sich, besonders durch Werbungen im Skythenland, wieder eine ansehnliche Armee unter Diophantos und Taxiles bei Kabeira zusammengefunden. Das römische Heer, das nur noch drei Legionen zählte und das an Reiterei den Pontikern entschieden nachstand, sah sich genötigt, das Blachfeld möglichst zu vermeiden, und gelangte nach Kabeira auf schwierigen Nebenpfaden, nicht ohne Beschwerden und Verluste. Bei dieser Stadt lagerten die beiden Armeen längere Zeit einander gegenüber. Gestritten ward hauptsächlich um die Zufuhr, die auf beiden Seiten knapp war; Mithradates bildete deswegen aus dem Kern seiner Reiterei und einer Abteilung erlesener Fußsoldaten unter Diophantos und Taxiles ein fliegendes Korps, das bestimmt war, zwischen dem Lykos und dem Halys zu streifen und die aus Kappadokien kommenden römischen Lebensmitteltransporte aufzufangen. Allein der Unterbefehlshaber Lucullus, Marcus Fabius Hadrianus, der einen solchen Zug eskortierte, schlug nicht bloß die ihm auflauernde Schar in dem Engpaß, wo sie ihn zu überfallen gedachte, vollständig aufs Haupt, sondern auch, nachdem er Verstärkung aus dem Lager erhalten hatte, die Armee des Diophantos und Taxiles selbst, so daß dieselbe völlig sich auflöste. Es war für den König ein unersetzlicher Verlust, daß seine Reiterei, auf die er allein vertraute, ihm hier zugrunde gegangen war; sowie er durch die ersten vom Schlachtfeld nach Kabeira gelangenden Flüchtlinge - bezeichnend genug die geschlagenen Generale selbst - die Hiobspost, früher noch als Lucullus die Nachricht von dem Sieg, erhalten hatte, beschloß er sofortigen weiteren Rückzug. Aber der gefaßte Entschluß des Königs verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter seiner nächsten Umgebung; und wie die Soldaten die Vertrauten des Königs eiligst einpacken sahen, wurden auch sie von panischem Schreck ergriffen. Niemand wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme und Geringe liefen durcheinander wie gescheuchtes Wild; keine Autorität, nicht einmal die des Königs, ward noch beachtet und der König selbst fortgerissen in dem wilden Getümmel. Die Verwirrung gewahrend, griff Lucullus an, und fast ohne Widerstand zu leisten ließen die pontischen Scharen sich niedermetzeln. Hätten die Legionen Mannszucht zu halten und ihre Beutegier zu mäßigen vermocht, so wäre kaum ein Mann ihnen entronnen und der König ohne Zweifel selbst gefangen worden. Mit Not entkam Mithradates mit wenigen Begleitern durch die Berge nach Komana (unweit Tokat und der Irisquelle), von wo ihn aber auch bald eine römische Schar unter Marcus Pompeius wiederaufscheuchte und ihn verfolgte, bis er, von nicht mehr als 2000 Reitern begleitet, in Talaura in Klein-Armenien die Grenze seines Reiches überschritt. In dem Reiche des Großkönigs fand er eine Zufluchtsstätte, aber auch nicht mehr (Ende 682 72). Tigranes ließ seinem flüchtigen Schwiegervater zwar königliche Ehre erzeigen, aber er lud ihn nicht einmal an seinen Hof, sondern hielt ihn in der abgelegenen Grenzlandschaft, wo er sich befand, in einer Art von anständiger Haft. Ganz Pontos und Klein-Armenien überschwemmten die römischen Truppen und bis nach Trapezus hinauf unterwarf sich das platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch die Befehlshaber der königlichen Schatzhäuser ergaben sich nach kürzerem oder längerem Zaudern und lieferten ihre Kassenvorräte aus. Die Frauen des königlichen Harems, die königlichen Schwestern, seine zahlreichen Gemahlinnen und Kebse ließ der König, da sie zu flüchten nicht möglich war, durch einen seiner Verschnittenen in Pharnakeia (Kerasunt) sämtlich töten. Hartnäckigen Widerstand leisteten nur die Städte. Zwar die wenigen im Binnenland, Kabeira, Amaseia, Eupatoria, waren bald in der Gewalt der Römer; aber die größeren Seestädte, Amisos und Sinope in Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das pontische Herakleia in Bithynien, wehrten sich wie Verzweifelte, teils begeistert durch die Anhänglichkeit an den König und die von ihm geschirmte freie hellenische Stadtverfassung, teils terrorisiert durch die Scharen der vom König herbeigerufenen Korsaren. Sinope und Herakleia ließen sogar die Schiffe gegen die Römer auslaufen, und das sinopische Geschwader bemächtigte sich einer römischen Flottille, die von der Taurischen Halbinsel für Lucullus’ Heer Getreide brachte. Herakleia unterlag erst nach zweijähriger Belagerung, nachdem die römische Flotte der Stadt den Verkehr mit den griechischen Städten auf der Taurischen Halbinsel abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung Verräterei ausgebrochen war. Als Amisos aufs äußerste gebracht war, zündete die Besatzung die Stadt an und bestieg unter dem Schutze der Flammen ihre Schiffe. In Sinope, wo der kecke Piratenkapitän Seleukos und der königliche Verschnittene Bakchides die Verteidigung leiteten, plünderte die Besatzung die Häuser, bevor sie abzog, und steckte die Schiffe, die sie nicht mitnehmen konnte, in Brand; es sollen hier, obwohl der größte Teil der Verteidiger sich hatte einschiffen können, doch noch 8000 Korsaren von Lucullus getötet worden sein. Zwei volle Jahre nach der Schlacht von Kabeira und darüber (682-684 72-70) währten diese Städtebelagerungen, die Lucullus großenteils durch seine Unterbefehlshaber betrieb, während er selbst die Verhältnisse der Provinz Asia ordnete, die eine gründliche Reform erheischten und erhielten. Wie geschichtlich merkwürdig auch jener hartnäckige Widerstand der pontischen Kaufstädte gegen die siegreichen Römer ist, so kam doch zunächst wenig dabei heraus; die Sache des Königs Mithradates war darum nicht minder verloren. Der Großkönig hatte offenbar für jetzt wenigstens durchaus nicht die Absicht, ihn in sein Reich zurückzuführen. Die römische Emigration in Asien hatte durch die Vernichtung der ägäischen Flotte ihre Besten eingebüßt; von den Übriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die tätigen Führer Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden mit Lucullus gemacht, und mit dem Tode des Sertorius, der in dem Jahre der Schlacht von Kabeira umkam, schwand die letzte Hoffnung der Emigration. Die eigene Macht Mithradats war vollständig zerschmettert und eine nach der andern brachen ihre noch übrigen Stützen zusammen: auch seine von Kreta und Spanien heimkehrenden Geschwader, siebzig Segel stark, wurden von Triarius bei der Insel Tenedos angegriffen und vernichtet; auch der Statthalter des Bosporanischen Reiches, des Königs eigener Sohn Machares, fiel von ihm ab und schloß als selbständiger Fürst des Taurischen Chersones auf eigene Hand mit den Römern Frieden und Freundschaft (684 70). Der König selbst saß nach nicht allzurühmlicher Gegenwehr in einem entlegenen armenischen Bergschloß, ein Flüchtling aus seinem Reiche und fast ein Gefangener seines Schwiegersohns. Mochten die Korsarenscharen noch auf Kreta sich behaupten und was aus Amisos und Sinope entkommen war, an die schwer zugängliche Ostküste des Schwarzen Meeres zu den Sanigen und Lazen sich retten: Lucullus’ geschickte Kriegführung und seine verständige Mäßigung, die es nicht verschmähte, den gerechten Beschwerden der Provinzialen abzuhelfen und die reumütigen Emigranten als Offiziere in seinem Heere anzustellen, hatte mit mäßigen Opfern Kleinasien vom Feinde befreit und das Pontische Reich vernichtet, so daß dasselbe aus einem römischen Klientelstaat in eine römische Provinz verwandelt werden konnte. Eine Kommission des Senats ward erwartet, um in Gemeinschaft mit dem Oberfeldherrn die neue Provinzialorganisation festzustellen.

Aber noch waren die Verhältnisse mit Armenien nicht geschlichtet. Daß eine Kriegserklärung der Römer gegen Tigranes an sich gerechtfertigt, ja geboten war, wurde früher gezeigt. Lucullus, der die Verhältnisse aus größerer Nähe und mit höherem Sinn betrachtete als das Senatorenkollegium in Rom, erkannte deutlich die Notwendigkeit, Armenien über den Tigris zurückzuweisen und die verlorene Herrschaft Roms über das Mittelmeer wiederherzustellen. Er zeigte in der Leitung der asiatischen Angelegenheiten sich als keinen unwürdigen Nachfolger seines Lehrmeisters und Freundes Sulla; Philhellene wie wenige Römer seiner Zeit, war er nicht unempfänglich für die Verpflichtung, die Rom mit der Erbschaft Alexanders übernommen hatte: Schild und Schwert der Griechen im Osten zu sein. Persönliche Beweggründe, der Wunsch, auch jenseits des Euphrat Lorbeeren zu ernten, die Empfindlichkeit darüber, daß der Großkönig in einem Schreiben an ihn den Imperatorentitel weggelassen, können freilich Lucullus mitbestimmt haben; allein es ist ungerecht, kleinliche und egoistische Motive für Handlungen anzunehmen, zu deren Erklärung die pflichtmäßigen vollkommen ausreichen. Indes von dem ängstlichen, lässigen, schlecht unterrichteten und vor allen Dingen von ewiger Finanznot bedrängten römischen Regierungskollegium ließ sich nimmermehr erwarten, daß es, ohne unmittelbar dazu genötigt zu sein, die Initiative zu einer so weitschichtigen und kostspieligen Expedition ergreifen werde. Um das Jahr 682 (72) waren die legitimen Repräsentanten der Seleukidendynastie, Antiochos, der Asiate genannt, und dessen Bruder, veranlaßt durch die günstige Wendung des Pontischen Krieges, nach Rom gegangen, um eine römische Intervention in Syrien und nebenbei die Anerkennung ihrer Erbansprüche auf Ägypten zu erwirken. Wenn die letztere Anforderung nicht gewährt werden konnte, so ließen doch der Augenblick wie die Veranlassung sich nicht günstiger finden, um den längst notwendigen Krieg gegen Tigranes zu beginnen. Allein der Senat hatte die Prinzen wohl als die rechtmäßigen Könige Syriens anerkannt, aber sich nicht entschließen können, die bewaffnete Intervention zu verfügen. Sollte die gute Gelegenheit benutzt und gegen Armenien Ernst gemacht werden, so mußte Lucullus den Krieg ohne eigentlichen Auftrag des Senats auf eigene Hand und eigene Gefahr beginnen; auch er sah sich ebenwie Sulla in die Notwendigkeit versetzt, was er im offenbarsten Interesse der bestehenden Regierung tat, nicht mit ihr, sondern ihr zum Trotz ins Werk zu setzen. Erleichtert ward ihm der Entschluß durch die seit langem unklar zwischen Krieg und Frieden schwankenden Verhältnisse Roms zu Armenien, welche die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens einigermaßen bedeckten und es an formellen Kriegsgründen nicht fehlen ließen. Die kappadokischen und syrischen Zustände boten Anlässe genug, und es hatten auch schon bei der Verfolgung des pontischen Königs römische Truppen das Gebiet des Großkönigs verletzt. Da indes Lucullus’ Auftrag auf Führung des Krieges gegen Mithradates ging und er hieran anzuknüpfen wünschte, so zog er es vor, einen seiner Offiziere, Appius Claudius, an den Großkönig nach Antiochien zu senden, um Mithradates’ Auslieferung zu fordern, was denn freilich zum Kriege führen mußte. Der Entschluß war ernst, zumal bei der Beschaffenheit der römischen Armee. Es war unvermeidlich, während des Feldzugs in Armenien das ausgedehnte pontische Gebiet stark besetzt zu halten, da sonst dem in Armenien stehenden Heer die Verbindung mit der Heimat verloren ging und überdies ein Einfall Mithradats in sein ehemaliges Reich leicht vorherzusehen war. Offenbar reichte die Armee, an deren Spitze Lucullus den Mithradatischen Krieg beendigt hatte, von beiläufig 30000 Mann für diese verdoppelte Aufgabe nicht aus. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde der Feldherr von seiner Regierung die Nachsendung einer zweiten Armee erbeten und erhalten haben; allein da Lucullus den Krieg der Regierung über den Kopf nehmen wollte und gewissermaßen mußte, sah er sich genötigt, hierauf zu verzichten und, ob er gleich selbst die gefangenen thrakischen Söldner des pontischen Königs seinen Truppen einreihte, dennoch mit nicht mehr als zwei Legionen oder höchstens 15000 Mann den Krieg über den Euphrat zu tragen. Schon dies war bedenklich; indes die Geringfügigkeit der Zahl mochte durch die erprobte Tapferkeit der durchaus aus Veteranen bestehenden Armee einigermaßen ersetzt werden. Weit schlimmer war die Stimmung der Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadligen Art viel zu wenig Rücksicht nahm. Lucullus war ein tüchtiger General und - nach aristokratischem Maßstab - ein rechtschaffener und wohlwollender Mann, aber nichts weniger als beliebt bei seinen Soldaten. Er war unpopulär als entschiedener Anhänger der Oligarchie, unpopulär, weil er in Kleinasien der greulichen Wucherei der römischen Kapitalisten nachdrücklich gesteuert hatte, unpopulär wegen der Arbeiten und Strapazen, die er dem Soldaten zumutete, unpopulär, weil er von seinen Soldaten strenge Mannszucht forderte und die Plünderung der griechischen Städte durch seine Leute möglichst verhinderte, daneben aber doch für sich selber manchen Wagen und manches Kamel mit den Schätzen des Ostens beladen ließ, unpopulär wegen seiner feinen, vornehmen, hellenisierenden, durchaus nicht kameradschaftlichen und, wo immer möglich, zu bequemem Wohlleben sich hinneigenden Weise. Nicht eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen dem Feldherrn und dem Soldaten ein persönliches Band schlingt. Hierzu kam endlich, daß ein großer Teil seiner tüchtigsten Soldaten alle Ursache hatte, sich über die maßlose Verlängerung ihrer Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden besten Legionen waren ebendiejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 (86) nach dem Osten geführt hatten; ungeachtet ihnen vor kurzem nach der Schlacht von Kabeira der durch dreizehn Feldzüge wohlverdiente Abschied zugesichert worden war, führte sie Lucullus jetzt dennoch über den Euphrat, einem neuen unabsehbaren Krieg entgegen - es schien, als wolle man die Sieger von Kabeira schlimmer behandeln als die Geschlagenen von Cannae. Daß mit so schwachen und so gestimmten Truppen ein Feldherr auf eigene Faust und streng genommen verfassungswidrig eine Expedition begann in ein fernes und unbekanntes Land voll reißender Ströme und schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige Ausdehnung jeden leichtsinnig unternommenen Angriff gefährlich machte, war in der Tat mehr als gewagt. Vielfach und nicht ohne Grund wurde deshalb Lucullus’ Verfahren in Rom getadelt; nur hätte man dabei nicht verschweigen sollen, daß zunächst die Verkehrtheit der Regierung dieses verwegene Vorgehen des Feldherrn veranlaßte und dasselbe wo nicht rechtfertigte, doch entschuldbar machte.

Schon die Sendung des Appius Claudius hatte neben der Aufgabe, den Krieg diplomatisch zu motivieren, den Zweck gehabt, die Fürsten und Städte zunächst Syriens gegen den Großkönig unter die Waffen zu bringen; im Frühling 685 (69) erfolgte der förmliche Angriff. Während des Winters hatte der König von Kappadokien im stillen für Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward der Euphrat bei Melitene überschritten und der Marsch dann weiter über die Tauruspässe auf den Tigris gerichtet. Auch diesen überschritt Lucullus in der Gegend von Amida (Diarbekr) und rückte weiter vor auf die Straße zu, welche die an der südlichen Grenze Armeniens neu gegründete zweite Hauptstadt Tigranokerta ^3 mit der alten Metropole Artaxata verband. Bei jener stand der Großkönig, kurz zuvor aus Syrien zurückgekommen, nachdem er die Verfolgung seiner Eroberungspläne am Mittelmeer wegen der Verwicklung mit den Römern vorläufig vertagt hatte. Eben entwarf er einen Einfall in das römische Kleinasien von Kilikien und Lykaonien aus und überlegte bei sich, ob die Römer Asien sofort räumen oder vorher noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur Schlacht stellen würden, als ihm die Nachricht von dem Anmarsche Luculls gebracht ward, welcher ihn von der Verbindung mit Artaxata abzuschneiden drohte. Er ließ den Boten aufknüpfen, aber die lästige Wirklichkeit blieb wie sie war; so verließ er denn die neue Hauptstadt und begab sich in das innere Armenien, um dort, was bis jetzt nicht geschehen war, gegen die Römer zu rüsten. Inzwischen sollte Mithrobarzanes mit den eben zur Verfügung stehenden Truppen in Verbindung mit den schleunigst aufgebotenen benachbarten Beduinenstämmen die Römer beschäftigen. Allein das Korps des Mithrobarzanes ward schon von dem römischen Vortrab, die Araber von einem Detachement unter Sextilius zersprengt; Lucullus gewann die von Tigranokerta nach Artaxata führende Straße, und während auf dem rechten Tigrisufer ein römisches Detachement den nordwärts abziehenden Großkönig verfolgte, ging er selbst auf das linke über und rückte vor Tigranokerta. Der nie versiegende Pfeilregen, mit dem die Besatzung das römische Heer überschüttete, und die Anzündung der Belagerungsmaschinen durch Naphtha weihten hier die Römer ein in die neuen Gefahren der iranischen Kriege, und der tapfere Kommandant Mankäos behauptete die Stadt, bis endlich die große königliche Entsatzarmee aus allen Teilen des weiten Reiches und den angrenzenden, den armenischen Werbern offenstehenden Landschaften versammelt und durch die nordöstlichen Pässe zum Entsatz der Hauptstadt herangerückt war. Der in den Kriegen Mithradats erprobte Führer Taxiles riet, die Schlacht zu vermeiden und die kleine römische Schar durch die Reiterei zu umstellen und auszuhungern. Allein als der König den römischen Feldherrn, der sich entschieden hatte, die Schlacht zu liefern, ohne darum die Belagerung aufzuheben, mit nicht viel mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache Übermacht ausrücken und keck das Gewässer überschreiten sah, das beide Heere trennte; als er auf der einen Seite diese kleine Schar überblickte, “zur Gesandtschaft zu viel, zum Heere zu wenig”, auf der andern seine ungeheuren Heerhaufen, in denen die Völker vom Schwarzen und vom Kaspischen mit denen vom Mittelmeer und vom Persischen Golf sich begegneten, deren gefürchtete eisenbedeckte Lanzenreiter allein zahlreicher waren als Lucullus’ ganzes Heer und in denen es auch an römisch gerüstetem Fußvolk nicht mangelte: da entschloß er sich, die vom Feinde begehrte Schlacht ungesäumt anzunehmen. Während aber die Armenier noch sich dazu ordneten, erkannte Lucullus’ scharfes Auge, daß sie es versäumt hatten, eine Höhe zu besetzen, die ihre ganze Reiterstellung beherrschte: er eilte sie mit zwei Kohorten einzunehmen, indem zugleich seine schwache Reiterei durch einen Flankenangriff die Aufmerksamkeit der Feinde von dieser Bewegung ablenkte, und sowie er oben angekommen war, führte er seinen kleinen Haufen der feindlichen Reiterei in den Rücken. Sie ward gänzlich zersprengt und warf sich auf die noch nicht völlig geordnete Infanterie, die davonlief, ohne auch nur zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin des Siegers, daß 100000 Armenier und 5 Römer gefallen seien und der König Turban und Stirnbinde von sich werfend unerkannt mit wenigen Reitern davongesprengt sei, ist im Stile seines Meisters Sulla abgefaßt; allein nichtdestoweniger bleibt der am 6. Oktober 685 (69) vor Tigranokerta erfochtene Sieg einer der glänzendsten Sterne in der ruhmreichen Kriegsgeschichte Roms; und er war nicht minder erfolgreich als glänzend. Alle südlich vom Tigris den Parthern oder den Syrern entrissenen Landschaften waren damit strategisch den Armeniern verloren und gingen größtenteils ohne weiteres über in den Besitz des Siegers. Die neu erbaute zweite Hauptstadt selber machte den Anfang. Die in ihr sehr zahlreichen griechischen Zwangsansiedler empörten sich gegen die Besatzung und öffneten dem römischen Heere die Pforten der Stadt, die den Soldaten zur Plünderung preisgegeben ward. Sie war geschaffen für das neue Großreich und ward wie dieses von dem Sieger vertilgt. Aus Kilikien und Syrien hatte der armenische Satrap Magadates bereits alle Truppen herausgezogen, um die Entsatzarmee vor Tigranokerta zu verstärken. Lucullus rückte in die nördlichste Landschaft Syriens Kommagene ein und erstürmte die Hauptstadt Samosata; bis in das eigentliche Syrien kam er nicht, doch langten von den Dynasten und Gemeinden bis zum Roten Meere hinab, von Hellenen, Syrern, Juden, Arabern, Gesandte an, um den Römern als den neuen Oberherren zu huldigen. Selbst der Fürst von Corduene, der östlich von Tigranokerta gelegenen Landschaft, unterwarf sich; wogegen freilich in Nisibis und damit in Mesopotamien der Bruder des Großkönigs Guras sich behauptete. Durchaus trat Lucullus auf als Schirmherr der hellenischen Fürsten und Bürgerschaften; in Kommagene setzte er einen Prinzen des seleukidischen Hauses, Antiochos, auf den Thron; Antiochos den Asiaten, der nach dem Abzug der Armenier nach Antiocheia zurückgekehrt war, erkannte er an als König von Syrien; die gezwungenen Ansiedler von Tigranokerta entließ er wieder in ihre Heimatorte. Die unermeßlichen Vorräte und Schätze des Großkönigs - an Getreide wurden 30 Millionen Medimnen, an Geld allein in Tigranokerta 8000 Talente (12½ Mill. Taler) erbeutet - machten es Lucullus möglich, die Kosten des Krieges zu bestreiten, ohne die Staatskasse in Anspruch zu nehmen, und jedem seiner Soldaten außer reichlichster Verpflegung noch eine Verehrung von 800 Denaren (240 Taler) zu machen.

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^3 Daß Tigranokerta in der Gegend von Mardin etwa zwei Tagemärsche westlich von Nisibis gelegen hat, hat die von K. E. Sachau (Über die Lage von Tigranokerta, Abh. der Berliner Akademie, 1880) an Ort und Stelle angestellte Untersuchung erwiesen, wenn auch die von Sachau vorgeschlagene genauere Fixierung der Örtlichkeit nicht außer Zweifel ist. Dagegen steht seiner Auseinandersetzung über den Feldzug Luculls das Bedenken entgegen, daß auf der dabei angenommenen Route von einer Überschreitung des Tigris in der Tat nicht die Rede sein kann.

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Der Großkönig war tief gedemütigt. Er war ein schwächlicher Charakter, übermütig im Glück, im Unglück verzagt; wahrscheinlich würde zwischen ihm und Lucullus ein Abkommen zustande gekommen sein, das der Großkönig mit ansehnlichen Opfern zu erkaufen, der römische Feldherr unter leidlichen Bedingungen zu gewähren beide alle Ursache hatten, wenn der alte Mithradates nicht gewesen wäre. Dieser hatte nicht teilgenommen an den Kämpfen um Tigranokerta. Durch die zwischen dem Großkönig und den Römern eingetretene Spannung nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte des Jahres 684 (70) befreit, war er mit 10000 armenischen Reitern in sein ehemaliges Reich abgesandt worden, um die Kommunikationen des Feindes zu bedrohen. Zurückgerufen, noch ehe er hier etwas ausrichten konnte, als der Großkönig seine gesamte Macht aufbot, um die von ihm erbaute Hauptstadt zu entsetzen, kamen bei seinem Eintreffen vor Tigranokerta ihm schon die vom Schlachtfeld flüchtenden Haufen entgegen. Vom Großkönig bis zum gemeinen Soldaten schien allen alles verloren. Wenn aber Tigranes jetzt Frieden machte, so schwand für Mithradates nicht bloß die letzte Möglichkeit der Wiedereinsetzung in sein Reich, sondern seine Auslieferung war ohne Zweifel die erste Bedingung des Friedens; und sicher würde Tigranes gegen ihn nicht anders gehandelt haben als Bocchus einst gegen Jugurtha. Seine ganze Persönlichkeit setzte darum der König ein, um diese Wendung zu verhindern und den armenischen Hof zur Fortführung des Krieges zu bestimmen, bei der er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte; und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluß an diesem Hofe nicht gering. Noch war er ein stattlicher und gewaltiger Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in voller Rüstung auf das Pferd schwang und im Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die Jahre und die Schicksale gestählt zu haben: während er in früheren Zeiten seine Heerführer aussandte und selbst an dem Kriege nicht unmittelbar teilnahm, finden wir fortan als Greis ihn in der Schlacht selber befehligen und selber fechten. Ihm, der während seines fünfzigjährigen Regiments so viele unerhörte Glückswechsel erlebt hatte, schien die Sache des Großkönigs durch die Niederlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr Lucullus’ Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden kam und der Krieg in zweckmäßiger Weise fortgeführt ward, sogar in hohem Maße bedenklich. Der vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater dem Großkönig gegenüberstand und jetzt persönlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn, nicht nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern auch ihn selber mit dessen politischer und militärischer Leitung zu betrauen. Aus einem Kabinettskrieg sollte der König jetzt ein national asiatischer werden, die Könige und die Völker Asiens sich vereinigen gegen die übermächtigen und übermütigen Okzidentalen. Es wurden die größten Anstrengungen gemacht, die Armenier und die Parther miteinander zu versöhnen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu bestimmen. Auf Mithradates’ Betrieb erbot sich Tigranes, dem Arsakiden Phraates, dem Gott (regierte seit 684 70), die von den Armeniern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die “großen Täler”, zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündnis zu machen. Allein nach allem, was vorhergegangen war, konnte dieses Anerbieten kaum auf eine günstige Aufnahme rechnen; Phraates zog es vor, die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Armeniern, sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der verhaßte Nachbar und der unbequeme Fremdling untereinander aufrieben. Mit größerem Erfolg als an die Könige wandte Mithradates sich an die Völker des Ostens. Es hielt nicht schwer, den Krieg darzustellen als einen nationalen des Orients gegen den Okzident, denn er war es; gar wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet werden, daß das Ziel des Lucullischen Heeres der Tempel der persischen Nanäa oder Anaitis in Elymais oder dem heutigen Luristan sei, das gefeiertste und das reichste Heiligtum der ganzen Euphratlandschaft ^4. Scharenweise drängten sich von nah und fern die Asiaten unter die Banner der Könige, welche sie aufriefen, den Osten und seine Götter vor den gottlosen Fremdlingen zu schirmen. Allein die Tatsachen hatten gezeigt, daß das bloße Zusammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht allein fruchtlos war, sondern durch die Einfügung in dieselben selbst die wirklich marschier- und schlagfähigen Scharen unbrauchbar gemacht und in das allgemeine Verderben mitverwickelt wurden. Mithradates suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die schwächste der Okzidentalen und die stärkste der Asiaten war, die Reiterei: in der von ihm neugebildeten Armee war die Hälfte der Mannschaft beritten. Für den Dienst zu Fuß las er aus der Masse der aufgebotenen oder freiwillig sich meldenden Rekruten die dienstfähigen Leute sorgfältig aus und ließ diese durch seine pontischen Offiziere dressieren. Das ansehnliche Heer, das bald wieder unter den Fahnen des Großkönigs zusammenstand, war aber nicht bestimmt, auf der ersten Walstatt mit den römischen Veteranen sich zu messen, sondern sich auf die Verteidigung und auf den kleinen Krieg zu beschränken. Schon den letzten Krieg in seinem Reiche hatte Mithradates stetig zurückweichend und die Schlacht vermeidend geführt; auch diesmal wurde eine ähnliche Taktik angenommen und zum Kriegsschauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das vom Feinde noch vollkommen unberührte Erbland des Tigranes, durch seine physische Beschaffenheit ebenso wie durch den Patriotismus seiner Bewohner vortrefflich für diese Kriegsweise geeignet.

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^4 Cicero (imp. Cn. Pomp. 9, 23) meint schwerlich einen anderen als einen der reichen Tempel der Landschaft Elymais, wohin die Raubzüge der syrischen wie der parthischen Könige regelmäßig sich richteten (Strab. 16, 744; Polyb. 31, 11; 1. Makk. 6 u. a. m.), und wahrscheinlich diesen als den bekanntesten; auf keinen Fall darf an den Tempel von Komana oder überhaupt irgendein Heiligtum im Pontischen Reiche gedacht werden.

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Das Jahr 686 (68) fand Lucullus in einer schwierigen und täglich bedenklicher sich gestaltenden Lage. Trotz seiner glänzenden Siege war man in Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat empfand die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens; die von ihm empfindlich verletzte Kapitalistenpartei setzte alle Mittel der Intrige und Bestechung in Bewegung, um seine Abberufung durchzusetzen. Täglich erscholl der Markt der Hauptstadt von gerechten und ungerechten Beschwerden über den tollkühnen, den habsüchtigen, den unrömischen, den hochverräterischen Feldherrn. Den Klagen über die Vereinigung einer so grenzenlosen Macht, zweier ordentlicher Statthalterschaften und eines wichtigen außerordentlichen Kommandos, in der Hand eines solchen Mannes gab auch der Senat insoweit nach, daß er die Provinz Asia einem der Prätoren, die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legionen dem Konsul Quintus Marcius Rex bestimmte, und den Feldherrn auf das Kommando gegen Mithradates und Tigranes beschränkte.

Diese in Rom gegen den Feldherrn sich erhebenden Anklagen fanden einen gefährlichen Widerhall in den Quartieren am Iris und am Tigris: um so mehr, als einzelne Offiziere, darunter der eigene Schwager des Feldherrn, Publius Clodius, in diesem Sinne die Soldaten bearbeiteten. Das ohne Zweifel von diesen in Umlauf gesetzte Gerücht, daß Lucullus jetzt mit dem Pontisch-Armenischen Krieg noch eine Expedition gegen die Parther zu verbinden gedenke, nährte die Erbitterung der Truppen. Während aber also die schwierige Stimmung der Regierung wie der Soldaten den siegreichen Feldherrn mit Abberufung und Meuterei bedrohte, fuhr er selber fort, dem verzweifelten Spieler gleich, seinen Einsatz und sein Wagen zu steigern. Zwar gegen die Parther zog er nicht; aber als Tigranes sich weder bereit zeigte, Frieden zu machen, noch, wie Lucullus es wünschte, eine zweite Hauptschlacht zu bestehen, entschloß sich Lucullus von Tigranokerta durch die schwierige Berglandschaft am östlichen Ufer des Wansees in das Tal des östlichen Euphrat (oder des Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das des Araxes vorzudringen, wo, am nördlichen Abhang des Ararat, die Hauptstadt des eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloß und dem Harem des Königs lag. Er hoffte den König durch die Bedrohung seiner angestammten Residenz entweder unterwegs oder mindestens doch vor Artaxata zum Schlagen zu zwingen. Unumgänglich notwendig war es freilich, bei Tigranokerta eine Abteilung zurückzulassen; und da das Marschheer unmöglich noch weiter vermindert werden konnte, so blieb nichts übrig als die Stellung im Pontos zu schwächen und von dort Truppen nach Tigranokerta zu berufen. Die Hauptschwierigkeit aber war die für militärische Unternehmungen so unbequeme Kürze des armenischen Sommers. Auf der armenischen Hochebene, die 5000 Fuß und mehr über der Meeresfläche liegt, sproßt bei Erzerum das Korn erst Anfang Juni, und mit der Ernte im September stellt auch schon der Winter sich ein; in höchstens vier Monaten mußte Artaxata erreicht und die Kampagne beendigt sein.

Im Mittsommer 686 (68) brach Lucullus von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch den Bitlispaß und weiter westlich am Wansee hinauf marschierend, auf das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging, unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen, langsam, aber ohne wesentliches Hindernis vonstatten, und auch der Euphratübergang, den die armenische Reiterei ernstlich verteidigte, ward durch ein glückliches Treffen erzwungen; die armenische Infanterie zeigte sich, aber es glückte nicht, sie in das Gefecht zu verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und marschierte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die bloße unabwendbare Verzögerung des Marsches durch die Terrainschwierigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher Nachteil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen, riß der allzu straff gespannte Bogen der militärischen Zucht. Eine förmliche Meuterei nötigte den Feldherrn, den Rückzug anzuordnen, den er mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Glücklich angekommen in Mesopotamien, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete, überschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit der Masse seines Heeres auf die letzte hier den Armeniern gebliebene Stadt Nisibis. Der Großkönig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung, überließ die Stadt sich selbst; trotz ihrer tapferen Verteidigung ward sie in einer finsteren Regennacht von den Belagerern erstürmt und Lucullus’ Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen Offensive auf die schwachen, im Pontos und in Armenien zurückgebliebenen römischen Korps. Hier zwang Tigranes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius - denselben, der früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht hatte -, sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 armenischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Rächer die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu; die zerstreuten römischen Soldaten wurden überall aufgehoben und getötet; als der römische Kommandant im Pontos, Hadrianus, seine Truppen gegen ihn führte, machten die ehemaligen Söldner des Königs und die zahlreichen, als Sklaven dem Heere folgenden Pontiker gemeinschaftliche Sache mit dem Feind. Zwei Tage nacheinander währte der ungleiche Kampf; nur daß der König nach zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld weggetragen werden mußte, gab dem römischen Befehlshaber die Möglichkeit, die so gut wie verlorene Schlacht abzubrechen und mit dem kleinen Rest seiner Leute sich nach Kabeira zu werfen. Ein anderer von Lucullus’ Unterbefehlshabern, der zufällig in diese Gegend kam, der entschlossene Triarius, sammelte zwar wieder einen Heerhaufen um sich und lieferte dem König ein glückliches Gefecht; allein er war viel zu schwach, um ihn wieder vom pontischen Boden zu vertreiben und mußte es geschehen lassen, daß der König Winterquartiere in Komana nahm.

So kam das Frühjahr 687 (67) heran. Die Vereinigung der Armee in Nisibis, die Muße der Winterquartiere, die häufige Abwesenheit des Feldherrn hatten die Unbotmäßigkeit der Truppen inzwischen noch gesteigert; sie verlangten nicht bloß ungestüm, zurückgeführt zu werden, sondern es war bereits ziemlich offenbar, daß sie, wenn der Feldherr sich weigerte, sie heimzuführen, von selbst aufbrechen würden. Die Vorräte waren knapp; Fannius und Triarius sandten in ihrer bedrängten Lage die inständigsten Bitten um Hilfeleistung an den Oberfeldherrn. Schweren Herzens entschloß sich Lucullus, der Notwendigkeit zu weichen, Nisibis und Tigranokerta aufzugeben und, auf all die glänzenden Hoffnungen seiner armenischen Expedition verzichtend, zurückzukehren auf das rechte Ufer des Euphrat. Fannius wurde befreit; im Pontos aber war es schon zu spät. Triarius, nicht stark genug, um mit Mithradates zu schlagen, hatte bei Gaziura (Turksal am Iris, westlich von Tokat) eine feste Stellung genommen, während das Gepäck bei Dadasa zurückblieb. Als indes Mithradates den letzteren Ort belagerte, zwangen die römischen Soldaten, um ihre Habseligkeiten besorgt, den Führer, seine gesicherte Stellung zu verlassen und zwischen Gaziura und Ziela (Zilleh) auf den Skotischen Anhöhen dem König eine Schlacht zu liefern. Was Triarius vorhergesehen hatte trat ein: trotz der tapfersten Gegenwehr durchbrach der Flügel, den der König persönlich führte, die römische Linie und drängte das Fußvolk in eine lehmige Schlucht zusammen, in der es weder vor noch seitwärts rücken konnte und erbarmungslos niedergehauen ward. Zwar ward durch einen römischen Centurio, der dafür sein Leben opferte, der König auf den Tod verwundet; aber die Niederlage war darum nicht minder vollständig. Das römische Lager ward genommen; der Kern des Fußvolks, fast alle Ober- und Unteroffiziere bedeckten den Boden; die Leichen blieben unbegraben auf dem Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf dem rechten Euphratufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen, sondern durch die Berichte der Eingeborenen die Niederlage.

Hand in Hand mit dieser Niederlage ging der Ausbruch der Militärverschwörung. Ebenjetzt traf aus Rom die Nachricht ein, daß das Volk beschlossen habe, den Soldaten, deren gesetzmäßige Dienstzeit abgelaufen sei, das heißt den Fimbrianern, den Abschied zu bewilligen und einem der Konsuln des laufenden Jahres den Oberbefehl in Bithynien und Pontus zu übertragen; schon war der Nachfolger Luculls, der Konsul Manius Acilius Glabrio, in Kleinasien gelandet. Die Verabschiedung der tapfersten und unruhigsten Legionen und die Abberufung des Oberfeldherrn in Verbindung mit dem Eindruck der Niederlage von Ziela lösten in dem Heer alle Bande der Autorität auf, eben da der Feldherr ihrer am notwendigsten bedurfte. Bei Talaura in Klein-Armenien stand er den pontischen Truppen gegenüber, an deren Spitze Tigranes’ Schwiegersohn, Mithradates von Medien, den Römern bereits ein glückliches Reitergefecht geliefert hatte; ebendahin war von Armenien her die Hauptmacht des Großkönigs in Anmarsch. Lucullus sandte an den neuen Statthalter von Kilikien, Quintus Marcius, der auf dem Marsch nach seiner Provinz soeben mit drei Legionen in Lykaonien angelangt war, um von ihm Hilfe zu erhalten; derselbe erklärte, daß seine Soldaten sich weigerten, nach Armenien zu marschieren. Er sandte an Glabrio mit dem Ersuchen, den ihm vom Volke übertragenen Oberbefehl zu übernehmen; derselbe bezeigte noch weniger Lust, dieser jetzt so schwierig und gefährlich gewordenen Aufgabe sich zu unterziehen. Lucullus, genötigt den Oberbefehl zu behalten, befahl, um nicht bei Talaura zugleich gegen die Armenier und die Pontiker schlagen zu müssen, den Aufbruch gegen das anrückende armenische Heer. Die Soldaten kamen dem Marschbefehl nach; allein da angelangt, wo die Straßen nach Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die Masse des Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz Asia. Hier begehrten die Fimbrianer ihren augenblicklichen Abschied; und obwohl sie auf die inständige Bitte des Oberfeldherrn und der übrigen Korps hiervon wieder abließen, beharrten sie doch dabei, wenn der Winter herankäme, ohne daß ihnen ein Feind gegenüberstände, sich auflösen zu wollen; was denn auch geschah. Mithradates besetzte nicht bloß abermals fast sein ganzes Königreich, sondern seine Reiter streiften durch ganz Kappadokien und bis nach Bithymen; gleich vergeblich bat König Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und bei Glabrio um Hilfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher Ausgang des in so glorreicher Weise geführten Krieges. Wenn man bloß auf die militärischen Leistungen sieht, so hat kaum ein anderer römischer General mit so geringen Mitteln so viel ausgerichtet wie Lucullus; das Talent und das Glück Sullas schienen auf diesen seinen Schüler sich vererbt zu haben. Daß unter den obwaltenden Verhältnissen das römische Heer aus Armenien unversehrt nach Kleinasien zurückkam, ist ein militärisches Wunderwerk, das, soweit wir urteilen können, den Xenophontischen Rückzug weit übertrifft und wohl zunächst aus der Solidität des römischen und der Untüchtigkeit des orientalischen Kriegswesens sich erklärt, aber doch unter allen Umständen dem Leiter dieses Zuges einen ehrenvollen Platz unter den militärischen Kapazitäten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus’ Name gewöhnlich nicht unter diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem Anschein nach nur darin, daß teils kein militärisch auch nur leidlicher Bericht über seine Feldzüge auf uns gekommen ist, teils überall, und vor allem im Kriege, zunächst nichts gilt als das schließliche Resultat, und dies freilich kam einer vollständigen Niederlage gleich. Durch die letzte unglückliche Wendung der Dinge, hauptsächlich durch die Meuterei der Soldaten, waren alle Erfolge eines achtjährigen Krieges wieder verloren worden; man stand im Winter 687/88 (67/66) genau wieder an demselben Fleck wie im Winter 679/80 (75/74).

Nicht bessere Resultate als der Kontinentalkrieg lieferte der Seekrieg gegen die Piraten, der mit demselben zugleich begann und beständig mit ihm in der engsten Verbindung stand. Es ward bereits erzählt, daß der Senat im Jahre 680 (74) den verständigen Beschluß faßte, die Säuberung der Meere von den Korsaren einem einzigen höchstkommandierenden Admiral, dem Prätor Marcus Antonius, zu übertragen. Allein gleich von vornherein hatte man sich in der Wahl des Führers durchaus vergriffen, oder vielmehr diejenigen, welche diese an sich zweckmäßige Maßregel durchgesetzt hätten, hatten nicht berechnet, daß im Senat alle Personenfragen durch Cethegus’ Einfluß und ähnliche Koterierücksichten entschieden wurden. Man hatte ferner versäumt, den gewählten Admiral in einer seiner umfassenden Aufgabe angemessenen Weise mit Geld und Schiffen auszustatten, so daß er durch seine ungeheuren Requisitionen den befreundeten Provinzialen fast ebenso lästig fiel wie die Korsaren. Die Erfolge waren entsprechend. In den kampanischen Gewässern brachte die Flotte des Antonius eine Anzahl Piratenschiffe auf. Mit den Kretensern aber, die mit den Piraten Freundschaft und Bündnis gemacht hatten und seine Forderung, von dieser Gemeinschaft abzulassen, schroff zurückwiesen, kam es zum Gefecht; und die Ketten, die Antonius vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrat gelegt hatte, um die gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu, den Quästor und die übrigen römischen Gefangenen an die Masten der eroberten römischen Schiffe zu schließen, als die kretischen Feldherren Lasthenes und Panares aus dem bei ihrer Insel den Römern gelieferten Seetreffen triumphierend nach Kydonia zurücksteuerten. Antonius, nachdem er mit seiner leichtsinnigen Kriegführung ungeheure Summen vergeudet und nicht das geringste ausgerichtet hatte, starb im Jahre 683 (71) auf Kreta. Teils der schlechte Erfolg seiner Expedition, teils die Kostbarkeit des Flottenbaus, teils der Widerwille der Oligarchie gegen jede umfassendere Beamtenkompetenz bewirkten, daß man nach der faktischen Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius’ Tod keinen Oberadmiral wieder ernannte und auf die alte Weise zurückkam, jeden Statthalter in seiner Provinz für die Unterdrückung der Piraterie sorgen zu lassen; wie denn zum Beispiel die von Lucullus hergestellte Flotte hierfür im Ägäischen Meer tätig war. Nur was die Kreter anbetrifft, schien eine Schmach wie die vor Kydonia erlittene doch selbst diesem gesunkenen Geschlecht allein durch die Kriegserklärung beantwortet werden zu können. Dennoch hätten die kretischen Gesandten, die im Jahre 684 (70) in Rom mit der Bitte erschienen, die Gefangenen zurücknehmen und das alte Bündnis wieder herstellen zu wollen, fast einen günstigen Senatsbeschluß erlangt; was die ganze Korporation eine Schande nannte, das verkaufte bereitwillig für klingenden Preis der einzelne Senator. Erst nachdem ein förmlicher Senatsbeschluß die Anlehen der kretischen Gesandten bei den römischen Bankiers klaglos gestellt, das heißt nachdem der Senat sich selber in die Unmöglichkeit versetzt hatte, sich bestechen zu lassen, kam das Dekret zustande, daß die kretischen Gemeinden außer den römischen Überläufern, die Urheber des vor Kydonia verübten Frevels, die Führer Lasthenes und Panares, den Römern zu geeigneter Bestrafung zu übergeben, ferner sämtliche Schiffe und Boote von vier oder mehr Rudern auszuliefern, 400 Geiseln zu stellen und eine Buße von 4000 Talenten (6250000 Taler) zu zahlen hätten, wofern sie den Krieg zu vermeiden wünschten. Als die Gesandten sich zur Eingebung solcher Bedingungen nicht bevollmächtigt erklärten, wurde einer der Konsuln des nächsten Jahres bestimmt, nach Ablauf seines Amtsjahres nach Kreta abzugehen, um dort entweder das Geforderte in Empfang zu nehmen oder den Krieg zu beginnen. Demgemäß erschien im Jahre 685 (69) der Prokonsul Quintus Metellus in den kretischen Gewässern. Die Gemeinden der Insel, voran die größeren Städte Gortyna, Knossos, Kydonia, waren entschlossen, lieber mit den Waffen sich zu verteidigen, als jenen übermäßigen Forderungen sich zu fügen. Die Kretenser waren ein ruchloses und entartetes Volk, mit deren öffentlicher und privater Existenz der Seeraub so innig verwachsen war wie der Landraub mit dem Gemeinwesen der Ätoler; allein sie glichen den Ätolern wie überhaupt in vielen Stücken so auch in der Tapferkeit, und es sind denn auch diese beiden griechischen Gemeinden die einzigen, die den Kampf um die Unabhängigkeit mutig und ehrenhaft geführt haben. Bei Kydonia, wo Metellus seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine kretische Armee von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit, ihn zu empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der der Sieg nach hartem Kampf den Römern blieb. Allein die Städte trotzten dem römischen Feldherrn nichtsdestoweniger hinter ihren Mauern; Metellus mußte sich entschließen, eine nach der andern zu belagern. Zuerst ward Kydonia, wohin die Trümmer der geschlagenen Armee sich geworfen hatten, nach langer Belagerung von Panares gegen das Versprechen freien Abzuges für sich selber übergeben. Lasthenes, der aus der Stadt entwichen war, mußte zum zweiten Male in Knossos belagert werden, und da auch diese Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete er seine Schätze und entschlüpfte abermals nach Orten, welche, wie Lyktos, Eleutherna und andere, die Verteidigung noch fortsetzten. Zwei Jahre (686, 687 68, 67) vergingen, bevor Metellus der ganzen Insel Herr und damit der letzte Fleck freier griechischer Erde in die Gewalt der übermächtigen Römer gekommen war; die kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen griechischen die freie Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich entwickelt hatten, sollten auch die letzten von allen jenen, einst das Mittelmeer erfüllenden griechischen Seestaaten sein, die der römischen Kontinentalmacht erlagen.

Alle Rechtsbedingungen waren erfüllt, um wiederum einen der üblichen pomphaften Triumphe zu feiern; das Geschlecht der Meteller konnte seinen makedonischen, numidischen, dalmatischen, baliarischen Titeln mit gleichem Recht den neuen kretischen beifügen, und Rom besaß einen stolzen Namen mehr. Nichtsdestoweniger stand die Macht der Römer auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Korsaren nie höher als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sollen, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den Mithradatischen Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Korsarenstaat zog, ward bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand kaum minder großartige Geschäfte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls überfiel im Jahre 685 (69) der Pirat Athenodoros die Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligtümer und Tempel und führte die ganze Bevölkerung fort in die Sklaverei. Die Insel Lipara bei Sizilien zahlte den Piraten jährlich einen festen Tribut, um von ähnlichen Überfällen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef, Herakleon, zerstörte im Jahre 682 (72) das in Sizilien gegen ihn ausgerüstete Geschwader und wagte es, mit nicht mehr als vier offenen Booten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre später stieg sein Kollege Pyrganion in demselben Hafen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der römische Statthalter endlich zwang, sich wiedereinzuschiffen. Das war man am Ende nachgerade gewohnt, daß alle Provinzen Geschwader ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch für beides steuerten, und dennoch die Korsaren so regelmäßig erschienen, um die Provinzen auszuplündern wie die römischen Statthalter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respektierten jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten sie den Tempelschatz der Lakinischen Hera mit sich fort; sie landeten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Häfen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten römischen Offiziere als Gefangene auf, unter andern den Flottenführer der kilikischen Armee und zwei Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit den gefürchteten Beilen und Ruten selbst und allen Abzeichen ihrer Würde; sie entführten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Konsul befehligte römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Reisende auf der Appischen Straße, der vornehme Badegast in dem irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Lebens fürder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Verkehr stockte; die entsetzlichste Teuerung herrschte in Italien und namentlich in der von überseeischem Korn lebenden Hauptstadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen über unerträglichen Notstand; hier dürfte die Bezeichnung passen.

Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restaurierte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disziplin über die Klientelkönige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei geübt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen, vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der Überwachung des provinzialen und vor allem des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des Sklavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Altertums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht waren; denn Macht und Reichtum des Staats führten unter den bestehenden Verhältnissen regelmäßig zu einer unverhältnismäßigen Vermehrung der Sklavenmenge. Natürlich litt demnach Rom darunter schwerer als irgendein anderer Staat des Altertums. Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und Feldsklaven Truppen schicken müssen. Die unter den italischen Spekulanten mehr und mehr um sich greifende Plantagenwirtschaft hatte das gefährliche Übel ins unendliche gesteigert; in der Zeit der Gracchischen und der Marianischen Krise und mit denselben in engem Zusammenhang hatten Sklavenaufstände an zahlreichen Punkten des Römischen Reiches stattgehabt, in Sizilien sogar zu zwei blutigen Kriegen (619-622 und 652-654 135-132 und 102-100) sich entwickelt. Aber das Dezennium der Restaurationsherrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für die Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem Festland, vor allem in der bisher noch verhältnismäßig leidlich geordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte daselbst kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den minder bevölkerten Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich, Mordtaten häufig. Gegen Menschenraub an fremden Sklaven wie an freien Leuten erging - vielleicht in dieser Epoche - ein besonderer Volksschluß; gegen gewaltsame Besitzentziehung von Grundstücken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage neu eingeführt. Diese Verbrechen mußten besonders deswegen gefährlich erscheinen, weil sie zwar gewöhnlich begangen wurden von dem Proletariat, aber als moralische Urheber und Teilnehmer an dem Gewinn auch die vornehme Klasse in großem Umfang dabei mittätig war. Namentlich der Menschen- und der Ackerraub wurde sehr häufig durch die Aufseher der großen Güter veranlaßt und durch die daselbst vereinigten häufig bewaffneten Sklavenscharen ins Werk gesetzt; und gar mancher hochangesehene Mann verschmähte nicht, was einer seiner diensteifrigen Sklavenaufseher so für ihn erwarb wie Mephisto für Faust die Linden Philemons. Wie die Dinge standen, zeigt die verschärfte Bestrafung der durch bewaffnete Banden verübten Eigentumsfrevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus, als Vorstand der hauptstädtischen Rechtspflege um das Jahr 676 (78) einführte ^5, mit der ausgesprochenen Absicht, die Eigentümer der großen Sklavenherden durch die Gefahr sich dieselben aberkannt zu sehen, zu nachdrücklicherer Beaufsichtigung derselben anzuhalten. Wo also im Auftrag der vornehmen Welt geplündert und gemordet ward, lag es diesen Sklaven- und Proletariermassen nahe, das gleiche Geschäft für eigene Rechnung zu treiben; es genügte ein Funke, um den furchtbaren Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat in eine Insurrektionsarmee zu verwandeln. Die Veranlassung fand sich bald.

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^5 Aus diesen Bestimmungen hat sich der Begriff des Raubes als eines besonderen Verbrechens entwickelt, während das ältere Recht den Raub unter dem Diebstahl mitbegriff.

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Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbarkeiten in Italien jetzt den ersten Rang behaupteten, hatten die Errichtung zahlreicher Anstalten namentlich in und um Capua herbeigeführt, worin diejenigen Sklaven teils aufbewahrt, teils eingeschult wurden, die bestimmt waren, zur Belustigung der souveränen Menge zu töten oder zu sterben - natürlich großenteils tapfere kriegsgefangene Leute, die es nicht vergessen hatten, einst gegen die Römer im Felde gestanden zu haben. Eine Anzahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der capuanischen Fechterschulen aus (681 73) und warf sich auf den Vesuv. An ihrer Spitze standen zwei keltische Männer, die mit ihren Sklavennamen Krixos und Önomaos genannt werden, und der Thraker Spartacus. Dieser, vielleicht ein Sprößling des edlen, in der thrakischen Heimat wie in Pantikapäon sogar zu königlichen Ehren gelangten Geschlechts der Spartokiden, hatte unter den thrakischen Hilfstruppen im römischen Heer gedient, war desertiert und als Räuber in die Berge gegangen und hier wiedereingefangen und für die Kampfspiele bestimmt worden. Die Streifereien dieser kleinen, anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe zählenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwellenden Schar wurden den Bewohnern der reichen kampanischen Landschaft bald so lästig, daß dieselben, nachdem sie vergeblich versucht hatten, sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie Hilfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammengeraffte Abteilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius Glaber und besetzte die Aufgänge zum Vesuv, um die Sklavenschar auszuhungern. Aber die Räuber wagten es trotz ihrer geringen Anzahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung, über jähe Abhänge hinabkletternd die römischen Posten zu überfallen; und als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifelter Männer unvermutet auf sich eindringen sah, gab sie Fersengeld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg verschaffte den Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenngleich auch jetzt noch ein großer Teil von ihnen nichts führte als zugespitzte Knüttel, so fand die neue und stärkere Abteilung der Landwehr, zwei Legionen unter dem Prätor Publius Varinius, die von Rom her in Kampanien einrückte, sie schon fast wie ein Kriegsheer in der Ebene lagernd. Varinius hatte einen schwierigen Stand. Seine Milizen, genötigt, dem Feind gegenüber zu biwakieren, wurden durch die feuchte Herbstwitterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitgenommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feigheit und Unbotmäßigkeit die Reihen. Gleich zu Anfang lief eine seiner Abteilungen vollständig auseinander, so daß die Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptkorps zurück, sondern geradewegs nach Hause gingen. Als sodann der Befehl gegeben ward, gegen die feindlichen Verschanzungen vorzugehen und anzugreifen, weigerte sich der größte Teil der Leute, ihm Folge zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die standhielten, gegen die Räuberschar auf; allein er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) gewendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht wehren konnte, daß sie über den Silarus zurückwich bis in das innere Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch dorthin folgte Varinius und hier endlich stellte der verachtete Feind sich zum Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf stattfand, waren zum Nachteil der Römer; die Soldaten, so ungestüm sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlugen dennoch sich schlecht; Varinius ward vollständig besiegt, sein Pferd und die Insignien seiner Amtswürde gerieten mit dem römischen Lager selbst in Feindeshand. Massenweise strömten die süditalischen Sklaven, namentlich die tapferen halbwilden Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erlöser; nach den mäßigen Angaben stieg die Zahl der bewaffneten Insurgenten auf 40000 Mann. Kampanien, soeben geräumt, ward rasch wieder eingenommen, das daselbst unter dem Quästor des Varinius, Gaius Thoranius, zurückgebliebene römische Korps zersprengt und aufgerieben. Im ganzen Süden und Südwesten Italiens war das offene Land in den Händen der siegreichen Räuberhauptleute; selbst ansehnliche Städte, wie Consentia im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien, Nola und Nuceria in Kampanien, wurden von ihnen erstürmt und erlitten alle Greuel, die siegreiche Barbaren über wehrlose Zivilisierte, entfesselte Sklaven über ihre gewesenen Herren zu bringen vermögen. Daß ein Kampf wie dieser überhaupt rechtlos und mehr eine Metzelei als ein Krieg war, versteht sich leider von selbst: die Herren schlugen jeden gefangenen Sklaven von Rechts wegen ans Kreuz; diese machten natürlich gleichfalls ihre Gefangenen nieder oder zwangen gar in noch höhnischerer Vergeltung die kriegsgefangenen Römer, im Fechtspiel einander selber zu morden; wie dies später mit dreihundert derselben bei der Leichenfeier eines im Kampfe gefallenen Räuberhauptmanns geschah. In Rom war man mit Recht in Besorgnis über den immer weiter um sich greifenden verheerenden Brand. Es ward beschlossen, das nächste Jahr (682 72) beide Konsuln gegen die furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der Tat gelang es dem Prätor Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Konsuls Lucius Genius, den keltischen Haufen, der unter Krixos von der Masse des Räuberheers sich gesondert hatte und auf eigene Hand brandschatzte, in Apulien am Garganus zu fassen und zu vernichten. Aber um so glänzendere Siege erfocht Spartacus im Apennin und im nördlichen Italien, wo der Konsul Gnaeus Lentulus, während er die Räuber zu umzingeln und aufzuheben vermeinte, sodann sein Kollege Gellius und der soeben noch siegreiche Prätor Arrius, endlich bei Mutina der Statthalter des Diesseitigen Gallien, Gaius Cassius (Konsul 681 73), und der Prätor Gnaeus Manlius einer nach dem andern seinen Streichen erlagen. Die kaum bewaffneten Sklavenrotten waren der Schreck der Legionen; die Kette der Niederlagen erinnerte an die ersten Jahre des Hannibalischen Krieges. Was hätte kommen mögen, wenn nicht entlaufene Fechtersklaven, sondern die Volkskönige aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegreichen Scharen gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die Bewegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein Räuberaufstand und unterlag weniger der Übermacht ihrer Gegner als der eignen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sizilischen Sklavenkriegen in so bemerkenswerter Weise hervorgetreten war, wird in diesem italischen vermißt, wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist, daß die sizilischen Sklaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Einigungspunkt fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spartacus - Önomaos war gleich in einem der ersten Gefechte gefallen - und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errungenen Erfolge und verschaffte den Römern manchen wichtigen Sieg. Aber noch weit nachteiliger als die keltisch-germanische Unbotmäßigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach dem Wenigen zu schließen, was wir von dem seltenen Mann erfahren, hierin über seiner Partei. Er verriet neben seinem strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schar vorstand und die Beute verteilte, wenigstens ebensosehr wie seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhelfen, versuchte er mit Hilfe der in Unteritalien aufgegriffenen Pferdeherden, sich eine Kavallerie zu schulen und zu disziplinieren und, sowie er den Hafen von Thurii in die Hände bekam, von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittlung der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen vermochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf feste Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchanalien der Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenommenen Städten sich gestatteten und die die hauptsächliche Ursache waren, weshalb keine italische Stadt freiwillig mit den Insurgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam, den der Räuberhauptmann im Kampfe fand, hörte mit dem Siege auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach den im Apennin 682 (72) erfochtenen Siegen stand dem Sklavenheer nach jeder Richtung hin der Weg frei. Spartacus selbst soll beabsichtigt haben, die Alpen zu überschreiten, um sich und den Seinigen die Rückkehr in ihre keltische oder thrakische Heimat zu öffnen; wenn der Bericht gegründet ist, so zeigt er, wie wenig der Sieger seine Erfolge und seine Macht überschätzte. Da die Mannschaft sich weigerte, dem reichen Italien so rasch den Rücken zu wenden, schlug Spartacus den Weg nach Rom ein und soll daran gedacht haben, die Hauptstadt zu blockieren. Indes auch diesem zwar verzweifelten, aber doch planmäßigen Beginnen zeigten die Scharen sich abgeneigt; sie zwangen ihren Führer, da er Feldherr sein wollte, Räuberhauptmann zu bleiben und ziellos weiter in Italien auf Plünderung umherzuziehen. Rom mochte sich glücklich preisen, daß es also kam; auch so aber war guter Rat teuer. Es fehlte an geübten Soldaten wie an erprobten Feldherren; Quintus Metellus und Gnaeus Pompeius waren in Spanien, Marcus Lucullus in Thrakien, Lucius Lucullus in Kleinasien beschäftigt, und zur Verfügung standen nur rohe Milizen und höchstens mittelmäßige Offiziere. Man bekleidete mit dem außerordentlichen Oberbefehl in Italien den Prätor Marcus Crassus, der zwar kein namhafter Feldherr war, aber doch unter Sulla mit Ehren gefochten und wenigstens Charakter hatte, und stellte ihm eine wenn nicht durch ihre Qualität, doch durch ihre Zahl imponierende Armee von acht Legionen zur Verfügung. Der neue Oberfeldherr begann damit, die erste Abteilung, die wieder mit Wegwerfung ihrer Waffen vor den Räubern davonlief, nach der ganzen Strenge der Kriegsgesetze zu behandeln und den zehnten Mann davon hinrichten zu lassen; worauf in der Tat die Legionen sich wieder etwas mehr zusammennahmen. Spartacus, in dem nächsten Gefecht besiegt, zog sich zurück und suchte durch Lucanien nach Rhegion zu gelangen. Ebendamals beherrschten die Piraten nicht bloß die sizilischen Gewässer, sondern selbst den Hafen von Syrakus; mit Hilfe ihrer Boote gedachte Spartacus ein Korps nach Sizilien zu werfen, wo die Sklaven nur auf einen Anstoß warteten, um zum dritten Male loszuschlagen. Der Marsch nach Rhegion gelang, allein die Korsaren, vielleicht geschreckt durch die von dem Prätor Gaius Verres auf Sizilien eingerichteten Strandwachen, vielleicht auch von den Römern bestochen, nahmen von Spartacus den bedungenen Lohn, ohne ihm die Gegenleistung dafür zu gewähren. Crassus inzwischen war dem Räuberheer bis etwa an die Krathismündung gefolgt und ließ, ähnlich wie Scipio vor Numantia, seine Soldaten, da sie nicht schlugen, wie sie sollten, einen festungsähnlich verschanzten Wall in der Länge von sieben deutschen Meilen aufführen, der die Bruttische Halbinsel von dem übrigen Italien absperrte ^6 und dem von Rhegion zurückkehrenden Insurgentenheer den Weg verlegte und die Zufuhr abschnitt. Indes in einer dunklen Winternacht durchbrach Spartacus die feindlichen Linien und stand im Frühjahr 683 (71) ^7 wieder in Lucanien. Das mühsame Werk war also vergebens gewesen. Crassus fing an, an der Lösung seiner Aufgabe zu verzweifeln, und forderte vom Senat, daß er die in Makedonien unter Marcus Lucullus, im diesseitigen Spanien unter Gnaeus Pompeius stehenden Heere zu seiner Unterstützung nach Italien berufe. Es bedurfte indes dieses äußersten Notschrittes nicht; die Uneinigkeit und der Übermut der Räuberhaufen genügten, um ihre Erfolge wieder zu vereiteln. Abermals lösten sich die Kelten und Germanen von dem Bunde, dessen Haupt und Seele der Thraker war, um unter Führern ihrer eigenen Nation, Gannicus und Castus, sich vereinzelt den Römern ans Messer zu liefern. Einmal, am Lucanischen See, rettete sie Spartacus’ rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun zwar wohl ihr Lager nahe bei dem seinigen auf, aber dennoch gelang es Crassus, den Spartacus durch die Reiterei zu beschäftigen und indessen die keltischen Haufen zu umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen, in welchem sie sämtlich, man sagt 12300 Streiter, tapfer kämpfend fielen, alle auf dem Platze und mit den Wunden nach vorn. Spartacus versuchte darauf, sich mit seiner Abteilung in die Berge um Petelia (bei Strongoli in Kalabrien) zu werfen und schlug nachdrücklich die römische Vorhut, die dem Weichenden folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr dem Sieger als dem Besiegten zum Nachteil. Berauscht von dem Erfolg weigerten sich die Räuber, weiter zurückzuweichen, und nötigten ihren Feldherrn, sie durch Lucanien nach Apulien dem letzten entscheidenden Kampf entgegenzuführen. Vor der Schlacht stieß Spartacus sein Roß nieder; wie er im Glück und im Unglück treu bei den Seinen ausgeharrt hatte, so zeigte er ihnen jetzt durch die Tat, daß es ihm wie allen hier gehe um Sieg oder Tod. Auch in der Schlacht stritt er mit dem Mut eines Löwen: zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden Feinde. Also starben der große Räuberhauptmann und mit ihm die besten seiner Gesellen den Tod freier Männer und ehrlicher Soldaten (683 71). Nach dem teuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius, die inzwischen nach Überwindung der Sertorianer aus Spanien eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Menschenhetze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war, um die letzten Funken des gewaltigen Brandes zu zertreten. Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das Städtchen Tempsa 683 (71) von einer Räuberschar eingenommen ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betroffenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich einfand, galt doch derselbe offiziell als in Italien wiederhergestellt. Wenigstens die schmachvoll verlorenen Adler waren wiedergewonnen - allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein; und längs der Straße von Capua nach Rom zeugten die sechstausend Kreuze, die gefangene Sklaven trugen, von der neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des anerkannten Rechts über das rebellierende lebendige Eigen.

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^6 Da die Linie sieben deutsche Meilen (Sall. hist. 4, 19 Dietsch; Plut. Crass. 10) lang war, so ging sie wohl nicht von Squillace nach Pizzo, sondern nördlicher, etwa bei Castrovillari und Cassano über die hier in gerader Linie etwa sechs deutsche Meilen breite Halbinsel.

^7 Daß Crassus noch 682 (72) den Oberbefehl übernahm, ergibt sich aus der Beseitigung der Konsuln (Plot. Crass. 10); daß der Winter 682/83 (72/71) den beiden Heeren am Bruttischen Wall verstrich, aus der “Schneenacht (Plot. a. a. O.).

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Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Dezennium der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige, den Lebensnerv der Nation notwendig berührende Gefahr war an sich in keiner der während dieser Zeit vorgekommenen äußeren oder inneren Bewegungen enthalten, weder in der Insurrektion des Lepidus, noch in den Unternehmungen der spanischen Emigranten, noch in den thrakisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen, noch in den Piraten- und Sklavenaufständen; und dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Existenz gefochten. Die Ursache war, daß die Aufgaben, solange sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben; die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaßregeln erzeugte die entsetzlichsten Mißstände und Unglücksfälle und schuf abhängige Klassen und machtlose Könige in ebenbürtige Gegner um. Die Demokratie zwar, und die Sklaveninsurrektion hatte man besiegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder innerlich gehoben noch äußerlich gekräftigt. Es war keine Ehre, daß die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in einem achtjährigen, mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten Kampf des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen Guerillas nicht Herr geworden waren, daß erst der Mordstahl seiner Freunde den Sertorianischen Krieg zu Gunsten der legitimen Regierung entschieden hatte. Die Sklaven nun gar war es viel weniger eine Ehre besiegt, als eine Schande, ihnen jahrelang in gleichem Kampfe gegenübergestanden zu haben. Wenig mehr als ein Jahrhundert war seit dem Hannibalischen Kriege verflossen; es mußte dem ehrbaren Römer das Blut in die Wangen treiben, wenn er den furchtbar raschen Rücktritt der Nation seit jener großen Zeit erwog. Damals standen die italischen Sklaven wie die Mauern gegen Hannibals Veteranen; jetzt stäubte die italische Landwehr vor den Knütteln ihrer entlaufenen Knechte wie Spreu auseinander. Damals machte jeder einfache Oberst im Fall der Not den Feldherrn und focht oft ohne Glück, doch immer mit Ehren; jetzt hielt es hart, unter all den vornehmen Offizieren nur einen Führer von gewöhnlicher Brauchbarkeit zu finden. Damals nahm die Regierung lieber den letzten Bauer vom Pflug, als daß sie darauf verzichtet hätte, Griechenland und Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran, beide längst erworbene Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der aufständischen Knechte sich erwehren zu können. Auch Spartacus hatte, so gut wie Hannibal, vom Po bis an die sizilische Meerenge Italien mit Heeresmacht durchzogen, beide Konsuln geschlagen und Rom mit der Blockade bedroht; wozu es gegen das ehemalige Rom des größten Feldherrn des Altertums bedurft hatte, das vermochte gegen das jetzige ein kecker Räuberhauptmann. War es ein Wunder, daß solchen Siegen über Insurgenten und Räuberführer kein frisches Leben entkeimte?

Ein noch minder erfreuliches Ergebnis aber hatten die äußeren Kriege herausgestellt. Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn kein dem ansehnlichen Aufwand von Menschen und Feld entsprechendes, doch auch kein geradezu ungünstiges Resultat gegeben. Dagegen in dem kleinasiatischen und in dem Piratenkrieg hatte die Regierung vollständigen Bankrott gemacht. Jener schloß ab mit dem Verlust der gesamten, in acht blutigen Feldzügen gemachten Eroberungen, dieser mit der vollständigen Verdrängung der Römer von “ihrem Meer”. Einst hatte Rom im Vollgefühl der Unwiderstehlichkeit seiner Landmacht das Übergewicht auch auf das zweite Element übertragen; jetzt war der gewaltige Staat zur See ohnmächtig und, wie es schien, im Begriff, auch wenigstens über den asiatischen Kontinent die Herrschaft einzubüßen. Die materiellen Wohltaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der Grenzen, ungestörter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete Verwaltung, fingen an, alle miteinander den sämtlichen im römischen Staat vereinigten Nationen zu verschwinden; die segnenden Götter alle schienen zum Olymp emporgestiegen zu sein und die jammervolle Erde den amtlich berufenen oder freiwilligen Plünderern oder Peinigern überlassen zu haben. Dieser Verfall des Staats ward auch nicht etwa bloß von dem, der politische Rechte und Bürgersinn hatte, als ein öffentliches Unglück gefühlt, sondern die Proletariatsinsurrektion und die an die Zeiten der neapolitanischen Ferdinande erinnernde Räuber- und Piratenwirtschaft trugen das Gefühl dieses Verfalls in das entlegenste Tal, in die niedrigste Hütte Italiens, ließen ihn jeden, der Handel und Verkehr trieb, der nur einen Scheffel Weizen kaufte, als persönlichen Notstand empfinden.

Wenn nach den Urhebern dieses heillosen und beispiellosen Jammers gefragt ward, so war es nicht schwer, mit gutem Recht gar viele deshalb anzuklagen. Die Sklavenwirte, deren Herz im Geldbeutel saß, die unbotmäßigen Soldaten, die bald feigen, bald unfähigen, bald tollkühnen Generale, die meist am falschen Ende hetzenden Demagogen des Marktes trugen ihren Teil der Schuld, oder vielmehr, wer trug an derselben nicht mit? Instinktmäßig ward es empfunden, daß dieser Jammer, diese Schande, diese Zerrüttung zu kolossal waren, um das Werk eines einzelnen zu sein. Wie die Größe des römischen Gemeinwesens nicht das Werk hervorragender Individuen, sondern das einer tüchtig organisierten Bürgerschaft gewesen ist, so ist auch der Verfall dieses gewaltigen Gebäudes nicht aus der verderblichen Genialität einzelner, sondern aus der allgemeinen Desorganisation hervorgegangen. Die große Majorität der Bürgerschaft taugte nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem Ruin des ganzen Gebäudes; es büßte die ganze Nation, was die ganze Nation verschuldete. Es war ungerecht, wenn man die Regierung als den letzten greifbaren Ausdruck des Staats für alle heilbaren und unheilbaren Krankheiten desselben verantwortlich machte; aber das allerdings war wahr, daß die Regierung in furchtbar schwerer Weise mittrug an dem allgemeinen Verschulden. In dem Kleinasiatischen Kriege zum Beispiel, wo kein einzelner der regierenden Herren sich in hervorragender Weise verfehlt, Lucullus sogar, militärisch wenigstens, tüchtig, ja glorreich sich geführt hatte, ward es nur um so deutlicher, daß die Schuld des Mißlingens in dem System und in der Regierung als solcher, hier zunächst in dem früheren schlaffen Preisgeben Kappadokiens und Syriens und in der schiefen Stellung des tüchtigen Feldherrn gegenüber dem keines energischen Beschlusses fähigen Regierungskollegium lag. Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat den einmal gefaßten richtigen Gedanken einer allgemeinen Piratenjagd erst in der Ausführung verdorben und dann ihn gänzlich fallen lassen, um wieder nach dem alten törichten System gegen die Rosse des Meeres Legionen zu senden. Nach diesem System wurden die Expeditionen des Servilius und des Marcius nach Kilikien, des Metellus nach Kreta unternommen; nach diesem ließ Triarius die Insel Delos zum Schutz vor den Piraten mit einer Mauer umziehen. Solche Versuche, der Seeherrschaft sich zu versichern, erinnern an jenen persischen Großkönig, der das Meer mit Ruten peitschen ließ, um es sich untertänig zu machen. Wohl hatte also die Nation guten Grund, ihren Bankrott zunächst der Restaurationsregierung zur Last zu legen. Immer schon war mit der Wiederherstellung der Oligarchie ein ähnliches Mißregiment gekommen, nach dem Sturz der Gracchen wie nach dem des Marius und Saturninus; aber so gewaltsam und zugleich doch auch so schlaff, so verdorben und verderblich war dasselbe nie zuvor aufgetreten. Wenn aber eine Regierung nicht regieren kann, hört sie auf legitim zu sein und es hat, wer die Macht, auch das Recht, sie zu stürzen. Zwar ist es leider wahr, daß eine unfähige und verbrecherische Regierung lange Zeit das Wohl und die Ehre des Landes mit Füßen zu treten vermag, bevor die Männer sich finden, welche die von dieser Regierung selbst geschmiedeten entsetzlichen Waffen gegen sie schwingen und aus der sittlichen Empörung der Tüchtigen und dem Notstande der vielen die in solchem Fall legitime Revolution heraufbeschwören können und wollen. Aber wenn das Spiel mit dem Glücke der Völker ein lustiges sein mag und wohl lange Zeit hindurch ungestört gespielt werden kann, so ist es doch auch ein tückisches, das zu seiner Zeit die Spieler verschlingt; und niemand schilt dann die Axt, wenn sie dem Baum, der solche Früchte trägt, sich an die Wurzel legt. Für die römische Oligarchie war diese Zeit jetzt gekommen. Der Pontisch-Armenische Krieg und die Piratenangelegenheit wurden die nächsten Ursachen zum Umsturz der Sullanischen Verfassung und zur Einsetzung einer revolutionären Militärdiktatur.

KAPITEL III.
Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius

Noch stand die Sullanische Verfassung unerschüttert. Der Sturm, den Lepidus und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war mit geringer Einbuße zurückgeschlagen worden. Das halbfertige Gebäude mit dem energischen Geiste seines Urhebers auszubauen, hatte die Regierung freilich versäumt. Es zeichnet sie, daß sie die von Sulla zur Verteilung bestimmten, aber noch nicht von ihm selbst parzellierten Ländereien weder aufteilte noch auch den Anspruch auf dieselben geradezu aufgab, sondern die früheren Eigentümer ohne Regulierung des Titels vorläufig im Besitze duldete, manche noch unverteilte Strecke sullanischen Domaniallandes auch wohl gar von einzelnen Personen nach dem alten, durch die Gracchischen Reformen rechtlich und faktisch beseitigten Okkupationssystem willkürlich in Besitz nehmen ließ. Was den Optimaten unter den Sullanischen Bestimmungen gleichgültig oder unbequem war, wurde ohne Bedenken ignoriert oder kassiert; so die gegen ganze Gemeinden ausgesprochene Aberkennung des Staatsbürgerrechts; so das Verbot der Zusammenschlagung der neuen Bauernstellen; so manche der von Sulla einzelnen Gemeinden erteilten Freibriefe, natürlich ohne daß man die für diese Exemtionen gezahlten Summen den Gemeinden zurückgegeben hätte. Aber wenn auch diese Verletzungen der Ordnungen Sullas durch die Regierung selbst dazu beitrugen, die Fundamente seines Gebäudes zu erschüttern, waren und blieben doch die Sempronischen Gesetze im wesentlichen abgeschafft.

Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Entwürfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revolution versucht hatten, stückweise auf dem Wege verfassungsmäßiger Reform zu erreichen. In die beschränkte Wiederherstellung der Getreidespenden hatte die Regierung bereits unter dem Druck der Agitation des Lepidus unmittelbar nach Sullas Tode gewilligt (676 78) und sie tat ferner was irgend möglich war, um in dieser Lebensfrage für das hauptstädtische Proletariat ihm zu Willen zu sein. Als trotz jener Verteilungen die hohen, hauptsächlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise eine so drückende Teuerung in Rom hervorriefen, daß es darüber im Jahre 679 (75) zu einem heftigen Straßenauflauf kam, halfen zunächst außerordentliche Ankäufe von sizilischem Getreide für Rechnung der Regierung der ärgsten Not ab; für die Zukunft aber regelte ein von den Konsuln des Jahres 681 (78) eingebrachtes Getreidegesetz die Ankäufe des sizilischen Getreides und gab, freilich auf Kosten der Provinzialen, der Regierung die Mittel, um ähnliche Mißstände besser zu verhüten. Aber auch die minder materiellen Differenzpunkte, die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt in ihrem alten Umfang und die Beseitigung der senatorischen Gerichte, hörten nicht auf, Gegenstände populärer Agitation zu bilden, und hier leistete die Regierung nachdrücklicheren Widerstand. Den Streit um das tribunizische Amt eröffnete schon 678 (76), unmittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lucius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Mannes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt bekleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den der rührige Konsul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im Jahre 680 (74) nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, ließ sich aber durch die Autorität des Konsuls Lucius Lucullus bestimmen, von seinem Vorhaben abzustehen. Mit größerem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fußstapfen Gaius Licinius Macer, der - bezeichnend für die Zeit - in das öffentliche Leben seine literarischen Studien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Bürgerschaft anriet, die Konskription zu verweigern.

Auch über die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatorischen Geschworenen wurden bald nur zu wohl begründete Beschwerden laut. Die Verurteilung eines einigermaßen einflußreichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloß empfand der Kollege mit dem Kollegen, der gewesene oder künftige Angeklagte mit dem gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid; auch die Käuflichkeit der Geschworenenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Verbrechens überwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Catulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, daß die Beschwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders eklatante Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im Jahre 680 (74), über Maßregeln gegen die Freiheit der Geschworenen zu deliberieren, natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Folgen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der Plünderung und Peinigung der Provinzialen, mit dem verglichen selbst die bisherigen Frevel erträglich und gemäßigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermaßen durch Gewohnheit legitim geworden; die Erpressungskommission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen Kollegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bieten wollen, dafür von diesem abwesend und ungehört zum Tode verurteilt ward; als selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Senatoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruten und Beilen des römischen Vogts, und die älteste Errungenschaft der römischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens, von der herrschenden Oligarchie anfing mit Füßen getreten zu werden: da hatte auch das Publikum auf dem römischen Markte ein Ohr für die Klagen über seine Vögte in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche Untaten moralisch mitverschuldeten. Die Opposition unterließ es natürlich nicht, auf dem fast allein ihr übriggebliebenen Terrain, dem gerichtlichen, ihre Gegner anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar, der auch, soweit sein Alter es gestattete, sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt eifrig beteiligte, im Jahre 677 (77) einen der angesehensten Sullanischen Parteimänner, den Konsular Gnaeus Dolabella, und im folgenden Jahr einen andern Sullanischen Offizier, Gaius Antonius, vor Gericht; so Marcus Cicero 684 (70) den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Kreaturen Sullas und eine der schlimmsten Geißeln der Provinzialen. Wieder und wieder wurden die Bilder jener finsteren Zeit der Ächtungen, die entsetzlichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der römischen Kriminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhetorik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versammelten Menge entfaltet und der gewaltige Tote sowie seine lebenden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preisgegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunizischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glück der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknüpft schien, die Wiedereinführung der “strengen” Gerichte der Ritterschaft, die Erneuerung der von Sulla beseitigten Zensur zur Reinigung der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen Elementen wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der Volkspartei gefordert.

Indes mit alledem kam man nicht weiter. Es gab Skandal und Lärm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, daß man die Regierung nach und über Verdienst prostituierte, doch noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch, solange militärische Einmischung fern blieb, in den Händen der hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies “Volk”, das in den Gassen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte und Gesetze machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat: Zwar mußte die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren eigenes nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der Erneuerung des Sempronischen Korngesetzes. Allein daran war nicht zu denken, daß diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar um einer zweckmäßigen Reform willen Ernst gemacht hätte. Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit angewandt, was Demosthenes von seinen Athenern sagte: daß die Leute gar eifrig täten, solange sie um die Rednerbühne ständen und die Vorschläge zu Reformen vernähmen; aber wenn sie nach Hause gekommen seien, denke keiner weiter an das, was er auf dem Markte gehört habe. Wie auch jene demokratischen Agitatoren die Flammen schürten, es half eben nichts, da der Brennstoff fehlte. Die Regierung wußte dies und ließ in den wichtigen Prinzipienfragen sich keinerlei Zugeständnis entreißen; höchstens daß sie sich dazu verstand (um 682 72), einem Teil der mit Lepidus landflüchtig gewordenen Leute die Amnestie zuzugestehen. Was von Konzessionen erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Drängen der Demokratie hervor, als aus den Vermittlungsversuchen der gemäßigten Aristokratie. Allein von den beiden Gesetzen, die der einzige noch übrige Führer dieser Fraktion, Gaius Cotta, in seinem Konsulat 679 (75) durchsetzte, wurde das die Gerichte betreffende schon im nächsten Jahre wieder beseitigt, und auch das zweite, welches die Sullanische Bestimmung aufhob, daß die Bekleidung des Tribunats zur Übernahme anderer Magistraturen unfähig mache, die übrigen Beschränkungen aber bestehen ließ, erregte wie jede halbe Maßregel nur den Unwillen beider Parteien. Die Partei der reformistisch gesinnten Konservativen, die durch Cottas bald nachher (um 681 73) erfolgten frühen Tod ihr namhaftestes Haupt verlor, sank mehr und mehr in sich selbst zusammen, erdrückt zwischen den immer schroffer hervortretenden Extremen. Von diesen aber blieb die Partei der Regierung, schlecht und schlaff wie sie war, der gleich schlechten und gleich schlaffen Opposition gegenüber notwendig im Vorteil.

Aber dies der Regierung so günstige Verhältnis änderte sich, als die Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Parteigänger sich schärfer entwickelten, deren Hoffnungen über den Ehrensitz in der Kurie und das aristokratische Landhaus hinaus zu höheren Zielen sich erhoben. In erster Linie stand hier Gnaeus Pompeius. Wohl war er Sullaner; aber es ist früher gezeigt worden, wie wenig er unter seiner eigenen Partei sich zurechtfand, wie von der Nobilität, als deren Schild und Schwert er offiziell angesehen ward, ihn doch seine Herkunft, seine Vergangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der schon klaffende Riß hatte während der spanischen Feldzüge (677 - 683 77 - 71) des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb gezwungen hatte die Regierung ihn ihrem rechten Vertreter Quintus Metellus als Kollegen beigesellt; und wieder er beschuldigte, wohl nicht ohne Grund, den Senat durch die sei es liederliche, sei es böswillige Vernachlässigung der spanischen Armeen deren Niederlagen verschuldet und das Schicksal der Expedition aufs Spiel gesetzt zu haben. Nun kam er zurück als Sieger über die heimlichen Feinde, an der Spitze eines krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, für seine Soldaten Landanweisungen begehrend, für sich Triumph und Konsulat. Die letzteren Forderungen verstießen gegen das Gesetz. Pompeius, obwohl mehrmals schon außerordentlicherweise mit der höchsten Amtsgewalt bekleidet, hatte noch kein ordentliches Amt, nicht einmal die Quästur verwaltet und war noch immer nicht Mitglied des Rats; und Konsul durfte nur werden, wer die Staffel der geringeren ordentlichen Ämter durchmessen, triumphieren nur, wer die ordentliche höchste Gewalt bekleidet hatte. Der Senat war gesetzlich befugt, ihn, wenn er um das Konsulat sich bewarb, auf die Bewerbung um die Quästur zu verweisen, wenn er den Triumph erbat, ihn an den großen Scipio zu erinnern, der unter gleichen Verhältnissen auf den Triumph über das eroberte Spanien verzichtet hatte. Nicht minder hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten versprochenen Domänen verfassungsmäßig ab von dem guten Willen des Senats. Indes wenn auch der Senat, wie es bei seiner Schwächlichkeit auch im Grollen wohl denkbar war, hierin nachgab und dem siegreichen Feldherrn für den gegen die Demokratenchefs geleisteten Schergendienst den Triumph, das Konsulat, die Landanweisungen zugestand, so war doch eine ehrenvolle Annulierung in ratsherrlicher Indolenz unter der langen Reihe der friedlichen senatorischen Imperatoren das günstigste Los, das die Oligarchie dem sechsunddreißigjährigen Feldherrn zu bereiten vermochte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das Kommando im Mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat bewilligt zu erhalten, konnte er nimmer erwarten; in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse durfte die Oligarchie es nicht zulassen, daß er den afrikanischen und europäischen noch die Trophäen des dritten Weltteils hinzufügte; die im Osten reichlich und bequem zu pflückenden Lorbeeren blieben auf jeden Fall der reinen Aristokratie vorbehalten. Wenn aber der gefeierte General bei der herrschenden Oligarchie seine Rechnung nicht fand, so blieb - da zu einer rein persönlichen, ausgesprochen dynastischen Politik weder die Zeit reif noch Pompeius’ ganze Persönlichkeit geeignet war - ihm keine andere Wahl, als mit der Demokratie gemeinschaftliche Sache zu machen. An die Sullanische Verfassung band ihn kein eigenes Interesse: er konnte seine persönlichen Zwecke auch innerhalb einer mehr demokratischen ebensogut, wo nicht besser verfolgen. Dagegen fand er alles, was er brauchte, bei der demokratischen Partei. Die tätigen und gewandten Führer derselben waren bereit und fähig, dem unbehilflichen und etwas hölzernen Helden die mühselige politische Leitung abzunehmen, und doch viel zu gering, um dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und namentlich die militärische Oberleitung streitig machen zu können oder auch nur zu wollen. Selbst der weitaus bedeutendste von ihnen, Gaius Caesar, war nichts als ein junger Mensch, dem seine dreisten Fahrten und eleganten Schulden weit mehr als seine feurige demokratische Beredsamkeit einen Namen gemacht hatten und der sich sehr geehrt fühlen mußte, wenn der weltberühmte Imperator ihm gestattete, sein politischer Adjutant zu sein. Die Popularität, auf welche Menschen wie Pompeius, von größeren Ansprüchen als Fähigkeiten, mehr Wert zu legen pflegen, als sie gern sich selber gestehen, mußte im höchsten Maß dem jungen General zuteil werden, dessen Übertritt der fast aussichtslosen Sache der Demokratie den Sieg gab. Der von ihm für sich und seine Soldaten geforderte Siegeslohn fand damit sich von selbst. Überhaupt schien, wenn die Oligarchie gestürzt ward, bei dem gänzlichen Mangel anderer ansehnlicher Oppositionshäupter es nur von Pompeius abzuhängen, seine weitere Stellung sich selber zu bestimmen. Daran aber konnte kaum gezweifelt werden, daß der Übertritt des Feldherrn der soeben siegreich aus Spanien heimkehrenden und noch in Italien geschlossen zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei den Sturz der bestehenden Ordnung zur Folge haben müsse. Regierung und Opposition waren gleich machtlos; sowie die letztere nicht mehr bloß mit Deklamationen focht, sondern das Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war, ihren Anforderungen Nachdruck zu geben, war die Regierung jedenfalls, vielleicht sogar ohne Kampf, überwunden.

So sah man von beiden Seiten sich gedrängt zur Koalition. An persönlichen Abneigungen mochte es dort wie hier nicht fehlen; der siegreiche Feldherr konnte die Straßenredner unmöglich lieben, diese noch weniger den Henker des Carbo und Brutus mit Freuden als ihr Haupt begrüßen; indes die politische Notwendigkeit überwog, wenigstens für den Augenblick, jedes sittliche Bedenken.

Aber die Demokraten und Pompeius schlossen ihren Bund nicht allein. Auch Marcus Crassus war in einer ähnlichen Lage wie Pompeius. Obwohl Sullaner wie dieser, war doch auch seine Politik, ganz wie die des Pompeius, vor allem eine persönliche und durchaus nicht die der herrschenden Oligarchie; und auch er stand jetzt in Italien an der Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit welcher er soeben den Sklavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm die Wahl entweder gegen die Koalition mit der Oligarchie sich zu verbinden oder in die Koalition einzutreten; er wählte den letzteren und damit ohne Zweifel den sichereren Weg. Bei seinem kolossalen Vermögen und seinem Einfluß auf die hauptstädtischen Klubs war er überhaupt ein schätzbarer Bundesgenosse; unter den obwaltenden Umständen aber war es ein unberechenbarer Gewinn, wenn das einzige Heer, mit welchem der Senat den Truppen des Pompeius hätte begegnen können, der angreifenden Macht sich beigesellte. Die Demokraten überdies, denen bei der Allianz mit dem übermächtigen Feldherrn nicht wohl zu Mute sein mochte, sahen nicht ungern in Marcus Crassus ihm ein Gegengewicht und vielleicht einen künftigen Rivalen zur Seite gestellt.

So kam im Sommer des Jahres 683 (71) die erste Koalition zustande zwischen der Demokratie einer- und den beiden Sullanischen Generalen Gnaeus Pompeius und Marcus Crassus andererseits. Beide machten das Parteiprogramm der Demokratie zu dem ihrigen; es ward ihnen dafür zunächst das Konsulat auf das kommende Jahr, Pompeius überdies der Triumph und die begehrten Landlose für seine Soldaten, Crassus als dem Überwinder des Spartacus wenigstens die Ehre des feierlichen Einzugs in die Hauptstadt zugesichert.

Den beiden italischen Armeen, der hohen Finanz und der Demokratie, die also zum Sturz der Sullanischen Verfassung verbündet auftraten, hatte der Senat nichts gegenüberzustellen als etwa das zweite spanische Heer unter Quintus Metellus Pius. Allein Sulla hatte richtig vorhergesagt, daß das, was er getan, nicht zum zweitenmal geschehen werde: Metellus, durchaus nicht geneigt, sich in einen Bürgerkrieg zu verwickeln, hatte sofort nach Überschreitung der Alpen seine Soldaten entlassen. So blieb der Oligarchie nichts übrig, als in das Unvermeidliche sich zu fügen. Der Rat bewilligte die für Konsulat und Triumph erforderlichen Dispensationen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu finden, zu Konsuln für das Jahr 684 (70) gewählt, während ihre Heere, angeblich in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch vor dem Antritt seines Amtes bekannte sodann Pompeius in einer von dem Volkstribun Marcus Lollius Palicanus abgehaltenen Volksversammlung sich öffentlich und förmlich zu dem demokratischen Programm. Die Verfassungsänderung war damit im Prinzip entschieden.

Allen Ernstes ging man nun an die Beseitigung der sullanischen Institutionen. Vor allen Dingen erhielt das tribunizische Amt wieder seine frühere Geltung. Pompeius selbst als Konsul brachte das Gesetz ein, das den Volkstribunen ihre althergebrachten Befugnisse, namentlich auch die legislatorische Initiative zurückgab - freilich eine seltsame Gabe aus der Hand des Mannes, der mehr als irgend ein Lebender dazu getan hatte, der Gemeinde ihre alten Privilegien zu entreißen.

Hinsichtlich der Geschworenenstellung wurde die Bestimmung Sullas, daß das Verzeichnis der Senatoren als Geschworenenliste dienen solle, zwar abgeschafft; allein es kam doch keineswegs zu einer einfachen Wiederherstellung der Gracchischen Rittergerichte. Künftig, so bestimmte das neue Aurelische Gesetz, sollten die Geschworenenkollegien zu einem Dritteil aus Senatoren bestehen, zu zwei Dritteilen aus Männern vom Ritterzensus, von welchen letzteren wieder die Hälfte die Distriktvorsteherschaft oder das sogenannte Kassentribunat bekleidet haben mußte. Es war diese letzte Neuerung eine weitere, den Demokraten gemachte Konzession, indem hiernach wenigstens der dritte Teil der Kriminalgeschworenen mittelbar hervorging aus den Wahlen der Distrikte. Wenn dagegen der Senat nicht gänzlich aus den Gerichten verdrängt ward, so ist die Ursache davon wahrscheinlich teils in Crassus’ Beziehungen zum Senat zu suchen, teils in dem Beitritt der senatorischen Mittelpartei zu der Koalition, mit dem es auch wohl zusammenhängt, daß der Bruder ihres kürzlich verstorbenen Führers, der Prätor Lucius Cotta, dies Gesetz einbrachte.

Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der für Asien von Sulla festgesetzten Steuerordnung, welche vermutlich ebenfalls in dies Jahr fällt; der damalige Statthalter Asiens, Lucius Lucullus, ward angewiesen, das von Gaius Gracchus eingeführte Verpachtungssystem wiederherzustellen und damit der hohen Finanz diese wichtige Geld- und Machtquelle zurückzugeben.

Endlich ward die Zensur wieder ins Leben gerufen. Die Wahlen dafür, welche die neuen Konsuln kurz nach Antritt ihres Amtes anberaumten, fielen, in offenbarer Verhöhnung des Senats, auf die beiden Konsuln des Jahres 682 (73) Gnaeus Lentulus Clodianus und Lucius Genius, die wegen ihrer elenden Kriegführung gegen Spartacus durch den Senat vom Kommando entfernt worden waren. Es begreift sich, daß diese Männer alle Mittel, die ihr wichtiges und ernstes Amt ihnen zu Gebote stellte, in Bewegung setzten, um den neuen Machthabern zu huldigen und den Senat zu ärgern. Mindestens der achte Teil des Senats, vierundsechzig Senatoren, eine bis dahin unerhörte Zahl, wurden von der Liste gestrichen, darunter der einst von Gaius Caesar ohne Erfolg angeklagte Gaius Antonius und der Konsul des Jahres 683 (71), Publius Lentulus Sura, vermutlich auch nicht wenige der verhaßten Kreaturen Sullas.

So war man mit dem Jahre 684 (70) wieder im wesentlichen zurückgekommen auf die vor der sullanischen Restauration bestehenden Ordnungen. Wieder ward die hauptstädtische Menge aus der Staatskasse, das heißt von den Provinzen gespeist; wieder gab die tribunizische Gewalt jedem Demagogen den gesetzlichen Freibrief, die staatlichen Ordnungen zu verkehren; wieder erhob der Geldadel, als Inhaber der Steuerpachtungen und der gerichtlichen Kontrolle über die Statthalter, neben der Regierung sein Haupt so mächtig wie nur je zuvor; wieder zitterte der Senat vor dem Wahrspruch der Geschworenen des Ritterstandes und vor der zensorischen Rüge. Das System Sullas, das auf die politische Vernichtung der kaufmännischen Aristokratie und der Demagogie die Alleinherrschaft der Nobilität begründet hatte, war damit vollständig über den Haufen geworfen. Abgesehen von einzelnen untergeordneten Bestimmungen, deren Abschaffung erst später nachgeholt wurde, wie zum Beispiel der Zurückgabe des Selbstergänzungsrechts an die Priesterkollegien, blieb von Sullas allgemeinen Ordnungen hiernach nichts übrig als teils die Konzessionen, die er selbst der Opposition zu machen notwendig gefunden hatte, wie namentlich die Anerkennung des römischen Bürgerrechts der sämtlichen Italiker, teils Verfügungen ohne schroffe Parteitendenz, an denen deshalb auch die verständigen Demokraten nichts auszusetzen fanden, wie unter anderm die Beschränkung der Freigelassenen, die Regulierung der Beamtenkompetenzen und die materiellen Änderungen im Kriminalrecht.

Weniger einig als über diese prinzipiellen war die Koalition hinsichtlich der persönlichen Fragen, die eine solche Staatsumwälzung anregte. Begreiflicherweise ließen die Demokraten sich nicht genügen mit der allgemeinen Anerkennung ihres Programms, sondern auch sie forderten jetzt eine Restauration in ihrem Sinn: Wiederherstellung des Andenkens ihrer Toten, Bestrafung der Mörder, Rückberufung der Geächteten aus der Verbannung, Aufhebung der auf ihren Kindern lastenden politischen Zurücksetzung, Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter, Schadenersatz aus dem Vermögen der Erben und Gehilfen des Diktators. Es waren das allerdings die logischen Konsequenzen, die aus einem reinen Sieg der Demokratie sich ergaben; allein der Sieg der Koalition von 683 (71) war doch weit entfernt, ein solcher zu sein. Die Demokratie gab dazu den Namen und das Programm, die übergetretenen Offiziere aber, vor allen Pompeius, die Macht und die Vollendung; und nun- und nimmermehr konnten diese zu einer Reaktion ihre Zustimmung geben, die nicht bloß die bestehenden Verhältnisse bis in ihre Grundfesten erschüttert, sondern auch schließlich sich gegen sie selbst gewandt haben würde - war es doch noch im frischen Andenken, welcher Männer Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem ugeheuren Vermögen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl erklärlich, aber auch zugleich bezeichnend für die Schwäche der Demokratie, daß die Koalition von 683 (71) nicht das geringste tat, um den Demokraten Rache oder auch nur Rehabilitation zu gewähren. Die nachträgliche Einforderung aller der für erstandene konfiszierte Güter noch rückständigen oder auch von Sulla den Käufern erlassenen Kaufgelder, welche der Zensor Lentulus in einem besonderen Erlaß feststellte, kann kaum als Ausnahme bezeichnet werden; denn wenn auch nicht wenige Sullaner dadurch in ihren persönlichen Interessen empfindlich verletzt wurden, so war doch die Maßregel selbst wesentlich eine Bestätigung der von Sulla vorgenommenen Konfiskationen.

Sullas Werk war also zerstört; aber was nun werden sollte, war damit viel mehr in Frage gestellt als entschieden. Die Koalition, einzig zusammengehalten durch den gemeinschaftlichen Zweck, das Restaurationswerk zu beseitigen, löste sich, als dieser erreicht war, wenn nicht förmlich, doch der Sache nach von selber auf; für die Frage aber, wohin nun zunächst das Schwergewicht der Macht fallen sollte, schien sich eine ebenso rasche wie gewaltsame Lösung vorzubereiten. Die Heere des Pompeius und Crassus lagerten immer noch vor den Toren der Stadt. Jener hatte zwar zugesagt, nach dem Triumph (am letzten Dezember 683 71) seine Soldaten zu verabschieden; allein zunächst war es unterblieben, um unter dem Druck, den das spanische Heer vor der Hauptstadt auf diese und den Senat ausübte, die Staatsumwälzung ungestört zu vollenden, was denn in gleicher Weise auch auf die Armee des Crassus Anwendung fand. Diese Ursache bestand jetzt nicht mehr; aber dennoch unterblieb die Auflösung der Heere. Die Dinge nahmen die Wendung, als werde einer der beiden mit der Demokratie alliierten Feldherrn die Militärdiktatur ergreifen und Oligarchen und Demokraten in dieselben Fesseln schlagen. Dieser eine aber konnte nur Pompeius sein. Von Anfang an hatte Crassus in der Koalition eine untergeordnete Rolle gespielt; er hatte sich antragen müssen und verdankte selbst seine Wahl zum Konsulat hauptsächlich Pompeius’ stolzer Verwendung. Weitaus der stärkere, war Pompeius offenbar der Herr der Situation; wenn er zugriff, so schien er werden zu müssen, als was ihn der Instinkt der Menge schon jetzt bezeichnete: der unumschränkte Gebieter des mächtigsten Staates der zivilisierten Welt. Schon drängte sich die ganze Masse der Servilen um den künftigen Monarchen. Schon suchten die schwächeren Gegner eine letzte Hilfe in einer neuen Koalition; Crassus, voll alter und neuer Eifersucht auf den jüngeren, so durchaus ihn überflügelnden Rivalen, näherte sich dem Senat und versuchte, durch beispiellose Spenden die hauptstädtische Menge an sich zu fesseln - als ob die durch Crassus selbst mitgebrochene Oligarchie und der ewig undankbare Pöbel vermocht haben würden, gegen die Veteranen der spanischen Armee irgendwelchen Schutz zu gewähren. Einen Augenblick schien es, als würde es vor den Toren der Hauptstadt zwischen den Heeren des Pompeius und Crassus zur Schlacht kommen.

Allein diese Katastrophe wandten die Demokraten durch ihre Einsicht und ihre Geschmeidigkeit ab. Auch ihrer Partei lag, ebenwie dem Senat und Crassus, alles daran, daß Pompeius nicht die Diktatur ergriff; aber mit richtigerer Einsicht in ihre eigene Schwäche und in den Charakter des mächtigen Gegners versuchten ihre Führer den Weg der Güte. Pompeius fehlte keine Bedingung, um nach der Krone zu greifen, als die erste von allen: der eigene königliche Mut. Wir haben den Mann früher geschildert, mit seinem Streben, zugleich loyaler Republikaner und Herr von Rom zu sein, mit seiner Unklarheit und Willenlosigkeit, mit seiner, unter dem Pochen auf selbständige Entschlüsse sich verbergenden Lenksamkeit. Es war dies die erste große Probe, auf die das Verhängnis ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter dem Pompeius die Entlassung der Armee verweigerte, war, daß er Crassus mißtraute und darum nicht mit der Entlassung der Soldaten den Anfang machen könne. Die Demokraten bestimmten den Crassus, hierin entgegenkommende Schritte zu tun, dem Kollegen vor aller Augen zum Frieden die Hand zu bieten; öffentlich und insgeheim bestürmten sie diesen, daß er zu dem zwiefachen Verdienst, den Feind besiegt und die Parteien versöhnt zu haben, noch das dritte und größte fügen möge, dem Vaterland den inneren Frieden zu erhalten und das drohende Schreckbild des Bürgerkrieges zu bannen. Was nur immer auf einen eitlen, ungewandten, unsicheren Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkünste der Diplomatie, aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung wurde in Bewegung gesetzt, um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber die Hauptsache war, die Dinge hatten durch Crassus’ rechtzeitige Nachgiebigkeit sich so gestaltet, daß Pompeius nur die Wahl blieb, entweder geradezu als Tyrann von Rom auf- oder zurückzutreten. So gab er endlich nach und willigte in die Entlassung der Truppen. Das Kommando im Mithradatischen Krieg, das zu erlangen er ohne Zweifel hoffte, als er sich für 684 (70) zum Konsul hatte wählen lassen, konnte er jetzt nicht wünschen, da mit dem Feldzuge von 683 (71) Lucullus diesen Krieg in der Tat beendigt zu haben schien; die vom Senat in Gemäßheit des Sempronischen Gesetzes ihm angewiesene Konsularprovinz anzunehmen, hielt er unter seiner Würde, und Crassus folgte darin seinem Beispiel. So zog Pompeius, als er nach Entlassung seiner Soldaten am letzten Tage des Jahres 684 (70) sein Konsulat niederlegte, sich zunächst ganz von den öffentlichen Geschäften zurück und erklärte, fortan als einfacher Bürger in stiller Muße leben zu wollen. Er hatte sich so gestellt, daß er nach der Krone greifen mußte und, da er dies nicht wollte, ihm keine Rolle übrig blieb als die nichtige eines resignierenden Thronkandidaten.

Der Rücktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen die erste Stelle zukam, vom politischen Schauplatz führte zunächst ungefähr dieselbe Parteistellung wieder herbei, wie wir sie in der gracchischen und marianischen Epoche fanden. Sulla hatte dem Senat das Regiment nur befestigt, nicht gegeben; so blieb denn auch dasselbe, nachdem die von Sulla errichteten Bollwerke wieder gefallen waren, nichtsdestoweniger zunächst dem Senat, während die Verfassung freilich, mit der er regierte, im wesentlichen die wiederhergestellte Gracchische, durchdrungen war von einem der Oligarchie feindlichen Geiste. Die Demokratie hatte die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung bewirkt; aber ohne einen neuen Gracchus war diese ein Körper ohne Haupt, und daß weder Pompeius noch Crassus auf die Dauer dieses Haupt sein konnten, war an sich klar und durch die letzten Vorgänge noch deutlicher dargetan worden. So mußte die demokratische Opposition in Ermangelung eines Führers, der geradezu das Ruder in die Hand genommen hätte, vorläufig sich begnügen, die Regierung auf Schritt und Tritt zu hemmen und zu ärgern. Zwischen der Oligarchie aber und der Demokratie erhob sich zu neuem Ansehen die Kapitalistenpartei, welche in der jüngsten Krise mit der letzteren gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, die aber zu sich hinüberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht gegen die Demokratie zu gewinnen, die Oligarchen jetzt eifrig bemüht waren. Also von beiden Seiten umworben, säumten die Geldherren nicht, ihre vorteilhafte Lage sich zunutze zu machen und das einzige ihrer früheren Privilegien, das sie noch nicht zurückerlangt hatten, die dem Ritterstand reservierten vierzehn Bänke im Theater, sich jetzt (687 67) durch Volksschluß wiedergeben zu lassen. Im ganzen näherten sie, ohne mit der Demokratie schroff zu brechen, doch wieder mehr sich der Regierung. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner Klientel gehören in diesen Zusammenhang; hauptsächlich aber scheint ein besseres Verhältnis zwischen dem Senat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, daß dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen Offizieren, Lucius Lucullus, auf Andringen der von demselben schwer gekränkten Kapitalisten im Jahre 686 (68) die Verwaltung der für diese so wichtigen Provinz Asia abnahm.

Während aber die hauptstädtischen Faktionen miteinander des gewohnten Haders pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Entscheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereignisse ihren verhängnisvollen Gang, wie wir ihn früher geschildert haben, und sie waren es, die den zögernden Verlauf der hauptstädtischen Politik zur Krise drängten. Der Land- wie der Seekrieg hatte dort die ungünstigste Wendung genommen. Im Anfang des Jahres 687 (67) war die pontische Armee der Römer aufgerieben, die armenische in voller Auflösung auf dem Rückzug, alle Eroberungen verloren, das Meer ausschließlich in der Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe getrieben, daß man eine förmliche Hungersnot befürchtete. Wohl hatten, wie wir sahen, die Fehler der Feldherren, namentlich die völlige Unfähigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tüchtigen Lucius Lucullus, diesen Notstand zum Teil verschuldet, wohl auch die Demokratie durch ihre Wühlereien zu der Auflösung des armenischen Heeres wesentlich beigetragen. Aber natürlich ward die Regierung jetzt für alles, was sie und was andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge verlangte nur eine Gelegenheit, um mit dem Senat abzurechnen.

Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie auch herabgewürdigt und entwaffnet, war noch nicht gestürzt, dennoch lag die Führung der öffentlichen Angelegenheiten in den Händen des Senats; sie stürzte aber, wenn die Gegner diese, daß heißt namentlich die Oberleitung der militärischen Angelegenheiten, sich selber zueigneten; und jetzt war dies möglich. Wenn jetzt Vorschläge über eine andere und bessere Führung des Land- und Seekrieges an die Komitien gebracht wurden, so war bei der Stimmung der Bürgerschaft der Senat voraussichtlich nicht imstande, deren Durchsetzung zu verhindern; und eine Intervention der Bürgerschaft in diesen höchsten Verwaltungsfragen war tatsächlich die Absetzung des Senats und die Übertragung der Leitung des Staats an die Führer der Opposition. Wieder einmal brachte die Verkettung der Dinge die Entscheidung in die Hände des Pompeius. Seit mehr als zwei Jahren lebte der gefeierte Feldherr als Privatmann in der Hauptstadt. Seine Stimme ward im Rathaus wie auf dem Markte selten vernommen; dort war er nicht gern gesehen und ohne entscheidenden Einfluß, hier scheute er sich vor dem stürmischen Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah es mit dem vollständigen Hofstaat seiner vornehmen und geringen Klienten, und eben seine feierliche Zurückgezogenheit imponierte der Menge. Wenn er, an dem der volle Glanz seiner ungemeinen Erfolge noch unvermindert haftete, jetzt sich erbot, nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne Zweifel mit aller von ihm selbst geforderten militärischen und politischen Machtvollkommenheit von der Bürgerschaft bereitwillig bekleidet. Für die Oligarchie, die in der politischen Militärdiktatur ihren sicheren Ruin, in Pompeius selbst seit der Koalition von 683 (71) ihren verhaßtesten Feind sah, war dies ein vernichtender Schlag; aber auch der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mute sein. So wünschenswert es ihr an sich sein mußte, dem Regiment des Senats ein Ende zu machen, so war es doch, wenn es in dieser Weise geschah, weit weniger ein Sieg ihrer Partei als ein persönlicher ihres übermächtigen Verbündeten. Leicht konnte in diesem der demokratischen Partei ein weit gefährlicherer Gegner aufstehen als der Senat war. Die wenige Jahre zuvor durch die Entlassung der spanischen Armee und Pompeius’ Rücktritt glücklich vermiedene Gefahr kehrte in verstärktem Maße wieder, wenn Pompeius jetzt an die Spitze der Armeen des Ostens trat.

Diesmal indes griff Pompeius zu oder ließ es wenigstens geschehen, daß andere für ihn zugriffen. Es wurden im Jahre 687 (67) zwei Gesetzvorschläge eingebracht, von denen der eine außer der längst von der Demokratie geforderten Entlassung der ausgedienten Soldaten der asiatischen Armee die Abberufung des Oberfeldherrn derselben, Lucius Lucullus, und dessen Ersetzung durch einen der Konsuln des laufenden Jahres, Gaius Piso oder Manius Glabrio, verfügte, der zweite den sieben Jahre zuvor zur Reinigung der Meere von den Piraten vom Senat selbst aufgestellten Plan wiederaufnahm und erweiterte. Ein einziger, vom Senat aus den Konsularen zu bezeichnender Feldherr sollte bestellt werden, um zur See auf dem gesamten Mittelländischen Meer von den Säulen des Herkules bis an die pontische und syrische Küste ausschließlich, zu Lande über sämtliche Küsten bis zehn deutsche Meilen landeinwärts mit den betreffenden römischen Statthaltern konkurrierend, den Oberbefehl zu übernehmen. Auf drei Jahre hinaus war demselben das Amt gesichert. Ihn umgab ein Generalstab, wie Rom noch keinen gesehen hatte, von fünfundzwanzig Unterbefehlshabern senatorischen Standes, alle mit prätorischen Insignien und prätorischer Gewalt bekleidet, und von zwei Unterschatzmeistern mit quästorischen Befugnissen, sie alle erlesen durch den ausschließlichen Willen des höchstkommandierenden Feldherrn. Es ward demselben gestattet, bis zu 120000 Mann Fußvolk, 5000 Reitern, 500 Kriegsschiffen aufzustellen und zu dem Ende über die Mittel der Provinzen und Klientelstaaten unbeschränkt zu verfügen; überdies wurden die vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche Truppenzahl sofort ihm überwiesen. Die Kassen des Staats in der Hauptstadt wie in den Provinzen sowie die der abhängigen Gemeinden sollten ihm unbeschränkt zu Gebot stehen und trotz der peinlichen Finanznot sofort aus der Staatskasse ihm eine Summe von 11 Mill. Talern (144 Mill. Sesterzen) ausgezahlt werden.

Es leuchtet ein, daß durch diese Gesetzentwürfe, namentlich durch den die Expedition gegen die Piraten betreffenden, das Regiment des Senats über den Haufen fiel. Wohl waren die von der Bürgerschaft ernannten ordentlichen höchsten Beamten von selbst die rechten Feldherren der Gemeinde und bedurften auch die außerordentlichen Beamten, um Feldherren sein zu können, wenigstens nach strengem Recht der Bestätigung durch die Bürgerschaft; aber auf die Besetzung der einzelnen Kommandos stand der Gemeinde verfassungsmäßig kein Einfluß zu und nur entweder auf Antrag des Senats oder doch auf Antrag eines an sich zum Feldherrnamt berechtigten Beamten hatten bisher die Komitien hin und wieder hier sich eingemischt und auch die spezielle Kompetenz vergeben. Hierin stand vielmehr, seit es einen römischen Freistaat gab, dem Senate das tatsächlich entscheidende Wort zu und es war diese seine Befugnis im Laufe der Zeit zu endgültiger Anerkennung gelangt. Freilich hatte die Demokratie auch hieran schon gerüttelt; allein selbst in dem bedenklichsten der bisher vorgekommenen Fälle, bei der Übertragung des afrikanischen Kommandos auf Gaius Marius 647 (107), war nur ein verfassungsmäßig zum Feldherrnamt überhaupt berechtigter Beamter durch den Schluß der Bürgerschaft mit einer bestimmten Expedition beauftragt worden. Aber jetzt sollte die Bürgerschaft einen beliebigen Privatmann nicht bloß mit der außerordentlichen höchsten Amtsgewalt ausstatten, sondern auch mit einer bestimmt von ihr normierten Kompetenz. Daß der Senat diesen Mann aus der Reihe der Konsulare zu erkiesen hatte, war eine Milderung nur in der Form; denn die Auswahl blieb demselben nur deshalb überlassen, weil es eben eine Wahl nicht war und der stürmisch aufgeregten Menge gegenüber der Senat den Oberbefehl der Meere und Küsten schlechterdings keinem andern übertragen konnte als einzig dem Pompeius. Aber bedenklicher noch als diese prinzipielle Negierung der Senatsherrschaft war die tatsächliche Aufhebung derselben durch die Einrichtung eines Amtes von fast unbeschränkter militärischer und finanzieller Kompetenz. Während das Feldherrnamt sonst auf eine einjährige Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf streng zugemessene militärische und finanzielle Hilfsmittel beschränkt war, war dem neuen außerordentlichen Amt von vornherein eine dreijährige Dauer gesichert, die natürlich weitere Verlängerung nicht ausschloß, war demselben der größte Teil der sämtlichen Provinzen, ja sogar Italien selbst, das sonst von militärischer Amtsgewalt frei war, untergeordnet, waren ihm die Soldaten, Schiffe, Kassen des Staats fast unbeschränkt zur Verfügung gestellt. Selbst der eben erwähnte uralte Fundamentalsatz des republikanisch-römischen Staatsrechts, daß die höchste militärische und bürgerliche Amtsgewalt nicht ohne Mitwirkung der Bürgerschaft vergeben werden könne, ward zu Gunsten des neuen Oberfeldherrn gebrochen: indem das Gesetz den fünfundzwanzig Adjutanten, die er sich ernennen würde, im voraus prätorischen Rang und prätorische Befugnisse verlieh ^1, wurde das höchste Amt des republikanischen Rom einem neu geschaffenen untergeordnet, für das den geeigneten Namen zu finden der Zukunft überlassen blieb, das aber der Sache nach schon jetzt die Monarchie in sich enthielt. Es war eine vollständige Umwälzung der bestehenden Ordnung, zu der mit diesem Gesetzvorschlag der Grund gelegt ward.

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^1 Die außerordentliche Amtsgewalt (pro consule, pro praetore, pro quaestore) konnte nach römischem Staatsrecht in dreifacher Weise entstehen. Entweder ging sie hervor aus dem für die nichtstädtische Amtstätigkeit geltenden Grundsatz, daß das Amt bis zu dem gesetzlichen Endtermin, die Amtsgewalt aber bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert, was der älteste, einfachste und häufigste Fall ist. Oder sie entstand auf dem Wege, daß die beikommenden Organe, namentlich die Komitien, in späterer Zeit auch wohl der Senat, einen nicht in der Verfassung vorgesehenen Oberbeamten ernannten, indem dieser zwar sonst dem ordentlichen Beamten gleichstand, aber doch zum Kennzeichen der Außerordentlichkeit seines Amtes sich nur “an Prätors” oder “an Konsuls Statt” nannte. Hierher gehören auch die in ordentlichem Wege zu Quästoren ernannten, dann aber außerordentlicherweise mit prätorischer oder gar konsularischer Amtsgewalt ausgestatteten Beamten (quaestores pro praetore oder pro consule), in welcher Eigenschaft zum Beispiel Publius Lentulus Marcellinus 679 (73) nach Kyrene (Sall. hist. 2, 39 Dietsch), Gnaeus Piso 689 (65) nach dem Diesseitigen Spanien (Sall. Cat. 19), Cato 696 (58) nach Kypros (Vell. 2, 45) gingen. Oder endlich es beruht die außerordentliche Amtsgewalt auf dem Mandierungsrecht des höchsten Beamten. Derselbe ist, wenn er seinen Amtsbezirk verläßt oder sonst behindert ist, sein Amt zu versehen, befugt, einen seiner Leute zu seinem Stellvertreter zu ernennen, welcher dann legatus pro praetore (Sall. Iug. 36-38) oder wenn die Wahl auf den Quästor fällt, quaestor pro praetore (Sall. Iug. 103) heißt. In gleicher Weise ist er befugt, wenn er keinen Quästor hat, dessen Geschäfte durch einen seines Gefolges versehen zu lassen, welcher dann legatus pro quaestore heißt und mit diesem Namen wohl zuerst auf den makedonischen Tetradrachmen des Sura, Unterbefehlshabers des Statthalters von Makedonien 665-667 (89-87) begegnet. Das aber ist dem Wesen der Mandierung zuwider und darum nach älterem Staatsrecht unzulässig, daß der höchste Beamte, ohne in seiner Funktionierung gehindert zu sein, gleich bei Antritt seines Amtes von vornherein einen oder mehrere seiner Untergebenen mit höchster Amtsgewalt ausstattet; und insofern sind die legati pro praetore des Prokonsuls Pompeius eine Neuerung und schon denen gleichartig, die in der Kaiserzeit eine so große Rolle spielen.

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Diese Maßregeln eines Mannes, der soeben noch von seiner Halbheit und Schwäche so auffallende Beweise geliefert hatte, befremden durch ihre durchgreifende Energie. Indes ist es doch wohl erklärlich, daß Pompeius diesmal entschlossener verfuhr als während seines Konsulats. Handelte es sich doch nicht darum, sofort als Monarch aufzutreten, sondern die Monarchie zunächst nur vorzubereiten durch eine militärische Ausnahmemaßregel, die, wie revolutionär sie ihrem Wesen nach war, doch noch in den Formen der bestehenden Verfassung vollzogen werden konnte, und die zunächst Pompeius dem alten Ziel seiner Wünsche, dem Kommando gegen Mithradates und Tigranes, entgegenführte. Auch gewichtige Zweckmäßigkeitsgründe sprachen für die Emanzipation der Militärgewalt von dem Senat. Pompeius konnte nicht vergessen haben, daß ein nach ganz gleichen Grundsätzen angelegter Plan zur Unterdrückung der Piraterie wenige Jahre zuvor an der verkehrten Ausführung durch den Senat gescheitert, daß der Ausgang des Spanischen Krieges durch die Vernachlässigung der Heere von sehen des Senats und dessen unverständige Finanzwirtschaft aufs höchste gefährdet worden war; er konnte nicht übersehen, wie die große Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner, gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Kompetenz sich nach dem Osten senden ließ. Begreiflich ist es daher, daß er als die erste Bedingung der Übernahme des Kommandos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und daß die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in hohem Grade wahrscheinlich, daß Pompeius diesmal durch seine Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren vermutlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus’ Abberufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und sittlich ruinierten Mann, aber einem gewandten Unterhändler, dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernsthaft auch Pompeius’ Beteuerungen gemeint waren, daß er den Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahrscheinlich so viel wahr, daß der kecke und bewegliche Klient, der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkommen durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehilflichen Patron die Entscheidung zum guten Teil über den Kopf nahm.

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Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im stillen sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung desselben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hindern vermocht, wohl aber durch Opposition dagegen mit Pompeius offen gebrochen und dadurch ihn genötigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts übrig, als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war, auch diesmal noch festzuhalten und diese Gelegenheit zu ergreifen, um wenigstens den Senat endlich definitiv zu stürzen und aus der Opposition in das Regiment überzugehen, das weitere aber der Zukunft und Pompeius’ wohlbekannter Charakterschwäche zu überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor Lucius Quinctius, derselbe, der sieben Jahre zuvor für die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt tätig gewesen war, und der gewesene Quästor Gaius Caesar, die Gabinischen Gesetzvorschläge.

Die privilegierten Klassen waren außer sich, nicht bloß die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristokratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gründliche Staatsumwälzung bedroht fühlte und wieder einmal ihren rechten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach Einbringung seiner Anträge in der Kurie sich zeigte, fehlte nicht viel, daß ihn die Väter der Stadt mit eigenen Händen erwürgt hätten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst unvorteilhaft diese Methode zu argumentieren für sie ablaufen wußte. Der Tribun entkam auf den Markt und rief die Menge auf, das Rathaus zu stürmen, als eben zur rechten Zeit noch die Sitzung aufgehoben ward. Der Konsul Piso, der Vorkämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge in die Hände geriet, wäre sicher ein Opfer der Volkswut geworden, wenn nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch unzeitige Freveltaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu stellen, den Konsul befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbitterung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen, zum Teil ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel, daß Lucius Lucullus die ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder teils in Rom zinsbar belegt, teils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache des Volkes abwendig zu machen versucht habe; daß der Senat dem “zweiten Romulus”, wie man Pompeius nannte, das Schicksal des ersten ^2 zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge auf dem Markte; bis an die Dächer hinauf waren alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne gesehen werden konnte, mit Menschen bedeckt. Sämtliche Kollegen des Gabinius hatten dem Senat die Interzession zugesagt: aber den brausenden Wogen der Massen gegenüber schwiegen alle bis auf den einzigen Lucius Trebellius, der sich und dem Senat geschworen hatte, lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser interzedierte, unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetzvorschläge und beantragte bei dem versammelten Volke, mit seinem widerstrebenden Kollegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius Gracchus’ Antrag mit dem Octavius verfahren war, das heißt ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt und die Verlesung der Stimmtafeln begann; als die ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen, sich für den Antrag erklärten und die nächste bejahende Stimme demselben die Majorität gab, zog Trebellius, seines Eides vergessend, die Interzession kleinmütig zurück. Vergeblich bemühte sich darauf der Tribun Otho zu bewirken, daß wenigstens die Kollegialität gewahrt und statt eines Feldherrn zwei gewählt werden möchten; vergeblich strengte der hochbejahrte Quintus Catulus, der geachtetste Mann im Senat, seine letzten Kräfte dafür an, daß die Unterfeldherren nicht vom Oberfeldherrn ernannt, sondern vom Volke gewählt werden möchten. Otho konnte in dem Toben der Menge nicht einmal sich Gehör verschaffen; dem Catulus verschaffte es Gabinius’ wohlberechnete Zuvorkommenheit, und in ehrerbietigem Schweigen horchte die Menge den Worten des Greises; aber verloren waren sie darum nicht minder. Die Vorschläge wurden nicht bloß mit allen Klauseln unverändert zum Gesetz erhoben, sondern auch, was Pompeius noch im einzelnen nachträglich begehrte, augenblicklich und vollständig bewilligt.

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^2 Der Sage nach ward König Romulus von den Senatoren in Stücke zerrissen.

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Mit hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldherren Pompeius und Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen. Die Kornpreise waren nach dem Durchgehen der Gabinischen Gesetze sogleich auf die gewöhnlichen Sätze zurückgegangen: ein Beweis, welche Hoffnungen an die großartige Expedition und ihren ruhmvollen Führer sich knüpften. Sie wurden, wie später erzählt wird, nicht bloß erfüllt, sondern übertroffen; in drei Monaten war die Säuberung der Meere vollendet. Seit dem Hannibalischen Kriege war die römische Regierung nicht mit solcher Energie nach außen hin aufgetreten; gegenüber der schlaffen und unfähigen Verwaltung der Oligarchie hatte die demokratisch-militärische Opposition auf das glänzendste ihren Beruf dargetan, die Zügel des Staates zu fassen und zu lenken. Die ebenso unpatriotischen wie ungeschickten Versuche des Konsuls Piso, den Anstalten des Pompeius zu Unterdrückung der Piraterie im Narbonensischen Gallien kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen, steigerten nur die Erbitterung der Bürgerschaft gegen die Oligarchie und ihren Enthusiasmus für Pompeius: einzig dessen persönliche Dazwischenkunft verhinderte es, daß die Volksversammlung nicht den Konsul kurzweg seines Amtes entsetzte.

Inzwischen war auf dem asiatischen Festland die Verwirrung nur noch ärger geworden. Glabrio, der an Lucullus’ Stelle den Oberbefehl gegen Mithradates und Tigranes übernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen geblieben und hatte zwar durch verschiedene Proklamationen die Soldaten gegen Lucullus aufgestiftet, aber den Oberbefehl nicht angetreten, so daß Lucullus denselben fortzuführen gezwungen war. Gegen Mithradates war natürlich nichts geschehen; die pontischen Reiter plünderten ungescheut und ungestraft in Bithynien und Kappadokien. Durch den Piratenkrieg war auch Pompeius veranlaßt worden, sich mit seinem Heer nach Kleinasien zu begeben; nichts lag näher, als ihm den Oberbefehl in dem Pontisch-Armenischen Kriege zu übertragen, dem er selbst seit langem nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom teilte begreiflicherweise die Wünsche ihres Generals nicht und hütete sich wohl, hierin die Initiative zu ergreifen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie den Gabinius bestimmt hatte, den Mithradatischen und den Piratenkrieg nicht von vornherein beide zugleich an Pompeius, sondern den ersteren an Glabrio zu übertragen; auf keinen Fall konnte sie jetzt die Ausnahmestellung des schon allzumächtigen Feldherrn steigern und verewigen wollen. Auch Pompeius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit sich leidend, und vielleicht wäre er in der Tat nach Vollziehung des ihm gewordenen Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien unerwarteter Zwischenfall eingetreten wäre. Ein gewisser Gaius Manilius, ein ganz nichtiger und unbedeutender Mensch, hatte als Volkstribun es durch seine ungeschickten Gesetzvorschläge zugleich mit der Aristokratie und der Demokratie verdorben. In der Hoffnung, sich unter des mächtigen Feldherrn Flügeln zu bergen, wenn er diesem verschaffe, was er, wie jedem bekannt war, sehnlichst wünschte, aber doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Bürgerschaft den Antrag, die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pontos, Marcius Rex aus Kilikien abzuberufen und diese Ämter sowie die Führung des Krieges im Osten, wie es scheint ohne bestimmte Zeitgrenze und jedenfalls mit der freiesten Befugnis, Frieden und Bündnis zu schließen, dem Prokonsul der Meere und Küsten neben seinem bisherigen Amte zu übertragen (Anfang 688 66). Es zeigte hier sich einmal recht deutlich, wie zerrüttet die römische Verfassungsmaschine war, seit die gesetzgeberische Gewalt teils der Initiative nach jedem noch so geringen Demagogen, und der Beschlußfassung nach der unmündigen Menge in die Hände gegeben, teils auf die wichtigsten Verwaltungsfragen erstreckt war. Der Manilische Vorschlag war keiner der politischen Parteien genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen Widerstand. Die demokratischen Führer konnten aus denselben Gründen, die sie gezwungen hatten, das Gabinische Gesetz sich gefallen zu lassen, es nicht wagen, sich dem Manilischen geradezu zu widersetzen; sie verschlossen ihren Unwillen und ihre Besorgnisse in sich und redeten öffentlich für den Feldherrn der Demokratie. Die gemäßigten Optimaten erklärten sich für den Manilischen Antrag, weil nach dem Gabinischen Gesetz der Widerstand auf jeden Fall vergeblich war und weiterblickende Männer schon damals erkannten, daß es für den Senat die richtige Politik sei, sich Pompeius möglichst zu nähern und bei dem vorauszusehenden Bruch zwischen ihm und den Demokraten ihn auf ihre Seite hinüberzuziehen. Die Männer des Schaukelsystems endlich segneten den Tag, wo auch sie eine Meinung zu haben scheinen und entschieden auftreten konnten, ohne es mit einer der Parteien zu verderben - es ist bezeichnend, daß mit der Verteidigung des Manilischen Antrags Marcus Cicero zuerst die politische Rednerbühne betrat. Einzig die strengen Optimaten, Quintus Catulus an der Spitze, zeigten wenigstens Farbe und sprachen gegen den Vorschlag. Natürlich wurde derselbe mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität zum Gesetz erhoben. Pompeius erhielt dadurch zu seiner früheren ausgedehnten Machtfülle noch die Verwaltung der wichtigsten kleinasiatischen Provinzen, so daß es innerhalb der weiten römischen Grenzen kaum noch einen Fleck Landes gab, der ihm nicht gehorcht hätte, und die Führung eines Krieges, von dem man, wie von Alexanders Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann er begann, aber nicht, wo und wann er enden möge. Niemals noch, seit Rom stand, war solche Gewalt in den Händen eines einzigen Mannes vereinigt gewesen.

Die Gabinisch-Manilischen Anträge beendigten den Kampf zwischen dem Senat und der Popularpartei, den vor siebenundsechzig Jahren die Sempronischen Gesetze begonnen hatten. Wie die Sempronischen Gesetze die Revolutionspartei zunächst als politische Opposition konstituierten, so ging dieselbe mit den Gabinisch-Manilischen über aus der Opposition in das Regiment; und wie es ein großartiger Moment gewesen war, als mit der vergeblichen Interzession des Octavius der erste Bruch in die bestehende Verfassung geschah, so war es nicht minder ein bedeutungsvoller Augenblick, als mit dem Rücktritt des Trebellius das letzte Bollwerk des senatorischen Regiments zusammenbrach. Auf beiden Seiten ward dies wohl empfunden, und selbst die schlaffen Senatorenseelen zuckten auf in diesem Todeskampf; aber es lief doch die Verfassungsfehde in gar anderer und gar viel kümmerlicherer Weise zu Ende, als sie angefangen hatte. Ein in jedem Sinne adliger Jüngling hatte die Revolution eröffnet; sie ward beschlossen durch kecke Intriganten und Demagogen des niedrigsten Schlages. Wenn andererseits die Optimaten mit gemessenem Widerstand, mit einer selbst auf den verlorenen Posten ernst ausharrenden Verteidigung begonnen hatten, so endigten sie mit der Initiative zum Faustrecht, mit großwortiger Schwäche und jämmerlichem Eidbruch. Es war nun erreicht, was einst als ein kecker Traum erschienen war: der Senat hatte aufgehört zu regieren. Aber wenn die einzelnen alten Männer, die noch die ersten Stürme der Revolution gesehen, die Worte der Gracchen vernommen hatten, jene Zeit und diese miteinander verglichen, so fanden sie alles inzwischen verändert, Landschaft und Bürgerschaft, Staatsrecht und Kriegszucht, Leben und Sitte, und wohl mochte schmerzlich lächeln, wer die Ideale der Gracchenzeit mit ihrer Realisierung verglich. Indes solche Betrachtungen gehörten der Vergangenheit an. Für jetzt und wohl auch für die Zukunft war der Sturz der Aristokratie eine vollendete Tatsache. Die Oligarchen glichen einer vollständig aufgelösten Armee, deren versprengte Haufen noch eine andere Heeresmasse verstärken, aber selbst nirgends mehr das Feld halten, noch auf eigene Rechnung ein Gefecht wagen konnten. Aber indem der alte Kampf zu Ende lief, bereitete zugleich ein neuer sich vor: der Kampf der beiden bisher zum Sturz der aristokratischen Staatsverfassung verbündeten Mächte, der bürgerlich demokratischen Opposition und der immer übermächtiger aufstrebenden Militärgewalt. Pompeius’ Ausnahmestellung war schon nach dem Gabinischen, um wie viel mehr nach dem Manilischen Gesetz mit einer republikanischen Staatsordnung unvereinbar. Er war, wie schon damals die Gegner mit gutem Grund sagten, durch das Gabinische Gesetz nicht zum Admiral, sondern zum Reichsregenten bestellt worden; nicht mit Unrecht heißt er einem mit den östlichen Verhältnissen vertrauten Griechen “König der Könige”. Wenn er dereinst, wiederum siegreich und mit erhöhtem Ruhm, mit gefüllten Kassen, mit schlagfertigen und ergebenen Truppen zurückkehrt aus dem Osten, nach der Krone die Hand ausstreckte - wer wollte dann ihm in den Arm fallen? Sollte etwa gegen den ersten Feldherrn seiner Zeit und seine erprobten Legionen der Konsular Quintus Catulus die Senatoren aufbieten? Oder der designierte Ädil Gaius Caesar die städtische Menge, deren Augen er soeben an seinen dreihundertzwanzig silbergerüsteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald werde man, rief Catulus, abermals auf die Felsen des Kapitols flüchten müssen, um die Freiheit zu retten. Es war nicht die Schuld des Propheten, wenn der Sturm nicht, wie er meinte, von Osten kam, sondern das Schicksal, buchstäblicher als er selbst es ahnte seine Worte erfüllend, das vernichtende Unwetter wenige Jahre später aus dem Keltenland heranführte.

KAPITEL IV.
Pompeius und der Osten

Wir haben früher gesehen, wie trostlos im Osten zu Lande und zur See die Angelegenheiten Roms standen, als im Anfang des Jahres 687 (67) Pompeius zunächst die Führung des Krieges gegen die Piraten mit beinahe unumschränkter Machtvollkommenheit übernahm. Er begann damit, das ungeheure ihm überwiesene Gebiet in dreizehn Bezirke zu teilen und jeden derselben einem seiner Unterfeldherren zu überweisen, um daselbst Schiffe und Mannschaften zu rüsten, die Küsten abzusuchen und die Piratenboote aufzubringen oder einem der Kollegen ins Garn zu jagen. Er selbst ging mit dem besten Teil der vorhandenen Kriegsschiffe, unter denen auch diesmal die rhodischen sich auszeichneten, früh im Jahr in See und reinigte zunächst die sizilischen, afrikanischen und sardischen Gewässer, um vor allem die Getreidezufuhr aus diesen Provinzen nach Italien wieder in Gang zu bringen. Für die Säuberung der spanischen und gallischen Küsten sorgten inzwischen die Unterfeldherren. Es war bei dieser Gelegenheit, daß der Konsul Gaius Piso von Rom aus die Aushebungen zu hemmen versuchte, welche Pompeius’ Legat Marcus Pomponius kraft des Gabinischen Gesetzes in der Provinz Narbo veranstaltete - ein unkluges Beginnen, dem zu steuern und zugleich die gerechte Erbitterung der Menge gegen den Konsul in den gesetzlichen Schranken zu halten Pompeius vorübergehend wieder in Rom erschien. Als nach vierzig Tagen im westlichen Becken des Mittelmeers die Schiffahrt überall freigemacht war, ging Pompeius mit seinen sechzig besten Fahrzeugen weiter in das östliche Meer, zunächst nach dem Ur- und Hauptsitz der Piraterie, den lykischen und kilikischen Gewässern. Auf die Kunde von dem Herannahen der römischen Flotte verschwanden nicht bloß die Piratenkähne überall von der offenen See; auch die starken lykischen Festen Antikragos und Kragos ergaben sich, ohne ernstlichen Widerstand zu leisten. Mehr noch als die Furcht öffnete Pompeius’ wohlberechnete Milde die Tore dieser schwer zugänglichen Seeburgen. Seine Vorgänger hatten jeden gefangenen Seeräuber ans Kreuz heften lassen; er gab ohne Bedenken allen Quartier und behandelte namentlich die auf den genommenen Piratenbooten vorgefundenen gemeinen Ruderer mit ungewohnter Nachsicht. Nur die kühnen kilikischen Seekönige wagten einen Versuch, wenigstens ihre eigenen Gewässer mit den Waffen gegen die Römer zu behaupten: nachdem sie ihre Kinder und Frauen und ihre reichen Schätze in die Bergschlösser des Taurus geflüchtet hatten, erwarteten sie die römische Flotte an der Westgrenze Kilikiens, auf der Höhe von Korakesion. Aber Pompeius’ wohlbemannte und mit allem Kriegszeug wohlversehene Schiffe erfochten hier einen vollständigen Sieg. Ohne weiteres Hindernis landete er darauf und begann die Bergschlösser der Korsaren zu stürmen und zu brechen, während er fortfuhr, ihnen selbst als Preis der Unterwerfung Freiheit und Leben zu bieten. Bald gab die große Menge es auf, in ihren Burgen und Bergen einen hoffnungslosen Krieg fortzusetzen und bequemte sich zur Ergebung. Neunundvierzig Tage nachdem Pompeius in der östlichen See erschienen, war Kilikien unterworfen und der Krieg zu Ende. Die rasche Überwältigung der Piraterie war eine große Erleichterung, aber keine großartige Tat: mit den Hilfsmitteln des römischen Staates, die in verschwenderischem Maße waren aufgeboten worden, konnten die Korsaren so wenig sich messen als die vereinigten Diebesbanden einer großen Stadt mit einer wohlorganisierten Polizei. Es war naiv, eine solche Razzia als einen Sieg zu feiern. Aber verglichen mit dem langjährigen Bestehen und der grenzenlosen, täglich weiter um sich greifenden Ausdehnung des Übels ist es erklärlich, daß die überraschend schnelle Überwältigung der gefürchteten Piraten auf das Publikum den gewaltigsten Eindruck machte; um so mehr, da dies die erste Probe des in einer Hand zentralisierten Regiments war und die Parteien gespannt darauf harrten, ob es verstehen werde, besser als das kollegialische zu regieren. Gegen 400 Schiffe und Boote, darunter 90 eigentliche Kriegsfahrzeuge, wurden teils von Pompeius genommen, teils ihm ausgeliefert; im ganzen sollen an 1300 Piratenfahrzeuge zugrunde gerichtet und außerdem die reichgefüllten Arsenale und Zeughäuser der Flibustier in Flammen aufgegangen sein. Von den Seeräubern waren gegen 10000 umgekommen, über 20000 dem Sieger lebend in die Hände gefallen, wogegen Publius Clodius, der Flottenführer der in Kilikien stehenden römischen Armee, und eine Menge anderer von den Piraten weggeführter, zum Teil daheim längst tot geglaubter Individuen durch Pompeius ihre Freiheit wiedererlangten. Im Sommer 687 (67), drei Monate nach dem Beginn des Feldzugs, gingen Handel und Wandel wieder ihren gewohnten Gang und anstatt der früheren Hungersnot herrschte in Italien Überfluß.

Ein verdrießliches Zwischenspiel auf der Insel Kreta trübte indes einigermaßen diesen erfreulichen Erfolg der römischen Waffen. Dort stand schon im zweiten Jahre Quintus Metellus, beschäftigt, die im wesentlichen bereits bewirkte Unterwerfung der Insel zu vollenden, als Pompeius in den östlichen Gewässern erschien. Eine Kollision lag nahe, denn nach dem Gabinischen Gesetz erstreckte sich Pompeius’ Kommando konkurrierend mit dem des Metellus auf die ganze Ianggestreckte, aber nirgends über zwanzig deutsche Meilen breite Insel; doch war Pompeius so rücksichtsvoll, sie keinem seiner Unterbefehlshaber zu überweisen. Allein die noch widerstrebenden kretischen Gemeinden, die ihre unterworfenen Landsleute von Metellus mit der grausamsten Strenge zur Verantwortung hatten ziehen sehen und dagegen die milden Bedingungen vernahmen, welche Pompeius den ihm sich ergebenden Ortschaften des südlichen Kleinasiens zu stellen pflegte, zogen es vor, ihre Gesamtunterwerfung an Pompeius einzugeben, der sie auch in Pamphylien, wo er eben sich befand, von ihren Gesandten entgegennahm und ihnen seinen Legaten Lucius Octavius mitgab, um Metellus den Abschluß der Verträge anzuzeigen und die Städte zu übernehmen. Kollegialisch war dies Verfahren freilich nicht; allein das formelle Recht war durchaus auf seiten des Pompeius und Metellus im offenbarsten Unrecht, wenn er, den Vertrag der Städte mit Pompeius vollständig ignorierend, dieselben als feindliche zu behandeln fortfuhr. Vergeblich protestierte Octavius; vergeblich rief er, da er selbst ohne Truppen gekommen war, aus Achaia den dort stehenden Unterfeldherrn des Pompeius, Lucius Sisenna, herbei; Metellus, weder um Octavius noch um Sisenna sich bekümmernd, belagerte Eleutherna und nahm Lappa mit Sturm, wo Octavius selbst gefangengenommen und beschimpft entlassen, die mit ihm gefangenen Kreter aber dem Henker überliefert wurden. So kam es zu förmlichen Gefechten zwischen Sisennas Truppen, an deren Spitze nach dieses Führers Tode sich Octavius stellte, und denen des Metellus; selbst als jene nach Achaia zurückkommandiert worden waren, setzte Octavius in Gemeinschaft mit dem Kreter Aristion den Krieg fort, und Hierapytna, wo beide sich hielten, ward von Metellus erst nach der hartnäckigsten Gegenwehr bezwungen.

In der Tat hatte damit der eifrige Optimat Metellus gegen den Oberfeldherrn der Demokratie auf eigene Hand den förmlichen Bürgerkrieg begonnen; es zeugt von der unbeschreiblichen Zerrüttung der römischen Staatsverhältnisse, daß diese Auftritte zu nichts weiterem führten als zu einer bitteren Korrespondenz zwischen den beiden Generalen, die ein paar Jahre darauf wieder friedlich und sogar “freundschaftlich” nebeneinander im Senate saßen.

Pompeius stand während dieser Vorgänge in Kilikien; für das nächste Jahr, wie es schien, einen Feldzug vorbereitend gegen die Kretenser oder vielmehr gegen Metellus, in der Tat des Winkes harrend, der ihn zum Eingreifen in die gründlich verwirrten Angelegenheiten des kleinasiatischen Kontinents berief. Was von Lucullus’ Heer nach den erlittenen Verlusten und der Verabschiedung der Fimbrianischen Legionen noch übrig war, stand untätig am oberen Halys in der Landschaft der Trokmer an der Grenze des pontischen Gebietes. Den Oberbefehl führte einstweilen immer noch Lucullus, da sein ernannter Nachfolger Glabrio fortfuhr, in Vorderasien zu säumen. Ebenso untätig lagerten in Kilikien die drei von Quintus Marcius Rex befehligten Legionen. Das pontische Gebiet war wieder ganz in der Gewalt des Königs Mithradates, der die einzelnen Männer und Gemeinden, die den Römern sich angeschlossen hatten, wie zum Beispiel die Stadt Eupatoria, mit grausamer Strenge ihren Abfall büßen ließ. Zu einer ernsten Offensive gegen die Römer schritten die Könige des Ostens nicht, sei es daß sie überhaupt nicht in ihrem Plan lag, sei es, was auch behauptet wurde, daß Pompeius’ Landung in Kilikien die Könige Mithradates und Tigranes bewog, von weiterem Vorgehen abzustehen. Rascher als Pompeius selbst es gehofft haben mochte, verwirklichte das Manilische Gesetz seine im stillen genährten Hoffnungen: Glabrio und Rex wurden abberufen und die Statthalterschaften Pontus-Bithynien und Kilikien mit den darin stehenden Truppen sowie die Führung des Pontisch-Armenischen Krieges nebst der Befugnis, mit den Dynasten des Ostens nach eigenem Gutdünken Krieg, Frieden und Bündnis zu machen, auf Pompeius übertragen. Über die Aussicht auf so reiche Ehren und Spolien vergaß Pompeius gern die Züchtigung eines übellaunigen und seine sparsamen Lorbeerblätter neidisch hütenden Optimaten, gab den Zug gegen Kreta und die fernere Verfolgung der Korsaren auf und bestimmte auch seine Flotte zu Unterstützung des Angriffs, den er gegen die Könige von Pontus und Armenien entwarf. Doch verlor er über diesen Landkrieg die immer wieder aufs neue ihr Haupt erhebende Piraterie keineswegs völlig aus den Augen. Ehe er Asien verließ (691 63), ließ er daselbst noch die nötigen Schiffe gegen die Korsaren instand setzen; auf seinen Antrag ward das Jahr darauf für Italien eine ähnliche Maßregel beschlossen und die dazu nötige Summe vom Senat bewilligt. Man fuhr fort, die Küsten mit Reiterbesatzungen und kleinen Geschwadern zu decken. Wenn man auch, wie schon die später zu erwähnenden Expeditionen gegen Kypros 696 (58) und gegen Ägypten 699 (55) beweisen, der Piraterie nicht durchaus Herr ward, so hat dieselbe doch nach der Expedition des Pompeius unter allen Wechselfällen und politischen Krisen Roms niemals wieder so ihr Haupt emporheben und so völlig die Römer an der See verdrängen können, wie es unter dem Regiment der verrotteten Oligarchie geschehen war.

Die wenigen Monate, die vor dem Beginn des kleinasiatischen Feldzugs noch übrig waren, wurden von dem neuen Oberfeldherrn mit angestrengter Tätigkeit zu diplomatischen und militärischen Vorbereitungen benutzt. Es gingen Gesandte an Mithradates, mehr um zu kundschaften, als um eine ernstliche Vermittlung zu versuchen. Am pontischen Hofe hoffte man, daß der König der Parther, Phraates, durch die letzten bedeutenden Erfolge, die die Verbündeten über Rom davongetragen hatten, sich zum Eintritt in das pontisch-armenische Bündnis bestimmen lassen werde. Dem entgegenzuwirken gingen römische Boten an den Hof von Ktesiphon; und ihnen kamen die inneren Wirren zu Hilfe, die das armenische Herrscherhaus zerrissen. Des Großkönigs Tigranes gleichnamiger Sohn hatte sich gegen seinen Vater empört, sei es daß er den Tod des Greises nicht abwarten mochte, sei es daß der Argwohn desselben, der schon mehreren seiner Brüder das Leben gekostet hatte, ihn die einzige Möglichkeit der Rettung in der offenen Empörung sehen ließ. Vom Vater überwunden, hatte er mit einer Anzahl vornehmer Armenier sich an den Hof des Arsakiden geflüchtet und intrigierte dort gegen den Vater. Es war zum Teil sein Werk, daß Phraates den Lohn für den Beitritt, der ihm von beiden Seiten geboten ward, den gesicherten Besitz Mesopotamiens, lieber aus der Hand der Römer nahm und den mit Lucullus hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertrag mit Pompeius erneuerte, ja sogar darauf einging, mit den Römern gemeinschaftlich gegen Armenien zu operieren. Noch größeren Schaden als durch die Förderung des Bündnisses zwischen den Römern und den Parthern tat der jüngere Tigranes den Königen Tigranes und Mithradates dadurch, daß sein Aufstand eine Spaltung zwischen ihnen selbst hervorrief. Der Großkönig näherte im geheimen den Argwohn, daß der Schwiegervater bei der Schilderhebung seines Enkels - die Mutter des jüngeren Tigranes, Kleopatra, war die Tochter Mithradats - die Hand im Spiel gehabt haben möge, und wenn es auch darüber nicht zum offenen Bruch kam, so war doch das gute Einverständnis der beiden Monarchen eben in dem Augenblick gestört, wo sie desselben am dringendsten bedurften.

Zugleich betrieb Pompeius die Rüstungen mit Energie. Die asiatischen Bundes- und Klientelgemeinden wurden gemahnt, den vertragsmäßigen Zuzug zu leisten. Öffentliche Anschläge forderten die entlassenen Veteranen der Legionen Fimbrias auf, als Freiwillige wieder unter die Fahnen zurückzutreten, und durch große Versprechungen und den Namen des Pompeius ließ ein ansehnlicher Teil derselben in der Tat sich bestimmen, dem Rufe zu folgen. Die gesamte Streitmacht, die unter Pompeius’ Befehlen vereinigt war, mochte mit Ausschluß der Hilfsvölker sich auf etwa 40-50000 Mann belaufen ^1.

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^1 Pompeius verteilte unter seine Soldaten und Offiziere als Ehrengeschenk 384 Mill. Sesterzen (= 16000 Talente; App. Mithr. 116); da die Offiziere 100 Mill. empfingen (Plin. nat. 37, 2, 16), von den gemeinen Soldaten aber jeder 6000 Sesterzen (Plin., App.), so zählte das Heer noch bei dem Triumph etwa 40000 Mann.

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Im Frühjahr 688 (66) begab sich Pompeius nach Galatien, um den Oberbefehl über die Truppen Luculls zu übernehmen und mit ihnen in das pontische Gebiet einzurücken, wohin die kilikischen Legionen angewiesen waren zu folgen. In Danala, einer Ortschaft der Trokmer, trafen die beiden Feldherren zusammen; die Versöhnung aber, die die beiderseitigen Freunde zu bewirken gehofft hatten, ward nicht erreicht. Die einleitenden Höflichkeiten gingen bald über in bittere Erörterungen und diese in heftigen Wortwechsel; man schied verstimmter, als man gekommen war. Da Lucullus fortfuhr, gleich als wäre er noch im Amte, Ehrengeschenke zu machen und Ländereien zu verteilen, so erklärte Pompeius alle nach seinem Eintreffen von seinem Amtsvorgänger vollzogenen Handlungen für nichtig. Formell war er in seinem Recht; sittlichen Takt in der Behandlung eines verdienten und mehr als genug gekränkten Gegners durfte man bei ihm nicht suchen.

Sowie es die Jahreszeit erlaubte, überschritten die römischen Truppen die pontische Grenze. Gegen sie stand hier mit 30000 Mann zu Fuß und 3000 Reitern König Mithradates. Im Stich gelassen von seinen Verbündeten und mit verstärkter Macht und Energie von Rom angegriffen, machte er einen Versuch, Frieden zu erwirken; allein von unbedingter Unterwerfung, die Pompeius forderte, wollte er nichts hören - was konnte der unglücklichste Feldzug ihm Schlimmeres bringen? Um sein Heer, größtenteils Schützen und Reiter, nicht dem furchtbaren Stoß der römischen Linieninfanterie preiszugeben, wich er langsam vor dem Feinde zurück und nötigte die Römer, ihm auf seinen Kreuz- und Quermärschen zu folgen, wobei er, wo Gelegenheit dazu war, mit seiner überlegenen Reiterei der feindlichen standhielt und den Römern durch die Erschwerung der Verpflegung nicht geringe Drangsale bereitete. Ungeduldig gab endlich Pompeius es auf, die pontische Armee zu begleiten und ging, den König stehen lassend, daran, das Land zu unterwerfen: er rückte an den oberen Euphrat, überschritt ihn und betrat die östlichen Provinzen des Pontischen Reiches. Aber auch Mithradates folgte auf das linke Euphratufer nach, und in der Anaitischen oder Akilisenischen Landschaft angelangt, verlegte er den Römern den Weg bei der festen und mit Wasser wohl versehenen Burg Dasteira, von wo aus er mit seinen leichten Truppen das Blachfeld beherrschte. Pompeius, immer noch der kilikischen Legionen entbehrend und ohne sie nicht stark genug, um sich in dieser Lage zu behaupten, mußte über den Euphrat zurückgehen und in dem waldigen, von Felsschluchten und Tieftälern vielfach durchschnittenen Terrain des pontischen Armenien vor den Reitern und Bogenschützen des Königs Schutz suchen. Erst als die Truppen aus Kilikien eintrafen und es möglich machten, nun mit Übermacht die Offensive wiederaufzunehmen, ging Pompeius wieder vor, umschloß das Lager des Königs mit einer Postenkette von fast vier deutschen Meilen Länge und hielt ihn hier förmlich blockiert, während die römischen Detachements die Gegend weit umher durchstreiften. Die Not im pontischen Lager war groß; schon mußte die Bespannung niedergestoßen werden, endlich nach fünfundvierzigtägigem Verweilen ließ der König seine Kranken und Verwundeten, da er sie weder retten konnte, noch dem Feinde in die Hände fallen lassen wollte, durch die eigenen Leute niedermachen und brach zur Nachtzeit in möglichster Stille auf gegen Osten. Vorsichtig folgte Pompeius durch das unbekannte Land; schon näherte der Marsch sich der Grenze, die Mithradates’ und Tigranes’ Gebiete voneinander schied. Als der römische Feldherr erkannte, daß Mithradates nicht innerhalb seines Gebietes den Kampf zur Entscheidung zu bringen, sondern den Feind in die grenzenlosen Fernen des Ostens sich nachzuziehen gedenke, entschloß er sich, dies nicht zu gestatten. Die beiden Heere lagerten hart aneinander. Während der Mittagsrast brach das römische auf, ohne daß der Feind es bemerkte, umging ihn und besetzte die vorwärts liegenden und einen vom Feinde zu passierenden Engpaß beherrschenden Anhöhen am südlichen Ufer des Flusses Lykos (Jeschil Irmak) unweit des heutigen Enderes, da wo später Nikopolis erbaut ward. Den folgenden Morgen brachen die Pontiker in gewohnter Weise auf und, den Feind wie bisher hinter sich vermutend, schlugen sie nach zurückgelegtem Tagesmarsch ihr Lager eben in dem Tale, dessen Höhenring die Römer besetzt hatten. Plötzlich erscholl in der Stille der Nacht rings im Kreise um sie der gefürchtete Schlachtruf der Legionen und regneten von allen Seiten die Geschosse in die asiatischen Heerhaufen, in denen Soldaten und Troß, Wagen, Pferde, Kamele sich durcheinander schoben und in deren dichtem Knäuel trotz der Dunkelheit kein Geschoß fehlging. Als die Römer sich verschossen hatten, stürmten sie von den Höhen herab auf die in dem Scheine des inzwischen aufgegangen Mondes sichtbar gewordenen und fast wehrlos ihnen preisgegebenen Scharen, und was nicht von dem Eisen der Feinde fiel, ward in dem fürchterlichen Gedränge unter den Hufen und Rädern zermalmt. Es war das letzte Schlachtfeld, auf welchem der greise König mit den Römern gestritten hat. Mit drei Begleitern, zweien seiner Reiter und einer Kebse, die in Männertracht ihm zu folgen und tapfer neben ihm zu streiten gewohnt war, entrann er von dort zu der Feste Sinoria, wo sich ein Teil seiner Getreuen zu ihm fand. Er teilte seine hier aufbewahrten Schätze, 6000 Talente Goldes (11 Mill. Taler), unter sie aus, versah sie und sich mit Gift und eilte mit dem ihm gebliebenen Haufen den Euphrat hinauf, um mit seinem Verbündeten, dem Großkönig von Armenien, sich zu vereinigen.

Auch diese Hoffnung war eitel; das Bündnis, auf das vertrauend Mithradates den Weg nach Armenien einschlug, bestand damals bereits nicht mehr. Während der eben erzählten Kämpfe zwischen Mithradates und Pompeius war der Partherkönig, dem Drängen der Römer und vor allem dem des landflüchtigen armenischen Prinzen nachgebend, mit gewaffneter Hand in das Reich des Tigranes eingefallen und hatte denselben gezwungen, sich in die unzugänglichen Gebirge zurückzuziehen. Die Invasionsarmee begann sogar die Belagerung der Hauptstadt Artaxata; allein da dieselbe sich in die Länge zog, entfernte sich König Phraates mit dem größten Teil seiner Truppen, worauf Tigranes das zurückgebliebene parthische Korps und die von seinem Sohn geführten armenischen Emigranten überwältigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft wiederherstellte. Begreiflicherweise indes war unter diesen Umständen der König wenig geneigt, mit den aufs neue siegreichen Römern zu schlagen, am wenigsten sich für Mithradates aufzuopfern, dem er minder traute als je, seit ihm die Meldung zugekommen war, daß sein rebellischer Sohn beabsichtige, sich zu dem Großvater zu begeben. So knüpfte er mit den Römern Unterhandlungen über einen Sonderfrieden an; aber er wartete den Abschluß des Vertrages nicht ab, um das Bündnis, das ihn an Mithradates fesselte, zu zerreißen. An der armenischen Grenze angelangt, mußte dieser vernehmen, daß der Großkönig Tigranes einen Preis von 100 Talenten (150000 Taler) auf seinen Kopf gesetzt, seine Gesandten festgenommen und sie den Römern ausgeliefert habe. König Mithradates sah sein Reich in den Händen des Feindes, seine Bundesgenossen im Begriff, mit demselben sich zu vergleichen; es war nicht möglich, den Krieg fortzusetzen; er mußte sich glücklich schätzen, wenn es ihm gelang, sich an die Ost- und Nordgestade des Schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtrünnigen und mit den Römern in Verbindung getretenen Sohn Machares wieder aus dem Bosporanischen Reiche zu verdrängen und an der Mäotis für neue Entwürfe einen neuen Boden zu finden. So schlug er sich nordwärts. Als der König auf der Flucht die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, überschritten hatte, stellte Pompeius vorläufig seine Verfolgung ein; statt aber in das Quellgebiet des Euphrat zurückzukehren, wandte er sich seitwärts in das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen. Fast ohne Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Großkönigs sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Diadem aus der Hand der Römer zu empfangen hoffte und darum den Abschluß des Vertrages zwischen seinem Vater und den Römern in jeder Weise zu hindern bemüht war. Der Großkönig war nur um so mehr entschlossen, den Frieden um jeden Preis zu erkaufen. Zu Pferd und ohne Purpurgewand, aber geschmückt mit der königlichen Stirnbinde und dem königlichen Turban erschien er an der Pforte des römischen Lagers und begehrte, vor den römischen Feldherrn geführt zu werden. Nachdem er hier auf Geheiß der Liktoren, wie die römische Lagerordnung es erheischte, sein Roß und sein Schwert abgegeben hatte, warf er nach Barbarenart sich dem Prokonsul zu Füßen und legte zum Zeichen der unbedingten Unterwerfung Diadem und Tiara in seine Hände. Pompeius, hocherfreut über den mühelosen Sieg, hob den gedemütigten König der Könige auf, schmückte ihn wieder mit den Abzeichen seiner Würde und diktierte den Frieden. Außer einer Zahlung von 9 Mill. Talern (6000 Talente) an die Kriegskasse und einem Geschenk an die Soldaten, wovon auf jeden einzelnen 50 Denare (15 Taler) kamen, trat der König alle gemachten Eroberungen wieder ab, nicht bloß die phönikischen, syrischen, kilikischen, kappadokischen Besitzungen, sondern auch am rechten Ufer des Euphrat Sophene und Korduene; er ward wieder beschränkt auf das eigentliche Armenien und mit seinem Großkönigtum war es von selber vorbei. In einem einzigen Feldzuge hatte Pompeius die beiden mächtigen Könige von Pontus und Armenien vollständig unterworfen. Am Anfang des Jahres 688 (66) stand kein römischer Soldat jenseits der Grenze der altrömischen Besitzungen, am Schlusse desselben irrte König Mithradates landflüchtig und ohne Heer in den Schluchten des Kaukasus und saß König Tigranes auf dem armenischen Thron nicht mehr als König der Könige, sondern als römischer Lehnfürst. Das gesamte kleinasiatische Gebiet westlich vom Euphrat gehorchte den Römern unbedingt; die siegreiche Armee nahm ihre Winterquartiere östlich von diesem Strom auf armenischem Boden, in der Landschaft vom oberen Euphrat bis an den aus welchem damals zuerst die Italiker ihre Rosse tränkten.

Aber das neue Gebiet, das die Römer hier betraten, erweckte ihnen neue Kämpfe. Unwillig sahen die tapferen Völkerschaften des mittleren und östlichen Kaukasus die fernen Okzidentalen auf ihrem Gebiet lagern. Es wohnten dort in der fruchtbaren und wasserreichen Hochebene des heutigen Georgien die Iberer, eine tapfere, wohlgeordnete, ackerbauende Nation, deren Geschlechtergaue unter ihren Ältesten das Land nach Feldgemeinschaft bestellten, ohne Sondereigentum der einzelnen Bauern. Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen teils die Herrengeschlechter, daraus immer der Älteste der ganzen iberischen Nation als König, der Nächstälteste als Richter und Heerführer vorstand, teils besondere Priesterfamilien, denen vornehmlich oblag, die Kunde der mit anderen Völkern geschlossenen Verträge zu bewahren und über deren Einhaltung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als Leibeigene des Königs. Auf einer weit niedrigeren Kulturstufe standen ihre östlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am unteren Kur bis zum Kaspischen Meere hinab saßen. Vorwiegend ein Hirtenvolk, weideten sie, zu Fuß oder zu Pferde, ihre zahlreichen Herden auf den üppigen Wiesen des heutigen Schirwan; die wenigen Ackerfelder wurden noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne Schar bestellt. Münze war unbekannt und über hundert ward nicht gezählt. Jeder ihrer Stämme, deren sechsundzwanzig waren, hatten seinen eigenen Häuptling und sprach seinen besonderen Dialekt. An Zahl den Iberern weit überlegen, vermochten sich die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben zu messen. Die Fechtart beider Nationen war übrigens im ganzen die gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurfspießen, die sie häufig nach Indianerart aus Waldverstecken, hinter Baumstämmen hervor oder von den Baumwipfeln herab, auf den Feind entsendeten; die Albaner hatten auch zahlreiche, zum Teil nach medisch-armenischer Art mit schweren Kürassen und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen lebten auf ihren Äckern und Triften in vollkommener, seit unvordenklicher Zeit bewahrter Unabhängigkeit. Den Kaukasus scheint gleichsam die Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die Völkerfluten aufgerichtet zu haben: an ihm hatten einst die Waffen des Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden; jetzt schickte die tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an, sie auch gegen die Römer zu verteidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, daß der römische Oberfeldherr im nächsten Frühjahr das Gebirge zu überschreiten und den pontischen König jenseits des Kaukasus zu verfolgen beabsichtige - den Mithradates, vernahm man, überwinterte in Dioskurias (Iskuria zwischen Suchum Kale und Anaklia) am Schwarzen Meer -, überschritten zuerst die Albaner unter dem Fürsten Oroizes noch im Mittwinter 688/89 (66/65) den Kur und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei größere Korps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompeius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Hauptangriff traf, hielt tapfer stand und Pompeius selbst verfolgte, nachdem er sich des gegen ihn geschickten Haufens entledigt, die auf allen Punkten geschlagenen Barbaren bis an den Kur. Der König der Iberer, Artokes, hielt sich ruhig und versprach Frieden und Freundschaft; allein Pompeius, davon benachrichtigt, daß er insgeheim rüste, um die Römer bei ihrem Marsche in den Pässen des Kaukasus zu überfallen, rückte im Frühjahr 689 (65), bevor er die Verfolgung des Mithradates wiederaufnahm, vor die beiden kaum eine halbe deutsche Meile voneinander entfernten Festungen Harmozika (Horumziche oder Armazi) und Seusamora (Tsumar), welche wenig oberhalb des heutigen Tiflis die beiden Flußtäler des Kur und seines Nebenflusses Aragua und damit die einzigen von Armenien nach Iberien führenden Pässe beherrschen. Artokes, eher er dessen sich versah, vom Feinde überrascht, brannte eiligst die Kurbrücke ab und wich unterhandelnd in das innere Land zurück. Pompeius besetzte die Festungen und folgte den Iberern auf das andere Ufer des Kur, wodurch er sie zu sofortiger Unterwerfung zu bestimmen hoffte. Artokes aber wich weiter und weiter in das innere Land zurück, und als er endlich am Fluß Peloros Halt machte, geschah es nicht, um sich zu ergeben, sondern um zu schlagen. Allein dem Anprall der Legionen standen doch die iberischen Schützen keinen Augenblick, und da Artokes auch den Peioros von den Römern überschritten sah, fügte er sich endlich den Bedingungen, die der Sieger stellte, und sandte seine Kinder als Geiseln. Pompeius marschierte jetzt, seinem früher entworfenen Plane gemäß, durch den Sarapanapaß aus dem Gebiet des Kur in das des Phasis und von da am Flusse hinab an das Schwarze Meer, wo an der kolchischen Küste die Flotte unter Servilius bereits seiner harrte. Aber es war ein unsicherer Gedanke und fast ein wesenloses Ziel, dem zuliebe man Heer und Flotte an den märchenreichen kolchischen Strand geführt hatte. Der soeben mühselig zurückgelegte Zug durch unbekannte und meist feindliche Nationen war nichts, verglichen mit dem, der noch bevorstand; und wenn es denn wirklich gelang, von der Phasismündung aus die Streitmacht nach der Krim zu führen, durch kriegerische und arme Barbarenstämme, auf unwirtlichen und unbekannten Gewässern, längs einer Küste, wo an einzelnen Stellen die Gebirge lotrecht in die See hinabfallen und es schlechterdings notwendig gewesen wäre, die Schiffe zu besteigen; wenn es gelang, diesen Zug zu vollenden, der vielleicht schwieriger war als die Heerfahrten Alexanders und Hannibals - was ward im besten Falle damit erzielt, das irgend den Mühen und Gefahren entsprach? Freilich war der Krieg nicht geendigt, solange der alte König noch unter den Lebenden war; aber wer bürgte dafür, daß es wirklich gelang, das königliche Wild zu fangen, um dessentwillen diese beispiellose Jagd angestellt werden sollte? War es nicht besser, selbst auf die Gefahr hin, daß Mithradates noch einmal die Kriegsfackel nach Kleinasien schleudere, von einer Verfolgung abzustehen, die so wenig Gewinn und so viele Gefahren verhieß? Wohl drängten den Feldherrn zahlreiche Stimmen im Heer, noch zahlreichere in der Hauptstadt, die Verfolgung unablässig und um jeden Preis fortzusetzen; aber es waren Stimmen teils tolldreister Hitzköpfe, teils derjenigen perfiden Freunde, die den allzumächtigen Imperator gern um jeden Preis von der Hauptstadt ferngehalten und ihn im Osten in unabsehbare Unternehmungen verwickelt hätten. Pompeius war ein zu erfahrener und zu bedächtiger Offizier, um im hartnäckigen Festhalten an einer so unverständigen Expedition seinen Ruhm und sein Heer auf das Spiel zu setzen; ein Aufstand der Albaner im Rücken des Heeres gab den Vorwand her, um die weitere Verfolgung des Königs aufzugeben und die Rückkehr anzuordnen. Die Flotte erhielt den Auftrag, in dem Schwarzen Meer zu kreuzen, die kleinasiatische Nordküste gegen jeden feindlichen Einfall zu decken, den Kimmerischen Bosporus aber streng zu blockieren unter Androhung der Lebensstrafe für jeden Kauffahrer, der die Blockade brechen würde. Die Landtruppen führte Pompeius nicht ohne große Beschwerden durch das kolchische und armenische Gebiet an den unteren Lauf des Kur und weiter, den Strom überschreitend, in die albanische Ebene. Mehrere Tage mußte das römische Heer in der glühenden Hitze durch dies wasserarme Blachland marschieren, ohne auf den Feind zu treffen; erst am linken Ufer des Abas (wahrscheinlich der sonst Alazonios, jetzt Alasan genannte Fluß) stellte unter Führung des Koses, Bruders des Königs Oroizes, sich die Streitmacht der Albaner den Römern entgegen; sie soll mit Einschluß des von den transkaukasischen Steppenbewohnern eingetroffenen Zuzuges 60000 Mann zu Fuß und 12000 Reiter gezählt haben. Dennoch hätte sie schwerlich den Kampf gewagt, wenn sie nicht gemeint hätte, bloß mit der römischen Reiterei fechten zu sollen; aber die Reiter waren nur vorangestellt und wie diese sich zurückzogen, zeigten sich dahinter verborgen die römischen Infanteriemassen. Nach kurzem Kampfe war das Heer der Barbaren in die Wälder versprengt, die Pompeius zu umstellen und anzuzünden befahl. Die Albaner bequemten sich hierauf, Frieden zu machen und dem Beispiele der mächtigeren Völker folgend, schlossen alle zwischen dem Kur und dem Kaspischen Meer sitzenden Stämme mit dem römischen Feldherrn Vertrag ab. Die Albaner, Iberer und überhaupt die südlich am und unter dem Kaukasus ansässigen Völkerschaften traten also wenigstens für den Augenblick in ein abhängiges Verhältnis zu Rom. Wenn dagegen auch die Völker zwischen dem Phasis und der Mäotis, Kolcher, Soaner, Heniocher, Zyger, Achäer, sogar die fernen Bastarner dem langen Verzeichnis der von Pompeius unterworfenen Nationen eingereiht wurden, so nahm man dabei offenbar es mit dem Begriff der Unterwerfung sehr wenig genau. Der Kaukasus bewährte sich abermals in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung; wie die persische und die hellenische fand auch die römische Eroberung an ihm ihre Grenze.

So blieb denn König Mithradates sich selbst und dem Verhängnis überlassen. Wie einst sein Ahnherr, der Gründer des Pontischen Staates, sein künftiges Reich zuerst betreten hatte, flüchtend vor den Häschern des Antigonos und nur von sechs Reitern begleitet, so hatte nun der Enkel die Grenzen seines Reiches wieder überschreiten und seine und seiner Väter Eroberungen mit dem Rücken ansehen müssen. Aber die Würfel des Verhängnisses hatten keinem öfter und launenhafter die höchsten Gewinste und die gewaltigsten Verluste zugeworfen als dem alten Sultan von Sinope, und rasch und unberechenbar wechseln die Geschicke im Osten. Wohl mochte Mithradates jetzt am Abend seines Lebens jeden neuen Wechselfall mit dem Gedanken hinnehmen, daß auch er nur wieder einen neuen Umschwung vorbereite und das einzig Stetige der ewige Wandel der Geschicke sei. War doch die römische Herrschaft der Orientalen im tiefsten Grunde ihres Wesens unerträglich und Mithradates selbst, im Guten wie im Bösen, der rechte Fürst des Ostens; bei der Schlaffheit des Regiments, wie der römische Senat es über die Provinzen übte, und bei dem gärenden und zum Bürgerkriege reifenden Hader der politischen Parteien in Rom konnte Mithradates, wenn es ihm glückte, seine Zeit abzuwarten, gar wohl noch zum drittenmal seine Herrschaft wiederherstellen. Darum eben, weil er hoffte und plante, solange Leben in ihm war, blieb er den Römern gefährlich, solange er lebte, als landflüchtiger Greis nicht minder wie da er mit seinen Hunderttausenden ausgezogen war, um Hellas und Makedonien den Römern zu entreißen. Der rastlose alte Mann gelangte im Jahre 689 (85) von Dioskurias unter unsäglichen Beschwerden teils zu Lande, teils zur See in das Reich von Pantikapäon, stürzte hier durch sein Ansehen und sein starkes Gefolge seinen abtrünnigen Sohn Machares vom Thron und zwang ihn, sich selber den Tod zu geben. Von hier aus versuchte er noch einmal, mit den Römern zu unterhandeln; er bat, ihm sein väterliches Reich zurückzugeben und erklärte sich bereit, die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnfürst Zins zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich, dem König eine Stellung zu gewähren, in der er das alte Spiel aufs neue begonnen haben würde, und bestand darauf, daß er sich persönlich unterwerfe. Mithradates aber dachte nicht daran, sich dem Feinde in die Hände zu liefern, sondern entwarf neue und immer ausschweifendere Pläne. Mit Anspannung aller der Mittel, die seine geretteten Schätze und der Rest seiner Staaten ihm darboten, rüstete er ein neues, zum Teil aus Sklaven bestehendes Heer von 36000 Mann, das er nach römischer Art bewaffnete und einübte, und eine Kriegsflotte; dem Gerücht zufolge beabsichtigte er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien westwärts zu ziehen, die Skythen in den sarmatischen Steppen, die Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit sich fortzureißen und mit dieser Völkerlawine sich auf Italien zu stürzen. Man hat dies wohl großartig gefunden und den Kriegsplan des pontischen Königs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber derselbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird eine Torheit in einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orientalen in Italien war einfach lächerlich und nichts als die Ausgeburt einer ohnmächtigen phantasierenden Verzweiflung. Durch die vorsichtige Kaltblütigkeit ihres Führers blieben die Römer davor bewahrt, dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen und in der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er nicht in sich selber erstickte, immer noch früh genug am Fuße der Alpen begegnet ward. In der Tat, während Pompeius, ohne weiter um die Drohungen des ohnmächtigen Riesen sich zu bekümmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen beschäftigt war, erfüllten ohne sein Zutun sich im entlegenen Norden die Geschicke des greisen Königs. Die unverhältnismäßigen Rüstungen hatten unter den Bosporanern, denen man die Häuser einriß, die Ochsen vom Pflug spannte und niederstieß, um Balken und Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gärung hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig an die hoffnungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben gewesen von Argwohn und Verrat; er hatte nicht die Gabe, Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in früheren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genötigt hatte, im römischen Lager Schutz zu suchen, wie während der Feldzüge Luculls seine vertrautesten Offiziere Diokles, Phönix, sogar die namhaftesten römischen Emigranten zum Feind übergegangen waren, so folgte jetzt, wo sein Stern erblich und der alte, kranke, verbitterte Sultan keinem mehr als seinen Verschnittenen zugänglich war, noch rascher Abfall auf Abfall. Der Kommandant der Festung Phanagoria (auf der asiatischen Küste Kertsch gegenüber), Kastor, erhob zuerst die Fahne des Aufstandes; er proklamierte die Freiheit der Stadt und lieferte die in der Festung befindlichen Söhne Mithradats in die Hände der Römer. Während unter den bosporanischen Städten der Aufstand sich ausbreitete, Chersonesos (unweit Sevastopol), Theudosia (Kaffa) und andere sich den Phanagoriten anschlossen, ließ der König seinem Argwohn und seiner Grausamkeit den Lauf. Auf die Anzeige verächtlicher Eunuchen hin wurden seine Vertrautesten an das Kreuz geschlagen; die eigenen Söhne des Königs waren ihres Lebens am wenigsten sicher. Derjenige von ihnen, der des Vaters Liebling und wahrscheinlich von ihm zum Nachfolger bestimmt war, Pharnakes, entschloß sich und trat an die Spitze des Insurgenten. Die Häscher, welche Mithradates sandte, um ihn zu verhaften, die gegen ihn ausgeschickten Truppen gingen zu ihm über; das Korps der italischen Überläufer, vielleicht der tüchtigste unter den Mithradatischen Heerhaufen und ebendarum am wenigsten geneigt, die abenteuerliche und für die Überläufer besonders bedenkliche Expedition gegen Italien mitzumachen, erklärte sich in Masse für den Prinzen; die übrigen Heerabteilungen und die Flotte folgten dem gegebenen Beispiel. Nachdem die Landschaft und die Armee den König verlassen hatten, öffnete endlich auch die Hauptstadt Pantikapäon den Insurgenten die Tore und überlieferte ihnen den alten, in seinem Palaste eingeschlossenen König. Von der hohen Mauer seiner Burg flehte dieser den Sohn an, ihm wenigstens das Leben zu gewähren und nicht in das Blut des Vaters die Hände zu tauchen; aber die Bitte klang übel aus dem Munde eines Mannes, an dessen eigenen Händen das Blut der Mutter und das frisch vergossene seines unschuldigen Sohnes Xiphares klebte, und in seelenloser Härte und Unmenschlichkeit übertraf Pharnakes noch seinen Vater. Da es nun also zum Tode ging, so beschloß der Sultan, wenigstens zu sterben, wie er gelebt hatte: seine Frauen, seine Kebse und seine Töchter, unter diesen die jugendlichen Bräute der Könige von Ägypten und Kypros, sie alle mußten die Bitterkeit des Todes erleiden und den Giftbecher leeren, bevor auch er denselben nahm und dann, da der Trank nicht schnell genug wirkte, einem keltischen Söldner Betuitus den Nacken zum tödlichen Streiche darbot. So starb im Jahre 691 (63) Mithradates Eupator, im achtundsechzigsten Jahre seines Lebens, im siebenundfünfzigsten seiner Regierung, sechsundzwanzig Jahre nachdem er zum ersten Male gegen die Römer ins Feld gezogen war. Die Leiche, die König Pharnakes als Belegstück seiner Verdienste und seiner Loyalität an Pompeius sandte, ward auf dessen Anordnung beigesetzt in den Königsgräbern von Sinope.

Mithradates’ Tod galt den Römern einem Siege gleich: lorbeerbekränzt, als hätten sie einen solchen zu melden, erschienen die Boten, welche dem Feldherrn die Katastrophe berichteten, im römischen Lager von Jericho. Ein großer Feind ward mit ihm zu Grabe getragen, ein größerer, als je noch in dem schlaffen Osten einer den Römern erstanden war. Instinktmäßig fühlte es die Menge; wie einst Scipio mehr noch über Hannibal als über Karthago triumphiert hatte, so wurde auch die Überwindung der zahlreichen Stämme des Ostens und des Großkönigs selbst fast vergessen über Mithradates’ Tod, und bei Pompeius’ feierlichem Einzug zog nichts mehr die Blicke der Menge auf sich als die Schildereien, in denen man den König Mithradates als Flüchtling sein Pferd am Zügel führen, dann ihn sterbend zwischen den Leichen seiner Töchter niedersinken sah. Wie man auch über die Eigenartigkeit des Königs urteilen mag, er ist eine bedeutende, im vollen Sinne des Wortes weltgeschichtliche Gestalt. Er war keine geniale, wahrscheinlich nicht einmal eine reichbegabte Persönlichkeit; aber er besaß die sehr respektable Gabe zu hassen, und mit diesem Hasse hat er den ungleichen Kampf gegen die übermächtigen Feinde ein halbes Jahrhundert hindurch zwar ohne Erfolg, aber mit Ehren bestanden. Bedeutungsvoller noch als durch seine Individualität ward er durch den Platz, auf den die Geschichte ihn gestellt hat. Als der Vorläufer der nationalen Reaktion des Orients gegen die Okzidentalen hat er den neuen Kampf des Ostens gegen den Westen eröffnet; und das Gefühl, daß man mit seinem Tode nicht am Ende, sondern am Anfang sei, blieb den Besiegten wie den Siegern.

Pompeius inzwischen war, nachdem er im Jahre 689 (65) mit den Völkern des Kaukasus gekriegt hatte, zurückgegangen in das Pontische Reich und bezwang daselbst die letzten noch Widerstand leistenden Schlösser, welche, um dem Räuberunwesen zu steuern, geschleift, die Schloßbrunnen durch hineingewälzte Felsblöcke unbrauchbar gemacht wurden. Von da brach er im Sommer 690 (64) nach Syrien auf, um dessen Verhältnisse zu ordnen.

Es ist schwierig, den aufgelösten Zustand, in dem die syrischen Landschaften damals sich befanden, anschaulich darzulegen. Zwar hatte infolge der Angriffe Luculls der armenische Statthalter Magadates im Jahre 685 (69), diese Provinzen geräumt, und auch die Ptolemäer, so gern sie die Versuche ihrer Vorfahren, die syrische Küste zu ihrem Reiche zu fügen, erneuert haben würden, scheuten sich doch, durch die Okkupation Syriens die römische Regierung zu reizen, um so mehr als diese noch nicht einmal für Ägypten ihren mehr als zweifelhaften Rechtstitel reguliert hatte und von den syrischen Prinzen mehrfach angegangen worden war, sie als die legitimen Erben des erloschenen Lagidenhauses anzuerkennen. Aber wenn auch die größeren Mächte sich augenblicklich sämtlich der Einmischung in die Angelegenheiten Syriens enthielten, so litt das Land doch weit mehr, als es unter einem großen Krieg hätte leiden können, durch die end- und ziellosen Fehden der Fürsten, Ritter und Städte. Die faktischen Herren im Seleukidenreich waren derzeit die Beduinen, die Juden und die Nabatäer. Die unwirtliche, quell- und baumlose Sandsteppe, die von der Arabischen Halbinsel aus bis an und über den Euphrat sich hinziehend gegen Westen bis an den syrischen Gebirgszug und seinen schmalen Küstensaum, gegen Osten bis zu den reichen Niederungen des Tigris und des unteren Euphrat reicht, diese asiatische Sahara ist die uralte Heimat der Söhne Ismaels; seit es eine Überlieferung gibt, finden wir dort den “Bedawin”, den “Sohn der Wüste”, seine Zelte schlagen und seine Kamele weiden oder auch auf seinem geschwinden Roß Jagd machen, bald auf den Stammfeind, bald auf den wandernden Handelsmann. Begünstigt früher durch König Tigranes, der sich ihrer für seine handelspolitischen Pläne bediente, nachher durch die vollständige Meisterlosigkeit in dem syrischen Lande, breiteten diese Kinder der Wüste über das nördliche Syrien sich aus; namentlich spielten diejenigen Stämme hier politisch fast die erste Rolle, die durch die Nachbarschaft der zivilisierten Syrer die ersten Anfänge einer geordneten Existenz in sich aufgenommen hatten. Die namhaftesten unter diesen Emiren waren Abgaros, der Häuptling des Araberstammes der Mardaner, den Tigranes um Edessa und Karrhä im oberen Mesopotamien angesiedelt hatte; dann westlich vom Euphrat Sampsikeramos, Emir der Araber von Hemesa (Homs) zwischen Damaskos und Antiocheia und Herr der starken Festung Arethusa; Azizos, das Haupt einer anderen, in derselben Gegend streifenden Horde; Alchaudonios, der Fürst der Rhambäer, der schon mit Lucullus sich in Verbindung gesetzt hatte, und andere mehr. Neben diesen Beduinenfürsten waren überall dreiste Gesellen aufgetreten, die es den Kindern der Wüste in dem edlen Gewerbe der Wegelagerung gleich- oder auch zuvortaten: so Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn, vielleicht der mächtigste unter diesen syrischen Raubrittern und einer der reichsten Männer dieser Zeit, der über das Gebiet der Ityräer - der heutigen Drusen - in den Tälern des Libanos wie an der Küste und über die nördlich vorliegende Marsyasebene mit den Städten Heliopolis (Baalbek) und Chalkis gebot und 8000 Reiter aus seiner Tasche besoldete; so Dionaysios und Kinyras, die Herren der Seestädte Tripolis (Tarablus) und Byblos (zwischen Tarablus und Beirut); so der Jude Silas in Lysias, einer Festung unweit Apameia am Orontes.

Im Süden Syriens dagegen schien der Stamm der Juden sich um diese Zeit zu einer politischen Macht konsolidieren zu wollen. Durch die fromme und kühne Verteidigung des uralten jüdischen Nationalkultus, den der nivellierende Hellenismus der syrischen Könige bedrohte, war das Geschlecht der Hasmonäer oder der Makkabi nicht bloß zum erblichen Prinzipal und allmählich zu königlichen Ehren gelangt, sondern es hatten auch die fürstlichen Hochpriester erobernd nach Norden, Osten und Süden um sich gegriffen. Als der tapfere Jannaeos Alexandros starb (675 79) erstreckte sich das Jüdische Reich gegen Süden über das ganze philistäische Gebiet bis an die ägyptische Grenze, gegen Südosten bis an die des Nabatäerreiches von Petra, von welchem Jannaeos beträchtliche Strecken am rechten Ufer des Jordan und des Toten Meeres abgerissen hatte, gegen Norden über Samaria und die Dekapolis bis zum See Genezareth; schon machte er hier Anstalt, Ptolemais (Acco) einzunehmen und die Übergriffe der Ityräer erobernd zurückzuweisen. Die Küste gehorchte den Juden vom Berg Karmel bis nach Rhinokorura mit Einschluß des wichtigen Gaza - nur Askalon war noch frei -, so daß das einst vom Meer fast abgeschnittene Gebiet der Juden jetzt mit unter den Freistätten der Piraterie aufgeführt werden konnte. Wahrscheinlich hätten, zumal da der armenische Sturm, eben als er sich den Grenzen Judäas nahte, durch Lucullus’ Dazwischenkunft von dieser Landschaft abgewendet ward, die begabten Herrscher des Hasmonäischen Hauses ihre Waffen noch weiter getragen, wenn nicht die Machtentwicklung dieses merkwürdigen, erobernden Priesterstaates durch innere Spaltungen im Keime geknickt worden wäre. Der konfessionelle und der nationale Unabhängigkeitssinn, deren energische Vereinigung den Makkabäerstaat ins Leben gerufen hatte, traten rasch wieder aus- und sogar gegeneinander. Der jüdischen Orthodoxie oder dem sogenannten Pharisäismus genügte die freie Religionsübung, wie sie den syrischen Herrschern abgetrotzt worden war; ihr praktisches Ziel war eine von dem weltlichen Regiment wesentlich absehende, aus den Orthodoxen in aller Herren Ländern zusammengesetzte Judengemeinschaft, welche in der jedem gewissenhaften Juden obliegenden Steuer für den Tempel zu Jerusalem und in den Religionsschulen und geistlichen Gerichten ihre sichtbaren Vereinigungspunkte fand. Dieser von dem staatlichen Leben sich abwendenden, mehr und mehr in theologischer Gedankenlosigkeit und peinlichem Zeremonialdienst erstarrenden Orthodoxie gegenüber standen die Vertreter der nationalen Unabhängigkeit, erstarkt in den glücklichen Kämpfen gegen die Fremdherrschaft, vorschreitend zu dem Gedanken einer Wiederherstellung des jüdischen Staates, die Vertreter der alten großen Geschlechter, die sogenannten Sadduzäer, teils dogmatisch, indem sie nur die heiligen Bücher selber gelten ließen und den Vermächtnissen der Schriftgelehrten, das ist der kanonischen Tradition, nur Autorität, nicht Kanonizität zusprachen ^2; teils und vor allem politisch, indem sie anstatt des fatalistischen Zuwartens auf den starken Arm des Herrn Zebaoth das Heil der Nation erwarten lehrten von den Waffen dieser Welt und von der innerlichen und äußerlichen Stärkung des in den glorreichen Makkabäerzeiten wiederaufgerichteten Davidischen Reiches. Jene Orthodoxen fanden ihren Halt in der Priesterschaft und der Menge; sie bestritten den Hasmonäern die Legitimität ihrer Hohenpriesterschaft und fochten gegen die bösen Ketzer mit der ganzen rücksichtslosen Unversöhnlichkeit, womit die Frommen für den Besitz irdischer Güter zu streiten gewohnt sind. Die staatliche Partei dagegen stützte sich auf die von den Einflüssen des Hellenismus berührte Intelligenz, auf das Heer, in dem zahlreiche pisidische und kilikische Söldner dienten, und auf die tüchtigeren Könige, welche hier mit der Kirchengewalt rangen, ähnlich wie ein Jahrtausend später die Hohenstaufen mit dem Papsttum. Mit starker Hand hatte Jannaeos die Priesterschaft niedergehalten; unter seinen beiden Söhnen kam es (685f. 69) zu einem Bürger- und Bruderkrieg, indem die Pharisäer sich dem kräftigen Aristobulos widersetzten und versuchten, unter der nominellen Herrschaft seines Bruders, des gutmütigen und schlaffen Hyrkanos, ihre Zwecke zu erreichen. Dieser Zwist brachte nicht bloß die jüdischen Eroberungen ins Stocken, sondern gab auch auswärtigen Nationen Gelegenheit, sich einzumischen und dadurch im südlichen Syrien eine gebietende Stellung zu gewinnen. Zunächst gilt dies von den Nabatäern. Diese merkwürdige Nation ist oft mit ihren östlichen Nachbarn, den schweifenden Arabern, zusammengeworfen worden, aber näher als den eigentlichen Kindern Ismaels ist sie dem aramäischen Zweige verwandt. Dieser aramäische oder, nach der Benennung der Okzidentalen, syrische Stamm muß von seinen ältesten Sitzen um Babylon, wahrscheinlich des Handels wegen, in sehr früher Zeit eine Kolonie an die Nordspitze des Arabischen Meerbusens ausgeführt haben: dies sind die Nabatäer auf der Sinaitischen Halbinsel zwischen dem Golf von Suez und Aila und in der Gegend von Petra (Wadi Musa). In ihren Häfen wurden die Waren vom Mittelmeer gegen indische umgesetzt; die große südliche Karawanenstraße, die von Gaza zur Euphratmündung und dem Persischen Meerbusen lief, führte durch die Hauptstadt der Nabatäer Petra, deren heute noch prachtvolle Felspaläste und Felsengräber deutlicheres Zeugnis von der nabatäischen Zivilisation ablegen als die fast verschollene Überlieferung. Die Pharisäerführer, denen nach Priesterart der Sieg ihrer Partei um den Preis der Unabhängigkeit und Integrität des Landes nicht zu teuer erkauft schien, ersuchten den König der Nabatäer, Aretas, um Hilfe gegen Aristobulos, wofür sie alle von Jannäos ihm entrissenen Eroberungen an ihn zurückzugeben verhießen. Daraufhin war Aretas mit angeblich 50000 Mann in das jüdische Land eingerückt und, verstärkt durch den Anhang der Pharisäer, hielt er den König Aristobulos in seiner Hauptstadt belagert.

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^2 So verwarfen die Sadduzäer die Engel- und Geisterlehre und die Auferstehung der Toten. Die meisten überlieferten Differenzpunkte zwischen Pharisäern und Sadduzäern beziehen sich auf untergeordnete rituelle, juristische und Kalenderfragen. Charakteristisch ist es, daß die siegenden Pharisäer diejenigen Tage, an denen sie in den einzelnen Kontroversen definitiv die Oberhand behalten oder ketzerische Mitglieder aus dem Oberkonsistorium ausgestoßen hatten, in das Verzeichnis der Gedenk- und Festtage der Nation eingetragen haben.

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Unter dem Faust- und Fehderecht, die also von einem Ende Syriens zum andern herrschten, litten natürlich vor allen Dingen die größeren Städte, wie Antiocheia, Seleukeia, Damaskos, deren Bürger in ihrem Feldbau wie in ihrem See- und Karawanenhandel sich gelähmt sahen. Die Bürger von Byblos und Berytos (Beirut) vermochten weder ihre Äcker noch ihre Schiffe vor den Ityräern zu schützen, die von ihren Berg- und Seekastellen aus Land und Meer gleich unsicher machten. Die von Damaskos suchten der Angriffe der Ityräer und des Ptolemaeos dadurch sich zu erwehren, daß sie sich den entfernteren Königen der Nabatäer oder der Juden zu eigen gaben. In Antiocheia mischten sich Sampsikeramos und Azizos in die inneren Fehden der Bürgerschaft und fast wäre die hellenische Großstadt schon jetzt der Sitz eines arabischen Emirs geworden. Es waren Zustände, die an die königlosen Zeiten des deutschen Mittelalters erinnern, als Nürnberg und Augsburg nicht in des Königs Recht und Gericht, sondern einzig in ihren Wällen noch Schutz fanden; ungeduldig harrten die syrischen Kaufbürger des starken Arms, der ihnen Frieden und Verkehrssicherheit wiedergab. An einem legitimen König übrigens fehlte es in Syrien nicht; man hatte deren sogar zwei oder drei. Ein Prinz Antiochos aus dem Hause der Seleukiden war von Lucullus als Herr der nördlichsten syrischen Provinz Kommagene eingesetzt worden, Antiochos der Asiate, dessen Ansprüche auf den syrischen Thron sowohl bei dem Senat als bei Lucullus Anerkennung gefunden hatten, war nach dem Abzug der Armenier in Antiocheia aufgenommen und daselbst als König anerkannt worden. Ihm war dort sogleich ein dritter Seleukidenprinz, Philippos, als Nebenbuhler entgegengetreten, und es hatte die große, fast wie die alexandrinische bewegliche und oppositionslustige Bürgerschaft von Antiocheia sowie dieser und jener benachbarte arabische Emir sich eingemischt in den Familienzwist, der nun einmal von der Herrschaft der Seleukiden unzertrennlich schien. War es ein Wunder, daß die Legitimität den Untertanen zum Spott und zum Ekel ward und daß die sogenannten rechtmäßigen Könige noch etwas weniger im Lande galten als die kleinen Fürsten und Raubritter?

In diesem Chaos Ordnung zu schaffen, bedurfte es weder genialer Konzeptionen noch gewaltiger Machtentfaltung, wohl aber der klaren Einsicht in die Interessen Roms und seiner Untertanen, und der kräftigen und folgerechten Aufrichtung und Aufrechthaltung der als notwendig erkannten Institutionen. Die Legitimitätspolitik des Senats hatte sich sattsam prostituiert; den Feldherrn, den die Opposition ans Regiment gebracht, durften nicht dynastische Rücksichten leiten, sondern er hatte einzig darauf zu sehen, daß das Syrische Reich in Zukunft weder durch Zwist der Prätendenten noch durch die Begehrlichkeit der Nachbarn der römischen Klientel entzogen werde. Dazu aber gab es nur einen Weg: daß die römische Gemeinde durch einen von ihr gesandten Satrapen mit kräftiger Hand die Zügel der Regierung erfasse, die den Königen des regierenden Hauses mehr noch durch eigene Verschuldung als durch äußere Unfälle seit langem tatsächlich entglitten waren. Den Weg schlug Pompeius ein. Antiochos der Asiate erhielt auf seine Bitte, ihn als den angestammten Herrscher Syriens anzuerkennen, die Antwort, daß Pompeius einem Könige, der sein Reich weder zu behaupten noch zu regieren wisse, die Herrschaft nicht einmal auf die Bitte seiner Untertanen, geschweige denn gegen deren bestimmt ausgesprochene Wünsche zurückgeben werde. Mit diesem Briefe des römischen Prokonsuls war das Haus des Seleukos von dem Throne gestoßen, den es seit zweihundertfünfzig Jahren eingenommen hatte. Antiochos verlor bald darauf sein Leben durch die Hinterlist des Emirs Sampsikeramos, als dessen Klient er in Antiocheia den Herrn spielte; seitdem ist von diesen Schattenkönigen und ihren Ansprüchen nicht weiter die Rede. Wohl aber war es, um das neue römische Regiment zu begründen und eine leidliche Ordnung in die verwirrten Verhältnisse zu bringen, noch erforderlich, mit Heeresmacht in Syrien einzurücken und all die Störer der friedlichen Ordnung, die während der vieljährigen Anarchie emporgewachsen waren, durch die römischen Legionen zu schrecken oder niederzuwerfen. Schon während der Feldzüge im Pontischen Reiche und am Kaukasus hatte Pompeius den Angelegenheiten Syriens seine Aufmerksamkeit zugewandt und einzelne Beauftragte und Abteilungen wo es not tat eingreifen lassen. Aulus Gabinius - derselbe, der als Volkstribun Pompeius nach dem Osten gesandt hatte - war schon 689 (65) an den Tigris und sodann quer durch Mesopotamien nach Syrien marschiert, um die verwickelten Verhältnisse im jüdischen Lande zu schlichten. Ebenso war das schwer bedrängte Damaskos bereits durch Lollius und Metellus besetzt worden. Bald nachher traf ein anderer Adjutant des Pompeius, Marcus Scaurus, in Judäa ein, um die immer neu wieder daselbst ausbrechenden Fehden beizulegen. Auch Lucius Afrianus, der während Pompeius’ Expedition nach dem Kaukasus das Kommando über die römischen Truppen in Armenien führte, hatte von Korduene (dem nördlichen Kurdistan) aus sich in das obere Mesopotamien begeben und, nachdem er durch die hilfreiche Teilnahme der in Karrhä angesiedelten Hellenen den gefährlichen Weg durch die Wüste glücklich zurückgelegt hatte, die Araber in Osrhoene zur Botmäßigkeit gebracht. Gegen Ende des Jahres 690 (64), langte dann Pompeius selbst in Syrien an ^3 und verweilte dort bis zum Sommer des folgenden Jahres, entschlossen durchgreifend und für jetzt und künftig die Verhältnisse ordnend. Zurückgehend auf die Zustände des Reiches in den besseren Zeiten der Seleukidenherrschaft, wurden alle usurpierten Gewalten beseitigt, die Raubherren aufgefordert, ihre Burgen zu übergeben, die arabischen Scheichs wieder auf ihr Wüstengebiet beschränkt, die Verhältnisse der einzelnen Gemeinden definitiv geregelt. Diesen strengen Befehlen Gehorsam zu verschaffen, standen die Legionen bereit, und ihr Einschreiten erwies sich insbesondere gegen die verwegenen Raubritter als notwendig. Silas, der Herr von Lysias, der Herr von Tripolis, Dionysios, der Herr von Byblos, Kinyras, wurden in ihren Burgen gefangengenommen und hingerichtet, die Berg- und Seeschlösser der Ityräer gebrochen, Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn in Chalkis gezwungen, mit 1000 Talenten (1827000 Taler) Lösegeld sich Freiheit und Herrschaft zu erkaufen. Im übrigen fanden die Befehle des neuen Machthabers meistenteils widerstandslosen Gehorsam. Nur die Juden schwankten. Die früher von Pompeius gesandten Vermittler, Gabinius und Scaurus, hatten - beide, wie es heißt, mit bedeutenden Summen bestochen - im Streite der beiden Brüder Hyrkanos und Aristobulos zu Gunsten des letzteren entschieden, auch den König Aretas veranlaßt, die Belagerung von Jerusalem aufzuheben und sich in seine Heimat zu begeben, wobei er auf dem Rückweg noch von Aristobulos eine Niederlage erlitt. Als aber Pompeius in Syrien eintraf, kassierte er die Anordnungen seiner Untergebenen und wies die Juden an, ihre alte Hochpriesterverfassung, wie der Senat sie um 593 (61) anerkannt hatte, wieder einzuführen und wie auf das Fürstentum selbst, so auch auf alle von den Hasmonäischen Fürsten gemachten Eroberungen zu verzichten. Es waren die Pharisäer, welche eine Gesandtschaft von zweihundert ihrer angesehensten Männer an den römischen Feldherrn gesandt und von ihm den Sturz des Königtums ausgewirkt hatten; nicht zum Vorteil der eigenen Nation, aber wohl zu dem der Römer, die der Natur der Sache nach auch hier zurückkommen mußten auf die alten Rechte der Seleukiden und eine erobernde Macht, wie die des Jannaeos war, innerhalb ihres Reiches nicht dulden konnten. Aristobulos schwankte, ob es besser sei, das Unvermeidliche geduldig über sich ergehen zu lassen oder mit den Waffen in der Hand dem Verhängnis zu erliegen; bald schien er im Begriff, sich Pompeius zu unterwerfen, bald die nationale Partei unter den Juden zum Kampfe gegen die Römer aufzurufen. Als endlich, da schon die Legionen vor den Toren standen, er sich dem Feinde ergab, weigerte sich der entschlossenere oder fanatisiertere Teil seiner Armee, den Befehlen des unfreien Königs Folge zu leisten. Die Hauptstadt unterwarf sich; den steilen Tempelfelsen verteidigte jene fanatische Schar drei Monate hindurch mit todesmutiger Hartnäckigkeit, bis endlich während der Sabbathruhe der Belagerten die Belagerer eindrangen, des Heiligtums sich bemächtigten und die Anstifter dieser verzweifelten Gegenwehr, soweit sie nicht unter den römischen Schwertern gefallen waren, unter die Beile der Liktoren sandten. Damit ging der letzte Widerstand in den neu zum römischen Staat gezogenen Gebieten zu Ende.

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^3 Den Winter 689/90 (65/64) brachte Pompeius noch in der Nähe des Kaspischen Meeres zu (Dio 37, 7). Im Jahre 690 (64) unterwarf er zunächst im Pontischen Reiche die letzten noch Widerstand leistenden Burgen und zog dann langsam, überall die Verhältnisse regelnd, gegen Süden. Daß die Ordnung Syriens 690 (64) begann, bestätigt sich dadurch, daß die syrische Provinzialära mit diesem Jahre anhebt und durch Ciceros Angabe hinsichtlich Kommagenes (ad. Q. fr. 2. 12, 2; vgl. Dio 37, 7). Den Winter 691/90 (64/63) scheint Pompeius in Antiocheia sein Hauptquartier gehabt zu haben (Ios. bel. Iud. 14, 3, 1 u. 2, wo die Verwirrung von Niese im Hermes 11, 1877, S. 471 berichtigt worden ist).

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Das von Lucullus begonnene Werk hatte Pompeius vollendet: die bisher formell selbständigen Staaten Bithynien, Pontus und Syrien waren mit dem römischen vereinigt, die seit mehr als hundert Jahren als notwendig erkannte Vertauschung des schwächlichen Klientelsystems mit der unmittelbaren Herrschaft über die wichtigeren abhängigen Gebiete war endlich verwirklicht worden, sowie der Senat gestürzt und die Gracchische Partei ans Ruder gekommen war. Man hatte im Osten neue Grenzen erhalten, neue Nachbarn, neue freundliche und feindliche Beziehungen. Neu traten unter die mittelbar römischen Gebiete ein das Königreich Armenien und die kaukasischen Fürstentümer, ferner das Reich am Kimmerischen Bosporus, der geringe Überrest der ausgedehnten Eroberungen Mithradates Eupators, jetzt unter der Regierung seines Sohnes und Mörders Pharnakes ein römischer Klientelstaat; nur die Stadt Phanagoria, deren Befehlshaber Kastor das Signal zum Aufstand gegeben hatte, wurde dafür von den Römern als frei und unabhängig anerkannt. Nicht gleicher Erfolge konnte man gegen die Nabatäer sich rühmen. König Aretas hatte zwar, dem Begehren der Römer sich fügend, das jüdische Land geräumt; allein Damaskos war noch in seinen Händen und das Nabatäerland nun gar hatte noch kein römischer Soldat betreten. Um dies zu unterwerfen oder mindestens doch den neuen Nachbarn im arabischen Lande zu zeigen, daß jetzt am Orontes und am Jordan die römischen Adler geboten und daß die Zeit vorbei war, wo die syrischen Landschaften als herrenloses Gut zu brandschatzen jedem freistand, begann Pompeius im Jahre 691 (63) eine Expedition gegen Petra; allein aufgehalten durch den Aufstand der Juden, der während dieses Zuges zum Ausbruch kam, überließ er seinem Nachfolger Marcus Scaurus nicht ungern die Ausführung der schwierigen Unternehmung gegen die fern inmitten der Wüste gelegene Nabatäerstadt ^4. In der Tat sah auch Scaurus sich bald genötigt, unverrichteter Sache umzukehren. Er mußte sich begnügen, in den Wüsten am linken Ufer des Jordan die Nabatäer zu bekriegen, wo er sich auf die Juden zu stützen vermochte, aber doch auch nur sehr unbedeutende Erfolge davontrug. Schließlich überredete der gewandte jüdische Minister Antipatros aus Idumäa den Aretas, sich die Gewähr seiner sämtlichen Besitzungen mit Einschluß von Damaskos von dem römischen Statthalter um eine Geldsumme zu erkaufen; und dies ist denn der auf den Münzen des Scaurus verherrlichte Friede, wo König Aretas, das Kamel am Zügel, kniefällig, dem Römer den Ölzweig darreichend erscheint.

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^4 Zwar lassen Orosius (6, 6) und Dio (37, 15), ohne Zweifel beide nach Livius, Pompeius bis nach Petra gelangen, auch wohl die Stadt einnehmen oder gar das Rote Meer erreichen; allein daß er im Gegenteil bald nach Empfang der Nachricht von dem Tode Mithradats, die ihm auf dem Marsche nach Jerusalem zukam, aus Syrien nach Pontus zurückging, sagt Plutarch (Pomp. 41, 42) und wird durch Florus (1, 39) und Josephus (bel. Iud. 14, 3, 3 u. 4) bestätigt. Wenn König Aretas unter den von Pompeius Besiegten in den Bulletins figuriert, so genügte hierfür sein durch Pompeius veranlaßter Abzug von Jerusalem.

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Bei weitem folgenreicher als diese neuen Beziehungen der Römer zu den Armeniern, Iberern, Bosporanern und Nabatäern war die Nachbarschaft, in welche sie durch die Okkupation Syriens zu dem parthischen Staate traten. So geschmeidig die römische Diplomatie gegen Phraates aufgetreten war, als noch der pontische und der armenische Staat aufrecht standen, so willig damals sowohl Lucullus als Pompeius ihm den Besitz der Landschaften jenseits des Euphrat zugestanden hatten, so schroff stellte jetzt der neue Nachbar sich neben den Arsakiden; und wenn die königliche Kunst, die eigenen Fehler zu vergessen, es ihm gestattete, mochte Phraates wohl jetzt sich der warnenden Worte Mithradats erinnern, daß der Parther durch das Bündnis mit den Okzidentalen gegen die stammverwandten Reiche erst diesen und sodann sich selber das Verderben bereite. Römer und Parther im Bunde hatten Armenien zugrunde gerichtet; als es gestürzt war, kehrte Rom, seiner alten Politik getreu, die Rollen um und begünstigte den gedemütigten Feind auf Kosten des allzumächtigen Bundesgenossen. Schon die auffallende Bevorzugung gehört hierher, die der Vater Tigranes seinem Sohne, dem Verbündeten und Tochtermann des Partherkönigs, gegenüber bei Pompeius fand; es war eine unmittelbare Beleidigung, als bald nachher auf Pompeius’ Befehl der jüngere Tigranes mit seiner Familie zur Haft gebracht und selbst dann nicht freigegeben ward, als sich Phraates bei dem befreundeten Feldherrn für seine Tochter und seinen Schwiegersohn verwandte. Aber Pompeius blieb hierbei nicht stehen. Die Landschaft Korduene, auf welche sowohl Phraates als Tigranes Ansprüche erhoben, wurde auf Pompeius’ Befehl durch römische Truppen für den letzteren okkupiert und die im Besitz befindlichen Parther über die Grenze hinausgeschlagen, ja bis nach Arbela in Adiabene verfolgt, ohne daß die Regierung von Ktesiphon auch nur vorher gehört worden wäre (689 65). Weitaus am bedenklichsten jedoch war es, daß die Römer keineswegs geneigt schienen, die traktatenmäßig festgestellte Euphratgrenze zu respektieren. Mehrmals marschierten römische, von Armenien nach Syrien bestimmte Abteilungen quer durch Mesopotamien; der arabische Emir Abgaros von Osrhoene ward unter auffallend günstigen Bedingungen in die römische Klientel aufgenommen; ja Oruros, das im oberen Mesopotamien etwa zwischen Nisibis und dem Tigris 50 deutsche Meilen östlich von dem kommagenischen Euphratübergang liegt, ward bezeichnet als östlicher Grenzpunkt der römischen Herrschaft, vermutlich der mittelbaren, insofern die größere und fruchtbarere nördliche Hälfte Mesopotamiens von den Römern ebenso wie Korduene dem Armenischen Reiche zugelegt worden war. Die Grenze zwischen Römern und Parthern ward also statt des Euphrat die große syrisch-mesopotamische Wüste; und auch dies schien nur vorläufig. Den parthischen Gesandten, die kamen, um auf das Einhalten der allerdings, wie es scheint, nur mündlich abgeschlossenen Verträge hinsichtlich der Euphratgrenze zu dringen, gab Pompeius die zweideutige Antwort, daß Roms Gebiet sich so weit erstrecke wie sein Recht. Ein Kommentar zu dieser Rede schien der auffällige Verkehr zwischen dem römischen Oberfeldherrn und den parthischen Satrapen der Landschaft Medien und selbst der fernen Provinz Elymais (zwischen Susiana, Medien und Persien im heutigen Luristan) ^5. Die Statthalter dieses letzteren, gebirgigen, kriegerischen und entlegenen Landes waren von je her bestrebt gewesen, eine von dem Großkönig unabhängige Stellung zu gewinnen; um so verletzender und bedrohlicher war es für die parthische Regierung, wenn Pompeius von diesem Dynasten die dargebotene Huldigung annahm. Nicht minder war es bezeichnend, daß der Titel des “Königs der Könige”, der dem Partherkönig bis dahin auch von den Römern im offiziellen Verkehr zugestanden worden war, jetzt auf einmal von ihnen mit dem einfachen Königstitel vertauscht ward. Es war das mehr noch eine Drohung als eine Verletzung der Etikette. Seit Rom die Erbschaft der Seleukiden getan, schien es fast, als gedenke man dort im gelegenen Augenblick auf jene alten Zeiten zurückzugreifen, da ganz Iran und Turan von Antiocheia aus beherrscht wurden und es doch kein Parthisches Reich gab, sondern nur eine parthische Satrapie. Der Hof von Ktesiphon hätte also Grund genug gehabt, mit Rom den Krieg zu beginnen; es schien die Einleitung dazu, daß er im Jahre 690 (64) wegen der Grenzfrage ihn an Armenien erklärte. Aber Phraates hatte doch nicht den Mut, eben jetzt, wo der gefürchtete Feldherr mit seiner starken Armee an den Grenzen des Parthischen Reiches stand, mit den Römern offen zu brechen. Als Pompeius Kommissarien sandte, um den Streit zwischen Parthien und Armenien gütlich beizulegen, fügte Phraates sich der aufgezwungenen römischen Vermittlung und ließ es sich gefallen, daß ihr Schiedsspruch den Armeniern Korduene und das nördliche Mesopotamien zuwies. Bald nachher schmückte seine Tochter mit ihrem Sohne und ihrem Gemahl den Triumph des römischen Feldherrn. Auch die Parther zitterten vor der römischen Übermacht; und wenn sie nicht wie die Pontiker und die Armenier den römischen Waffen erlegen waren, so schien die Ursache davon nur die zu sein, daß sie es nicht gewagt hatten, den Kampf zu bestehen.

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^5 Diese Auffassung beruht auf der Erzählung Plutarchs (Pomp. 36), welche durch Strabons (16, 744) Schilderung der Stellung des Satrapen von Elymais unterstützt wird. Eine Ausschmückung davon ist es, wenn in den Verzeichnissen der von Pompeius besiegten Landschaften und Könige Medien und dessen König Dareios aufgeführt werden (Diod. fr. Vat. p. 140; App. Mithr. 117); und daraus weiter herausgesponnen ist Pompeius’ Krieg mit den Medern (Vell. 2, 40; App. Mithr. 106, 114) und nun gar der Zug desselben nach Ekbatana (Oros. hist. 6, 5). Eine Verwechselung mit der fabelhaften gleichnamigen Stadt auf dem Karmel hat hier schwerlich stattgefunden; es ist einfach jene unleidliche, wie es scheint aus Pompeius’ großartigen und absichtlich zweideutigen Bulletins sich herleitende, Übertreibung, die aus seiner Razzia gegen die Gätuler einen Zug an die afrikanische Westküste (Plut. Pomp. 38), aus seiner fehlgeschlagenen Expedition gegen die Nabatäer eine Eroberung der Stadt Petra, aus seinem Schiedsspruch hinsichtlich der Grenzen Armeniens eine Feststellung der römischen Reichsgrenze jenseits Nisibis gemacht hat.

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Noch lag es dem Feldherrn ob, die inneren Verhältnisse der neugewonnenen Landschaften zu regulieren und die Spuren eines dreizehnjährigen, verheerenden Krieges soweit möglich zu tilgen. Das in Kleinasien von Lucullus und der ihm beigegebenen Kommission, auf Kreta von Metellus begonnene Organisationsgeschäft erhielt den endlichen Abschluß durch Pompeius. Die bisherige Provinz Asia, die Mysien, Lydien, Phrygien und Karien umfaßte, ward aus einer Grenz- eine Mittelprovinz; neu eingerichtet wurden die Provinz Bithynien und Pontus, welche gebildet ward aus dem gesamten ehemaligen Reiche des Nikomedes und der westlichen Hälfte des ehemaligen pontischen Staates bis an und über den Halys; die Provinz Kilikien, die zwar schon älter war, aber doch erst jetzt ihrem Namen entsprechend erweitert und organisiert ward und auch Pamphylien und Isaurien miteinschloß; die Provinz Syrien und die Provinz Kreta. Freilich fehlte viel, daß jene Ländermasse als römischer Territorialbesitz in dem heutigen Sinne des Wortes hätte betrachtet werden können. Form und Ordnung des Regiments blieben im wesentlichen, wie sie waren; nur trat an den Platz der bisherigen Monarchen die römische Gemeinde. Wie bisher bestanden jene asiatischen Landschaften aus einer bunten Mischung von Domanialbesitzungen, tatsächlich oder rechtlich autonomen Stadtgebieten, fürstlichen und priesterlichen Herrschaften und Königreichen, welche alle für die innere Verwaltung mehr oder minder sich selbst überlassen waren, übrigens aber bald in milderen, bald in strengeren Formen von der römischen Regierung und deren Prokonsuln in ähnlicher Weise abhingen, wie früher von dem Großkönig und dessen Satrapen. Wenigstens dem Range nach nahm unter den abhängigen Dynasten den ersten Platz ein der König von Kappadokien, dessen Gebiet schon Lucullus durch die Belehnung mit der Landschaft Melitene (um Malatia) bis an den Euphrat erweitert hatte und dem Pompeius noch teils an der Westgrenze einige von Kilikien abgerissene Bezirke von Kastabala bis nach Derbe bei Ikonion, teils an der Ostgrenze die am linken Euphratufer Melitene gegenüber gelegene, anfänglich dem armenischen Prinzen Tigranes zugedachte Landschaft Sophene verlieh, wodurch also die wichtigste Euphratpassage ganz in die Gewalt dieses Fürsten kam. Die kleine Landschaft Kommagene zwischen Syrien und Kappadokien mit der Hauptstadt Samosata (Samsat) blieb als abhängiges Königtum dem schon genannten Seleukiden Antiochos ^6: demselben wurden auch die wichtige, den südlicheren Übergang über den. Euphrat beherrschende Festung Seleukeia (bei Biradjik) und die nächsten Striche am linken Ufer des Euphrat zugeteilt und somit dafür gesorgt, daß die beiden Hauptübergänge über den Euphrat mit einem entsprechenden Gebiet am östlichen Ufer in den Händen zweier von Rom völlig abhängigen Dynasten blieben. Neben den Königen von Kappadokien und Kommagene und an wirklicher Macht ihnen bei weitem überlegen herrschte in Kleinasien der neue König Deiotarus. Einer der Vierfürsten des um Pessinus ansässigen Keltenstammes der Tolistoboger und von Lucullus und Pompeius mit den anderen kleinen römischen Klienten zur Heerfolge aufgeboten, hatte Deiotarus in diesen Feldzügen, im Gegensatz zu all den schlaffen Orientalen, seine Zuverlässigkeit und seine Tatkraft so glänzend bewährt, daß die römischen Feldherren zu seinem galatischen Erbe und seinen Besitzungen in der reichen Landschaft zwischen Amisos und der Halysmündung ihm noch die östliche Hälfte des ehemals Pontischen Reiches mit den Seestädten Pharnakia und Trapezus und das pontische Armenien bis zur kolchischen und großarmenischen Grenze als Königreich Klein-Armenien verliehen. Bald nachher vermehrte er sein schon ansehnliches Gebiet noch durch die Landschaft der keltischen Trokmer, deren Vierfürsten er verdrängte. So ward der geringe Lehnsmann einer der mächtigsten Dynasten Kleinasiens, dem die Hut eines wichtigen Teils der Reichsgrenze anvertraut werden konnte. Vasallen geringerer Bedeutung waren die übrigen zahlreichen galatischen Vierfürsten, von denen einer, der Trokmerfürst Bogodiatarus, wegen seiner im Mithradatischen Kriege bewährten Tüchtigkeit von Pompeius mit der ehemals pontischen Grenzstadt Mithradation beschenkt ward; der Fürst von Paphlagonien, Attalos, der sein Geschlecht auf das alte Herrscherhaus der Pylämeniden zurückführte; Aristarchos und andere kleine Herren im kolchischen Gebiet; Tarkondimotos, der im östlichen Kilikien in den Bergtälern des Amanos gebot; Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn, der fortfuhr, in Chalkis am Libanos zu herrschen; der Nabatäerkönig Aretas als Herr von Damaskos; endlich die arabischen Emirs in den Landschaften dies- und jenseits des Euphrat, Abgaros in Osrhoene, den die Römer, um ihn als vorgeschobenen Posten gegen die Parther zu benutzen, auf alle Weise in ihr Interesse zu ziehen sich bemühten, Sampsikeramos in Hemesa, Alchaudonios der Rhambäer, ein anderer Emir in Bostra. Dazu kamen ferner die geistlichen Herren, die im Osten häufig gleich den weltlichen Dynasten über Land und Leute geboten, und an deren in dieser Heimat des Fanatismus fest gegründeter Autorität zu rütteln oder auch nur die Tempel ihrer Schätze zu berauben die Römer klüglich sich enthielten: der Hochpriester der Göttin Mutter in Pessinus; die beiden Hochpriester der Göttin Ma in dem kappadokischen Komana (am oberen Saros) und in der gleichnamigen pontischen Stadt (Gümenek bei Tokat), welche beide Herren in ihren Landschaften nur dem König an Macht nachstanden und deren jeder noch in viel späterer Zeit ausgedehnte Liegenschaften mit eigener Gerichtsbarkeit und an sechstausend Tempelsklaven besaß - mit dem pontischen Hochpriesteramt ward Archelaos, der Sohn des gleichnamigen, von Mithradates zu den Römern übergegangenen Feldherrn, von Pompeius belehnt -; der Hochpriester des Venasischen Zeus in dem kappadokischen Amt Morimene, dessen Einkünfte sich auf jährlich 23300 Taler (15 Talente) beliefen; der “Erzpriester und Herr” desjenigen Gebiets im Rauhen Kilikien, wo Teukros, des Aias Sohn, dem Zeus einen Tempel gegründet hatte, welche seine Nachkommen kraft Erbrechts vorstanden; der “Erzpriester und Herr des Volkes” der Juden, dem Pompeius, nachdem er die Mauern der Hauptstadt und die königlichen Schatz- und Zwingburgen im Lande geschleift hatte, unter ernstlicher Verwarnung, Friede zu halten und nicht weiter auf Eroberungen auszugehen, die Vorstandschaft seiner Nation zurückgab. Neben diesen weltlichen und geistlichen Potentaten standen die Stadtgemeinden. Zum Teil waren dieselben zu größeren Verbänden zusammengeordnet, welche einer verhältnismäßigen Selbständigkeit sich erfreuten, wie namentlich der wohlgeordnete und zum Beispiel der Teilnahme an der wüsten Piratenwirtschaft stets ferngebliebene Bund der dreiundzwanzig lykischen Städte; wogegen die zahlreichen vereinzelt stehenden Gemeinden, selbst wenn sie die Selbstregierung verbrieft erhalten hatten, tatsächlich von den römischen Statthaltern durchaus abhängig waren. Die Römer verkannten es nicht, daß mit der Aufgabe, den Hellenismus zu vertreten und im Osten Alexanders Marken zu schirmen und zu erweitern, vor allem die Hebung des städtischen Wesens ihnen zur Pflicht geworden war; denn wenn die Städte überall die Träger der Gesittung sind, so faßte vor allem der Antagonismus der Orientalen und Okzidentalen in seiner ganzen Schärfe sich zusammen in dem Gegensatz der orientalischen, militärisch-despotischen Lebenshierarchie und des hellenisch-italischen gewerb- und handeltreibenden städtischen Gemeinwesens. Lucullus und Pompeius, sowenig sie auch sonst auf die Nivellierung der Zustände im Osten ausgingen, und sosehr auch der letztere in Detailfragen die Anordnungen seines Vorgängers zu meistern und zu ändern geneigt war, trafen doch vollständig zusammen in dem Grundsatz, das städtische Wesen in Kleinasien und Syrien bach Kräften zu fördern. Kyzikos, an dessen kräftiger Gegenwehr die erste Heftigkeit des letzten Krieges sich gebrochen hatte, empfing von Lucullus eine beträchtliche Erweiterung seines Gebietes. Das pontische Herakleia, wie energisch es auch den Römern widerstanden hatte, erhielt dennoch sein Gebiet und seine Häfen zurück, und Cottas barbarisches Wüten gegen die unglückliche Stadt erfuhr im Senat den schärfsten Tadel. Lucullus hatte es tief und aufrichtig beklagt, daß das Schicksal ihm das Glück versagt hatte, Sinope und Amisos von der Verheerung durch die pontische und die eigene Soldateska zu erretten; er tat wenigstens, was er vermochte, um sie wiederherzustellen, erweiterte ansehnlich ihre Gebiete, bevölkerte sie aufs neue teils mit den alten Bewohnern, die auf seine Einladung scharenweise in die geliebte Heimat zurückkehrten, teils mit neuen Ansiedlern hellenischer Abstammung und sorgte für den Wiederaufbau der zerstörten Gebäude. In gleichem Sinn und in noch größerem Maßstab verfuhr Pompeius. Schon nach der Überwindung der Piraten hatte er die Gefangenen, deren Zahl 20000 überstieg, statt nach dem Beispiel seiner Vorgänger sie zu kreuzigen, angesiedelt teils in den verödeten Städten des Ebenen Kilikien, wie in Mallos, Adana, Epiphaneia, und besonders in Soloi, das seitdem den Namen der Pompeiusstadt (Pompeiopolis) führte, teils in Dyme in Achaia, ja sogar in Tarent. Die Piratenkolonisierung fand vielfachen Tadel ^7, da sie gewissermaßen auf das Verbrechen eine Belohnung zu setzen schien; in der Tat war sie politisch und sittlich wohl gerechtfertigt, denn wie die Dinge damals standen, war die Piraterie etwas anderes als Räuberei und die Gefangenen billig, nach Kriegsrecht zu behandeln. Vor allen Dingen aber ließ Pompeius es sich angelegen sein, in den neuen römischen Provinzen das städtische Wesen emporzubringen. Wie städtearm das Pontische Reich war, ward schon bemerkt; die meisten Distrikte Kappadokiens hatten noch ein Jahrhundert später keine Städte, sondern nur Bergfestungen als Zufluchtsort für die ackerbauende Bevölkerung im Kriege: im ganzen östlichen Kleinasien wird es, abgesehen von den sparsam gesäten griechischen Kolonien an den Küsten, zu dieser Zeit nicht anders gewesen sein. Die Zahl der von Pompeius in diesen Landschaften neu gegründeten Städte wird einschließlich der kilikischen Ansiedlungen auf neununddreißig angegeben, von denen mehrere zu hoher Blüte gelangten. Die namhaftesten dieser Ortschaften in dem ehemaligen Pontischen Reiche sind Nikopolis, die “Siegesstadt”, gegründet an dem Orte, wo Mithradates die letzte einschneidende Niederlage erlitt - das schönste Siegesdenkmal des trophäenreichen Feldherrn; Megalopolis, nach Pompeius’ Beinamen genannt, an der Grenze von Kappadokien und Klein-Armenien, das spätere Sebasteia (jetzt Siwas); Ziela, wo die Römer die unglückliche Schlacht lieferten, eine um den dasigen Tempel der Anaitis entstandene und bisher dem Hochpriester derselben eigene Ortschaft, der Pompeius städtische Form und städtisches Recht gab; Diopolis, früher Kabeira, später Neo-Caesarea (Niksar), gleichfalls eine der Walstätten des letzten Krieges; Magnopolis oder Pompeiopolis, das wiederhergestellte Eupatoria am Zusammenfluß des Lykos und des Iris, ursprünglich von Mithradates erbaut, aber wegen des Abfalls der Stadt zu den Römern wieder von ihm zerstört; Neapolis, sonst Phazemon, zwischen Amaseia und dem Halys. Die meisten dieser Stadtgründungen wurden nicht durch Kolonisten aus der Ferne bewirkt, sondern durch Niederlegung der Dörfer und Zusammenziehung ihrer Bewohnerin den neuen Mauerring; nur in Nikopolis siedelte Pompeius die Invaliden und Bejahrten seiner Armee an, die es vorzogen, statt später in Italien, hier sofort eine Heimat sich zu gründen. Aber auch an anderen Orten entstanden auf den Wink des Machthabers neue Brennpunkte der hellenischen Zivilisation. In Paphlagonien bezeichnete ein drittes Pompeiupolis die Stätte, wo Mithradates’ Armee im Jahre 666 (88) den großen Sieg über die Bithyner erfocht. In Kappadokien, das vielleicht mehr als irgendeine andere Provinz durch den Krieg gelitten hatte, wurden die Residenz Mazaka (später Caesarea, jetzt Kayseri) und sieben andere Ortschaften von Pompeius wiederhergestellt und städtisch eingerichtet. In Kilikien und Koilesyrien zählte man zwanzig von Pompeius angelegte Städte. In den von den Juden geräumten Distrikten erhob sich Gadara in der Dekapolis auf Pompeius’ Befehl aus seinen Trümmern und ward die Stadt Seleukis gegründet. Bei weitem der größte Teil des auf dem asiatischen Kontinent zur Verfügung stehenden Domaniallandes muß von Pompeius für seine neuen Ansiedlungen verwandt worden sein, wogegen auf Kreta, um das Pompeius sich wenig oder gar nicht kümmerte, der römische Domanialbesitz ziemlich ausgedehnt geblieben zu sein scheint.

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^6 Der Krieg, den dieser Antiochos mit Pompeius geführt haben soll (App. Mithr. 106, 117), stimmt sehr wenig zu dem Vertrag, den derselbe mit Lucullus abschloß (Dio 36, 4) und seinem ungestörten Verbleiben in der Herrschaft; vermutlich ist auch er bloß daraus herausgesponnen, daß Antiochos von Kommagene unter den von Pompeius unterworfenen Königen figurierte.

^7 Hierauf zielt vermutlich Ciceros Vorwurf (off. 3, 12, 49): piratas immunes habemus, socios vectigales; insofern nämlich jene Piratenkolonien wahrscheinlich von Pompeius zugleich mit der Immunität beschenkt wurden, während bekanntlich die von Rom abhängigen Provinzialgemeinden durchschnittlich steuerpflichtig waren.

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Nicht minder wie auf Gründung neuer Ortschaften war Pompeius darauf bedacht, die bestehenden Gemeinden zu ordnen und zu heben. Die eingerissenen Mißbräuche und Usurpationen wurden nach Vermögen abgestellt; ausführliche und für die verschiedenen Provinzen mit Sorgfalt entworfene Gemeindeordnungen regelten im einzelnen das Munizipalwesen. Eine Reihe der ansehnlichsten Städte ward mit neuen Privilegien beschenkt. Die Autonomie erhielten Antiocheia am Orontes, die bedeutendste Stadt des römischen Asien und nur wenig zurückstehend hinter dem ägyptischen Alexandreia und hinter dem Bagdad des Altertums, der Stadt Seleukeia im Parthischen Reiche, ferner die Nachbarstadt von Antiocheia, das persische Seleukeia, das damit für seine mutige Gegenwehr gegen Tigranes den Lohn empfing; Gaza und überhaupt alle von der jüdischen Herrschaft befreite Städte; in Vorderasien Mytilene; Phanagoria am Schwarzen Meer.

So war der Bau des asiatischen Römerstaates vollendet, der mit seinen Lehnkönigen und Vasallen, den gefürsteten Priestern und der Reihe ganz- und halbfreier Städte lebhaft erinnert an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Er war kein Wunderwerk, weder hinsichtlich der überwundenen Schwierigkeiten, noch hinsichtlich der erreichten Vollendung, und ward es auch nicht durch all die großen Worte, mit denen in Rom die vornehme Welt zu Gunsten des Lucullus, die lautere Menge zum Preise des Pompeius freigebig waren. Pompeius namentlich ließ sich feiern und feierte sich selbst in einer Weise, daß man ihn fast für noch schwachköpfiger hätte halten mögen, als er in der Tat war. Wenn die Mytilenäer ihm eine Bildsäule errichteten als ihrem Erretter und Gründer, als demjenigen, der die den Erdkreis erfüllenden Kriege sowohl zu Lande wie zur See beendigt, so mochte eine solche Huldigung für den Bezwinger der Piraten und der Reiche des Ostens nicht allzu überschwenglich scheinen. Aber die Römer übertrafen diesmal die Griechen. Pompeius’ eigene Triumphalinschriften rechneten 12 Millionen unterworfener Seelen und 1538 eroberte Städte und Burgen heraus - es schien, als solle die Quantität die Qualität ersetzen - und erstreckten den Kreis seiner Siege vom Mäotischen zum Kaspischen, von diesem zum Roten Meer, von welchen drei Meeren er keines je mit Augen gesehen hat; ja wenn er es auch nicht geradezu sagte, so veranlaßte er doch das Publikum zu meinen, daß die Einziehung Syriens, die wahrlich keine Heldentat war, den ganzen Osten bis nach Baktrien und Indien zum Römischen Reiche gebracht habe - in so nebelhafte Ferne verschwamm in seinen Angaben die Grenzlinie seiner östlichen Eroberungen. Die demokratische Servilität, die zu allen Zeiten mit der höfischen gewetteifert hat, ging bereitwillig auf dergleichen geschmacklosen Schwindel ein. Ihr genügte nicht der pomphafte Triumphalzug, der am 28. und 29. September 593 (61), dem sechsundvierzigsten Geburtstag Pompeius des Großen, durch die Gassen Roms sich bewegte, verherrlicht, um von den Kleinodien aller Art zu schweigen, durch die Kroninsignien Mithradats und durch die Kinder der drei mächtigsten Könige Asiens, des Mithradates, Tigranes und Phraates: sie lohnte ihrem Feldherrn, der zweiundzwanzig Könige besiegt, dafür mit königlichen Ehren und verlieh ihm den goldenen Kranz und die Insignien der Magistratur auf Lebenszeit. Die ihm zu Ehren geschlagenen Münzen zeigen gar die Weltkugel zwischen dem dreifachen, aus den drei Weltteilen heimgebrachten Lorbeer und über ihr schwebend jenen dem Triumphator über Afrika, Spanien und Asien von der Bürgerschaft verehrten Goldkranz. Es kann solchen kindischen Huldigungen gegenüber nicht wundernehmen, daß auch im entgegengesetzten Sinne Stimmen laut wurden. Unter der römischen vornehmen Welt war es eine geläufige Rede, daß das eigentliche Verdienst der Unterwerfung des Ostens Lucullus zukomme und Pompeius nur nach dem Osten gegangen sei, um Lucullus zu verdrängen und die von fremder Hand gebrochenen Lorbeeren um die eigene Stirn zu flechten. Beides war vollständig falsch; nicht Pompeius, sondern Glabrio ward nach Asien gesandt, um Lucullus abzulösen, und wie wacker auch Lucullus gefochten, es war Tatsache, daß, als Pompeius den Oberbefehl übernahm, die Römer all ihre früheren Erfolge wieder eingebüßt und keinen Fußbreit pontischen Bodens innehatten. Mehr zum Ziele traf der Spott der Hauptstädter, die nicht ermangelten, dem mächtigen Besieger des Erdballs die Namen der von ihm überwundenen Großmächte als Spitznamen beizulegen und ihn bald als “Sieger von Salem” bald als “Emir” (Arabarches), bald als den römischen Sampsikeramos begrüßten. Der unbefangene Urteiler wird indes weder in jene Überschwenglichkeiten noch in diese Verkleinerungen einstimmen. Lucullus und Pompeius haben, indem sie Asien unterwarfen und ordneten, sich nicht als Helden und Staatsschöpfer bewährt, aber wohl als einsichtige und kräftige Heerführer und Statthalter. Als Feldherr bewies Lucullus nicht gemeine Talente und ein an Verwegenheit grenzendes Selbstvertrauen, Pompeius militärische Einsicht und eine seltene Zurückhaltung, wie denn kaum je ein General mit solchen Streitkräften und einer so vollkommen freien Stellung so vorsichtig aufgetreten ist wie Pompeius im Osten. Die glänzendsten Aufgaben trugen von allen Seiten sich ihm gleichsam selber an: er konnte nach dem Kimmerischen Bosporus und gegen das Rote Meer hin aufbrechen; er hatte Gelegenheit, den Parthern den Krieg zu erklären; die aufständischen Landschaften Ägyptens luden ihn ein, den von Rom nicht anerkannten König Ptolemaeos vom Thron zu stoßen und das Testament Alexanders in Vollzug zu setzen; aber Pompeius ist weder nach Pantikapäon noch nach Petra, weder nach Ktesiphon noch nach Alexandreia gezogen; durchaus pflückte er nur diejenigen Früchte, die ihm von selber in die Hand fielen. Ebenso schlug er alle seine Schlachten zur See wie zu Lande mit einer erdrückenden Übermacht. Wäre diese Mäßigung hervorgegangen aus dem strengen Einhalten der erteilten Instruktionen, wie Pompeius vorzugehen pflegte, oder auch aus der Einsicht, daß Roms Eroberungen irgendwo eine Grenze finden müßten und neuer Gebietszuwachs dem Staat nicht förderlich sei, so würde sie ein höheres Lob verdienen, als die Geschichte es dem talentvollsten Offizier erteilt; allein wie Pompeius war, ist seine Zurückhaltung ohne Zweifel einzig das Resultat des ihm eigentümlichen Mangels an Sicherheit und an Initiative - Mängel freilich, die dem Staate in diesem Falle weit nützlicher wurden als die entgegengesetzten Vorzüge seines Vorgängers. Allerdings sind auch von Lucullus wie von Pompeius sehr arge Fehler begangen worden. Lucullus erntete deren Früchte selbst, indem sein unbesonnenes Verfahren ihm alle Resultate seiner Siege wieder entriß; Pompeius überließ es seinen Nachfolgern, die Folgen seiner falschen Politik gegen die Parther zu tragen. Er konnte diese entweder bekriegen, wenn er dessen sich getraute, oder mit ihnen Frieden halten und, wie er versprochen, den Euphrat als Grenze anerkennen; zu jenem war er zu zaghaft, zu diesem zu eitel, und so kam er denn zu der einfältigen Perfidie, die gute Nachbarschaft, die der Hof von Ktesiphon wünschte und seinerseits übte, durch die maßlosesten Übergriffe unmöglich zu machen, dennoch aber dem Feinde zu gestatten, sich die Zeit des Bruches und der Vergeltung selber wählen zu dürfen. Als Verwalter Asiens erwarb Lucullus ein mehr als fürstliches Vermögen, und auch Pompeius empfing als Lohn für seine Organisation von dem König von Kappadokien, von der reichen Stadt Antiocheia und anderen Herren und Gemeinden große Barsummen und noch ansehnlichere Schuldverschreibungen. Indes dergleichen Erpressungen waren fast eine gewohnheitsmäßige Steuer geworden, und beide Feldherren bewiesen doch nicht gerade in wichtigeren Fragen sich käuflich, ließen auch womöglich sich von der Partei bezahlen, deren Interessen mit denen Roms zusammenfielen. Wie die Zeiten einmal waren, hindert dies nicht, die Verwaltung beider Männer als eine relativ löbliche und zunächst im Interesse Roms, demnächst in dem der Provinzialen geführte zu bezeichnen. Die Verwandlung der Klienten in Untertanen, die bessere Regulierung der Ostgrenze, die Begründung eines einheitlichen und starken Regiments waren segensreich für die Herrscher wie für die Beherrschten. Der finanzielle Gewinn, den Rom machte, war unermeßlich; die neue Vermögenssteuer, die mit Ausnahme einzelner, besonders befreiter Gemeinden all jene Fürsten, Priester und Städte nach Rom zu zahlen hatten, steigerte die römischen Staatseinnahmen fast um die Hälfte ihres bisherigen Betrags. Freilich litt Asien schwer. Pompeius legte an Geld und Kleinodien einen Betrag von 15 Mill. Talern (200 Mill. Sesterzen) in die Staatskasse nieder und verteilte 29 Millionen (16000 Talente) unter seine Offiziere und Soldaten; wenn man hierzu die bedeutenden von Lucullus heimgebrachten Summen, die nichtoffiziellen Erpressungen der römischen Armee und den Betrag der Kriegsschäden selbst rechnet, so ist die finanzielle Erschöpfung des Landes begreiflich. Die römische Besteuerung Asiens war vielleicht an sich nicht schlimmer als die der früheren Regenten, aber lastete doch insofern schwerer auf dem Lande, als die Abgaben fortan in das Ausland gingen und nur zum kleineren Teil wieder in Asien verwandt wurden; und auf jeden Fall war sie in den alten wie in den neugewonnenen Provinzen basiert auf die systematische Ausbeutung der Landschaften zu Gunsten Roms. Aber die Verantwortung hierfür trifft weit weniger die Feldherren persönlich als die Parteien daheim, auf die jene Rücksicht zu nehmen hatten; Lucullus war sogar energisch bemüht, dem wucherischen Treiben der römischen Kapitalisten in Asien Schranken zu setzen, und sein Sturz ward wesentlich mit hierdurch herbeigeführt. Wie sehr es beiden Männern Ernst damit war, die heruntergekommenen Landschaften wieder in die Höhe zu bringen, beweist ihre Tätigkeit da, wo keine Rücksichten der Parteipolitik ihnen die Hände banden, namentlich ihre Fürsorge für die kleinasiatischen Städte. Wenn auch noch Jahrhunderte später manches in Ruinen liegende asiatische Dorf an die Zeiten des großen Krieges erinnerte, so mochte doch Sinope wohl mit dem Jahr der Wiederherstellung durch Lucullus eine neue Ära beginnen und fast alle ansehnlicheren Binnenstädte des Pontischen Reiches Pompeius als ihren Stifter dankbar verehren. Die Einrichtung des römischen Asien durch Lucullus und Pompeius darf bei all ihren unleugbaren Mängeln eine im ganzen verständige und löbliche genannt werden; wie schwere Übelstände aber auch ihr anhaften mochten, den vielgeplagten Asiaten mußte sie schon darum willkommen sein, weil sie zugleich kam mit dem so lange und so schmerzlich entbehrten inneren und äußeren Frieden.

Es blieb auch im wesentlichen Friede im Orient, bis der von Pompeius mit der ihm eigenen Zaghaftigkeit nur angedeutete Gedanke, die Landschaften östlich vom Euphrat zum Römischen Reiche zu fügen, von der neuen Triarchie der römischen Machthaber energisch, aber unglücklich wiederaufgenommen ward und bald darauf der Bürgerkrieg wie alle anderen so auch die östlichen Provinzen in seinen verhängnisvollen Strudel hineinzog. Daß in der Zwischenzeit die Statthalter Kilikiens beständig mit den Bergvölkern des Amanos, die von Syrien mit den Schwärmen der Wüste zu fechten hatten und namentlich in diesem Kriege gegen die Beduinen manche römische Truppe aufgerieben ward, ist ohne weitere Bedeutung. Bemerkenswerter ist der eigensinnige Widerstand, den die zähe jüdische Nation den Eroberern entgegensetzte. Teils des abgesetzten Königs Aristobulos Sohn Alexandros, teils Aristobulos selbst, dem es nach einiger Zeit gelang, aus der Gefangenschaft zu entkommen, erregten während der Statthalterschaft des Aulus Gabinius (697-700 57-54) drei verschiedene Aufstände gegen die neuen Machthaber, deren jedem die von Rom eingesetzte Regierung des Hochpriesters Hyrkanos ohnmächtig erlag. Es war nicht politische Überlegung, sondern der unbesiegbare Widerwille des Orientalen gegen das unnatürliche Joch, der sie zwang, gegen den Stachel zu löcken; wie denn auch der letzte und gefährlichste dieser Aufstände, zu welchem die durch die ägyptischen Krisen veranlaßte Wegziehung der syrischen Okkupationsarmee den nächsten Anstoß gab, begann mit der Ermordung der in Palästina ansässigen Römer. Nicht ohne Mühe gelang es dem tüchtigen Statthalter, die wenigen Römer, die diesem Schicksal sich entzogen und eine vorläufige Zuflucht auf dem Berge Garizim gefunden hatten, von den dort sie blockiert haltenden Insurgenten zu erretten und nach mehreren hart bestrittenen Feldschlachten und langwierigen Belagerungen den Aufstand zu bewältigen. Infolgedessen ward die Hohenpriestermonarchie abgeschafft und das jüdische Land, wie einst Makedonien, in fünf selbständige, von optimatisch geordneten Regierungskollegien verwaltete Kreise aufgelöst, auch Samaria und andere, von den Juden geschleifte Ortschaften wiederhergestellt, um ein Gegengewicht gegen Jerusalem zu bilden, endlich den Juden ein schwererer Tribut auferlegt als den übrigen syrischen Untertanen Roms.

Noch ist es übrig, auf das Königreich Ägypten nebst dem letzten ihm von den ausgedehnten Eroberungen der Lagiden übriggebliebenen Nebenland, der schönen Insel Kypros, einen Blick zu werfen. Ägypten war jetzt der einzige wenigstens dem Namen nach noch unabhängige Staat des hellenischen Ostens; ebenwie einst, als die Perser an der östlichen Hälfte des Mittelmeers sich festsetzten, Ägypten ihre letzte Eroberung war, säumten auch die mächtigen Eroberer aus dem Westen am längsten mit der Einziehung dieser reichen und eigenartigen Landschaft. Die Ursache lag, wie bereits angedeutet wurde, weder in der Furcht vor dem Widerstand Ägyptens noch in dem Mangel einer geeigneten Veranlassung. Ägypten war ungefähr ebenso machtlos wie Syrien und bereits im Jahre 673 (81) in aller Form Rechtens der römischen Gemeinde angestorben; das am Hofe von Alexandreia herrschende Regiment der königlichen Garde, welche Minister und gelegentlich Könige ein- und absetzte, für sich nahm, was ihr gefiel, und, wenn ihr die Erhöhung des Soldes verweigert ward, den König in seinem Palast belagerte, war im Lande oder vielmehr in der Hauptstadt - denn das Land mit seiner Ackersklavenbevölkerung kam überhaupt kaum in Betracht - ganz und gar nicht beliebt, und wenigstens eine Partei daselbst wünschte die Einziehung Ägyptens durch Rom und tat sogar Schritte, um sie herbeizuführen. Allein je weniger die Könige Ägyptens daran denken konnten, mit den Waffen gegen Rom zu streiten, desto energischer setzte das ägyptische Gold gegen die römischen Reunionspläne sich zur Wehre; und infolge der eigentümlichen despotisch-kommunistischen Zentralisation der ägyptischen Volkswirtschaft waren die Einkünfte des Hofes von Alexandreia der römischen Staatseinnahme, selbst nach deren Vermehrung durch Pompeius, noch ungefähr gleich. Die argwöhnische Eifersucht der Oligarchie, die weder die Eroberung noch die Verwaltung Ägyptens gern einem einzelnen gönnte, kam hinzu. So vermochten die faktischen Herren von Ägypten und Kypros durch Bestechung der führenden Männer im Senat sich ihre schwankenden Kronen nicht bloß zu fristen, sondern sogar neu zu befestigen und vom Senat die Bestätigung ihrer Königstitel zu erkaufen. Allein damit waren sie noch nicht am Ziel. Das formelle Staatsrecht forderte einen Beschluß der römischen Bürgerschaft; bevor dieser erlassen war, waren die Ptolemäer abhängig von der Laune jedes demokratischen Machthabers, und sie hatten also den Bestechungskrieg auch gegen die andere römische Partei zu eröffnen, welche als die mächtigere weit höhere Preise bedang. Der Ausgang war ungleich. Die Einziehung von Kypros ward im Jahre 696 (58) vom Volke, das heißt von den Führern der Demokratie verfügt, wobei als offizieller Grund, weshalb dieselbe jetzt vorgenommen werde, die Förderung der Piraterie durch die Kyprioten angegeben ward. Marcus Cato, von seinen Gegnern mit der Ausführung dieser Maßregel beauftragt, kam nach der Insel ohne Heer; allein es bedurfte dessen auch nicht. Der König nahm Gift; die Einwohner fügten sich, ohne Widerstand zu leisten, dem unvermeidlichen Verhängnis und wurden dem Statthalter von Kilikien untergeordnet. Der überreiche Schatz von fast 7000 Talenten (fast 13 Mill. Taler), den der ebenso habsüchtige wie geizige König sich nicht hatte überwinden können, für die zur Rettung seiner Krone erforderlichen Bestechungen anzugreifen, fiel mit dieser zugleich an die Römer und füllte in erwünschter Weise die leeren Gewölbe ihres Ärars.

Dagegen gelang es dem Bruder, der in Ägypten regierte, die Anerkennung durch Volksschluß von den neuen Herren Roms im Jahre 695 (59) zu erkaufen; der Kaufpreis soll 6000 Talente (11 Mill. Taler) betragen haben. Die Bürgerschaft freilich, längst gegen den guten Flötenbläser und schlechten Regenten erbittert und nun durch den definitiven Verlust von Kypros und den infolge der Transaktionen mit den Römern unerträglich gesteigerten Steuerdruck aufs äußerste gebracht (696 58), jagte ihn dafür aus dem Lande. Als der König darauf, gleichsam wie wegen Entwährung des Kaufobjekts, sich an seine Verkäufer wandte, waren diese billig genug einzusehen, daß es ihnen als redlichen Geschäftsmännern obliege, dem Ptolemaeos sein Reich wiederzuverschaffen; nur konnten die Parteien sich nicht einig werden, wem der wichtige Auftrag, Ägypten mit bewaffneter Hand zu besetzen, nebst den davon zu erhoffenden Sporteln zukommen solle. Erst als die Triarchie auf der Konferenz von Luca sich neu befestigte, wurde zugleich auch diese Angelegenheit geordnet, nachdem Ptolemaeos noch sich zur Erlegung weiterer 10000 Talente (18 Mill. Taler) verstanden hatte: der Statthalter Syriens, Aulus Gabinius, erhielt jetzt von den Machthabern Befehl, sofort zur Zurückführung des Königs die nötigen Schritte zu tun. Die Bürgerschaft von Alexandreia hatte inzwischen des vertriebenen Königs ältester Tochter Berenike die Krone aufgesetzt und ihr in der Person eines der geistlichen Fürsten des römischen Asien, des Hochpriesters von Komana Archelaos, einen Gemahl gegeben, der Ehrgeiz genug besaß, um an die Hoffnung, den Thron der Lagiden zu besteigen, seine gesicherte und ansehnliche Stellung zu setzen. Seine Versuche, die römischen Machthaber für sich zu gewinnen, blieben ohne Erfolg; aber er schrak auch nicht zurück vor dem Gedanken, sein neues Reich mit den Waffen in der Hand selbst gegen die Römer behaupten zu müssen. Gabinius, ohne ostensible Vollmacht, den Krieg gegen Ägypten zu beginnen, aber von den Machthabern dazu angewiesen, nahm die angebliche Förderung der Piraterie durch die Ägypter und den Flottenbau des Archelaos zum Vorwand und brach ungesäumt auf gegen die ägyptische Grenze (699 55). Der Marsch durch die Sandwüste zwischen Gaza und Pelusion, an der so manche gegen Ägypten gerichtete Invasion gescheitert war, ward diesmal glücklich zurückgelegt, was besonders .dem raschen und geschickten Führer der Reiterei, Marcus Antonius, verdankt ward. Auch die Grenzfestung Pelusion wurde von der dort stehenden jüdischen Besatzung ohne Gegenwehr übergeben. Vorwärts dieser Stadt trafen die Römer auf die Ägypter, schlugen sie, wobei Antonius wiederum sich auszeichnete, und gelangten, die erste römische Armee, an den Nil. Hier hatten Flotte und Heer der Ägypter zum letzten entscheidenden Kampfe sich aufgestellt; aber die Römer siegten abermals und Archelaos selbst fand mit vielen der Seinigen kämpfend den Tod. Sofort nach dieser Schlacht ergab sich die Hauptstadt und damit war jeder Widerstand am Ende. Das unglückliche Land ward seinem rechtmäßigen Zwingherrn überliefert: das Henken und Köpfen, womit ohne des ritterlichen Antonius’ Dazwischenkunft Ptolemaeos die Wiederherstellung des legitimen Regiments bereits in Pelusion zu feiern begonnen haben würde, ging nun ungehemmt seinen Gang, und vor allen anderen ward die unschuldige Tochter von dem Vater auf das Schafott gesandt. Die Bezahlung des mit den Machthabern vereinbarten Lohnes scheiterte an der absoluten Unmöglichkeit, dem ausgesogenen Lande die verlangten ungeheuren Summen abzupressen, obwohl man dem armen Volke den letzten Pfennig nahm; dafür aber, daß das Land wenigstens ruhig blieb, sorgte die in der Hauptstadt zurückgelassene Besatzung von römischer Infanterie und keltischer und deutscher Reiterei, welche die einheimischen Prätorianer ablöste und übrigens nicht unglücklich ihnen nacheiferte. Die bisherige Hegemonie Roms über Ägypten ward damit in eine unmittelbare militärische Okkupation verwandelt und die nominelle Fortdauer des einheimischen Königtums war nicht so sehr eine Bevorzugung des Landes als eine zwiefache Belastung.

KAPITEL V.
Der Parteienkampf während Pompeius’ Abwesenheit

Mit dem Gabinischen Gesetze wechselten die hauptstädtischen Parteien die Rollen. Seit der erwählte Feldherr der Demokratie das Schwert in der Hand hielt, war seine Partei oder was dafür galt auch in der Hauptstadt übermächtig. Wohl stand die Nobilität noch geschlossen zusammen und gingen nach wie vor aus der Komitialmaschine nur Konsuln hervor, die nach dem Ausdrucke der Demokraten schon in den Windeln zum Konsulate designiert waren; die Wahlen zu beherrschen und hier den Einfluß der alten Familien zu brechen, vermochten selbst die Machthaber nicht. Aber leider fing das Konsulat, ebenda man es so weit gebracht hatte, die “neuen Menschen” so gut wie vollständig davon auszuschließen, selber an, vor dem neu aufgehenden Gestirn der; exzeptionellen Militärgewalt zu erbleichen. Die Aristokratie empfand es, wenn sie auch nicht gerade es sich gestand; sie gab sich selber verloren. Außer Quintus Catulus, der mit achtbarer Festigkeit auf seinem wenig erfreulichen Posten als Vorfechter einer überwundenen Partei bis zu seinem Tode (694 60) ausharrte, ist aus den obersten Reihen der Nobilität kein Optimat zu nennen, der die Interessen der Aristokratie mit Mut und Stetigkeit vertreten hätte. Eben ihre talentvollsten und gefeiertsten Männer, wie Quintus Metellus Pius und Lucius Lucullus, abdizierten tatsächlich und zogen sich, soweit es irgend schicklicherweise anging, auf ihre Villen zurück, um über Gärten und Bibliotheken, über Vogelhäusern und Fischteichen den Markt und das Rathaus möglichst zu vergessen. Noch viel mehr gilt dies natürlich von der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder ganz in Luxus und Literatur unterging oder der aufgehenden Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Jüngeren machte hiervon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren 659 95), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung, und doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Erscheinungen in dieser an politischen Zerrbildern überreichen Zeit. Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfassung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne Leidenschaft, hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmeister abgeben mögen. Unglücklicherweise aber geriet er früh unter die Gewalt der Phrase, und, teils beherrscht von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstrakter Kahlheit und geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt im Umlauf waren, teils von dem Exempel seines Urgroßvaters, den zu erneuern er für seine besondere Aufgabe hielt, fing er an, als Musterbürger und Tugendspiegel in der sündigen Hauptstadt umherzuwandeln, gleich dem alten Cato auf die Zeiten zu schelten, zu Fuß zu gehen statt zu reiten, keine Zinsen zu nehmen, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, daß er nach König Romulus’ Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame Karikatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Haß und Zorn zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich führte, der mit seinem bornierten, aber originellen und gesunden Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den Lippen troff und den man immer mit dem Buche in der Hand sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst irgendein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche der abstrakten Moral. Dennoch gelangte er zu sittlicher und dadurch selbst zu politischer Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit imponierten sein Mut und seine negativen Tugenden der Menge; er machte sogar Schule, und es gab einzelne - freilich waren sie danach -, die die lebendige Philosophenschablone weiter kopierten und abermals karikierten. Auf derselben Ursache beruht auch sein politischer Einfluß. Da er der einzige namhafte Konservative war, der wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Mut besaß und immer bereitstand, wo es nötig und nicht nötig war, seine Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten, dennoch bald der anerkannte Vormann der Optimatenpartei. Wo das Ausharren eines einzelnen entschlossenen Mannes entscheiden konnte, hat er auch wohl einen Erfolg erzielt und in Detailfragen, namentlich finanzieller Art, oft zweckmäßig eingegriffen, wie er denn in keiner Senatssitzung fehlte und mit seiner Quästur in der Tat Epoche machte, auch solange er lebte das öffentliche Budget im einzelnen kontrollierte und natürlich denn auch darüber mit den Steuerpächtern in beständigem Kriege lebte. übrigens fehlte ihm zum Staatsmann nicht mehr als alles. Er war unfähig, einen politischen Zweck auch nur zu begreifen und politische Verhältnisse zu überblicken; seine ganze Taktik bestand darin, gegen jeden Front zu machen, der von dem traditionellen moralisch-politischen Katechismus der Aristokratie abwich oder ihm abzuweichen schien, womit er denn natürlich ebensooft dem Gegner wie dem Parteigenossen in die Hände gearbeitet hat. Der Don Quichotte der Aristokratie, bewährte er durch sein Wesen und sein Tun, daß damals allenfalls noch eine Aristokratie vorhanden, die aristokratische Politik aber nichts mehr war als eine Chimäre.

Mit dieser Aristokratie den Kampf fortzusetzen, brachte geringe Ehre. Natürlich ruhten die Angriffe der Demokratie gegen den überwundenen Feind darum nicht. Wie die Troßbuben über ein erobertes Lager, stürzte sich die populäre Meute auf die gesprengte Nobilität, und wenigstens die Oberfläche der Politik ward von dieser Agitation zu hohen Schaumwellen emporgetrieben. Die Menge ging um so bereitwilliger mit, als namentlich Gaius Caesar sie bei guter Laune hielt durch die verschwenderische Pracht seiner Spiele (689 65), bei welchen alles Gerät, selbst die Käfige der wilden Bestien, aus massivem Silber erschien, und überhaupt durch eine Freigebigkeit, welche darum nur um so mehr fürstlich war, weil sie einzig auf Schuldenmachen beruhte. Die Angriffe auf die Nobilität waren von der mannigfaltigsten Art. Reichen Stoff gewährten die Mißbräuche des aristokratischen Regiments: liberale oder liberal schillernde Beamte und Sachverwalter wie Gaius Cornelius, Aulus Gabinius, Marcus Cicero fuhren fort, die ärgerlichsten und schändlichsten Seiten der Optimatenwirtschaft systematisch zu enthüllen und Gesetze dagegen zu beantragen. Der Senat ward angewiesen, den auswärtigen Boten an bestimmten Tagen Zutritt zu gewähren, um dadurch der üblichen Verschleppung der Audienzen Einhalt zu tun. Die von fremden Gesandten in Rom aufgenommenen Darlehen wurden klaglos gestellt, da dies das einzige Mittel sei, den Bestechungen, die im Senat an der Tagesordnung waren, ernstlich zu steuern (687 67). Das Recht des Senats, in einzelnen Fällen von den Gesetzen zu dispensieren, wurde beschränkt (687 67); ebenso der Mißbrauch, daß jeder vornehme Römer, der in den Provinzen Privatgeschäfte zu besorgen hatte, sich dazu vom Senat den Charakter eines römischen Gesandten erteilen ließ (691 63). Man schärfte die Strafen gegen Stimmenkauf und Wahlumtriebe (687, 691 67, 63), welche letztere namentlich in ärgerlicher Weise gesteigert wurden durch die Versuche der aus dem Senat gestoßenen Individuen, durch Wiederwahl in denselben zurückzugelangen. Es wurde gesetzlich ausgesprochen, was bis dahin sich nur von selbst verstanden hatte, daß die Gerichtsherren verbunden seien in Gemäßheit der nach römischer Weise zu Anfang des Amtes von ihnen aufgestellten Normen Recht zu sprechen (687 67).

Vor allem aber arbeitete man daran, die demokratische Restauration zu vervollkommnen und die leitenden Gedanken der gracchischen Zeit in zeitgemäßer Form zu verwirklichen. Die Wahl der Priester durch die Komitien, wie sie Gnaeus Domitius eingeführt, Sulla wieder abgeschafft hatte, ward durch ein Gesetz des Volkstribuns Titus Labienus im Jahre 691 (63) hergestellt. Man wies gern darauf hin, wieviel zur Wiederherstellung der Sempronischen Getreidegesetze in ihrem vollen Umfang noch fehle, und überging dabei mit Stillschweigen, daß unter den veränderten Umständen, bei der bedrängten Lage der öffentlichen Finanzen und der so sehr vermehrten Zahl der vollberechtigten römischen Bürger, diese Wiederherstellung schlechterdings unausführbar war. In der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen nährte man eifrig die Agitation um politische Gleichberechtigung mit den Italikern. Schon 686 (68) reiste Gaius Caesar zu diesem Zweck daselbst von Ort zu Ort; 689 (65) machte Marcus Crassus als Zensor Anstalt, die Einwohner geradewegs in die Bürgerliste einzuschreiben, was nur an dem Widerstand seines Kollegen scheiterte; bei den folgenden Zensuren scheint dieser Versuch sich regelmäßig wiederholt zu haben. Wie einst Gracchus und Flaccus die Patrone der Latiner gewesen waren, so warfen sich die gegenwärtigen Führer der Demokratie zu Beschützern der Transpadaner auf, und Gaius Piso (Konsul 687 67) hatte es schwer zu bereuen, daß er gewagt hatte, an einem dieser Klienten des Caesar und Crassus sich zu vergreifen. Dagegen zeigten sich dieselben Führer keineswegs geneigt, die politische Gleichberechtigung der Freigelassenen zu befürworten; der Volkstribun Gaius Manilius, der in einer nur von wenigen Leuten besuchten Versammlung das Sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen hatte erneuern lassen (31. Dezember 687 67), ward von den leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouiert und mit ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durchbringung vom Senate kassiert. In demselben Sinn wurden im Jahre 689 (65) durch Volksbeschluß die sämtlichen Fremden, die weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besaßen, aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der Gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlossenen um Aufnahme in den Kreis der Privilegierten und dem der Privilegierten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürgerrecht in Aussicht stellten, gaben sie andererseits ihre Zustimmung zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu der barbarischen Beseitigung der Konkurrenz, die die Industrie und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die Demokratie hinsichtlich der alten Kriminalgerichtsbarkeit der Komitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben, aber tatsächlich waren doch die Geschworenenkommissionen über Hochverrat und Mord an ihre Stelle getreten, und an eine ernstliche Wiederherstellung des alten, schon lange vor Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünftiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouveränität eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der Bürgerschaft wenigstens im Prinzip zu fordern schien, so zog der Volkstribun Titus Labienus im Jahre 691 (63) den alten Mann, der vor achtunddreißig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus erschlagen hatte oder haben sollte, vor dasselbe hochnotpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getötet, doch wenigstens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der Vornehmen Parade gemacht hatte, und der überdies unter den apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und seiner Bluttaten verrufen war. Es war, wenn nicht dem Ankläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm standen, durchaus nicht darum zu tun, diesen elenden Gesellen den Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern ließ man es geschehen, daß zunächst die Form der Anklage vom Senat wesentlich gemildert, sodann die zur Aburteilung des Schuldigen berufene Volksversammlung unter irgendeinem Vorwand von der Gegenpartei aufgelöst und damit die ganze Prozedur beseitigt ward. Immer waren durch dies Verfahren die beiden Palladien der römischen Freiheit, das Provokationsrecht der Bürgerschaft und die Unverletzlichkeit des Volkstribunats, noch einmal als praktisches Recht festgestellt und der demokratische Rechtsboden neu ausgebessert worden.

Mit noch größerer Leidenschaftlichkeit trat die demokratische Reaktion in allen Personenfragen auf, wo sie nur irgend konnte und durfte. Zwar gebot ihr die Klugheit, die Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter an die ehemaligen Eigentümer nicht zu betonen, um nicht mit den eigenen Verbündeten sich zu entzweien und zugleich mit den materiellen Interessen in einen Kampf zu geraten, dem die Tendenzpolitik selten gewachsen ist; auch die Rückberufung der Emigrierten hing mit dieser Vermögensfrage zu eng zusammen, um nicht ebenso unrätlich zu erscheinen. Dagegen machte man große Anstrengungen, um den Kindern der Geächteten die ihnen entzogenen politischen Rechte zurückzugegeben (691 63) und die Spitzen der Senatspartei wurden von persönlichen Angriffen unablässig verfolgt. So hing Gaius Memmius dem Marcus Lucullus im Jahre 688 (66) einen Tendenzprozeß an. So ließ man dessen berühmteren Bruder vor den Toren der Hauptstadt drei Jahre auf den wohlverdienten Triumph harren (688-691 66-63). Ähnlich wurden Quintus Rex und der Eroberer von Kreta, Quintus Metellus, insultiert. Größeres Aufsehen noch machte es, daß der junge Führer der Demokratie Gaius Caesar im Jahre 691 (63) nicht bloß sich es herausnahm, bei der Bewerbung um das höchste Priesteramt mit den beiden angesehensten Männern der Nobilität, Quintus Catulus und Publius Servilius, dem Sieger von Isaura, zu konkurrieren, sondern sogar bei der Bürgerschaft ihnen den Rang ablief. Die Erben Sullas, namentlich sein Sohn Faustus, sahen sich beständig bedroht von einer Klage auf Rückerstattung der von dem Regenten angeblich unterschlagenen öffentlichen Gelder. Man sprach sogar von der Wiederaufnahme der im Jahre 664 (99) sistierten demokratischen Anklagen auf Grund des Varischen Gesetzes. Am nachdrücklichsten wurden begreiflicherweise die bei den Sullanischen Exekutionen beteiligten Individuen gerichtlich verfolgt. Wenn der Quästor Marcus Cato in seiner täppischen Ehrlichkeit selber den Anfang damit machte, ihnen die empfangenen Mordprämien als widerrechtlich dem Staate entfremdetes Gut wiederabzufordern (689 65), so kann es nicht befremden, daß das Jahr darauf (690 64) Gaius Caesar als Vorsitzender in dem Mordgericht die Klausel in der Sullanischen Ordnung, welche die Tötung eines Geächteten straflos erklärte, kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Luscius, vor seine Geschworenen stellen und zum Teil auch verurteilen ließ. Endlich unterließ man nicht, die lange verfemten Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder öffentlich zu nennen und ihre Andenken zu feiern. Wie Saturninus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Prozeß rehabilitiert ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nennung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, daß derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Führers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im Jahre 686 (68) Gaius Caesar es wagte, den Verboten zuwider bei der Beerdigung der Witwe des Marius die verehrten Züge des Helden auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Aber als gar drei Jahre nachher (689 65) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Kapitol hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens, allen unerwartet, wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Marmor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem Afrikanischen und Kimbrischen Kriege, Tränen in den Augen, um das Bild des geliebten Feldherrn, und den jubelnden Massen gegenüber wagte der Senat nicht, an den Trophäen sich zu vergreifen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz erneuert hatte.

Indes all dieses Treiben und Hadern, soviel Lärm es auch machte, war politisch betrachtet von sehr untergeordneter Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans Ruder gelangt. Daß die Kleinen und Kleinsten herbeieilten, um dem am Boden liegenden Feind noch einen Fußtritt zu versetzen; daß auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Prinzipienkult hatten; daß ihre Doktrinäre nicht ruhten, bis die sämtlichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wiederhergestellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie Legitimisten es pflegen - das alles war ebenso begreiflich wie gleichgültig. Im ganzen genommen ist die Agitation ziellos und sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an, einen Gegenstand für ihre Tätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durchaus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht. Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristokratie waren die Demokraten Sieger geblieben; aber sie hatten nicht allein gesiegt und die Feuerprobe stand ihnen noch bevor - die Abrechnung nicht mit dem bisherigen Feind, sondern mit dem übermächtigen Bundesgenossen, dem sie in dem Kampfe mit der Aristokratie wesentlich den Sieg verdankten und dem sie jetzt eine beispiellose militärische und politische Gewalt selbst in die Hände gegeben hatten, weil sie nicht wagten, sie ihm zu verweigern. Noch war der Feldherr des Ostens und der Meere beschäftigt, Könige ein- und abzusetzen; wielange Zeit er dazu sich nehmen, wann er das Kriegsgeschäft für beendet erklären werde, konnte keiner sagen als er selbst, da wie alles andere, so auch der Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Italien, das heißt der Entscheidung in seine Hand gelegt war. Die Parteien in Rom inzwischen saßen und harrten. Die Optimaten freilich sahen der Ankunft des gefürchteten Feldherrn verhältnismäßig ruhig entgegen; bei dem Bruch zwischen Pompeius und der Demokratie, dessen Herannahen auch ihnen nicht entging, konnten sie nicht verlieren, sondern nur gewinnen. Dagegen die Demokraten warteten mit peinlicher Angst und suchten während der durch Pompeius’ Abwesenheit noch vergönnten Frist gegen die drohende Explosion eine Kontermine zu legen. Hierin trafen sie wieder zusammen mit Crassus, dem nichts übrig blieb, um dem beneideten und gehaßten Nebenbuhler zu begegnen, als sich neu und enger als zuvor mit der Demokratie zu verbünden. Schon bei der ersten Koalition hatten Caesar und Crassus als die beiden Schwächeren sich besonders nahe gestanden; das gemeinschaftliche Interesse und die gemeinschaftliche Gefahr zog das Band noch fester, das den reichsten und den verschuldetsten Mann von Rom zu engster Allianz verknüpfte. Während öffentlich die Demokraten den abwesenden Feldherrn als das Haupt und den Stolz ihrer Partei bezeichneten und alle ihre Pfeile gegen die Aristokratie zu richten schienen, ward im stillen gegen Pompeius gerüstet; und diese Versuche der Demokratie, sich der drohenden Militärdiktatur zu entwinden, haben geschichtlich eine weit höhere Bedeutung als die lärmende und größtenteils nur als Maske benutzte Agitation gegen die Nobilität. Freilich bewegten sie sich in einem Dunkel, in das unsere Überlieferung nur einzelne Streiflichter fallen läßt; denn nicht die Gegenwart allein, auch die Folgezeit hatte ihre Ursachen, einen Schleier darüber zu werfen. Indes im allgemeinen sind sowohl der Gang wie das Ziel dieser Bestrebungen vollkommen klar. Der Militärgewalt konnte nur durch eine andere Militärgewalt wirksam Schach geboten werden. Die Absicht der Demokraten war, sich nach dem Beispiel des Marius und Cinna der Zügel der Regierung zu bemächtigen, sodann einen ihrer Führer sei es mit der Eroberung Ägyptens, sei es mit der Statthalterschaft Spaniens oder einem ähnlichen ordentlichen oder außerordentlichen Amte zu betrauen und in ihm und seinem Heer ein Gegengewicht gegen Pompeius und dessen Armee zu finden. Dazu bedurften sie einer Revolution, die zunächst gegen die nominelle Regierung, in der Tat gegen Pompeius ging als den designierten Monarchen; und um diese Revolution zu bewirken, war von der Erlassung der Gabinisch-Manilischen Gesetze an bis auf Pompeius’ Rückkehr (688 - 692 66 - 62) die Verschwörung in Rom in Permanenz ^1. Die Hauptstadt war in ängstlicher Spannung; die gedrückte Stimmung der Kapitalisten, die Zahlungsstockungen, die häufigen Bankrotte waren Vorboten der gärenden Umwälzung, die zugleich eine gänzlich neue Stellung der Parteien herbeiführen zu müssen schien. Der Anschlag der Demokratie, der über den Senat hinweg auf Pompeius zielte, legte eine Ausgleichung zwischen diesen nahe. Die Demokratie aber, indem sie der Diktatur des Pompeius die eines ihr genehmeren Mannes entgegenzustellen versuchte, erkannte genau genommen auch ihrerseits das Militärregiment an und trieb in der Tat den Teufel aus durch Beelzebub; unter den Händen ward ihr die Prinzipien- zur Personenfrage.

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^1 Wer die Gesamtlage der politischen Verhältnisse dieser Zeit übersieht, wird spezieller Beweise nicht bedürfen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß das letzte Ziel der demokratischen Machinationen 688f. (66) nicht der Sturz des Senats war, sondern der des Pompeius. Doch fehlt es auch an solchen Beweisen nicht. Daß die Gabinisch-Manilischen Gesetze der Demokratie einen tödlichen Schlag versetzten, sagt Sallust (Cat. 39); daß die Verschwörung 688-689 (66-65) und die Servilische Rogation speziell gegen Pompeius gerichtet waren, ist gleichfalls bezeugt (Sall. Cat. 19; Val. Max. 6, 2, 4; Cic. leg. agr. 2, 17, 46). Überdies zeigt Crassus’ Stellung zu der Verschwörung allein schon hinreichend, daß sie gegen Pompeius gerichtet war.

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Die Einleitung zu der von den Führern der Demokratie entworfenen Revolution sollte also der Sturz der bestehenden Regierung durch eine zunächst in Rom von demokratischen Verschworenen angestiftete Insurrektion sein. Der sittliche Zustand der niedrigsten wie der höchsten Schichten der hauptstädtischen Gesellschaft bot hierzu den Stoff in beklagenswerter Fülle. Wie das freie und das Sklavenproletariat der Hauptstadt beschaffen waren, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es ward schon das bezeichnende Wort vernommen, daß nur der Arme den Armen zu vertreten fähig sei - der Gedanke regte sich also, daß die Masse der Armen so gut wie die Oligarchie der Reichen sich als selbständige Macht konstituieren und, statt sich tyrannisieren zu lassen, auch wohl ihrerseits den Tyrannen spielen könne. Aber auch in den Kreisen der vornehmen Jugend fanden ähnliche Gedanken einen Widerhall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete nicht bloß das Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes. Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen Stutzbärte und Manschetten, so lustig es auch darin bei Tanz und Zitherspiel und früh und spät beim Becher herging, barg doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und ökonomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung und wahnsinniger oder bübischer Entschlüsse. In diesen Kreisen ward unverhohlen geseufzt nach der Wiederkehr der cinnanischen Zeit mit ihren Ächtungen und Konfiskationen und ihrer Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und ungewöhnlichen Anlagen, die nur auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschar über die bürgerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen sich wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es an Führern nicht; auch hier fanden sich bald Männer, die zu Räuberhauptleuten sich eigneten. Der gewesene Prätor Lucius Catilina, der Quästor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Genossen nicht bloß durch ihre vornehme Geburt und ihren höheren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig hinter sich abgebrochen und imponierten ihren Spießgesellen durch ihre Ruchlosigkeit ebensosehr wie durch ihre Talente. Vor allem Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit. Seine Bubenstücke gehören in die Kriminalakten, nicht in die Geschichte; aber schon sein Äußeres, das bleiche Antlitz, der wilde Blick, der bald träge, bald hastige Gang verrieten seine unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besaß er die Eigenschaften, die von dem Führer einer solchen Rotte verlangt werden: die Fähigkeit, alles zu genießen und alles zu entbehren, Mut, militärisches Talent, Menschenkenntnis, Verbrecherenergie und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher zu erziehen versteht.

Aus solchen Elementen eine Verschwörung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte Männern, die Geld und politischen Einfluß besaßen, nicht schwerfallen. Catilina, Piso und ihresgleichen gingen bereitwillig auf jeden Plan ein, der ihnen Ächtungen und Kassation der Schuldbücher in Aussicht stellte; jener war überdies noch mit der Aristokratie speziell verfeindet, weil sie sich der Bewerbung des verworfenen und gefährlichen Menschen um das Konsulat widersetzt hatte. Wie er einst als Scherge Sullas an der Spitze einer Keltenschar auf die Geächteten Jagd gemacht und unter anderen seinen eigenen hochbejahrten Schwager mit eigener Hand niedergestoßen hatte, so ließ er jetzt sich bereitwillig dazu herbei, der Gegenpartei ähnliche Dienst zuzusagen. Ein geheimer Bund ward gestiftet. Die Zahl der in denselben aufgenommenen Individuen soll 400 überstiegen haben; er zählte Affiliierte in allen Landschaften und Stadtgemeinden Italiens; überdies verstand es sich von selbst, daß einer Insurrektion, die das zeitgemäße Programm der Schuldentilgung auf ihre Fahne schrieb, aus den Reihen der liederlichen Jugend zahlreiche Rekruten ungeheißen zuströmen würden.

Im Dezember 688 (66) - so wird erzählt - glaubten die Leiter des Bundes den geeigneten Anlaß gefunden zu haben, um loszuschlagen. Die beiden für 689 (65) erwählten Konsuln Publius Cornelius Sulla und Publius Autronius Paetus waren vor kurzem der Wahlbestechung gerichtlich überwiesen und deshalb nach gesetzlicher Vorschrift ihrer Anwartschaft auf das höchste Amt verlustig erklärt worden. Beide traten hierauf dem Bunde bei. Die Verschworenen beschlossen, ihnen das Konsulat mit Gewalt zu verschaffen und dadurch sich selbst in den Besitz der höchsten Gewalt im Staate zu setzen. An dem Tage, wo die neuen Konsuln ihr Amt antreten würden, dem 1. Januar 689 (65) sollte die Kurie von Bewaffneten gestürmt, die neuen Konsuln und die sonst bezeichneten Opfer niedergemacht und Sulla und Paetus nach Kassierung des gerichtlichen Urteils, das sie ausschloß, als Konsuln proklamiert werden. Crassus sollte sodann die Diktatur, Caesar das Reiterführeramt übernehmen, ohne Zweifel, um eine imposante Militärmacht auf die Beine zu bringen, während Pompeius fern am Kaukasus beschäftigt war. Hauptleute und Gemeine waren gedungen und angewiesen; Catilina wartete an dem bestimmten Tage in der Nähe des Rathauses auf das verabredete Zeichen, das auf Crassus’ Wink ihm von Caesar gegeben werden sollte. Allein er wartete vergebens; Crassus fehlte in der entscheidenden Senatssitzung, und daran scheiterte für diesmal die projektierte Insurrektion. Ein ähnlicher noch umfassenderer Mordplan ward dann für den 5. Februar verabredet; allein auch dieser ward vereitelt, da Catilina das Zeichen zu früh gab, bevor noch die bestellten Banditen sich alle eingefunden hatten. Darüber ward das Geheimnis ruchbar. Die Regierung wagte zwar nicht, offen der Verschwörung entgegenzutreten, aber sie gab doch den zunächst bedrohten Konsuln Wachen bei und stellte der Bande der Verschworenen eine von der Regierung bezahlte entgegen. Um Piso zu entfernen, wurde der Antrag gestellt, ihn als Quästor mit prätorischen Befugnissen nach dem diesseitigen Spanien zu senden; worauf Crassus einging, in der Hoffnung, durch denselben die Hilfsquellen dieser wichtigen Provinz für die Insurrektion zu gewinnen. Weitergehende Vorschläge wurden durch die Tribune verhindert.

Also lautet die Überlieferung, welche offenbar die in den Regierungskreisen umlaufende Version wiedergibt und deren Glaubwürdigkeit im einzelnen in Ermangelung jeder Kontrolle dahingestellt bleiben muß. Was die Hauptsache anlangt, die Beteiligung von Caesar und Crassus, so kann allerdings das Zeugnis ihrer politischen Gegner nicht als ausreichender Beweis dafür angesehen werden. Aber es paßt doch ihre offenkundige Tätigkeit in dieser Epoche auffallend genau zu der geheimen, die dieser Bericht ihnen beimißt. Daß Crassus, der in diesem Jahre Zensor war, als solcher den Versuch machte, die Transpadaner in die Bürgerliste einzuschreiben, war schon geradezu ein revolutionäres Beginnen. Noch bemerkenswerter ist es, daß Crassus bei derselben Gelegenheit Anstalt machte, Ägypten und Kypros in das Verzeichnis der römischen Domänen einzutragen ^2 und daß Caesar um die gleiche Zeit (689 oder 690 65 oder 64) durch einige Tribune bei der Bürgerschaft den Antrag stellen ließ, ihn nach Ägypten zu senden, um den von den Alexandrinern vertriebenen König Ptolemaeos wiedereinzusetzen. Diese Machinationen stimmen mit den von den Gegnern erhobenen Anklagen in bedenklicher Weise zusammen. Gewisses läßt sich hier nicht ermitteln; aber die große Wahrscheinlichkeit ist dafür, daß Crassus und Caesar den Plan entworfen hatten, sich während Pompeius’ Abwesenheit der Militärdiktatur zu bemächtigen; daß Ägypten zur Basis dieser demokratischen Militärmacht ausersehen war; daß endlich der Insurrektionsversuch von 689 (65) angezettelt worden ist, um diese Entwürfe zu realisieren und Catilina und Piso also Werkzeuge in den Händen von Crassus und Caesar gewesen sind.

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^2 Plut. Crass. 13; Cic. leg. agr. 2, 17, 44. In dies Jahr (689 65) gehört Ciceros Rede De rege Alexandrino, die man unrichtig in das Jahr 698 (56) gesetzt hat. Cicero widerlegt darin, wie die Fragmente deutlich zeigen, Crassus’ Behauptung, daß durch das Testament des Königs Alexandros Ägypten römisches Eigentum geworden sei. Diese Rechtsfrage konnte und mußte im Jahre 689 (65) diskutiert werden; im Jahre 698 (56) aber war sie durch das Julische Gesetz von 695 (59) bedeutungslos geworden. Auch handelte es sich im Jahre 698 (56) gar nicht um die Frage, wem Ägypten gehöre, sondern um die Zurückführung des durch einen Aufstand vertriebenen Königs, und es hat bei dieser uns genau bekannten Verhandlung Crassus keine Rolle gespielt. Endlich war Cicero nach der Konferenz von Luca durchaus nicht in der Lage, gegen einen der Triumvirn ernstlich zu opponieren.

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Einen Augenblick kam die Verschwörung ins Stocken. Die Wahlen für 690 (64) fanden statt, ohne daß Crassus und Caesar ihren Versuch sich des Konsulats zu bemeistern, dabei erneuert hätten; wozu mit beigetragen haben mag, daß ein Verwandter des Führers der Demokratie, Lucius Caesar, ein schwacher und von seinem Geschlechtsfreund nicht selten als Werkzeug benutzter Mann, diesmal um das Konsulat sich bewarb. Indes drängten die Berichte aus Asien zur Eile. Die kleinasiatischen und armenischen Angelegenheiten waren bereits vollständig geordnet. So klar auch die demokratischen Strategen es bewiesen, daß der Mithradatische Krieg erst mit der Gefangennahme des Königs als beendigt gelten könne und daß es deshalb notwendig sei, die Hetzjagd um das Schwarze Meer herum zu beginnen, vor allen Dingen aber von Syrien fernzubleiben - Pompeius war, unbekümmert um solches Geschwätz, im Frühjahr 690 (64) aus Armenien aufgebrochen und nach Syrien marschiert. Wenn Ägypten wirklich zum Hauptquartier der Demokratie ausersehen war, so war keine Zeit zu verlieren; leicht konnte sonst Pompeius eher als Caesar in Ägypten stehen. Die Verschwörung von 688 (66) durch die schlaffen und ängstlichen Repressivmaßregeln keineswegs gesprengt, regte sich wieder, als die Konsulwahlen für 691 (63) herankamen. Die Personen waren vermutlich wesentlich dieselben und auch der Plan nur wenig verändert. Die Leiter der Bewegung hielten wieder sich im Hintergrund. Als Bewerber um das Konsulat hatten sie diesmal aufgestellt: Catilina selbst und Gaius Antonius, den jüngeren Sohn des Redners, einen Bruder des von Kreta her übel berufenen Feldherrn. Catilinas war man sicher; Antonius, ursprünglich Sullaner wie Catilina und wie dieser vor einigen Jahren von der demokratischen Partei deshalb vor Gericht gestellt und aus dem Senat ausgestoßen, übrigens ein schlaffer, unbedeutender, in keiner Hinsicht zum Führer berufener, vollständig bankrotter Mann, gab um den Preis des Konsulats und der daran geknüpften Vorteile sich den Demokraten willig zum Werkzeug hin. Durch diese Konsuln beabsichtigten die Häupter der Verschwörung, sich des Regiments zu bemächtigen, die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Kinder des Pompeius als Geiseln festzunehmen und in Italien und den Provinzen gegen Pompeius zu rüsten. Auf die erste Nachricht von dem in der Hauptstadt gefallenen Schlage sollte der Statthalter Gnaeus Piso im diesseitigen Spanien die Fahne der Insurrektion aufstecken. Die Kommunikation mit ihm konnte auf dem Seeweg nicht stattfinden, da Pompeius das Meer beherrschte; man zählte dafür auf die Transpadaner, die alten Klienten der Demokratie, unter denen es gewaltig gärte und die natürlich sofort das Bürgerrecht erhalten haben würden, ferner auf verschiedene keltische Stämme ^3. Bis nach Mauretanien hin liefen die Fäden dieser Verbindung. Einer der Mitverschworenen, der römische Großhändler Publius Sittius aus Nuceria, durch finanzielle Verwicklungen gezwungen, Italien zu meiden, hatte daselbst und in Spanien einen Trupp verzweifelter Leute bewaffnet und zog mit diesen als Freischarenführer im westlichen Afrika herum, wo er alte Handelsverbindungen hatte.

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^3 Die Ambrani (Suet. Caes. 9) sind wohl nicht die mit den Kimbern zusammen genannten Ambronen (Plot. Mar. 19), sondern verschrieben für Arverni.

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Die Partei strengte alle ihre Kräfte für den Wahlkampf an. Crassus und Caesar setzten ihr Geld - eigenes oder geborgtes -und ihre Verbindungen ein, um Catilina und Antonius das Konsulat zu verschaffen; Catilinas Genossen spannten jeden Nerv an, um den Mann an das Ruder zu bringen, der ihnen die Ämter und Priestertümer, die Paläste und Landgüter ihrer Gegner und vor allen Dingen Befreiung von ihren Schulden verhieß und von dem man wußte, daß er Wort halten werde. Die Aristokratie war in großer Not, hauptsächlich weil sie nicht einmal Gegenkandidaten aufzustellen vermochte. Daß ein solcher seinen Kopf wagte, war offenbar; und die Zeiten waren nicht mehr, wo der Posten der Gefahr den Bürger lockte - jetzt schwieg selbst der Ehrgeiz vor der Angst. So begnügte sich die Nobilität, einen schwächlichen Versuch zu machen, den Wahlumtrieben durch Erlassung eines neuen Gesetzes über den Stimmenkauf zu steuern -was übrigens an der Interzession eines Volkstribunen scheiterte - und ihre Stimmen auf einen Bewerber zu werfen, der ihr zwar auch nicht genehm, aber doch wenigstens unschädlich war. Es war dies Marcus Cicero, notorisch ein politischer Achselträger ^4, gewohnt bald mit den Demokraten, bald mit Pompeius, bald aus etwas weiterer Ferne mit der Aristokratie zu liebäugeln und jedem einflußreichen Beklagten ohne Unterschied der Person oder Partei - auch Catilina zählte er unter seinen Klienten - Advokatendienste zu leisten, eigentlich von keiner Partei oder, was ziemlich dasselbe ist, von der Partei der materiellen Interessen, die in den Griechen dominierte und den beredten Sachwalter, den höflichen und witzigen Gesellschafter gern hatte. Er hatte Verbindungen genug in der Hauptstadt und den Landstädten, um neben den vor der Demokratie aufgestellten Kandidaten eine Chance zu haben; und da auch die Nobilität, obwohl nicht gern, und die Pompeianer für ihn stimmten, ward er mit großer Majorität gewählt. Die beiden Kandidaten der Demokratie erhielten fast gleich viele Stimmen, jedoch fielen auf Antonius, dessen Familie angesehener war als die seines Konkurrenten, einige mehr. Dieser Zufall vereitelte die Wahl Catilinas und rettete Rom vor einem zweiten Cinna. Schon etwas früher war Piso, es hieß auf Anstiften seines politischen und persönlichen Feindes Pompeius, in Spanien von seiner einheimischen Eskorte niedergemacht worden ^5. Mit dem Konsul Antonius allein war nichts anzufangen; Cicero sprengte das lockere Band, das ihn an die Verschwörung knüpfte, noch ehe sie beide ihre Ämter antraten, indem er auf die von Rechts wegen ihm zustehende Losung um die Konsularprovinzen Verzicht leistete und dem tief verschuldeten Kollegen die einträgliche Statthalterschaft Makedonien überließ. Die wesentlichen Vorbedingungen auch dieses Anschlags waren also gefallen.

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^4 Naiver kann dies nicht ausgesprochen werden, als es in der seinem Bruder untergeschobenen Denkschrift geschieht (pet. 1, 5; 13, 51 53 vom Jahre 690 64); der Bruder selbst würde schwerlich sich so offenherzig öffentlich geäußert haben. Als authentisches Belegstück dazu werden unbefangene Leute nicht ohne Interesse die zweite Rede gegen Rullus lesen, wo der “erste demokratische Konsul”, in sehr ergötzlicher Weise das liebe Publikum nasführend, ihm die “richtige Demokratie” entwickelt.

^5 Seine noch vorhandene Grabschrift lautet: Cn. Calpurnius Cn, f. Piso quaestor pro pr. ex s. c. provinciam Hispaniam citeriorem optinuit.

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Inzwischen entwickelten die orientalischen Verhältnisse sich immer bedrohlicher für die Demokratie. Die Ordnung Syriens schritt rasch vorwärts; schon waren von Ägypten Aufforderungen an Pompeius ergangen, daselbst einzurücken und das Land für Rom einzuziehen; man mußte fürchten, demnächst zu vernehmen, daß Pompeius selbst das Niltal in Besitz genommen habe. Eben hierdurch mag Caesars Versuch, sich geradezu vom Volke nach Ägypten senden zu lassen, um dem Könige gegen seine aufrührerischen Untertanen Beistand zu leisten, hervorgerufen worden sein; er scheiterte, wie es scheint, an der Abneigung der Großen und Kleinen, irgend etwas gegen Pompeius’ Interesse zu unternehmen. Pompeius’ Heimkehr und damit die wahrscheinliche Katastrophe rückten immer näher; wie oft auch die Sehne gerissen war, es mußte doch wieder versucht werden, denselben Boten zu spannen. Die Stadt war in dumpfer Gärung: häufige Konferenzen der Häupter der Bewegung deuteten an, daß wieder etwas im Werke sei. Was das sei, ward offenbar, als die neuen Volkstribune ihr Amt antraten (10. Dezember 690 64) und sogleich einer von ihnen, Publius Servillius Rullus, ein Ackergesetz beantragte, das den Führern der Demokraten eine ähnliche Stellung verschaffen sollte, wie sie infolge der Gabinisch-Manilischen Anträge Pompeius einnahm. Der nominelle Zweck war die Gründung von Kolonien in Italien, wozu der Boden indes nicht durch Expropriation gewonnen werden sollte - vielmehr wurden alle bestehenden Privatrechte garantiert, ja sogar die widerrechtlichen Okkupationen der jüngsten Zeit in volles Eigentum umgewandelt. Nur die verpachtete kampanische Domäne sollte parzelliert und kolonisiert werden, im übrigen die Regierung das zur Assignation bestimmte Land durch gewöhnlichen Kauf erwerben. Um die hierzu nötigen Summen zu beschaffen, sollte das übrige italische und vor allem alles außeritalische Domanialland sukzessiv zum Verkauf gebracht werden; worunter namentlich die ehemaligen königlichen Tafelgüter in Makedonien, dem Thrakischen Chersones, Bithynien, Pontus, Kyrene, ferner die Gebiete der nach Kriegsrecht zu vollem Eigen gewonnenen Städte in Spanien, Afrika, Sizilien, Hellas, Kilikien verstanden waren. Verkauft werden sollte ingleichen alles, was der Staat an beweglichen und unbeweglichem Gut seit dem Jahre 666 (88) erworben und worüber er nicht früher verfügt hatte; was hauptsächlich auf Ägypten und Kypros zielte. Zu dem gleichen Zweck wurden alle untertänigen Gemeinden mit Ausnahme der Städte latinischen Rechts und der sonstigen Freistädte mit sehr hoch gegriffenen Gefällen und Zehnten belastet. Ebenfalls ward endlich für jene Ankäufe bestimmt der Ertrag der neuen Provinzialgefälle, anzurechnen vom Jahre 692 (62) und der Erlös aus der sämtlichen, noch nicht gesetzmäßig verwandten Beute; welche Anordnungen auf die neuen, von Pompeius im Osten eröffneten Steuerquellen und auf die in den Händen des Pompeius und der Erben Sullas befindlichen öffentlichen Gelder sich bezog. Zur Ausführung dieser Maßregel sollten Zehnmänner mit eigener Jurisdiktion und eigenem Imperium ernannt werden, welche fünf Jahre im Amte zu bleiben und mit 200 Unterbeamten aus dem Ritterstand sich zu umgeben hatten; bei der Wahl der Zehnmänner aber sollten nur die Kandidaten, die persönlich sich melden würden, berücksichtigt werden dürfen und, ähnlich wie bei den Priesterwahlen, nur siebzehn durch Los aus den fünfunddreißig zu bestimmende Bezirke wählen. Es war ohne großen Scharfsinn zu erkennen, daß man in diesem Zehnmännerkollegium eine der des Pompeius nachgebildete, nur etwas weniger militärisch und mehr demokratisch gefärbte Gewalt zu schaffen beabsichtigte. Man bedurfte der Gerichtsbarkeit namentlich, um die ägyptische Frage zu entscheiden, der Militärgewalt, um gegen Pompeius zu rüsten; die Klausel, welche die Wahl eines Abwesenden untersagte, schloß Pompeius aus, und die Verminderung der stimmberechtigten Bezirke sowie die Manipulation des Auslosens sollten die Lenkung der Wahl im Sinne der Demokratie erleichtern.

Indes dieser Versuch verfehlte gänzlich sein Ziel. Die Menge, die es bequemer fand, das Getreide im Schatten der römischen Hallen aus den öffentlichen Magazinen sich zumessen zu lassen, als es im Schweiße des Angesichts selber zu bauen, nahm den Antrag an sich schon mit vollkommener Gleichgültigkeit auf. Sie fühlte auch bald heraus, daß Pompeius einen solchen, in jeder Hinsicht ihn verletzenden Beschluß sich nimmermehr gefallen lassen werde und daß es nicht gut stehen könne mit einer Partei, die in ihrer peinlichen Angst sich zu so ausschweifenden Anerbietungen herbeilasse. Unter solchen Umständen fiel es der Regierung nicht schwer, den Antrag zu vereiteln; der neue Konsul Cicero nahm die Gelegenheit wahr, sein Talent, offene Türen einzulaufen, auch hier geltend zu machen; noch ehe die bereitstehenden Tribune interzedierten, zog der Urheber selbst den Vorschlag zurück (1. Januar 691 62). Die Demokratie hatte nichts gewonnen als die unerfreuliche Belehrung, daß die große Menge in Liebe oder in Furcht fortwährend noch zu Pompeius hielt und daß jeder Antrag sicher fiel, den das Publikum als gegen Pompeius gerichtet erkannte.

Ermüdet von all diesem vergeblichen Wühlen und resultatlosem Planen, beschloß Catilina, die Sache zur Entscheidung zu treiben und ein für allemal ein Ende zu machen. Er traf im Laufe des Sommers seine Maßregeln, um den Bürgerkrieg zu eröffnen. Faesulae (Fiesole), eine sehr feste Stadt in dem von Verarmten und Verschworenen wimmelnden Etrurien und fünfzehn Jahre zuvor der Herd des Lepidianischen Aufstandes, ward wiederum zum Hauptquartier der Insurrektion ausersehen. Dorthin gingen die Geldsendungen, wozu namentlich die in die Verschwörung verwickelten vornehmen Damen der Hauptstadt die Mittel hergaben; dort wurden Waffen und Soldaten gesammelt; ein alter sullanischer Hauptmann, Gaius Manlius, so tapfer und so frei von Gewissensskrupeln wie nur je ein Lanzknecht, übernahm daselbst vorläufig den Oberbefehl. Ähnliche wenn auch minder ausgedehnte Zurüstungen wurden an andern Punkten Italiens gemacht. Die Transpadaner waren so aufgeregt, daß sie nur auf das Zeichen zum Losschlagen zu warten schienen. Im bruttischen Lande, an der Ostküste Italiens, in Capua, wo überall große Sklavenmassen angehäuft waren, schien eine zweite Sklaveninsurrektion, gleich der des Spartacus, im Entstehen. Auch in der Hauptstadt bereitete etwas sich vor; wer die trotzige Haltung sah, in der die vorgeforderten Schuldner vor dem Stadtprätor erschienen, mußte der Szenen gedenken, die der Ermordung des Asellio vorangegangen waren. Die Kapitalisten schwebten in namenloser Angst; es zeigte sich nötig, das Verbot der Gold- und Silberausfuhr einzuschärfen und die Haupthäfen überwachen zu lassen. Der Plan der Verschworenen war, bei der Konsulwahl für 692 (62) zu der Catilina sich wieder gemeldet hatte, den wahlleitenden Konsul sowie die unbequemen Mitbewerber kurzweg niederzumachen und Catilinas Wahl um jeden Preis durchzusetzen, nötigenfalls selbst bewaffnete Scharen von Faesulae und den anderen Sammelpunkten gegen die Hauptstadt zu führen und mit ihnen den Widerstand zu brechen.

Cicero, beständig durch seine Agenten und Agentinnen von den Verhandlungen der Verschworenen rasch und vollständig unterrichtet, denunzierte an dem anberaumten Wahltag (20. Oktober) die Verschwörung in vollem Senat und im Beisein ihrer hauptsächlichsten Führer. Catilina ließ sich nicht dazu herab zu leugnen; er antwortete trotzig, wenn die Wahl zum Konsul auf ihn fallen sollte, so werde es allerdings der großen hauptlosen Partei gegen die kleine, von elenden Häuptern geleitete an einem Führer nicht länger fehlen. Indes da handgreifliche Beweise des Komplotts nicht vorlagen, war von dem ängstlichen Senat nichts weiter zu erreichen, als daß er in der üblichen Weise den von den Beamten zweckmäßig befundenen Ausnahmemaßregeln im voraus seine Sanktion erteilte (21. Oktober). So nahte die Wahlschlacht, diesmal mehr eine Schlacht als eine Wahl; denn auch Cicero hatte aus den jüngeren Männern namentlich des Kaufmannsstandes sich eine bewaffnete Leibwache gebildet; und seine Bewaffneten waren es, die am 28. Oktober, auf welchen Tag die Wahl vom Senat verschoben worden war, das Marsfeld bedeckten und beherrschten. Den Verschworenen gelang es weder, den wahlleitenden Konsul niederzumachen noch die Wahlen in ihrem Sinne zu entscheiden.

Inzwischen aber hatte der Bürgerkrieg begonnen. Am 27. Oktober hatte Gaius Manlius bei Faesulae den Adler aufgepflanzt, um den die Armee der Insurrektion sich scharen sollte - es war einer der Marianischen aus dem Kimbrischen Kriege -, und die Räuber aus den Bergen wie das Landvolk aufgerufen, sich ihm anzuschließen. Seine Proklamationen forderten, anknüpfend an die alten Traditionen der Volkspartei, Befreiung von der erdrückendem Schuldenlast und Milderung des Schuldprozesses, der, wenn der Schuldbestand in der Tat das Vermögen überstieg, allerdings immer noch rechtlich den Verlust der Freiheit für den Schuldner nach sich zog. Es schien, als wolle das hauptstädtische Gesindel, indem es gleichsam als legitimer Nachfolger der alten plebejischen Bauernschaft auftrat und unter den ruhmvollen Adlern des Kimbrischen Krieges seine Schlachten schlug, nicht bloß die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit Roms beschmutzen. Indes blieb diese Schilderhebung vereinzelt; in den anderen Sammelpunkten kam die Verschwörung nicht hinaus über Waffenaufhäufung und Veranstaltung geheimer Zusammenkünfte, da es überall an entschlossenen Führern gebrach. Es war ein Glück für die Regierung; denn wie offen auch seit längerer Zeit der bevorstehende Bürgerkrieg angekündigt war, hatten doch die eigene Unentschlossenheit und die Schwerfälligkeit der verrosteten Verwaltungsmaschinerie ihr nicht gestattet, irgendwelche militärische Vorbereitungen zu treffen. Erst jetzt ward der Landsturm aufgerufen und wurden in die einzelnen Landschaften Italiens höhere Offiziere kommandiert, um jeder in seinem Bezirk die Insurrektion zu unterdrücken, zugleich aus der Hauptstadt die Fechtersklaven ausgewiesen und wegen der befürchteten Brandstiftungen Patrouillen angeordnet. Catilina war in einer peinlichen Lage. Nach seiner Absicht hatte bei den Konsularwahlen gleichzeitig in der Hauptstadt und in Etrurien Iosgeschlagen werden sollen; das Scheitern der ersteren und das Ausbrechen der zweiten Bewegung gefährdete ihn persönlich wie den ganzen Erfolg seines Unternehmens. Nachdem einmal die Seinigen bei Faesulae die Waffen gegen die Regierung erhaben hatten, war in Rom seines Bleibens nicht mehr; und dennoch lag ihm nicht bloß alles daran, die hauptstädtische Verschwörung jetzt wenigstens zum raschen Losschlagen zu bestimmen, sondern wußte dies auch geschehen sein, bevor er Rom verließ - denn er kannte seine Gehilfen zu gut, um sich dafür auf sie zu verlassen. Die angesehenen unter den Mitverschworenen, Publius Lentulus Sura, Konsul 683 (71), später aus dem Senat gestoßen und jetzt, um in den Senat zurückzugelangen, wieder Prätor, und die beiden gewesenen Prätoren Publius Autronius und Lucius Cassius waren unfähige Menschen, Lentulus ein gewöhnlicher Aristokrat von großen Warten und großen Ansprüchen, aber langsam im Begreifen und unentschlossen im Handeln, Autronius durch nichts ausgezeichnet als durch seine gewaltige Kreischstimme; von Lucius Cassius gar begriff es niemand, wie ein so dicker und so einfältiger Mensch unter die Verschwörer geraten sei. Die fähigeren Teilnehmer aber, wie den jungen Senator Gaius Cethegus und die Ritter Lucius Statilius und Publius Gabinius Capito, durfte Catilina nicht wagen, an die Spitze zu stellen, da selbst unter den Verschworenen noch die traditionelle Standeshierarchie ihren Platz behauptete und auch die Anarchisten nicht meinten, obsiegen zu können, wenn nicht ein Konsular oder mindestens ein Prätorier an der Spitze stand. Wie dringend darum immer die Insurrektionsarmee nach ihrem Feldherrn verlangte und wie mißlich es für diesen war, nach dem Ausbruch des Aufstandes länger am Sitze der Regierung zu verweilen, entschloß Catilina sich dennoch, vorläufig noch in Rom zu bleiben. Gewohnt, durch seinen kecken Übermut den feigen Gegnern zu imponieren, zeigte er sich öffentlich auf dem Markte wie im Rathaus und antwortete auf die Drohungen, die dort gegen ihn fielen, daß man sich hüten möge, ihn aufs äußerste zu treiben; wem man das Haus anzünde, der werde genötigt, den Brand unter Trümmern zu löschen. In der Tat wagten es weder Private noch Behörden, auf den gefährlichen Menschen die Hand zulegen; es war ziemlich gleichgültig, daß ein junger Adliger ihn wegen Vergewaltigung vor Gericht zog, denn bevor der Prozeß zu Ende kommen konnte, mußte längst anderweitig entschieden sein. Aber auch Catilinas Entwürfe scheiterten, hauptsächlich daran, daß die Agenten der Regierung sich in den Kreis der Verschworenen gedrängt hatten und dieselbe stets von allem Detail des Kornplatts genau unterrichtet hielten. Als zum Beispiel die Verschworenen vor dem festen Praeneste erschienen (1. November), das sie durch einen Handstreich zu überrumpeln gehofft hatten, fanden sie die Bewohner gewarnt und gerüstet; und in ähnlicher Weise schlug alles fehl. Catilina fand bei all seiner Tollkühnheit es doch geraten, jetzt seine Abreise auf einen der nächsten Tage festzusetzen; vorher aber wurde noch auf seine dringende Mahnung in einer letzten Zusammenkunft der Verschworenen in der Nacht vom 6. auf den 7. November beschlossen, den Konsul Cicero, der die Kontermine hauptsächlich leitete, noch vor der Abreise des Führers zu ermorden und, um jedem Verrat zuvorzukommen, diesen Beschluß augenblicklich ins Werk zu setzen. Früh am Morgen des 7. November pochten denn auch die erkorenen Mörder an dem Hause des Konsuls; aber sie sahen die Wachen verstärkt und sich selber abgewiesen - auch diesmal hatten die Spione der Regierung den Verschworenen den Rang abgelaufen. Am Tage darauf (8. November) berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erscheinen und gegen die zornigen Angriffe des Konsuls, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten Tage enthüllte, eine Verteidigung zu versuchen, aber man hörte nicht mehr auf ihn und in der Nähe des Platzes, auf dem er saß, leerten sich die Bänke. Er verließ die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne diesen Zwischenfall ohne Zweifel getan haben würde, der Verabredung gemäß nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum Konsul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste Meldung von dem Ausbruch einer Insurrektion in der Hauptstadt die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regierung erklärte die beiden Führer Catilina und Manlius sowie diejenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und rief neue Milizen ein; aber an die Spitze des gegen Catilina Gestimmten Heeres ward der Konsul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Verschwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm zuführen werde. Man schien es geradezu darauf angelegt zu haben, aus diesem Antonius einen zweiten Lepidus zu machen. Ebensowenig ward eingeschritten gegen die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der Verschwörung, obwohl jedermann mit Fingern auf sie wies und die Insurrektion in der Hauptstadt von den Verschworenen nichts weniger als aufgegeben, vielmehr der Plan derselben noch von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgelegt worden war. Ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Konsul Cicero aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwölf Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen herangezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster Geschwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus’ dringende Vorstellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Losschlagen entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt noch gelingen. Allein die Konspiratoren waren gerade ebenso unfähig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und es kam zu keiner Entscheidung.

Endlich führte die Kontermine sie herbei. In seiner weitläufigen und gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Notwendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitsichtiger Pläne bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom anwesenden Deputierten eines Keltengaus, der Allobrogen, eingelassen und diese, die Vertreter eines gründlich zerrütteten Gemeinwesens und selber tief verschuldet, versucht in die Verschwörung zu verwickeln, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und Briefe an die Vertrauten mitgegeben. Die Allobrogen verließen Rom, wurden aber in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember hart an den Toren von den römischen Behörden angehalten und ihre Papiere ihnen abgenommen. Es zeigte sich, daß die allobrogischen Abgeordneten sich zu Spionen der römischen Regierung hergegeben und die Verhandlungen nur deshalb geführt hatten, um dieser die gewünschten Beweisstücke gegen die Hauptleiter der Verschwörung in die Hände zu spielen. Am Morgen darauf wurden von Cicero in möglichster Stille Verhaftsbefehle gegen die gefährlichsten Führer des Komplotts erlassen und gegen Lentulus, Cethegus, Gabinius und Statilius auch vollzogen, während einige andere durch die Flucht der Festnehmung entgingen. Die Schuld der Ergriffenen wie der Flüchtigen war vollkommen evident. Unmittelbar nach der Verhaftung wurden dem Senat die weggenommenen Briefschaften vorgelegt, zu deren Siegel und Handschrift die Verhafteten nicht umhin konnten, sich zu bekennen, und die Gefangenen und Zeugen verhört; weitere bestätigende Tatsachen, Waffenniederlagen in den Häusern der Verschworenen, drohende Äußerungen, die sie getan, ergaben sich alsbald; der Tatbestand der Verschwörung war vollständig und rechtskräftig festgestellt und die wichtigsten Aktenstücke sogleich auf Ciceros Veranstaltung durch fliegende Blätter publiziert.

Die Erbitterung gegen die anarchistische Verschwörung war allgemein. Gern hätte die oligarchische Partei die Enthüllungen benutzt, um mit der Demokratie überhaupt und namentlich mit Caesar abzurechnen, allein sie war viel zu gründlich gesprengt, um dies durchsetzen und ihm das Ende bereiten zu können, das sie vor Zeiten den beiden Gracchen und dem Saturninus bereitet hatte; in dieser Hinsicht blieb es bei dem guten Willen. Die hauptstädtische Menge empörten namentlich die Brandstiftungspläne der Verschworenen. Die Kaufmannschaft und die ganze Partei der materiellen Interessen erkannte in diesem Krieg der Schuldner gegen die. Gläubiger natürlich einen Kampf um ihre Existenz; in stürmischer Aufregung drängte sich ihre Jugend, die Schwerter in den Händen, um das Rathaus und zückte dieselben gegen die offenen und heimlichen Parteigenossen Catilinas. In der Tat war für den Augenblick die Verschwörung paralysiert; wenn auch vielleicht ihre letzten Urheber noch auf freien Füßen waren, so war doch der ganze mit der Ausführung beauftragte Stab der Verschwörung entweder gefangen oder auf der Flucht; der bei Faesulae versammelte Haufen konnte ohne Unterstützung durch eine Insurrektion in der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten.

In einem leidlich geordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiermit politisch zu Ende gewesen und hätten das Militär und die Gerichte das weitere übernommen. Allein in Rom war es so weit gekommen, daß die Regierung nicht einmal ein paar angesehene Adlige in sicherem Gewahrsam zu halten imstande war. Die Sklaven und Freigelassenen des Lentulus und der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne, hieß es, seien geschmiedet, um sie mit Gewalt aus den Privathäusern, in denen sie gefangen saßen, zu befreien; es fehlte, dank dem anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Bandenführern, die nach einer gewissen Taxe Aufläufe und Gewalttaten in Akkord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereignis benachrichtigt und nahe genug, um mit seinen Scharen einer. dreisten Streich zu versuchen. Wieviel an diesen Reden Wahres war, läßt sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren gegründet, da der Verfassung gemäß in der Hauptstadt der Regierung weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Polizeimacht zu Gebote stand und sie in der Tat jedem Banditenhaufen preisgegeben war. Der Gedanke ward laut, eile etwaigen Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefangenen abzuschneiden. Verfassungmäßig war dies nicht möglich. Nach dem altgeheiligten Provokationsrecht konnte über den Gemeindebürger ein Todesurteil nur von der gesamten Bürgerschaft und sonst von keiner andren Behörde verhängt werden; seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; so gleichgültig auch an sich die Rechtsfrage dem Advokaten sein mochte, er wußte wohl, wie nützlich es ebendiesem ist, liberal zu heißen, und verspürte wenig Lust, durch dies vergossene Blut sich auf ewig von der demokratischen Partei zu scheiden. Indes seine Umgebung, namentlich seine vornehme Gemahlin drängten ihn, seine Verdienste um das Vaterland durch diesen kühnen Schritt zu krönen; der Konsul, wie alle Feigen ängstlich bemüht, den Schein der Feigheit zu vermeiden und doch auch vor der furchtbaren Verantwortung zitternd, berief in seiner Not den Senat und überließ es diesem, über Leben und Tod der vier Gefangenen zu entscheiden. Freilich hatte dies keinen Sinn; denn da der Senat verfassungmäßig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der Konsul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letzteren zurück; aber wann ist je die Feigheit konsequent gewesen? Caesar bot alles auf, um die Gefangenen zu retten, und seine Rede voll versteckter Drohungen vor der künftigen unausbleiblichen Rache der Demokratie machte den tiefsten Eindruck. Obwohl bereits sämtliche Konsulare und die große Majorität des Senats sich für die Hinrichtung ausgesprochen hatten, schienen doch nun wieder die meisten, Cicero voran, sich zur Enthaltung der rechtlichen Schranken zu neigen. Allein indem Cato nach Rabulistenart die Verfechter der milderen Meinung der Mitwisserschaft an dem Komplott verdächtigte und auf die Vorbereitungen zur Befreiung der Gefangenen durch einen Straßenaufstand hinwies, wußte er die schwankenden Seelen wieder in eine andere Furcht zu werfen und für die sofortige Hinrichtung der Verbrecher die Majorität zu gewinnen. Die Vollziehung des Beschlusses lag natürlich dem Konsul ob, der ihn hervorgerufen hatte. Spät am Abend des fünften Dezembers wurden die Verhafteten aus ihren bisherigen Quartieren abgeholt und über den immer noch dicht von Menschen vollgedrängten Marktplatz in das Gefängnis gebracht, worin die zum Tode verurteilten Verbrecher aufbewahrt zu werden pflegten. Es war ein unterirdisches, zwölf Fuß tiefes Gewölbe am Fuß des Kapitols, das ehemals als Brunnenhaus gedient hatte. Der Konsul selbst führte den Lentulus, Prätoren die übrigen, alle von starken Wachen begleitet; doch fand der Befreiungsversuch, den man erwartete, nicht statt. Niemand wußte, ob die Verhafteten in ein gesichertes Gewahrsam oder zur Richtstätte geführt wurden. An der Türe des Kerkers wurden sie den Dreimännern übergeben, die die Hinrichtungen leiteten, und in dem unterirdischen Gewölbe bei Fackelschein erdrosselt. Vor der Türe hatte, bis die Exekutionen vollzogen waren, der Konsul gewartet und rief darauf über den Markt hin mit seiner lauten wohlbekannten Stimme der stumm harrenden Menge die Worte zu: “Sie sind tot!” Bis tief in die Nacht hinein wogten die Haufen durch die Straßen und begrüßten jubelnd den Konsul, dem sie meinten, die Sicherung ihrer Häuser und ihrer Habe schuldig geworden zu sein. Der Rat ordnete öffentliche Dankfeste an und die ersten Männer der Nobilität, Marcus Cato und Quintus Catulus, begrüßten den Urheber des Todesurteils mit dem - hier zuerst vernommenen - Namen eines Vaters des Vaterlandes.

Aber es war eine grauenvolle Tat und nur um so grauenvoller, weil sie einem ganzen Volke als groß und preisenswert erschien. Elender hat sich wohl nie ein Gemeinwesen bankrott erklärt, als Rom durch diesen, mit kaltem Blute von der Majorität der Regierung gefaßten, von der öffentlichen Meinung gebilligten Beschluß, einige politische Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer geschichtlichen Tragödie fehlt, daß dieser Akt der brutalsten Tyrannei von dem haltungslosesten und ängstlichsten aller römischen Staatsmänner vollzogen werden mußte und daß der “erste demokratische Konsul” dazu ausersehen war, das Palladium der alten römischen Gemeindefreiheit, das Provokationsrecht, zu zerstören.

Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt worden war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig, der Insurrektion in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heerbestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeiströmenden Rekruten nahezu verfünffacht und bildete schon zwei ziemlich vollzählige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Teil der Mannschaft genügend bewaffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen und ein Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um die Organisierung seiner Scharen zu vollenden und den Ausbruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der Insurgenten: die Masse der minder Kompromittierten ging daraufhin wieder nach Hause. Der zurückbleibende Rest entschlossener oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch, sich durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen; aber als die kleine Schar an dem Fuß des Gebirges bei Pistoria (Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Korps des Quintus Metellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den nördlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem Drängen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte. Catilina war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts übrig, als sich auf den näherstehenden Feind, das heißt auf Antonius zu werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Tale kam es zum Kampfe zwischen den Insurgenten und den Truppen des Antonius, welche derselbe, um die Exekution gegen seine ehemaligen Verbündeten wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, für diesen Tag unter einem Vorwand einem tapferen, unter den Waffen ergrauten Offizier, dem Marcus Petreius, anvertraut hatte. Die Übermacht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes wenig in Betracht. Catilina wie Petreius stellten ihre zuverlässigsten Leute in die vordersten Reihen; Quartier ward weder gegeben noch genommen. Lange stand der Kampf und von beiden Seiten fielen viele tapfere Männer; Catilina, der vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der sämtlichen Offiziere zurückgeschickt hatte, bewies an diesem Tage, daß ihn die Natur zu nicht gewöhnlichen Dingen bestimmt hatte und daß er es verstand, zugleich als Feldherr zu kommandieren und als Soldat zu fechten. Endlich sprengte Petreius mit seiner Garde das Zentrum des Feindes und faßte, nachdem er dies geworfen hatte, die beiden Flügel von innen; der Sieg war damit entschieden. Die Leichen der Catilinarier - man zählte ihrer 3000 - deckten gleichsam in Reihe und Glied den Boden, wo sie gefochten hatten; die Offiziere und der Feldherr selbst hatten, da alles verloren war, sich in die Feinde gestürzt und dort den Tod gesucht und gefunden (Anfang 692 62). Antonius ward wegen dieses Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt und neue Dankfeste bewiesen, daß Regierung und Regierte anfingen, sich an den Bürgerkrieg zu gewöhnen.

Das anarchistische Komplott war also in der Hauptstadt wie in Italien mit blutiger Gewalt niedergeschlagen worden; man ward nur noch an dasselbe erinnert durch die Kriminalprozesse, die in den etruskischen Landstädten und in der Hauptstadt unter den Affiliierten der geschlagenen Partei aufräumten, und durch die anschwellenden italischen Räuberbanden, wie deren zum Beispiel eine aus den Resten der Heere des Spartacus und des Catilina erwachsene im Jahre 694 (60) im Gebiet von Thurii durch Militärgewalt vernichtet ward. Aber es ist wichtig, es im Auge zu behalten, daß der Schlag keineswegs bloß die eigentlichen Anarchisten traf, die zur Anzündung der Hauptstadt sich verschworen und bei Pistoria gefochten hatten, sondern die ganze demokratische Partei. Daß diese, insbesondere Crassus und Caesar, hier so gut wie bei dem Komplott von 688 (66) die Hand im Spiele hatten, darf als eine nicht juristisch, aber historisch ausgemachte Tatsache angesehen werden. Zwar daß Catulus und die übrigen Häupter der Senatspartei den Führer der Demokraten der Mitwisserschaft um das anarchistische Komplott ziehen und daß dieser als Senator gegen den von der Oligarchie beabsichtigten brutalen Justizmord sprach und stimmte, konnte nur von der Parteischikane als Beweis seiner Beteiligung an den Plänen Catilinas geltend gemacht werden. Aber mehr ins Gewicht fällt eine Reihe anderer Tatsachen. Nach ausdrücklichen und unabweisbaren Zeugnissen waren es vor allen Crassus und Caesar, die Catilinas Bewerbung um das Konsulat unterstützten. Als Caesar 690 (64) die Schergen Sullas vor das Mordgericht zog, ließ er die übrigen verurteilen, den schuldigsten und schädlichsten aber von ihnen allen, den Catilina, freisprechen. Bei den Enthüllungen des dritten Dezember nannte Cicero zwar unter den Namen der bei ihm angezeigten Verschworenen die der beiden einflußreichen Männer nicht; allein es ist notorisch, daß die Denunzianten nicht bloß auf diejenigen aussagten, gegen die nachher die Untersuchung gerichtet ward, sondern außerdem noch auf “viele Unschuldige”, die der Konsul Cicero aus dem Verzeichnis zu streichen für gut fand; und in späteren Jahren, als er keine Ursache hatte, die Wahrheit zu entstellen, hat eben er ausdrücklich Caesar unter den Mitwissern genannt. Eine indirekte, aber sehr verständliche Bezichtigung liegt auch darin, daß von den vier am dritten Dezember Verhafteten die beiden am wenigsten gefährlichen, Statilius und Gabinius, den Senatoren Caesar und Crassus zur Bewachung übergeben wurden; offenbar sollten sie entweder, wenn sie sie entrinnen ließen, vor der öffentlichen Meinung als Mitschuldige oder, wenn sie in der Tat sie festhielten, vor ihren Mitverschworenen als Abtrünnige kompromittiert werden. Bezeichnend für die Situation ist die folgende im Senat vorgefallene Szene. Unmittelbar nach der Verhaftung des Lentulus und seiner Genossen wurde ein von den Verschworenen in der Hauptstadt an Catilina abgesandter Bote von den Agenten der Regierung aufgegriffen und derselbe, nachdem ihm Straflosigkeit zugesichert war, in voller Senatssitzung ein umfassendes Geständnis abzulegen veranlaßt. Wie er aber an die bedenklichen Teile seiner Konfession kam und namentlich als seinen Auftraggeber den Crassus nannte, ward er von den Senatoren unterbrochen und auf Ciceros Vorschlag beschlossen, die ganze Angabe ohne weitere Untersuchung zu kassieren, ihren Urheber aber ungeachtet der zugesicherten Amnestie so lange einzusperren, bis er nicht bloß die Angabe zurückgenommen, sondern auch bekannt haben werde, wer ihn zu solchem falschen Zeugnis aufgestiftet habe! Hier liegt es deutlich zu Tage, nicht bloß daß jener Mann die Verhältnisse recht genau kannte, der auf die Aufforderung, einen Angriff auf Crassus zu machen, zur Antwort gab, er habe keine Lust, den Stier der Herde zu reizen, sondern auch daß die Senatsmajorität, Cicero an der Spitze, unter sich einig geworden war, die Enthüllungen nicht über eine bestimmte Grenze vorschreiten zu lassen. Das Publikum war so heikel nicht; die jungen Leute, die zur Abwehr der Mordbrenner die Waffen ergriffen hatten, waren gegen keinen so erbittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften Dezember, als er die Kurie verließ, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht viel, daß er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben gelassen hätte, wo siebzehn Jahre später ihn der Todesstreich traf; längere Zeit hat er die Kurie nicht wieder betreten. Wer überall den Verlauf der Verschwörung unbefangen erwägt, wird des Argwohns sich nicht zu erwehren vermögen, daß während dieser ganzen Zeit hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche, gestützt auf den Mangel rechtlich vollständiger Beweise und auf die Lauheit und Feigheit der nur halb eingeweihten und nach jedem Vorwande zur Untätigkeit begierig greifenden Senatsmehrheit, es verstanden, jedes ernstliche Einschreiten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die Kriegserklärung und Truppensendungen gegen die Insurrektion so zu lenken, daß sie beinahe auf die Sendung einer Hilfsarmee hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt, daß die Fäden des Catilinarischen Komplotts weit höher hinaufreichen als bis zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, daß in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilinarier, dem mauretanischen Freischarenführer Publius Sittius, im engsten Bündnis stand, und daß er das Schuldrecht ganz in dem Sinne milderte, wie es die Proklamationen des Manlius begehrten.

All diese einzelnen Inzichten reden deutlich genug; wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenüber der seit den Gabinisch-Manilischen Gesetzen drohender als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an sich schon fast zur Gewißheit, daß sie, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, in den geheimen Komplotten und dem Bündnis mit der Anarchie eine letzte Hilfe gesucht hat. Die Verhältnisse waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ungefähr wie damals Sulla, so suchten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzurichten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann womöglich besser als diese zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch Terrorismus und Anarchie, und diesen zu bahnen war Catilina allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputierlicheren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund und überließen den unsauberen Genossen die Ausführung der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich zuzueignen hofften. Noch mehr wandten, als das Unternehmen gescheitert war, die höhergestellten Teilnehmer alles an, um ihre Beteiligung daran zu verhüllen. Und auch in späterer Zeit, als der ehemalige Konspirator selbst die Zielscheibe der politischen Komplotte geworden war, zog ebendarum über diese düsteren Jahre in dem Leben des großen Mannes der Schleier nur um so dichter sich zusammen und wurden in diesem Sinne sogar eigene Apologien für ihn geschrieben ^6.

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^6 Eine solche ist der ‘Catilina’ des Sallustius, der von dem Verfasser, einem notorischen Caesarianer, nach dem Jahre 708 (46) entweder unter Caesars Alleinherrschaft oder wahrscheinlicher unter dem Triumvirat seiner Erben veröffentlicht wurde; offenbar als politische Tendenzschrift, welche sich bemüht, die demokratische Partei, auf welcher ja die römische Monarchie beruht, zu Ehren zu bringen und Caesars Andenken von dem schwärzesten Fleck, der darauf haftete, zu reinigen, nebenher auch den Oheim des Trimvirn Marcus Antonius möglichst weißzuwaschen (vgl. z. B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz ähnlich soll der ‘Jugurtha’ desselben Verfassers teils die Erbärmlichkeit des oligarchischen Regiments aufdecken, teils den Koryphäen der Demokratie Gaius Marius verherrlichen. Daß der gewandte Schriftsteller den apologetischen und akkusatorischen Charakter dieser seiner Bücher zurücktreten läßt, beweist nicht, daß sie keine, sondern daß sie gute Parteischriften sind.

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Seit fünf Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze seiner Heere und Flotten; seit fünf Jahren konspirierte die Demokratie daheim, um ihn zu stürzen. Das Ergebnis war entmutigend. Mit unsäglichen Anstrengungen hatte man nicht bloß nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell ungeheure Einbuße gemacht. Schon die Koalition vom Jahre 683 (71) mußte den Demokraten vom reinen Wasser ein Ärgernis sein, obwohl die Demokratie damals nur mit zwei angesehenen Männern der Gegenpartei sich einließ und diese auf ihr Programm verpflichtete. Jetzt aber hatte die demokratische Partei gemeinschaftliche Sache gemacht mit einer Bande von Mördern und Bankerottierern, die fast alle gleichfalls Überläufer aus dem Lager der Aristokratie waren, und hatte deren Programm, das heißt den Cinnanischen Terrorismus, wenigstens vorläufig akzeptiert. Die Partei der materiellen Interessen, eines der Hauptelemente der Koalition von 683 (71) wurde hierdurch der Demokratie entfremdet und zunächst den Optimaten, überhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor der Anarchie gewähren wollte und konnte, in die Arme getrieben. Selbst die hauptstädtische Menge, die zwar gegen einen Straßenkrawall nichts einzuwenden hatte, aber es doch unbequem fand, sich das Haus über dem Kopfe anzünden zu lassen, ward einigermaßen scheu. Es ist merkwürdig, daß eben in diesem Jahr (691 63) die volle Wiederherstellung der Sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten des Senats auf den Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der Demokratenführer mit der Anarchie zwischen jene und die Stadtbürgerschaft einen Keil getrieben, und suchte die Oligarchie, nicht ohne wenigstens augenblicklichen Erfolg, diesen Riß zu erweitern und die Massen auf ihre Seite hinüberzuziehen. Endlich war Gnaeus Pompeius durch all diese Kabalen teils gewarnt, teils erbittert worden; nach allem, was vorgefallen war, und nachdem die Demokratie die Bande, die sie mit Pompeius verknüpften, selber so gut wie zerrissen hatte, konnte sie nicht mehr schicklicherweise von ihm begehren, was im Jahre 684 (70) eine gewisse Billigkeit für sich gehabt hatte, daß er die demokratische Macht, die er und die ihn emporgebracht, nicht selber mit dem Schwerte zerstöre. So war die Demokratie entehrt und geschwächt; vor allen Dingen aber war sie lächerlich geworden durch die unbarmherzige Aufdeckung ihrer Ratlosigkeit und Schwäche. Wo es sich um die Demütigung des gestürzten Regiments und ähnliche Nichtigkeiten handelte, war sie groß und gewaltig; aber jeder ihrer Versuche, einen wirklich politischen Erfolg zu erreichen, war platt zur Erde gefallen. Ihr Verhältnis zu Pompeius war so falsch wie kläglich. Während sie ihn mit Lobsprüchen und Huldigungen überschüttete, spann sie gegen ihn eine Intrige nach der anderen, die eine nach der anderen, Seifenblasen gleich, von selber zerplatzten. Der Feldherr des Ostens und der Meere, weit entfernt, sich dagegen zur Wehr zu setzen, schien das ganze geschäftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine Siege über sie zu erfechten wie Herakles den über die Pygmäen, ohne selber darum gewahr zu werden. Der Versuch, den Bürgerkrieg zu entflammen, war jämmerlich gescheitert; hatte die anarchistische Fraktion wenigstens einige Energie entwickelt, so hatte die reine Demokratie die Rotten wohl zu dingen verstanden, aber weder sie zu führen, noch sie zu retten, noch mit ihnen zu sterben. Selbst die alte todesmatte Oligarchie hatte, gestärkt durch die aus den Reihen der Demokratie zu ihr übertretenden Massen und vor allem durch die in dieser Angelegenheit unverkennbare Gleichheit ihrer Interessen und derjenigen des Pompeius, es vermocht, diesen Revolutionsversuch niederzuschlagen und damit noch einen letzten Sieg über die Demokratie zu erfechten. Inzwischen war König Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien geordnet, Pompeius’ Heimkehr nach Italien jeden Augenblick zu erwarten. Die Entscheidung war nicht fern; aber konnte in der Tat noch die Rede sein von einer Entscheidung zwischen dem Feldherrn, der ruhmvoller und gewaltiger als je zurückkam, und der beispiellos gedemütigten und völlig machtlosen Demokratie? Crassus schickte sich an, seine Familie und sein Gold zu Schiffe zu bringen und irgendwo im Osten eine Freistatt aufzusuchen; und selbst eine so elastische und so energische Natur wie Caesar schien im Begriff, das Spiel verloren zu geben. In dieses Jahr (691 63) fällt seine Bewerbung um die Stelle des Oberpontifex; als er am Morgen der Wahl seine Wohnung verließ, äußerte er, wenn auch dieses ihm fehlschlage, werde er, die Schwelle seines Hauses nicht wieder überschreiten.

KAPITEL VI.
Pompeius’ Rücktritt und die Koalition der Prätendenten

Als Pompeius nach Erledigung der ihm aufgetragenen Verrichtungen seine Blicke wieder der Heimat zuwandte, fand er zum zweiten Male das Diadem zu seinen Füßen. Längst neigte die Entwicklung des römischen Gemeinwesens einer solchen Katastrophe sich zu; es war jedem Unbefangenen offenbar und war tausendmal gesagt worden, daß, wenn der Herrschaft der Aristokratie ein Ende gemacht sein werde, die Monarchie unausbleiblich sei. Jetzt war der Senat gestürzt zugleich durch die bürgerliche, liberale Opposition und die soldatische Gewalt; es konnte sich nur noch darum handeln, für die neue Ordnung der Dinge die Personen, die Namen und Formen festzustellen, die übrigens in den teils demokratischen, teils militärischen Elementen der Umwälzung bereits klar genug angedeutet waren. Die Ereignisse der letzten fünf Jahre hatten auf diese bevorstehende Umwandlung des Gemeinwesens gleichsam das letzte Siegel gedrückt. In den neu eingerichteten asiatischen Provinzen, die in ihrem Ordner den Nachfolger des großen Alexander königlich verehrten und schon seine begünstigten Freigelassenen wie Prinzen empfingen, hatte Pompeius den Grund seiner Herrschaft gelegt und zugleich die Schätze, das Heer und den Nimbus gefunden, deren der künftige Fürst des römischen Staats bedurfte. Die anarchistische Verschwörung aber in der Hauptstadt mit dem daran sich knüpfenden Bürgerkrieg hatte es jedem, der politische oder auch nur materielle Interessen hegte, mit empfindlicher Schärfe dargelegt, daß eine Regierung ohne Autorität und ohne militärische Macht, wie die des Senats war, den Staat der ebenso lächerlichen wie furchtbaren Tyrannei der politischen Industrieritter aussetzte und daß eine Verfassungsänderung, welche die Militärgewalt enger mit dem Regiment verknüpfte, eine unabweisliche Notwendigkeit war, wenn die gesellschaftliche Ordnung ferner Bestand haben sollte. So war im Osten der Herrscher aufgestanden, in Italien der Thron errichtet; allem Anschein nach war das Jahr 692 (62) das letzte der Republik, das erste der Monarchie.

Zwar ohne Kampf war an dieses Ziel nicht zu gelangen. Die Verfassung, die ein halbes Jahrtausend gedauert hatte und unter der die unbedeutende Stadt am Tiber zu beispielloser Größe und Herrlichkeit gediehen war, hatte ihre Wurzeln man wußte nicht wie tief in den Boden gesenkt, und es ließ sich durchaus nicht berechnen, bis in welche Schichten hinab der Versuch, sie umzustürzen, die bürgerliche Gesellschaft aufwühlen werde. Mehrere Nebenbuhler waren in dem Wettlauf nach dem großen Ziel von Pompeius überholt, aber nicht völlig beseitigt worden. Es lag durchaus nicht außer der Berechnung, daß alle diese Elemente sich verbanden, um den neuen Machthaber zu stürzen und Pompeius sich gegenüber Quintus Catulus und Marcus Cato mit Marcus Crassus, Gaius Caesar und Titus Labienus vereinigt fand. Aber nicht leicht konnte der unvermeidliche und unzweifelhaft ernste Kampf unter günstigeren Verhältnissen aufgenommen werden. Es war in hohem Grade wahrscheinlich, daß unter dem frischen Eindrucke des Catilinarischen Aufstandes einem Regimente, das Ordnung und Sicherheit, wenngleich um den Preis der Freiheit, verhieß, die gesamte Mittelpartei sich fügen werde, vor allem die einzig um ihre materiellen Interessen bekümmerte Kaufmannschaft, aber nicht minder ein großer Teil der Aristokratie, die, in sich zerrüttet und politisch hoffnungslos, zufrieden sein mußte, durch zeitige Transaktion mit dem Fürsten sich Reichtum, Rang und Einfluß zu sichern; vielleicht sogar mochte ein Teil der von den letzten Schlägen schwer getroffenen Demokratie sich bescheiden, von einem durch sie auf den Schild gehobenen Militärchef die Realisierung eines Teils ihrer Forderungen zu erhoffen. Aber wie auch immer die Parteiverhältnisse sich stellten, was kam, zunächst wenigstens, auf die Parteien in Italien überhaupt noch an, Pompeius gegenüber und seinem siegreichen Heer? Zwanzig Jahre zuvor hatte Sulla, nachdem er mit Mithradates einen Notfrieden abgeschlossen hatte, gegen die gesamte, seit Jahren massenhaft rüstende liberale Partei, von den gemäßigten Aristokraten und der liberalen Kaufmannschaft an bis hinab zu den Anarchisten, mit seinen fünf Legionen eine der natürlichen Entwicklung der Dinge zuwiderlaufende Restauration durchzusetzen vermocht. Pompeius’ Aufgabe war weit minder schwer. Er kam zurück, nachdem er zur See und zu Lande seine verschiedenen Aufgaben vollständig und gewissenhaft gelöst hatte. Er durfte erwarten, auf keine andere ernstliche Opposition zu treffen als auf die der verschiedenen extremen Parteien, von denen jede einzeln gar nichts vermochte und die, selbst verbündet, immer nicht mehr waren als eine Koalition eben noch hitzig sich befehdender und innerlich gründlich entzweiter Faktionen. Vollkommen ungerüstet waren sie ohne Heer und Haupt, ohne Organisation in Italien, ohne Rückhalt in den Provinzen, vor allen Dingen ohne einen Feldherrn; es war in ihren Reihen kaum ein namhafter Militär, geschweige denn ein Offizier, der es hätte wagen dürfen, die Bürger zum Kampfe gegen Pompeius aufzurufen. Auch das durfte in Anschlag kommen, daß der jetzt seit siebzig Jahren rastlos flammende und an seiner eigenen Glut zehrende Vulkan der Revolution sichtlich ausbrannte und anfing, in sich selber zu erlöschen. Es war sehr zweifelhaft, ob es jetzt gelingen werde, die Italiker so für Parteiinteressen zu bewaffnen, wie noch Cinna und Carbo dies vermocht hatten. Wenn Pompeius zugriff, wie konnte es ihm fehlen, eine Staatsumwälzung durchzusetzen, die in der organischen Entwicklung des römischen Gemeinwesens mit einer gewissen Naturnotwendigkeit vorgezeichnet war?

Pompeius hatte den Moment erfaßt, indem er die Mission nach dem Orient übernahm; er schien fortfahren zu wollen. Im Herbste des Jahres 691 (63) traf Quintus Metellus Nepos aus dem Lager des Pompeius in der Hauptstadt ein und trat auf als Bewerber um das Tribunat, in der ausgesprochenen Absicht, als Volkstribun Pompeius das Konsulat für das Jahr 693 (61) und zunächst durch speziellen Volksbeschluß die Führung des Krieges gegen Catilina zu verschaffen. Die Aufregung in Rom war gewaltig. Es war nicht zu bezweifeln, daß Nepos im direkten oder indirekten Auftrag des Pompeius handelte; Pompeius’ Begehren, in Italien an der Spitze seiner asiatischen Legionen als Feldherr aufzutreten und daselbst die höchste militärische und die höchste bürgerliche Gewalt zugleich zu verwalten, ward aufgefaßt als ein weiterer Schritt auf dem Wege zum Throne, Nepos’ Sendung als die halboffizielle Ankündigung der Monarchie.

Es kam alles darauf an, wie die beiden großen politischen Parteien zu diesen Eröffnungen sich verhielten; ihre künftige Stellung und die Zukunft der Nation hingen davon ab. Die Aufnahme aber, die Nepos fand, war selbst wieder bestimmt durch das damalige Verhältnis der Parteien zu Pompeius, das sehr eigentümlicher Art war. Als Feldherr der Demokratie war Pompeius nach dem Osten gegangen. Er hatte Ursache genug, mit Caesar und seinem Anhang unzufrieden zu sein, aber ein offener Bruch war nicht erfolgt. Es ist wahrscheinlich, daß Pompeius, der weit entfernt und mit andern Dingen beschäftigt war, überdies der Gabe, sich politisch zu orientieren, durchaus entbehrte, den Umfang und den Zusammenhang der gegen ihn gesponnenen demokratischen Umtriebe damals wenigstens keineswegs durchschaute, vielleicht sogar in seiner hochmütigen und kurzsichtigen Weise einen gewissen Stolz darein setzte, diese Maulwurfstätigkeit zu ignorieren. Dazu kam, was bei einem Charakter von Pompeius’ Art sehr ins Gewicht fiel, daß die Demokratie den äußeren Respekt gegen den großen Mann nie aus den Augen gesetzt, ja eben jetzt (691 63), unaufgefordert wie er es liebte, ihm durch einen besonderen Volksschluß unerhörte Ehren und Dekorationen gewährt hatte. Indes wäre auch alles dies nicht gewesen, so lag es in Pompeius’ eigenem wohlverstandenen Interesse, sich wenigstens äußerlich fortwährend zur Popularpartei zu halten; Demokratie und Monarchie stehen in so enger Wahlverwandtschaft, daß Pompeius, indem er nach der Krone griff, kaum anders konnte, als sich wie bisher den Vorfechter der Volksrechte nennen. Wie also persönliche und politische Gründe, zusammenwirkten, um trotz allem Vorgefallenen Pompeius und die Führer der Demokratie bei ihrer bisherigen Verbindung festzuhalten, so geschah auf der entgegengesetzten Seite nichts, um die Kluft auszufüllen, die ihn seit seinem Übertritt in das Lager der Demokratie von seinen sullanischen Parteigenossen trennte. Sein persönliches Zerwürfnis mit Metellus und Lucullus übertrug sich auf deren ausgedehnte und einflußreiche Koterien. Eine kleinliche, aber für einen so kleinlich zugeschnittenen Charakter eben ihrer Kleinlichkeit wegen um so tiefer erbitternde Opposition des Senats hatte ihn auf seiner ganzen Feldherrnlaufbahn begleitet. Er empfand es schmerzlich, daß der Senat nicht das geringste getan, um den außerordentlichen Mann nach Verdienst, das heißt außerordentlich zu ehren. Endlich ist es nicht aus der Acht zu lassen, daß die Aristokratie eben damals von ihrem frischen Siege berauscht, die Demokratie tief gedemütigt war, und daß die Aristokratie von dem bocksteifen und halb närrischen Cato, die Demokratie von dem schmiegsamen Meister der Intrige Caesar geleitet ward.

In diese Verhältnisse traf das Auftreten des von Pompeius gesandten Emissärs. Die Aristokratie betrachtete nicht bloß die Anträge, die derselbe zu Pompeius’ Gunsten ankündigte, als eine Kriegserklärung gegen die bestehende Verfassung, sondern behandelte sie auch öffentlich als solche und gab sich nicht die mindeste Mühe, ihre Besorgnis und ihren Ingrimm zu verhehlen: in der ausgesprochenen Absicht, diese Anträge zu bekämpfen, ließ sich Marcus Cato mit Nepos zugleich zum Volkstribun wählen und wies Pompeius’ wiederholten Versuch, sich ihm persönlich zu nähern, schroff zurück. Es ist begreiflich, daß Nepos hiernach sich nicht veranlaßt fand, die Aristokratie zu schonen, dagegen den Demokraten sich um so bereitwilliger anschloß, als diese, geschmeidig wie immer, in das Unvermeidliche sich fügten und das Feldherrnamt in Italien wie das Konsulat lieber freiwillig zugestanden als es mit den Waffen sich abzwingen ließen. Das herzliche Einverständnis offenbarte sich bald. Nepos bekannte sich (Dezember 691 63) öffentlich zu der demokratischen Auffassung der von der Senatsmajorität kürzlich verfügten Exekutionen als verfassungswidriger Justizmorde; und daß auch sein Herr und Meister sie nicht anders ansah, bewies sein bedeutsames Stillschweigen auf die voluminöse Rechtfertigungsschrift, die ihm Cicero übersandt hatte. Andererseits war es der erste Akt, womit Caesar seine Prätur eröffnete, daß er den Quintus Catulus wegen der bei dem Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels angeblich von ihm unterschlagenen Gelder zur Rechenschaft zog und die Vollendung des Tempels an Pompeius übertrug. Es war das ein Meisterzug. Catulus baute an dem Tempel jetzt bereits im sechzehnten Jahr und schien gute Lust zu haben, als Oberaufseher der kapitolinischen Bauten wie zu leben so zu sterben; ein Angriff auf diesen, nur durch das Ansehen des vornehmen Beauftragten zugedeckten Mißbrauch eines öffentlichen Auftrags war der Sache nach vollkommen begründet und in hohem Maße populär. Indem aber zugleich dadurch Pompeius die Aussicht eröffnet ward, an dieser stolzesten Stelle der ersten Stadt des Erdkreises den Namen des Catulus tilgen und den seinigen eingraben zu dürfen, ward ihm ebendas geboten, was ihn vor allem reizte und der Demokratie nicht schadete, überschwengliche, aber leere Ehre, und ward zugleich die Aristokratie, die doch ihren besten Mann unmöglich fallen lassen konnte, auf die ärgerlichste Weise mit Pompeius verwickelt.

Inzwischen hatte Nepos seine Pompeius betreffenden Anträge bei der Bürgerschaft eingebracht. Am Tage der Abstimmung interzedierten Cato und sein Freund und Kollege Quintus Minucius. Als Nepos sich daran nicht kehrte und mit der Verlesung fortfuhr, kam es zu einem förmlichen Handgemenge: Cato und Minucius warfen sich über ihren Kollegen und zwangen ihn innezuhalten; eine bewaffnete Schar befreite ihn zwar und vertrieb die aristokratische Fraktion vom Markte; aber Cato und Minucius kamen wieder, nun gleichfalls von bewaffneten Haufen begleitet, und behaupteten schließlich das Schlachtfeld für die Regierung. Durch diesen Sieg ihrer Bande über die des Gegners ermutigt, suspendierte der Senat den Tribun Nepos sowie den Prätor Caesar, der denselben bei der Einbringung des Gesetzes nach Kräften unterstützt hatte, von ihren Ämtern; die Absetzung, die im Senat beantragt ward, wurde, mehr wohl wegen ihrer Verfassungs- als wegen ihrer Zweckwidrigkeit, von Cato verhindert. Caesar kehrte sich an den Beschluß nicht und fuhr in seinen Amtshandlungen fort, bis der Senat Gewalt gegen ihn brauchte. Sowie dies bekannt ward, erschien die Menge vor seinem Hause und stellte sich ihm zur Verfügung; es hätte nur von ihm abgehangen, den Straßenkampf zu beginnen oder wenigstens die von Metellus gestellten Anträge jetzt wiederaufzunehmen und Pompeius das von ihm gewünschte Militärkommando in Italien zu verschaffen; allein dies lag nicht in seinem Interesse, und so bewog er die Haufen, sich wieder zu zerstreuen, worauf der Senat die gegen ihn verhängte Strafe zurücknahm. Nepos selbst hatte sogleich nach seiner Suspension die Stadt verlassen und sich nach Asien eingeschifft, um Pompeius von dem Erfolg seiner Sendung Bericht zu erstatten.

Pompeius hatte alle Ursache, mit der Wendung der Dinge zufrieden zu sein. Der Weg zum Thron ging nun einmal notwendig durch den Bürgerkrieg; und diesen mit gutem Fug beginnen zu können dankte er Catos unverbesserlicher Verkehrtheit. Nach der rechtswidrigen Verurteilung der Anhänger Catilinas, nach den unerhörten Gewaltsamkeiten gegen den Volkstribun Metellus konnte Pompeius ihn führen zugleich als Verfechter der beiden Palladien der römischen Gemeindefreiheit, des Berufungsrechts und der Unverletzlichkeit des Volkstribunats, gegen die Aristokratie und als Vorkämpfer der Ordnungspartei gegen die Catilinarische Bande. Es schien fast unmöglich, daß Pompeius dies unterlassen und mit sehenden Augen sich zum zweitenmal in die peinliche Situation begeben werde, in die die Entlassung seiner Armee im Jahre 684 (70) ihn versetzt und aus der erst das Gabinische Gesetz ihn erlöst hatte. Indes, wie nahe es ihm auch gelegt war, die weiße Binde um seine Stirn zu legen, wie sehr seine eigene Seele danach gelüstete: als es galt, den Griff zu tun, versagten ihm abermals Herz und Hand. Dieser in allem, nur in seinen Ansprüchen nicht, ganz gewöhnliche Mensch hätte wohl gern außerhalb des Gesetzes sich gestellt, wenn dies nur hätte geschehen können, ohne den gesetzlichen Boden zu verlassen. Schon sein Zaudern in Asien ließ dies ahnen. Er hätte, wenn er gewollt, sehr wohl im Januar 692 (62) mit Flotte und Heer im Hafen von Brundisium eintreffen und Nepos hier empfangen können. Daß er den ganzen Winter 691/92 (63/62) in Asien säumte, hatte zunächst die nachteilige Folge, daß die Aristokratie, die natürlich den Feldzug gegen Catilina nach Kräften beschleunigte, inzwischen mit dessen Banden fertiggeworden war und damit der schicklichste Vorwand, die asiatischen Legionen in Italien zusammenzuhalten, hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius’ Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen Stern sich im öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht anklammerte, und bei dem der Vorwand ungefähr ebensoviel wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen, daß, selbst wenn er sein Heer entlasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe und im Notfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige Armee aufzubringen vermöge; daß die Demokratie in unterwürfiger Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem widerspenstigen Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug Wahres war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plausibel erscheinen zu lassen. Den Anschlag gab natürlich wiederum Pompeius’ eigenstes Naturell. Er gehörte zu den Menschen, die wohl eines Verbrechens fähig sind, aber keiner Insurbordination; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das Gesetz als die sittliche Notwendigkeit, gemeine als die hergebrachte alltägliche Regel; ebendarum fesselt die militärische Ordnung, in der mehr als irgendwo sonst das Gesetz als Gewohnheit auftritt, jeden nicht ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft beobachtet worden, daß der Soldat, auch wenn er den Entschluß gefaßt hat, seinen Vorgesetzten den Gehorsam zu versagen, dennoch, wenn dieser Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wieder in Reihe und Glied tritt; es war dies Gefühl, das Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treuebruch schwanken und scheitern machte, und eben demselben ist auch Pompeius unterlegen.

Im Herbst 692 (62) schiffte Pompeius nach Italien sich ein. Während in der Hauptstadt alles sich bereitete, den neuen Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, daß Pompeius, kaum in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgelöst und mit geringem Gefolge die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn es ein Glück ist, eine Krone mühelos zu gewinnen, so hat das Glück nie mehr für einen Sterblichen getan, als es für Pompeius tat; aber an den Mutlosen verschwenden die Götter alle Gunst und alle Gabe umsonst.

Die Parteien atmeten auf. Zum zweiten Male hatte Pompeius abgedankt; die schon überwundenen Mitbewerber konnten abermals den Wettlauf beginnen, wobei wohl das wunderlichste war, daß in diesem Pompeius wieder mitlief. Im Januar 693 (61) kam er nach Rom. Seine Stellung war schief und schwankte so unklar zwischen den Parteien, daß man ihm den Spottnamen Gnaeus Cicero verlieh. Er hatte es eben mit allen verdorben. Die Anarchisten sahen in ihm einen Widersacher, die Demokraten einen unbequemen Freund, Marcus Crassus einen Nebenbuhler, die vermögende Klasse einen unzuverlässigen Beschützer, die Aristokratie einen erklärten Feind ^1. Er war wohl immer noch der mächtigste Mann im Staat; sein durch ganz Italien zerstreuter militärischer Anhang, sein Einfluß in den Provinzen, namentlich den östlichen, sein militärischer Ruf, sein ungeheurer Reichtum gaben ihm ein Gewicht wie es kein anderer hatte; aber statt des begeisterten Empfanges, auf den er gezählt hatte, war die Aufnahme, die er fand, mehr als kühl, und noch kühler behandelte man die Forderungen, die er stellte. Er begehrte für sich, wie er schon durch Nepos hatte ankündigen lassen, das zweite Konsulat, außerdem natürlich die Bestätigung der vor. ihm im Osten getroffenen Anordnungen und die Erfüllung des seinen Soldaten gegebenen Versprechens, sie mit Ländereien auszustatten. Hiergegen erhob sich im Senat eine systematische Opposition, zu der die persönliche Erbitterung des Lucullus und des Metellus Creticus, der alte Groll des Crassus und Catos gewissenhafte Torheit die hauptsächlichsten Elemente hergaben. Das gewünschte zweite Konsulat ward sofort und unverblümt verweigert. Gleich die erste Bitte, die der heimkehrende Feldherr an den Senat richtete, die Wahl der Konsuln für 693 (61) bis nach seinem Eintreffen in der Hauptstadt aufzuschieben, war ihm abgeschlagen worden; viel weniger war daran zu denken, die erforderliche Dispensation von dem Gesetze Sullas über die Wiederwahl vom Senat zu erlangen. Für die in den östlichen Provinzen von ihm getroffenen Anordnungen begehrte Pompeius die Bestätigung natürlich im ganzen; Lucullus setzte es durch, daß über jede Verfügung besonders verhandelt und abgestimmt ward, womit für endlose Trakasserien und eine Menge Niederlagen im einzelnen das Feld eröffnet war. Das Versprechen einer Landschenkung an die Soldaten der asiatischen Armee ward vom Senat wohl im allgemeinen ratifiziert, jedoch zugleich ausgedehnt auf die kretischen Legionen des Metellus und, was schlimmer war, es wurde nicht ausgeführt, da die Gemeindekasse leer und der Senat nicht gemeint war, die Domänen für diesen Zweck anzugreifen. Pompeius, daran verzweifelnd, der zähen und tückischen Opposition des Rates Herr zu werden, wandte sich an die Bürgerschaft. Allein auf diesem Gebiet verstand er noch weniger sich zu bewegen. Die demokratischen Führer, obwohl sie ihm nicht offen entgegentraten, hatten doch auch durchaus keine Ursache, seine Interessen zu den ihrigen zu machen und hielten sich beiseite. Pompeius’ eigene Werkzeuge, wie zum Beispiel die durch seinen Einfloß und zum Teil durch sein Geld gewählten Konsuln Marcus Pupius Piso 693 (61) und Lucius Afranius 694 (60), erwiesen sich als ungeschickt und unbrauchbar. Als endlich durch den Volkstribun Lucius Flavius in Form eines allgemeinen Ackergesetzes die Landanweisung für Pompeius’ alte Soldaten an die Bürgerschaft gebracht :ward, blieb der von den Demokraten nicht unterstützte, von den Aristokraten offen bekämpfte Antrag in der Minorität (Anfang 694 60). Fast demütig buhlte der hochgestellte Feldherr jetzt um die Gunst der Massen, wie denn auf seinem Antrieb durch ein von dem Prätor Metellus Nepos eingebrachtes Gesetz die italischen Zölle abgeschafft wanden (694 60). Aber er spielte den Demagogen ohne Geschick und ohne Glück; sein Ansehen litt darunter, und was er wollte, erreichte er nicht. Er hatte sich vollständig festgezogen. Einer seiner Gegner fußt seine damalige politische Stellung dahin zusammen, daß er bemüht sei, “seinen gestickten Triumphalmantel schweigend zu konservieren”. Es blieb ihm in der Tat nichts übrig, als sich zu ärgern.

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^1 Der Eindruck der ersten Ansprache, die Pompeius nach seiner Rückkehr an die Bürgerschaft richtete, wird von Cicero (Art. 1, 14) so geschildert: prima contio Pornpei non iucunda miseris, inanis improbis, beatis non grata, bonis non gravis;

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Da bot sich eine neue Kombination dar. Der Führer der demokratischem Partei hatte die politische Windstille, die zunächst auf den Rücktritt des bisherigen Machthabers gefolgt war, in seinem Interesse tätig benutzt. Als Pompeius aus Asien zurückkam, war Caesar wenig mehr gewesen als was auch Catilina war: der Chef einer fast zu einem Verschwörerklub eingeschwundenen politischen Partei und ein bankrotter Mann. Seitdem aber hatte er nach verwalteter Prätur (692 62) die Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien übernommen und dadurch Mittel gefunden, teils seiner Schulden sich zu entledigen; teils zu seinem militärischen Ruf den Grund zu legen. Sein alter Freund und Bundesgenosse Crassus hatte durch die Hoffnung, den. Rückhalt gegen Pompeius, den er an Piso verloren, jetzt an Caesar wiederzufinden, sich bestimmen lassen, ihn noch vor seinem Abgang in die Provinz von dem drückendsten Teil seiner Schuldenlast zu befreien. Er selbst hatte den kurzen Aufenthalt daselbst energisch benutzt. Im Jahre 694 (60) mit gefüllten Kassen und als Imperator mit wohlgegründeten Ansprüchen auf den Triumph aus Spanien zurückgekehrt, trat er für das folgende Jahr als Bewerber um das Konsulat auf, um dessentwillen er, da der Senat ihm die Erlaubnis, abwesend sich zu der Konsulwahl zu melden, abschlug, die Ehre des Triumphes unbedenklich darangab. Seit Jahren hatte die Demokratie danach gerungen, einen der Ihrigen in den Besitz des höchsten Amtes zu bringen, um auf dieser Brücke zu einer eigenen militärischen Macht zu gelangen. Längst war es ja den Einsichtigen aller Farben klar geworden, daß der Parteienstreit nicht durch bürgerlichen Kampf, sondern nur noch durch Militärmacht entschieden werden könne; der Verlauf aber der Koalition zwischen der Demokratie und den mächtigen Militärchefs, durch die der Senatsherrschaft ein Ende gemacht worden war, zeigte mit unerbittlicher Schärfe, daß jede solche Allianz schließlich auf eine Unterordnung der bürgerlichen unter die militärischen Elemente hinauslief und daß die Volkspartei, wenn sie wirklich herrschen wollte, nicht mit ihr eigentlich fremden, ja feindlichen Generalen sich verbünden, sondern ihre Führer selbst zu Generalen machen müsse. Die dahin zielenden Versuche, Catilinas Wahl zum Konsul durchzusetzen, in Spanien oder Ägypten einen militärischen Rückhalt zu gewinnen, waren gescheitert; jetzt bot sich ihr die Möglichkeit, ihrem bedeutendsten Manne das Konsulat und die Konsularprovinz auf dem gewöhnlichen, verfassungsmäßigen Wege zu verschaffen und durch Begründung, wenn man so sagen darf, einer demokratischen Hausmacht sich von dem zweifelhaften und gefährlichen Bundesgenossen Pompeius unabhängig zu machen.

Aber je mehr der Demokratie daran gelegen sein mußte, sich diese Bahn zu eröffnen, die ihr nicht so sehr die günstigste als die einzige Aussicht auf ernstliche Erfolge darbot, desto gewisser konnte sie dabei auf den entschlossenen Widerstand ihrer politischen Gegner zählen. Es kam darauf an, wen sie hierbei sich gegenüber fand. Die Aristokratie vereinzelt war nicht furchtbar; aber es hatte doch soeben in der Catilinarischen Angelegenheit sich herausgestellt, daß sie da allerdings noch etwas vermochte, wo sie von den Männern der materiellen Interessen und von den Anhängern des Pompeius mehr oder minder offen unterstützt ward. Sie hatte Catilinas Bewerbung um das Konsulat mehrmals vereitelt, und daß sie das gleiche gegen Caesar versuchen werde, war gewiß genug. Aber wenn auch vielleicht Caesar ihr zum Trotze gewählt ward, so reichte die Wahl allein nicht aus. Er bedurfte mindestens einige Jahre ungestörter Wirksamkeit außerhalb Italiens, um eine feste militärische Stellung zu gewinnen, und sicherlich ließ die Nobilität kein Mittel unversucht, um während dieser Vorbereitungszeit seine Pläne zu durchkreuzen. Der Gedanke lag nahe, ob es nicht gelingen könne, die Aristokratie wieder, wie im Jahre 683/84 (71 /70) zu isolieren und zwischen den Demokraten nebst ihrem Bundesgenossen Crassus einer- und Pompeius und der hohen Finanz andererseits ein auf gemeinschaftlichen Vorteil fest begründetes Bündnis aufzurichten. Für Pompeius war ein solches allerdings ein politischer Selbstmord. Sein bisheriges Gewicht im Staate beruhte darauf, daß er das einzige Parteihaupt war, das zugleich über Legionen, wenn auch jetzt aufgelöste, doch immer noch in einem gewissen Maße verfügte. Der Plan der Demokratie war ebendarauf gerichtet, ihn dieses Übergewichtes zu berauben und ihm in ihrem eigenen Haupt einen militärischen Nebenbuhler zur Seite zu stellen. Nimmermehr durfte er hierauf eingehen, am allerwenigsten aber einem Manne wie Caesar, der schon als bloßer politischer Agitator ihm genug zu schaffen gemacht und soeben in Spanien die glänzendsten Beweise auch militärischer Kapazität gegeben hatte, selber zu einer Oberfeldherrnstelle verhelfen. Allein auf der anderen Seite war, infolge der schikanösen Opposition des Senats und der Gleichgültigkeit der Menge für Pompeius und Pompeius’ Wünsche, seine Stellung, namentlich seinen alten Soldaten gegenüber, so peinlich und so demütigend geworden, daß man bei seinem Charakter wohl erwarten konnte, um den Preis der Erlösung aus dieser unbequemen Lage ihn für eine solche Koalition zu gewinnen. Was aber die sogenannte Ritterpartei anlangt, so fand diese überall da sich ein, wo die Macht war, und es verstand sich von selbst, daß sie nicht lange auf sich werde warten lassen, wenn sie Pompeius und die Demokratie aufs neue ernstlich sich verbünden sah. Es kam hinzu, daß wegen Catos übrigens sehr löblicher Strenge gegen die Steuerpächter die hohe Finanz eben jetzt wieder mit dem Senat in heftigem Hader lag.

So ward im Sommer 694 (60) die zweite Koalition abgeschlossen. Caesar ließ sich das Konsulat für das folgende Jahr und demnächst die Statthalterschaft zusichern; Pompeius ward die Ratifikation seiner im Osten getroffenen Verfügungen und Anweisung von Ländereien an die Soldaten der asiatischen Armee zugesagt; der Ritterschaft versprach Caesar gleichfalls das, was der Senat verweigert hatte, ihr durch die Bürgerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschließen, freilich ohne für den Beitritt, den er nicht verweigern konnte, bestimmte Zusagen zu erhalten. Es waren genau dieselben Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 (71) und die im Sommer 684 (70) den Bund miteinander schlossen; aber wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien! Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre Verbündeten siegreiche, an der Spitze ihrer Armeen stehende Feldherren; jetzt war der Führer der Demokraten selber ein sieggekrönter, von großartigen militärischen Entwürfen erfüllter Imperator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee. Damals siegte die Demokratie in Prinzipienfragen und räumte um diesen Preis die höchsten Staatsämter ihren beiden Verbündeten ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die höchste bürgerliche und militärische Gewalt für sich selber, wogegen nur in untergeordneten Dingen den Bundesgenossen Konzessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pompeius’ alte Forderung eines zweiten Konsulats berücksichtigt wurde. Damals gab sich die Demokratie ihren Verbündeten hin; jetzt mußten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhältnisse sind vollständig verändert, am meisten jedoch der Charakter der Demokratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie überhaupt war, im innersten Kern ein monarchisches Element in sich getragen; allein das Verfassungsideal, wie es ihren besten Köpfen in mehr oder minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein bürgerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in der die Macht des Fürsten darauf beruhte, daß er die Bürgerschaft in edelster und vollkommenster Weise vertrat und der vollkommenste und edelste Teil der Bürgschaft ihren rechten Vertrauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale, die wohl auf die Realitäten einwirken, aber nicht geradezu realisiert werden konnten. Weder die einfache bürgerliche Gewalt, wie Gaius Gracchus sie besessen, noch die Bewaffnung der demokratischen Partei, wie sie Cinna, freilich in sehr unzulänglicher Art, versucht hatte, vermochten in dem römischen Gemeinwesen als dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht für eine Partei, sondern für einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine, die rohe Macht der Condottieri zeigte sich, nachdem sie zuerst im Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald allen politischen Parteien unbedingt überlegen. Auch Caesar mußte im praktischen Parteitreiben hiervon sich überzeugen und also reifte in ihm der verhängnisvolle Entschluß, diese Heeresmaschine selbst seinen Idealen dienstbar zu machen und das Gemeinwesen, wie er es im Sinne trug, durch Condottiergewalt aufzurichten. In dieser Absicht schloß er im Jahre 683 (71) den Bund mit den Generalen der Gegenpartei, welcher, ungeachtet dieselben das demokratische Programm akzeptiert hatten, doch die Demokratie und Caesar selbst an den Rand des Unterganges führte. In der gleichen Absicht trat elf Jahre später er selber als Condottiere auf. Es geschah in beiden Fällen mit einer gewissen Naivität, mit dem guten Glauben an die Möglichkeit, ein freies Gemeinwesen wo nicht durch fremde, doch durch den eigenen Säbel begründen zu können. Man sieht es ohne Mühe ein, daß dieser Glaube trog und daß niemand den bösen Geist zum Diener nimmt, ohne ihm selbst zum Knecht zu werden; aber die größten Männer sind nicht die, welche am wenigsten irren. Wenn noch nach Jahrtausenden wir ehrfurchtsvoll uns neigen vor denn, was Caesar gewollt und getan hat, so liegt die Ursache nicht darin, daß er eine Krone begehrt und gewonnen hat, was an sich so wenig etwas Großes ist wie die Krone selbst, sondern darin, daß sein mächtiges Ideal: eines freien Gemeinwesens unter einem Herrscher - ihn nie verlassen und auch als Monarchen ihn davor bewahrt hat, in das gemeine Königtum zu versinken.

Ohne Schwierigkeit ward von den vereinigten Parteien Caesars Wahl zum Konsul für das Jahr 695 (59) durchgesetzt. Die Aristokratie mußte zufrieden sein, durch einen selbst in dieser Zeit tiefster Korruption Aufsehen erregenden Stimmenkauf, wofür der ganze Herrenstand die Mittel zusammenschoß, ihm in der Person des Marcus Bibulus einen Kollegen zuzugesellen, dessen bornierter Starrsinn in ihren Kreisen als konservative Energie betrachtet ward und an dessen gutem Willen wenigstens es nicht lag, wenn die vornehmen Herren ihre patriotischen Auslagen nicht wieder herausbekamen.

Als Konsul brachte Caesar zunächst die Begehren seiner Verbündeten zur Verhandlung, unter denen die Landanweisung an die Veteranen des asiatischen Heeres bei weitem das wichtigste war. Das zu diesem Ende von Caesar entworfene Ackergesetz hielt im allgemeinen fest an den Grundzügen, wie sie der das Jahr zuvor in Pompeius’ Auftrag eingebrachte, aber gescheiterte Gesetzesentwurf aufgestellt hatte. Zur Verteilung ward nur das italische Domanialland bestimmt, das heißt wesentlich das Gebiet von Capua, und, wenn dies nicht ausreichen sollte, anderer italischer Grundbesitz, der aus dem Ertrage der neuen östlichen Provinzen zu dem in den zensorischen Listen verzeichneten Taxationswert angekauft werden sollte; alle bestehenden Eigentums- und Erbbesitzrechte blieben also unangetastet. Die einzelnen Parzellen waren klein. Die Landempfänger sollten arme Bürger, Väter von wenigstens drei Kindern sein; der bedenkliche Grundsatz, daß der geleistete Militärdienst Anspruch auf Grundbesitz gebe, ward nicht aufgestellt, sondern es wurden nur, wie es billig und zu allen Zeiten geschehen war, die alten Soldaten sowie nicht minder die auszuweisenden Zeitpächter den Landausteilern vorzugsweise zur Berücksichtigung empfohlen. Die Ausführung ward einer Kommission von zwanzig Männern übertragen, in die Caesar bestimmt erklärte, sich selber nicht wählen lassen zu wollen.

Die Opposition hatte gegen diesen Vorschlag einen schweren Stand. Es ließ sich vernünftigerweise nicht leugnen, daß die Staatsfinanzen nach Einrichtung der Provinzen Pontus und Syrien imstande sein mußten, auf die kampanischen Pachtgelder zu verzichten; daß es unverantwortlich war, einen der schönsten und eben zum Kleinbesitz vorzüglich geeigneten Distrikt Italiens dem Privatverkehr zu entziehen; daß es endlich ebenso ungerecht wie lächerlich war, noch jetzt nach der Erstreckung des Bürgerrechts auf ganz Italien der Ortschaft Capua die Munizipalrechte vorzuenthalten. Der ganze Vorschlag trug den Stempel der Mäßigung, der Ehrlichkeit und der Solidarität, womit sehr geschickt der demokratische Parteicharakter verbunden war; denn im wesentlichen lief derselbe doch hinaus auf die Wiederherstellung der in der marianischen Zeit gegründeten und von Sulla wiederaufgehobenen capuanischen Kolonie. Auch in der Form beobachtete Caesar jede mögliche Rücksicht. Er legte den Entwurf des Ackergesetzes, sowie zugleich den Antrag, die von Pompeius im Osten erlassenen Verfügungen in Bausch und Bogen zu ratifizieren und die Petition der Steuerpächter um Nachlaß eines Drittels der Pachtsummen, zunächst dem Senat zur Begutachtung vor und erklärte sich bereit, Abänderungsvorschläge entgegenzunehmen und zu diskutieren. Das Kollegium hatte jetzt Gelegenheit, sich zu überzeugen, wie töricht es gehandelt hatte, durch Verweigerung dieser Begehren Pompeius und die Ritterpartei dem Gegner in die Arme zu treiben. Vielleicht war es das stille Gefühl hiervon, das die hochgeborenen Herren zu dem lautesten und mit dem gehaltenen Auftreten Caesars übel kontrastierenden Widerbellen trieb. Das Ackergesetz ward von ihnen einfach und selbst ohne Diskussion zurückgewiesen. Der Beschluß über Pompeius’ Einrichtungen in Asien fand ebensowenig Gnade vor ihren Augen. Den Antrag hinsichtlich der Steuerpächter versuchte Cato nach der unlöblichen Sitte des römischen Parlamentarismus totzusprechen, das heißt bis zu der gesetzlichen Schlußstunde der Sitzung seine Rede fortzuspinnen; als Caesar Miene machte, den störrigen Mann verhaften zu lassen, ward schließlich auch dieser Antrag verworfen.

Natürlich gingen nun sämtliche Anträge an die Bürgerschaft. Ohne sich weit von der Wahrheit zu entfernen, konnte Caesar der Menge sagen, daß der Senat die vernünftigsten und notwendigsten, in der achtungsvollsten Form an ihn gebrachten Vorschläge, bloß weil sie von dem demokratischen Konsul kamen, schnöde zurückgewiesen habe. Wenn er hinzufügte, daß die Aristokraten ein Komplott gesponnen hätten, um die Verwerfung der Anträge zu bewirken, und die Bürgerschaft, namentlich Pompeius selbst und dessen alte Soldaten, aufforderte, gegen List und Gewalt ihm beizustehen, so war auch dies keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Aristokratie, voran der eigensinnige Schwachkopf Bibulus und der standhafte Prinzipiennarr Cato, hatte in der Tat vor, die Sache bis zu offenbarer Gewalt zu treiben. Pompeius, von Caesar veranlaßt, sich über seine Stellung zu der obschwebenden Frage auszusprechen, erklärte unumwunden, wie es sonst seine Art nicht war, daß, wenn jemand wagen sollte, das Schwert zu zücken, auch er nach dem seinigen greifen und dann den Schild nicht zu Hause lassen werde; ebenso sprach Crassus sich aus. Pompeius’ alte Soldaten wurden angewiesen, am Tage der Abstimmung, die ja zunächst sie anging, zahlreich mit Waffen unter den Kleidern auf dem Stimmplatz zu erscheinen.

Die Nobilität ließ dennoch kein Mittel unversucht, um die Anträge Caesars zu vereiteln. An jedem Tage, wo Caesar vor dem Volke auftrat, stellte sein Kollege Bibulus die bekannten politischen Wetterbeobachtungen an, die alle öffentlichen Geschäfte unterbrachen; Caesar kümmerte sich um den Himmel nicht, sondern fuhr fort, seine irdischen Geschäfte zu betreiben. Die tribunizische Interzession ward eingelegt; Caesar begnügte sich, sie nicht zu beachten. Bibulus und Cato sprangen auf die Rednertribüne, harangierten die Menge und veranlaßten den gewöhnlichen Krawall; Caesar ließ sie durch Gerichtsdiener vom Markte hinwegführen und übrigens dafür sorgen, daß ihnen kein Leides geschah - es lag auch in seinem Interesse, daß die politische Komödie das blieb, was sie war. Alles Schikanierens und alles Folterns der Nobilität ungeachtet, wurden das Ackergesetz, die Bestätigung der asiatischen Organisationen und der Nachlaß für die Steuerpächter von der Bürgerschaft angenommen, die Zwanzigerkommission, an ihrer Spitze Pompeius und Crassus, erwählt und in ihr Amt eingesetzt; mit allen ihren Anstrengungen hatte die Aristokratie nichts weiter erreicht, als daß ihre blinde und gehässige Widersetzlichkeit die Bande der Koalition noch fester gezogen und ihre Energie, deren sie bald bei. wichtigeren Dingen bedürfen sollte, an diesen im Grunde gleichgültigen Angelegenheiten sich erschöpft hatte. Man beglückwünschte sich untereinander über den bewiesenen Heldenmut; daß Bibulus erklärt hatte, lieber sterben als weichen zu wollen, daß Cato noch in den Händen der Büttel fortgefahren hatte zu perorieren, waren große patriotische Taten; übrigens ergab man sich in sein Schicksal. Der Konsul Bibulus schloß sich für den noch übrigen Teil des Jahres in sein Haus ein, wobei er zugleich durch öffentlichen Anschlag bekannt machte, daß er die fromme Absicht habe, an allen in diesem Jahr zu Volksversammlungen geeigneten Tagen nach Himmelszeichen zu spähen. Seine Kollegen bewunderten wieder den großen Mann, der, gleich wie Ennius von dem alten Fabius gesagt, “den Staat durch Zaudern errette”, und taten wie er; die meisten derselben, darunter Cato, erschienen nicht mehr im Senat und halfen innerhalb ihrer vier Wände ihrem Konsul sich ärgern, daß der politischen Astronomie zum Trotz die Weltgeschichte weiterging. Dem Publikum erschien diese Passivität des Konsuls sowie der Aristokratie überhaupt wie billig als politische Abdikation; und die Koalition war natürlich sehr wohl damit zufrieden, daß man sie die weiteren Schritte fast ungestört tun ließ. Der wichtigste darunter war die Regulierung der künftigen Stellung Caesars. Verfassungsmäßig lag es dem Senat ob, die Kompetenzen des zweiten konsularischen Amtsjahrs nach vor der Wahl der Konsuln festzustellen; demgemäß hatte er denn auch, in Voraussicht der Wahl Caesars, dazu für 696 (58) zwei Provinzen ausersehen, in denen der Statthalter nichts anderes vorzunehmen fand als Straßenbauten und dergleichen nützliche Dinge mehr. Natürlich konnte es nicht dabei bleiben; es war unter den Verbündeten ausgemacht, daß Caesar ein außerordentliches nach dem Muster der Gabinisch-Manilischen Gesetze zugeschnittenes Kommando durch Volksschluß erhalten solle. Caesar indes hatte öffentlich erklärt, keinen Antrag zu seinen eigenen Gunsten einbringen zu wollen; der Volkstribun Publius Vatinius übernahm es also, den Antrag bei der Bürgerschaft zu stellen, die natürlich unbedingt gehorchte. Caesar erhielt dadurch die Statthalterschaft des cisalpinischen Galliens und den Oberbefehl der drei daselbst stehenden, schon im Grenzkrieg unter Lucius Afranius erprobten Legionen, ferner proprätorischen Rang für seine Adjutanten, wie die Pompeianischen ihn gehabt hatten; auf fünf Jahre hinaus, auf längere Zeit, als je früher ein überhaupt auf bestimmte Zeit beschränkter Feldherr bestellt worden war, ward dies Amt ihm gesichert. Den Kern seiner Statthalterschaft bildeten die Transpadaner, seit Jahren schon, in Hoffnung auf das Bürgerrecht, die Klienten der demokratischen Partei in Rom und insbesondere Caesars. Sein Sprengel erstreckte sich südlich bis zum Arnus und zum Rubico und schloß Luca und Ravenna ein. Nachträglich ward dann noch die Provinz Narbo mit der einen daselbst befindlichen Legion zu Caesars Amtsbezirk hinzugefügt, was auf Pompeius’ Antrag der Senat beschloß, um wenigstens nicht auch dies Kommando durch außerordentlichen Bürgerschaftsbeschluß auf Caesar übergehen zu sehen. Man hatte damit, was man wollte. Da verfassungsmäßig in dem eigentlichen Italien keine Truppen stehen durften, so beherrschte der Kommandant der norditalischen und gallischen Legionen auf die nächsten fünf Jahre zugleich Italien und Rom; und wer auf fünf Jahre, ist auch Herr auf Lebenszeit. Caesars Konsulat hatte seinen Zweck erreicht. Es versteht sich, daß die neuen Machthaber nebenbei nicht versäumten, die Menge durch Spiele und Lustbarkeiten aller Art bei guter Laune zu erhalten, und daß sie jede Gelegenheit ergriffen, ihre Kasse zu füllen; wie denn zum Beispiel dem König von Ägypten der Volksschluß, der ihn als legitimen Herrscher anerkannte, von der Koalition um hohen Preis verkauft ward, und ebenso andere Dynasten und Gemeinden Freibriefe und Privilegien bei dieser Gelegenheit erwarben.

Auch die Dauerhaftigkeit der getroffenen Einrichtungen schien hinlänglich gesichert. Das Konsulat ward wenigstens für das nächste Jahr sicheren Händen anvertraut. Das Publikum glaubte anfangs, daß es Pompeius und Crassus selber bestimmt sei; die Machthaber zogen es indes vor, zwei untergeordnete, aber zuverlässige Männer ihrer Partei, Aulus Gabinius, den besten unter Pompeius’ Adjutanten, und Lucius Piso, der minder bedeutend, aber Caesars Schwiegervater war, für 696 (58) zu Konsuln wählen zu lassen. Pompeius übernahm es persönlich, Italien zu bewachen, wo er an der Spitze der Zwanzigerkommission die Ausführung des Ackergesetzes betrieb und gegen 20000 Bürger, großenteils alte Soldaten aus seiner Armee, im Gebiete von Capua mit Grundbesitz ausstattete; als Rückhalt gegen die hauptstädtische Opposition dienten ihm Caesars norditalische Legionen. Auf einen Bruch unter den Machthabern selbst war zunächst wenigstens keine Aussicht. Die von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze, an deren Aufrechterhaltung Pompeius wenigstens ebensoviel gelegen war als Caesar, verbürgten die Fortdauer der Spaltung zwischen Pompeius und der Aristokratie, deren Spitzen, namentlich Cato, fortfuhren, die Gesetze als nichtig zu behandeln, und damit den Fortbestand der Koalition. Es kam hinzu, daß auch die persönlichen Bande zwischen ihren Häuptern sich enger zusammenzogen. Caesar hatte seinen Verbündeten redlich und treulich Wort gehalten, ohne sie in dem Versprochenen zu beknappen oder zu schikanieren, und namentlich das in Pompeius’ Interesse beantragte Ackergesetz völlig wie seine eigene Sache mit Gewandtheit und Energie durchgefochten; Pompeius war nicht unempfänglich für rechtliches Verhalten und gute Treue und wohlwollend gestimmt gegen denjenigen, der ihm über die seit drei Jahren gespielte armselige Petentenrolle mit einem Schlag hinweggeholfen hatte. Der häufige und vertraute Verkehr mit einem Manne von der unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit Caesars tat das übrige, um den Bund der Interessen in einen Freundschaftsbund umzugestalten. Das Ergebnis und das Unterpfand dieser Freundschaft, freilich zugleich auch eine öffentliche, schwer mißzuverstehende Ankündigung der neubegründeten Gesamtherrschaft, war die Ehe, die Pompeius mit Caesars einziger, dreiundzwanzigjähriger Tochter einging. Julia, die die Anmut ihres Vaters geerbt hatte, lebte mit ihrem um das doppelte älteren Gemahl in der glücklichsten Häuslichkeit, und die nach so vielen Nöten und Krisen Ruhe und Ordnung herbeisehnende Bürgerschaft sah in diesem Ehebündnis die Gewähr einer friedlichen und gedeihlichen Zukunft.

Je fester und enger also das Bündnis zwischen Pompeius und Caesar sich knüpfte, desto hoffnungsloser gestaltete sich die Sache der Aristokratie. Sie fühlte das Schwert über ihrem Haupte schweben und kannte Caesar hinlänglich, um nicht zu bezweifeln, daß er, wenn nötig, es unbedenklich brauchen werde. “Von allen Seiten”, schrieb einer von ihnen, “stehen wir im Schach; schon haben wir aus Furcht vor dem Tode oder vor der Verbannung auf die ‘Freiheit’ verzichtet; jeder seufzt, zu reden wagt keiner”. Mehr konnten die Verbündeten nicht verlangen. Aber wenn auch die Majorität der Aristokratie in dieser wünschenswerten Stimmung sich befand, so fehlte es doch natürlich in dieser Partei auch nicht an Heißspornen. Kaum hatte Caesar das Konsulat niedergelegt, als einige der hitzigsten Aristokraten, Lucius Domitius und Gaius Memmius, im vollen Senat den Antrag stellten, die Julischen Gesetze zu kassieren. Es war das freilich nichts als eine Torheit, die nur zum Vorteil der Koalition ausschlug; denn da Caesar nun selbst darauf bestand, daß der Senat die Gültigkeit der angefochtenen Gesetze untersuchen möge, konnte dieser nicht anders, als deren Legalität förmlich anerkennen. Allein begreiflicherweise fanden dennoch die Machthaber hierin eine neue Aufforderung, an einigen der namhaftesten und vorlautesten Opponenten ein Exempel zu statuieren, und dadurch sich zu versichern, daß die übrige Masse bei jenem zweckmäßigen Seufzen und Schweigen beharre. Anfangs hatte man gehofft, daß die Klausel des Ackergesetzes, welche wie üblich den Eid auf das neue Gesetz von den sämtlichen Senatoren bei Verlust ihrer politischen Rechte forderte, die heftigsten Widersacher bestimmen werde, nach dem Vorgange des Metellus Numidicus sich durch die Eidverweigerung selber zu verbannen. Allein so gefällig erwiesen sich dieselben doch nicht; selbst der gestrenge Cato bequemte sich zu schwören, und seine Sanchos folgten ihm nach. Ein zweiter wenig ehrbarer Versuch, die Häupter der Aristokratie wegen eines angeblich gegen Pompeius gesponnenen Mordanschlags mit Kriminalanklagen zu bedrohen und dadurch sie in die Verbannung zu treiben, ward durch die Unfähigkeit der Werkzeuge vereitelt; der Denunziant, ein gewisser Vettius, übertrieb und widersprach sich so arg und der Tribun Vatinius, der die unsaubere Maschine dirigierte, zeigte sein Einverständnis mit jenem Vettius so deutlich, daß man es geraten fand, den letzteren im Gefängnis zu erdrosseln und die ganze Sache fallen zu lassen. Indes hatte man bei dieser Gelegenheit von der vollständigen Auflösung der Aristokratie und der grenzenlosen Angst der vornehmen Herren sich sattsam überzeugt; selbst ein Mann wie Lucius Lucullus hatte sich persönlich Caesar zu Füßen geworfen und öffentlich erklärt, daß er seines hohen Alters wegen sich genötigt sehe, vom öffentlichen Leben zurückzutreten. Man ließ sich denn endlich an einigen wenigen Opfern genügen. Hauptsächlich galt es Cato zu entfernen, welcher seiner Überzeugung von der Nichtigkeit der sämtlichen Julischen Gesetze keinen Hehl hatte, und der Mann war so, wie er dachte zu handeln. Ein solcher Mann war freilich Marcus Cicero nicht, und man gab sich nicht die Mühe, ihn zu fürchten. Allein die demokratische Partei, die in der Koalition die erste Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dezember 691 (63), den sie so laut und mit so gutem Rechte getadelt hatte, unmöglich nach ihrem Siege ungeahndet lassen. Hätte man die wirklichen Urheber des verhängnisvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wollen, so maßte man freilich sich nicht an den schwachmütigen Konsul halten, sondern an die Fraktion der strengen Aristokratie, die den ängstlichen Mann zu jener Exekution gedrängt hatte. Aber nach formellem Recht waren für dieselbe allerdings nicht die Ratgeber des Konsuls, sondern der Konsul selbst verantwortlich, und vor allem war es der mildere Weg, nur den Konsul zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatskollegium ganz aus dem Spiele zu lassen, weshalb auch in den Motiven des gegen Cicero gerichteten Antrags der Senatsbeschluß, kraft dessen derselbe die Hinrichtung anordnete, geradezu als untergeschoben bezeichnet ward. Selbst gegen Cicero hätten die Machthaber gern Aufsehen erregende Schritte vermieden; allein derselbe konnte es nicht über sich gewinnen, weder den Machthabern die verlangten Garantien zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen, jeden Anstoß zu vermeiden, und der aufrichtigsten Angst hatte er doch nicht Haltung genug, um vorsichtig zu sein; das Wort maßte heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein durch das Lob so vieler adliger Herren fast übergeschnapptes Selbstbewußtsein die wohlkadenzierten Perioden des plebejischen Advokaten schwellte. Die Ausführung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Maßregeln ward dem lockeren und wüsten, aber gescheiten und vor allen Dingen dreisten Publius Clodius übertragen, der seit Jahren mit Cicero in der bittersten Feindschaft lebte und, um diese befriedigen und als Demagog eine Rolle spielen zu können, unter Caesars Konsulat sich durch eilige Adoption aus einem Patrizier in einen Plebejer verwandelt und dann für das Jahr 696 (58) zum Volkstribun hatte wählen lassen. Als Rückhalt für Clodius verweilte der Prokonsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden Opfer gefallen war, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt. Den erhaltenen Aufträgen gemäß schlug Clodius der Bürgerschaft vor, Cato mit der Regulierung der verwickelten Gemeindeverhältnisse der Byzantier und mit der Einziehung des Königreichs Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Ägypten durch das Testament Alexanders II. den Römern angefallen war und nicht, wie Ägypten, die römische Einziehung abgekauft, dessen König überdies den Clodius vor Zeiten persönlich beleidigt hatte. Hinsichtlich Ciceros brachte Clodius einen Gesetzentwurf ein, welcher die Hinrichtung eines Bürgers ohne Urteil und Recht als ein mit Landesverweisung zu bestrafendes Verbrechen bezeichnete. Cato also ward durch eine ehrenvolle Sendung entfernt, Cicero wenigstens mit der möglichst gelinden Strafe belegt, überdies in dem Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnügen aber versagte man sich nicht, einerseits einen notorisch zaghaften und zu der Gattung der politischen Wetterfahnen zählenden Mann wegen von ihm bewiesener Energie zu bestrafen, andererseits den verbissenen Gegner aller Eingriffe der Bürgerschaft in die Administration und aller außerordentlichen Kommandos durch Bürgerschaftsbeschluß selbst mit einem solchen auszustatten; und mit gleichem Humor ward der Cato betreffende Antrag motiviert mit der abnormen Tugendhaftigkeit dieses Mannes, welche ihn vor jedem andern geeignet erscheinen lasse, einen so kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des ansehnlichen kyprischen Kronschatzes war, auszuführen, ohne zu stehlen. Beide Anträge tragen überhaupt den Charakter rücksichtsvoller Deferenz und kühler Ironie, der Caesars Verhalten dem Senat gegenüber durchgängig bezeichnet. Auf Widerstand stießen sie nicht. Es half natürlich nichts, daß die Senatsmajorität, um doch auf irgendeine Art gegen die Verhöhnung und Brandmarkung ihres Beschlusses in der Catilinarischen Sache zu protestieren, öffentlich das Trauergewand anlegte und daß Cicero selbst, nun da es zu spät war, bei Pompeius kniefällig um Gnade bat; er mußte, noch bevor das Gesetz durchging, das ihm die Heimat verschloß, sich selber verbannen (April 696 58). Cato ließ es gleichfalls nicht darauf ankommen, durch Ablehnung des ihm gewordenen Auftrags schärfere Maßregeln zu provozieren, sondern nahm denselben an und schiffte sich ein nach dem Osten. Das Nächste war getan; auch Caesar konnte Italien verlassen, um sich ernsteren Aufgaben zu widmen.

KAPITEL VII.
Die Unterwerfung des Westens

Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egoismus, der in der Kurie und auf den Straßen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu Dingen wendet, die wichtiger sind als die Frage, ob der erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heißen wird, so mag es wohl gestattet sein, an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und ihre ersten Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und Großbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind.

Kraft des Gesetzes, daß das zum Staat entwickelte Volk die politisch unmündigen, das zivilisierte die geistig unmündigen Nachbarn in sich auflöst - kraft dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr Naturgesetz ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die einzige des Altertums, welche die höhere politische Entwicklung und die höhere Zivilisation, wenn auch letztere nur in unvollkommener und äußerlicher Weise, miteinander zu verbinden vermocht hat, befugt, die zum Untergang reifen griechischen Staaten des Ostens sich untertan zu machen und die Völkerschaften niedrigerer Kulturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Germanen, durch ihre Ansiedler zu verdrängen - eben wie England mit gleichem Recht in Asien eine ebenbürtige, aber politisch impotente Zivilisation sich unterworfen, in Amerika und Australien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel seiner Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährend bezeichnet und adelt. Die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, hatte die römische Aristokratie vollbracht; die Aufgabe selber hat sie nicht gelöst, sondern die außeritalischen Eroberungen stets nur entweder als notwendiges Übel oder auch als einen gleichsam außerhalb des Staates stehenden Rentenbesitz betrachtet. Es ist der unvergängliche Ruhm der römischen Demokratie oder Monarchie - denn beides fällt zusammen -, daß sie jene höchste Bestimmung richtig begriffen und kräftig verwirklicht hat. Was die unwiderstehliche Macht der Verhältnisse durch den wider seinen Willen die Grundlagen der künftigen römischen Herrschaft im Westen wie im Osten feststellenden Senat vorbereitet hatte, was dann die römische Emigration in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in die westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer höheren Kultur, instinktmäßig betrieb, das hat der Schöpfer der römischen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmännischer Klarheit und Sicherheit erfaßt und durchzuführen begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, soweit es hellenisch war, zu reunieren, soweit es nicht hellenisch war, zu kolonisieren, waren mit der Einziehung des Attalischen Reiches, mit den transalpinischen Eroberungen des Flaccus bereits in der gracchischen Zeit praktisch anerkannt worden; aber die obsiegende Reaktion ließ sie wieder verkümmern. Der römische Staat blieb eine wüste Ländermasse ohne intensive Okkupation und ohne gehörige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen waren durch weite, kaum in ihren Küstensäumen den Römern untertänige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordküste nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig okkupiert, selbst von dem untertänigen Gebiet große Strecken, namentlich in Spanien, den Römern nur dem Namen nach unterworfen: von Seiten der Regierung aber geschah zur Konzentrierung und Arrondierung der Herrschaft schlechterdings nichts, und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl versuchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die äußere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber da sie nicht auf die Dauer ans Ruder kam, blieb es bei Entwürfen. Erst als mit dem Sturz der Sullanischen Verfassung im Jahre 684 (70) die Demokratie tatsächlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herrschaft auf dem Mittelländischen Meere wiederhergestellt, die erste Lebensfrage für einen Staat wie der römische war. Gegen Osten wurde weiter durch die Einziehung der pontischen und syrischen Landschaften die Euphratgrenze gesichert. Aber noch war es übrig, jenseits der Alpen zugleich das römische Gebiet gegen Norden und Westen abzuschließen und der hellenischen Zivilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen Stammes hier einen neuen jungfräulichen Boden zu gewinnen. Dieser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist mehr als ein Irrtum, es ist ein Frevel gegen den in der Geschichte mächtigen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exerzierplatz betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den bevorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung des Westens für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als er in den transalpinischen Kriegen seine spätere Machtstellung begründet hat, so ist ebendies das Privilegium des staatsmännischen Genius, daß seine Mittel selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl für seine Parteizwecke einer militärischen Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es war zunächst für Rom eine politische Notwendigkeit, der ewig drohenden Invasion der Deutschen schon jenseits der Alpen zu begegnen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser wichtige Zweck war noch nicht der höchste und letzte, weshalb Gallien von Caesar erobert ward. Als der römischen Bürgerschaft die alte Heimat zu eng geworden war und sie in Gefahr stand zu verkümmern, rettete die italische Eroberungspolitik des Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Heimat wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an denselben in gleicher Art, nur in größeren Verhältnissen sich wiederholenden sozialen Mißständen. Es war ein genialer Gedanke, eine großartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen führte: der Gedanke und die Zuversicht, dort seinen Mitbürgern eine neue, grenzenlose Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu regenerieren, daß er auf eine breitere Basis gestellt ward.

Gewissermaßen läßt sich zu den auf die Unterwerfung des Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen, den Caesar im Jahre 693 (61) im Jenseitigen Spanien unternahm. Wielange auch Spanien schon den Römern gehorchte, immer noch war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die Callaeker das westliche Gestade von den Römern wesentlich unabhängig geblieben und die Nordküste noch gar von ihnen nicht betreten worden; und die Raubzüge, denen von dort aus die untertänigen Landschaften fortwährend sich ausgesetzt sahen, taten der Zivilisierung und Romanisierung Spaniens nicht geringen Eintrag. Hiergegen richtete sich Caesars Zug an der Westküste hinauf. Er überschritt die den Tajo nördlich begrenzende Kette der Herminischen Berge (Sierra de Estrella), nachdem er die Bewohner derselben überwunden und zum Teil in die Ebene übergesiedelt hatte, unterwarf die Landschaft zu beiden Seiten des Duero und gelangte bis an die nordwestliche Spitze der Halbinsel, wo er mit Hilfe einer von Gades herbeigezogenen Flottille Brigantium (Coruña) einnahm. Dadurch wurden die Anwohner des Atlantischen Ozeans, Lusitaner und Callaeker zur Anerkennung der römischen Suprematie gezwungen, während der Überwinder zugleich darauf bedacht war, durch Herabsetzung der nach Rom zu entrichtenden Tribute und Regulierung der ökonomischen Verhältnisse der Gemeinden die Lage der Untertanen überhaupt leidlicher zu gestalten.

Indes wenn auch schon in diesem militärischen und administrativen Debüt des großen Feldherrn und Staatsmannes dieselben Talente und dieselben leitenden Gedanken durchschimmern, die er später auf größeren Schauplätzen bewährt hat, so war doch seine Wirksamkeit auf der Iberischen Halbinsel viel zu vorübergehend, um tief einzugreifen, um so mehr als bei deren eigentümlichen physischen und nationalen Verhältnissen nur eine längere Zeit hindurch mit Stetigkeit fortgesetzte Tätigkeit hier eine dauernde Wirkung äußern konnte.

Eine bedeutendere Rolle in der romanischen Entwicklung des Westens war der Landschaft bestimmt, welche zwischen den Pyrenäen und dem Rheine, dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean sich ausbreitet und an der seit der augustinischen Zeit der Name des Keltenlandes, Gallien, vorzugsweise haftet, obwohl genau genommen das Keltenland teils enger ist, teils viel weiter sich erstreckt und jene Landschaft niemals eine nationale und nicht vor Augustus eine politische Einheit gebildet hat. Es ist eben darum nicht leicht, von den in sich sehr ungleichartigen Zuständen, die Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im Jahre 696 (58) vorfand, ein anschauliches Bild zu entwerfen.

In der Landschaft am Mittelmeer, welche ungefähr, im Westen der Rhone Languedoc, im Osten Dauphiné und Provence umfassend, seit sechzig Jahren römische Provinz war, hatten seit dem kimbrischen Sturm, der auch über sie hingebraust war, die römischen Waffen selten geruht. 664 (90) hatte Gaius Caelius mit den Salyern um Aquae Sextiae, 674 (80) Gaius Flaccus auf dem Marsch nach Spanien mit anderen keltischen Gauen gekämpft. Als im Sertorianischen Krieg der Statthalter Lucius Manlius, genötigt, seinen Kollegen jenseits der Pyrenäen zu Hilfe zu eilen, geschlagen von Ilerda (Lerida) zurückkam und auf dem Heimweg von den westlichen Nachbarn der römischen Provinz, den Aquitanern, zum zweitenmal besiegt ward (um 676 78), scheint dies einen allgemeinen Aufstand der Provinzialen zwischen den Pyrenäen und der Rhone, vielleicht selbst derer zwischen Rhone und Alpen hervorgerufen zu haben. Pompeius mußte sich durch das empörte Gallien seinen Weg nach Spanien mit dem Schwerte bahnen und gab zur Strafe für die Empörung die Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier (Departement Gard und Ardèche) den Massalioten zu eigen; der Statthalter Manius Fonteius (678-680 76-74) führte diese Anordnungen aus und stellte die Ruhe in der Provinz wieder her, indem er die Vocontier (Departement Drôme) niederwarf, Massalia vor den Aufständischen schützte und die römische Hauptstadt Narbo, die sie berannten, wieder befreite. Die Verzweiflung indes und die ökonomische Zerrüttung, welche die Mitleidenschaft unter dem Spanischen Krieg und überhaupt die amtlichen und nichtamtlichen Erpressungen der Römer über die gallischen Besitzungen brachten, ließ dieselben nicht zur Ruhe kommen und namentlich der von Narbo am weitesten entfernte Kanton der Allobrogen war in beständiger Gärung, von der die “Friedensstiftung”, die Gaius Piso dort 688 (66) vornahm, sowie das Verhalten der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei Gelegenheit des Anarchistenkomplotts 691 (63) Zeugnis ablegen und die bald darauf (693 61) in offene Empörung ausbrach. Catugnatus, der Führer der Allobrogen in diesem Kriege der Verzweiflung, ward, nachdem er anfangs nicht unglücklich gefochten, bei Solonium nach rühmlicher Gegenwehr von dem Statthalter Gaius Pomptinus überwunden.

Trotz aller dieser Kämpfe wurden die Grenzer. des römischen Gebiets nicht wesentlich vorgeschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die Trümmer der Sertorianischen Armee angesiedelt hatte, Tolosa, Vienna und Genava waren immer noch die äußersten römischen Ortschaften gegen Westen und Norden. Dabei aber war die Bedeutung dieser gallischen Besitzungen für das Mutterland beständig im Steigen; das herrliche, dem italischen verwandte Klima, die günstigen Bodenverhältnisse, das dem Handel so förderliche große und reiche Hinterland mit seinen bis nach Britannien reichenden Kaufstraßen, der bequeme Land- und Seeverkehr mit der Heimat gaben rasch dem südlichen Kettenland eine ökonomische Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hatten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtsstätte suchten und dort italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. “Die Provinz Gallien”, heißt es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung, “ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittlung eines Römers; jeder Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt, geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger”. Aus derselben Schilderung ergibt sich, daß in Gallien auch außer den Kolonisten von Narbo römische Landwirte und Viehzüchter in großer Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht außer acht zu lassen ist, daß das meiste von Römern besessene Provinzland, eben wie in frühester Zeit der größte Teil der englischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen, in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Viehzüchter zum größten Teil aus deren Verwaltern, Sklaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daß unter solchen Verhältnissen die Zivilisierung und die Romanisierung unter den Eingeborenen rasch um sich griff. Diese Kelten liebten den Ackerbau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie, das Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen, und es ist sehr glaublich, daß der erbitterte Widerstand der Allobrogen zum Teil eben durch dergleichen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht; die Elemente höherer Gesittung, die Anregungen zu Wein- und Ölbau, zum Gebrauche der Schrift ^1 und zur Münzprägung kamen ihnen von Massalia. Auch durch die Römer ward die hellenische Kultur hier nichts weniger als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Einfluß als es verlor, und noch in der römischen Zeit wurden griechische Ärzte und Rhetoren in den gallischen Kantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicherweise erhielt doch der Hellenismus im südlichen Keltenland durch die Römer denselben Charakter wie in Italien: die spezifisch hellenische Zivilisation wich der lateinisch-griechischen Mischkultur, die bald hier Proselyten in großer Anzahl machte. Die “Hosengallier”, wie man im Gegensatz zu den norditalischen “Galliern in der Toga” die Bewohner des südlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie jene bereits vollständig romanisiert, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von den “langhaarigen Galliern” der noch unbezwungenen nördlichen Landschaften. Die bei ihnen sich einbürgernde Halbkultur gab zwar Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein, und man unterließ es nicht, dem, der im Verdacht keltischer Abstammung stand, seine “behoste Verwandtschaft” zu Gemüte zu führen; aber dies schlechte Latein reichte doch dazu aus, daß selbst die entfernten Allobrogen mit den römischen Behörden in Geschäftsverkehr treten und sogar in römischen Gerichten ohne Dolmetsch Zeugnis ablegen konnten.

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^1 So ward zum Beispiel in Vaison im Vocontischen Gau eine in keltischer Sprache mit gewöhnlichem griechischen Alphabet geschriebene Inschrift gefunden. Sie lautet: σεγομαρος ουιλλονεος τοουτιους ναμαυσατις εωρουβηλησαμισοσιν νεμητον. Das letzte Wort heißt “heilig”.

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Wenn also die keltische und ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf dem Wege war, ihre Nationalität einzubüßen und daneben siechte und verkümmerte unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeugnis ablegen, so ging doch hier der Untergang der eingeborenen Bevölkerung Hand in Hand mit der Einbürgerung derselben höheren Kultur, welche wir in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Benevent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, mächtigste unter allen von Rom abhängigen griechischen Städten, unter ihrem streng aristokratischen Regiment, auf das die römischen Konservativen wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen, im Besitz eines bedeutenden und von den Römern noch ansehnlich vergrößerten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben jenen launischen Städten wie in Italien neben Capua und Benevent Rhegion und Neapolis.

Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze überschritt. Die große keltische Nation, die in den südlichen Landschaften schon von der italischen Einwanderung anfing unterdrückt zu werden, bewegte sich nördlich der Cevennen noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, daß wir ihr begegnen; mit den Ausläufern und Vorposten des ungeheuren Stammes hatten die Italiker bereits am Tiber und am Po, in den Bergen Kastiliens und Kärntens, ja tief im inneren Kleinasien gefochten, erst hier aber ward der Hauptstock in seinem Kerne von ihren Angriffen erfaßt. Der Keltenstamm hatte bei seiner Ansiedlung in Mitteleuropa sich vornehmlich über die reichen Flußtäler und das anmutige Hügelland des heutigen Frankreich mit Einschluß der westlichen Striche Deutschlands und der Schweiz ergossen und von hier aus wenigstens den südlichen Teil von England, vielleicht schon damals ganz Großbritannien und Irland besetzt ^2; mehr als irgendwo sonst bildete er hier eine breite, geographisch geschlossene Völkermasse. Trotz der Unterschiede in Sprache und Sitte, die natürlich innerhalb dieses weiten Gebietes nicht fehlten, scheint dennoch ein enger gegenseitiger Verkehr, ein geistiges Gefühl der Gemeinschaft die Völkerschaften von der Rhone und Garonne bis zum Rhein und der Themse zusammengeknüpft zu haben; wogegen dieselben mit den Kelten in Spanien und im heutigen Österreich wohl örtlich gewissermaßen zusammenhingen, aber doch teils die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenäen und der Alpen, teils die hier ebenfalls einwirkenden Obergriffe der Römer und der Germanen den Verkehr und den geistigen Zusammenhang der Stammverwandten ganz anders unterbrachen als der schmale Meerarm den der kontinentalen und der britischen Kelten. Leider ist es uns nicht vergönnt, die innere Entwicklungsgeschichte des merkwürdigen Volkes in diesen seinen Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir müssen uns begnügen, dessen kulturhistorischen und politischen Zustand, wie er hier zu Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in seinen Umrissen darzustellen.

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^2 Auf eine längere Zeit hindurch fortgesetzte Einwanderung belgischer Kelten nach Britannien deuten die von belgischen Gauen entlehnten Namen englischer Völkerschaften an beiden Ufern der Themse, wie der Atrebaten, der Belgen, ja der Britanner selbst, welcher von den an der Somme unterhalb Amiens ansässigen Britonen zuerst auf einen englischen Gau und sodann auf die ganze Insel übertragen zu sein scheint. Auch die englische Goldmünzung ist aus der belgischen abgeleitet und ursprünglich mit ihr identisch.

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Gallien war nach den Berichten der Alten verhältnismäßig wohl bevölkert. Einzelne Angaben lassen schließen, daß in den belgischen Distrikten etwa 900 Köpfe auf die Quadratmeile kamen - ein Verhältnis, wie es heutzutage etwa für Wallis und für Livland gilt, - in dem helvetischen Kanton etwa 1100 ^3; es ist wahrscheinlich, daß in den Distrikten, die kultivierter waren als die belgischen und weniger gebirgig als der helvetische, wie bei den Biturigen, Arvernern, Häduern, sich die Ziffer noch höher stellte. Der Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben, wie denn schon Caesars Zeitgenossen in der Rheinlandschaft die Sitte des Mergelns auffiel ^4 und die uralte keltische Sitte, aus Gerste Bier (cervesia) zu bereiten, ebenfalls für die frühe und weite Verbreitung der Getreidekultur spricht; allein er ward nicht geachtet. Selbst in dem zivilisierteren Süden galt es noch für den freien Kelten als nicht anständig, den Pflug zu führen. Weit höher stand bei den Kelten die Viehzucht, für welche die römischen Gutsbesitzer dieser Epoche sich sowohl des keltischen Viehschlags als auch der tapferen, des Reitens kundigen und mit der Pflege der Tiere vertrauten keltischen Sklaven vorzugsweise gern bedienten ^5. Namentlich in den nördlichen keltischen Landschaften überwog die Viehzucht durchaus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes Land. Im Nordosten reichten dichte Wälder, an den Kern der Ardennen sich anschließend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum Rheine, und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und Lothringens weidete damals der menapische und treverische Hirte im undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Säue. Ebenwie im Potal durch die Römer an die Stelle der keltischen Eichelmast Wollproduktion und Kornbau getreten sind, so gehen auch die Schafzucht und die Ackerwirtschaft in den Ebenen der Schelde und der Maas auf sie zurück. In Britannien gar war das Dreschen des Kornes noch nicht üblich, und in den nördlicheren Strichen hörte hier der Ackerbau ganz auf und war die Viehzucht die einzige bekannte Bodenbenutzung. Der Öl- und Weinbau, der den Massalioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseits der Cevennen zu Caesars Zeiten noch nicht betrieben.

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^3 Das erste Aufgebot der belgischen Kantone ausschließlich der Remer, also der Landschaft zwischen Seine und Schelde und östlich bis gegen Reims und Andernach von 2000-2200 Quadratmeilen, wird auf etwa 300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker angegebene Verhältnis des ersten Aufgebots zu der gesamten waffenfähigen Mannschaft als allgemein gültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen Belgen auf 500000 und danach die Gesamtbevölkerung auf mindestens 2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, daß sie damals schon vom rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr 300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hierbei mitgezählt sind, läßt sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen, welche Form die Sklaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Caesar (Gall. 1, 4) von Orgetorix’ Sklaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht eher für als gegen die Mitzählung.

Daß übrigens jeder solche Versuch, das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grundlage, durch Kombination zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muß, wird der verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen.

^4 “In Gallien, jenseits der Alpen im Binnenland am Rhein, habe ich,” erzählt Scrofa bei Varro rust. 1, 7, 8, “als ich dort kommandierte, einige Striche betreten, wo weder die Rebe noch die Olive noch der Obstbaum fortkommt, wo man mit weißer Grubenkreide die Äcker düngt, wo man weder Gruben- noch Seesalz hat, sondern die salzige Kohle gewisser verbrannter Hölzer statt Salz benutzt.” Diese Schilderung bezieht sich wahrscheinlich auf die vorcaesarische Zeit und auf die östlichen Striche der alten Provinz, wie zum Beispiel die allobrogische Landschaft; später beschreibt Plinius (nat. 17, 6, 42f.) ausführlich das gallisch-britannische Mergeln.

^5 “Von gutem Schlag sind in Italien besonders die gallischen Ochsen, zur Feldarbeit nämlich; wogegen die ligurischen nichts Rechtes beschaffen” (Varr. rust. 2, 5, 9). Hier ist zwar das Cisalpinische Gallien gemeint, allein die Viehwirtschaft daselbst geht doch unzweifelhaft zurück auf die keltische Epoche. Der “gallischen Klepper” (Gallici canterii) gedenkt schon Plautus (Aul. 3, 5, 21). “Nicht jede Rasse schickt sich für das Hirtengeschäft; weder die Bastuler noch die Turduler (beide in Andalusien) eignen sich dafür; am besten sind die Kelten, besonders für Reit- und Lasttiere (iumenta)” (Varro rust. 2, 10, 4).

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Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Dörfer gab es überall und allein der helvetische Kanton zählte deren im Jahre 696 (58) vierhundert außer einer Menge einzelner Höfe. Aber es fehlte auch nicht an ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch ihre Zweckmäßigkeit als durch die zierliche Ineinanderfügung von Balken und Steinen den Römern auffielen, während freilich selbst in den Städten der Allobrogen die Gebäude allein aus Holz aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und ebensoviele die Suessionen; wogegen allerdings in den nördlicheren Distrikten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte gab, aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen und Wäldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseits der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durchaus an die Stelle der Städte trat und im Krieg die einzige Zufluchtsstätte für Menschen und Herden war. Mit der verhältnismäßig bedeutenden Entwicklung des städtischen Lebens steht in enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu Wasser. Überall gab es Straßen und Brücken. Die Flußschiffahrt, wozu Ströme wie Rhone, Garonne, Loire und Seine von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit merkwürdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloß sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst den Atlantischen Ozean regelmäßig befahren hat, sondern wir finden auch hier die Kunst, Schiffe zu bauen und zu lenken, auf einer bemerkenswerten Höhe. Die Schiffahrt der Völker des Mittelmeers ist, wie dies bei der Beschaffenheit der von ihnen befahrenen Gewässer begreiflich ist, verhältnismäßig lange bei dem Ruder stehengeblieben: die Kriegsfahrzeuge der Phöniker, Hellenen und Römer waren zu allen Zeiten Rudergaleeren, auf welchen das Segel nur als gelegentliche Verstärkung des Ruders verwendet wurde; nur die Handelsschiffe sind in der Epoche der entwickelten antiken Zivilisation eigentliche Segler gewesen ^6. Die Gallier dagegen bedienten zwar auf dem Kanal sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer lederner Kähne, die im wesentlichen gewöhnliche Ruderboote gewesen zu sein scheinen; aber an der Westküste Galliens fuhren die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter mit großen, freilich plump gebauten Schiffen, die nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und eisernen Ankerketten versehen waren, und verwandten diese nicht nur für ihren Handelsverkehr mit Britannien, sondern auch im Seegefecht. Hier also begegnen wir nicht bloß zuerst der Schiffahrt auf dem freien Ozean, sondern hier hat auch zuerst das Segelschiff völlig den Platz des Ruderbootes eingenommen - ein Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche Resultate erst unsere verjüngte Kulturperiode beschäftigt ist, allmählich zu ziehen.

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^6 Dahin führt die Benennung des Kauffahrtei- oder des “runden” im Gegensatz zu dem “langen” oder dem Kriegsschiff und die ähnliche Gegeneinanderstellung der “Ruderschiffe” (επίκωποι νήες) und der “Kauffahrer” (ολκάδες" Dion. Hal. 3, 44); ferner die geringe Bemannung der Kauffahrteischiffe, die auf den allergrößten nicht mehr betrug als 200 Mann (Rheinisches Museum N. F. 11, 1874, S. 625), während auf der gewöhnlichen Galeere von drei Verdecken schon 170 Ruderer gebraucht wurden. Vgl. F. K. Movers, Die Phönicier. Bonn-Berlin 1840-56, Bd. 2, 3, S. 167f.

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Bei diesem regelmäßigen Seeverkehr zwischen der britischen und der gallischen Küste ist die überaus enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwohnern des Kanals ebenso erklärlich wie das Aufblühen des überseeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten, namentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis aus England holten und es auf den Fluß- und Landstraßen des Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe, daß zu Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmündung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf beziehen, daß hier die Seefischerei und das Einsammeln der Seevögeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Faßt man die vereinzelten und spärlichen Angaben, die über den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergänzend zusammen, so begreift man es, daß die Zölle der Fluß- und Seehäfen in den Budgets einzelner Kantons, zum Beispiel in denen der Häduer und der Veneter, eine große Rolle spielten und daß der Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschützer der Straßen und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen sein; wie denn die ungemeine Anstelligkeit der Kelten und ihr eigentümliches Geschick, jedes Muster nachzuahmen und jede Anweisung auszuführen auch von Caesar hervorgehoben wird. In den meisten Zweigen scheint aber doch das Gewerk bei ihnen sich nicht über das Maß des Gewöhnlichen erhoben zu haben; die später im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrikation leinener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Römer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme, und soviel wir wissen die einzige, macht die Bearbeitung der Metalle. Das nicht selten technisch vorzügliche und noch jetzt geschmeidige Kupfergerät, das in den Gräbern des Keltenlandes zum Vorschein kommt, und die sorgfältig justierten arvernischen Goldmünzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu die Berichte der Alten, daß die Römer von den Biturigen das Verzinnen, von den Alesiern das Versilbern lernten - Erfindungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst, sie zu gewinnen, die zum Teil, namentlich in den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmännische Höhe erreicht hatte, daß die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige Meinung, daß Gallien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird freilich widerlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch die Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam und bei weitem minder häufig erscheint als in den gleichartigen Funden der wahren Heimatländer des Goldes; es ist auch diese Vorstellung wohl nur hervorgerufen worden durch das, was griechische Reisende und römische Soldaten, ohne Zweifel nicht ohne starke Übertreibung, ihren Landsleuten von der Pracht der arvernischen Könige und den Schätzen der tolosanischen Tempel zu erzählen wußten. Aber völlig aus der Luft griffen die Erzähler doch nicht. Es ist sehr glaublich, daß in und an den Flüssen, welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen, Goldwäschereien und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Wert der Arbeitskraft unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sklavenwirtschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; überdies mögen die Handelsverhältnisse Galliens, wie nicht selten die der halbzivilisierten Völker, das Aufhäufen eines toten Kapitals edler Metalle begünstigt haben.

Bemerkenswert ist der niedrige Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschicklichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt. Die Vorliebe für bunte und glänzende Zieraten zeigt den Mangel an Schönheitssinn, und eine leidige Bestätigung gewähren die gallischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit unvergleichlicher Roheit ausgeführten Darstellungen. Es ist vielleicht ohne Beispiel, daß eine Jahrhunderte hindurch mit einem gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesentlich darauf beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschätzt und verwuchs eng mit den religiösen und selbst mit den politischen Institutionen der Nation; wir finden die geistliche wie die Hof- und Bettelpoesie in Blüte. Auch Naturwissenschaft und Philosophie fanden, wenngleich in den Formen und den Banden der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den Priestern allgemein. Meistenteils bediente man in dem freien Gallien zu Caesars Zeit sich der griechischen, wie unter andern die Helvetier taten; nur in den südlichsten Distrikten desselben war schon damals infolge des Verkehrs mit den romanisierten Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum Beispiel auf den arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen.

Auch die politische Entwicklung der keltischen Nation bietet sehr bemerkenswerte Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr wie überall auf dem Geschlechtsgau mit dem Fürsten, dem Rat der Ältesten und der Gemeinde der freien waffenfähigen Männer; dies aber ist ihr eigentümlich, daß sie über diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen und Römern trat sehr früh an die Stelle des Gaues als die Grundlage der politischen Einheit der Mauerring: wo zwei Gaue in denselben Mauern sich zusammenfanden, verschmolzen sie zu einem Gemeinwesen; wo eine Bürgerschaft einem Teil ihrer Mitbürger einen neuen Mauerring anwies, entstand regelmäßig damit auch ein neuer, nur durch die Bande der Pietät und höchstens der Klientel mit der Muttergemeinde, verknüpfter Staat. Bei den Kelten dagegen bleibt die “Bürgerschaft” zu allen Zeiten der Clan; dem Gau und nicht irgendeiner Stadt stehen Fürst und Rat vor, und der allgemeine Gautag bildet die letzte Instanz im Staate. Die Stadt hat, wie im Orient, nur merkantile und strategische, nicht politische Bedeutung; weshalb denn auch die gallischen Ortschaften, selbst ummauerte und sehr ansehnliche wie Vienna und Genava, den Griechen und Römern nichts sind als Dörfer. Zu Caesars Zeit bestand die ursprüngliche Clanverfassung noch wesentlich ungeändert bei den Inselkelten und in den nördlichen Gauen des Festlandes: die Landesgemeinde behauptete die höchste Autorität; der Fürst ward in wesentlichen Fragen durch ihre Beschlüsse gebunden; der Gemeinderat war zahlreich - er zählte in einzelnen Clans sechshundert Mitglieder -, scheint aber nicht mehr bedeutet zu haben als der Senat unter den römischen Königen. Dagegen in dem regsameren Süden des Landes war ein oder zwei Menschenalter vor Caesar - die Kinder der letzten Könige lebten noch zu seiner Zeit - wenigstens bei den größeren Clans, den Arvernern, Häduern, Sequanern, Helvetiern, eine Umwälzung eingetreten, die die Königsherrschaft beseitigte und dem Adel die Gewalt in die Hände gab. Es ist nur die Kehrseite des ebenbezeichneten vollständigen Mangels städtischer Gemeinwesen bei den Kelten, daß der entgegengesetzte Pol der politischen Entwicklung, das Rittertum, in der keltischen Clanverfassung so völlig überwiegt. Die keltische Aristokratie war allem Anschein nach ein hoher Adel, größtenteils vielleicht die Glieder der königlichen oder ehemals königlichen Familien, wie es denn bemerkenswert ist, daß die Häupter der entgegengesetzten Parteien in demselben Clan sehr häufig dem gleichen Geschlecht angehören. Diese großen Familien vereinigten in ihrer Hand die ökonomische, kriegerische und politische Übermacht. Sie monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren Rechte des Staates. Sie nötigen die Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu borgen und zuerst tatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich das Gefolgwesen, das heißt das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl gelöhnter reisiger Knechte, sogenannter Ambakten ^7, zu umgeben und damit einen Staat im Staate zu bilden; und gestützt auf diese ihre eigenen Leute trotzten sie den gesetzlichen Behörden und dem Gemeindeaufgebot und sprengten tatsächlich das Gemeinwesen. Wenn in einem Clan, dar etwa 80000 Waffenfähige zählte, ein einzelner Adliger mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hörigen und die Schuldner, auf dem Landtage erscheinen konnte, so ist es einleuchtend, daß ein solcher mehr ein unabhängiger Dynast war als ein Bürger seines Clans. Es kam hinzu, daß die vornehmen Familien der verschiedenen Clans innig unter sich zusammenhingen und durch Zwischenheiraten und Sonderverträge gleichsam einen geschlossenen Bund bildeten, dem gegenüber der einzelne Clan ohnmächtig war. Darum vermochten die Gemeinden nicht länger den Landfrieden aufrecht zu halten und regierte durchgängig das Faustrecht. Schutz fand nur noch der hörige Mann bei seinem Herrn, den Pflicht und Interesse nötigten, die seinem Klienten zugefügte Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen hatte der Staat die Gewalt nicht mehr, weshalb diese zahlreich sich als Hörige einem Mächtigen zu eigen gaben. Die Gemeindeversammlung verlor ihre politische Bedeutung; und auch das Fürstentum, das den Übergriffen des Adels hätte steuern sollen, erlag demselben bei den Kelten so gut wie in Latium. An die Stelle des Königs trat der “Rechtswirker” oder Vergobretus ^8, der wie der römische Konsul nur auf ein Jahr ernannt ward. Soweit der Gau überhaupt noch zusammenhielt, ward er durch den Gemeinderat geleitet, in dem natürlich die Häupter der Aristokratie die Regierung an sich rissen. Es versteht sich von selbst, daß unter solchen Verhältnissen es in den einzelnen Clans in ganz ähnlicher Weise gärte, wie es in Latium nach der Vertreibung der Könige Jahrhunderte lang gegärt hatte: während die Adelschaften der verschiedenen Gemeinden sich zu einem der Gemeindemacht feindlichen Sonderbündnis zusammentaten, hörte die Menge nicht auf, die Wiederherstellung des Königtums zu begehren, und versuchte nicht selten ein hervorragender Edelmann, wie Spurius Cassius in Rom getan, gestützt auf die Masse der Gauangehörigen, die Macht seiner Standesgenossen zu brechen und zu seinem Besten die Krone wieder in ihre Rechte einzusetzen.

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^7 Dies merkwürdige Wort muß schon im sechsten Jahrhundert Roms bei den Kelten im Potal gebräuchlich gewesen sein; denn bereits Ennius kennt es, und es kann nur von da her in so früher Zeit den Italikern zugekommen sein. Es ist dasselbe aber nicht bloß keltisch, sondern auch deutsch, die Wurzel unseres “Amt”; wie ja auch das Gefolgwesen selbst den Kelten und den Deutschen gemeinsam ist. Von großer geschichtlicher Wichtigkeit wäre es, auszumachen ob das Wort und also auch die Sache zu den Kelten von den Deutschen oder zu den Deutschen von den Kelten kam. Wenn, wie man gewöhnlich annimmt, das Wort ursprünglich deutsch ist und zunächst den in der Schlacht dem Herrn “gegen den Rücken” (and = gegen, bak = Rücken) stehenden Knecht bezeichnet, so ist dies mit dem auffallend frühen Vorkommen dieses Wortes bei den Kelten nicht gerade unvereinbar. Nach allen Analogien kann das Recht Ambakten, das ist δούλοι μισθωτοί, zu halten, dem keltischen Adel nicht von Haus aus zugestanden, sondern erst allmählich im Gegensatz zu dem älteren Königtum wie zu der Gleichheit der Gemeinfreien sich entwickelt haben. Wenn also das Ambaktentum bei den Kelten keine altnationale, sondern eine relativ junge Institution ist, so ist es auch, bei dem zwischen den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin zu erörternden Verhältnis, nicht bloß möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Kelten, in Italien wie in Gallien, zu diesen gedungenen Waffenknechten hauptsächlich Deutsche nahmen. Die “Schweizer” würden also in diesem Falle um einige Jahrtausende älter sein, als man meint.

Sollte die Benennung, womit, vielleicht nach dem Beispiel der Kelten, die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der Name Germani wirklich keltischen Ursprungs sein, so steht dies damit, wie man sieht, im besten Einklang.

Freilich werden diese Annahmen immer zurückstehen müssen, falls es gelingt, das Wort ambactus in befriedigender Weise aus keltischer Wurzel zu erklären; wie denn J. K. Zeuß (Grammatica celtica. Leipzig 1853, S. 796), wenngleich zweifelnd, dasselbe auf ambi = um und ag = agere, = Herumbeweger oder Herumbewegter, also Begleiter, Diener zurückführt. Daß das Wort auch als keltischer Eigenname vorkommt (Zeuß, S. 77) und vielleicht noch in dem cambrischen amaeth = Bauer, Arbeiter erhalten ist (Zeuß, S. 156), kann nach keiner Seite hin entscheiden.

^8 Von den keltischen Wörtern guerg = Wirker und breth = Gericht.

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Wenn also die einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl daneben mächtig in der Nation das Gefühl der Einheit und suchte in mancherlei Weise Form und Halt zu gewinnen. Jenes Zusammenschließen des gesamten keltischen Adels im Gegensatz gegen die einzelnen Gauverbände zerrüttete zwar die bestehende Ordnung der Dinge, aber weckte und nährte doch auch die Vorstellung der Zusammengehörigkeit der Nation. Ebendahin wirkten die von außen her gegen die Nation gerichteten Angriffe und die fortwährende Schmälerung ihres Gebiets im Kriege mit den Nachbarn. Wie die Hellenen in den Kriegen gegen die Perser, die Italiker in denen gegen die cisalpinischen Kelten, so scheinen die transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen Rom des Bestehens und der Macht der nationalen Einheit sich bewußt geworden zu sein. Unter dem Hader der rivalisierenden Clans und all jenem feudalistischen Gezänk machten doch auch die Stimmen derer sich bemerklich, die die Unabhängigkeit der Nation um den Preis der Selbständigkeit der einzelnen Gaue und selbst um den der ritterschaftlichen Herrenrechte zu erkaufen bereit waren. Wie durchweg populär die Opposition gegen die Fremdherrschaft war, bewiesen die Kriege Caesars, dem gegenüber die keltische Patriotenpartei eine ganz ähnliche Stellung hatte wie die deutschen Patrioten gegen Napoleon: für ihre Ausdehnung und ihre Organisation zeugt unter anderem die Telegraphengeschwindigkeit, mit der sie sich Nachrichten mitteilte.

Die Allgemeinheit und die Mächtigkeit des keltischen Nationalbewußtseins würden unerklärlich sein, wenn nicht bei der größten politischen Zersplitterung die keltische Nation seit langem religiös und selbst theologisch zentralisiert gewesen wäre. Die keltische Priesterschaft oder, mit dem einheimischen Namen, die Korporation der Druiden umfaßte sicher die Britischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere Keltenländer mit einem gemeinsamen religiös-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfängliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan respektierte, mit jährlichen Konzilien, die bei Chartres im “Mittelpunkt der keltischen Erde” abgehalten wurden, und vor allen Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Frömmigkeit und an blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, daß eine solche Priesterschaft auch das weltliche Regiment an sich zu reißen versuchte und teilweise an sich riß: sie leitete, wo das Jahrkönigtum bestand, im Fall eines Interregnums die Wahlen; sie nahm mit Erfolg das Recht in Anspruch, einzelne Männer und ganze Gemeinden von der religiösen und folgeweise auch der bürgerlichen Gemeinschaft auszuschließen; sie wußte die wichtigsten Zivilsachen, namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen, sie entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr Recht, aus der Gemeinde auszuschließen, und vielleicht auch auf die Landesgewohnheit, daß zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise Verbrecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Kriminalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten konkurrierte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchenstaat mit Papst und Konzilien, mit Immunitäten, Interdikten und geistlichen Gerichten; nur daß dieser Kirchenstaat nicht, wie der der Neuzeit, von den Nationen abstrahierte, sondern vielmehr vor allen Dingen national war.

Aber wenn also das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den keltischen Stämmen mit voller Lebendigkeit erwacht war, so blieb es dennoch der Nation versagt, zu einem Haltpunkt politischer Zentralisation zu gelangen, wie ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und Germanen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden. Die keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl beide in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren doch einerseits ihrer ständisch-partikularistischen Interessen wegen unfähig, sie zu einigen, andererseits mächtig genug, um keinem König und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. Ansätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauverfassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems. Der mächtige Kanton bestimmte den schwächeren, sich ihm in der Art unterzuordnen, daß die führende Gemeinde nach außen die andere mitvertrat und in Staatsverträgen für sie mitstipulierte, der Klientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege entstanden eine Reihe von Sonderbünden: einen führenden Gau für das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband der gesamten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwähnt, daß die Römer bei dem Beginn ihrer transalpinischen Eroberungen dort im Norden einen britisch-belgischen Bund unter Führung der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die Arvernerkonföderation vorfanden, mit welcher letzteren die Häduer mit ihrer schwächeren Klientel rivalisierten. In Caesars Zeit finden wir die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indes wie es scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der aremorikanischen, das heißt der Seegaue; im mittleren oder dem eigentlichen Gallien ringen wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Häduer stehen, andererseits, nachdem die Arverner, durch die Kriege mit Rom geschwächt, zurückgetreten waren, die Sequaner. Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhängig nebeneinander; die führenden Staaten des mittleren Gallien scheinen ihre Klientel nie auf das nordöstliche und ernstlich wohl auch nicht auf den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben. Der Freiheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbänden eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten, beständig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repräsentation der Gesamtheit im Frieden durch die Bundestage, im Kriege durch den Herzog ^9 im höchsten Grade schwächlich. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging, mag ihr zugute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie machten einen Riß in jeden einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloß, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz ließ und demselben, auch wenn er in die Klientel sich gefügt hatte, immer gestattet blieb, den Kampf späterhin zu erneuern. Der Wettstreit der mächtigeren Gaue entzweite nicht bloß diese, sondern in jedem abhängigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder einzelne nach seinen persönlichen Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich aufrieb nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist athenischer und lakedämonischer Faktionen in jeder abhängigen Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Arverner und Häduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem Maßstab das Kelterwolk vernichtet.

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^9 Welche Stellung ein solcher Bundesfeldherr seinen Leuten gegenüber einnahm, zeigt die gegen Vercingetorix erhobene Anklage auf Landesverrat (Caes. Gall. 7, 20).

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Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag dieser politischen und sozialen Verhältnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und mehr noch auf den Britischen Inseln die altnationalen Streitwagen in bemerkenswerter Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und Wagenkämpferscharen wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es sich viel kosten ließ, edle Rosse ausländischer Rasse zu reiten. Für den Geist und die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeichnend, daß, wenn das Aufgebot erging, wer irgend von ihnen sich zu Pferde halten konnte, selbst der hochbejahrte Greis mit aufsaß, und daß sie, im Begriff mit einem gering geschätzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann für Mann schwuren, Haus und Hof meiden zu wollen, wenn ihre Schar nicht wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Unter den gedungenen Mannen herrschte das Lanzknechttum mit all seiner entsittlichten und entgeistigten Gleichgültigkeit gegen fremdes und eigenes Leben - das zeigen die Erzählungen, wie anekdotenhaft sie auch gefärbt sind, von der keltischen Sitte, beim Gastmahl zum Scherz zu rapieren und gelegentlich auf Leben und Tod zu fechten; von dem dort herrschenden, selbst die römischen Fechterspiele noch überbietenden Gebrauch, sich gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Anzahl Fässer Wein zum Schlachten zu verkaufen und vor den Augen der ganzen Menge auf dem Schilde hingestreckt den Todesstreich freiwillig hinzunehmen.

Neben diesen Reisigen trat das Fußvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenscharen, mit denen die Römer in Italien und Spanien gefochten hatten. Der große Schild war wie damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stoßlanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue verbündet Krieg führten, lagerte und stritt natürlich Clan gegen Clan; es findet sich keine Spur, daß man das Aufgebot des einzelnen Gaues militärisch gegliedert und kleinere und regelrechtere taktische Abteilungen gebildet hätte. Noch immer schleppte ein langer Wagentroß dem Keltenheer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das dürftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Beispiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres Fußvolks hervorgehoben; bemerkenswert ist es, daß eben diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein keltischer, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im allgemeinen aber erscheint das keltische Fußvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfälliger Landsturm; am meisten in den südlicheren Landschaften, wo mit der Rohen auch die Tapferkeit geschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es nicht, dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schärfer als durch dieses Urteil kritisierte der römische Feldherr die keltische Infanterie dadurch, daß, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug kennengelernt hatte, er sie nie wieder in Verbindung mit der römischen verwandt hat.

Überblicken wir den Gesamtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, verglichen mit der Kulturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zuvor die Kelten im Potal uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Zivilisation unverkennbar. Damals überwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art vortreffliche Landwehr (I, 340); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohnten die Kelten in offenen Flecken; jetzt umgaben ihre Ortschaften wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde stehen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgerät, weit zurück hinter denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuverlässigste Messer der steigenden Kultur ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Nation; sowenig davon in den auf dem Boden der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in den Kämpfen gegen Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenübertrat, das Maximum der ihr beschiedenen Kultur bereits erreicht und war schon wieder im Sinken. Die Zivilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst für uns, die wir nur sehr unvollkommen über sie berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seite; in mehr als einer Hinsicht schließt sie sich enger der modernen an als der hellenisch-römischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Rittertum, ihrer Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren, wenn auch unvollkommenen Versuchen, den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber ebendarum, weil wir hier der keltischen Nation auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Kulturfähigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es höchstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Adeltum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der auf höhere Sittlichkeit und zweckmäßige Ordnungen gestützte militärische Mut, wie er im Gefolge der gesteigerten Zivilisation eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt sich eingestellt in dem Rittertum. Wohl war die eigentliche Barbarei überwunden; die Zeiten waren nicht mehr, wo im Keltenland das fette Hüftstück dem tapfersten der Gäste zugeteilt ward, aber jedem der Mitgeladenen, der sich dadurch verletzt erachtete, freistand, den Empfänger deswegen zum Kampfe zu fordern, und wo man mit dem verstorbenen Häuptling seine treuesten Gefolgsmänner verbrannte. Aber doch dauerten die Menschenopfer noch fort, und der Rechtssatz, daß die Folterung des freien Mannes unzulässig, aber die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die Folterung des Sklaven, wirft ein unerfreuliches Licht auf die Stellung, die das weibliche Geschlecht bei den Kelten auch noch in ihrer Kulturzeit einnahm. Die Vorzüge, die der primitiven Epoche der Nationen eigen sind, hatten die Kelten eingebüßt, aber diejenigen nicht erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie ein Volk innerlich und völlig durchdringt.

Also war die keltische Nation in ihren inneren Zuständen beschaffen. Es bleibt noch übrig, ihre äußeren Beziehungen zu den Nachbarn darzustellen und zu schildern, welche Rolle sie in diesem Augenblick einnahmen in dem gewaltigen Wettlauf und Wettkampf der Nationen, in dem das Behaupten sich überall noch schwieriger erweist als das Erringen. An den Pyrenäen hatten die Verhältnisse der Völker längst sich friedlich geordnet und waren die Zeiten längst vorbei, wo die Kelten hier die iberische, das heißt baskische Urbevölkerung bedrängten und zum Teil verdrängten. Die Täler der Pyrenäen wie die Gebirge Bearns und der Gascogne und ebenso die Küstensteppen südlich von der Garonne standen zu Caesars Zeit im unangefochtenen Besitz der Aquitaner, einer großen Anzahl kleiner, wenig unter sich und noch weniger mit dem Ausland sich berührender Völkerschaften iberischer Abstammung; hier war nur die Garonnemündung selbst mit dem wichtigen Hafen Burdigala (Bordeaux) in den Händen eines keltischen Stammes, der Bituriger-Vivisker.

Von weit größerer Bedeutung waren die Berührungen der keltischen Nation mit dem Römervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wiederholt werden, was früher erzählt worden ist, wie die Römer in langsamem Vordringen die Kelten allmählich zurückgedrückt, zuletzt auch den Küstensaum zwischen den Alpen und den Pyrenäen besetzt und sie dadurch von Italien, Spanien und dem Mittelländischen Meer gänzlich abgeschnitten hatten, nachdem bereits Jahrhunderte zuvor durch die Anlage der hellenischen Zwingburg an der Rhonemündung diese Katastrophe vorbereitet worden war; daran aber müssen wir hier wieder erinnern, daß nicht bloß die Überlegenheit der römischen Waffen die Kelten bedrängte, sondern ebensosehr die der römischen Kultur, der die ansehnlichen Anfänge der hellenischen Zivilisation im Keltenlande ebenfalls in letzter Instanz zugute kamen. Auch hier bahnten Handel und Verkehr wie so oft der Eroberung den Weg. Der Kelte liebte nach nordischer Weise feurige Getränke; daß er den edlen Wein wie der Skythe unvermischt und bis zum Rausche trank, erregte die Verwunderung und den Ekel des mäßigen Südländers, aber der Händler verkehrt nicht ungern mit solchen Kunden. Bald ward der Handel nach dem Keltenland eine Goldgrube für den italischen Kaufmann; es war nichts Seltenes, daß daselbst ein Krug Wein um einen Sklaven getauscht ward. Auch andere Luxusartikel, wie zum Beispiel italische Pferde, fanden in dem Keltenland vorteilhaften Absatz. Es kam sogar bereits vor, daß römische Bürger jenseits der römischen Grenze Grundbesitz erwarben und denselben nach italischer Art nutzten, wie denn zum Beispiel römische Landgüter im Kanton der Segusiaver (bei Lyon) schon um 673 (81) erwähnt werden. Ohne Zweifel ist es hiervon eine Folge, daß, wie schon gesagt ward, selbst in dem freien Gallien, zum Beispiel bei den Arvernern, die römische Sprache schon vor der Eroberung nicht unbekannt war; obwohl sich freilich diese Kunde vermutlich noch auf wenige beschränkte und selbst mit den Vornehmen des verbündeten Gaues der Häduer durch Dolmetscher verkehrt werden mußte. So gut wie die Händler mit Feuerwasser und die Squatters die Besetzung Nordamerikas einleiteten, so wiesen und winkten diese römischen Weinhändler und Gutsbesitzer den künftigen Eroberer Galliens heran. Wie lebhaft man auch auf der entgegengesetzten Seite dies empfand, zeigt das Verbot, das einer der tüchtigsten Stämme des Keltenlandes, der Gau der Nervier, gleich einzelnen deutschen Völkerschaften, gegen den Handelsverkehr mit den Römern erließ.

Ungestümer noch als vom Mittelländischen Meere die Römer, drängten vom Baltischen und der Nordsee herab die Deutschen, ein frischer Stamm aus der großen Völkerwiege des Ostens, der sich Platz machte neben seinen älteren Brüdern mit jugendlicher Kraft, freilich auch mit jugendlicher Roheit. Wenn auch die nächst am Rhein wohnenden Völkerschaften dieses Stammes, die Usipeten, Tencterer, Sugambrer, Ubier, sich einigermaßen zu zivilisieren angefangen und wenigstens aufgehört hatten, freiwillig ihre Sitze zu wechseln, so stimmen doch alle Nachrichten dahin zusammen, daß weiter landeinwärts der Ackerbau wenig bedeutete und die einzelnen Stämme kaum noch zu festen Sitzen gelangt waren. Es ist bezeichnend dafür, daß die westlichen Nachbarn in dieser Zeit kaum eines der Völker des inneren Deutschlands seinem Gaunamen nach zu nennen wußten, sondern dieselben ihnen nur bekannt sind unter den allgemeinen Bezeichnungen der Sueben, das ist der schweifenden Leute, der Nomaden, und der Markomannen, das ist der Landwehr ^10 - Namen, die in Caesars Zeit schwerlich schon Gaunamen waren, obwohl sie den Römern als solche erschienen und später auch vielfach Gaunamen geworden sind. Der gewaltigste Andrang dieser großen Nation traf die Kelten. Die Kämpfe, die die Deutschen um den Besitz der Landschaften östlich vom Rheine mit den Kelten geführt haben mögen, entziehen sich vollständig unseren Blicken. Wir vermögen nur zu erkennen, daß um das Ende des siebenten Jahrhunderts Roms schon alles Land bis zum Rhein den Kelten verloren war, die Boier, die einst in Bayern und Böhmen gesessen haben mochten, heimatlos herumirrten und selbst der ehemals von den Helvetiern besessene Schwarzwald wenn auch noch nicht von den nächstwohnenden deutschen Stämmen in Besitz genommen, doch wenigstens wüstes Grenzstreitland war - vermutlich schon damals das, was es später hieß: die helvetische Einöde. Die barbarische Strategik der Deutschen, durch meilenweite Wüstlegung der Nachbarschaft sich vor feindlichen Überfällen zu sichern, scheint hier im größten Maßstab Anwendung gefunden zu haben.

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^10 So sind Caesars Sueben wahrscheinlich die Chatten; aber dieselbe Benennung kam sicher zu Caesars Zeit und noch viel später auch jedem anderen deutschen Stamme zu, der als ein regelmäßig wandernder bezeichnet werden konnte. Wenn also auch, wie nicht zu bezweifeln, der “König der Sueben” bei Mela (3, 1) und Plinius (nat. 2, 67, 170) Ariovist ist, so folgt darum noch keineswegs, daß Ariovist ein Chatte war. Die Markomannen als ein bestimmtes Volk lassen sich vor Marbod nicht nachweisen; es ist sehr möglich, daß das Wort bis dahin nichts bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die Land- oder Grenzwehr. Wenn Caesar (Galt. 1, 51) unter den im Heere Ariovists fechtenden Völkern Markomannen erwähnt, so kann er auch hier eine bloß appellative Bezeichnung ebenso mißverstanden haben, wie dies bei den Sueben entschieden der Fall ist.

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Aber die Deutschen waren nicht stehen geblieben am Rheine. Der seinem Kern nach aus deutschen Stämmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer und Teutonen, der fünfzig Jahre zuvor über Pannonien, Gallien, Italien und Spanien so gewaltig hingebraust war, schien nichts gewesen zu sein als eine großartige Rekognoszierung. Schon hatten westlich vom Rhein, namentlich dem untern Lauf desselben, verschiedene deutsche Stämme bleibende Sitze gefunden: als Eroberer eingedrungen, fuhren diese Ansiedler fort, von ihren gallischen Umwohnern gleich wie von Untertanen Geiseln einzufordern und jährlichen Tribut zu erheben. Dahin gehörten die Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse zu einem ansehnlichen Gau geworden waren, und eine Anzahl anderer, später unter dem Namen der Tungrer zusammengefaßter Völkerschaften an der Maas in der Gegend von Lüttich; sogar die Treverer (um Trier) und die Nervier (im Hennegau), zwei der größten und mächtigsten Völkerschaften dieser Gegend, bezeichnen achtbare Autoritäten geradezu als Germanen. Die vollständige Glaubwürdigkeit dieser Berichte muß allerdings dahingestellt bleiben, da es, wie Tacitus in Beziehung auf die zuletzt erwähnten beiden Völker bemerkt, späterhin wenigstens in diesen Strichen für eine Ehre galt, von deutschem Blute abzustammen und nicht zu der gering geachteten keltischen Nation zu gehören: doch scheint die Bevölkerung in dem Gebiet der Schelde, Maas und Mosel allerdings in der einen oder andern Weise sich stark mit deutschen Elementen gemischt oder doch unter deutschen Einflüssen gestanden zu haben. Die deutschen Ansiedlungen selbst waren vielleicht geringfügig; unbedeutend waren sie nicht, denn in dem chaotischen Dunkel, in dem wir um diese Zeit die Völkerschaften am rechten Rheinufer auf- und niederwogen sehen, läßt sich doch wohl erkennen, daß größere deutsche Massen auf der Spur jener Vorposten sich anschickten, den Rhein zu überschreiten. Von zwei Seiten durch die Fremdherrschaft bedroht und in sich zerrissen, war es kaum zu erwarten, daß die unglückliche keltische Nation sich jetzt noch emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde. Die Zersplitterung und der Untergang in der Zersplitterung war bisher ihre Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag nannte gleich denen von Marathon und Salamis, von Aricia und dem Raudischen Felde, eine Nation, die selbst in ihrer frischen Zeit keinen Versuch gemacht hatte, Massalia mit gesamter Hand zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so furchtbarer Feinde sich erwehren?

Je weniger die Kelten, sich selbst überlassen, den Germanen gewachsen waren, desto mehr Ursache hatten die Römer, die zwischen den beiden Nationen obwaltenden Verwicklungen sorgsam zu überwachen. Wenn auch die daraus entspringenden Bewegungen sie bis jetzt nicht unmittelbar berührt hatten, so waren sie doch bei dem Ausgang derselben mit ihren wichtigsten Interessen beteiligt. Begreiflicherweise hatte die innere Haltung der keltischen Nation sich mit ihren auswärtigen Beziehungen rasch und nachhaltig verflochten. Wie in Griechenland die lakedämonische Partei sich gegen die Athener mit Persien verband, so hatten die Römer von ihrem ersten Auftreten jenseits der Alpen an gegen die Arverner, die damals unter den südlichen Kelten die führende Macht waren, an deren Nebenbuhlern um die Hegemonie, den Häduern, eine Stütze gefunden und mit Hilfe dieser neuen “Brüder der römischen Nation” nicht bloß die Allobrogen und einen großen Teil des mittelbaren Gebiets der Arverner sich untertänig gemacht, sondern auch in dem freigebliebenen Gallien durch ihren Einfluß den Übergang der Hegemonie von den Arvernern auf diese Häduer veranlaßt. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war natürlich, daß man bei dem einen vor dem anderen Schutz suchte und daß, wenn die eine Keltenpartei sich den Römern anschloß, ihre Gegner dagegen mit den Deutschen Bündnis machten. Am nächsten lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfältige Mischung den überrheinischen Deutschen genähert waren und überdies bei ihrer minder entwickelten Kultur sich dem stammfremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besançon) an der Spitze der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache, gegen die sie zunächst bedrohenden Römer ebenjetzt die Deutschen herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, ließen gerade diesen Moment als geeignet erscheinen, um des römischen Einflusses sich zu entledigen und zunächst deren Klienten, die Häduer, zu demütigen. Über die Zölle auf der Saône, die das Gebiet der Häduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 (71) hatte der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Condottiere der Sequaner den Rhein überschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im ganzen waren die Ergebnisse den Häduern ungünstig. Ihr Führer Eporedorix bot endlich die ganze Klientel auf und zog mit ungeheurer Übermacht aus gegen die Germanen. Diese verweigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in Sümpfen und Wäldern. Als aber dann die Clans, des Harrens müde, anfingen aufzubrechen und sich aufzulösen, erschienen die Deutschen in freiem Felde und nun erzwang bei Admagetobriga Ariovist die Schlacht, in der die Blüte der Ritterschaft der Häduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Häduer, durch diese Niederlage gezwungen, auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu schließen, mußten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem ganzen Anhang in die Klientel der Sequaner sich fügen, auch sich anheischig machen, den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adligen als Geiseln zu stellen, endlich eidlich versprechen, weder diese Geiseln je zurückzufordern noch die Intervention der Römer anzurufen. Dieser Friede ward, wie es scheint, um 693 (61) geschlossen ^11. Ehre und Vorteil geboten den Römern, dagegen aufzutreten; der vornehme Häduer Divitiacus, das Haupt der römischen Partei in seinem Clan und darum jetzt von seinen Landsleuten verbannt, ging persönlich nach Rom, um ihre Dazwischenkunft zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der Aufstand der Allobrogen 693 (61), der Nachbarn der Sequaner, welcher ohne Zweifel mit diesen Ereignissen zusammenhing. In der Tat ergingen Befehle an die gallischen Statthalter, den Häduern beizustehen; man sprach davon, Konsuln und konsularische Armeen über die Alpen zu senden; allein der Senat, an den diese Angelegenheiten zunächst zur Entscheidung kamen, krönte schließlich auch hier große Worte mit kleinen Taten: die allobrogische Insurrektion ward mit den Waffen unterdrückt, für die Häduer aber geschah nicht nur nichts, sondern es ward sogar Ariovist im Jahre 695 (59) in das Verzeichnis der den Römern befreundeten Könige eingeschrieben ^12. Der deutsche Kriegsfürst nahm dies begreiflicherweise als Verzicht der Römer auf das nicht von ihnen eingenommene Keltenland; er richtete demgemäß sich hier häuslich ein und fing an, auf gallischem Boden ein deutsches Fürstentum zu begründen. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte, die noch zahlreicheren, die auf seinen Ruf später aus der Heimat nachkamen - man rechnete, daß bis zum Jahre 696 (58) etwa 120000 Deutsche den Rhein überschritten -, diese ganze gewaltige Einwanderung der deutschen Nation, welche durch die einmal geöffneten Schleusen stromweise über den schönen Westen sich ergoß, gedachte er daselbst ansässig zu machen und auf dieser Grundlage seine Herrschaft über das Keltenland aufzubauen. Der Umfang der von ihm am linken Rheinufer ins Leben gerufenen deutschen Ansiedlungen läßt sich nicht bestimmen; ohne Zweifel reichte er weit und noch viel weiter seine Entwürfe. Die Kelten wurden von ihm als eine im ganzen unterworfene Nation behandelt und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied gemacht. Selbst die Sequaner, als deren gedungener Feldhauptmann er den Rhein überschritten hatte, mußten dennoch, als wären auch sie besiegte Feinde, ihm für seine Leute ein Drittel ihrer Mark abtreten - vermutlich den später von den Tribokern bewohnten oberen Elsaß, wo Ariovist sich mit den Seinigen auf die Dauer einrichtete; ja als sei dies nicht genug, ward ihnen nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zweites Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenland die Rolle des makedonischen Philipp übernehmen und über die germanisch gesinnten Kelten nicht minder wie über die den Römern anhängenden den Herrn spielen zu wollen.

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^11 Ariovists Ankunft in Gallien ist nach Caesar (Gall. 1, 36) auf 683 (71), die Schlacht von Admagetobriga (denn so heißt der einer falschen Inschrift zuliebe jetzt gewöhnlich Magetobriga genannte Ort) nach Caesar (Gall. 1, 35) und Cicero (Art. 1, 19) auf 693 (61) gesetzt worden.

^12 Um diesen Hergang der Dinge nicht unglaublich zu finden oder demselben gar tiefere Motive unterzulegen, als staatsmännische Unwissenheit und Faulheit sind, wird man wohltun, den leichtfertigen Ton sich zu vergegenwärtigen, in dem ein angesehener Senator wie Cicero in seiner Korrespondenz sich über diese wichtigen transalpinischen Angelegenheiten ausläßt.

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Das Auftreten des kräftigen deutschen Fürsten in einer so gefährlichen Nähe, das schon an sich die ernstesten Besorgnisse der Römer erwecken mußte, erschien noch bedrohlicher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und Tencterer waren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die übermütigen Suebenstämme müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf (695 59) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen, um sich andere an der Rheinmündung zu suchen. Schon hatten sie dort den Menapiern den auf dem rechten Ufer belegenen Teil ihres Gebiets weggenommen, und es war vorherzusehen, daß sie den Versuch machen würden, auch auf dem linken sich festzusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich suebische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau der Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward auch das Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und zahlreichen Helvetier, immer nachdrücklicher von den Germanen heimgesucht, so daß die Helvetier, die vielleicht schon ohnehin durch das Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nordwärts vom Rheine an Überbevölkerung litten, überdies durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner, einer völligen Isolierung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluß faßten, ihr bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu räumen und westlich vom Jura geräumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich womöglich die Hegemanie im inneren Gallien zu gewinnen - ein Plan, den schon während der kimbrischen Invasion einige ihrer Distrikte gefaßt und auszuführen versucht hatten. Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und der südliche Elsaß) in ähnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier, die bereits früher von den Germanen gezwungen waren, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, und nun unstet umherirrten, und andere kleinere Stämme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 (61) kamen ihre Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die römische Provinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzögern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach in die von ihren Verteidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem Boden- und dem Genfersee. Von den Rheinquellen bis zum Atlantischen Ozean waren die deutschen Stämme in Bewegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Moment wie da die Alamannen und Franken sich über das sinkende Reich der Caesaren warfen, und jetzt gleich schien gegen die Kelten ebendas ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes Jahrtausend später gegen die Römer gelang.

Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im Frühling 696 (58) in dem Narbonensischen Gallien ein, das zu seiner ursprünglichen, das Diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden Statthalterschaft durch Senatsbeschluß hinzugefügt worden war. Sein Amt, das ihm zuerst auf fünf (bis Ende 700 54), dann im Jahre 699 (55) auf weitere fünf Jahre (bis Ende 705 49) übertragen ward, gab ihm das Recht, zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu ernennen, und - wenigstens nach seiner Auslegung - aus der besonders im Diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutdünken seine Legionen zu ergänzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen übernahm, bestand an Linienfußvolk aus vier geschulten und kriegsgewohnten Legionen, der siebenten, achten, neunten und zehnten, oder höchstens 24000 Mann, wozu dann, wie üblich, die Untertanenkontingente hinzutraten. Reiterei und Leichtbewaffnete waren außerdem vertreten durch Reiter aus Spanien und numidische, kretische, balearische Schützen und Schleuderer. Caesars Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie, enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren, vornehmen jungen Männern einzelne fähige Offiziere, wie Publius Crassus, den jüngeren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Aufträge hatte Caesar nicht erhalten; für den Einsichtigen und Mutigen lagen sie in den Verhältnissen. Auch hier war nachzuholen, was der Senat versäumt hatte, und vor allen Dingen der Strom der deutschen Völkerwanderung zu hemmen. Ebenjetzt begann die mit der deutschen eng verflochtene und seit langen Jahren vorbereitete helvetische Invasion. Um die verlassenen Hütten nicht den Germanen zu gönnen, und um sich selber die Rückkehr unmöglich zu machen, hatten die Helvetier ihre Städte und Weiler niedergebrannt, und ihre langen Wagenzüge, mit Weibern, Kindern und dem besten Teil der Fahrnis beladen, trafen von allen Seiten her am Leman bei Genava (Genf) ein, wo sie und ihre Genossen sich zum 28. März ^13 dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zählung bestand die gesamte Masse aus 368000 Köpfen, wovon etwa der vierte Teil imstande war, die Waffen zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast vollständig abschloß und dessen schmale Defileen für den Durchzug einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut für die Verteidigung, hatten darum die Führer beschlossen, in südlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich da zu eröffnen, wo zwischen dem südwestlichen und höchsten Teil des Jura und den savoyischen Bergen bei dem heutigen Fort de l’Ecluse die Rhone die Gebirgsketten durchbrochen hat. Allein am rechten Ufer treten hier die Felsen und Abgründe so hart an den Fluß, daß nur ein schmaler, leicht zu sperrender Pfad übrig bleibt und die Sequaner, denen dies Ufer gehörte, den Helvetiern mit Leichtigkeit den Paß verlegen konnten. Sie zogen es darum vor, oberhalb des Durchbruchs der Rhone auf das linke allobrogische Ufer überzugehen, um weiter stromabwärts, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das rechte zu gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu ziehen; dort war der fruchtbare Kanton der Santonen (Saintonge, das Tal der Charente) am Atlantischen Meer von den Wanderern zu ihrem neuen Wohnsitz ausersehen. Dieser Marsch führte, wo er das linke Rhoneufer betrat, durch römisches Gebiet; und Caesar, ohnehin nicht gemeint, sich die Festsetzung der Helvetier im westlichen Gallien gefallen zu lassen, war fest entschlossen, ihnen den Durchzug nicht zu gestatten. Allein von seinen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; obwohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot, schien es kaum möglich, mit einer so geringen Mannschaft dem zahllosen Keltenschwarm den Übergang über die Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Meilen, zu verwehren. Caesar gewann indes durch Unterhandlungen mit den Helvetiern, die den Übergang über den Fluß und den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von fünfzehn Tagen, welche dazu benutzt ward, die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubrechen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deutsche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren - es war die erste Anwendung des von den Römern später in so ungeheurem Umfang durchgeführten Systems, mittels einer Kette einzelner, durch Wälle und Gräben miteinander in Verbindung gesetzter Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schließen. Die Versuche der Helvetier, auf Kähnen oder mittels Furten an verschiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen, wurden in diesen Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier genötigt, von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte die den Römern feindlich gesinnte Partei in Gallien, die an den Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, namentlich der Häduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und in seinem Gau wie dieser an der Spitze der römischen so seinerseits an der Spitze der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jurapässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verbieten hatten die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiel als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets - Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt, wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius getan, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats, sondern des Staates: er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm eigenen Raschheit die drei dort kantonnierenden sowie zwei neugebildete Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen vereinigte er mit dem bei Genava stehenden Korps und überschritt mit der gesamten Macht die Rhone. Sein unvermutetes Erscheinen im Gebiete der Häduer brachte natürlich daselbst sofort wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt, die Saône zu passieren und aus dem Gebiet der Sequaner in das der Häduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saôneufer stand, namentlich das Korps der Tigoriner, ward von den rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges war indes bereits auf das rechte Ufer des Flusses übergesetzt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Übergang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen nicht hatte vollenden können, in vierundzwanzig Stunden. Die Helvetier, durch diesen Übergang der römischen Armee über den Fluß gehindert, ihren Marsch in westlicher Richtung fortzusetzen, schlugen die Richtung nach Norden ein, ohne Zweifel in der Voraussetzung, daß Caesar nicht wagen werde, ihnen weit in das innere Gallien hinein zu folgen, und in der Absicht, wenn er von ihnen abgelassen habe, sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden. Fünfzehn Tage marschierte das römische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, an seine Fersen sich heftend und auf einen günstigen Augenblick hoffend, um den feindlichen Heereszug unter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig auch die helvetische Karawane einherzog, die Führer wußten einen Überfall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräten reichlich versehen, so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen Lager aufs genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer an, Mangel an dem Notwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der Saône entfernten und der Flußtransport aufhörte. Das Ausbleiben der von den Häduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem Gebiete sich herumbewegten. Ferner zeigte sich die ansehnliche, fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei völlig unzuverlässig - was freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer Ritterschaft, namentlich den Reitern der Häduer unter dem Befehl des wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiseln denn als Soldaten übernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glauben, daß eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren helvetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden war, und daß durch sie der Feind von allen Vorfällen im römischen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich; in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Häduern, trotz ihres offiziellen Bündnisses mit Rom und der nach Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man in die gärende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen die Heere an der Hauptstadt der Häduer, Bibracte (Autun), in mäßiger Entfernung vorüber; Caesar beschloß, dieses wichtigen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er den Marsch in das Binnenland fortsetzte, und es ist wohl möglich, daß er überhaupt beabsichtigte, von weiterer Verfolgung abzustehen und in Bibracte sich festzusetzen. Allein da er, von der Verfolgung ablassend, sich gegen Bibracte wendete, meinten die Helvetier, daß die Römer zur Flucht Anstalt machten, und griffen nun ihrerseits an. Mehr hatte Caesar nicht gewünscht. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Gefecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Reiterei auseinander und liefen an gegen die am Abhang des Hügels postierten römischen Legionen, mußten aber hier vor Caesars Veteranen weichen. Als darauf die Römer, ihren Vorteil verfolgend, nun ihrerseits in die Ebene hinabstiegen, gingen die Kelten wieder gegen sie vor und ein zurückgehaltenes keltisches Korps nahm sie zugleich in die Flanke. Dem letzteren ward die Reserve der römischen Angriffskolonne entgegengeworfen; sie drängte dasselbe von der Hauptmasse ab auf das Gepäck und die Wagenburg, wo es aufgerieben ward. Auch das Gros des helvetischen Zuges ward endlich zum Weichen gebracht und genötigt, den Rückzug in östlicher Richtung zu nehmen - der entgegengesetzten von derjenigen, in die ihr Zug sie führte. Den Plan der Helvetier, am Atlantischen Meer sich neue Wohnsitze zu gründen, hatte dieser Tag vereitelt und die Helvetier der Willkür des Siegers überliefert; aber es war ein heißer auch für die Sieger gewesen. Caesar, der Ursache hatte, seinem Offizierkorps nicht durchgängig zu trauen, hatte gleich zu Anfang alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Notwendigkeit standzuhalten den Seinigen gründlich klar zu machen; in der Tat würde die Schlacht, hätten die Römer sie verloren, wahrscheinlich die Vernichtung der römischen Armee herbeigeführt haben. Die römischen Truppen waren zu erschöpft, um die Überwundenen kräftig zu verfolgen; allein infolge der Bekanntmachung Caesars, daß er alle, die die Helvetier unterstützen würden, wie diese selbst als Feinde der Römer behandeln werde, ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunächst in dem Gau der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstützung verweigert und, aller Zufuhr und ihres Gepäcks beraubt und belastet von der Masse des nicht kampffähigen Trosses, mußten sie wohl dem römischen Feldherrn sich unterwerfen. Das Los der Besiegten war ein verhältnismäßig mildes. Den heimatlosen Boiern wurden die Häduer angewiesen, in ihrem Gebiet Wohnsitze einzuräumen; und diese Ansiedlung der überwundenen Feinde inmitten der mächtigsten Kettengaue tat fast die Dienste einer römischen Kolonie. Die von den Helvetiern und Raurakern noch übrigen, etwas mehr als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden natürlich in ihr ehemaliges Gebiet zurückgesandt. Dasselbe wurde der römischen Provinz einverleibt, aber die Bewohner zum Bündnis mit Rom unter günstigen Bedingungen zugelassen, um unter römischer Hoheit am oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur die südwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde von den Römern in unmittelbaren Besitz genommen und späterhin hier, an dem anmutigen Gestade des Leman, die alte Keltenstadt Noviodunum (jetzt Nyon) in eine römische Grenzfestung, die Julische Reiterkolonie ^14, umgewandelt.

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^13 Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rektifikation, die indes hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten beruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des Julianischen Kalenders.

^14 Julia Equestris, wo der letzte Beiname zu fassen ist wie in anderen Kolonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum, u. a. m. Es waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter Erteilung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier Landlose empfingen.

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Am Oberrhein also war der drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Römern feindliche Partei unter den Kelten gedemütigt. Auch am Mittelrhein, wo die Deutschen bereits vor Jahren übergegangen waren und die in Gallien mit der römischen wetteifernde Macht des Ariovist täglich weiter um sich griff, mußte in ähnlicher Weise durchgegriffen werden, und leicht war die Veranlassung zum Bruche gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte hier dem größeren Teil der Kelten jetzt die römische Suprematie das geringere Übel dünken; die Minorität, die an ihrem Römerhaß festhielt, mußte wenigstens verstummen. Ein unter römischem Einfluß abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen Feldherrn um Beistand gegen die Deutschen. Caesar ging darauf ein. Auf seine Veranlassung stellten die Häduer die Zahlung des vertragsmäßig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten Geiseln zurück, und da Ariovist wegen dieses Vertragsbruchs die Klienten Roms angriff, nahm Caesar davon Veranlassung, mit ihm in direkte Verhandlung zu treten und, außer der Rückgabe der Geiseln und dem Versprechen, mit den Häduern Frieden zu halten, namentlich zu fordern, daß Ariovist sich anheischig mache, keine Deutschen mehr über den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr antwortete dem römischen in dem Vollgefühl ebenbürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien so gut nach Kriegsrecht untertänig geworden wie den Römern das südliche; wie er die Römer nicht hindere, von den Allobrogen Tribut zu nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren, seine Untertanen zu besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es sich, daß der Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig war: er erwähnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zugekommen seien, Caesar aus dem Wege zu räumen, und erbot sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien überlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien behilflich zu sein - wie ihm der Parteihader der keltischen Nation den Eintritt in Gallien eröffnet hatte, so schien er von dem Parteihader der italischen die Befestigung seiner Herrschaft daselbst zu erwarten. Seit Jahrhunderten war den Römern gegenüber diese Sprache der vollkommen ebenbürtigen und ihre Selbständigkeit schroff und rücksichtslos äußernden Macht nicht geführt worden, wie man sie jetzt von dem deutschen Heerkönig vernahm: kurzweg weigerte er sich zu kommen, als der römische Feldherr nach der bei Klientelfürsten hergebrachten Übung ihm ansann, vor ihm persönlich zu erscheinen. Um so notwendiger war es, nicht zu zaudern: sogleich brach Caesar auf gegen Ariovist. Ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor allem seine Offiziere, als sie daran sollten, mit den seit vierzehn Jahren nicht unter Dach und Fach gekommenen deutschen Kernscharen sich zu messen - auch in Caesars Lager schien die tiefgesunkene römische Sitten- und Kriegszucht sich geltend machen und Desertion und Meuterei hervorrufen zu wollen. Allein der Feldherr, indem er erklärte, nötigenfalls mit der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen, wußte nicht bloß durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den kriegerischen Wetteifer auch die übrigen Regimenter an die Adler zu fesseln und etwas von seiner eigenen Energie den Truppen einzuhauchen. Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu besinnen, führte er in raschen Märschen sie weiter und kam glücklich Ariovist in der Besetzung der sequanischen Hauptstadt Vesontio (Besançon) zuvor. Eine persönliche Zusammenkunft der beiden Feldherrn, die auf Ariovists Begehren stattfand, schien einzig einen Versuch gegen Caesars Person bedecken zu sollen; zwischen den beiden Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen entscheiden. Vorläufig kam der Krieg zum Stehen. Im unteren Elsaß, etwa in der Gegend von Mülhausen, eine deutsche Meile vom Rhein ^15, lagerten die beiden Heere in geringer Entfernung voneinander, bis es Ariovist gelang, mit seiner sehr überlegenen Macht an dem römischen Lager vorbeimarschierend, sich ihm in den Rücken zu legen und die Römer von ihrer Basis und ihren Zufuhren abzuschneiden. Caesar versuchte sich aus seiner peinlichen Lage durch eine Schlacht zu befreien; allein Ariovist nahm sie nicht an. Dem römischen Feldherrn blieb nichts übrig, als trotz seiner geringen Stärke, die Bewegung des Feindes nachzuahmen und seine Verbindungen dadurch wieder zu gewinnen, daß er zwei Legionen am Feinde vorbeiziehen und jenseits des Lagers der Deutschen eine Stellung nehmen ließ, während vier in dem bisherigen Lager zurückblieben. Ariovist, da er die Römer geteilt sah, versuchte einen Sturm auf ihr kleineres Lager; allein die Römer schlugen ihn ab. Unter dem Eindruck dieses Erfolges ward das gesamte römische Heer zum Angriff vorgeführt; und auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in langer Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht zu erschweren, die Karren der Armee mit dem Gepäck und den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eigener Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen. Noch stand die Waage gleich; allein die Taktik der Reserven entschied, wie so manchen anderen Kampf gegen Barbaren, so auch den gegen die Germanen zu Gunsten der Römer; ihre dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hilfe sandte, stellte auf dem linken Flügel die Schlacht wieder her und damit war der Sieg entschieden. Bis an den Rhein ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem König, gelang es, auf das andere Ufer zu entkommen (696 58).

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^15 F. W. A. Göler (Cäsars gallischer Krieg. Karlsruhe 1858, S. 45f.) meint, das Schlachtfeld bei Cernay unweit Mühlhausen aufgefunden zu haben, was im ganzen übereinkommt mit Napoleons (précis p. 35) Ansetzung des Schlachtfeldes in der Gegend von Belfort. Diese Annahme ist zwar nicht sicher, aber den Umständen angemessen; denn daß Caesar für die kurze Strecke von Besançon bis dahin sieben Tagemärsche brauchte, erklärt er selbst (Lall. 1, 41) durch die Bemerkung, daß er einen Umweg von über zehn deutschen Meilen genommen, um die Bergwege zu vermeiden, und dafür, daß die Schlacht 5, nicht 50 Milien vom Rhein geschlagen ward, entscheidet bei gleicher Autorität der Überlieferung die ganze Darstellung der bis zum Rhein fortgesetzten und offenbar nicht mehrtägigen, sondern an dem Schlachttag selbst beendigten Verfolgung. Der Vorschlag W. Rüstows (Einleitung zu Caesars Kommentar, S. 117), das Schlachtfeld an die obere Saar zu verlegen, beruht auf einem Mißverständnis. Das von den Sequanern, Denkern, Lingonen erwartete Getreide soll dem römischen Heere nicht unterwegs auf dem Marsche gegen Ariovist zukommen, sondern vor dem Aufbruch nach Besançon geliefert und von den Truppen mitgenommen werden; wie dies sehr deutlich daraus hervorgeht, daß Caesar, indem er seine Truppen auf jene Lieferungen hinweist, daneben sie auf das unterwegs einzubringende Korn vertröstet. Von Besançon aus beherrschte Caesar die Gegend von Langres und Epinal und schrieb, wie begreiflich, seine Lieferungen lieber hier aus als in den ausfouragierten Distrikten, aus denen er kam.

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So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die italischen Soldaten zum erstenmal erblickten, das römische Regiment sich an; mit einer einzigen glücklichen Schlacht war die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen Ansiedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand; der Sieger konnte sie vernichten, aber er tat es nicht. Die benachbarten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker, waren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übersiedelten Deutschen versprachen nicht bloß tapfere Grenzhüter, sondern auch bessere Untertanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewahrung der neugewonnenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolierten Stellung nicht umhin konnten, an der Zentralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor; er ließ den von Ariovist längs des linken Rheinufers angesiedelten Germanen, den Tribokern um Straßburg, den Nemetern um Speyer, den Vangionen um Worms, ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an ^16.

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^16 Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser germanischen Ansiedlungen. Daß Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansiedelte, ist deshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. Gall. 1, 51) und früher nicht vorkommen; daß ihnen Caesar ihre Sitze ließ, deshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte, die in Gallien bereits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. Gall. 1, 35. 43), und weil wir sie später in diesen Sitzen finden. Caesar gedenkt der nach der Schlacht hinsichtlich dieser germanischen Ansiedlungen getroffenen Verfügungen nicht, weil er über alle in Gallien von ihm vorgenommenen organischen Einrichtungen grundsätzlich Stillschweigen beobachtet.

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Die Sueben aber, die am Mittelrhein das treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ariovists Niederlage wieder zurück in das innere Deutschland, wobei sie unterwegs durch die nächstwohnenden Völkerschaften ansehnliche Einbuße erlitten.

Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermeßlich; noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze des Römischen Reiches gegen die Deutschen geworden. In Gallien, das nicht mehr vermochte, sich selber zu gebieten, hatten bisher die Römer an der Südküste geherrscht, seit kurzem die Deutschen versucht, weiter oberwärts sich festzusetzen. Die letzten Ereignisse hatten es entschieden, daß Gallien nicht nur zum Teil, sondern ganz der römischen Oberhoheit zu verfallen und daß die Naturgrenze, die der mächtige Fluß darbietet, auch die staatliche Grenze zu werden bestimmt war. In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis Roms Herrschaft Italiens natürliche Grenzen, die Alpen und das Mittelmeer und dessen nächste Inseln, erreicht hatte. Einer ähnlichen militärischen Abrundung bedurfte auch das erweiterte Reich; aber die gegenwärtige Regierung überließ dieselbe dem Zufall und sah höchstens darauf, nicht daß die Grenzen verteidigt werden konnten, sondern daß sie nicht unmittelbar von ihr selbst verteidigt zu werden brauchten. Man fühlte es, daß jetzt ein anderer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken begannen.

Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; um aber dasselbe auszubauen und bei den Galliern die Anerkennung der römischen Herrschaft und der Rheingrenze bei den Deutschen vollständig durchzuführen, fehlte doch noch gar viel. Ganz Mittelgallien zwar von der römischen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte sich ohne Widerrede dem neuen Machthaber, und am oberen und mittleren Rhein war auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff zu besorgen. Allein die nördlichen Landschaften, sowohl die aremorikanischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die mächtigere Konföderation der Belgen, waren von den gegen das mittlere Gallien geführten Schlägen nicht mitgetroffen worden und fanden sich nicht veranlaßt, dem Besieger Ariovists sich zu unterwerfen. Es kam hinzu, daß, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig machten, den Strom zu überschreiten. Infolgedessen brach Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen vermehrten Heer im Frühjahr 697 (57) auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapferen und glücklichen Widerstandes, den sie fünfzig Jahre zuvor mit gesamter Hand an der Landgrenze den Kimbrern geleistet hatte, und gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die Eidgenossenschaft der Belgen ihr gesamtes erstes Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen, Galba, an ihre Südgrenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der der mächtigen Remer (um Reims), ersah in dieser Invasion der Fremden die Gelegenheit, das Regiment abzuschütteln, das ihre Nachbarn, die Suessionen, über sie ausübten, und schickte sich an, die Rolle, die in Mittelgallien die Häduer gespielt hatten, im nördlichen zu übernehmen. In ihrem Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast gleichzeitig ein. Caesar unternahm es nicht, dem tapferen, sechsfach stärkeren Feinde eine Schlacht zu liefern; nordwärts der Aisne, unweit des heutigen Pontavert, zwischen Reims und Laon, nahm er sein Lager auf einem teils durch den Fluß und durch Sümpfe, teils durch Gräben und Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau und begnügte sich, die Versuche der Belgen, die Aisne zu überschreiten und ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden, durch defensive Maßregeln zu vereiteln. Wenn er darauf zählte, daß die Koalition demnächst unter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher, allgemein geachteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorräte gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an, im Lager der Eidgenossen sich einzunisten. Die Bellovaker vor allem, den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darüber, daß die Feldhauptmannschaft des eidgenössischen Heeres nicht an sie gekommen war, waren nicht länger zu halten, seit die Meldung eingetroffen war, daß die Häduer als Bundesgenossen der Römer Anstalt machten, in das bellovakische Gebiet einzurücken. Man beschloß, sich aufzulösen und nach Hause zu gehen; wenn Schande halber die sämtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten, dem zunächst angegriffenen mit gesamter Hand zu Hilfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipulationen das klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur kläglich beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft an diejenige erinnert, die im Jahre 1792 fast auf demselben Boden eintrat; und gleichwie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem römischen Feldherrn, dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine geschlagene, und einen Teil der bis zuletzt gebliebenen Kontingente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschränkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Kantone der Belgen einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons), ebenso wie ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambianer (um Amiens). Die Städte öffneten die Tore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollenden Türme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht ergeben mochte, suchte eine Zuflucht jenseits des Meeres in Britannien. Aber in den östlichen Kantonen regte sich energischer das Nationalgefühl. Die Viromanduer (um Arras), die Atrebaten (um Saint-Quentin), die deutschen Aduatuker (um Namur), vor allem aber die Nervier (im Hennegau) mit ihrer nicht geringen Klientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachgebend, an Tapferkeit und kräftigem Vaterlandssinn ihnen weit überlegen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Samtire zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs genaueste über die Bewegungen der römischen Armee; ihre eigene Ortskunde sowie die hohen Verzäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt waren, um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberscharen den Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten, ihre eigenen Operationen dem Blick der Römer größtenteils zu entziehen. Als diese an der Sambre unweit Bavay anlangten und die Legionen eben beschäftigt waren, auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, die Reiterei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen zu erkunden, wurden auf einmal die letzteren von der gesamten Masse des feindlichen Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluß gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind auch diesen überschritten und stürmte mit todverachtender Entschlossenheit die Höhen des linken Ufers. Kaum blieb den schanzenden Legionären die Zeit, um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, mußten fechten, wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigentliches Kommando, denn bei der Plötzlichkeit des Überfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die einzelnen Abteilungen die Verbindung völlig verloren. Statt der Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte. Labienus mit dem linken Flügel warf die Atrebaten und verfolgte sie bis über den Fluß. Das römische Mitteltreffen drängte die Viromanduer den Abhang hinab. Der rechte Flügel aber, bei dem der Feldherr selbst sich befand, wurde von den weit zahlreicheren Nerviern um so leichter überflügelt, als das Mitteltreffen, durch seinen Erfolg fortgerissen, den Platz neben ihm geräumt hatte, und selbst das halbfertige Lager von den Nerviern besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes Knäuel zusammengeballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen, ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schienen im Begriff, gesprengt und zusammengehauen zu werden. Schon flohen der römische Troß und die Bundestruppen nach allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abteilungen, wie das Kontingent der Treverer, mit verhängten Zügeln davon, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zuruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon hatte man einigermaßen sich Luft gemacht und wenigstens die Verbindung der beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt, als Succurs herbeikam: teils von dem Uferkamm herab, wo währenddessen mit dem Gepäck die römische Nachhut eingetroffen war, teils vom anderen Flußufer her, wo Labienus inzwischen bis an das feindliche Lager vorgedrungen war und sich dessen bemächtigt hatte und nun, endlich die auf dem rechten Flügel drohende Gefahr gewahrend, die siegreiche zehnte Legion seinem Feldherrn zu Hilfe sandte. Die Nervier, von ihren Verbündeten getrennt und von allen Seiten zugleich angegriffen, bewährten jetzt, wo das Glück sich wandte, denselben Heldenmut, wie da sie sich Sieger glaubten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe überlebten von ihren sechshundert Ratsherren nur drei diesen Tag. Nach dieser vernichtenden Niederlage mußten die Nervier, Atrebaten und Viromanduer wohl die römische Hoheit anerkennen. Die Aduatuker, zu spät eingetroffen, um an dem Kampfe an der Sambre teilzunehmen, versuchten zwar noch, in der festesten ihrer Städte (auf dem Berge Falhize an der Maas unweit Huy) sich zu halten, allein bald unterwarfen auch sie sich. Ein noch nach der Ergebung gewagter nächtlicher Überfall des römischen Lagers vor der Stadt schlug fehl und der Treubruch ward von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die Klientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und Rhein und anderen kleinen, benachbarten Stämmen bestand, wurde von den Römern selbständig erklärt, die gefangenen Aduatuker aber in Masse zu Gunsten des römischen Schatzes unter dem Hammer verkauft. Es schien, als ob das Verhängnis, das die Kimbrer betroffen hatte, auch diesen letzten kimbrischen Splitter noch verfolge. Den übrigen unterworfenen Stämmen begnügte sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und Geiselstellung aufzuerlegen. Die Remer wurden natürlich der führende Gau im belgischen wie die Häduer im mittleren Gallien; sogar in diesem begaben sich manche mit den Häduern verfeindete Clans vielmehr in die Klientel der Reiner. Nur die entlegenen Seekantone der Moriner (Artois) und der Menapier (Flandern und Brabant) und die großenteils von Deutschen bewohnte Landschaft zwischen Schelde und Rhein blieben für diesmal von der römischen Invasion noch verschont und im Besitz ihrer angestammten Freiheit.

Die Reihe kam an die aremorikanischen Gaue. Noch im Herbst 697 (57) ward Publius Crassus mit einem römischen Korps dahin gesandt; er bewirkte, daß die Veneter, die, als Herren der Häfen des heutigen Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt und Handel unter allen keltischen Gauen den ersten Platz einnahmen, und überhaupt die Küstendistrikte zwischen Loire und Seine sich den Römern unterwarfen und ihnen Geiseln stellten. Allein es gereute sie bald. Als im folgenden Winter (697/98 57/5 römische Offiziere in diese Gegenden kamen, um Getreidelieferungen daselbst auszuschreiben, wurden sie von den Venetern als Gegengeiseln festgehalten. Dem gegebenen Beispiel folgten rasch nicht bloß die aremoricanischen, sondern auch die noch freigebliebenen Seekantone der Belgen; wo, wie in einigen Gauen der Normandie, der Gemeinderat sich weigerte, der Insurrektion beizutreten, machte die Menge ihn nieder und schloß mit verdoppeltem Eifer der Nationalsache sich an. Die ganze Küste von der Mündung der Loire bis zu der des Rheins stand auf gegen Rom; die entschlossensten Patrioten aus allen keltischen Gauen eilten dorthin, um mitzuwirken an dem großen Werke der Befreiung; man rechnete schon auf den Aufstand der gesamten belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf das Einrücken der überrheinischen Germanen.

Caesar sandte Labienus mit der ganzen Reiterei an den Rhein, um die gärende belgische Landschaft niederzuhalten und nötigenfalls den Deutschen den Übergang über den Fluß zu wehren; ein anderer seiner Unterbefehlshaber, Quintus Titurius Sabinus, ging mit drei Legionen nach der Normandie, wo die Hauptmasse der Insurgenten sich sammelte. Allein der eigentliche Herd der Insurrektion waren die mächtigen und intelligenten Veneter; gegen sie ward zu Lande und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die teils aus den Schiffen der untertänigen Keltengaue, teils aus einer Anzahl römischer, eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern aus der Narbonensischen Provinz bemannter Galeeren gebildete Flotte führte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst rückte mit dem Kern seiner Infanterie ein in das Gebiet der Veneter. Aber man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie entschlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das bretagnische Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Seemacht darbot. Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte größtenteils auf Klippen und Landspitzen gelegen und vom Festlande her nur auf schwer zu passierenden Watten zugänglich; die Verpflegung wie die Belagerung waren für das zu Lande angreifende Heer gleich schwierig, während die Kelten durch ihre Schiffe die Städte leicht mit allem Nötigen versehen und im schlimmsten Fall die Räumung derselben bewerkstelligen konnten. Die Legionen verschwendeten in den Belagerungen der venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesentlichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde verschwinden zu sehen. Als daher die römische Flotte, lange in der Loiremündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagnischen Küste eintraf, überließ man es ihr, den Kampf durch eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Überlegenheit auf diesem Elemente sich bewußt, führten gegen die von Brutus befehligte römische Flotte die ihrige vor. Nicht bloß zählte diese zweihundertzwanzig Segel, weit mehr, als die Römer hatten aufbringen können; ihre hochbordigen, festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei weitem geeigneter für die hochgehenden Fluten des Atlantischen Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Römer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die Enterbrücken der Römer vermochten das hohe Deck der feindlichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen Eichenplanken derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab. Allein die römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die Rahen an den Masten befestigt waren, mittels an langen Stangen befestigter Sicheln; Rahen und Segel stürzten herab und, da man den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum Wrack, wie heutzutage durch Stürzen der Maste, und leicht gelang es den römischen Booten, durch vereinigten Angriff des gelähmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als die Gallier dieses Manövers innewurden, versuchten sie von der Küste, an der sie den Kampf mit den Römern aufgenommen hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille ein und die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich vernichtet. So ward diese Seeschlacht - soweit die geschichtliche Kunde reicht, die älteste auf dem Atlantischen Ozean geschlagene - ebenwie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae trotz der ungünstigsten Verhältnisse durch eine von der Not eingegebene glückliche Erfindung zum Vorteil der Römer entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr, um der keltischen Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die hartnäckig Widerstrebenden zu imponieren, als um den Vertragsbruch und die Festnahme der römischen Offiziere zu ahnden, ließ Caesar den gesamten Gemeinderat hinrichten und die Bürgerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben die Veneter mehr als irgendein anderer Keltenclan sich ein Anrecht erworben auf die Teilnahme der Nachwelt. Dem am Kanal versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne überwunden hatte; er verhielt sich verteidigend, bis Ungeduld und Mangel in den Reihen der Feinde einrissen, und wußte sie dann durch Täuschung über die Stimmung und Stärke seiner Truppen und vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen Sturm auf das römische Lager zu verlocken und dabei zu schlagen, worauf die Milizen sich zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf.

Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei, sich der Anerkennung der römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen: aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden sie es, den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wichen zurück in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer versuchten, sich durch dieselben mit der Axt eine Straße zu bahnen, zu deren beiden Seiten die gefällten Bäume als Verbacke gegen feindliche Überfälle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar, verwegen wie er war, fand nach einigen Tagen mühseligsten Marschierens es ratsam, zumal da es gegen den Winter ging, den Rückzug anzuordnen, obwohl von den Morinern nur ein kleiner Teil unterworfen und die mächtigen Menapier gar nicht erreicht worden waren. Das folgende Jahr (699 55) ward, während Caesar selbst in Britannien beschäftigt war, der größte Teil des Heeres aufs neue gegen diese Völkerschaften gesandt; allein auch diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch war das Ergebnis der letzten Feldzüge die fast vollständige Unterwerfung Galliens unter die Herrschaft der Römer. Wenn Mittelgallien ohne Gegenwehr sich unter dieselbe gefügt hatte, so waren durch den Feldzug des Jahres 697 (57) die belgischen, durch den des folgenden Jahres die Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der römischen Herrschaft gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen aber, mit denen die keltischen Patrioten den letzten Feldzug begonnen, hatten nirgends sich erfüllt. Weder Deutsche noch Briten waren ihnen zu Hilfe gekommen, und in Belgien hatte Labienus’ Anwesenheit genügt, die Erneuerung der vorjährigen Kämpfe zu verhüten.

Während also Caesar das römische Gebiet im Westen mit den Waffen zu einem geschlossenen Ganzen fortbildete, versäumte er nicht, der neu unterworfenen Landschaft, welche ja bestimmt war, die zwischen Italien und Spanien klaffende Gebietslücke auszufüllen, mit der italischen Heimat wie mit den spanischen Provinzen Kommunikationen zu eröffnen. Die Verbindung zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die von Pompeius im Jahre 677 (77) angelegte Heerstraße über den Mont Genèvre wesentlich erleichtert worden; allein seit das ganze Gallien den Römern unterworfen war, bedurfte man einer aus dem Potal nicht in westlicher, sondern in nördlicher Richtung den Alpenkamm überschreitenden und eine kürzere Verbindung zwischen Italien und dem mittleren Gallien herstellenden Straße. Dem Kaufmann diente hierzu längst der Weg, der über den Großen Bernhard in das Wallis und an den Genfer See führt; um diese Straße in seine Gewalt zu bringen, ließ Caesar schon im Herbst 697 (57) durch Servius Galba Octodurum (Martigny) besetzen und die Bewohner des Wallis zur Botmäßigkeit bringen, was durch die tapfere Gegenwehr dieser Bergvölker natürlich nur verzögert, nicht verhindert ward.

Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewinnen, wurde im folgenden Jahr (698 56) Publius Crassus nach Aquitanien gesandt mit dem Auftrag, die daselbst wohnenden iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es besser als diese, von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jenseits der Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Kantabrer sandten ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfahrene, unter Sertorius’ Führung römisch geschulte Offiziere, die soweit möglich die Grundsätze der römischen Kriegskunst, namentlich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einführten. Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer führte, wußte alle Schwierigkeiten zu überwinden, und nach einigen hart bestrittenen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die Völkerschaften von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung unter den neuen Herrn zu bestimmen.

Das eine Ziel, das Caesar sich gesteckt hatte, die Unterwerfung Galliens, war mit kaum nennenswerten Ausnahmen im wesentlichen soweit erreicht, als es überhaupt mit dem Schwert sich erreichen ließ. Allein die andere Hälfte des von Caesar begonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genügend erledigt und die Deutschen noch keineswegs überall genötigt, den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/99 (56/55) hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Römer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzüberschreitung stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten und Tencterer, deren Versuche, in dem Gebiet der Menapier über den Rhein zu setzen, bereits erwähnt wurden, waren endlich doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug täuschend, auf den eigenen Schiffen der Menapier übergegangen - ein ungeheurer Schwarm, der sich mit Einschluß der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von Nimwegen und Kleve; aber es hieß, daß sie, den Aufforderungen der keltischen Patriotenpartei folgend, in das Innere Galliens einzurücken beabsichtigten, und das Gerücht ward dadurch bestärkt, daß ihre Reiterscharen bereits bis an die Grenzen der Treuerer streiften. Indes als Caesar mit seinen Legionen ihnen gegenüber anlangte, schienen die vielgeplagten Auswanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern gern bereit, von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit in Frieden zu bestellen. Während darüber verhandelt ward, stieg in dem römischen Feldherrn der Argwohn auf, daß die Deutschen nur Zeit zu gewinnen suchten, bis die von ihnen entsendeten Reiterscharen wiedereingetroffen seien. Ob derselbe gegründet war oder nicht, läßt sich nicht sagen; aber darin bestärkt durch einen Angriff, den trotz des tatsächlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf seine Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen empfindlichen Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt, jede völkerrechtliche Rücksicht aus den Augen zu setzen. Als am anderen Morgen die Fürsten und Ältesten der Deutschen, den ohne ihr Vorwissen unternommenen Angriff zu entschuldigen, im römischen Lager erschienen, wurden sie festgehalten und die nichts ahnende, ihrer Führer beraubte Menge von dem römischen Heer plötzlich überfallen. Es war mehr eine Menschenjagd als eine Schlacht; was nicht unter den Schwertern der Römer fiel, ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Überfalls detachierten Abteilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zurück über den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet, es scheint an der Lippe, eine Freistatt gewährten. Das Verfahren Caesars gegen diese deutschen Einwanderer fand im Senat schweren und gerechten Tadel; allein wie wenig auch dasselbe entschuldigt werden kann, den deutschen Übergriffen war dadurch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch fand es Caesar ratsam, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Legionen über den Rhein zu führen. An Verbindungen jenseits desselben mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer damaligen Bildungsstufe fehlte noch jeder nationale Zusammenhang; an politischer Zerfahrenheit gaben sie, wenn auch aus anderen Ursachen, den Kelten nichts nach. Die Ubier (an der Sieg und Lahn), der zivilisierteste unter den deutschen Stämmen, waren vor kurzem von einem mächtigen suebischen Gau des Binnenlandes botmäßig und zinspflichtig gemacht worden und hatten schon 697 (57) Caesar durch ihre Boten ersucht, auch sie wie die Gallier von der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars Absicht nicht, diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unternehmungen verwickelt haben würde, ernstlich zu entsprechen; aber wohl schien es zweckmäßig, um das Erscheinen der germanischen Waffen diesseits des Rheines zu verhindern, die römischen jenseits desselben wenigstens zu zeigen. Der Schutz, den die entronnenen Usipeten und Tencterer bei den Sugambrern gefunden hatten, bot eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend, wie es scheint, zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine Pfahlbrücke über den Rhein und führte seine Legionen hinüber aus dem treverischen in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue gaben ihre Unterwerfung ein; allein die Sugambrer, gegen die der Zug zunächst gerichtet war, zogen, wie das römische Heer herankam, mit ihren Schutzbefohlenen sich in das innere Land zurück. In gleicher Weise ließ der mächtige suebische Gau, der die Ubier bedrängte, vermutlich derjenige, der später unter dem Namen der Chatten auftritt, die zunächst an das ubische Gebiet angrenzenden Distrikte räumen und das nicht streitbare Volk in Sicherheit bringen, während alle waffenfähige Mannschaft angewiesen ward, im Mittelpunkt des Gaues sich zu versammeln. Diesen Handschuh aufzuheben hatte der römische Feldherr weder Veranlassung noch Lust; sein Zweck, teils zu rekognoszieren, teils durch einen Zug über den Rhein womöglich den Deutschen, wenigstens aber den Kelten und den Landsleuten daheim zu imponieren, war im wesentlichen erreicht; nach achtzehntägigem Verweilen am rechten Rheinufer traf er wieder in Gallien ein und brach die Rheinbrücke hinter sich ab (699 55).

Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang zwischen ihnen und den Kelten des Festlandes, namentlich den Seegauen, ist es begreiflich, daß sie an dem nationalen Widerstand wenigstens mit ihren Sympathien sich beteiligt hatten und den Patrioten wenn auch nicht bewaffneten Beistand, doch mindestens jedem von ihnen, für den die Heimat nicht mehr sicher war, auf ihrer meerbeschützten Insel eine ehrenvolle Freistatt gewährten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn nicht für die Gegenwart, doch für die Zukunft; es schien zweckmäßig, wo nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch hier die Defensive offensiv zu führen und durch eine Landung an der Küste den Insulanern zu zeigen, daß der Arm der Römer auch über den Kanal reiche. Schon der erste römische Offizier, der die Bretagne betrat, Publius Crassus, war von dort nach den “Zinninseln” an der Westspitze Englands (Scillyinseln) hinübergefahren (697 57); im Sommer 699 (55) ging Caesar selbst mit nur zwei Legionen da, wo er am schmalsten ist ^17, über den Kanal. Er fand die Küste mit feindlichen Truppenmassen bedeckt und fuhr mit seinen Schiffen weiter; aber die britischen Streitwagen bewegten sich ebenso schnell zu Lande fort wie die römischen Galeeren auf der See, und nur mit größter Mühe gelang es den römischen Soldaten unter dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch Wurfmaschinen und Handgeschütze den Strand fegten, im Angesicht der Feinde teils watend, teils in Kähnen das Ufer zu gewinnen. Im ersten Schreck unterwarfen sich die nächsten Dörfer; allein bald wurden die Insulaner gewahr, wie schwach der Feind sei und wie er nicht wage, sich vom Ufer zu entfernen. Die Eingeborenen verschwanden in das Binnenland und kamen nur zurück, um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die man auf der offenen Reede gelassen hatte, erlitt durch den ersten über sie hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden. Man mußte sich glücklich schätzen, die Angriffe der Barbaren abzuschlagen, bis man die Schiffe notdürftig repariert hatte, und mit denselben, noch ehe die schlimme Jahreszeit hereinbrach, die gallische Küste wiederzuerreichen.

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^17 Daß Caesars Überfahrten nach Britannien aus den Häfen der Küste von Calais bis Boulogne an die Küste von Kent gingen, ergibt die Natur der Sache sowie Caesars ausdrückliche Angabe. Die genauere Bestimmung der Örtlichkeit ist oft versucht worden, aber nicht gelungen. Überliefert ist nur, daß bei der ersten Fahrt die Infanterie in dem einen, die Reiterei in einem anderen, von jenem 8 Milien in östlicher Richtung entfernten Hafen sich einschiffte (Gall. 4, 22, 23, 28) und daß die zweite Fahrt aus demjenigen von diesen beiden Häfen, den Caesar am bequemsten gefunden, dem (sonst nicht weiter genannten) Irischen, von der britannischen Küste 30 (so nach Caesars Handschriften 5, 2) oder 40 (= 320 Stadien, nach Strab. 4, 5, 2, der unzweifelhaft aus Caesar schöpfte) Milien entfernten abging. Aus Caesars Worten (Gall. 4, 21), daß er “die kürzeste Überfahrt” gewählt habe, kann man verständigerweise wohl folgern, daß er nicht durch den Kanal, sondern durch den Pas de Calais, aber keineswegs, daß er durch diesen auf der mathematisch kürzesten Linie fuhr. Es gehört der Inspirationsglaube der Lokaltopographen dazu, um mit solchen Daten in der Hand, von denen das an sich beste noch durch die schwankende Überlieferung der Zahl fast unbrauchbar wird, an die Bestimmung der Örtlichkeit zu gehen; doch möchte unter den vielen Möglichkeiten am meisten für sich zu haben, daß der Irische Hafen (den schon Strab. a. a. O. wahrscheinlich richtig mit demjenigen identifiziert, von dem bei der ersten Fahrt die Infanterie überging) bei Ambleteuse, westlich vom Cap Gris Nez, der Reiterhaufen bei Ecale (Wissant), östlich von demselben Vorgebirge, zu suchen ist, die Landung aber östlich von Dover bei Walmercastle stattfand.

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Caesar selbst war mit den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit unzulänglichen Mitteln unternommenen Expedition so unzufrieden, daß er sogleich (Winter 699/700 55/54) eine Transportflotte von 800 Segeln instand setzen ließ und im Frühling 700 (54), diesmal mit fünf Legionen und 2000 Reitern, zum zweitenmal nach der kentischen Küste unter Segel ging. Vor der gewaltigen Armada wich die auch diesmal am Ufer versammelte Streitmacht der Briten, ohne einen Kampf zu wagen; Caesar trat sofort den Marsch ins Binnenland an und überschritt nach einigen glücklichen Gefechten den Fluß Stour; allein er mußte sehr wider seinen Willen innehalten, weil die Flotte auf der offenen Reede wiederum von den Stürmen des Kanals halb vernichtet worden war. Bis man die Schiffe auf den Strand gezogen und für die Reparatur umfassende Vorkehrungen getroffen, ging eine kostbare Zeit verloren, die die Kelten weislich benutzten. Der tapfere und umsichtige Fürst Cassivellaunus, der in dem heutigen Middlesex und der Umgegend gebot, sonst der Schreck der Kelten südlich von der Themse, jetzt aber Hort und Vorfechter der ganzen Nation, war an die Spitze der Landesverteidigung getreten. Er sah bald, daß mit dem keltischen Fußvolk gegen das römische schlechterdings nichts auszurichten und die schwer zu ernährende und schwer zu regierende Masse des Landsturms der Verteidigung nur hinderlich war; also entließ er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000 zusammenbrachte und deren Kämpfer, geübt vom Wagen herabspringend zu Fuß zu fechten, gleich der Bürgerreiterei des ältesten Rom in zwiefacher Weise verwendet werden konnten. Als Caesar den Marsch wieder fortzusetzen imstande war, fand er denselben nirgend sich verlegt; aber die britischen Streitwagen zogen stets dem römischen Heer vorauf und zur Seite, bewirkten die Räumung des Landes, die bei dem Mangel an Städten keine große Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachierung und bedrohten die Kommunikationen. Die Themse ward - wie es scheint zwischen Kingston und Brentford oberhalb London - von den Römern überschritten; man kam vorwärts, aber nicht eigentlich weiter; der Feldherr erfocht keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute und das einzige wirkliche Resultat, die Unterwerfung der Trinobanten im heutigen Essex, war weniger die Folge der Furcht vor den Römern als der tiefen Verfeindung dieses Gaus mit Cassivellaunus. Mit jedem Schritte vorwärts stieg die Gefahr, und der Angriff, den die Fürsten von Kent nach Cassivellaunus’ Anordnung auf das römische Schiffslager machten, mahnte, obwohl er abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die Erstürmung eines großen britischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den Römern in die Hände fiel, gab für das ziellose Vordringen einen leidlichen Abschluß und einen erträglichen Vorwand für die Umkehr. Auch Cassivellaunus war einsichtig genug, den gefährlichen Feind nicht aufs Äußerste zu treiben, und versprach, wie Caesar verlangte, die Trinobanten nicht zu beunruhigen, Abgaben zu zahlen und Geiseln zu stellen; von Auslieferung der Waffen oder Zurücklassung einer römischen Besatzung war nicht die Rede, und selbst jene Versprechungen wurden vermutlich, soweit sie die Zukunft betrafen, ernstlich weder gegeben noch genommen. Nach Empfang der Geiseln kehrte Caesar in das Schiffslager und von da nach Gallien zurück. Wenn er, wie es allerdings scheint, gehofft hatte, Britannien diesmal zu erobern, so war dieser Plan teils an dem klugen Verteidigungssystem des Cassivellaunus, teils und vor allem an der Unbrauchbarkeit der italischen Ruderflotte auf den Gewässern der Nordsee vollkommen gescheitert; denn daß der bedungene Tribut niemals erlegt ward, ist gewiß. Der nächste Zweck aber: die Inselkelten aus ihrer trotzigen Sicherheit aufzurütteln und sie zu veranlassen, in ihrem eigenen Interesse ihre Inseln nicht länger zum Herd der festländischen Emigration herzugeben, scheint allerdings erreicht worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden über dergleichen Schutzverleihung späterhin nicht wieder vernommen.

Das Werk der Zurückweisung der germanischen Invasion und der Unterwerfung der festländischen Kelten war vollendet. Aber oft ist es leichter, eine freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in Botmäßigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die keltische Nation zugrunde gegangen war, ward durch die Eroberung gewissermaßen aufgehoben, indem der Eroberer die Hegemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen; in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als ein Volk, und was man, da man es besaß, gleichgültig verspielt hatte, die Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Wert ward nun, da es zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht vollständig ermessen. Aber war es denn zu spät? Mit zorniger Scham gestand man es sich, daß eine Nation, die mindestens eine Million waffenfähiger Männer zählte, eine Nation von altem und wohlbegründetem kriegerischen Ruhm, von höchstens 50000 Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne daß sie auch nur einen Schlag getan, die der belgischen, ohne daß sie mehr getan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmütige Untergang der Nervier und Veneter, der kluge und glückliche Widerstand der Moriner und der Briten unter Cassivellaunus - alles, was im einzelnen versäumt und geleistet, gescheitert und erreicht war, spornte die Gemüter aller Patrioten zu neuen, womöglich einigeren und erfolgreicheren Versuchen. Namentlich unter dem keltischen Adel herrschte eine Gärung, die jeden Augenblick in einen allgemeinen Aufstand ausbrechen zu müssen schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Frühjahr 700 (54) hatte Caesar es notwendig gefunden, sich persönlich zu den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 (57) in der Nervierschlacht sich kompromittiert hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit den überrheinischen Deutschen mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft hatten. Damals hatte Caesar sich begnügt, die namhaftesten Männer der Patriotenpartei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Reiterkontingent mit sich nach Britannien zu führen; er tat sein mögliches, die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge Maßregeln sie zur Insurrektion zu zeitigen. Allein als der Häduer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffizier, in der Tat aber als Geisel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin, ihn als Ausreißer verfolgen zu lassen, wobei er von der nachgeschickten Abteilung eingeholt und, da er gegen dieselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700 54). Daß der angesehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhängigen Keltengaus von den Römern getötet worden, war ein Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder, der sich ähnlicher Gesinnung bewußt war - und es war dies die ungeheure Majorität -, sah in jener Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn Patriotismus und Verzweiflung die Häupter des keltischen Adels bestimmt hatte sich zu verschwören, so trieb jetzt Furcht und Notwehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/01 (54/53) lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesamte römische Heer, sechs Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräte hatte Caesar bewogen, seine Truppen weiter, als er sonst zu tun pflegte, auseinander und in sechs verschiedene, in den Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Reiner und Eburonen, errichtete Lager zu verlegen. Das am weitesten gegen Osten im eburonischen Gebiet, wahrscheinlich unweit des späteren Aduatuca, des heutigen Tongern, angelegte Standlager, das stärkste von allen, bestehend aus einer Legion unter einem der angesehensten Caesarischen Divisionsführer, dem Quintus Titurius Sabinus, und außerdem verschiedenen, von dem tapferen Lucius Aurunculeius Cotta, geführten Detachements zusammen von der Stärke einer halben Legion ^18, fand sich urplötzlich von dem Landsturm der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Catuvolcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, daß die eben vom Lager abwesenden Mannschaften nicht einberufen werden konnten und von den Feinden aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die Gefahr nicht groß, da es an Vorräten nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten, an den römischen Verschanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix eröffnete dem römischen Befehlshaber, daß die sämtlichen römischen Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Korps nicht rasch aufbrächen und miteinander sich vereinigten; daß Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die überrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien; daß er selbst aus Freundschaft für die Römer ihnen freien Abzug bis zu dem nächsten, nur zwei Tagemärsche entfernten römischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; daß der kleine, von den Römern besonders begünstigte Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe, war in der Tat unglaublich und bei der Schwierigkeit, mit den anderen, weit entfernten Lagern sich in Verbindung zu setzen, die Gefahr von der ganzen Masse der Insurgenten angegriffen und vereinzelt aufgerieben zu werden, keineswegs gering zu achten; nichtsdestoweniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot, die vom Feinde angebotene Kapitulation zurückzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszuharren. Auch im Kriegsrat vertraten zahlreiche Stimmen, namentlich die gewichtige des Lucius Aurunculeius Cotta diese Ansicht. Dennoch entschied sich der Kommandant dafür, den Vorschlag des Ambiorix anzunehmen. Die römischen Truppen zogen also am anderen Morgen ab; aber in einem schmalen Tal, kaum eine halbe Meile vom Lager, angelangt, fanden sie sich von den Eburonen umzingelt und jeden Ausweg gesperrt. Sie versuchten, mit den Waffen sich den Weg zu öffnen; allein die Eburonen ließen sich auf kein Nahgefecht ein und begnügten sich, aus ihren unangreifbaren Stellungen ihre Geschosse in den Knäuel der Römer zu entsenden. Wie verwirrt, als ob er Rettung vor dem Verrat bei dem Verräter suchte, begehrte Sabinus eine Zusammenkunft mit Ambiorix; sie wurde gewährt und er und die ihn begleitenden Offiziere erst entwaffnet, dann niedergemacht. Nach dem Fall des Befehlshabers warfen sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf die erschöpften und verzweifelnden Römer und brachen ihre Reihen: die meisten, unter ihnen der schon früher verwundete Cotta, fanden bei diesem Angriff ihren Tod; ein kleiner Teil, dem es gelungen war, das verlassene Lager wiederzugewinnen, stürzte sich während der folgenden Nacht in die eigenen Schwerter. Der ganze Heerhaufen ward vernichtet.

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^18 Daß Cotta, obwohl nicht Unterfeldherr des Sabinus, sondern gleich ihm Legat, doch der jüngere und minder angesehene General und wahrscheinlich im Fall einer Differenz sich zu fügen angewiesen war, ergibt sich sowohl aus den früheren Leistungen des Sabinus, als daraus, daß, wo beide zusammen genannt werden (Gall. 4, 22, 37; 5, 24, 26, 52; 6, 32; anders 6, 37), Sabinus regelmäßig voransteht, nicht minder aus der Erzählung der Katastrophe selbst. überdies kann man doch unmöglich annehmen, daß Caesar einem Lager zwei Offiziere mit gleicher Befugnis vorgesetzt und für den Fall der Meinungsverschiedenheit gar keine Anordnung getroffen haben soll. Auch zählen die fünf Kohorten nicht als Legion mit (vgl. Gall. 6, 32, 33), so wenig wie die zwölf Kohorten an der Rheinbrücke (Gall. 6, 29 vgl. 32, 33), und scheinen aus Detachements anderer Heerteile bestanden zu haben, die diesem den Germanen zunächst gelegenen Lager zur Verstärkung zugeteilt worden waren.

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Dieser Erfolg, wie die Insurgenten ihn selber kaum gehofft haben mochten, steigerte die Gärung unter den keltischen Patrioten so gewaltig, daß die Römer, mit Ausnahme der Häduer und der Reiner, keines einzigen Distrikts ferner sicher waren und an den verschiedensten Punkten der Aufstand losbrach. Vor allen Dingen verfolgten die Eburonen ihren Sieg. Verstärkt durch das Aufgebot der Aduatuker, die gern die Gelegenheit ergriffen, das von Caesar ihnen zugefügte Leid zu vergelten, und der mächtigen und noch unbezwungenen Menapier, erschienen sie in dem Gebiet der Nervier, welche sogleich sich anschlossen, und der ganze also auf 60000 Köpfe angeschwollene Schwarm rückte vor das im nervischen Gau befindliche römische Lager. Quintus Cicero, der hier kommandierte, hatte mit seinem schwachen Korps einen schweren Stand, namentlich als die Belagerer, von dem Feinde lernend, Wälle und Gräben, Schilddächer und bewegliche Türme in römischer Weise aufführten und die strohgedeckten Lagerhütten mit Brandschleudern und Brandspeeren überschütteten. Die einzige Hoffnung der Belagerten beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit entfernt in der Gegend von Amiens mit drei Legionen im Winterlager stand. Allein - ein charakteristischer Beweis für die im Keltenland herrschende Stimmung - geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeldherrn nicht die geringste Andeutung zu weder von der Katastrophe des Sabinus, noch von der gefährlichen Lage Ciceros. Endlich gelang es einem keltischen Reiter aus Ciceros Lager, sich durch die Feinde bis zu Caesar durchzuschleichen. Auf die erschütternde Kunde brach Caesar augenblicklich auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa 7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichtsdestoweniger genügte die Meldung, daß Caesar anrückte, um die Insurgenten zur Aufhebung der Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht der zehnte Mann in Ciceros Lager war unverwundet. Caesar, gegen den das Insurgentenheer sich gewandt hatte, täuschte die Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg angewandten Weise über seine Stärke; unter den ungünstigsten Verhältnissen wagten sie einen Sturm auf das Römerlager und erlitten dabei eine Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch für die keltische Nation, daß infolge dieser einen verlorenen Schlacht, oder vielleicht mehr noch infolge von Caesars persönlichem Erscheinen auf dem Kampfplatz die so siegreich aufgetretene, so weithin ausgedehnte Insurrektion plötzlich und kläglich den Krieg abbrach. Nervier, Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich nach Hause. Das gleiche taten die Mannschaften der Seegaue, die Anstalt gemacht hatten, die Legion in der Bretagne zu überfallen. Die Treverer, durch deren Führer Indutiomarus die Eburonen, die Klienten des mächtigen Nachbargaus, zu jenem so erfolgreichen Angriff hauptsächlich bestimmt worden waren, hatten auf die Kunde der Katastrophe von Aduatuca die Waffen ergriffen und waren in das Gebiet der Remer eingerückt, um die unter Labienus’ Befehl dort kantonnierende Legion anzugreifen; auch sie stellten für jetzt die Fortsetzung des Kampfes ein. Nicht ungern verschob Caesar die weiteren Maßregeln gegen die aufgestandenen Distrikte auf das Frühjahr, um seine hart mitgenommenen Truppen nicht der ganzen Strenge des gallischen Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von dreißig neuen Kohorten die vernichteten fünfzehn in imponierender Weise ersetzt sein würden. Die Insurrektion spann inzwischen sich fort, wenn auch zunächst die Waffen ruhten. Ihre Hauptsitze in Mittelgallien waren teils die Distrikte der Carnuten und der benachbarten Senonen (um Sens), welche letztere den von Caesar eingesetzten König aus dem Lande jagten, teils die Landschaft der Treverer, welche die gesamte keltische Emigration und die überrheinischen Deutschen zur Teilnahme an dem bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze Mannschaft aufboten, um mit dem Frühjahr zum zweitenmal in das Gebiet der Römer einzurücken, das Korps des Labienus aufzuheben und die Verbindung mit den Aufständischen an der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten dieser drei Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien ausgeschriebenen Landtag aus und erklärten damit ebenso offen den Krieg, wie es ein Teil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf das Lager des Sabinus und Cicero getan hatte. Der Winter neigte sich zu Ende, als Caesar mit seinem inzwischen ansehnlich verstärkten Heer aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer, den Aufstand zu konzentrieren, waren nicht geglückt; die gärenden Landschaften wurden durch den Einmarsch römischer Truppen im Zaum gehalten, die in offener Empörung stehenden vereinzelt angegriffen. Zuerst wurden die Nervier von Caesar selbst zu Paaren getrieben. Das gleiche widerfuhr den Senonen und Carnuten. Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich niemals noch den Römern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei Seiten zugleich gegen sie gerichteten Gesamtangriff genötigt, der lange bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwischen Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war gelähmt worden teils durch die Weigerung der nächstwohnenden deutschen Stämme, ihnen Söldner zu liefern, teils dadurch, daß Indutiomarus, die Seele der ganzen Bewegung, in einem Scharmützel mit den Reitern des Labienus geblieben war. Allein sie gaben ihre Entwürfe darum nicht auf. Mit ihrem gesamten Aufgebot erschienen sie Labienus gegenüber und harrten der nachfolgenden deutschen Scharen; denn bessere Aufnahme als bei den Anwohnern des Rheines hatten ihre Werber bei den streitbaren Völkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich, wie es scheint, den Chatten gefunden. Allein da Labienus Miene machte, diesen ausweichen und Hals über Kopf abmarschieren zu wollen, griffen die Treverer, noch ehe die Deutschen angelangt waren und in der ungünstigsten Örtlichkeit, die Römer an und wurden vollständig geschlagen. Den zu spät eintreffenden Deutschen blieb nichts übrig als umzukehren, dem treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das Regiment daselbst kam wieder an das Haupt der römischen Partei, an des Indutiomarus Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expeditionen Caesars gegen die Menapier und des Labienus gegen die Treverer traf in dem Gebiet der letzteren die ganze römische Armee wieder zusammen. Um den Deutschen das Wiederkommen zu verleiden, ging Caesar noch einmal über den Rhein, um womöglich gegen die lästigen Nachbarn einen nachdrücklichen Schlag zu führen; allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am Harz, zur Landesverteidigung sammelten, kehrte er sogleich wieder um und begnügte sich, an dem Rheinübergang Besatzung zurückzulassen. Mit den sämtlichen an dem Aufstand beteiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburonen waren übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauergewand und hatte geschworen, erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtückisch ermordeten Soldaten gerächt haben würde. Rat- und tatlos saßen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen, bis die römische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die Ardennen in ihr Land einrückte. Man war so wenig auf den Angriff gefaßt, daß sie beinahe den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen hätte; mit genauer Not, während sein Gefolge für ihn sich aufopferte, entkam er in das nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die Aufforderung, mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die vogelfreien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseits des Rheines eine kecke Schar sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern nicht besser machte wie den Eburonen und fast durch einen kecken Handstreich das römische Lager bei Aduatuca überrumpelt hätte. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger waren mehr als des Wildes. Mancher gab sich selbst den Tod wie der greise Fürst Catuvolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit, unter diesen wenigen aber der Mann, auf den die Römer vor allem fahndeten, der Fürst Ambiorix: mit nur vier Reitern entrann er über den Rhein. Auf diese Exekution gegen den Gau, der vor allen andern gefrevelt, folgten in den anderen Landschaften die Hochverratsprozesse gegen die einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche des römischen Prokonsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco von römischen Liktoren enthauptet (701 53) und die Herrschaft der Ruten und Beile damit förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte: überall herrschte Ruhe. Caesar ging, wie er pflegte, im Spätjahr 701 (53) über die Alpen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickelnden Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten.

Der kluge Rechner hatte diesmal sich verrechnet. Das Feuer war gedämpft, aber nicht gelöscht. Den Streich, unter dem Accos Haupt fiel, fühlte der ganze keltische Adel. Eben jetzt bot die Lage der Dinge mehr Aussicht als je. Die Insurrektion des letzten Winters war offenbar nur daran gescheitert, daß Caesar selbst auf dem Kampfplatz erschienen war; jetzt war er fern, durch den nahe bevorstehenden Bürgerkrieg festgehalten am Po, und das gallische Heer, das an der oberen Seine zusammengezogen stand, weit getrennt von dem gefürchteten Feldherrn. Wenn jetzt ein allgemeiner Aufstand in Mittelgallien ausbrach, so konnte das römische Heer umzingelt, die fast unverteidigte altrömische Provinz überschwemmt sein, bevor Caesar wieder jenseits der Alpen stand, selbst wenn die italischen Verwicklungen nicht überhaupt ihn abhielten, sich ferner um Gallien zu kümmern. Verschworene aus allen mittelgallischen Gauen traten zusammen; die Carnuten, als durch Accos Hinrichtung zunächst betroffen, erboten sich voranzugehen. An dem festgesetzten Tage im Winter 701/02 (53/52) gaben die carnutischen Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in Cenabum (Orleans) das Zeichen zur Erhebung und machten die daselbst anwesenden Römer insgesamt nieder. Die gewaltigste Bewegung ergriff das ganze Keltenland; überall regten sich die Patrioten. Nichts aber ergriff so tief die Nation wie die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung dieser Gemeinde, die einst unter ihren Königen die erste im südlichen Gallien gewesen und noch nach dem durch die unglücklichen Kriege gegen Rom herbeigeführten Zusammensturz ihres Prinzipats eine der reichsten, gebildetsten und mächtigsten in ganz Gallien geblieben war, hatte bisher unverbrüchlich zu Rom gehalten. Auch jetzt war die Patriotenpartei in dem regierenden Gemeinderat in der Minorität; ein Versuch, von demselben den Beitritt zu der Insurrektion zu erlangen, war vergeblich. Die Angriffe der Patrioten richteten sich also gegen den Gemeinderat und die bestehende Verfassung selbst, und um so mehr, als die Verfassungsänderung, die bei den Arvernern den Gemeinderat an die Stelle des Fürsten gesetzt hatte, nach den Siegen der Römer und wahrscheinlich unter dem Einfluß derselben erfolgt war. Der Führer der arvernischen Patrioten, Vercingetorix, einer jener Adligen, wie sie wohl bei den Kelten begegnen, von fast königlichem Ansehen in und außer seinem Gau, dazu ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, verließ die Hauptstadt und rief das Landvolk, das der herrschenden Oligarchie ebenso feind war wie den Römern, zugleich zur Wiederherstellung des arvernischen Königtums und zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die Menge ihm zu; die Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuhus war zugleich die Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den einheitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der Nation, das fremdländische Joch von sich abzuschütteln, gescheitert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbsternannten König der Arverner. Vercingetorix ward für die Kelten des Festlandes, was für die Inselkelten Cassivellaunus; gewaltig durchdrang die Massen das Gefühl, daß er oder keiner der Mann sei, die Nation zu erretten. Rasch war der Westen von der Mündung der Garonne bis zu der der Seine von der Insurrektion erfaßt und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderat Schwierigkeit machte, nötigte ihn die Menge zum Anschluß an die Bewegung; nur wenige Gaue, wie der der Biturigen, ließen zum Beitritt sich zwingen, und vielleicht auch diese nur zum Schein. Weniger günstigen Boden fand der Aufstand in den Landschaften östlich von der oberen Loire. Alles kam hier auf die Häduer an; und diese schwankten. Die Patriotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte Antagonismus gegen die führenden Arverner hielt ihrem Einfluß die Waage - zum empfindlichsten Nachteil der Insurrektion, da der Anschluß der östlichen Kantone, namentlich der Sequaner und der Helvetier, durch den Beitritt der Häduer bedingt war und überhaupt in diesem Teile Galliens die Entscheidung bei ihnen stand. Während also die Aufständischen daran arbeiteten, teils die noch schwankenden Kantone, vor allen die Häduer, zum Beitritt zu bewegen, teils sich Narbos zu bemächtigen - einer ihrer Führer, der verwegene Lucterius, hatte bereits innerhalb der Grenzen der alten Provinz am Tarn sich gezeigt -, erschien plötzlich im tiefen Winter, Freunden und Feinden gleich unerwartet, der römische Oberfeldherr diesseits der Alpen. Rasch traf er nicht bloß die nötigen Anstalten, um die alte Provinz zu decken, sondern sandte auch über die schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arvernische Gebiet; aber seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden Augenblick der Zutritt der Häduer zu dem gallischen Bündnis von seiner um Sens und Langres lagernden Armee abschneiden konnte. In aller Stille ging er nach Vienna und von da, nur von wenigen Reitern begleitet, durch das Gebiet der Häduer zu seinen Truppen. Die Hoffnungen schwanden, welche die Verschworenen zum Losschlagen bestimmt hatten; in Italien blieb es Friede und Caesar stand abermals an der Spitze seiner Armee.

Was aber sollten sie beginnen? Es war eine Torheit, unter solchen Umständen auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen; denn diese hatten bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte ebensogut versuchen, mit Steinwürfen die Alpen zu erschüttern, wie die Legionen mit den keltischen Haufen, mochten dieselben nun in ungeheuren Massen zusammengeballt oder vereinzelt ein Gau nach dem andern preisgegeben werden. Vercingetorix verzichtete darauf, die Römer zu schlagen. Er nahm ein ähnliches Kriegssystem an, wie dasjenige war, durch das Cassivellaunus die Inselkelten gerettet hatte. Das römische Fußvolk war nicht zu besiegen; aber Caesars Reiterei bestand fast ausschließlich aus dem Zuzug des keltischen Adels und war durch den allgemeinen Abfall tatsächlich aufgelöst. Es war der Insurrektion, die ja eben wesentlich aus dem keltischen Adel bestand, möglich, in dieser Waffe eine solche Überlegenheit zu entwickeln, daß sie weit und breit das Land öde legen, Städte und Dörfer niederbrennen, die Vorräte vernichten, die Verpflegung und die Verbindungen des Feindes gefährden konnte, ohne daß derselbe es ernstlich zu hindern vermochte. Vercingetorix richtete demzufolge all seine Anstrengung auf die Vermehrung der Reiterei und der nach damaliger Fechtweise regelmäßig damit verbundenen Bogenschützen zu Fuß. Die ungeheuren und sich selber lähmenden Massen der Linienmiliz schickte er zwar nicht nach Hause, ließ sie aber doch nicht vor den Feind und versuchte, ihnen allmählich einige Schanz-, Marschier- und Manövrierfähigkeit und die Erkenntnis beizubringen, daß der Soldat nicht bloß bestimmt ist, sich zu raufen. Von den Feinden lernend, adoptierte er namentlich das römische Lagersystem, auf dem das ganze Geheimnis der taktischen Überlegenheit der Römer beruhte; denn infolgedessen vereinigte jedes römische Korps alle Vorteile der Festungsbesatzung mit allen Vorteilen der Offensivarmee ^19. Freilich war jenes dem städtearmen Britannien und seinen rauhen, entschlossenen und im ganzen einigen Bewohnern vollkommen angemessene System auf die reichen Landschaften an der Loire und deren schlaffe, in vollständiger politischer Auflösung begriffene Bewohner nicht unbedingt übertragbar. Vercingetorix setzte wenigstens durch, daß man nicht wie bisher jede Stadt zu halten versuchte und darum keine hielt; man ward sich einig, die der Verteidigung nicht fähigen Ortschaften, bevor der Angriff sie erreichte, zu vernichten, die starken Festungen aber mit gesamter Hand zu verteidigen. Daneben tat der Arvernerkönig, was er vermochte, um durch unnachsichtliche Strenge die Feigen und Säumigen, durch Bitten und Vorstellungen die Schwankenden, die Habsüchtigen durch Gold, die entschiedenen Gegner durch Zwang an die Sache des Vaterlandes zu fesseln und selbst dem vornehmen oder niedrigen Gesindel einigen Patriotismus aufzunötigen oder abzulisten.

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^19 Freilich war dies nur möglich, solange die Offensivwaffen hauptsächlich auf Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen Kriegführung ist, wie dies Napoleon I. vortrefflich auseinandergesetzt hat, dies System deshalb unanwendbar geworden, weil bei unseren, aus der Ferne wirkenden Offensivwaffen die deployierte Stellung vorteilhafter ist als die konzentrische. In Caesars Zeit verhielt es sich umgekehrt.

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Noch bevor der Winter zu Ende war, warf er sich auf die im Gebiet der Häduer von Caesar angesiedelten Boier, um diese fast einzigen zuverlässigen Bundesgenossen Roms zu vernichten, bevor Caesar herankam. Die Nachricht von diesem Angriff bestimmte auch Caesar, mit Zurücklassung des Gepäcks und zweier Legionen in den Winterquartieren von Agedincum (Sens), sogleich und früher, als er sonst wohl getan haben würde, gegen die Insurgenten zu marschieren. Dem empfindlichen Mangel an Reiterei und leichtem Fußvolk half er einigermaßen ab durch nach und nach herbeigezogene deutsche Söldner, die statt ihrer eigenen kleinen und schwachen Klepper mit italischen und spanischen, teils gekauften, teils von den Offizieren requirierten Pferden ausgerüstet wurden. Caesar, nachdem er unterwegs die Hauptstadt der Carnuten, Cenabum, die das Zeichen zum Abfall gegeben, hatte plündern und in Asche legen lassen, rückte über die Loire in die Landschaft der Biturigen. Er erreichte damit, daß Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und gleichfalls sich zu den Biturigen begab. Hier zuerst sollte die neue Kriegführung sich erproben. Auf Vercingetorix’ Geheiß gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung verhängte der Feldherr über die benachbarten Gaue, soweit sie von römischen Streifparteien erreicht werden konnten. Nach seiner Absicht sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avaricum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität des Kriegsrats gab den kniefälligen Bitten der biturigischen Behörden nach und beschloß, diese Stadt vielmehr mit allem Nachdruck zu verteidigen. So konzentrierte sich der Krieg zunächst um Avaricum. Vercingetorix stellte sein Fußvolk inmitten der der Stadt benachbarten Sümpfe in einer so unnahbaren. Stellung auf, daß es, auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein, den Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische Reiterei bedeckte alle Straßen und hemmte die Kommunikation. Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der Versuch, das keltische Fußvolk zum Schlagen zu bringen, mißlang; es rührte sich nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Soldaten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit ihnen an Erfindsamkeit und Mut, und fast wäre es ihnen gelungen, das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei ward die Aufgabe, ein Heer von beiläufig 60000 Mann in einer weithin öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen, täglich schwieriger. Die geringen Vorräte der Boier waren bald verbraucht; die von den Häduern versprochene Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschließlich auf Fleischrationen gesetzt. Indes rückte der Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kämpfte, nicht länger zu halten war. Noch war es nicht unmöglich, die Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszuziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des Abmarsches die zurückbleibenden Weiber und Kinder erhoben, machte die Römer aufmerksam; der Abzug mißlang. An dem folgenden trüben und regnichten Tage überstiegen die Römer die Mauern und schonten, erbittert durch die hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht noch Alter. Die reichen Vorräte, die die Kelten in derselben aufgehäuft hatten, kamen den ausgehungerten Soldaten Caesars zugute. Mit der Einnahme von Avaricum (Frühling 702 52) war über die Insurrektion ein erster Erfolg erfochten und nach früheren Erfahrungen mochte Caesar wohl erwarten, daß damit dieselbe sich auflösen und es nur noch erforderlich sein werde, einzelne Gaue zu Paaren zu treiben. Nachdem er also mit seiner gesamten Armee sich in dem Gau der Häduer gezeigt und durch diese imposante Demonstration die gärende Patriotenpartei daselbst genötigt hatte, für den Augenblick wenigstens, sich ruhig zu verhalten, teilte er sein Heer und sandte Labienus zurück nach Agedincum, um in Verbindung mit den dort zurückgelassenen Truppen an der Spitze von vier Legionen die Bewegung zunächst in dem Gebiet der Carnuten und Senonen, die auch diesmal wieder voranstanden, zu unterdrücken, während er selber mit den sechs übrigen Legionen sich südwärts wandte und sich anschickte, den Krieg in die arvernischen Berge, das eigene Gebiet des Vercingetorix, zu tragen.

Labienus rückte von Agedincum aus das linke Seineufer hinauf, um der auf einer Insel in der Seine gelegenen Stadt der Parisier, Lutetia (Paris), sich zu bemächtigen und von dieser gesicherten und im Herzen der aufständischen Landschaft befindlichen Stellung aus diese wieder zu unterwerfen. Allein hinter Melodunum (Melun) fand er sich den Weg verlegt durch das gesamte Insurgentenheer, das unter der Führung des greisen Camulogenus zwischen unangreifbaren Sümpfen hier sich aufgestellt hatte. Labienus ging eine Strecke zurück, überschritt bei Melodunum die Seine und rückte auf dem rechten Ufer derselben ungehindert gegen Lutetia; Camulogenus ließ diese Stadt abbrennen und die auf das linke Ufer führenden Brücken abbrechen und nahm Labienus gegenüber eine Stellung ein, in welcher dieser weder ihn zum Schlagen zu bringen, noch unter den Augen der feindlichen Armee den Übergang zu bewirken imstande war.

Die römische Hauptarmee ihrerseits rückte am Allier hinab in den Arvernergau. Vercingetorix versuchte, ihr den Übergang auf das linke Ufer des Allier zu verwehren, allein Caesar überlistete ihn und stand nach einigen Tagen vor der arvernischen Hauptstadt Gergovia ^20. Indes hatte Vercingetorix, ohne Zweifel schon, während er Caesar am Allier gegenüberstand, in Gergovia hinreichende Vorräte zusammenbringen und vor den Mauern der auf der Spitze eines ziemlich steil sich erhebenden Hügels gelegenen Stadt ein mit starken Steinwällen versehenes Standlager für seine Truppen anlegen lassen; und da er hinreichenden Vorsprung hatte, langte er vor Caesar bei Gergovia an und erwartete in dem befestigten Lager unter der Festungsmauer den Angriff. Caesar mit seiner verhältnismäßig schwachen Armee konnte den Platz weder regelrecht belagern, noch auch nur hinreichend blockieren; er schlug sein Lager unterhalb der von Vercingetorix besetzten Anhöhe und verhielt sich notgedrungen ebenso untätig wie sein Gegner. Für die Insurgenten war es fast ein Sieg, daß Caesars von Triumph zu Triumph fortschreitender Lauf an der Seine wie am Allier plötzlich gestockt war. In der Tat kamen die Folgen dieser Stockung für Caesar beinahe denen einer Niederlage gleich. Die Häduer, die bisher immer noch geschwankt hatten, machten jetzt ernstlich Anstalt, der Patriotenpartei sich anzuschließen; schon war die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia entboten hatte, auf dem Marsche durch die Offiziere bestimmt worden, sich für die Insurgenten zu erklären; schon hatte man gleichzeitig im Kanton selbst angefangen, die daselbst ansässigen Römer zu plündern und zu erschlagen. Noch hatte Caesar, indem er jenem auf Gergovia zurückenden Korps der Häduer mit zwei Dritteln des Blockadeheeres entgegengegangen war, dasselbe durch sein plötzliches Erscheinen wieder zum nominellen Gehorsam zurückgebracht; allein es war mehr als je ein hohles und brüchiges Verhältnis, dessen Fortbestand fast zu teuer erkauft worden war durch die große Gefahr der vor Gergovia zurückgelassenen beiden Legionen. Denn auf diese hatte Vercingetorix, Caesars Abmarsch rasch und entschlossen benutzend, während dessen Abwesenheit einen Angriff gemacht, der um ein Haar mit der Überwältigung derselben und der Erstürmung des römischen Lagers geendigt hätte. Nur Caesars unvergleichliche Raschheit wandte eine zweite Katastrophe wie die von Aduatuca hier ab. Wenn auch die Häduer jetzt wieder gute Worte gaben, war es doch vorherzusehen, daß sie, wenn die Blockade sich noch länger ohne Erfolg hinspann, sich offen auf die Seite der Aufständischen schlagen und dadurch Caesar nötigen würden, dieselbe aufzuheben; denn ihr Beitritt würde die Verbindung zwischen ihm und Labienus unterbrochen und namentlich den letzteren in seiner Vereinzelung der größten Gefahr ausgesetzt haben. Caesar war entschlossen, es hierzu nicht kommen zu lassen, sondern, wie peinlich und selbst gefährlich es auch war, unverrichteter Sache von Gergovia abzuziehen, dennoch, wenn es einmal geschehen mußte, lieber sogleich aufzubrechen und, in den Gau der Häduer einrückend, deren förmlichen Übertritt um jeden Preis zu verhindern. Ehe er indes diesen, seinem raschen und sicheren Naturell wenig zusagenden Rückzug antrat, machte er noch einen letzten Versuch, sich aus seiner peinlichen Verlegenheit durch einen glänzenden Erfolg zu befreien. Während die Masse der Besatzung von Gergovia beschäftigt war, die Seite, auf der der Sturm erwartet ward, zu verschanzen, ersah der römische Feldherr sich die Gelegenheit, einen anderen, weniger bequem gelegenen, aber augenblicklich entblößten Aufgang zu überrumpeln. In der Tat überstiegen die römischen Sturmkolonnen die Lagermauer und besetzten die nächstliegenden Quartiere des Lagers; allein schon war auch die ganze Besatzung alarmiert und bei den geringen Entfernungen fand es Caesar nicht rätlich, den zweiten Sturm auf die Stadtmauer zu wagen. Er gab das Zeichen zum Rückzug; indes die vordersten Legionen, vom Ungestüm des Sieges hingerissen, hörten nicht oder wollten nicht hören, und drangen unaufhaltsam vor bis an die Stadtmauer, einzelne sogar bis in die Stadt. Aber immer dichtere Massen warfen den Eingedrungenen sich entgegen; die vordersten fielen, die Kolonnen stockten; vergeblich stritten Centurionen und Legionäre mit dem aufopferndsten Heldenmut; die Stürmenden wurden mit sehr beträchtlichem Verlust aus der Stadt hinaus und den Berg hinuntergejagt, wo die von Caesar in der Ebene aufgestellten Truppen sie aufnahmen und größeres Unglück verhüteten. Die gehoffte Einnahme von Gergovia hatte sich in eine Niederlage verwandelt, und der beträchtliche Verlust an Verwundeten und Toten - man zählte 700 gefallene Soldaten, darunter 46 Centurionen - war der kleinste Teil des erlittenen Unfalls. Caesars imponierende Stellung in Gallien beruhte wesentlich auf seinem Siegernimbus; und dieser fing an zu erblassen. Schon die Kämpfe um Avaricum, Caesars vergebliche Versuche, den Feind zum Schlagen zu zwingen, die entschlossene Verteidigung der Stadt und ihre fast zufällige Erstürmung, trugen einen anderen Stempel als die früheren Keltenkriege und hatten den Kelten Vertrauen auf sich und ihren Führer eher gegeben als genommen. Weiter hatte das neue System der Kriegführung: unter dem Schutze der Festungen in verschanzten Lagern dem Feind die Stirne zu bieten - bei Lutetia sowohl wie bei Gergovia sich vollkommen bewährt. Diese Niederlage endlich, die erste, die Caesar selbst von den Kelten erlitten hatte, krönte den Erfolg, und sie gab denn auch gleichsam das Signal für einen zweiten Ausbruch der Insurrektion. Die Häduer brachen jetzt förmlich mit Caesar und traten mit Vercingetorix in Verbindung. Ihr Kontingent, das noch bei Caesars Armee sich befand, machte nicht bloß von dieser sich los, sondern nahm auch bei der Gelegenheit in Noviodunum an der Loire die Depots der Armee Caesars weg, wodurch die Kassen und Magazine, eine Menge Remontepferde und sämtliche Caesar gestellte Geiseln den Insurgenten in die Hände fielen. Wenigstens ebensowichtig war es, daß auf diese Nachrichten hin auch die Belgen, die bisher der ganzen Bewegung sich ferngehalten hatten, anfingen sich zu rühren. Der mächtige Gau der Bellovaker machte sich auf, um das Korps des Labienus, während es bei Lutetia dem Aufgebot der umliegenden mittelgallischen Gaue gegenüberstand, im Rücken anzugreifen. Auch sonst ward überall gerüstet; die Gewalt des patriotischen Aufschwungs riß selbst die entschiedensten und begünstigtsten Parteigänger Roms mit sich fort, wie zum Beispiel den König der Atrebaten, Commius, der seiner treuen Dienste wegen von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Bis in die altrömische Provinz gingen die Fäden der Insurrektion: sie machte, vielleicht nicht ohne Grund, sich Hoffnung, selbst die Allobrogen gegen die Römer unter die Waffen zu bringen. Mit einziger Ausnahme der Reiner und der von den Remern zunächst abhängigen Distrikte der Suessionen, Leuker und Lingonen, deren Partikularismus selbst unter diesem allgemeinen Enthusiasmus nicht mürbe ward, stand jetzt in der Tat, zum ersten und zum letzten Male, die ganze keltische Nation von den Pyrenäen bis zum Rhein für ihre Freiheit und Nationalität unter den Waffen; wogegen, merkwürdig genug, die sämtlichen deutschen Gemeinden, die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden hatten, sich ausschlossen, ja sogar die Treuerer und, wie es scheint, auch die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert wurden, an dem Nationalkrieg tätigen Anteil zu nehmen.

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^20 Man sucht diesen Ort auf einer Anhöhe eine Stunde südlich von der arvernischen Hauptstadt Nemetum, dem heutigen Clermont welche noch jetzt Gergoie genannt wird; und sowohl die bei den Ausgrabungen daselbst zu Tage gekommenen Überreste von rohen Festungsmauern, wie die urkundlich bis ins zehnte Jahrhundert hinauf verfolgte Überlieferung des Namens lassen an der Richtigkeit dieser Ortsbestimmung keinen Zweifel. Auch paßt dieselbe wie zu den übrigen Angaben Caesars, so namentlich dazu daß er Gergovia ziemlich deutlich als Hauptort der Arverner bezeichnet (Gall. 7, 4). Man wird demnach anzunehmen haben, daß die Arverner nach der Niederlage genötigt wurden, sich von Gergovia nach dem nahen, weniger festen Nemetum überzusiedeln.

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Es war ein schwerer, entscheidungsvoller Augenblick, als nach dem Abzug von Gergovia und dem Verlust von Noviodunum in Caesars Hauptquartier über die nun zu ergreifenden Maßregeln Kriegsrat gehalten ward. Manche Stimmen sprachen sich für den Rückzug über die Cevennen in die altrömische Provinz aus, welche jetzt der Insurrektion von allen Seiten her offenstand und allerdings der zunächst doch zu ihrem Schutze von Rom gesandten Legionen dringend bedurfte. Allein Caesar verwarf diese ängstliche, nicht durch die Lage der Dinge, sondern durch Regierungsinstruktionen und Verantwortungsfurcht bestimmte Strategie. Er begnügte sich, in der Provinz den Landsturm der dort ansässigen Römer unter die Waffen zu rufen und durch ihn, so gut es eben ging, die Grenzen besetzen zu lassen. Dagegen brach er selbst in entgegengesetzter Richtung auf und rückte in Gewaltmärschen auf Agedincum zu, auf das er Labienus sich in möglichster Eile zurückzuziehen befahl. Die Kelten versuchten natürlich, die Vereinigung der beiden römischen Heere zu verhindern. Labienus hätte wohl, über die Marne setzend und am rechten Seineufer flußabwärts marschierend, Agedincum erreichen können, wo er seine Reserve und sein Gepäck zurückgelassen hatte; aber er zog es vor, den Kelten nicht abermals das Schauspiel des Rückzugs römischer Truppen zu gewähren. Er ging daher, statt über die Marne, vielmehr unter den Augen des getäuschten Feindes über die Seine und lieferte am linken Ufer derselben den feindlichen Massen eine Schlacht, in welcher er siegte und unter vielen andern auch der keltische Feldherr selbst, der alte Camulogenus, auf der Walstatt blieb. Ebensowenig gelang es den Insurgenten, Caesar an der Loire aufzuhalten; Caesar gab ihnen keine Zeit, dort größere Massen zu versammeln, und sprengte die Milizen der Häduer, die er allein dort vorfand, ohne Mühe auseinander. So ward die Vereinigung der beiden Heerhaufen glücklich bewerkstelligt. Die Aufständischen inzwischen hatten über die weitere Kriegführung in Bibracte (Autun), der Hauptstadt der Häduer, geratschlagt; die Seele dieser Beratungen war wieder Vercingetorix, dem nach dem Siege von Gergovia die Nation begeistert anhing. Zwar schwieg der Partikularismus auch jetzt nicht; die Häduer machten noch in diesem Todeskampf der Nation ihre Ansprüche auf die Hegemonie geltend und stellten auf der Landesversammlung den Antrag, an die Stelle des Vercingetorix einen der Ihrigen zu setzen. Allein die Landesvertreter hatten dies nicht bloß abgelehnt und Vercingetorix im Oberbefehl bestätigt, sondern auch seinen Kriegsplan unverändert angenommen. Es war im wesentlichen derselbe, nach dem er bei Avaricum und bei Gergovia operiert hatte. Zum Angelpunkt der neuen Stellung ward die feste Stadt der Mandubier, Alesia (Alise Sainte-Reine bei Semur im Departement Côte d’Or ^21), ausersehen und unter deren Mauern abermals ein verschanztes Lager angelegt. Ungeheure Vorräte wurden hier aufgehäuft und die Armee von Gergovia dorthin beordert, deren Reiterei nach Beschluß der Landesversammlung bis auf 15000 Pferde gebracht ward. Caesar schlug mit seiner gesamten Heeresmacht, nachdem er sie bei Agedincum wiedervereinigt hatte, die Richtung auf Vesontio ein, um sich nun der geängsteten Provinz zu nähern und sie vor einem Einfall zu beschützen, wie denn in der Tat sich Insurgentenscharen schon in dem Gebiet der Helvier am Südabhang der Cevennen gezeigt hatten. Alesia lag fast auf seinem Wege; die Reiterei der Kelten, die einzige Waffe, mit der Vercingetorix operieren mochte, griff unterwegs ihn an, zog aber zu aller Erstaunen den kürzeren gegen Caesars neue deutsche Schwadronen und die zu deren Rückhalt aufgestellte römische Infanterie. Vercingetorix eilte um so mehr, sich in Alesia einzuschließen; und wenn Caesar nicht überhaupt auf die Offensive verzichten wollte, blieb ihm nichts übrig, als zum drittenmal in diesem Feldzug gegen eine, unter einer wohlbesetzten und verproviantierten Festung gelagerte und mit ungeheuren Reitermassen versehene Armee mit einer weit schwächeren Angriffsweise vorzugehen. Allein, wenn den Kelten bisher nur ein Teil der römischen Legionen gegenübergestanden, so war in den Linien um Alesia Caesars ganze Streitmacht vereinigt und es gelang Vercingetorix nicht, wie es ihm bei Avaricum und Gergovia gelungen war, sein Fußvolk unter dem Schutz der Festungsmauern aufzustellen und durch seine Reiterei seine Verbindungen nach außen hin sich offen zu halten, während er die des Feindes unterbrach. Die keltische Reiterei, schon entmutigt durch jene von den geringgeschätzten Gegnern ihnen beigebrachte Niederlage, wurde von Caesars deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen. Die Umwallungslinie der Belagerer erhob sich in der Ausdehnung von zwei deutschen Meilen um die ganze Stadt mit Einschluß des an sie angelehnten Lagers. Auf einen Kampf unter den Mauern war Vercingetorix gefaßt gewesen, aber nicht darauf, in Alesia belagert zu werden - dazu genügten für seine angeblich 80000 Mann Infanterie und 15000 Reiter zählende Armee und die zahlreiche Stadtbewohnerschaft die aufgespeicherten Vorräte, wie ansehnlich sie waren, doch bei weitem nicht. Vercingetorix mußte sich überzeugen, daß sein Kriegsplan diesmal zu seinem eigenen Verderben ausgeschlagen und er verloren war, wofern nicht die gesamte Nation herbeieilte und ihren eingeschlossenen Feldherrn befreite. Noch reichten, als die römische Umwallung sich schloß, die vorhandenen Lebensmittel aus auf einen Monat und vielleicht etwas darüber; im letzten Augenblick, wo der Weg wenigstens für Berittene noch frei war, entließ Vercingetorix seine gesamte Reiterei und entsandte zugleich an die Häupter der Nation die Weisung, alle Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz von Alesia heranzuführen. Er selbst, entschlossen, die Verantwortung für den von ihm entworfenen und fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persönlich zu tragen, blieb in der Festung, um im Guten und Bösen das Schicksal der Seinigen zu teilen. Caesar aber machte sich gefaßt, zugleich zu belagern und belagert zu werden. Er richtete seine Umwallungslinie auch an der Außenseite zur Verteidigung ein und versah sich auf längere Zeit mit Lebensmitteln. Die Tage verflossen; schon hatte man in der Festung keinen Malter Getreide mehr, schon die unglücklichen Stadtbewohner austreiben müssen, um zwischen den Verschanzungen der Kelten und der Römer, an beiden unbarmherzig zurückgewiesen, elend umzukommen. Da, in der letzten Stunde, zeigten hinter Caesars Linien sich die unabsehbaren Züge des keltisch-belgischen Entsatzheeres, angeblich 250000 Mann zu Fuß und 8000 Reiter. Vom Kanal bis zu den Cevennen hatten die insurgierten Gaue jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten, den Feldherrn ihrer Wahl zu retten - einzig die Bellovaker hatten geantwortet, daß sie wohl gegen die Römer, aber nicht außerhalb der eigenen Grenzen zu fechten gesonnen seien. Der erste Sturm, der die Belagerten von Alesia und die Entsatztruppen draußen auf die römische Doppellinie unternahmen, ward abgeschlagen; aber als nach eintägiger Rast derselbe wiederholt ward, gelang es an einer Stelle, wo die Umwallungslinie über den Abhang eines Berges hinlief und von dessen Höhe herab angegriffen werden konnte, die Gräben zuzuschütten und die Verteidiger von dem Wall herunterzuwerfen. Da nahm Labienus, von Caesar hierher gesandt, die nächsten Kohorten zusammen und warf sich mit vier Legionen auf den Feind. Unter den Augen des Feldherrn, der selbst in dem gefährlichsten Augenblick erschien, wurden im verzweifelten Nahgefecht die Stürmenden zurückgejagt und die mit Caesar gekommenen, die Flüchtenden in den Rücken fassenden Reiterscharen vollendeten die Niederlage. Es war mehr als ein großer Sieg; über Alesia, ja über die keltische Nation war damit unwiderruflich entschieden. Das Keltenheer, völlig entmutigt, verlief unmittelbar vom Schlachtfeld sich nach Hause. Vercingetorix hätte vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des freien Mannes sich erretten können; er tat es nicht, sondern erklärte im Kriegsrat, daß, da es ihm nicht gelungen sei, die Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben und soweit möglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere lieferten ihren von der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roß und im vollen Waffenschmucke erschien der König der Arverner vor dem römischen Prokonsul und umritt dessen Tribunal; darauf gab er Roß und Waffen ab und ließ schweigend auf den Stufen zu Caesars Füßen sich nieder (702 52). Fünf Jahre später ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt geführt und als Hochverräter an der römischen Nation, während sein Überwinder den Göttern derselben den Feierdank auf der Höhe des Kapitols darbrachte, an dessen Fuß enthauptet. Wie nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch untergehenden Völkern wohl einen letzten großartigen Mann. Also steht am Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Nation von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix hat ebenwie der Karthager nicht bloß gegen den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor allem gegen die antinationale Opposition verletzter Egoisten und aufgestörter Feiglinge, wie sie die entartete Zivilisation regelmäßig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern daß er es vermocht hat, einer zerfahrenen und im Partikularismus verkommenen Nation in seiner Person einen Mittel- und Haltpunkt zu geben. Und doch gibt es wieder kaum einen schärferen Gegensatz als der ist zwischen dem nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kaufstadt mit seinen, auf das eine große Ziel hin fünfzig Jahre hindurch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plänen, und dem kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen gewaltige Taten zugleich mit seiner hochherzigen Aufopferung, ein kurzer Sommer einschließt. Das ganze Altertum kennt keinen ritterlicheren Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äußeren Erscheinung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es verschmähte, sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnlichen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als daß die Nation sich öffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten Atemzug ihren weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren Zwingherrn nannte. Wie so ganz anders hat in den gleichen Lagen Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich, ohne geschichtliche und menschliche Teilnahme von dem edlen Arvernerkönig zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der keltischen Nation, daß ihr größter Mann doch nur ein Ritter war.

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^21 Die kürzlich viel erörterte Frage, ob Alesia nicht vielmehr in Alaise (25 Kilometer südlich von Besançon, Dep. Doubs) zu erkennen sei, ist von allen besonnenen Forschern mit Recht verneint worden.

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Der Fall von Alesia und die Kapitulation der daselbst eingeschlossenen Armee war für die keltische Insurrektion ein furchtbarer Schlag; indes es hatten schon ebensoschwere die Nation betroffen und doch war der Kampf wieder erneuert worden. Aber Vercingetorix’ Verlust war unersetzlich. Mit ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, daß die Insurrektion einen Versuch machte, die Gesamtverteidigung fortzusetzen und einen anderen Oberfeldherrn zu bestellen; der Patriotenbund fiel von selbst auseinander und jedem Clan blieb es überlassen, wie es ihm beliebte, mit den Römern zu streiten oder auch sich zu vertragen. Natürlich überwog durchgängig das Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran, rasch zu Ende zu kommen. Von den zehn Jahren seiner Statthalterschaft waren sieben verstrichen. Das letzte aber durch seine politischen Gegner in der Hauptstadt ihm in Frage gestellt; nur auf zwei Sommer noch konnte er mit einiger Sicherheit rechnen und wenn sein Interesse wie seine Ehre verlangte, daß er die neu gewonnenen Landschaften seinem Nachfolger in einem leidlichen und einigermaßen beruhigten Friedensstand übergab, so war, um einen solchen herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben war in diesem Falle noch mehr als für die Besiegten Bedürfnis für den Sieger; und er durfte seinen Stern preisen, daß die innere Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf halbem Wege entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten mittelgallischen Kantons, dem der Häduer und dem der Arverner, eine starke römisch gesinnte Partei bestand, wurde den Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollständige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom gewährt und selbst ihre Gefangenen, 20000 an der Zahl, ohne Lösegeld entlassen, während die der übrigen Clans in die harte Knechtschaft der siegreichen Legionäre kamen. Wie die Häduer und die Arverner ergab sich überhaupt der größere Teil der gallischen Distrikte in sein Schicksal und ließ ohne weitere Gegenwehr die unvermeidlichen Strafgerichte über sich ergehen. Aber nicht wenige harrten auch in törichtem Leichtsinn oder dumpfer Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die römischen Exekutionstruppen innerhalb ihrer Grenzen erschienen. Solche Expeditionen wurden noch im Winter 702/03 (52/51) gegen die Biturigen und die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten die Bellovaker, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich ausgeschlossen hatten; sie schienen beweisen zu wollen, daß sie an jenem entscheidenden Tage wenigstens nicht aus Mangel an Mut und an Freiheitsliebe gefehlt hatten. Es beteiligten sich an diesem Kampfe die Atrebaten, Ambianer, Caleten und andere belgische Gaue; der tapfere König der Atrebaten, Commius, dem die Römer seinen Beitritt zur Insurrektion am wenigsten verziehen und gegen den kürzlich Labienus sogar einen widerwärtig tückischen Mordversuch gerichtet hatte, führte den Bellovakern 500 deutsche Reiter zu, deren Wert der vorjährige Feldzug hatte kennen lehren. Der entschlossene und talentvolle Bellovaker Correus, dem die oberste Leitung des Krieges zugefallen war, führte den Krieg, wie Vercingetorix ihn geführt hatte, und mit nicht geringem Erfolg; Caesar, obwohl er nach und nach den größten Teil seines Heeres heranzog, konnte das Fußvolk der Bellovaker weder zum Schlagen bringen noch auch nur dasselbe verhindern, andere, gegen Caesars verstärkte Streitmacht besseren Schutz gewährende Stellungen einzunehmen; die römischen Reiter aber, namentlich die keltischen Kontingente, erlitten in verschiedenen Gefechten durch die feindliche Reiterei, besonders die deutsche des Commius, die empfindlichsten Verluste. Allein nachdem in einem Scharmützel mit den römischen Fouragierern Correus den Tod gefunden, war der Widerstand auch hier gebrochen; der Sieger stellte erträgliche Bedingungen, auf die hin die Bellovaker nebst ihren Verbündeten sich unterwarfen. Die Treuerer wurden durch Labienus zum Gehorsam zurückgebracht und beiläufig das Gebiet der verfemten Eburonen noch einmal durchzogen und verwüstet. Also ward der letzte Widerstand der belgischen Eidgenossenschaft gebrochen. Noch einen Versuch, der Römerherrschaft sich zu erwehren, machten die Seegaue in Verbindung mit ihren Nachbarn an der Loire. Insurgentenscharen aus dem andischen, dem carnutischen und anderen umliegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und belagerten in Lemonum (Poitiers) den römisch gesinnten Fürsten der Pictonen. Allein bald trat auch hier eine ansehnliche römische Macht ihnen entgegen; die Insurgenten gaben die Belagerung auf und zogen ab, um die Loire zwischen sich und den Feind zu bringen, wurden aber auf dem Marsche dahin eingeholt und geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen aufständischen Kantons, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung einsandten. Der Widerstand war zu Ende; kaum daß ein einzelner Freischarenführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt. Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte Lucterius sammelten nach der Auflösung der an der Loire vereinigten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit diesen in die feste Bergstadt Uxellodunum am Lot ^22, die ihnen unter schweren und verlustvollen Gefechten ausreichend zu verproviantieren gelang. Trotz des Verlustes ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucterius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das äußerste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten, mittels unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung, die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu kennzeichnen, befahl Caesar, der gesamten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen jeden in seine Heimat, zu entlassen. Dem König Commius, der noch in der Gegend von Arras sich hielt und daselbst bis in den Winter 703/04 (51/50) mit den römischen Truppen sich herumschlug, gestattete Caesar, dem alles daran lag, in ganz Gallien wenigstens dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, seinen Frieden zu machen und ließ es sogar hingehen, daß der erbitterte und mit Recht mißtrauische Mann trotzig sich weigerte, persönlich im römischen Lager zu erscheinen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer zugänglichen Distrikten im Nordwesten wie im Nordosten Galliens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar schon mit der faktischen Waffenruhe sich genügen ließ ^23.

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^22 Man sucht dies gewöhnlich bei Capdenac unweit Figeac; F. W. A. Göler hat sich neuerlich für das auch früher schon in Vorschlag gebrachte Luzech westlich von Cahors erklärt.

^23 Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicherweise nicht geschrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung macht Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere Beweise ergeben die Münzen.

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Also ward Gallien, das heißt das Land westlich vom Rhein und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen (696 bis 703 58-51) den Römern untertänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Beruhigung des Landes, zu Anfang des Jahres 705 (49), mußten die römischen Truppen infolge des nun endlich in Italien ausgebrochenen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabteilungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen alten Provinzen des Reichs gegen Caesar gestritten ward, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fortwährend botmäßig. Auch die Deutschen haben ihre Versuche, auf dem linken Rheinufer sich erobernd festzusetzen, während dieser entscheidenden Jahre nicht wiederholt. Ebensowenig kam es in Gallien während der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrektion oder deutschen Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten. Wenn ja irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 (46) die Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewegungen so vereinzelt und so außer Zusammenhang mit den Verwicklungen in Italien, daß sie ohne wesentliche Schwierigkeit von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, daß man den entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durchdrungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistrikten, der Pyrenäengegend, vorläufig gestattete, sich in mehr oder minder bestimmter Weise der römischen Botmäßigkeit tatsächlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen, zunächst noch dringenderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur notdürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, sowohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Unterwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im wesentlichen als haltbar.

In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des Narbonensischen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig mit der Provinz Narbo vereinigt; erst als Caesar dieses Amt abgab (710 44), wurden aus dem von ihm eroberten Gebiet zwei neue Statthalterschaften, das eigentliche Gallien und Belgica, gebildet. Daß die einzelnen Gaue ihre politische Selbständigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen Gemeinde steuerpflichtig. Ihr Steuersystem indes war natürlich nicht dasjenige, mittels dessen die adlige und finanzielle Aristokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien geschah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein für allemal bestimmte Abgabe auferlegt und deren Erhebung ihr selbst überlassen. Auf diesem Wege flossen jährlich 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) aus Gallien in die Kassen der römischen Regierung, die dafür freilich die Kosten der Verteidigung der Rheingrenze übernahm. Daß außerdem die in den Tempeln der Götter und den Schatzkammern der Großen aufgehäuften Goldmassen infolge des Krieges ihren Weg nach Rom fanden, versteht sich von selbst; wenn Caesar im ganzen Römischen Reich sein gallisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den Geldmarkt brachte, daß das Gold gegen Silber um 25 Prozent fiel, so läßt dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg eingebüßt hat.

Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erbkönigen oder ihren feudal-oligarchischen Vorstandschaften blieben auch nach der Eroberung im wesentlichen bestehen, und selbst das Klientelsystem, das einzelne Kantons von anderen, mächtigeren abhängig machte, ward nicht abgeschafft, obwohl freilich mit dem Verlust der staatlichen Selbständigkeit ihm die Spitze abgebrochen war; Caesar war nur darauf bedacht, unter Benutzung der bestehenden dynastischen, feudalistischen und hegemonischen Spaltungen die Verhältnisse im Interesse Roms zu ordnen und überall die der Fremdherrschaft genehmen Männer an die Spitze zu bringen. Überhaupt sparte Caesar keine Mühe, um in Gallien eine römische Partei zu bilden; seinen Anhängern wurden ausgedehnte Belohnungen an Geld und besonders an konfiszierten Landgütern bewilligt und ihnen durch seinen Einfluß Plätze im Gemeinderat und die ersten Gemeindeämter in ihren Gauen verschafft. Diejenigen Gaue, in denen eine hinreichend starke und zuverlässige römische Partei bestand, wie die der Remer, der Lingonen, der Häduer, wurden durch Erteilung einer freieren Kommunalverfassung - des sogenannten Bündnisrechts - und durch Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens gefördert. Den Nationalkult und dessen Priester scheint Caesar von Anfang an soweit irgend möglich geschont zu haben; von Maßregeln, wie sie in späterer Zeit von den römischen Machthabern gegen das Druidenwesen ergriffen wurden, findet bei ihm sich keine Spur, und wahrscheinlich damit hängt es zusammen, daß seine gallischen Kriege, soviel wir sehen, den Charakter des Religionskrieges durchaus nicht in der Art tragen, wie er bei den britannischen später so bestimmt hervortritt.

Wenn Caesar also der besiegten Nation jede zulässige Rücksicht bewies und ihre nationalen, politischen und religiösen Institutionen soweit schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich vertrug, so geschah dies nicht, um auf den Grundgedanken seiner Eroberung, die Romanisierung Galliens, zu verzichten, sondern um denselben in möglichst schonender Weise zu verwirklichen. Auch begnügte er sich nicht, dieselben Verhältnisse, die die Südprovinz bereits großenteils romanisiert hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls tun zu lassen, sondern er förderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemäße Entwicklung und tat dazu, die immer peinliche Übergangszeit möglichst zu verkürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vornehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner vielleicht schon in den römischen Senat, so ist wahrscheinlich Caesar es gewesen, der in Gallien auch innerhalb der einzelnen Gaue als offizielle Sprache anstatt der einheimischen die lateinische, wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, daß die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vorbehalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen und nur zur Zirkulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch nach römischem Fuß geschlagen werden sollte. Man mag lächeln über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmäßig sich beflissen ^24; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine größere Zukunft als in dem korrekten, hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Caesar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte des Gaues sowie die Gemeinderäte in ihr schärfer hervortreten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahrscheinlich der Fall war. Wie wünschenswert in militärischer wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre, als Stützpunkte der neuen Herrschaft und Ausgangspunkte der neuen Zivilisation eine Reihe transalpinischer Kolonien zu begründen, mochte niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansiedlung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum und auf die der Boier im Häduergau, welche letztere Niederlassung in dem Krieg gegen Vercingetorix schon völlig die Dienste einer römischen Kolonie tat, so war die Ursache nur die, daß seine weiteren Pläne ihm noch nicht gestatteten, seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die Hand zu geben. Was er in späteren Jahren für die altrömische Provinz in dieser Beziehung getan, wird seines Orts dargelegt werden; es ist wahrscheinlich, daß nur die Zeit ihm gemangelt hat, um das gleiche auch auf die von ihm neu unterworfenen Landschaften zu erstrecken.

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^24 So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Lisieux, Dep. Calvados) schlagen ließ, folgende Aufschrift: Cisiambos Cattos vercobreto; simissos (so) publicos Lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.

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Mit der keltischen Nation war es zu Ende. Ihre politische Auflösung war durch Caesar eine vollendete Tatsache geworden, ihre nationale eingeleitet und im regelmäßigen Fortschreiten begriffen. Es war dies kein zufälliges Verderben, wie das Verhängnis es auch entwicklungsfähigen Völkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine selbstverschuldete und gewissermaßen geschichtlich notwendige Katastrophe. Schon der Verlauf des letzten Krieges beweist dies, mag man ihn nun im ganzen oder im einzelnen betrachten. Als die Fremdherrschaft gegründet werden sollte, leisteten ihr nur einzelne, noch dazu meistens deutsche oder halbdeutsche Landschaften energischen Widerstand. Als die Fremdherrschaft gegründet war, wurden die Versuche, sie abzuschütteln, entweder ganz kopflos unternommen, oder sie waren mehr als billig das Werk einzelner hervorragender Adliger und darum mit dem Tod oder der Gefangennahme eines Indutiomarus, Camulogenus, Vercingetorix, Correus sogleich und völlig zu Ende. Der Belagerungs- und der kleine Krieg, in denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der Volkskriege entfaltet, waren und blieben in diesem keltischen von charakteristischer Erbärmlichkeit. Jedes Blatt der keltischen Geschichte bestätigt das strenge Wort eines der wenigen Römer, die es verstanden, die sogenannten Barbaren nicht zu verachten, daß die Kelten dreist die künftige Gefahr herausfordern, vor der gegenwärtigen aber der Mut ihnen entsinkt. In dem gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte, der alle nicht gleich dem Stahl harten und gleich dem Stahl geschmeidigen Völker unerbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation auf die Länge sich nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des Festlandes dasselbe Schicksal von den Römern, das ihre Stammgenossen auf der irischen Insel bis in unsere Tage hinein von den Sachsen erleiden: das Schicksal, als Gärungsstoff künftiger Entwicklung aufzugehen in eine staatlich überlegene Nationalität. Im Begriff, von der merkwürdigen Nation zu scheiden, mag es gestattet sein, noch daran zu erinnern, daß in den Berichten der Alten über die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charakteristischen Züge vermißt wird, an denen wir gewohnt sind, Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Lässigkeit in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen; die Prahlhansigkeit - wir erinnern an jenes in dem heiligen Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorgfältig zu schonen befahl; die Rede voll von Vergleichen und Hyperbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige Humor - ein vorzügliches Beispiel davon ist die Satzung, daß, wenn jemand einem öffentlich Redenden ins Wort fällt, dem Störenfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch in den Rock geschnitten wird; die innige Freude am Singen und Sagen von den Taten der Vorzeit und die entschiedenste Redner- und Dichtergabe; die Neugier - kein Kaufmann wird durchgelassen, bevor er auf offener Straße erzählt hat, was er an Neuigkeiten weiß oder nicht weiß - und die tolle Leichtgläubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weshalb in den besser geordneten Kantons den Wandersleuten bei strenger Strafe verboten war, unbeglaubigte Berichte andern als Gemeindebeamten mitzuteilen; die kindliche Frömmigkeit, die in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rat fragt; die unübertroffene Innigkeit des Nationalgefühls und das fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit, unter dem ersten besten Führer sich aufzulehnen und Banden zu bilden, daneben aber die völlige Unfähigkeit, den sicheren, von Übermut wie von Kleinmut entfernten Mut sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwarten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgendeiner Organisation, zu irgend fester militärischer oder politischer Disziplin zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische, schwachmütige und innige, neugierige, leichtgläubige, liebenswürdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauchbare Nation, und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und überall dasselbe gewesen.

Aber daß dieses große Volk durch Caesars transalpinische Kriege zugrunde ging, ist noch nicht das bedeutendste Ergebnis dieses großartigen Unternehmens; weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es leidet kaum einen Zweifel, daß, wenn das Senatsregiment sein Scheinleben noch einige Menschenalter länger gefristet hätte, die sogenannte Völkerwanderung vierhundert Jahre früher eingetreten sein würde, als sie eingetreten ist, und eingetreten sein würde zu einer Zeit, wo die italische Zivilisation sich weder in Gallien noch an der Donau noch in Afrika und Spanien häuslich niedergelassen hatte. Indem der große Feldherr und Staatsmann Roms mit sicherem Blick in den deutschen Stämmen den ebenbürtigen Feind der römisch-griechischen Welt erkannte; indem er das neue System offensiver Verteidigung mit fester Hand selbst bis ins einzelne hinein begründete und die Reichsgrenzen durch Flüsse oder künstliche Wälle verteidigen, längs der Grenze die nächsten Barbarenstämme zur Abwehr der entfernteren kolonisieren, das römische Heer durch geworbene Leute aus den feindlichen Ländern rekrutieren lehrte, gewann er der hellenisch-italischen Kultur die nötige Frist, um den Westen ebenso zu zivilisieren, wie der Osten bereits von ihr zivilisiert war. Gewöhnliche Menschen schauen die Früchte ihres Tuns; der Same, den geniale Naturen streuen, geht langsam auf. Es dauerte Jahrhunderte, bis man begriff, daß Alexander nicht bloß ein ephemeres Königreich im Osten errichtet, sondern den Hellenismus nach Asien getragen habe; wieder Jahrhunderte, bis man begriff, daß Caesar nicht bloß den Römern eine neue Provinz erobert, sondern die Romanisierung der westlichen Landschaften begründet habe. Auch von jenen militärisch leichtsinnigen und zunächst erfolglosen Zügen nach England und Deutschland haben erst die späten Nachfahren den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Völkerkreis, von dessen Dasein und Zuständen bis dahin kaum der Schiffer und der Kaufmann einige Wahrheit und viele Dichtung berichtet hatten, ward durch sie der römisch-griechischen Welt aufgeschlossen. “Täglich”, heißt es in einer römischen Schrift vom Mai 698 (56), “melden die gallischen Briefe und Botschaften uns bisher unbekannte Namen von Völkern, Gauen und Landschaften”. Diese Erweiterung des geschichtlichen Horizonts durch Caesars Züge jenseits der Alpen war ein weltgeschichtliches Ereignis, so gut wie die Erkundung Amerikas durch europäische Scharen. Zu dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten die mittel- und nordeuropäischen Völker, die Anwohner der Ost- und der Nordsee hinzu, zu der alten Welt eine neue, die fortan durch jene mitbestimmt ward und sie mitbestimmte. Es hat nicht viel gefehlt, daß bereits von Ariovist das durchgeführt ward, was später dem gotischen Theoderich gelang. Wäre dies geschehen, so würde unsere Zivilisation zu der römisch-griechischen schwerlich in einem innerlicheren Verhältnis stehen als zu der indischen und assyrischen Kultur. Daß von Hellas und Italien vergangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Weltgeschichte eine Brücke hinüberführt, daß Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist, daß die Namen Themistokles und Scipio für uns einen anderen Klang haben, als Asoka und Salmanassar, daß Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den literarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns blühen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schöpfung seines großen Vorgängers im Osten von den Sturmfluten des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwerpunkt der Zivilisation selbst ihm verschoben haben, und für das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht.

Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig, einen Blick auf die Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen und der griechischen Halbinsel, von den Rheinquellen bis zum Schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völkergetümmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind, wie der schwache Schimmer in tiefer Finsternis, mehr geeignet zu verwirren als aufzuklären. Indes es ist die Pflicht des Geschichtschreibers, auch die Lücken in dem Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht verschmähen, neben Caesars großartigem Verteidigungssystem der dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Senats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermeinten.

Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor den Angriffen der alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 (59) bei Aquileia lagernde starke römische Heer und der Triumph des Statthalters des Cisalpinischen Galliens, Lucius Afranius, lassen schließen, daß um diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, daß wir bald darauf die Römer in näherer Verbindung mit einem König der Noriker finden. Daß aber auch nachher Italien durchaus von dieser Seite nicht gesichert war, bewies der Überfall der blühenden Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im Jahre 702 (52), als die transalpinische Insurrektion Caesar genötigt hatte, Oberitalien ganz von Truppen zu entblößen.

Auch die unruhigen Völker, die den illyrischen Küstenstrich innehatten, machten ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Dalmater, schon früher das ansehnlichste Volk dieser Gegend, vergrößerten durch Aufnahme der Nachbarn in ihren Verband sich so ansehnlich, daß die Zahl ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig stieg. Als sie die Stadt Promona (nicht weit vom Kerkafluß), die sie den Liburniern entrissen hatten, diesen wiederherauszugeben sich weigerten, ließ Caesar nach der Pharsalischen Schlacht gegen sie marschieren; aber die Römer zogen hierbei zunächst den kürzeren, und infolgedessen ward Dalmatien für einige Zeit ein Herd der Caesar feindlichen Partei und wurde hier den Feldherren Caesars von den Einwohnern, in Verbindung mit den Pompeianern und mit den Seeräubern, zu Lande und zu Wasser energischer Widerstand geleistet.

Makedonien endlich nebst Epirus und Hellas war so verödet und heruntergekommen wie kaum ein anderer Teil des Römischen Reiches. Dyrrhachion, Thessalonike, Byzantion hatten noch einigen Handel und Verkehr; Athen zog durch seinen Namen und seine Philosophenschule die Reisenden und die Studenten an; im ganzen aber lag über Hellas’ einst volkreichen Städten und menschenwimmelnden Häfen die Ruhe des Grabes. Aber wenn die Griechen sich nicht regten, so setzten dagegen die Bewohner der schwer zugänglichen makedonischen Gebirge nach alter Weise ihre Raubzüge und Fehden fort, wie denn zum Beispiel um 697/98 (57/56) Agräer und Doloper die ätolischen Städte, im Jahre 700 (54) die in den Drintälern wohnenden Pirusten das südliche Illyrien überrannten. Ebenso hielten es die Anwohner. Die Dardaner an der Nordgrenze wie die Thraker im Osten waren zwar in den achtjährigen Kämpfen 676 bis 683 (78-71) von den Römern gedemütigt worden; der mächtigste unter den thrakischen Fürsten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys, ward seitdem den römischen Klientelkönigen beigezählt. Allein nichtsdestoweniger hatte das befriedete Land nach wie vor von Norden und Osten her Einfälle zu leiden. Der Statthalter Gaius Antonius ward übel heimgeschickt, sowohl von den Dardanern, als auch von den in der heutigen Dobrudscha ansässigen Stämmen, welche mit Hilfe der vom linken Donauufer herbeigezogenen, gefürchteten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere unweit Kustendsche) eine bedeutende Niederlage beibrachten (692-693 62-61). Glücklicher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker (694 60). Dagegen machte Marcus Piso (697-698 57-56) wiederum als Oberfeldherr sehr schlechte Geschäfte, was auch kein Wunder war, da er um Geld Freunden und Feinden gewährte, was sie wünschten. Die thrakischen Dentheleten (am Strymon) plünderten unter seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten auf der großen, von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden römischen Heerstraße selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich darauf gefaßt, von ihnen eine Belagerung auszuhalten, während die starke römische Armee in der Provinz nur da zu sein schien, um zuzusehen, wie die Bergbewohner und die Nachbarvölker die friedlichen Untertanen Roms brandschatzten.

Dergleichen Angriffe konnten freilich Roms Macht nicht gefährden, und auf eine Schande mehr kam es längst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseits der Donau, in den weiten dakischen Steppen, ein Volk sich staatlich zu konsolidieren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zalmoxis genannt, der, nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der ägyptischen Priester und der griechischen Pythagoreer ergründet hatte, in seine Heimat zurückgekommen war, um in einer Höhle des ‘Heiligen Berges’ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschließen. Nur dem König und dessen Dienern blieb er zugänglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel für jedes wichtige Beginnen. Seinen Landsleuten galt er anfangs als Priester des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich wie es von Moses und Aaron heißt, daß der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden: von Rechts wegen stand dem König der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der König befahl. Diese eigentümliche Verfassung, in der die theokratische Idee der, wie es scheint, absoluten Königsgewalt dienstbar geworden war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren Untertanen gegenüber gegeben haben, wie etwa die Kalifen sie gegenüber den Arabern haben; und eine Folge davon war die wunderbare religiös-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der König der Geten, Burebistas, und der Gott, Dekäneos, durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich und staatlich gänzlich heruntergekommene Volk ward durch das neue Mäßigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen sozusagen puritanisch disziplinierten und begeisterten Scharen gründete König Burebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich ausbreitete und südwärts bis tief in Thrakien, Illyrien und das nordische Land hinein reichte. Eine unmittelbare Berührung mit den Römern hatte noch nicht stattgefunden, und es konnte niemand sagen, was aus diesem sonderbaren, an die Anfänge des Islam erinnernden Staat werden möge; das aber mochte man, auch ohne Prophet zu sein, vorherzusagen, daß Prokonsuln wie Antonius und Piso nicht berufen waren, mit Göttern zu streiten.

KAPITEL VIII.
Pompeius’ und Caesars Gesamtherrschaft

Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars Konsulat sozusagen offiziell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des Gemeinwesens, als die regierenden “Dreimänner” anerkannt waren, nahm der öffentlichen Meinung zufolge durchaus die erste Stelle Pompeius ein. Er war es, der den Optimaten der “Privatdiktator” hieß; vor ihm tat Cicero seinen vergeblichen Fußfall; ihm galten die schärfsten Sarkasmen in den Mauerplakaten des Bibulus, die giftigsten Pfeile in den Salonreden der Opposition. Es war dies nur in der Ordnung. Nach den vorliegenden Tatsachen war Pompeius unbestritten der erste Feldherr seiner Zeit, Caesar ein gewandter Parteiführer und Parteiredner, von unleugbaren Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja weibischem Naturell. Diese Urteile waren seit langem geläufig; man konnte es von dem vornehmen Pöbel nicht erwarten, daß er um das Wesen der Dinge sich kümmere und einmal festgestellte Plattheiten wegen obskurer Heldentaten am Tajo aufgebe. Offenbar spielte Caesar in dem Bunde nur die Rolle des Adjutanten, der das für seinen Chef ausführte, was Flavius, Afranius und andere, weniger fähige Werkzeuge versucht und nicht geleistet hatten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies Verhältnis nicht zu ändern. Eine sehr ähnliche Stellung hatte erst kürzlich Afranius eingenommen, ohne darum etwas Besonderes zu bedeuten; mehrere Provinzen zugleich waren in den letzten Jahren wiederholentlich einem Statthalter untergeben und schon oft weit mehr als vier Legionen in einer Hand vereinigt gewesen; da es jenseits der Alpen wieder ruhig und Fürst Ariovist von den Römern als Freund und Nachbar anerkannt war, so war auch keine Aussicht zur Führung eines irgend ins Gewicht fallenden Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pompeius durch das Gabinisch-Manilische, Caesar durch das Vatinische Gesetz erhalten hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars Vorteil aus. Pompeius gebot fast über das gesamte Römische Reich, Caesar über zwei Provinzen. Pompeius standen die Soldaten und die Kassen des Staats beinahe unbeschränkt zur Verfügung, Caesar nur die ihm angewiesenen Summen und ein Heer von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben, den Zeitpunkt seines Rücktritts selber zu bestimmen; Caesars Kommando war ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte Frist gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Unternehmungen zur See und zu Lande betraut worden; Caesar ward nach Norden gesandt, um von Oberitalien aus die Hauptstadt zu überwachen und dafür zu sorgen, daß Pompeius ungestört sie beherrsche.

Aber als Pompeius von der Koalition zum Beherrscher der Hauptstadt bestellt ward, übernahm er, was über seine Kräfte weit hinausging. Pompeius verstand vom Herrschen nichts weiter, als was sich zusammenfassen läßt in Parole und Kommando. Die Wellen des hauptstädtischen Treibens gingen hohl, zugleich von vergangenen und von zukünftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in jeder Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren, war unendlich schwer, für jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten aber geradezu unlösbar. Sehr bald war er so weit, daß Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen konnten, was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die Straßen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch eine Art nominellen Regiments zustand, ließ die Dinge in der Hauptstadt gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Teil, weil der von der Koalition beherrschten Fraktion dieser Körperschaft die Instruktionen der Machthaber fehlten, zum Teil, weil die grollende Opposition aus Gleichgültigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsächlich aber, weil die gesamte hochadlige Körperschaft ihre vollständige Ohnmacht wo nicht zu begreifen, doch zu fühlen begann. Augenblicklich also gab es in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgendwelcher Regierung, nirgends eine wirkliche Autorität. Man lebte im Interregnum zwischen dem zertrümmerten aristokratischen und dem werdenden militärischen Regiment; und wenn das römische Gemeinwesen wie kein anderes alter oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm auch die politische Desorganisation, die Anarchie, in einer nicht beneidenswerten Schärfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk für die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken aufgeführt ward, die jemals über die Bretter der Weltgeschichte gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern schloß sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige, halb abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im Chor. Der Teil der Bürgerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen lagen, war des wüsten Treibens übersatt; aber völlig führer- und ratlos verharrte er in nichtiger Passivität und mied nicht bloß jede politische Tätigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom selbst. Dagegen: das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie lustigere Tummelplätze gehabt. Die Zahl der kleinen großen Männer war Legion. Die Demagogie ward völlig zum Handwerk, dem denn auch das Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte Bart, das langflatternde Haar, die tiefe Baßstimme; und nicht selten war es ein Handwerk mit goldenem Boden. Für die stehenden Brüllaktionen waren die geprüften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel ^1; Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den öffentlichen Versammlungen die regelmäßigsten Besucher und die lautesten Schreier; selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand häufig nur der kleinere Teil der Stimmenden aus verfassungsmäßig stimmberechtigten Bürgern. “Nächstens”, heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, “können wir erwarten, daß unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren.” Die eigentlichen Mächte des Tages waren die geschlossenen und bewaffneten Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten Sklaven und Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber hatten von Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezählt; aber seit Caesars Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein sie zu lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin entwichen und jeder Parteigänger machte Politik auf seine eigene Hand. Am liebsten fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem Panier der Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen des Senats oder den eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius nacheinander für die herrschende Demokratie, für den Senat und für Crassus gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die Bandenführer nur insofern, als sie ihre persönlichen Feinde, wie Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten, wogegen die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen Personenfehden diente. Man könnte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es liegt auch nichts daran, all die Mordtaten, Häuserbelagerungen, Brandstiftungen und sonstigen Räuberszenen inmitten einer Weltstadt aufzuzählen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen und Schwerterzücken durchgemacht ward. Der Protagonist auf diesem politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius, dessen, wie schon erwähnt ward, die Machthaber sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich selbst überlassen, trieb dieser einflußreiche, talentvolle, energische und in seinem Metier in der Tat musterhafte Parteigänger während seines Volkstribunats (696 58) ultrademokratische Politik, gab den Städtern das Getreide umsonst, beschränkte das Recht der Zensoren, sittenlose Bürger zu bemäkeln, untersagte den Beamten, durch religiöse Formalitäten den Gang der Komitialmaschine zu hemmen, beseitigte die Schranken, die kurz zuvor (690 64), um dem Bandenwesen zu steuern, dem Assoziationsrecht der niederen Klassen gesetzt worden waren, und stellte die damals aufgehobenen “Straßenklubs” (collegia compitalicia) wieder her, welche nichts anderes waren als eine förmliche, nach den Gassen abgeteilte und fast militärisch gegliederte Organisation des gesamten hauptstädtischen Freien- oder Sklavenproletariats. Wenn dazu noch das weitere Gesetz, das Clodius ebenfalls bereits entworfen hatte und als Prätor 702 (52) einzubringen gedachte, den Freigelassenen und den im tatsächlichen Besitz der Freiheit lebenden Sklaven die gleichen politischen Rechte mit den Freigeborenen gab, so konnte der Urheber all dieser tapferen Verfassungsbesserungen sein Werk für vollendet erklären und als neuer Numa der Freiheit und Gleichheit den süßen Pöbel der Hauptstadt einladen, in dem auf einer seiner Brandstätten am Palatin von ihm errichteten Tempel der Freiheit ihn zur Feier des eingetretenen demokratischen Millenniums das Hochamt zelebrieren zu sehen. Natürlich schlossen diese Freiheitsbestrebungen den Schacher mit Bürgerschaftsbeschlüssen nicht aus; wie Caesar hielt auch Caesars Affe für seine Mitbürger Statthalterschaften und andere Posten und Pöstchen, für die untertänigen Könige und Städte die Herrlichkeitsrechte des Staates feil.

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^1 Das heißt cantorum convicio contiones celebrare (Cic. Sest. 55, 118).

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All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich kompromittierte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so dreist, daß er über eine ganz gleichgültige Frage, die Rücksendung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten von Rom geradezu anband; und bald ward der Zwist zur förmlichen Fehde, in der Pompeius’ völlige Hilflosigkeit zu Tage kam. Das Haupt des Staates wußte dem Parteigänger nichts anders zu begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen schikaniert worden, so ärgerte er ihn wieder, indem er den von Clodius über alles gehaßten Cicero aus dem Exil erlöste, in das ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gründlich seinen Zweck, daß er den Gegner in einen unversöhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden die Straßen unsicher machte, so ließ der siegreiche Feldherr gleichfalls Sklaven und Fechter marschieren, in welchen Balgereien natürlich der General gegen den Demagogen den kürzeren zog, auf der Straße geschlagen, und von Clodius und dessen Spießgesellen Gaius Cato in seinem Garten fast beständig in Belagerung gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwürdige Zug in diesem merkwürdigen Schauspiel, daß in ihrem Hader der Regent und der Schwindler beide wetteifernd um die Gunst der gestürzten Regierung buhlten, Pompeius, zum Teil auch, um dem Senat gefällig zu sein, Ciceros Zurückberufung zuließ, Clodius dagegen die Julischen Gesetze für nichtig erklärte und Marcus Bibulus aufrief, deren verfassungswidrige Durchbringung öffentlich zu bezeugen!

Ein positives Resultat konnte natürlicherweise aus diesem Brodel trüber Leidenschaften nicht hervorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine bis zum Gräßlichen lächerliche Zwecklosigkeit. Selbst ein Mann von Caesars Genialität hatte es erfahren müssen, daß das demokratische Treiben vollständig abgenutzt war und sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Es war nichts weiter als ein geschichtlicher Lückenbüßer, wenn jetzt, in dem Interregnum zwischen Republik und Monarchie, irgendein toller Geselle mit des Propheten Mantel und Stab, die Caesar selbst abgelegt hatte, sich noch einmal staffierte und noch einmal Gaius Gracchus’ große Ideale parodisch verzerrt über die Szene gingen; die sogenannte Partei, von der diese demokratische Agitation ausging, war so wenig eine, daß ihr später in dem Entscheidungskampf nicht einmal eine Rolle zufiel. Selbst das läßt sich nicht behaupten, daß durch diesen anarchistischen Zustand das Verlangen nach einer starken, auf Militärmacht gegründeten Regierung in den Gemütern der politisch indifferent Gesinnten lebendig angefacht worden sei. Auch abgesehen davon, daß diese neutrale Bürgerschaft hauptsächlich außerhalb Roms zu suchen war und also von dem hauptstädtischen Krawallieren nicht unmittelbar berührt ward, so waren diejenigen Gemüter, die überhaupt durch solche Motive sich bestimmen ließen, schon durch frühere Erfahrungen, namentlich die Catilinarische Verschwörung, gründlich zum Autoritätsprinzip bekehrt worden; auf die eigentlichen Ängsterlinge aber wirkte die Furcht vor der von dem Verfassungsumsturz unzertrennlichen, ungeheuren Krise bei weitem nachdrücklicher als die Furcht vor der bloßen Fortdauer der im Grunde doch sehr oberflächlichen hauptstädtischen Anarchie. Das einzige Ergebnis derselben, das geschichtlich in Anschlag kommt, ist die peinliche Stellung, in die Pompeius durch die Angriffe der Clodianer geriet und durch die seine weiteren Schritte wesentlich mitbedingt wurden.

Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand, so ward er doch diesmal durch die Veränderung seiner Stellung sowohl Clodius als Caesar gegenüber gezwungen, aus seiner bisherigen Passivität herauszutreten. Die verdrießliche und schimpfliche Lage, in die ihn Clodius versetzt hatte, mußte auf die Länge selbst seine träge Natur zu Haß und Zorn entflammen. Aber weit wichtiger war die Verwandlung, die in seinem Verhältnis zu Caesar stattgefunden hatte. Wenn von den beiden verbündeten Machthabern Pompeius in der übernommenen Tätigkeit vollkommen bankrott geworden war, so hatte Caesar aus seiner Kompetenz etwas zu machen gewußt, was jede Berechnung wie jede Befürchtung weit hinter sich ließ. Ohne wegen der Erlaubnis viel anzufragen, hatte Caesar durch Aushebungen in seiner großenteils von römischen Bürgern bewohnten südlichen Provinz sein Heer verdoppelt, hatte mit diesem, statt von Norditalien aus über Rom Wache zu halten, die Alpen überschritten, eine neue kimbrische Invasion im Beginn erstickt und binnen zwei Jahren (696, 697 58, 57) die römischen Waffen bis an den Rhein und den Kanal getragen. Solchen Tatsachen gegenüber ging selbst der aristokratischen Taktik des Ignorierens und Verkleinerns der Atem aus. Der oft als Zärtling Verhöhnte war jetzt der Abgott der Armee, der gefeierte sieggekrönte Held, dessen junge Lorbeeren die welken des Pompeius überglänzten und dem sogar der Senat die nach glücklichen Feldzügen üblichen Ehrenbezeigungen schon 697 (57) in reicherem Maße zuerkannte, als sie je Pompeius zuteil geworden waren. Pompeius stand zu seinem ehemaligen Adjutanten, genau wie nach den Gabinisch-Manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr der mächtigsten römischen Armee, Pompeius ein ehemals berühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn noch zu keiner Kollision gekommen und das Verhältnis äußerlich ungetrübt; aber jedes politische Bündnis ist innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältnis der Beteiligten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clodius nur ärgerlich war, so lag in der veränderten Stellung Caesars für Pompeius eine sehr ernste Gefahr: ebenwie einst Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so sah jetzt er sich genötigt, gegen Caesar einen militärischen Rückhalt zu suchen und, seine stolze Amtlosigkeit beiseitelegend, aufzutreten als Bewerber um irgendein außerordentliches Amt, das ihn in den Stand setzte, dem Statthalter der beiden Gallien mit gleicher und womöglich mit überlegener Macht zur Seite zu bleiben. Wie seine Lage, war auch seine Taktik genau die Caesars während des Mithradatischen Krieges. Um die Militärmacht des überlegenen, aber noch entfernten Gegners durch die Erlangung eines ähnlichen Kommandos aufzuwiegen, bedurfte Pompeius zunächst der offiziellen Regierungsmaschine. Anderthalb Jahre zuvor hatte diese unbedingt ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber beherrschten den Senat damals sowohl durch die Komitien, die ihnen als den Herren der Straße unbedingt gehorchten, wie durch den von Caesar energisch terrorisierten Senat; als Vertreter der Koalition in Rom und als deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von der Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluß erlangt, den er wünschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die Straßenherrschaft eingebüßt und konnte nicht daran denken, einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durchzusetzen. Nicht ganz so ungünstig standen die Dinge für ihn im Senat; doch war es auch hier zweifelhaft, ob Pompeius nach dieser langen und verhängnisvollen Passivität die Zügel der Majorität noch fest genug in der Hand habe, um einen Beschluß, wie er ihn brauchte, zu bewirken.

Auch die Stellung des Senats, oder vielmehr der Nobilität überhaupt, war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer vollständigen Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war bei der Koalition von 694 (60) verschiedenes an den Tag gekommen, was für das Sonnenlicht noch keineswegs reif war. Die Entfernung Catos und Ciceros, welche die öffentliche Meinung, wie sehr auch die Machthaber dabei sich zurückhielten und sogar sich die Miene gaben, sie zu beklagen, mit ungeirrtem Takt auf ihre wahren Urheber zurückführte, und die Verschwägerung zwischen Caesar und Pompeius erinnerten mit unerfreulicher Deutlichkeit an monarchische Ausweisungsdekrete und Familienallianzen. Auch das größere Publikum, das den politischen Ereignissen ferner stand, ward aufmerksam auf die immer bestimmter hervortretenden Grundlagen der künftigen Monarchie. Von dem Augenblick an, wo dieses begriff, daß es Caesar nicht um eine Modifikation der republikanischen Verfassung zu tun sei, sondern daß es sich handle um Sein oder Nichtsein der Republik, werden unfehlbar eine Menge der besten Männer, die bisher sich zur Popularpartei gerechnet und in Caesar ihr Haupt verehrt hatten, auf die entgegengesetzte Seite übergetreten sein. Nicht mehr in den Salons und den Landhäusern des regierenden Adels allein wurden die Reden von den “drei Dynasten”, dem “dreiköpfigen Ungeheuer” vernommen. Caesars konsularischen Reden horchte die Menge dichtgedrängt, ohne daß Zuruf oder Beifall aus ihr erscholl; keine Hand regte sich zum Klatschen, wenn der demokratische Konsul in das Theater trat. Wohl aber pfiff man, wo eines der Werkzeuge der Machthaber öffentlich sich sehen ließ, und selbst gesetzte Männer klatschten, wenn ein Schauspieler eine antimonarchische Sentenz oder eine Anspielung gegen Pompeius vorbrachte. Ja als Cicero ausgewiesen werden sollte, legten eine große Zahl - angeblich zwanzigtausend - Bürger, größtenteils aus den Mittelklassen, nach dem Beispiel des Senats das Trauergewand an. “Nichts ist jetzt populärer”, heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, “als der Haß der Popularpartei.” Die Machthaber ließen Andeutungen fallen, daß durch solche Opposition leicht die Ritter ihre neuen Sonderplätze im Theater, der gemeine Mann sein Brotkorn einbüßen könne; man nahm darauf mit den Äußerungen des Unwillens sich vielleicht etwas mehr in acht, aber die Stimmung blieb die gleiche. Mit besserem Erfolg ward der Hebel der materiellen Interessen angesetzt. Caesars Gold floß in Strömen. Scheinreiche mit zerrütteten Finanzen, einflußreiche, in Geldverlegenheiten befangene Damen, verschuldete junge Adlige, bedrängte Kaufleute und Bankiers gingen entweder selbst nach Gallien, um an der Quelle zu schöpfen, oder wandten sich an Caesars hauptstädtische Agenten; und nicht leicht ward ein äußerlich anständiger Mann - mit ganz verlorenem Gesindel mied Caesar sich einzulassen - dort oder hier zurückgewiesen. Dazu kamen die ungeheuren Bauten, die Caesar für seine Rechnung in der Hauptstadt ausführen ließ und bei denen eine Unzahl von Menschen aller Stände vom Konsular bis zum Lastträger hinab Gelegenheit fand zu verdienen, sowie die unermeßlichen, für öffentliche Lustbarkeiten aufgewandten Summen. In beschränkterem Maße tat Pompeius das gleiche; ihm verdankte die Hauptstadt das erste steinerne Theater, und er feierte dessen Einweihung mit einer nie zuvor gesehenen Pracht. Daß solche Spenden eine Menge oppositionell Gesinnter, namentlich in der Hauptstadt, mit der neuen Ordnung der Dinge bis zu einem gewissen Grade aussöhnten, versteht sich ebenso von selbst, wie daß der Kern der Opposition diesem Korruptionssystem nicht erreichbar war. Immer deutlicher kam es zu Tage, wie tief die bestehende Verfassung im Volke Wurzel geschlagen hatte und wie wenig namentlich die dem unmittelbaren Parteitreiben ferner stehenden Kreise, vor allem die Landstädte, der Monarchie geneigt oder auch nur bereit waren, sie über sich ergehen zu lassen. Hätte Rom eine Repräsentativverfassung gehabt, so würde die Unzufriedenheit der Bürgerschaft ihren natürlichen Ausdruck in den Wahlen gefunden und, indem sie sich aussprach, sich gesteigert haben; unter den bestehenden Verhältnissen blieb den Verfassungstreuen nichts übrig als dem Senat, der, herabgekommen wie er war, doch immer noch als Vertreter und Verfechter der legitimen Republik erschien, sich unterzuordnen. So kam es, daß der Senat, jetzt da er gestürzt worden war, plötzlich eine weit ansehnlichere und weit ernstlicher getreue Armee zu seiner Verfügung fand, als da er in Macht und Glanz die Gracchen stürzte und, geschirmt durch Sullas Säbel, den Staat restaurierte. Die Aristokratie empfand es; sie fing wieder an sich zu regen. Eben jetzt hatte Marcus Cicero, nachdem er sich verpflichtet hatte, den Gehorsam im Senat sich anzuschließen und nicht bloß keine Opposition zu machen, sondern nach Kräften für die Machthaber zu wirken, von denselben die Erlaubnis zur Rückkehr erhalten. Obwohl Pompeius der Oligarchie hiermit nur beiläufig eine Konzession machte und vor allem dem Clodius einen Possen zu spielen, demnächst ein durch hinreichende Schläge geschmeidigtes Werkzeug in dem redefertigen Konsular zu erwerben bedacht war, so nahm man doch die Gelegenheit wahr, wie Ciceros Verbannung eine Demonstration gegen den Senat gewesen war, so seine Rückkehr zu republikanischen Demonstrationen zu benutzen. In möglichst feierlicher Weise, übrigens gegen die Clodianer durch die Bande des Titus Annius Milo geschützt, brachten beide Konsuln nach vorgängigem Senatsbeschluß einen Antrag an die Bürgerschaft, dem Konsular Cicero die Rückkehr zu gestatten, und der Senat rief sämtliche verfassungstreue Bürger auf, bei der Abstimmung nicht zu fehlen. Wirklich versammelte sich am Tage der Abstimmung (4. August 697 57) in Rom namentlich aus den Landstädten eine ungewöhnliche Anzahl achtbarer Männer. Die Reise des Konsulars von Brundisium nach der Hauptstadt gab Gelegenheit zu einer Reihe ähnlicher, nicht minder glänzender Manifestationen der öffentlichen Meinung. Das neue Bündnis zwischen dem Senat und der verfassungstreuen Bürgerschaft ward bei dieser Gelegenheit gleichsam öffentlich bekannt gemacht und eine Art Revue über die letztere gehalten, deren überraschend günstiges Ergebnis nicht wenig dazu beitrug, den gesunkenen Mut der Aristokratie wiederaufzurichten. Pompeius’ Hilflosigkeit gegenüber diesen trotzigen Demonstrationen sowie die unwürdige und beinahe lächerliche Stellung, in die er Clodius gegenüber geraten war, brachten ihn und die Koalition um ihren Kredit; und die Fraktion des Senats, welche derselben anhing, durch Pompeius’ seltene Ungeschicklichkeit demoralisiert und ratlos sich selber überlassen, konnte nicht verhindern, daß in dem Kollegium die republikanisch-aristokratische Partei wieder völlig die Oberhand gewann. Das Spiel dieser stand in der Tat damals - 697 (57) - für einen mutigen und geschickten Spieler noch keineswegs verzweifelt. Sie hatte jetzt, was sie seit einem Jahrhundert nicht gehabt, festen Rückhalt in dem Volke; vertraute sie diesem und sich selber, so konnte sie auf dem kürzesten und ehrenvollsten Wege zum Ziel gelangen. Warum nicht die Machthaber mit offenem Visier angreifen? Warum kassierte nicht ein entschlossener und namhafter Mann an der Spitze des Senats die außerordentlichen Gewalten als verfassungswidrig und rief die sämtlichen Republikaner Italiens gegen die Tyrannen und deren Anhang unter die Waffen? Möglich war es wohl, auf diesem Wege die Senatsherrschaft noch einmal zu restaurieren. Allerdings spielten die Republikaner damit hohes Spiel; aber vielleicht wäre auch hier, wie so oft, der mutigste Entschluß zugleich der klügste gewesen. Nur freilich war die schlaffe Aristokratie dieser Zeit eines solchen einfachen und mutigen Entschlusses kaum noch fähig. Aber es gab einen anderen, vielleicht sichereren, auf jeden Fall der Art und Natur dieser Verfassungsgetreuen angemesseneren Weg: sie konnten darauf hinarbeiten, die beiden Machthaber zu entzweien und durch diese Entzweiung schließlich selber ans Ruder zu gelangen. Das Verhältnis der den Staat beherrschenden Männer hatte sich verschoben und gelockert, seit Caesar übermächtig neben Pompeius sich gestellt und diesen genötigt hatte, um eine neue Machtstellung zu werben; es war wahrscheinlich, daß, wenn er dieselbe erlangte, es damit auf die eine oder die andere Weise zwischen ihnen zum Bruch und zum Kampfe kam. Blieb in diesem Pompeius allein, so war seine Niederlage kaum zweifelhaft, und die Verfassungspartei fand in diesem Fall nach beendigtem Kampfe nur statt unter der Zwei-, sich unter der Einherrschaft. Allein, wenn die Nobilität gegen Caesar dasselbe Mittel wandte, durch das dieser seine bisherigen Siege erfochten hatte, und mit dem schwächeren Nebenbuhler in Bündnis trat, so blieb mit einem Feldherrn wie Pompeius, mit einem Heere wie das der Verfassungstreuen war, der Sieg wahrscheinlich diesen; nach dem Siege aber mit Pompeius fertig zu werden, konnte, nach den Beweisen von politischer Unfähigkeit, die derselbe zeither gegeben, nicht als eine besonders schwierige Aufgabe erscheinen.

Die Dinge hatten sich dahin gewandt, eine Verständigung zwischen Pompeius und der republikanischen Partei beiden nahezulegen; ob es zu einer solchen Annäherung kommen und wie überhaupt das völlig unklar gewordene Verhältnis der beiden Machthaber und der Aristokratie gegeneinander zunächst sich stellen werde, mußte sich entscheiden, als im Herbst 697 (57) Pompeius mit dem Antrag an den Senat ging, ihn mit einer außerordentlichen Amtsgewalt zu betrauen. Er knüpfte wieder an an das, wodurch er elf Jahre zuvor seine Macht begründet hatte: an die Brotpreise in der Hauptstadt, die ebendamals wie vor dem Gabinischen Gesetz eine drückende Höhe erreicht hatten. Ob sie durch besondere Machinationen hinaufgetrieben worden waren, wie deren Clodius bald dem Pompeius, bald dem Cicero und diese wieder jenem Schuld gaben, läßt sich nicht entscheiden; die fortdauernde Piraterie, die Leere des öffentlichen Schatzes und die lässige und unordentliche Überwachung der Kornzufuhr durch die Regierung reichten übrigens auch ohne politischen Kornwucher an sich schon vollkommen aus, um in einer fast lediglich auf überseeische Zufuhr angewiesenen Großstadt Brotteuerungen herbeizuführen. Pompeius’ Plan war, sich vom Senat die Oberaufsicht über das Getreidewesen im ganzen Umfang des Römischen Reiches und zu diesem Endzwecke teils das unbeschränkte Verfügungsrecht über die römische Staatskasse, teils Heer und Flotte übertragen zu lassen, sowie ein Kommando, welches nicht bloß über das ganze Römische Reich sich erstreckte, sondern dem auch in jeder Provinz das des Statthalters wich - kurz, er beabsichtigte, eine verbesserte Auflage des Gabinischen Gesetzes zu veranstalten, woran sich sodann die Führung des eben damals schwebenden Ägyptischen Krieges ebenso von selbst angeschlossen haben würde wie die des Mithradatischen an die Razzia gegen die Piraten. Wie sehr auch die Opposition gegen die neuen Dynasten in den letzten Jahren Boden gewonnen hatte, es stand dennoch, als diese Angelegenheit im September 697 (57) im Senat zur Verhandlung kam, die Majorität desselben noch unter dem Bann des von Caesar erregten Schreckens. Gehorsam nahm sie den Vorschlag im Prinzip an, und zwar auf Antrag des Marcus Cicero, der hier den ersten Beweis der in der Verbannung gelernten Fügsamkeit geben sollte und gab. Allein bei der Feststellung der Modalitäten wurden von dem ursprünglichen Plane, den der Volkstribun Gaius Messius vorlegte, doch sehr wesentliche Stücke abgedungen. Pompeius erhielt weder freie Verfügung über das Ärar, noch eigene Legionen und Schiffe, noch auch eine der der Statthalter übergeordnete Gewalt, sondern man begnügte sich, ihm zum Behuf der Ordnung des hauptstädtischen Verpflegungswesens ansehnliche Summen, fünfzehn Adjutanten und in allen Verpflegungsangelegenheiten volle prokonsularische Gewalt im ganzen römischen Gebiet auf die nächsten fünf Jahre zu bewilligen und dies Dekret von der Bürgerschaft bestätigen zu lassen. Es waren sehr mannigfaltige Ursachen, welche diese, fast einer Ablehnung gleichkommende Abänderung des ursprünglichen Planes herbeiführten: die Rücksicht auf Caesar, dem in Gallien selbst seinen Kollegen nicht bloß neben-, sondern überzuordnen eben die Furchtsamsten am meisten Bedenken tragen mußten; die versteckte Opposition von Pompeius’ Erbfeind und widerwilligem Bundesgenossen Crassus, dem Pompeius selber zunächst das Scheitern seines Planes beimaß oder beizumessen vorgab; die Antipathien der republikanischen Opposition im Senat gegen jeden die Gewalt der Machthaber der Sache oder auch nur dem Namen nach erweiternden Beschluß; endlich und zunächst die eigene Unfähigkeit des Pompeius, der, selbst nachdem er hatte handeln müssen, es nicht über sich gewinnen konnte, zum Handeln sich zu bekennen, sondern wie immer seine wahre Absicht gleichsam im Inkognito durch seine Freunde vorführen ließ, selber aber in bekannter Bescheidenheit erklärte, auch mit Geringerem sich begnügen zu wollen. Kein Wunder, daß man ihn beim Worte nahm und ihm das Geringere gab. Pompeius war nichtsdestoweniger froh, wenigstens eine ernstliche Tätigkeit und vor allen Dingen einen schicklichen Vorwand gefunden zu haben, um die Hauptstadt zu verlassen; es gelang ihm auch, freilich nicht ohne daß die Provinzen den Rückschlag schwer empfanden, dieselbe mit reichlicher und billiger Zufuhr zu versehen. Aber seinen eigentlichen Zweck hatte er verfehlt; der Prokonsulartitel, den er berechtigt war in allen Provinzen zu führen, blieb ein leerer Name, solange er nicht über eigene Truppen verfügte. Darum ließ er bald darauf den zweiten Antrag an den Senat gelangen, daß derselbe ihm den Auftrag erteilen möge, den vertriebenen König von Ägypten, wenn nötig mit Waffengewalt, in seine Heimat zurückzuführen. Allein je mehr es offenbar ward, wie dringend er des Senats bedurfte, desto weniger nachgiebig und weniger rücksichtsvoll nahmen die Senatoren sein Anliegen auf. Zunächst ward in den Sibyllinischen Orakeln entdeckt, daß es gottlos sei, ein römisches Heer nach Ägypten zu senden; worauf der fromme Senat fast einstimmig beschloß, von der bewaffneten Intervention abzustehen. Pompeius war bereits so gedemütigt, daß er auch ohne Heer die Sendung angenommen haben würde; allein in seiner unverbesserlichen Hinterhältigkeit ließ er auch dies nur durch seine Freunde erklären und sprach und stimmte für die Absendung eines anderen Senators. Natürlich wies der Senat jenen Vorschlag zurück, der ein dem Vaterlande so kostbares Leben freventlich preisgab, und das schließliche Ergebnis der endlosen Verhandlungen war der Beschluß, überhaupt in Ägypten nicht zu intervenieren (Januar 698 56).

Diese wiederholten Zurückweisungen, die Pompeius im Senat erfuhr und, was schlimmer war, hingehen lassen mußte, ohne sie wettzumachen, galten natürlich, mochten sie kommen von welcher Seite sie wollten, dem großen Publikum als ebensoviele Siege der Republikaner und Niederlagen der Machthaber überhaupt; die Flut der republikanischen Opposition war demgemäß im stetigen Steigen. Schon die Wahlen für 698 (56) waren nur zum Teil im Sinne der Dynasten ausgefallen: Caesars Kandidaten für die Prätur, Publius Vatinius und Gaius Alfius, waren durchgegangen, dagegen zwei entschiedene Anhänger der gestürzten Regierung, Gnaeus Lentulus Marcellinus und Gnaeus Domitius Calvinus, jener zum Konsul, dieser zum Prätor gewählt worden. Für 699 (55) aber war als Bewerber um das Konsulat gar Lucius Domitius Ahenobarbus aufgetreten, dessen Wahl bei seinem Einfluß in der Hauptstadt und seinem kolossalen Vermögen schwer zu verhindern und von dem es hinreichend bekannt war, daß er sich nicht an verdeckter Opposition werde genügen lassen. Die Komitien also rebellierten; und der Senat stimmte ein. Es ward feierlich von ihm geratschlagt über ein Gutachten, das etruskische Wahrsager von anerkannter Weisheit über gewisse Zeichen und Wunder auf Verlangen des Senats abgegeben hatten. Die himmlische Offenbarung verkündete, daß durch den Zwist der höheren Stände die ganze Gewalt über Heer und Schatz auf einen Gebieter überzugehen und der Staat in Unfreiheit zu geraten drohe - es schien, daß die Götter zunächst auf den Antrag des Gaius Messius zielten. Bald stiegen die Republikaner vom Himmel auf die Erde herab. Das Gesetz über das Gebiet von Capua und die übrigen von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze waren von ihnen stets als nichtig bezeichnet, und schon im Dezember 697 (57) im Senat geäußert worden, daß es erforderlich sei, sie wegen ihrer Formfehler zu kassieren. Am 6. April 698 (56) stellte der Konsular Cicero im vollen Senat den Antrag, die Beratung über die kampanische Ackerverteilung für den 15. Mai auf die Tagesordnung zu setzen. Es war die förmliche Kriegserklärung; und sie war um so bezeichnender, als sie aus dem Munde eines jener Männer kam, die nur dann ihre Farbe zeigen, wenn sie meinen, es mit Sicherheit tun zu können. Offenbar hielt die Aristokratie den Augenblick gekommen, um den Kampf nicht mit Pompeius gegen Caesar, sondern gegen die Tyrannis überhaupt zu beginnen. Was weiter folgen werde, war leicht zu sehen. Domitius hatte es kein Hehl, daß er als Konsul Caesars sofortige Abberufung aus Gallien bei der Bürgerschaft zu beantragen beabsichtige. Eine aristokratische Restauration war im Werke; und mit dem Angriff auf die Kolonie Capua warf die Nobilität den Machthabern den Handschuh hin.

Caesar, obwohl er über die hauptstädtischen Ereignisse von Tag zu Tag detaillierte Berichte empfing und, wenn die militärischen Rücksichten es irgend erlaubten, sie von seiner Südprovinz aus in möglichster Nähe verfolgte, hatte doch bisher sichtbar wenigstens nicht in dieselben eingegriffen. Aber jetzt hatte man ihm so gut wie seinen Kollegen, ja ihm vornehmlich, den Krieg erklärt, er mußte handeln und handelte rasch. Eben befand er sich in der Nähe; die Aristokratie hatte nicht einmal für gut befunden, mit dem Bruche zu warten, bis er wieder über die Alpen zurückgegangen sein würde. Anfang April 698 (56) verließ Crassus die Hauptstadt, um mit seinem mächtigeren Kollegen das Erforderliche zu verabreden; er fand Caesar in Ravenna. Von da aus begaben beide sich nach Luca und hier traf auch Pompeius mit ihnen zusammen, der bald nach Crassus (11. April), angeblich um die Getreidesendungen aus Sardinien und Afrika zu betreiben, sich von Rom entfernt hatte. Die namhaftesten Anhänger der Machthaber, wie der Prokonsul des diesseitigen Spaniens, Metellus Nepos, der Proprätor von Sardinien, Appius Claudius, und viele andere, folgten ihnen nach; hundertundzwanzig Liktoren, über zweihundert Senatoren zählte man auf dieser Konferenz, wo bereits, im Gegensatz zu dem republikanischen, der neue monarchische Senat repräsentiert war. In jeder Hinsicht stand das entscheidende Wort bei Caesar. Er benutzte es, um die bestehende Gesamtherrschaft auf einer neuen Basis gleichmäßigerer Machtverteilung wiederherzustellen und fester zu gründen. Die militärisch bedeutendsten Statthalterschaften, die es neben der der beiden Gallien gab, wurden den zwei Kollegen zugestanden: Pompeius die beider Spanien, Crassus die von Syrien, welche Ämter ihnen durch Volksschluß auf fünf Jahre (700-704 54-50) gesichert und militärisch wie finanziell angemessen ausgestattet werden sollten. Dagegen bedang Caesar sich die Verlängerung seines Kommandos, das mit dem Jahre 700 (54) zu Ende lief, bis zum Schluß des Jahres 705 (49) aus, sowie die Befugnis, seine Legionen auf zehn zu vermehren und die Übernahme des Soldes für die eigenmächtig von ihm ausgehobenen Truppen auf die Staatskasse. Pompeius und Crassus ward ferner für das nächste Jahr (699 55), bevor sie in ihre Statthalterschaften abgingen, das zweite Konsulat zugesagt, während Caesar es sich offen hielt, gleich nach Beendigung seiner Statthalterschaft im Jahre 706 (48), wo das gesetzlich zwischen zwei Konsulaten erforderliche zehnjährige Intervall für ihn verstrichen war, zum zweitenmal das höchste Amt zu verwalten. Den militärischen Rückhalt, dessen Pompeius und Crassus zur Regulierung der hauptstädtischen Verhältnisse um so mehr bedurften, als die ursprünglich hierzu bestimmten Legionen Caesars jetzt aus dem Transalpinischen Gallien nicht weggezogen werden konnten, fanden sie in den Legionen, die sie für die spanischen und syrischen Armeen neu ausheben und erst, wenn es ihnen selber angemessen schiene, von Italien aus an ihre verschiedenen Bestimmungsplätze abgehen lassen sollten. Die Hauptfragen waren damit erledigt; die untergeordneten Dinge, wie die Festsetzung der gegen die hauptstädtische Opposition zu befolgenden Taktik, die Regulierung der Kandidaturen für die nächsten Jahre und dergleichen mehr, hielten nicht lange auf. Die persönlichen Zwistigkeiten, die dem Verträgnis im Wege standen, schlichtete der große Meister der Vermittlung mit gewohnter Leichtigkeit und zwang die widerstrebenden Elemente, sich miteinander zu behaben. Zwischen Pompeius und Crassus ward äußerlich wenigstens ein kollegialisches Einvernehmen wiederhergestellt. Sogar Publius Clodius ward bestimmt, sich und seine Meute ruhig zu halten und Pompeius nicht ferner zu belästigen - keine der geringsten Wundertaten des mächtigen Zauberers.

Daß diese ganze Schlichtung der schwebenden Fragen nicht aus einem Kompromiß selbständiger und ebenbürtig rivalisierender Machthaber, sondern lediglich aus dem guten Willen Caesars hervorging, zeigen die Verhältnisse. Pompeius befand sich in Luca in der peinlichen Lage eines machtlosen Flüchtlings, welcher kommt, bei seinem Gegner Hilfe zu erbitten. Mochte Caesar ihn zurückweisen und die Koalition als gelöst erklären oder auch ihn aufnehmen und den Bund fortbestehen lassen, wie er eben war - Pompeius war sowieso politisch vernichtet. Wenn er in diesem Fall mit Caesar nicht brach, so war er der machtlose Schutzbefohlene seines Verbündeten. Wenn er dagegen mit Caesar brach und, was nicht gerade wahrscheinlich war, noch jetzt eine Koalition mit der Aristokratie zustande brachte, so war doch auch dieses notgedrungen und im letzten Augenblick abgeschlossene Bündnis der Gegner so wenig furchtbar, daß Caesar schwerlich, um dies abzuwenden, sich zu jenen Konzessionen verstanden hat. Eine ernstliche Rivalität des Crassus Caesar gegenüber war vollends unmöglich. Es ist schwer zu sage., welche Motive Caesar bestimmten, seine überlegene Stellung ohne Not aufzugeben und, was er seinem Nebenbuhler selbst bei dem Abschluß des Bundes 694 (60) versagt und dieser seitdem, in der offenbaren Absicht gegen Caesar gerüstet zu sein, auf verschiedenen Wegen ohne, ja gegen Caesars Willen vergeblich angestrebt hatte, das zweite Konsulat und die militärische Macht, jetzt freiwillig ihm einzuräumen. Allerdings ward nicht Pompeius allein an die Spitze eines Heeres gestellt, sondern auch sein alter Feind und Caesars langjähriger Verbündeter Crassus; und unzweifelhaft erhielt Crassus seine ansehnliche militärische Stellung nur als Gegengewicht gegen Pompeius’ neue Macht. Allein nichtsdestoweniger verlor Caesar unendlich, indem sein Rival für seine bisherige Machtlosigkeit ein bedeutendes Kommando eintauschte. Es ist möglich, daß Caesar sich seiner Soldaten noch nicht hinreichend Herr fühlte, um sie mit Zuversicht in den Krieg gegen die formellen Autoritäten des Landes zu führen, und darum ihm daran gelegen war, nicht jetzt durch die Abberufung aus Gallien zum Bürgerkrieg gedrängt zu werden; allein ob es zum Bürgerkriege kam oder nicht, stand augenblicklich weit mehr bei der hauptstädtischen Aristokratie als bei Pompeius, und es wäre dies höchstens ein Grund für Caesar gewesen, nicht offen mit Pompeius zu brechen, um nicht durch diesen Bruch die Opposition zu ermutigen, nicht aber ihm das zuzugestehen, was er ihm zugestand. Rein persönliche Motive mochten mitwirken; es kann sein, daß Caesar sich erinnerte, einstmals in gleicher Machtlosigkeit Pompeius gegenübergestanden zu haben und nur durch dessen freilich mehr schwach- als großmütiges Zurücktreten vom Untergang gerettet worden zu sein; es ist wahrscheinlich, daß Caesar sich scheute, das Herz seiner geliebten und ihren Gemahl aufrichtig liebenden Tochter zu zerreißen - in seiner Seele war für vieles Raum noch neben dem Staatsmann. Allein die entscheidende Ursache war unzweifelhaft die Rücksicht auf Gallien. Caesar betrachtete - anders als seine Biographen - die Unterwerfung Galliens nicht als eine zur Gewinnung der Krone ihm nützliche beiläufige Unternehmung, sondern es hing ihm die äußerliche Sicherheit und die innere Reorganisation, mit einem Worte, die Zukunft des Vaterlandes daran. Um diese Eroberung ungestört vollenden zu können und nicht gleich jetzt die Entwirrung der italischen Verhältnisse in die Hand nehmen zu müssen, gab er unbedenklich seine Überlegenheit über seinen Rivalen daran und gewährte Pompeius hinreichende Macht, um mit dem Senat und dessen Anhang fertigzuwerden. Es war das ein arger politischer Fehler, wenn Caesar nichts wollte, als möglichst rasch König von Rom werden; allein der Ehrgeiz des seltenen Mannes beschränkte sich nicht auf das niedrige Ziel einer Krone. Er traute es sich zu, die beiden ungeheuren Arbeiten: die Ordnung der inneren Verhältnisse Italiens und die Gewinnung und Sicherung eines neuen und frischen Bodens für die italische Zivilisation, nebeneinander zu betreiben und zu vollenden. Natürlich kreuzten sich diese Aufgaben; seine gallischen Eroberungen haben ihn auf seinem Wege zum Thron viel mehr noch gehemmt als gefördert. Es trug ihm bittere Früchte, daß er die italische Revolution, statt sie im Jahre 698 (56) zu erledigen, auf das Jahr 706 (48) hinausschob. Allein als Staatsmann wie als Feldherr war Caesar ein überverwegener Spieler, der, sich selber vertrauend wie seine Gegner verachtend, ihnen immer viel und mitunter über alles Maß hinaus vorgab.

Es war nun also an der Aristokratie, ihren hohen Einsatz gutzumachen und den Krieg so kühn zu führen, wie sie kühn ihn erklärt hatte. Allein es gibt kein kläglicheres Schauspiel, als wenn feige Menschen das Unglück haben, einen mutigen Entschluß zu fassen. Man hatte sich eben auf gar nichts vorgesehen. Keinem schien es beigefallen zu sein, daß Caesar möglicherweise sich zur Wehr setzen, daß nun gar Pompeius und Crassus sich mit ihm aufs neue und enger als je vereinigen würden. Das scheint unglaublich; man begreift es, wenn man die Persönlichkeiten ins Auge faßt, die damals die verfassungstreue Opposition im Senate führten. Cato war noch abwesend ^2; der einflußreichste Mann im Senat war in dieser Zeit Marcus Bibulus, der Held des passiven Widerstandes, der eigensinnigste und stumpfsinnigste aller Konsulare. Man hatte die Waffen lediglich ergriffen, um sie zu strecken, sowie der Gegner nur an die Scheide schlug; die bloße Kunde von den Konferenzen in Luca genügte, um jeden Gedanken einer ernstlichen Opposition niederzuschlagen und die Masse der Ängstlichen, das heißt die ungeheure Majorität des Senats, wieder zu ihrer in unglücklicher Stunde verlassenen Untertanenpflicht zurückzubringen. Von der anberaumten Verhandlung zur Prüfung der Gültigkeit der Julischen Gesetze war nicht weiter die Rede; die von Caesar auf eigene Hand errichteten Legionen wurden durch Beschluß des Senats auf die Staatskasse übernommen; die Versuche, bei der Regulierung der nächsten Konsularprovinzen Caesar beide Gallien oder doch das eine derselben hinwegzudekretieren, wurden von der Majorität abgewiesen (Ende Mai 698 56). So tat die Körperschaft öffentlich Buße. Im geheimen kamen die einzelnen Herren, einer nach dem andern, tödlich erschrocken über ihre eigene Verwegenheit, um ihren Frieden zu machen und unbedingten Gehorsam zu geloben - keiner schneller als Marcus Cicero, der seine Wortbrüchigkeit zu spät bereute und hinsichtlich seiner jüngsten Vergangenheit sich mit Ehrentiteln belegte, die durchaus mehr treffend als schmeichelhaft waren ^3. Natürlich ließen die Machthaber sich beschwichtigen; man versagte keinem den Pardon, da keiner die Mühe lohnte, mit ihm eine Ausnahme zu machen. Um zu erkennen, wie plötzlich nach dem Bekanntwerden der Beschlüsse von Luca der Ton in den aristokratischen Kreisen umschlug, ist es der Mühe wert, die kurz zuvor von Cicero ausgegangenen Broschüren mit der Palinodie zu vergleichen, die er ausgehen ließ, um seine Reue und seine guten Vorsätze öffentlich zu konstatieren ^4.

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^2 Cato war noch nicht in Rom, als Cicero am 11. März 698 (56) für Sestius sprach (Sest. 28, 60) und als im Senat infolge der Beschlüsse von Luca über Caesars Legionen verhandelt ward (Plut. Caes. 21); erst bei den Verhandlungen im Anfang 699 (55) finden wir ihn wieder tätig; und da er im Winter reiste (Plus. Cato min 38), kehrte er also Ende 698 (56) nach Rom zurück. Er kann daher auch nicht, wie man mißverständlich aus Asconius (p. 35, 53) gefolgert hat, im Februar 698 (56) verteidigt haben.

^3 Me asinum germanum fuisse (Art. 4, 5, 3).

^4 Diese Palinodie ist die noch vorhandene Rede über die den Konsuln des Jahres 699 (55) anzuweisenden Provinzen. Sie ist Ausgang Mai 698 (56) gehalten; die Gegenstücke dazu sind die Reden für Sestius und gegen Vatinius und die über das Gutachten der etruskischen Wahrsager aus den Monaten März und April, in denen das aristokratische Regime nach Kräften verherrlicht und namentlich in sehr kavalierem Ton behandelt wird. Man kann es nur billigen, daß Cicero, wie er selbst gesteht (Att. 4, 5, 1), sogar vertrauten Freunden jenes Dokument seines wiedergekehrten Gehorsams zu übersenden sich schämte.

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Wie es ihnen gefiel und gründlicher als zuvor konnten also die Machthaber die italischen Verhältnisse ordnen. Italien und die Hauptstadt erhielten tatsächlich eine, wenn auch nicht unter den Waffen versammelte Besatzung und einen der Machthaber zum Kommandanten. Von den für Syrien und Spanien durch Crassus und Pompeius ausgehobenen Truppen gingen zwar die ersteren nach dem Osten ab; allein Pompeius ließ die beiden spanischen Provinzen durch seine Unterbefehlshaber mit der bisher dort stehenden Besatzung verwalten, während er die Offiziere und Soldaten der neu, dem Namen nach zum Abgang nach Spanien ausgehobenen Legionen auf Urlaub entließ und selbst mit ihnen in Italien blieb. Wohl steigerte sich der stille Widerstand der öffentlichen Meinung, je deutlicher und allgemeineres begriffen ward, daß die Machthaber daran arbeiteten, mit der alten Verfassung ein Ende zu machen und in möglichst schonender Weise die bestehenden Verhältnisse der Regierung und Verwaltung in die Formen der Monarchie zu fügen; allein man gehorchte, weil man mußte. Vor allen Dingen wurden alle wichtigeren Angelegenheiten und namentlich alle das Militärwesen und die äußeren Verhältnisse betreffenden, ohne den Senat deswegen zu fragen, bald durch Volksbeschluß, bald durch das bloße Gutfinden der Herrscher erledigt. Die in Luca vereinbarten Bestimmungen hinsichtlich des Militärkommandos von Gallien wurden durch Crassus und Pompeius, die Spanien und Syrien betreffenden durch den Volkstribun Gaius Trebonius unmittelbar an die Bürgerschaft gebracht, auch sonst wichtigere Statthalterschaften häufig durch Volksschluß besetzt. Daß für die Machthaber es der Einwilligung der Behörden nicht bedürfe, um ihre Truppen beliebig zu vermehren, hatte Caesar bereits hinreichend dargetan; ebensowenig trugen sie Bedenken, ihre Truppen sich untereinander zu borgen, wie zum Beispiel Caesar von Pompeius für den Gallischen, Crassus von Caesar für den Parthischen Krieg solche kollegialische Unterstützung empfing. Die Transpadaner, denen nach der bestehenden Verfassung nur das latinische Recht zustand, wurden von Caesar während seiner Verwaltung tatsächlich als römische Vollbürger behandelt ^5. Wenn sonst die Einrichtung neu erworbener Gebiete durch eine Senatskommission beschafft worden war, so organisierte Caesar seine ausgedehnten gallischen Eroberungen durchaus nach eigenem Ermessen und gründete zum Beispiel ohne jede weitere Vollmacht Bürgerkolonien, namentlich Novum Comum (Como) mit fünftausend Kolonisten. Piso führte den Thrakischen, Gabinius den Ägyptischen, Crassus den Parthischen Krieg, ohne den Senat zu fragen, ja ohne auch nur, wie es herkömmlich war, an den Senat zu berichten; in ähnlicher Weise wurden Triumphe und andere Ehrenbezeigungen bewilligt und vollzogen, ohne daß der Senat darum begrüßt ward. Offenbar liegt hierin nicht eine bloße Vernachlässigung der Formen, die um so weniger erklärlich wäre, als in den bei weitem meisten Fällen eine Opposition des Senats durchaus nicht zu erwarten war. Vielmehr war es die wohlberechnete Absicht, den Senat von dem militärischen und dem Gebiet der höheren Politik zu verdrängen und seine Teilnahme an der Verwaltung auf die finanziellen Fragen und die inneren Angelegenheiten zu beschränken; und auch die Gegner erkannten dies wohl und protestierten, soweit sie konnten, gegen dies Verfahren der Machthaber durch Senatsbeschlüsse und Kriminalklagen. Während die Machthaber also den Senat in der Hauptsache beiseite schoben, bedienten sie sich der minder gefährlichen Volksversammlungen auch ferner noch - es war dafür gesorgt, daß die Herren der Straße denen des Staats dabei keine Schwierigkeit mehr in den Weg legten; indes in vielen Fällen entledigte man sich auch dieses leeren Schemens und gebrauchte unverhohlen autokratische Formen.

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^5 Überliefert ist dies nicht. Allein daß Caesar auf den latinischen Gemeinden, das heißt aus dem bei weitem größeren Teil seiner Provinz überhaupt keine Soldaten ausgehoben hat, ist an sich schon völlig unglaublich und wird geradezu widerlegt dadurch, daß die Gegenpartei die von Caesar ausgehobene Mannschaft geringschätzig bezeichnet als “größtenteils aus den transpadanischen Kolonie* gebürtig” (Caes. civ. 3, 87); denn hier sind offenbar die launischen Kolonien Strabos (Ascon. Pis. p. 3; Suet. Caes. 8) gemeint. Von launischen Kohorten aber findet sich in Caesars gallischer Armee keine Spur; vielmehr sind nach seinen ausdrücklichen Angaben alle von ihm im Cisalpinischen Gallien ausgehobenen Rekruten den Legionen zu- oder in Legionen eingeteilt worden. Es ist möglich, daß Caesar mit der Aushebung die Schenkung des Bürgerrechts verband; aber wahrscheinlicher hielt er vielmehr in dieser Angelegenheit den Standpunkt seiner Partei fest, welche den Transpadanern das römische Bürgerrecht nicht so sehr zu verschaffen suchte, als vielmehr es ansah, als ihnen schon gesetzlich zustehend. Nur so konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Caesar von sich aus bei den transpadanischen Gemeinden römische Munizipalverfassung eingeführt habe (Cic. Att. 5, 3, 2; ad fam. 8, 1 2). So erklärt es sich auch, warum Hirtius die transpadanischen Städte als “Kolonien römischer Bürger” bezeichnet (Gall. 8, 24) und warum Caesar die von ihm gegründete Kolonie Comum als Bürgerkolonie behandelte (Suet. Caes. 28; Strab. 5, 1 p. 213; Plut. Caes. 29), während die gemäßigte Partei der Aristokratie ihr nur dasselbe Recht wie den übrigen transpadanischen Gemeinden, also das launische, zugestand, die Ultras sogar das den Ansiedlern erteilte Stadtrecht überhaupt für nichtig erklärten, also auch die an die Bekleidung eines launischen Munizipalamtes geknüpften Privilegien den Comensern nicht zugestanden (Cic. Att. 5, 11, 2; App. civ. 2, 26). Vgl. Hermes 16, 1880, S. 30.

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Der gedemütigte Senat mußte wohl oder übel in seine Lage sich schicken. Der Führer der gehorsamen Majorität blieb Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines Advokatentalents, für alles Gründe oder doch Worte zu finden, und es lag eine echt Caesarische Ironie darin, den Mann, mittels dessen vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen gegen die Machthaber aufgeführt hatte, als Mundstück des Servilismus zu verwenden. Darum erteilte man ihm Verzeihung für sein kurzes Gelüsten, wider den Stachel zu löcken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner Unterwürfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. Gewissermaßen um als Geisel für ihn zu haften, hatte sein Bruder einen Offizierposten im gallischen Heere übernehmen müssen; ihn selbst hatte Pompeius genötigt, eine Unterbefehlshaberstelle unter ihm anzunehmen, welche eine Handhabe hergab, um ihn jeden Augenblick mit Manier zu verbannen. Clodius war zwar angewiesen worden, ihn bis weiter in Ruhe zu lassen, aber Caesar ließ ebensowenig um Ciceros willen den Clodius fallen wie den Cicero um des Clodius willen, und der große Vaterlandserretter wie der nicht minder große Freiheitsmann machten im Hauptquartier von Samarobriva sich eine Antichambrekonkurrenz, die gehörig zu illustrieren es leider an einem römischen Aristophanes gebrach. Aber nicht bloß ward dieselbe Rute über Ciceros Haupte schwebend erhalten, die ihn bereits einmal so schmerzlich getroffen hatte; auch goldene Fesseln wurden ihm angelegt. Bei seinen bedenklich verwickelten Finanzen waren ihm die zinsfreien Darlehen Caesars und die Mitaufseherschaft über die ungeheure Summen in Umlauf setzenden Bauten desselben in hohem Grade willkommen und manche unsterbliche Senatsrede erstickte in dem Gedanken an den Geschäftsträger Caesars, der nach dem Schluß der Sitzung ihm den Wechsel präsentieren möchte. Also gelobte er sich, “künftig nicht mehr nach Recht und Ehre zu fragen, sondern um die Gunst der Machthaber sich zu bemühen” und “geschmeidig zu sein wie ein Ohrläppchen”. Man brauchte ihn denn, wozu er gut war: als Advokaten, wo es vielfach sein Los war, eben seine bittersten Feinde auf höheren Befehl verteidigen zu müssen, und vor allem im Senat, wo er fast regelmäßig den Dynasten als Organ diente und die Anträge stellte, “denen andere wohl zustimmten, er aber selbst nicht”; ja als anerkannter Führer der Majorität der Gehorsamen erlangte er sogar eine gewisse politische Bedeutung. In ähnlicher Weise wie mit Cicero verfuhr man mit den übrigen der Furcht, der Schmeichelei oder dem Golde zugänglichen Mitgliedern des regierenden Kollegiums, und es gelang, dasselbe im ganzen botmäßig zu erhalten.

Allerdings blieb eine Fraktion von Gegnern, die wenigstens Farbe hielten und weder zu schrecken noch zu gewinnen waren. Die Machthaber hatten sich überzeugt, daß Ausnahmemaßregeln, wie die gegen Cato und Cicero, der Sache mehr schadeten als nützten und daß es ein minderes Übel sei, die unbequeme republikanische Opposition zu ertragen, als aus den Opponenten Märtyrer der Republik zu machen. Darum ließ man es geschehen, daß Cato zurückkam (Ende 698 56) und von da an wieder im Senat und auf dem Markte, oft unter Lebensgefahr, den Machthabern eine Opposition machte, die wohl ehrenwert, aber leider doch auch zugleich lächerlich war. Man ließ es geschehen, daß er es bei Gelegenheit der Anträge des Trebonius auf dein Marktplatz wieder einmal bis zum Handgemenge trieb und daß er im Senat den Antrag stellte, den Prokonsul Caesar wegen seines treulosen Benehmens gegen die Usipeten und Tencterer diesen Barbaren auszuliefern. Man nahm es hin, daß Marcus Favonius, Catos Sancho, nachdem der Senat den Beschluß gefaßt hatte, die Legionen Caesars auf die Staatskasse zu übernehmen, zur Tür der Kurie sprang und die Gefahr des Vaterlandes auf die Gasse hinausrief; daß derselbe in seiner skurrilen Art die weiße Binde, die Pompeius um sein krankes Bein trug, ein deplaziertes Diadem hieß; daß der Konsular Lentulus Marcellinus, da man ihm Beifall klatschte, der Versammlung zurief, sich dieses Rechts, ihre Meinung zu äußern, jetzt ja fleißig zu bedienen, da es ihnen noch gestattet sei; daß der Volkstribun Gaius Ateius Capito den Crassus bei seinem Abzug nach Syrien in allen Formen damaliger Theologie öffentlich den bösen Geistern überantwortete. Im ganzen waren dies eitle Demonstrationen einer verbissenen Minorität: doch war die kleine Partei, von der sie ausgingen, insofern von Bedeutung, als sie teils der im stillen gärenden republikanischen Opposition Nahrung und Losung gab, teils ab und zu doch die Senatsmajorität, die ja im Grunde ganz dieselben Gesinnungen gegen die Machthaber hegte, zu einem gegen diese gerichteten Beschluß fortriß. Denn auch die Majorität fühlte das Bedürfnis, wenigstens zuweilen und in untergeordneten Dingen ihrem verhaltenen Groll Luft zu machen und namentlich, nach der Weise der widerwillig Servilen, ihren Groll gegen die großen Feinde wenigstens an den kleinen auszulassen. Wo es nur anging, ward den Werkzeugen der Machthaber ein leiser Fußtritt versetzt: so wurde Gabinius das erbetene Dankfest verweigert (698 56), so Piso aus der Provinz abberufen, so vom Senat Trauer angelegt, als der Volkstribun Gaius Cato die Wahlen für 699 (55) so lange hinderte, bis der der Verfassungspartei angehörige Konsul Marcellinus vom Amt abgetreten war. Sogar Cicero, wie demütig er immer vor den Machthabern sich neigte, ließ doch auch eine ebenso giftige wie geschmacklose Broschüre gegen Caesars Schwiegervater ausgehen. Aber sowohl diese oppositionellen Velleitäten der Senatsmajorität wie der resultatlose Widerstand der Minorität zeigen nur um so deutlicher, daß das Regiment, wie einst von der Bürgerschaft auf den Senat, so jetzt von diesem auf die Machthaber übergegangen und der Senat schon nicht viel mehr war als ein monarchischer, aber auch zur Absorbierung der antimonarchischen Elemente benutzter Staatsrat. “Kein Mensch”, klagten die Anhänger der gestürzten Regierung, “gilt das mindeste außer den dreien; die Herrscher sind allmächtig und sie sorgen dafür, daß keiner darüber im unklaren bleibe; der ganze Senat ist wie umgewandelt und gehorcht den Gebietern; unsere Generation wird einen Umschwung der Dinge nicht erleben.” Man lebte eben nicht in der Republik, sondern in der Monarchie.

Aber wenn über die Lenkung des Staats von den Machthabern unumschränkt verfügt ward, so blieb noch ein von dem eigentlichen Regiment gewissermaßen abgesondertes politisches Gebiet, das leichter zu verteidigen und schwerer zu erobern war: das der ordentlichen Beamtenwahlen und das der Geschworenengerichte. Daß die letzteren nicht unmittelbar unter die Politik fallen, aber überall und vor allem in Rom von dem das Staatswesen beherrschenden Geiste mitbeherrscht werden, ist von selber klar. Die Wahlen der Beamten gehörten allerdings von Rechts wegen zu dem eigentlichen Regiment des Staates; allein da in dieser Zeit derselbe wesentlich durch außerordentliche Beamte oder auch ganz titellose Männer verwaltet ward und selbst die höchsten ordentlichen Beamten, wenn sie zu der antimonarchischen Partei gehörten, auf die Staatsmaschine in irgend fühlbarer Weise einzuwirken nicht vermochten, so sanken die ordentlichen Beamten mehr und mehr herab zu Figuranten, wie sich denn auch eben die oppositionellsten von ihnen geradezu und mit vollem Recht als machtlose Nullen bezeichneten, ihre Wahlen also zu Demonstrationen. So konnte, nachdem die Opposition von dem eigentlichen Schlachtfeld bereits gänzlich verdrängt war, dennoch die Fehde noch in den Wahlen und den Prozessen fortgeführt werden. Die Machthaber sparten keine Mühe, um auch hier Sieger zu bleiben. Hinsichtlich der Wahlen hatten sie bereits in Luca für die nächsten Jahre die Kandidatenlisten untereinander festgestellt und ließen kein Mittel unversucht, um die dort vereinbarten Kandidaten durchzubringen. Zunächst zum Zweck der Wahlagitation spendeten sie ihr Gold aus. Jährlich wurden aus Caesars und Pompeius’ Heeren eine große Anzahl Soldaten auf Urlaub entlassen, um an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen. Caesar pflegte selbst von Oberitalien aus in möglichster Nähe die Wahlbewegungen zu leiten und zu überwachen. Dennoch ward der Zweck nur sehr unvollkommen erreicht. Für 699 (55) wurden zwar, dem Vertrag von Luca entsprechend, Pompeius und Crassus zu Konsuln gewählt und der einzige ausharrende Kandidat der Opposition, Lucius Domitius, beseitigt; allein schon dies war nur durch offenbare Gewalt durchgesetzt worden, wobei Cato verwundet ward und andere höchst ärgerliche Auftritte vorfielen. In den nächsten Konsularwahlen für 700 (54) ward gar, allen Anstrengungen der Machthaber zum Trotz, Domitius wirklich gewählt, und auch Cato siegte jetzt ob in der Bewerbung um die Prätur, in der ihn das Jahr zuvor zum Ärgernis der ganzen Bürgerschaft Caesars Klient Vatinius aus dem Felde geschlagen hatte. Bei den Wahlen für 701 (53) gelang es der Opposition, unter andern Kandidaten auch die der Machthaber so unwidersprechlich der ärgerlichsten Wahlumtriebe zu überweisen, daß diese, auf die der Skandal zurückfiel, nicht anders konnten als sie fallen lassen. Diese wiederholten und argen Niederlagen der Dynasten auf dem Wahlschlachtfeld mögen zum Teil zurückzuführen sein auf die Unregierlichkeit der eingerosteten Maschinerie, die unberechenbaren Zufälligkeiten des Wahlgeschäfts, die Gesinnungsopposition der Mittelklassen, die mancherlei hier eingreifenden und die Parteistellung oft seltsam durchkreuzenden Privatrücksichten; die Hauptursache aber liegt anderswo. Die Wahlen waren in dieser Zeit wesentlich in der Gewalt der verschiedenen Klubs, in die die Aristokratie sich gruppierte; das Bestechungswesen war von denselben im umfassendsten Maßstab und mit größter Ordnung organisiert. Dieselbe Aristokratie also, die im Senat vertreten war, beherrschte auch die Wahlen; aber wenn sie im Senat grollend nachgab, wirkte und stimmte sie hier im geheimen und vor jeder Rechenschaft sicher den Machthabern unbedingt entgegen. Daß durch das strenge Strafgesetz gegen die klubbistischen Wahlumtriebe, das Crassus als Konsul 699 (55) durch die Bürgerschaft bestätigen ließ, der Einfluß der Nobilität auf diesem Felde keineswegs gebrochen ward, versteht sich von selbst und zeigen die Wahlen der nächsten Jahre.

Ebensogroße Schwierigkeiten machten den Machthabern die Geschworenengerichte. Bei ihrer dermaligen Zusammensetzung entschied in denselben, neben dem auch hier einflußreichen Senatsadel, vorwiegend die Mittelklasse. Die Festsetzung eines hochgegriffenen Geschworenenzensus durch ein von Pompeius 699 (55) beantragtes Gesetz ist ein bemerkenswerter Beweis dafür, daß die Opposition gegen die Machthaber ihren Hauptsitz in dem eigentlichen Mittelstand hatte und die hohe Finanz hier wie überall sich gefügiger erwies als dieser. Nichtsdestoweniger war der republikanischen Partei hier noch nicht aller Boden entzogen und sie ward nicht müde, mit politischen Kriminalanklagen, zwar nicht die Machthaber selbst, aber wohl deren hervorragende Werkzeuge zu verfolgen. Dieser Prozeßkrieg ward um so lebhafter geführt, als dem Herkommen gemäß das Anklagegeschäft der senatorischen Jugend zukam und begreiflicherweise unter diesen Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke Angriffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei; wenn die Machthaber Ernst machten, wagten sie so wenig wie der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern wurde von der Opposition mit so grimmigem, fast sprichwörtlich gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der verwegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhängern Caesars; aber sein Herr befahl, und er ward in allen gegen ihn erhobenen Prozessen freigesprochen. Indes Anklagen von Männern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Gaius Asinius Pollio das Schwert der Dialektik und die Geißel des Spottes zu schwingen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann nicht, wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus. Meistens freilich wurden sie über untergeordnete Individuen davongetragen, allein auch einer der höchstgestellten und verhaßtesten Anhänger der Dynasten, der Konsulat Gabinius, ward auf diesem Wege gestürzt. Allerdings vereinigte mit dem unversöhnlichen Haß der Aristokratie, die ihm das Gesetz über die Führung des Seeräuberkrieges so wenig vergab wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner syrischen Statthalterschaft, sich gegen Gabinius die Wut der hohen Finanz, der gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte, die Interessen der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus, dem er bei Übergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pompeius, und dieser hatte alle Ursache, seinen fähigsten, kecksten und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu verteidigen; aber hier wie überall verstand er es nicht, seine Macht zu gebrauchen und seine Klienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat: Ende 700 (54) fanden die Geschworenen den Gabinius der Erpressungen schuldig und schickten ihn in die Verbannung.

Im ganzen waren also auf dem Gebiete der Volkswahlen und der Geschworenengerichte es die Machthaber, welche den kürzeren zogen. Die Faktoren, die darin herrschten, waren minder greifbar und darum schwerer zu terrorisieren oder zu korrumpieren als die unmittelbaren Organe der Regierung und Verwaltung. Die Gewalthaber stießen hier, namentlich in den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und in Koterien gruppierten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat, und die um so schwerer zu brechen ist, je verdeckter sie auftritt. Sie stießen hier ferner, namentlich in den Geschworenengerichten, auf den Widerwillen der Mittelklassen gegen das neue, monarchische Regiment, den mit allen daraus entspringenden Verlegenheiten sie ebensowenig zu beseitigen vermochten. Sie erlitten auf beiden Gebieten eine Reihe von Niederlagen, von denen die Wahlsiege der Opposition zwar nur den Wert von Demonstrationen hatten, da die Machthaber die Mittel besaßen und gebrauchten, um jeden mißliebigen Beamten tatsächlich zu annullieren, die oppositionellen Kriminalverurteilungen aber in empfindlicher Weise sie brauchbarer Gehilfen beraubten. Wie die Dinge standen, vermochten die Machthaber die Volkswahlen und die Geschworenengerichte weder zu beseitigen noch ausreichend zu beherrschen, und die Opposition, wie sehr sie auch hier sich eingeengt fand, behauptete bis zu einem gewissen Grade doch den Kampfplatz.

Noch schwieriger aber erwies es sich, der Opposition auf einem Felde zu begegnen, dem sie immer eifriger sich zuwandte, je mehr sie aus der unmittelbaren politischen Tätigkeit herausgedrängt ward. Es war dies die Literatur. Schon die gerichtliche Opposition war zugleich, ja, vor allem eine literarische, da die Reden regelmäßig veröffentlicht wurden und als politische Flugschriften dienten. Rascher und schärfer noch trafen die Pfeile der Poesie. Die lebhafte hocharistokratische Jugend, noch energischer vielleicht der gebildete Mittelstand in den italischen Landstädten, führten den Pamphleten- und Epigrammenkrieg mit Eifer und Erfolg. Nebeneinander fochten auf diesem Felde der vornehme Senatorensohn Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48), der als Redner und Pamphletist ebenso wie als gewandter Dichter gefürchtet war, und die Munizipalen von Cremona und Verona, Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54), deren elegante und beißende Epigramme pfeilschnell durch Italien flogen und sicher ihr Ziel trafen. Durchaus herrscht in der Literatur dieser Jahre der oppositionelle Ton. Sie ist voll von grimmigem Hohn gegen den “großen Caesar”, “den einzigen Feldherrn”, gegen den liebevollen Schwiegervater und Schwiegersohn, welche den ganzen Erdkreis zugrunde richten, um ihren verlotterten Günstlingen Gelegenheit zu geben, die Spolien der langhaarigen Kelten durch die Straßen Roms zu paradieren, mit der Beute der fernsten Insel des Westens königliche Schmäuse auszurichten und als goldregnende Konkurrenten die ehrlichen Jungen daheim bei ihren Mädchen auszustechen. Es ist in den Catullischen Gedichten ^6 und den sonstigen Trümmern der Literatur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persönlich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demosthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher erkannte es wohl, daß es ebenso unmöglich war, diese Opposition zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. Soweit er konnte, versuchte Caesar vielmehr die namhaftesten Schriftsteller persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten Teil seinem literarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch Vermittlung seines in Verona ihm persönlich bekannt gewordenen Vaters einen Spezialfrieden zu schließen; der junge Dichter, der den mächtigen General eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen überschüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug, um seinen literarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Gesamtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, welcher die Notwendigkeit und Verfassungsmäßigkeit seiner Kriegführung mit glücklich angenommener Naivität vor dem Publikum entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal unbedingt und ausschließlich die Freiheit; sie, und sie allein, vermag es, noch in der elendesten Karikatur, noch mit ihrem letzten Atemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Elemente der Literatur waren und blieben antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, daß er selbst sogar jetzt noch den großartigen Traum eines freien Gemeinwesens im Sinne trug, den er freilich weder auf seine Gegner noch auf seine Anhänger zu übertragen vermochte. Die praktische Politik ward nicht unbedingter von den Machthabern beherrscht als die Literatur von den Republikanern ^7.

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^6 Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Ereignisse der Jahre 699 (55) und 700 (54) und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozeß des Vatinius (August 700 54). Hieronymus’ Angabe, daß Catullus 697/98 (57/56) gestorben, braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, daß Vatinius bei “seinem Konsulat sich verschwört”, hat man mit Unrecht geschlossen, daß die Sammlung erst nach Vatinius’ Konsulat (707 47) erschienen ist; es folgt daraus nur, daß Vatinius, als sie erschien, schon darauf rechnen durfte, in einem bestimmten Jahre Konsul zu werden, wozu er bereits 700 (54) alle Ursache hatte; denn sicher stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Kandidatenliste (Cic. Art. 4, 8 b, 2).

^7 Das folgende Gedicht Catulls (29) ist im Jahre 699 (53) oder 700 (54), nach Caesars britannischer Expedition und vor dem Tode der Julia, geschrieben.

Wer kann es ansehn, wer vermag es auszustehn,

Wer nicht ein Bock, ein Spieler oder Schlemmer ist,

Daß jetzt Mamurra sein nennt das, was einst besaß

Der Langhaarkelten und der fernen Briten Land?

Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?

Der also soll in Übermut und salbenschwer ,

Als süßer Schnabelierer, als Adonis nun

Hier ziehn in aller unsrer Mädchen Zimmer ein?

Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?

Ein Schlemmer bist du, bist ein Spieler, bist ein Bock!

Drum also übersetztest, einziger General,

Zum fernstentlegnen Eiland du des Okzidents,

Damit hier euer ausgedienter Zeitvertreib

Zwei Millionen könne oder drei vertun?

Was heißt verkehrt freigebig sein, wenn dieses nicht?

Hat nicht genug schon er verdorben und verpraßt?

Zuerst verlottert ward das väterliche Gut,

Sodann des Pontus Beute, dann Iberiens,

Davon des Tajo goldbeschwerte Welle weiß.

Den fürchtet, ihr Britanner; Kelten, fürchtet den!

Was heget ihr den Lumpen, welcher gar nichts als

Ein fettes Erbe durch die Gurgel jagen kann?

Drum also ruiniertet ihr der Erde Kreis,

Ihr liebevollen Schwiegervater-Schwiegersohn?

Mamurra aus Formiae, Caesars Günstling und eine Zeitlang während der gallischen Kriege Offizier in dessen Heer, war, vermutlich kurz vor Abfassung dieses Gedichts, nach der Hauptstadt zurückgekehrt und wahrscheinlich damals beschäftigt mit dem Bau seines vielbesprochenen, mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Marmorpalastes auf dem Caelischen Berge. Die iberische Beute wird sich auf Caesars Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien beziehen und Mamurra schon damals, wie sicher später in Gallien, in seinem Hauptquartier sich befunden haben; das pontische geht vermutlich auf Pompeius’ Krieg gegen Mithradates, da zumal. nach der Andeutung des Dichters nicht bloß Caesar den Mamurra bereichert hat.

Unschuldiger als diese giftige, von Caesar bitter empfundene Invektive (Suet. Caes. 73) ist ein anderes, ungefähr gleichzeitiges Gedicht desselben Poeten (11), das hier auch stehen mag, weil es mit seiner pathetischen Einleitung zu einer nichts weniger als pathetischen Kommission den Generalstab der neuen Machthaber, die aus der Spelunke plötzlich ins Hauptquartier avancierten Gabinius, Antonius und wie sie weiter heißen, sehr artig persifliert. Man erinnere sich, daß es in einer Zeit geschrieben ward, wo Caesar am Rhein und an der Themse kämpfte und wo die Expeditionen des Crassus nach Parthien, des Gabinius nach Ägypten vorbereitet wurden. Der Dichter, gleichsam auch von einem der Machthaber einen der vakanten Posten erhoffend, gibt zweien seiner Klienten die letzten Aufträge vor der Abreise:

Furius und Aurelius, Adjutanten

Ihr Catulls, mag ziehn er an Indiens Ende,

Wo des Ostmeers brandende Welle weithin

Hallend den Strand schlägt,

Oder nach Hyrkanien und Arabien,

In der pfeilfroh’n Parther Gebiet und Saker

Oder wo den Spiegel des Meers der siebenfältige Nil färbt;

Oder führt sein Weg ihn die Alpen über,

Wo den Malstein setzte der große Caesar,

Wo der Rhein fließt und an dem Erdrand hausen

Wilde Britanner -

Ihr, bereit, all das mit Catullus, was ihm

Götterratsschluß davon bestimmt, zu teilen,

Meinem Schatz noch bringet zuvor die kurze

Leidige Botschaft!

Mag sie stehn und gehen mit ihren Männern,

Welche sie dreihundert zugleich umarmt hält,

Keinem treulieb, aber zu jeder Stunde

Jedem zu Willen.

Nicht wie sonst nachblickte sie meiner Liebe,

Die geknickt mutwillig sie, gleich dem Veilchen,

Das entlang am Saume des Ackers wandelnd

Streifte die Pflugschar.

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Es ward nötig, gegen diese zwar machtlose, aber immer lästiger und dreister werdende Opposition mit Ernst einzuschreiten. Den Ausschlag gab, wie es scheint, die Verurteilung des Gabinius (Ende 700 54). Die Herrscher kamen überein, eine wenn auch nur zeitweilige Diktatur eintreten zu lassen und mittels dieser neue Zwangsmaßregeln namentlich hinsichtlich der Wahlen und der Geschworenengerichte durchzusetzen. Als derjenige, dem zunächst die Regierung Roms und Italiens oblag, übernahm die Ausführung dieses Beschlusses Pompeius; sie trug denn auch den Stempel der ihm eigenen Schwerfälligkeit im Entschließen und im Handeln und seiner wunderlichen Unfähigkeit, selbst da, wo er befehlen wollte und konnte, mit der Sprache herauszugehen. Bereits Ausgang 700 (54) ward in Andeutungen und nicht durch Pompeius selbst die Forderung der Diktatur im Senat vorgebracht. Als ostensibler Grund diente die fortwährende Klub- und Bandenwirtschaft in der Hauptstadt, die durch Bestechungen und Gewalttätigkeiten allerdings auf die Wahlen wie auf die Geschworenengerichte den verderblichsten Druck ausübte und den Krawall daselbst in Permanenz hielt; man muß es zugeben, daß sie es den Machthabern leichtmachte, ihre Ausnahmemaßregeln zu rechtfertigen. Allein begreiflicherweise scheute sogar die servile Majorität davor zurück, das zu bewilligen, was der künftige Diktator selbst sich zu scheuen schien offen zu begehren. Als dann die beispiellose Agitation für die Wahlen zum Konsulat für 701 (53) die ärgerlichsten Auftritte herbeiführte, die Wahlen ein volles Jahr über die festgesetzte Zeit sich verschleppten und erst nach siebenmonatlichem Interregnum im Juli 701 (53) stattfanden, fand Pompeius darin den erwünschten Anlaß als das einzige Mittel, den Knoten wo nicht zu lösen, doch zu zerhauen, dem Senat jetzt bestimmt die Diktatur zu bezeichnen; allein das entscheidende Befehlswort ward immer noch nicht gesprochen. Vielleicht wäre es noch lange ungesprochen geblieben, wenn nicht bei den Konsularwahlen für 702 (52) gegen die Kandidaten der Machthaber Quintus Metellus Scipio und Publius Plautius Hypsaeus, beide dem Pompeius persönlich nahestehende und durchaus ergebene Männer, der verwegenste Parteigänger der republikanischen Opposition, Titus Annius Milo, als Gegenkandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet mit physischem Mut, mit einem gewissen Talent zur Intrige und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angeborener und sorgfältig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den politischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und war in seinem Handwerk nächst Clodius der renommierteste Mann, natürlich also auch mit diesem in tödlichster Konkurrenzfeindschaft. Da dieser Achill der Straße von den Machthabern acquiriert worden war und mit ihrer Zulassung wieder den Ultrademokraten spielte, so ward der Hektor der Straße selbstverständlich Aristokrat, und die republikanische Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündnis geschlossen haben würde, wenn er sich ihr angetragen hätte, erkannte Milo bereitwillig an als ihren rechtmäßigen Vorfechter in allen Krawallen. In der Tat waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande. So unterstützten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos Bewerbung um das Konsulat; selbst Cicero konnte nicht umhin, seines Feindes Feind, seinen langjährigen Beschützer, zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch Gewalt sparte, um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloß eine neue empfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine wirkliche Gefahr; denn es war vorauszusehen, daß der verwegene Parteigänger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Männer der anständigen Opposition als Konsul werde annullieren lassen. Da begab es sich, daß zufällig unweit der Hauptstadt, auf der Appischen Straße, Achill und Hektor aufeinandertrafen und zwischen den beiderseitigen Banden eine Rauferei entstand, in welcher Clodius selbst einen Säbelhieb in die Schulter erhielt und genötigt ward, in ein benachbartes Haus sich zu flüchten. Es war dies ohne Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden mußte, so schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerter und selbst minder gefährlich als das halbe: er befahl seinen Leuten, den Clodius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzumachen (13. Januar 702 52). Die Straßenführer von der Partei der Machthaber, die Volkstribune Titus Munatius Plancus, Quintus Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus, sahen in diesem Vorfall einen passenden Anlaß, um im Interesse ihrer Herren Milos Kandidatur zu vereiteln und Pompeius’ Diktatur durchzusetzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und Sklaven, hatten mit Clodius ihren Patron und künftigen Befreier eingebüßt: die erforderliche Aufregung war also leicht bewirkt. Nachdem der blutige Leichnam auf der Rednerbühne des Marktes in Parade ausgestellt und die dazu gehörigen Reden gehalten worden waren, ging der Krawall los. Zum Scheiterhaufen für den großen Befreier ward der Sitz der perfiden Aristokratie bestimmt: die Rotte trug den Körper in das Rathaus und zündete das Gebäude an. Hierauf zog der Schwarm vor Milos Haus und hielt dasselbe belagert, bis dessen Bande die Angreifer mit Pfeilschüssen vertrieb. Weiter ging es vor das Haus des Pompeius und seiner Konsularkandidaten, von denen jener als Diktator, diese als Konsuln begrüßt wurden, und von da vor das des Zwischenkönigs Marcus Lepidus, dem die Leitung der Konsulwahlen oblag. Da dieser pflichtmäßig sich weigerte, dieselben, wie die brüllenden Haufen es forderten, sofort zu veranstalten, so ward auch er fünf Tage lang in seiner Wohnung belagert gehalten.

Aber die Unternehmer dieser skandalösen Auftritte hatten ihre Rolle überspielt. Allerdings war auch ihr Herr und Meister entschlossen, diesen günstigen Zwischenfall zu benutzen, um nicht bloß Milo zu beseitigen, sondern auch die Diktatur zu ergreifen; allein er wollte sie nicht von einem Haufen Knüttelmänner empfangen, sondern vom Senat. Pompeius zog Truppen heran, um die in der Hauptstadt herrschende und in der Tat aller Welt unerträglich gewordene Anarchie niederzuschlagen; zugleich befahl er jetzt, was er bisher erbeten, und der Senat gab nach. Es war nur ein nichtiger Winkelzug, daß auf Vorschlag von Cato und Bibulus der Prokonsul Pompeius unter Belassung seiner bisherigen Ämter statt zum Diktator zum “Konsul ohne Kollegen” ernannt ward (25. des Schaltmonats ^8 702 52) - ein Winkelzug, welcher eine mit zwiefachem inneren Widerspruch behaftete ^9 Benennung zuließ, um nur die einfach sachbezeichnende zu vermeiden, und der lebhaft erinnert an den weisen Beschluß des verschollenen Junkertums, den Plebejern nicht das Konsulat, sondern nur die konsularische Gewalt einzuräumen.

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^8 In diesem Jahr folgte auf den Januar mit 29 und den Februar mit 23 Tagen der Schaltmonat mit 28 und sodann der März.

^9 Consul heißt Kollege (I, 260) und ein Konsul, der zugleich Prokonsul ist, ist zugleich wirklicher und stellvertretender Konsul.

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Also im legalen Besitz der Vollmacht, ging Pompeius an das Werk und schritt nachdrücklich vor gegen die in den Klubs und den Geschworenengerichten mächtige republikanische Partei. Die bestehenden Wahlvorschriften wurden durch ein besonderes Gesetz wiederholt eingeschärft und durch ein anderes gegen die Wahlumtriebe, das für alle seit 684 (70) begangenen Vergehen dieser Art rückwirkende Kraft erhielt, die bisher darauf gesetzten Strafen gesteigert. Wichtiger noch war die Verfügung, daß die Statthalterschaften, also die bei weitem bedeutendere und besonders die weit einträglichere Hälfte der Amtstätigkeit, an die Konsuln und Prätoren nicht sofort bei dem Rücktritt vom Konsulat oder der Prätur, sondern erst nach Ablauf von weiteren fünf Jahren vergeben werden sollten, welche Ordnung selbstverständlich erst nach vier Jahren ins Leben treten konnte und daher für die nächste Zeit die Besetzung der Statthalterschaften wesentlich von den zur Regulierung dieses Interim zu erlassenden Senatsbeschlüssen, also tatsächlich von der augenblicklich den Senat beherrschenden Person oder Fraktion abhängig machte. Die Geschworenenkommissionen blieben zwar bestehen, aber dem Rekusationsrecht wurden Grenzen gesetzt und, was vielleicht noch wichtiger war, die Redefreiheit in den Gerichten aufgehoben, indem sowohl die Zahl der Advokaten als die jedem zugemessene Sprechzeit durch Maximalsätze beschränkt und die eingerissene Unsitte: neben den Tat- auch noch Charakterzeugen oder sogenannte “Lobredner” zugunsten des Angeklagten beizubringen, untersagt ward. Der gehorsame Senat dekretierte ferner auf Pompeius’ Wink, daß durch den Raufhandel auf der Appischen Straße das Vaterland in Gefahr geraten sei; demnach wurde für alle mit demselben zusammenhängenden Verbrechen durch ein Ausnahmegesetz eine Spezialkommission bestellt und deren Mitglieder geradezu von Pompeius ernannt. Es ward auch ein Versuch gemacht, dem zensorischen Amt wieder eine ernstliche Bedeutung zu verschaffen und durch dasselbe die tief zerrüttete Bürgerschaft von dem schlimmsten Gesindel zu säubern.

Alle diese Maßregeln erfolgten unter dem Drucke des Säbels. Infolge der Erklärung des Senats, daß das Vaterland gefährdet sei, rief Pompeius in ganz Italien die dienstpflichtige Mannschaft unter die Waffen und nahm sie für alle Fälle in Eid und Pflicht; vorläufig ward eine ausreichende und zuverlässige Truppe auf das Kapitol gelegt; bei jeder oppositionellen Regung drohte Pompeius mit bewaffnetem Einschreiten und stellte während der Prozeßverhandlungen über die Ermordung des Clodius allem Herkommen zuwider auf der Gerichtsstätte selbst Wache auf.

Der Plan zur Wiederbelebung der Zensur scheiterte daran, daß unter der servilen Senatsmajorität niemand sittlichen Mut und Autorität genug besaß, um sich um ein solches Amt auch nur zu bewerben. Dagegen ward Milo von den Geschworenen verurteilt (8. April 702 52), Catos Bewerbung um das Konsulat für 703 (51) vereitelt. Die Reden- und Pamphletenopposition erhielt durch die neue Prozeßordnung einen Schlag, von dem sie sich nicht wieder erholt hat; die gefürchtete gerichtliche Beredsamkeit ward damit von dem politischen Gebiet verdrängt und trug fortan die Zügel der Monarchie. Verschwunden war die Opposition natürlich weder aus den Gemütern der großen Majorität der Nation noch auch nur völlig aus dem öffentlichen Leben - dazu hätte man die Volkswahlen, die Geschworenengerichte und die Literatur nicht bloß beschränken, sondern vernichten müssen. Ja eben bei diesen Vorgängen selbst tat Pompeius durch seine Ungeschicklichkeit und Verkehrtheit wieder dazu, daß den Republikanern selbst unter seiner Diktatur einzelne, für ihn empfindliche Triumphe zuteil wurden. Die Tendenzmaßregeln, die die Herrscher zur Befestigung ihrer Macht ergriffen, wurden natürlicherweise offiziell als im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung getroffene Verfügungen charakterisiert und jeder Bürger, der die Anarchie nicht wollte, als mit denselben wesentlich einverstanden bezeichnet. Mit dieser durchsichtigen Fiktion trieb es Pompeius aber so weit, daß er in die Spezialkommission zur Untersuchung des letzten Auflaufs statt sicherer Werkzeuge die achtbarsten Männer aller Parteien, sogar Cato einwählte und seinen Einfluß auf das Gericht wesentlich dazu anwandte, um die Ordnung zu handhaben und das in den Gerichten dieser Zeit hergebrachte Spektakeln seinen Anhängern so gut wie den Gegnern unmöglich zu machen. Diese Neutralität des Regenten sah man den Urteilen des Spezialhofes an. Die Geschworenen wagten zwar nicht, Milo selbst freizusprechen; aber die meisten untergeordneten Angeklagten von der Partei der republikanischen Opposition gingen frei aus, während die Verurteilung unnachsichtlich diejenigen traf, die in dem letzten Krawall für Clodius, das heißt für die Machthaber Partei genommen hatten, unter ihnen nicht wenige von Caesars und selbst von Pompeius’ vertrautesten Freunden, sogar seinen Kandidaten zum Konsulat, Hypsaeus, und die Volkstribune Plancus und Rufus, die in seinem Interesse die Erneute dirigiert hatten. Wenn Pompeius deren Verurteilung nicht hinderte, um unparteiisch zu erscheinen, so war dies eine Albernheit, und eine zweite, daß er denn doch wieder in ganz gleichgültigen Dingen zu Gunsten seiner Freunde seine eigenen Gesetze verletzte, zum Beispiel im Prozeß des Plancus als Charakterzeuge auftrat, und einzelne ihm besonders nahestehende Angeklagte, wie den Metellus Scipio, in der Tat vor der Verurteilung schützte. Wie gewöhnlich wollte er auch hier entgegengesetzte Dinge: indem er versuchte, zugleich den Pflichten des unparteiischen Regenten und des Parteihauptes Genüge zu tun, erfüllte er weder diese noch jene und erschien der öffentlichen Meinung mit Recht als ein despotischer Regent, seinen Anhängern mit gleichem Recht als ein Führer, der die Seinigen entweder nicht schützen konnte oder nicht schützen wollte.

Indes wenn auch die Republikaner noch sich regten und sogar, hauptsächlich durch Pompeius’ Fehlgriffe, hie und da ein einzelner Erfolg sie anfrischte, so war doch der Zweck, den die Machthaber bei jener Diktatur sich gesteckt hatten, im ganzen erreicht, der Zügel straffer angezogen, die republikanische Partei gedemütigt und die neue Monarchie befestigt. Das Publikum fing an sich in diese zu finden. Als Pompeius nicht lange nachher von einer ernsthaften Krankheit genas, ward seine Wiederherstellung durch ganz Italien mit den obligaten Freudenbezeigungen gefeiert, die bei solchen Gelegenheiten in Monarchien üblich sind. Die Machthaber zeigten sich befriedigt: schon am 1. August 702 (52) legte Pompeius die Diktatur nieder und teilte das Konsulat mit seinem Klienten Metellus Scipio.

KAPITEL IX.
Crassus’ Tod. Der Bruch der Gesamtherrscher.

Unter den Häuptern des “dreiköpfigen Ungeheuers” war Marcus Crassus jahrelang mitgerechnet worden, ohne eigentlich mitzuzählen. Er diente den wirklichen Machthabern Pompeius und Caesar als Gleichgewichtstein, oder genauer gesagt, er fiel in Caesars Waagschale gegen Pompeius. Diese Rolle ist nicht allzu ehrenvoll; aber Crassus ward nie durch leidenschaftliches Ehrgefühl gehindert, seinen Vorteil zu verfolgen. Er war Kaufmann und ließ mit sich handeln. Was ihm geboten ward, war nicht viel; da indes mehr nicht zu erhalten war, nahm er es an und suchte den nagenden Ehrgeiz und den Verdruß über seine der Macht so nahe und doch machtlose Stellung über den immer höher sich ihm häufenden Goldbergen zu vergessen. Aber die Konferenz zu Luca wandelte auch für ihn die Verhältnisse um: um gegen Pompeius nach den so ausgedehnten Zugeständnissen auch ferner im Übergewicht zu bleiben, gab Caesar seinem alten Verbündeten Crassus Gelegenheit, durch den Parthischen Krieg ebendahin in Syrien zu gelangen, wohin Caesar durch den keltischen in Gallien gelangt war. Es war schwer zu sagen, ob diese neuen Aussichten mehr den Heißhunger nach Gold reizten, der dem jetzt sechzigjährigen Manne zur anderen Natur geworden war und mit jeder neu erworbenen Million nur um so zehrender ward, oder mehr den in der Brust des Graukopfs lange mühsam niedergekämpften und jetzt mit unheimlichem Feuer in ihr glühenden Ehrgeiz. Bereits Anfang 700 (54) traf er in Syrien ein: nicht einmal den Ablauf seines Konsulats hatte er abgewartet um aufzubrechen. Voll hastiger Leidenschaft schien er jede Minute auskaufen zu wollen, um das Versäumte nachzuholen, zu den Schätzen des Westens noch die des Ostens einzutun, Feldherrnmacht und Feldherrnruhm rasch wie Caesar und mühelos wie Pompeius zu erjagen.

Er fand den Parthischen Krieg bereits eingeleitet. Pompeius’ illoyales Verhalten gegen die Parther ist früher erzählt worden; er hatte die vertragsmäßige Euphratgrenze nicht respektiert und zu Gunsten Armeniens, das jetzt römischer Klientelstaat war, mehrere Landschaften vom Parthischen Reich abgerissen. König Phraates hatte sich das gefallen lassen: nachdem er aber von seinen beiden Söhnen Mithradates und Orodes ermordet worden war, erklärte der neue König Mithradates dem König von Armenien, des kürzlich verstorbenen Tigranes Sohn Artavasdes, sofort den Krieg (um 698 ^1 56). Es war dies zugleich eine Kriegserklärung gegen Rom; sowie daher der Aufstand der Juden unterdrückt war, führte der tüchtige und mutige Statthalter Syriens, Gabinius, die Legionen über den Euphrat. Im Partherreich indes war inzwischen eine Umwälzung eingetreten; die Großen des Reiches, an ihrer Spitze der junge, kühne und talentvolle Großwesir, hatten den König Mithradates gestürzt und dessen Bruder Orodes auf den Thron gesetzt. Mithradates machte deshalb gemeinschaftliche Sache mit den Römern und begab sich in Gabinius’ Lager. Alles versprach dem Unternehmen des römischen Statthalters den besten Erfolg, als er unvermutet Befehl bekam, den König von Ägypten mit Waffengewalt nach Alexandreia zurückzuführen. Er wußte gehorchen; aber in der Erwartung, bald wieder zurück zu sein, veranlaßte er den bei ihm um Hilfe bittenden entthronten Partherfürsten, den Krieg inzwischen auf eigene Faust zu eröffnen. Mithradates tat es und Seleukeia und Babylon erklärten sich für ihn; aber Seleukeia nahm der Wesir, er persönlich der erste auf der Zinne, mit stürmender Hand ein, und in Babylon wußte Mithradates selbst, durch Hunger bezwungen, sich ergeben, worauf er auf Befehl des Bruders hingerichtet ward. Sein Tod war ein fühlbarer Verlust für die Römer; aber die Gärung im Parthischen Reich war doch keineswegs damit zu Ende und auch der armenische Krieg währte noch fort. Eben war Gabinius im Begriff, nach Beendigung des ägyptischen Feldzuges die immer noch günstige Gelegenheit zu nutzen und den unterbrochenen Parthischen Krieg wiederaufzunehmen, als Crassus in Syrien eintraf und mit dem Kommando zugleich die Pläne seines Vorgängers übernahm. Voll hochfliegender Hoffnungen schlug er die Schwierigkeiten des Marsches gering, die Widerstandskraft der feindlichen Heere noch geringer an; zuversichtlich sprach er nicht bloß von der Unterwerfung der Panther, sondern eroberte schon in Gedanken die Reiche von Baktrien und Indien.

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^1 Tigranes lebte noch im Februar 698 (56) (Cic. Sest. 27, 59); dagegen herrschte Artavasdes schon vor 700 (54) (Iust. 42, 2, 4; Plut. Crass. 49).

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Eile indes hatte der neue Alexander nicht. Erfand, bevor er so große Pläne ins Werk setzte, noch Muße zu sehr weitläufigen und sehr einträglichen Nebengeschäften. Der Tempel der Derketo in Hierapolis Bambyke, des Jehova in Jerusalem und andere reiche Heiligtümer der syrischen Provinz wurden auf Crassus’ Befehl ihrer Schätze beraubt und von allen Untertanen Zuzug oder lieber noch statt desselben Geldsummen beigetrieben. Die militärischen Operationen des ersten Sommers beschränkten sich auf eine umfassende Rekognoszierung in Mesopotamien: der Euphrat ward überschritten, bei Ichnä (am Belik, nördlich von Rakkah) der parthische Satrap geschlagen und die nächstliegenden Städte, darunter das ansehnliche Nikephorion (Rakkah), besetzt, worauf man mit Zurücklassung von Besatzungen in denselben wieder nach Syrien zurückging. Man hatte bisher geschwankt, ob es ratsamer sei, auf dem Umweg über Armenien oder auf der geraden Straße durch die mesopotamische Wüste nach Parthien zu marschieren. Der erste Weg durch gebirgige und von zuverlässigen Verbündeten beherrschte Landschaften empfahl sich durch die größere Sicherheit; König Artavasdes kam selbst in das römische Hauptquartier, um diesen Feldzugsplan zu befürworten. Allein jene Rekognoszierung entschied für den Marsch durch Mesopotamien. Die zahlreichen und blühenden griechischen und halbgriechischen Städte in den Landschaften am Euphrat und Tigris, vor allen die Weltstadt Seleukeia, waren der parthischen Herrschaft durchaus abgeneigt; wie früher die Bürger von Karrhä, so hatten jetzt alle von den Römern berührten griechischen Ortschaften es mit der Tat bewiesen, wie bereit sie waren, die unerträgliche Fremdherrschaft abzuschütteln und die Römer als Befreier, beinahe als Landsleute zu empfangen. Der Araberfürst Abgaros, der die Wüste von Edessa und Karrhä und damit die gewöhnliche Straße vom Euphrat an den Tigris beherrschte, hatte im Lager der Römer sich eingefunden, um dieselben seiner Ergebenheit persönlich zu versichern. Durchaus hatten die Parther sich unvorbereitet gezeigt. So ward denn der Euphrat (bei Biradjik) überschritten (701 53). Um von da an den Tigris zu gelangen, konnte man einen zwiefachen Weg wählen: entweder rückte das Heer am Euphrat hinab bis auf die Höhe von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch wenige Meilen voneinander entfernt sind; oder man schlug sogleich nach dem Übergang auf der kürzesten Linie, quer durch die große mesopotamische Wüste, den Weg zum Tigris ein. Der erste Weg führte unmittelbar auf die parthische Hauptstadt Ktesiphon zu, die Seleukeia gegenüber am andern Ufer des Tigris lag; es erhoben sich für diesen im römischen Kriegsrat mehrere gewichtige Stimmen; namentlich der Quästor Gaius Cassius wies auf die Schwierigkeiten des Wüstenmarsches und auf die bedenklichen, von den römischen Besatzungen am linken Euphratufer über die parthischen Kriegsvorbereitungen einlaufender. Berichte hin. Allein damit im Widerspruch meldete der arabische Fürst Abgaros, daß die Parther beschäftigt seien, ihre westlichen Landschaften zu räumen. Bereits hätten sie ihre Schätze eingepackt und sich in Bewegung gesetzt, um zu den Hyrkanern und Skythen zu flüchten; nur durch einen Gewaltmarsch auf dem kürzesten Wege sei es überhaupt noch möglich, sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahrscheinlich gelingen, wenigstens den Nachtrab der großen Armee unter Sillakes und dem Wesir einzuholen und aufzureiben und die ungeheure Beute zu gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten Beduinen entschieden über die Marschrichtung; das römische Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000 Reitern und 4000 Schleuderern und Schützen, wandte vom Euphrat sich ab und hinein in die unwirtlichen Ebenen des nördlichen Mesopotamiens. Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und die endlose Sandwüste schienen Wache zu halten an den Pforten des Ostens. Endlich, nach vieltägigem mühseligen Marsch, unweit des ersten Flusses, den das römische Heer zu überschreiten hatte, des Balissos (Belik), zeigten sich die ersten feindlichen Reiter. Abgaros mit seinen Arabern ward ausgesandt, um zu kundschaften; die parthischen Reiterscharen wichen zurück bis an und über den Fluß und verschwanden in der Ferne, verfolgt von Abgaros und den Seinen. Ungeduldig harrte man auf die Rückkehr desselben und auf genauere Kundschaft. Der Feldherr hoffte, hier endlich an den ewig zurückweichenden Feind zu kommen; sein junger tapferer Sohn Publius, der mit der größten Auszeichnung in Gallien unter Caesar gefochten hatte und von diesem an der Spitze einer keltischen Reiterschar zur Teilnahme an dem Parthischen Kriege entsandt worden war, brannte vor stürmischer Kampflust. Da keine Botschaft kam, entschloß man sich, auf gut Glück vorwärts zu gehen: das Zeichen zum Aufbruch ward gegeben, der Balissos überschritten, das Heer nach kurzer, ungenügender Mittagsrast ohne Aufenthalt im Sturmschritt weitergeführt. Da erschollen plötzlich rings umher die Kesselpauken der Parther; auf allen Seiten sah man ihre seidenen, goldgestickten Fahnen flattern, ihre Eisenhelme und Panzer im Strahl der heißen Mittagssonne glänzen; und neben dem Wesir hielt Fürst Abgaros mit seinen Beduinen.

Man begriff zu spät, in welches Netz man sich hatte verstricken lassen. Mit sicherem Blick hatte der Wesir sowohl die Gefahr durchschaut wie die Mittel, ihr zu begegnen. Mit orientalischem Fußvolk war gegen die römische Linieninfanterie nichts auszurichten: er hatte sich desselben entledigt und, indem er diese auf dem Hauptschlachtfeld unbrauchbare Masse unter König Orodes’ eigener Führung gegen Armenien sandte, den König Artavasdes gehindert, die versprochenen 10000 schweren Reiter zu Crassus’ Heer stoßen zu lassen, die dieser jetzt schmerzlich vermißte. Dagegen trat der römischen, in ihrer Art unübertrefflichen Taktik der Wesir mit einer vollkommen verschiedenen gegenüber. Sein Heer bestand ausschließlich aus Reiterei; die Linie bildeten die schweren Reiter, mit langen Stoßlanzen bewaffnet und Mann und Roß durch metallene Schuppenpanzer oder Lederkoller und durch ähnliche Schienen geschirmt; die Masse der Truppen bestand aus berittenen Bogenschützen. Diesen gegenüber waren die Römer in den gleichen Waffen sowohl der Zahl wie der Tüchtigkeit nach durchaus im Nachteil. Ihre Linieninfanterie, wie vorzüglich sie auch im Nahkampf, sowohl auf kurze Distanz mit dem schweren Wurfspeer als im Handgemenge mit dem Schwert, war, konnte doch eine bloß aus Reiterei bestehende Armee nicht zwingen, sich mit ihr einzulassen, und fand, wenn es zum Handgemenge kam, auch hier in den eisenstarrenden Scharen der Lanzenreiter einen ihr gewachsenen, wo nicht überlegenen Gegner. Einem Heer gegenüber, wie dies parthische war, stand das römische strategisch im Nachteil, weil die Reiterei die Kommunikationen beherrschte; taktisch, weil jede Nahwaffe der Fernwaffe unterliegen muß, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen Mann gelangt. Die konzentrierte Stellung, auf der die ganze römische Kriegsweise beruhte, steigerte einem solchen Angriff gegenüber die Gefahr; je dichter die römische Kolonne sich scharte, desto unwiderstehlicher ward allerdings ihr Stoß, aber desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel. Unter gewöhnlichen Verhältnissen, wo Städte zu verteidigen und Bodenschwierigkeiten zu berücksichtigen sind, hätte jene bloß mit Reiterei gegen Fußvolk operierende Taktik sich niemals vollständig durchführen lassen; in der mesopotamischen Wüste aber, wo das Heer, fast wie das Schiff auf der hohen See, viele Tagemärsche hindurch weder auf ein Hindernis noch auf einen strategischen Anhaltspunkt traf, war diese Kriegführung eben darum so unwiderstehlich, weil die Verhältnisse hier gestatteten, sie in ihrer ganzen Reinheit und also in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier vereinigte sich alles, um die fremden Fußgänger gegen die einheimischen Reiter in Nachteil zu setzen. Wo der schwerbeladene römische Infanterist mühsam durch den Sand oder die Steppe sich hinschleppte und auf dem pfadlosen, durch weit auseinandergelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt, auf seinem geschwinden Roß oder Kamel zu sitzen, ja fast auf demselben zu leben, leicht durch die Wüste, deren Ungemach er seit langem gelernt hatte sich zu erleichtern und im Notfall zu ertragen. Hier fiel kein Regen, der die unerträgliche Hitze gemildert und die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen Schützen und Schleuderer erschlafft hätte; hier waren in dem tiefen Sande an vielen Stellen kaum ordentliche Gräben und Wälle für das Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage zu erdenken, in der die militärischen Vorteile alle mehr auf der einen, die Nachteile alle mehr auf der andern Seite waren.

Auf die Frage, unter welchen Verhältnissen bei den Parthern diese neue Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten Terrain sich der römischen überlegen erwies, können wir leider nur mit Mutmaßungen antworten. Die Lanzenreiter und berittenen Bogenschützen sind im Orient uralt und bildeten bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios; bisher aber waren diese Waffen nur in zweiter Reihe und wesentlich zur Deckung der durchaus unbrauchbaren orientalischen Infanterie verwendet worden. Auch die parthischen Heere wichen hierin von den übrigen orientalischen keineswegs ab; es werden dergleichen erwähnt, die zu fünf Sechsteln aus Fußvolk bestanden. In dem Feldzug des Crassus dagegen trat die Reiterei zum ersten Male selbständig auf, und es erhielt diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz anderen Wert. Die unwiderstehliche Überlegenheit des römischen Fußvolks im Nahkampf scheint unabhängig voneinander die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu gleicher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben, ihm mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cassivellaunus in Britannien vollständig, Vercingetorix in Gallien zum Teil gelang, was bis zu einem gewissen Grade schon Mithradates Eupator versuchte, das hat der Wesir des Orodes nur in größerem Maßstab und vollständiger durchgeführt: wobei es ihm namentlich zustatten kam, daß er in der schweren Kavallerie das Mittel, eine Linie zu bilden, in dem im Orient nationalen und vornehmlich in den persischen Landschaften mit meisterlicher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame Fernwaffe, endlich in den Eigentümlichkeiten des Landes und des Volkes die Möglichkeit fand, seinen genialen Gedanken rein zu realisieren. Hier, wo die römische Nahwaffe und das römische Konzentrierungssystem zum ersten Male der Fernwaffe und dem Deployierungssystem unterlagen, bereitete diejenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der Einführung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschluß erhalten hat.

Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von Karrhä (Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher Richtung etwas näher an Ichnä, inmitten der Sandwüste die erste Schlacht zwischen Römern und Parthern geschlagen. Die römischen Schützen wurden vorgesandt, wichen aber augenblicklich zurück vor der ungeheuren Überzahl und der weit größeren Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die Legionen, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere, sie möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein dichtes Viereck von zwölf Kohorten an jeder Seite gestellt worden waren, waren bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen überschüttet, die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Soldaten mit nichts auch nur zu erwidern vermochten. Die Hoffnung, daß der Feind sich verschießen möge, verschwand bei einem Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kamele. Immer weiter dehnten die Parther sich aus. Damit die Überflügelung nicht zur Umzingelung werde, rückte Publius Crassus mit einem auserlesenen Korps von Reitern, Schützen und Linieninfanterie zum Angriff vor. In der Tat gab der Feind es auf, den Kreis zu schließen, und wich zurück, hitzig verfolgt von dem ungestümen Führer der Römer. Als aber darüber das Korps des Publius die Hauptarmee ganz aus dem Gesicht verloren hatte, hielten die schweren Reiter ihm gegenüber stand, und wie ein Netz zogen die von allen Seiten herbeieilenden parthischen Haufen sich um dasselbe zusammen. Publius, der die Seinigen unter den Pfeilen der berittenen Schützen dicht und nutzlos um sich fallen sah, stürzte verzweifelt mit seiner unbepanzerten keltischen Reiterei sich auf die eisenstarrenden Lanzenreiter der Feinde; allein die todesverachtende Tapferkeit seiner Kelten, die die Lanzen mit den Händen packten oder von den Pferden sprangen, um die Feinde niederzustechen, tat ihre Wunder umsonst. Die Trümmer des Korps, unter ihnen der am Schwertarm verwundete Führer, wurden auf eine kleine Anhöhe gedrängt, wo sie den feindlichen Schützen erst recht zur bequemen Zielscheibe dienten. Mesopotamische Griechen, die der Gegend genau kundig waren, beschworen den Crassus, mit ihnen abzureiten und einen Versuch zu machen, sich zu retten; aber er weigerte sich, sein Schicksal von dem der tapferen Männer zu trennen, die sein verwegener Mut in den Tod geführt hatte, und ließ von der Hand seines Schildträgers sich durchbohren. Gleich ihm gaben die meisten noch übrigen Offiziere sich selbst den Tod. Von der ganzen gegen 6000 Mann starken Abteilung wurden nicht mehr als 500 gefangen; zu retten vermochte sich keiner. Gegen das Hauptheer hatte inzwischen der Angriff nachgelassen und man rastete nur zu gern. Als endlich das Ausbleiben jeder Meldung von dem entsandten Korps es aus der trügerischen Ruhe aufschreckte und es, um dasselbe aufzusuchen, der Walstatt sich näherte, ward dem Vater das Haupt des Sohnes auf einer Stange entgegengetragen; und abermals begann nun gegen das Hauptheer die schreckliche Schlacht, mit demselben Ungestüm und derselben hoffnungslosen Gleichförmigkeit. Man vermochte weder die Lanzenreiter zu sprengen noch die Schützen zu erreichen; erst die Nacht machte dem Morden ein Ende. Hätten die Parther auf dem Schlachtfeld biwakiert, es wäre schwerlich vom römischen Heer ein Mann entkommen. Allein nicht geübt, anders als beritten zu fechten, und darum besorgt vor einem Überfall, hatten sie die Gewohnheit, niemals hart am Feinde zu lagern; höhnisch riefen sie den Römern zu, daß sie dem Feldherrn eine Nacht schenkten, um seinen Sohn zu beweinen, und jagten davon, um am anderen Morgen wiederzukehren und das blutend am Boden liegende Wild abzufangen. Natürlich warteten die Römer den Morgen nicht ab. Die Unterfeldherren Cassius und Octavius - Crassus selbst hatte gänzlich den Kopf verloren - ließen sofort und in möglichster Stille, mit Zurücklassung der sämtlichen - angeblich 4000 - Verwundeten und Versprengten, die noch marschfähigen Leute aufbrechen, um in den Mauern von Karrhä Schutz zu suchen. Daß die Parther, als sie den folgenden Tag wiederkamen, zunächst sich daran machten, die zerstreut Zurückgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und daß die Besatzung und die Einwohnerschaft von Karrhä, durch Ausreißer frühzeitig von der Katastrophe in Kenntnis gesetzt, schleunigst der geschlagenen Armee entgegengerückt waren, rettete die Trümmer derselben vor der, wie es schien, unausbleiblichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhä konnten die parthischen Reiterscharen nicht denken. Allein bald brachen die Römer freiwillig auf, sei es durch Mangel an Lebensmitteln genötigt, sei es infolge der mutlosen Übereilung des Oberfeldherrn, den die Soldaten vergeblich versucht hatten vom Kommando zu entfernen und durch Cassius zu ersetzen. Man schlug die Richtung nach den armenischen Bergen ein; die Nacht marschierend und am Tage rastend, erreichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung Sinnaka, die nur noch einen Tagesmarsch von den sicheren Höhen entfernt war, und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr den Oberfeldherrn, den der Führer irregeleitet und dem Feinde preisgegeben hatte. Da ritt der Wesir vor das römische Lager, um im Namen seines Königs den Römern Frieden und Freundschaft zu bieten und auf eine persönliche Zusammenkunft der beiden Feldherren anzutragen. Das römische Heer, demoralisiert wie es war, beschwor, ja zwang seinen Führer, das Anerbieten anzunehmen. Der Wesir empfing den Konsular und dessen Stab mit den üblichen Ehren und erbot sich aufs neue, einen Freundschaftspakt abzuschließen; nur forderte er, mit gerechter Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pompeius hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Verträge erinnernd, daß derselbe sogleich schriftlich abgefaßt werde. Ein reichgeschmückter Zelter ward vorgeführt: es war ein Geschenk des Königs für den römischen Oberfeldherrn; die Diener des Wesirs drängten sich um Crassus, beeifert, ihn aufs Pferd zu heben. Es schien den römischen Offizieren, als beabsichtige man, sich der Person des Oberfeldherrn zu bemächtigen; Octavius, unbewaffnet wie er war, riß einem Parther das Schwert aus der Scheide und stieß den Pferdeknecht nieder. In dem Anlauf, der sich hieraus entspann, wurden die römischen Offiziere alle getötet; auch der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Großohm, dem Feinde nicht lebend als Trophäe dienen und suchte und fand den Tod. Die im Lager zurückgebliebene führerlose Menge ward zum Teil gefangen, zum Teil versprengt. Was der Tag von Karrhä begonnen hatte, vollendete der von Sinnaka (9. Juni 701 53); beide nahmen ihren Platz neben den Daten von der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphratarmee war nicht mehr. Nur der Reiterschar des Gaius Cassius, welche bei dem Abmarsch von Karrhä von dem Hauptheer abgesprengt worden war, und einigen anderen zerstreuten Haufen und vereinzelten Flüchtlingen gelang es, sich den Parthern und den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rückweg nach Syrien zu finden. Von über 40000 römischen Legionären, die den Euphrat überschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurück; die Hälfte war umgekommen; gegen 10000 römische Gefangene wurden von den Siegern im äußersten Osten ihres Reiches, in der Oase von Merv, nach parthischer Art als heerpflichtige Leibeigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit die Adler die Legionen führten, waren dieselben in diesem Jahre zu Siegeszeichen in den Händen fremder Nationen, fast gleichzeitig eines deutschen Stammes im Westen und im Osten der Parther geworden. Von dem Eindruck, den die Niederlage der Römer im Osten machte, ist uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und bleibend muß er gewesen sein. König Orodes richtete eben die Hochzeit seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen Verbündeten, des Königs Artavasdes von Armenien, aus, als die Siegesbotschaft seines Wesirs bei ihm einlief und, nach orientalischer Sitte, zugleich mit ihr der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war die Tafel aufgehoben; eine der wandernden kleinasiatischen Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit zahlreich bestanden und die hellenische Poesie und die hellenische Bühnenkunst bis tief in den Osten hineintrugen, führten eben vor dem versammelten Hofe Euripides’ ‘Bakchen’ auf. Der Schauspieler, der die Rolle der Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung ihren Sohn zerrissen hat und nun das Haupt desselben auf dem Thyrsus tragend, vom Kithäron zurückkehrt, vertauschte dieses mit dem blutigen Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Jubel seines Publikums von halbhellenisierten Barbaren begann er aufs neue das wohlbekannte Lied:

Wir bringen vom Berge

Nach Hause getragen

Die herrliche Beute,

Das blutende Wild.

Es war seit den Zeiten der Achämeniden der erste ernsthafte Sieg, den die Orientalen über den Okzident erfochten; und wohl lag auch darin ein tiefer Sinn, daß zur Feier dieses Sieges das schönste Erzeugnis der okzidentalischen Welt, die griechische Tragödie, durch ihre herabgekommenen Vertreter in jener grausigen Groteske sich selber parodierte. Das römische Bürgertum und der Genius von Hellas fingen gleichzeitig an, sich auf die Ketten des Sultanismus zu schicken.

Die Katastrophe, entsetzlich an sich, schien auch in ihren Folgen furchtbar zu werden und die Grundfesten der römischen Macht im Osten erschüttern zu sollen. Es war das wenigste, daß jetzt die Parther. jenseits des Euphrat unbeschränkt schalteten, daß Armenien, nachdem es schon vor der Katastrophe des Crassus vom römischen Bündnis abgefallen war, durch dieselbe ganz in parthische Klientel geriet, daß den treuen Bürgern von Karrhä durch den von den Parthern ihnen gesetzten neuen Herrn, einen der verräterischen Wegweiser der Römer namens Andromachos, ihre Anhänglichkeit an die Okzidentalen bitter vergolten ward. Allen Ernstes schickten die Parther sich an, nun ihrerseits die Euphratgrenze zu überschreiten und im Verein mit den Armeniern und den Arabern die Römer aus Syrien zu vertreiben. Die Juden und andere Orientalen mehr harrten hier der Erlösung von der römischen Herrschaft nicht minder ungeduldig, wie die Hellenen jenseits des Euphrat der Erlösung von der parthischen; in Rom stand der Bürgerkrieg vor der Tür; der Angriff ebenhier und ebenjetzt war eine schwere Gefahr. Allein zum Glücke Roms hatten auf beiden Seiten die Führer gewechselt. Sultan Orodes verdankte dem heldenmütigen Fürsten, der ihm erst die Krone aufgesetzt und dann das Land von den Feinden gesäubert hatte, zu viel, um sich seiner nicht baldmöglichst durch den Henker zu entledigen. Seinen Platz als Oberfeldherr der nach Syrien bestimmten Invasionsarmee füllte ein Prinz aus, des Königs Sohn Pakoros, dem seiner Jugend und Unerfahrenheit wegen der Fürst Osakes als militärischer Ratgeber beigegeben werden mußte. Andererseits übernahm an Crassus’ Stelle das Kommando in Syrien interimistisch der besonnene und entschlossene Quästor Gaius Cassius. Da die Parther, ebenwie früher Crassus, den Angriff nicht beeilten, sondern in den Jahren 701 (53) und 702 (52) nur schwache, leicht zurückgeworfene Streifscharen über den Euphrat sandten, so behielt Cassius Zeit, das Heer einigermaßen zu reorganisieren und die Juden, die die Erbitterung über die von Crassus verübte Spoliation des Tempels schon jetzt unter die Waffen getrieben hatte, mit Hilfe des treuen Anhängers der Römer, Herodos Antipatros, zum Gehorsam zurückzubringen. Die römische Regierung hätte also volle Zeit gehabt, zur Verteidigung dar bedrohten Grenze frische Truppen zu senden; allein es unterblieb über den Konvulsionen der beginnenden Revolution, und als endlich im Jahre 703 (51) die große parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte Cassius immer noch nur die zwei schwachen, aus den Trümmern der Armee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natürlich konnte er damit weder den Übergang wehren noch die Provinz verteidigen. Syrien ward von den Parthern überrannt und ganz Vorderasien zitterte. Allein die Parther verstanden es nicht, Städte zu belagern. Von Antiocheia, in das Cassius mit seinen Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht bloß unverrichteter Sache ab, sondern wurden auf dem Rückzug am Orontes noch durch Cassius’ Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und hier durch die römische Infanterie übel zugerichtet; Fürst Osakes selbst war unter den Toten. Freund und Feind ward hier inne, daß die parthische Armee unter einem gewöhnlichen Feldherrn und auf einem gewöhnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede andere orientalische. Indes aufgegeben war der Angriff nicht. Noch im Winter 703/04 (51/50) lagerte Pakoros in Kyrrhestike diesseits des Euphrat; und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bibulus, ein ebenso elender Feldherr wie unfähiger Staatsmann, wußte nichts Besseres zu tun, als sich in seine Festungen einzuschließen. Allgemein ward erwartet, daß der Krieg im Jahre 704 (50) mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde. Allein statt gegen die Römer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen eigenen Vater und trat deshalb sogar mit dem römischen Statthalter in Einverständnis. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde der römischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im Orient wiederhergestellt, allein mit der parthischen Invasion in Vorderasien war es vorbei, und es blieb, vorläufig wenigstens, die Euphratgrenze erhalten.

In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Revolution seine Rauchwolken sinnbetäubend empor. Man fing an, keinen Soldaten und keinen Denar mehr gegen den Landesfeind, keinen Gedanken mehr übrig zu haben für die Geschichte der Völker. Es ist eines der entsetzlichsten Zeichen der Zeit, daß das ungeheure Nationalunglück von Karrhä und Sinnaka den derzeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden gab als jener elende Krawall auf der Appischen Straße, in dem ein paar Monate nach Crassus der Bandenführer Clodius umkam; aber es ist begreiflich und beinahe verzeihlich. Der Bruch zwischen den beiden Machthabern, lange als unvermeidlich gefühlt und oft so nahe verkündigt, rückte jetzt unaufhaltsam heran. Wie in der alten griechischen Schiffersage befand sich das Fahrzeug der römischen Gemeinde gleichsam zwischen zwei aufeinander zuschwimmenden Felsen; von Augenblick zu Augenblick den krachenden Zusammenstoß erwartend, starrten die, welche es trug, von namenloser Angst gebannt, in die hoch und höher strudelnde Brandung, und während jedes kleinste Rücken hier tausend Augen auf sich zog, wagte nicht eines, den Blick nach rechts oder links zu verwenden.

Nachdem auf der Zusammenkunft von Luca im April 698 (36) Caesar sich Pompeius gegenüber zu ansehnlichen Konzessionen verstanden und die Machthaber damit sich wesentlich ins Gleichgewicht gesetzt hatten, fehlte es ihrem Verhältnis nicht an den äußeren Bedingungen der Haltbarkeit, insoweit eine Teilung der an sich unteilbaren monarchischen Gewalt überhaupt haltbar sein kann. Eine andere Frage war es, ob die Machthaber, wenigstens für jetzt, entschlossen waren, zusammenzuhalten und gegenseitig sich ohne Hinterhalt als gleichberechtigt anzuerkennen. Daß dies bei Caesar insofern der Fall war, als er um den Preis der Gleichstellung mit Pompeius sich die zur Unterwerfung Galliens notwendige Frist erkauft hatte, ist früher dargelegt worden. Aber Pompeius war es schwerlich jemals auch nur vorläufig Ernst mit der Kollegialität. Er war eine von den kleinlichen und gemeinen Naturen, gegen die es gefährlich ist, Großmut zu üben: seinem kleinlichen Sinn erschien es sicher als Gebot der Klugheit, dem unwillig anerkannten Nebenbuhler bei erster Gelegenheit ein Bein zu stellen, und seine gemeine Seele dürstete nach der Möglichkeit, die durch Caesars Nachsicht erlittene Demütigung ihm umgekehrt zu vergelten. Wenn aber Pompeius wahrscheinlich nach seiner dumpfen und trägen Natur niemals recht sich dazu verstanden hatte, Caesar neben sich gelten zu lassen, so ist doch die Absicht, das Bündnis zu sprengen, ihm wohl erst allmählich zum klaren Bewußtsein gelangt. Auf keinen Fall wird das Publikum, das überhaupt Pompeius’ An- und Absichten gewöhnlich besser durchschaute als er selbst, darin sich getäuscht haben, daß wenigstens mit dem Tode der schönen Julia, welche in der Blüte ihrer Jahre im Herbst 700 (54) starb und der ihr einziges Kind bald in das Grab nachfolgte, das persönliche Verhältnis zwischen ihrem Vater und ihrem Gemahl gelöst war. Caesar versuchte, die vom Schicksal getrennten verwandtschaftlichen Bande wiederherzustellen; er warb für sich um die Hand der einzigen Tochter des Pompeius und trug diesem seine jetzt nächste Verwandte, seiner Schwester Enkelin Octavia, als Gemahlin an; allein Pompeius ließ seine Tochter ihrem bisherigen Gatten Faustus Sulla, dem Sohn des Regenten, und vermählte sich selber mit der Tochter des Quintus Metellus Scipio. Der persönliche Bruch war unverkennbar eingetreten, und Pompeius war es, der die Hand zurückzog. Man erwartete, daß der politische ihm auf dem Fuße folgen werde; allein hierin hatte man sich getäuscht: in öffentlichen Angelegenheiten blieb vorläufig noch ein kollegialisches Einvernehmen bestehen. Die Ursache war, daß Caesar nicht geradezu das Verhältnis lösen wollte, bevor Galliens Unterwerfung eine vollendete Tatsache war, Pompeius nicht, bevor durch die Übernahme der Diktatur die Regierungsbehörden und Italien vollständig in seine Gewalt gebracht sein würden. Es ist sonderbar, aber wohl erklärlich, daß die Machthaber hierbei sich gegenseitig unterstützten; Pompeius überließ nach der Katastrophe von Aduatuca im Winter 700 (54) eine seiner auf Urlaub entlassenen italienischen Legionen leihweise an Caesar; andererseits gewährte Caesar Pompeius seine Einwilligung und seine moralische Unterstützung bei den Repressivmaßregeln, die dieser gegen die störrige republikanische Opposition ergriff. Erst nachdem Pompeius auf diesem Wege im Anfang des Jahres 702 (52) sich das ungeteilte Konsulat und einen durchaus den Caesars überwiegenden Einfluß in der Hauptstadt verschafft und die sämtliche waffenfähige Mannschaft in Italien den Soldateneid in seine Hände und auf seinen Namen abgeleistet hatte, faßte er den Entschluß, baldmöglichst mit Caesar förmlich zu brechen; und die Absicht trat auch klar genug hervor. Daß die nach dem Auflauf auf der Appischen Straße stattfindende gerichtliche Verfolgung eben Caesars alte demokratische Parteigenossen mit schonungsloser Härte traf, konnte vielleicht noch als bloße Ungeschicklichkeit hingehen. Daß das neue Gesetz gegen die Wahlumtriebe, indem es bis 684 (70) zurückgriff, auch die bedenklichen Vorgänge bei Caesars Bewerbung um das Konsulat miteinschloß, mochte gleichfalls nicht mehr sein, obgleich nicht wenige Caesarianer darin eine bestimmte Absicht zu erkennen meinten. Aber auch bei dem besten Willen konnte man nicht mehr die Augen verschließen, als Pompeius sich zum Kollegen im Konsulat nicht seinen früheren Schwiegervater Caesar erkor, wie es der Lage des Sache entsprach und vielfach gefordert ward, sondern in seinem neuen Schwiegervater Scipio sich einen von ihm völlig abhängigen Figuranten an die Seite setzte; noch weniger, als Pompeius sich gleichzeitig die Statthalterschaft beider Spanien auf weitere fünf Jahre, also bis 709 (45) verlängern und für die Besoldung seiner Truppen sich aus der Staatskasse eine ansehnliche feste Summe auswerfen ließ, nicht nur, ohne für Caesar die gleiche Verlängerung des Kommandos und die gleiche Geldbewilligung zu bedingen, sondern sogar durch die gleichzeitig ergangenen neuen Regulative über die Besetzung der Statthalterschaften von weitem hinarbeitend auf eine Abberufung Caesars vor dem früher verabredeten Termin. Unverkennbar waren diese Übergriffe darauf berechnet, Caesars Stellung zu untergraben und demnächst ihn zu stürzen. Der Augenblick konnte nicht günstiger sein. Nur darum hatte Caesar in Luca Pompeius so viel eingeräumt, weil Crassus und dessen syrische Armee bei einem etwaigen Bruch mit Pompeius notwendig in Caesars Waagschale fielen; denn auf Crassus, der seit der sullanischen Zeit mit Pompeius aufs tiefste verfeindet und fast ebensolange mit Caesar politisch und persönlich verbündet war, und der nach seiner Eigentümlichkeit allenfalls, wenn er nicht selbst König von Rom werden konnte, auch damit sich begnügt haben würde, des neuen Königs von Rom Bankier zu sein, durfte Caesar überhaupt zählen und auf keinen Fall besorgen, ihn sich gegenüber als Verbündeten seiner Feinde zu erblicken. Die Katastrophe von Juni 791 (53), in der Heer und Feldherr in Syrien zu Grunde gingen, war darum auch für Caesar ein furchtbar schwerer Schlag. Wenige Monate später loderte in Gallien, ebenda es vollständig unterworfen schien, die nationale Insurrektion gewaltiger empor als je und trat zum erstenmal hier gegen Caesar ein ebenbürtiger Gegner in dem Arvernerkönig Vercingetorix auf. Wieder einmal hatte das Geschick für Pompeius gearbeitet: Crassus war tot, ganz Gallien im Aufstand, Pompeius faktisch Diktator von Rom und Herr des Senats - was hätte kommen mögen, wenn er jetzt, statt in weite Ferne hinein gegen Caesar zu intrigieren, kurzweg die Bürgerschaft oder den Senat zwang, Caesar sofort aus Gallien abzurufen!

Aber Pompeius hat es nie verstanden, das Glück bei der Locke zu fassen. Er kündigte den Bruch deutlich genug an; bereits 702 (52) ließen seine Handlungen darüber keinen Zweifel und schon im Frühjahr 703 (51) sprach er seine Absicht, mit Caesar zu brechen, unverhohlen aus; aber er brach nicht und ließ ungenutzt die Monate verstreichen.

Indes wie auch Pompeius zögerte, die Krise rückte doch durch das Schwergewicht der Dinge selbst unaufhaltsam heran. Der bevorstehende Krieg war nicht etwa ein Kampf zwischen Republik und Monarchie - die Entscheidung darüber war bereits vor Jahren gefallen -, sondern ein Kampf um den Besitz der Krone Roms zwischen Pompeius und Caesar. Aber keiner der Prätendenten fand seine Rechnung dabei, die rechte Parole auszusprechen; er hätte damit den ganzen sehr ansehnlichen Teil der Bürgerschaft, der den Fortbestand der Republik wünschte und an dessen Möglichkeit glaubte, dem Gegner geradezu ins Lager getrieben. Die alten Schlachtrufe, wie sie Gracchus und Drusus, Cinna und Sulla angestimmt hatten, wie verbraucht und inhaltlos sie waren, blieben immer noch gut genug zum Feldgeschrei für den Kampf der beiden um die Alleinherrschaft ringenden Generale; und wenn auch für den Augenblick sowohl Pompeius wie Caesar offiziell sich zu der sogenannten Popularpartei rechneten, so konnte es doch keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß Caesar das Volk und den demokratischen Fortschritt, Pompeius die Aristokratie und die legitime Verfassung auf sein Panier schreiben werde. Caesar hatte keine Wahl. Er war von Haus aus und sehr ernstlich Demokrat, die Monarchie, wie er sie verstand, mehr äußerlich als im Wesen selbst von dem gracchischen Volksregiment verschieden; und er war ein zu hochsinniger und zu tiefer Staatsmann, um seine Farbe zu decken und unter einem anderen als seinem eigenen Wappen zu fechten. Der unmittelbare Nutzen freilich, den dies Feldgeschrei ihm brachte, war gering; er beschränkte in der Hauptsache sich darauf, daß er dadurch der Unbequemlichkeit überhoben ward, das Königtum beim Namen zu nennen und mit dem verfemten Worte die Masse der Lauen und die eigenen Anhänger zu konsternieren. Positiven Gewinn trug die demokratische Fahne kaum noch ein, seit die gracchischen Ideale durch Clodius schändlich und lächerlich geworden waren; denn wo gab es jetzt, abgesehen etwa von den Transpadanern, einen Kreis von irgendwelcher Bedeutung, der durch die Schlachtrufe der Demokratie zur Teilnahme an dem Kampfe sich hätte bestimmen lassen?

Damit wäre auch Pompeius’ Rolle in dem bevorstehenden Kampf entschieden gewesen, wenn nicht ohnehin schon es sich von selbst verstanden hätte, daß er in denselben eintreten wußte als der Feldherr der legitimen Republik. Ihn hatte, wenn je einen, die Natur zum Glied einer Aristokratie bestimmt, und nur sehr zufällige und sehr egoistische Motive hatten ihn als Überläufer aus dem aristokratischen in das demokratische Lager geführt. Daß er jetzt wieder auf seine sullanischen Traditionen zurückkam, war nicht bloß sachgemäß, sondern in jeder Beziehung von wesentlichem Nutzen. So verbraucht das demokratische Feldgeschrei war, von so gewaltiger Wirkung wußte das konservative sein, wenn es von dem rechten Mann ausging. Vielleicht die Majorität, auf jeden Fall der Kern der Bürgerschaft, gehörte der verfassungstreuen Partei an, und ihrer numerischen und moralischen Stärke nach war dieselbe wohl berufen, in dem bevorstehenden Prätendentenkampf in mächtiger, vielleicht in entscheidender Weise zu intervenieren. Es fehlte ihr nichts als ein Führer. Marcus Cato, ihr gegenwärtiges Haupt, tat als Vormann seine Schuldigkeit, wie er sie verstand, unter täglicher Lebensgefahr und vielleicht ohne Hoffnung auf Erfolg; seine Pflichttreue ist achtbar, aber der letzte auf einem verlorenen Posten zu sein, ist Soldaten-, nicht Feldherrnlob. Die gewaltige Reserve, die der Partei der gestürzten Regierung wie von selber in Italien erwachsen war, wußte er weder zu organisieren noch rechtzeitig in den Kampf zu ziehen; und, worauf am Ende alles ankam, die militärische Führung hat er aus guten Gründen niemals in Anspruch genommen. Wenn anstatt dieses Mannes, der weder Parteihaupt noch General zu sein verstand, ein Mann von Pompeius’ politischer und militärischer Bedeutung das Banner der bestehenden Verfassung erhob, so strömten notwendig die Munizipalen Italiens haufenweise demselben zu, um darunter, zwar nicht für den König Pompeius, aber doch gegen den König Caesar fechten zu helfen. Hierzu kam ein anderes, wenigstens ebenso wichtiges Moment. Es war Pompeius’ Art, selbst wenn er sich entschlossen hatte, nicht den Weg zur Ausführung seines Entschlusses finden zu können. Wenn er den Krieg vielleicht zu führen, aber gewiß nicht zu erklären verstand, so war die catonische Partei sicher unfähig, ihn zu führen, aber sehr fähig und vor allem sehr bereit gegen die in der Gründung begriffene Monarchie den Krieg zu motivieren. Nach Pompeius’ Absicht sollte, während er selbst sich beiseite hielt und in seiner Art bald davon redete demnächst in seine spanischen Provinzen abgehen zu wollen, bald zur Übernahme des Kommandos am Euphrat sich reisefertig machte, die legitime Regierungsbehörde, das heißt der Senat, mit Caesar brechen, ihm den Krieg erklären und mit dessen Führung Pompeius beauftragen, der dann, dem allgemeinen Verlangen nachgebend, als Beschützer der Verfassung gegen demagogisch-monarchische Wühlereien, als rechtlicher Mann und Soldat der bestehenden Ordnung gegen die Wüstlinge und Anarchisten, als wohlbestallter Feldherr der Kurie gegen den Imperator von der Gasse aufzutreten und wieder einmal das Vaterland zu retten gedachte. Also gewann Pompeius durch die Allianz mit den Konservativen, teils zu seinen persönlichen Anhängern eine zweite Armee, teils ein angemessenes Kriegsmanifest - Vorteile, die allerdings erkauft wurden um den hohen Preis des Zusammengehens mit prinzipiellen Gegnern. Von den unzähligen Übelständen, die in dieser Koalition lagen, entwickelte sich vorläufig nur erst der eine, aber bereits sehr ernste, daß Pompeius es aus der Hand gab, wann und wie es ihm gefiel, gegen Caesar loszuschlagen, und in diesem entscheidenden Punkte sich abhängig machte von allen Zufälligkeiten und Launen einer aristokratischen Korporation.

So ward also die republikanische Opposition, nachdem sie sich Jahre lang mit der Zuschauerrolle hatte begnügen müssen und kaum hatte wagen dürfen zu pfeifen, jetzt durch den bevorstehenden Bruch der Machthaber wieder auf die politische Schaubühne zurückgeführt. Es war dies zunächst der Kreis, der in Cato seinen Mittelpunkt fand, diejenigen Republikaner, die den Kampf für die Republik und gegen die Monarchie unter allen Umständen und je eher desto lieber zu wagen entschlossen waren. Der klägliche Ausgang des im Jahre 698 (56) gemachten Versuchs hatte sie belehrt, daß sie für sich allein den Krieg weder zu führen noch auch nur hervorzurufen imstande waren; männiglich war es bekannt, daß selbst in dem Senat zwar die ganze Körperschaft mit wenigen vereinzelten Ausnahmen der Monarchie abgeneigt war, allein die Majorität doch das oligarchische Regiment nur dann restaurieren wollte, wenn es ohne Gefahr sich restaurieren ließ, womit es denn freilich gute Weile hatte. Gegenüber einesteils den Machthabern, andernteils dieser schlaffen Majorität, die vor allen Dingen und um jeden Preis Frieden verlangte und jedem entschiedenen Handeln, am meisten einem entschiedenen Bruch mit dem einen oder dem anderen der Machthaber abgeneigt war, lag für die Catonische Partei die einzige Möglichkeit, zu einer Restauration des alten Regiments zu gelangen, in der Koalition mit dem minder gefährlichen der Herrscher. Wenn Pompeius sich zu der oligarchischen Verfassung bekannte und für sie gegen Caesar zu streiten sich erbot, so konnte und mußte die republikanische Opposition ihn als ihren Feldherrn anerkennen und mit ihm im Bunde die furchtsame Majorität zur Kriegserklärung zwingen. Daß es Pompeius mit seiner Verfassungstreue nicht voller Ernst war, konnte zwar niemand entgehen; aber halb, wie er in allem war, war es ihm doch auch keineswegs so wie Caesar zum deutlichen und sicheren Bewußtsein gekommen, daß es das erste Geschäft des neuen Monarchen sein müsse, mit dem oligarchischen Gerümpel gründlich und abschließend aufzuräumen. Auf alle Fälle bildete der Krieg ein wirklich republikanisches Heer und wirklich republikanische Feldherren heran, und es konnte dann, nach dem Siege über Caesar, unter günstigeren Aussichten dazu geschritten werden, nicht bloß einen der Monarchen, sondern die im Werden begriffene Monarchie selbst zu beseitigen. Verzweifelt wie die Sache der Oligarchie stand, war das Anerbieten des Pompeius, mit ihr sich zu verbünden, für sie die möglichst günstige Fügung.

Der Abschluß der Allianz zwischen Pompeius und der catonischen Partei erfolgte verhältnismäßig rasch. Schon während Pompeius’ Diktatur hatte beiderseits eine bemerkenswerte Annäherung stattgefunden. Pompeius ganzes Verhalten in der Milonischen Krise, seine schroffe Zurückweisung des die Diktatur ihm antragenden Pöbels, seine bestimmte Erklärung, nur vom Senat dies Amt annehmen zu wollen, seine unnachsichtige Strenge gegen die Ruhestörer jeder Art und namentlich gegen die Ultrademokraten, die auffallende Zuvorkommenheit, womit er Cato und dessen Gesinnungsgenossen behandelte, schienen ebenso darauf berechnet, die Männer der Ordnung zu gewinnen, wie sie für den Demokraten Caesar beleidigend waren. Andererseits hatten auch Cato und seine Getreuen den Antrag, Pompeius die Diktatur zu übertragen, statt ihn mit gewohntem Rigorismus zu bekämpfen, unter unwesentlichen Formänderungen zu dem ihrigen gemacht; zunächst aus den Händen des Bibulus und Cato hatte Pompeius das ungeteilte Konsulat empfangen. Wenn so schon zu Anfang des Jahres 702 (52) die Catonische Partei und Pompeius wenigstens stillschweigend sich verstanden, so durfte das Bündnis als förmlich abgeschlossen gelten, als bei den Konsulwahlen für 703 (51) zwar nicht Cato selbst gewählt ward, aber doch neben einem unbedeutenden Manne der Senatsmajorität einer der entschiedensten Anhänger Catos, Marcus Claudius Marcellus. Marcellus war kein stürmischer Eiferer und noch weniger ein Genie, aber ein charakterfester und strenger Aristokrat, eben der rechte Mann, um, wenn mit Caesar der Krieg begonnen werden sollte, denselben zu erklären. Wie die Verhältnisse lagen, kann diese nach den unmittelbar vorher gegen die republikanische Opposition ergriffenen Repressivmaßregeln so auffallende Wahl kaum anders erfolgt sein als mit Einwilligung oder wenigstens unter stillschweigender Zulassung des derzeitigen Machthabers von Rom. Langsam und schwerfällig, wie er pflegte, aber unverwandt schritt Pompeius auf den Bruch zu.

In Caesars Absicht lag es dagegen nicht, in diesem Augenblicke mit Pompeius sich zu überwerfen. Zwar ernstlich und auf die Dauer konnte er die Herrschergewalt mit keinem Kollegen teilen wollen, am wenigsten mit einem so untergeordneter Art, wie Pompeius war, und ohne Zweifel war er längst entschlossen, nach Beendigung der gallischen Eroberung die Alleinherrschaft für sich zu nehmen und nötigenfalls mit den Waffen zu erzwingen. Allein ein Mann wie Caesar, in dem der Offizier durchaus dem Staatsmann untergeordnet war, konnte nicht verkennen, daß die Regulierung des staatlichen Organismus durch Waffengewalt denselben in ihren Folgen tief und oft für immer zerrüttet, und mußte darum, wenn irgend möglich, die Verwicklung durch friedliche Mittel oder wenigstens ohne offenbaren Bürgerkrieg zu lösen suchen. War aber dennoch der Bürgerkrieg nicht zu vermeiden, so konnte er doch nicht wünschen, jetzt dazu gedrängt zu werden, wo in Gallien der Aufstand des Vercingetorix eben alles Erreichte aufs neue in Frage stellte und ihn vom Winter 701/02 (53/52) bis zum Winter 702/03 (52/51) unausgesetzt beschäftigte, wo Pompeius und die grundsätzlich ihm feindliche Verfassungspartei in Italien geboten. Darum suchte er das Verhältnis mit Pompeius und damit den Frieden aufrecht zu halten und, wenn irgend möglich, in friedlicher Weise zu dem bereits in Luca ihm zugesicherten Konsulat für 706 (48) zu gelangen. Ward er alsdann nach abschließender Erledigung der keltischen Angelegenheiten in ordnungsgemäßer Weise an die Spitze des Staates gestellt, so konnte er, der dem Staatsmann Pompeius noch weit entschiedener überlegen war als dem Feldherrn, wohl darauf rechnen, ohne besondere Schwierigkeit diesen in der Kurie und auf dem Forum auszumanövrieren. Vielleicht war es möglich, für seinen schwerfälligen, unklaren und hoffärtigen Nebenbuhler irgendeine ehrenvolle und einflußreiche Stellung zu ermitteln, in der dieser sich zu annullieren zufrieden war; die wiederholten Versuche Caesars, sich mit Pompeius verschwägert zu halten, mochten darauf abzielen, eine solche Lösung anzubahnen und in der Sukzession der aus beider Nebenbuhler Blut herstammenden Sprößlinge die letzte Schlichtung des alten Haders herbeizuführen. Die republikanische Opposition blieb dann führerlos, also wahrscheinlich ebenfalls ruhig und der Friede ward erhalten. Gelang dies nicht und mußten, wie es allerdings wahrscheinlich war, schließlich die Waffen entscheiden, so verfügte dann Caesar als Konsul in Rom über die gehorsame Senatsmajorität und konnte die Koalition der Pompeianer und der Republikaner erschweren, ja vielleicht vereiteln und den Krieg weit schicklicher und vorteilhafter führen, als wenn er jetzt als Prokonsul von Gallien gegen den Senat und dessen Feldherrn marschieren ließ. Allerdings hing das Gelingen dieses Planes davon ab, daß Pompeius gutmütig genug war, jetzt noch Caesar zu dem ihm in Luca zugesicherten Konsulat für 706 (48) gelangen zu lassen; aber selbst wenn er fehlschlug, war es für Caesar immer noch nützlich, die größte Nachgiebigkeit tatsächlich und wiederholt zu dokumentieren. Teils ward dadurch Zeit gewonnen, um inzwischen im Keltenland zum Ziele zu kommen, teils blieb den Gegnern die gehässige Initiative des Bruches und also des Bürgerkriegs, was sowohl der Senatsmajorität und der Partei der materiellen Interessen, also auch namentlich den eigenen Soldaten gegenüber für Caesar vom größten Belang war.

Hiernach handelte er. Er rüstete freilich: durch neue Aushebungen im Winter 702/03 (52/51) stieg die Zahl seiner Legionen, einschließlich der von Pompeius entlehnten, auf elf. Aber zugleich billigte er ausdrücklich und öffentlich Pompeius’ Verhalten während der Diktatur und die durch ihn bewirkte Wiederherstellung der Ordnung in der Hauptstadt, wies die Warnungen geschäftiger Freunde als Verleumdungen zurück, rechnete jeden Tag, um den es gelang, die Katastrophe zu verzögern, sich zum Gewinn, übersah, was sich übersehen ließ, und ertrug, was ertragen werden konnte, unerschütterlich festhaltend nur an der einen und entscheidenden Forderung, daß, wenn mit dem Jahre 705 (49) seine Statthalterschaft zu Ende ging, das nach republikanischem Staatsrecht zulässige, von seinem Kollegen vertragsmäßig zugestandene zweite Konsulat für das Jahr 706 (48) ihm zuteil werde.

Ebendies wurde das Schlachtfeld des jetzt beginnenden diplomatischen Krieges. Wenn Caesar genötigt wurde, entweder sein Statthalteramt vor dem letzten Dezember 705 (49) niederzulegen oder die Übernahme des hauptstädtischen Amtes über den 1. Januar 706 (48) hinauszuschieben, er also eine Zeitlang zwischen Statthalterschaft und Konsulat ohne Amt, folglich der - nach römischem Recht nur gegen den amtlosen Mann zulässigen - Kriminalanklage ausgesetzt blieb, so hatte, da Cato längst bereit stand, ihn peinlich zu belangen, und da Pompeius ein mehr als zweifelhafter Beschützer war, das Publikum guten Grund, ihm in diesem Fall das Schicksal Milos zu prophezeien. Um aber jenes zu erreichen, gab es für Caesars Gegner ein sehr einfaches Mittel. Nach der bestehenden Wahlordnung war jeder Bewerber um das Konsulat verpflichtet, vor der Wahl, also ein halbes Jahr vor dem Amtsantritt, sich persönlich bei dem wahlleitenden Beamten zu melden und die Einzeichnung seines Namens in die offizielle Kandidatenliste zu bewirken. Es mag bei den Verträgen von Luca als selbstverständlich angesehen worden sein, daß Caesar von dieser rein formellen und sehr oft den Kandidaten erlassenen Verpflichtung dispensiert werde; allein das desfällige Dekret war noch nicht ergangen, und da Pompeius jetzt im Besitz der Dekretiermaschine war, hing Caesar in dieser Hinsicht von dem guten Willen seines Nebenbuhlers ab. Unbegreiflicherweise gab Pompeius diese vollkommen sichere Stellung freiwillig auf; mit seiner Einwilligung und während seiner Diktatur 702 (52) ward durch ein tribunizisches Gesetz Caesar die persönliche Meldung erlassen. Als indes bald darauf die neue Wahlordnung erging, war darin die Verpflichtung der Kandidaten, persönlich sich einschreiben zu lassen, allgemein wiederholt und keinerlei Ausnahme zu Gunsten der durch ältere Volksschlüsse davon Entbundenen hinzugefügt; nach formellem Recht war das zu Gunsten Caesars ergangene Privileg durch das jüngere allgemeine Gesetz aufgehoben. Caesar beschwerte sich, und die Klausel wurde auch nachgetragen, aber nicht durch besonderen Volksschluß bestätigt, so daß diese durch reine Interpolation dem schon promulgierten Gesetz eingefügte Bestimmung rechtlich nur als eine Nullität angesehen werden konnte. Was also Pompeius einfach hätte festhalten können, hatte er vorgezogen erst zu verschenken, sodann zurückzunehmen und diese Zurücknahme schließlich in illoyalster Weise zu bemänteln.

Wenn hiermit nur mittelbar auf Verkürzung der Statthalterschaft Caesars hingearbeitet ward, so verfolgte dagegen das gleichzeitig ergangene Regulativ über die Statthalterschaften dasselbe Ziel geradezu. Die zehn Jahre, auf welche, zuletzt durch das von Pompeius selbst in Gemeinschaft mit Crassus beantragte Gesetz, Caesar die Statthalterschaft gesichert worden war, liefen nach der hierfür üblichen Rechnung vom 1. März 695 (59) bis zum letzten Februar 705 (49). Da ferner nach der früheren Übung dem Prokonsul oder Proprätor das Recht zustand, unmittelbar nach Beendigung seines Konsulats oder seiner Prätur in sein Provinzialamt einzutreten, so war Caesars Nachfolger nicht aus den städtischen Beamten des Jahres 704 (50), sondern aus denen des Jahres 705 (49) zu ernennen und konnte also nicht vor dem 1. Januar 706 (48) eintreten. Insofern hatte Caesar auch noch während der letzten zehn Monate des Jahres 705 (49) ein Anrecht auf das Kommando, nicht auf Grund des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, aber auf Grund der alten Regel, daß das befristete Kommando auch nach Ablauf der Frist bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert. Seitdem nun aber das neue Regulativ des Jahres 702 (52) nicht die abgehenden, sondern die vor fünf Jahren oder länger abgegangenen Konsuln und Prätoren zu den Statthalterschaften berief und also zwischen dem bürgerlichen Amt und dem Kommando, statt der bisherigen unmittelbaren Aufeinanderfolge, ein Intervall vorschrieb, war nichts mehr im Wege, jede gesetzlich erledigte Statthalterschaft sofort anderweitig zu besetzen, also in dem gegebenen Falle für die gallischen Provinzen den Kommandowechsel statt am 1. Januar 706 (48) vielmehr am 1. März 705 (49) herbeizuführen. Pompeius’ kümmerliche Hinterhältigkeit und zögernde Tücke sind in diesen Veranstaltungen in merkwürdiger Weise gemischt mit dem knifflichen Formalismus und der konstitutionellen Gelehrsamkeit der Verfassungspartei. Jahre zuvor, ehe diese staatsrechtlichen Waffen gebraucht werden konnten, legte man sie sich zurecht und setzte sich in die Verfassung, teils Caesar vor dem Tage, wo die durch Pompeius’ eigenes Gesetz ihm zugesicherte Frist zu Ende lief, also vom 1. März 705 (49) an, durch Sendung der Nachfolger zur Niederlegung des Kommandos nötigen, teils die bei den Wahlen für 706 (48) auf ihn lautenden Stimmtafeln als nichtige behandeln zu können. Caesar, nicht in der Lage, diese Schachzüge zu hindern, schwieg dazu und ließ die Dinge an sich kommen.

Allgemach rückte denn der verfassungsmäßige Schneckengang weiter. Nach der Observanz hatte der Senat über die Statthalterschaften des Jahres 705 (49), insofern sie an gewesene Konsuln kamen, zu Anfang des Jahres 703 (51), insofern sie an gewesene Prätoren kamen, zu Anfang des Jahres 704 (50) zu beraten; jene erstere Beratung gab den ersten Anlaß, die Ernennung von neuen Statthaltern für beide Gallien im Senat zur Sprache zu bringen und damit den ersten Anlaß zu offener Kollision zwischen der von Pompeius vorgeschobenen Verfassungspartei und den Vertretern Caesars im Senat. Der Konsul Marcus Marcellus brachte den Antrag ein, den beiden für 705 (49) mit Statthalterschaften auszustattenden Konsularen die beiden bisher von dem Prokonsul Gaius Caesar verwalteten vom 1. März jenes Jahres an zu überweisen. Die lange zurückgehaltene Erbitterung brach im Strom durch die einmal aufgezogene Schleuse; es kam bei diesen Unterhandlungen alles zur Sprache, was die Catonianer gegen Caesar im Sinn trugen. Für sie stand es fest, daß das durch Ausnahmegesetz dem Prokonsul Caesar gestattete Recht, sich abwesend zur Konsulwahl zu melden, durch späteren Volksschluß wieder aufgehoben, auch in diesem nicht in gültiger Weise vorbehalten sei. Der Senat sollte ihrer Meinung nach diesen Beamten veranlassen, da die Unterwerfung Galliens beendigt sei, die ausgedienten Soldaten sofort zu verabschieden. Die von Caesar in Oberitalien vorgenommenen Bürgerrechtsverleihungen und Koloniegründungen wurden von ihnen als verfassungswidrig und nichtig bezeichnet; davon zu weiterer Verdeutlichung verhängte Marcellus über einen angesehenen Ratsherrn der Caesarischen Kolonie Comum, der, selbst wenn diesem Ort nicht Bürger-, sondern nur latinisches Recht zukam, befugt war, das römische Bürgerrecht in Anspruch zu nehmen, die nur gegen Nichtbürger zulässige Strafe des Auspeitschens.

Caesars derzeitige Vertreter, unter denen Gaius Vibius Pansa, der Sohn eines von Sulla geächteten Mannes, aber dennoch in die politische Laufbahn gelangt, früher Offizier in Caesars Heer und in diesem Jahre Volkstribun, der namhafteste war, machten im Senat geltend, daß sowohl der Stand der Dinge in Gallien als auch die Billigkeit erfordere, nicht nur Caesar nicht vor der Zeit abzurufen, sondern vielmehr ihm das Kommando neben dem Konsulat zu lassen; sie wiesen ohne Zweifel darauf hin, daß vor wenigen Jahren Pompeius ganz ebenso die spanischen Statthalterschaften mit dem Konsulat vereinigt habe und noch gegenwärtig, außer dem wichtigen Oberaufsichtsamt über das hauptstädtische Verpflegungswesen, mit dem spanischen Oberkommando das von Italien kumuliere, ja dessen sämtliche waffenfähige Mannschaft von ihm eingeschworen und ihres Eides noch nicht entbunden sei.

Der Prozeß fing an sich zu formulieren, aber er kam darum nicht in rascheren Gang. Die Majorität des Senats, den Bruch kommen sehend, ließ es Monate lang zu keiner beschlußfähigen Sitzung kommen; und wieder andere Monate gingen über Pompeius’ feierlichem Zaudern verloren. Endlich brach dieser das Schweigen und stellte sich zwar wie immer in rückhaltiger und unsicherer Weise, doch deutlich genug, gegen seinen bisherigen Verbündeten auf die Seite der Verfassungspartei. Die Forderung der Caesarianer, ihrem Herrn die Kumulierung des Konsulats mit dem Prokonsulat zu gestatten, wies er kurz und schroff von der Hand; dies Verlangen, fügte er mit plumper Grobheit hinzu, komme ihm nicht besser vor, als wenn der Sohn dem Vater Stockschläge anbiete. Dem Antrag des Marcellus stimmte er im Prinzip insofern bei, als auch er erklärte, Caesar den unmittelbaren Anschluß des Konsulats an das Prokonsulat nicht erlauben zu wollen. Indes ließ er durchblicken, ohne doch hierüber sich bindend zu erklären, daß man die Zulassung zu den Wahlen für 706 (48) unter Beseitigung der persönlichen Meldung sowie die Fortführung der Statthalterschaft bis zum 13. November 705 (49) äußersten Falls Caesar vielleicht gestatten werde. Zunächst aber willigte der unverbesserliche Zauderer in die Vertagung der Nachfolgerernennung bis nach dem letzten Februar 704 (50), was von Caesars Wortführern verlangt ward, wahrscheinlich auf Grund einer Klausel des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, welche vor dem Anfang von Caesars letztem Statthalterjahr jede Verhandlung des Senats über die Nachfolgerernennung untersagte.

In diesem Sinne fielen denn die Beschlüsse des Senats aus (29. September 703 51). Die Besetzung der gallischen Statthalterschaften ward für den 1. März 704 (50) auf die Tagesordnung gebracht, schon jetzt aber die Sprengung der Armee Caesars, ähnlich wie es einst durch Volksschluß mit dem Heere des Lucullus geschehen war, in der Art in die Hand genommen, daß die Veteranen desselben veranlaßt wurden, sich wegen ihrer Verabschiedung an den Senat zu wenden. Caesars Vertreter bewirkten zwar, soweit sie verfassungsmäßig es konnten, die Kassation dieser Beschlüsse durch ihr tribunizisches Veto; allein Pompeius sprach sehr bestimmt aus, daß die Beamten verpflichtet seien, dem Staat unbedingt zu gehorchen und Interzessionen und ähnliche antiquierte Formalitäten hierin nichts ändern würden. Die oligarchische Partei, zu deren Organ Pompeius jetzt sich machte, verriet nicht undeutlich die Absicht, nach einem allfälligen Siege die Verfassung in ihrem Sinn zu revidieren und alles zu beseitigen, was wie Volksfreiheit auch nur aussah; wie sie denn auch, ohne Zweifel aus diesem Grunde, es unterließ, bei ihren gegen Caesar gerichteten Angriffen sich irgendwie der Komitien zu bedienen. Die Koalition zwischen Pompeius und der Verfassungspartei war also förmlich erklärt, auch über Caesar das Urteil offenbar bereits gefällt und nur der Termin der Eröffnung verschoben. Die Wahlen für das folgende Jahr fielen durchgängig gegen ihn aus.

Während dieser kriegsvorbereitenden Parteimanöver der Gegner war es Caesar gelungen, mit der gallischen Insurrektion fertigzuwerden und in dem ganzen unterworfenen Gebiet den Friedensstand herzustellen. Schon im Sommer 703 (51) zog er, unter dem schicklichen Vorwand der Grenzverteidigung, aber offenbar zum Zeichen dessen, daß die Legionen in Gallien jetzt anfingen entbehrt werden zu können, eine derselben nach Norditalien. Er mußte, wenn nicht früher, jedenfalls wohl jetzt erkennen, daß es ihm nicht erspart bleiben werde, das Schwert gegen seine Mitbürger zu ziehen; allein nichtsdestoweniger suchte er, da es höchst wünschenswert war, die Legionen noch eine Zeitlang in dem kaum beschwichtigten Gallien zu lassen, auch jetzt noch zu zögern und gab, wohl bekannt mit der extremen Friedensliebe der Senatsmajorität, die Hoffnung nicht auf, sie ungeachtet des von Pompeius auf sie ausgeübten Druckes von der Kriegserklärung noch zurückzuhalten. Selbst große Opfer scheute er nicht, um nur für jetzt nicht mit der obersten Regierungsbehörde in offenen Widerspruch zu geraten. Als der Senat (Frühling 704 50) auf Betrieb des Pompeius sowohl an diesen wie an Caesar das Ansuchen stellte, je eine Legion für den bevorstehenden Parthischen Krieg abzugeben, und als in Gemäßheit dieses Beschlusses Pompeius die vor mehreren Jahren an Caesar überlassene Legion von diesem zurückverlangte, um sie nach Syrien einzuschiffen, kam Caesar der zwiefachen Aufforderung nach, da an sich weder die Opportunität dieses Senatsbeschlusses noch die Berechtigung der Forderung des Pompeius sich bestreiten ließ und Caesar an der Einhaltung der Schranken des Gesetzes und der formalen Loyalität mehr gelegen war als an einigen tausend Soldaten mehr. Die beiden Legionen kamen ohne Verzug und stellten sich der Regierung zur Verfügung, aber statt sie an den Euphrat zu senden, hielt diese sie in Capua für Pompeius in Bereitschaft, und das Publikum hatte wieder einmal Gelegenheit, Caesars offenkundige Bemühungen, den Bruch abzuwenden, mit der perfiden Kriegsvorbereitung der Gegner zu vergleichen.

Für die Verhandlungen mit dem Senat war es Caesar gelungen, nicht nur den einen der beiden Konsuln des Jahres, Lucius Aemilius Paullus, zu erkaufen, sondern vor allem den Volkstribun Gaius Curio, wahrscheinlich das eminenteste unter den vielen liederlichen Genies dieser Epoche ^2: unübertroffen an vornehmer Eleganz, an fließender und geistreicher Rede, an Intrigengeschick und an jener Tatkraft, welche bei energisch angelegten, aber verlotterten Charakteren in den Pausen des Müßiggangs nur um so mächtiger sich regt; aber auch unübertroffen in wüster Wirtschaft, im Borgtalent - man schlug seine Schulden auf 60 Mill. Sesterzen (4½ Mill. Taler) an - und in sittlicher wie politischer Grundsatzlosigkeit. Schon früher hatte er Caesar sich zu Kauf angetragen und war abgewiesen worden: das Talent, das er seitdem in seinen Angriffen auf Caesar entwickelt hatte, bestimmte diesen, ihn nachträglich zu erstehen - der Preis war hoch, aber die Ware war es wert. Curio hatte in den ersten Monaten seines Volkstribunats den unabhängigen Republikaner gespielt und als solcher sowohl gegen Caesar wie gegen Pompeius gedonnert. Die anscheinend unparteiische Stellung, die dies ihm gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im März 704 (50) der Antrag über die Besetzung der gallischen Statthalterschaften für das nächste Jahr aufs neue im Senat zur Verhandlung kam, diesem Beschlusse vollständig beizupflichten, aber die gleichzeitige Ausdehnung desselben auch auf Pompeius und dessen außerordentliche Kommandos zu verlangen. Seine Auseinandersetzung, daß ein verfassungsmäßiger Zustand sich nur durch Beseitigung sämtlicher Ausnahmestellungen herbeiführen lasse, daß Pompeius, als nur vom Senat mit dem Prokonsulat betraut, noch viel weniger als Caesar demselben den Gehorsam verweigern könne, daß die einseitige Beseitigung des einen der beiden Generäle die Gefahr für die Verfassung nur steigere, leuchtete den politischen Halbweisen wie dem großen Publikum vollkommen ein, und Curios Erklärung, daß er jedes einseitige Vorschreiten gegen Caesar durch das verfassungsmäßig ihm zustehende Veto zu verhindern gedenke, fand in und außer dem Senat vielfach Billigung. Caesar erklärte sich mit Curios Vorschlag sofort einverstanden und erbot sich, Statthalterschaft und Kommando jeden Augenblick auf Anforderndes Senats niederzulegen, wofern Pompeius das gleiche tue; er durfte es, denn ohne sein italisch-spanisches Kommando war Pompeius nicht länger furchtbar. Dagegen konnte Pompeius eben deswegen nicht umhin sich zu weigern; seine Erwiderung, daß Caesar zuerst niederlegen müsse und er dem gegebenen Beispiel bald zu folgen gedenke, befriedigte um so weniger, als er nicht einmal einen bestimmten Termin für seinen Rücktritt ansetzte. Wieder stockte Monate lang die Entscheidung; Pompeius und die Catonianer, die bedenkliche Stimmung der Senatsmajorität erkennend, wagten es nicht, Curios Antrag zur Abstimmung zu bringen. Caesar benutzte den Sommer, um den Friedensstand in den von ihm eroberten Landschaften zu konstatieren, an der Schelde eine große Heerschau über seine Truppen und durch die ihm völlig ergebene norditalische Statthalterschaft einen Triumphzug zu halten; der Herbst fand ihn in der südlichen Grenzstadt seiner Provinz, in Ravenna. Die nicht länger zu verzögernde Abstimmung über Curios Antrag fand endlich statt und konstatierte die Niederlage der Partei des Pompeius und Cato in ihrem ganzen Umfang. Mit 370 gegen 30 Stimmen beschloß der Senat, daß die Prokonsuln von Spanien und Gallien beide aufzufordern seien, ihre Ämter zugleich niederzulegen; und mit grenzenlosem Jubel vernahmen die guten Bürger von Rom die frohe Botschaft von Curios rettender Tat. Pompeius ward also vom Senat nicht minder abberufen als Caesar, und während Caesar bereit stand, dem Befehl nachzukommen, verweigerte Pompeius geradezu den Gehorsam. Der vorsitzende Konsul Gaius Marcellus, des Marcus Marcellus Vetter und gleich diesem zur Catonischen Partei gehörig, hielt der servilen Majorität eine bittere Strafpredigt; und ärgerlich war es freilich, so im eigenen Lager geschlagen zu werden und geschlagen mittels der Phalanx der Memmen. Aber wo sollte der Sieg auch herkommen unter einem Führer, der, statt kurz und bestimmt den Senatoren seine Befehle zu diktieren, sich auf seine alten Tage bei einem Professor der Redekunst zum zweitenmal in die Lehre begab, um dem jugendfrischen glänzenden Talente Curios mit neu aufpolierter Eloquenz zu begegnen?

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^2 homo ingeniosissime nequam (Vell, 2, 48).

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Die im Senat geschlagene Koalition war in der peinlichsten Lage. Die Catonische Fraktion hatte es übernommen, die Dinge zum Bruche zu treiben und den Senat mit sich fortzureißen und sah nun in der ärgerlichsten Weise ihr Fahrzeug auf den Sandbänken der schlaffen Majorität stranden. Von Pompeius mußten ihre Führer in den Konferenzen die bittersten Vorwürfe hören; er wies mit Nachdruck und mit vollem Recht auf die Gefahren des Scheinfriedens hin, und wenn es auch nur an ihm selber lag den Knoten durch eine rasche Tat zu durchhauen, so wußten seine Verbündeten doch sehr wohl, daß sie diese von ihm nimmermehr erwarten durften und daß es an ihnen war, wie sie es zugesagt, ein Ende zu machen. Nachdem die Vorfechter der Verfassung und des Senatsregiments bereits früher die verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerschaft und der Volkstribune für inhaltlose Formalitäten erklärt hatten, sahen sie sich jetzt in die Notwendigkeit versetzt, die verfassungsmäßigen Entscheidungen des Senats selbst in ähnlicher Weise zu behandeln und, da die legitime Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten lassen, sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch zufällig; in ganz ähnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen hatten auch Sulla und Lucullus jeden im rechten Interesse der Regierung gefaßten energischen Entschluß derselben über den Kopf nehmen zu müssen: die Verfassungsmaschine war eben vollständig abgenutzt, und wie seit Jahrhunderten die Komitien, so jetzt auch der Senat nichts als ein lahmes, aus dem Geleise weichendes Rad.

Es ging die Rede (Oktober 704 50), daß Caesar vier Legionen aus dem Jenseitigen in das Diesseitige Gallien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl diese Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters lag, Curio überdies die vollständige Grundlosigkeit des Gerüchts im Senat handgreiflich dartat und die Kurie den Antrag des Konsuls Gaius Marcellus, daraufhin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu erteilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der genannte Konsul in Verbindung mit den beiden für 705 (49) erwählten gleichfalls zur Catonischen Partei gehörigen Konsuln zu Pompeius, und diese drei Männer ersuchten kraft eigener Machtvollkommenheit den General, sich an die Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eröffnung des Bürgerkrieges ließ schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit mehr, auf solche Nebensachen Rücksicht zu nehmen: Pompeius nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen begannen; um sie persönlich zu fördern, verließ Pompeius im Dezember 704 (50) die Hauptstadt.

Caesar hatte es vollständig erreicht, den Gegnern die Initiative des Bürgerkrieges zuzuschieben. Er hatte, während er selber den Rechtsboden festhielt, Pompeius gezwungen, den Krieg zu erklären, und ihn zu erklären nicht als Vertreter der legitimen Gewalt, sondern als Feldherr einer offenbar revolutionären und die Mehrheit terrorisierenden Senatsminorität. Es war dieser Erfolg nicht gering anzuschlagen, wenngleich der Instinkt der Massen sich keinen Augenblick darüber täuschen konnte und täuschte, daß es in diesem Krieg sich um andere Dinge handelte als um formale Rechtsfragen. Nun, wo der Krieg erklärt war, lag es in Caesars Interesse, baldmöglichst zum Schlagen zu kommen. Die Rüstungen der Gegner waren erst im Beginnen und selbst die Hauptstadt unbesetzt. In zehn bis zwölf Tagen konnte daselbst eine den in Oberitalien stehenden Truppen Caesars dreifach überlegene Armee beisammen sein; aber noch war es nicht unmöglich, Rom unverteidigt zu überrumpeln, ja vielleicht durch einen raschen Winterfeldzug ganz Italien einzunehmen und den Gegnern ihre besten Hilfsquellen zu verschließen, bevor sie noch dieselben nutzbar zu machen vermochten. Der kluge und energische Curio, der nach Niederlegung seines Tribunats (9. Dezember 704 50) sofort zu Caesar nach Ravenna gegangen war, stellte seinem Meister die Lage der Dinge lebhaft vor, und es bedurfte dessen schwerlich, um Caesar zu überzeugen, daß jetzt längeres Zaudern nur schaden könne. Allein da er, um nicht den Gegnern Veranlassung zu Beschwerden zu geben, nach Ravenna selbst bisher keine Truppen gezogen hatte, konnte er für jetzt nichts tun, als seinen sämtlichen Korps den Befehl zum schleunigsten Aufbruch zufertigen und mußte warten, bis wenigstens die eine in Oberitalien stehende Legion in Ravenna eintraf. Inzwischen sandte er ein Ultimatum nach Rom, das, wenn zu nichts anderem, doch dazu nützlich war, daß es durch Nachgiebigkeit bis aufs äußerste seine Gegner noch weiter in der öffentlichen Meinung kompromittierte und vielleicht sogar, indem er selber zu zaudern schien, sie bestimmte, die Rüstungen gegen ihn lässiger zu betreiben. In diesem Ultimatum ließ Caesar alle früheren an Pompeius gestellten Gegenforderungen fallen und erbot sich seinerseits, bis zu der von dem Senate festgesetzten Frist sowohl die Statthalterschaft des Jenseitigen Galliens niederzulegen als auch von den zehn ihm eigenen Legionen acht aufzulösen; er erklärte sich befriedigt, wenn der Senat ihm entweder die Statthalterschaft des Diesseitigen Galliens und Illyriens mit einer oder auch die des Diesseitigen Galliens allein mit zwei Legionen, nicht etwa bis zur Übernahme des Konsulats, sondern bis nach Beendigung der Konsulwahlen für 706 (48) belasse. Er ging also auf diejenigen Vergleichsvorschläge ein, mit denen zu Anfang der Verhandlungen die Senatspartei, ja Pompeius selbst erklärt hatten, sich befriedigen zu wollen, und zeigte sich bereit, von der Wahl zum Konsulat bis zum Antritt desselben im Privatstand zu verharren. Ob es Caesar mit diesen erstaunlichen Zugeständnissen Ernst war und er sein Spiel gegen Pompeius selbst bei solchem Vorgeben durchführen zu können sich getraute oder ob er darauf rechnete, daß man auf der andern Seite bereits zu weit gegangen sei, um in diesen Vergleichsvorschlägen mehr zu finden als den Beweis dafür, daß Caesar seine Sache selbst als verloren betrachte, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafür, daß Caesar weit eher den Fehler allzukecken Spielens als den schlimmeren beging, etwas zu versprechen, was er nicht zu halten gesonnen war, und daß, wenn wunderbarerweise seine Vorschläge angenommen worden wären, er sein Wort gutgemacht haben würde. Curio übernahm es, seinen Herrn noch einmal in der Höhle des Löwen zu vertreten. In drei Tagen durchflog er die Straße von Ravenna nach Rom; als die neuen Konsuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der jüngere ^3 zum erstenmal am 1. Januar 705 (49) den Senat versammelten, übergab er in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerichtete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der Skandalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und aller seiner Torheiten Genosse, aber zugleich auch aus den ägyptischen und gallischen Feldzügen als glänzender Reiteroffizier, und Quintus Cassius, Pompeius’ ehemaliger Quästor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom führten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ernsten und klaren Warte, in denen Caesar den drohenden Bürgerkrieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius’ Übermut, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwiderstehlichen Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschläge von einer ohne Zweifel seine eigenen Anhänger überraschenden Mäßigung, die bestimmte Erklärung, daß hiermit die Hand zum Frieden zum letztenmal geboten sei, machten den tiefsten Eindruck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt geströmten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Majorität nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen, sie sich aussprechen zu lassen. Über den von Caesar erneuerten Vorschlag, daß beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres Kommandos aufgegeben werden möge, über alle durch sein Schreiben nahegelegten Vergleichsvorschläge und über den von Marcus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag, Pompeius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, weigerten sich die Konsuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die Abstimmung zu eröffnen. Selbst der Antrag eines der entschiedensten Gesinnungsgenossen, der nur nicht gegen die militärische Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Marcellus: die Beschlußfassung auszusetzen, bis der italische Landsturm unter Waffen stehe und den Senat zu schützen vermöge, durfte nicht zur Abstimmung gebracht werden. Pompeius ließ durch sein gewöhnliches Organ Quintus Scipio erklären, daß er jetzt oder nie die Sache des Senats aufzunehmen entschlossen sei und sie fallen lasse, wenn man noch länger zaudere. Der Konsul Lentulus sprach es unumwunden aus, daß es gar auf den Beschluß des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn derselbe bei seiner Servilität verharren sollte, er von sich aus handeln und mit seinen mächtigen Freunden das weitere veranlassen werde. So terrorisiert, beschloß die Majorität, was ihr befohlen ward: daß Caesar bis zu einem bestimmten, nicht fernen Tage das Jenseitige Gallien an Lucius Domitius Ahenobarbus, das Diesseitige an Marcus Servilius Nonianus abzugeben und das Heer zu entlassen habe, widrigenfalls er als Hochverräter erachtet werde. Als die Tribune von Caesars Partei gegen diesen Beschluß ihres Interzessionsrechts sich bedienten, wurden sie nicht bloß, wie sie wenigstens behaupteten, in der Kurie selbst von Pompeianischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben zu retten, in Sklavenkleidern aus der Hauptstadt zu flüchten gezwungen, sondern es behandelte auch der nun hinreichend eingeschüchterte Senat ihr formell durchaus verfassungsmäßiges Einschreiten wie einen Revolutionsversuch, erklärte das Vaterland in Gefahr und rief in den üblichen Formen die gesamte Bürgerschaft unter die Waffen und an die Spitze der Bewaffneten die sämtlichen verfassungstreuen Beamten (7. Januar 705 49).

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^3 Zu unterscheiden von dem gleichnamigen Konsul des Jahres 704 (SO); dieser war ein Vetter, der Konsul des Jahres 705 (49) ein Bruder des Marcus Marcellus, Konsul 703 (51).

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Nun war es genug. Wie Caesar durch die schutzflehend zu ihm ins Lager flüchtenden Tribune von der Aufnahme in Kenntnis gesetzt ward, welche seine Vorschläge in der Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten Legion, die inzwischen aus ihren Kantonierungen bei Tergeste (Triest) in Ravenna eingetroffen war, zusammen und entwickelte vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht bloß der geniale Herzenskündiger und Geisterbeherrscher, dessen glänzende Rede in diesem erschütternden Wendepunkt seines und des Weltgeschicks hoch emporleuchtete und flammte; nicht bloß der freigebige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu den Soldaten sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit acht Jahren mit immer steigender Begeisterung seinen Fahnen gefolgt waren; es sprach vor allem der energische und konsequente Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache der Freiheit in guter und böser Zeit vertreten, für sie den Dolchen der Mörder und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern der Deutschen und den Fluten des unbekannten Ozeans Trotz geboten hatte, ohne je zu weichen und zu wanken, der die Sullanische Verfassung zerrissen, das Regiment des Senats gestürzt, die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe jenseits der Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu dem clodianischen Publikum, dessen republikanischer Enthusiasmus längst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu den jungen Mannschaften aus den Städten und Dörfern Norditaliens, die den mächtigen Gedanken der bürgerlichen Freiheit noch frisch und rein empfanden, die noch fähig waren, für Ideale zu fechten und zu sterben, die selbst für ihre Landschaft das von der Regierung ihnen versagte Bürgerrecht in revolutionärer Weise von Caesar empfangen hatten, die Caesars Sturz den Ruten und Beilen abermals preisgab und die die tatsächlichen Beweise bereits davon besaßen, wie unerbittlichen Gebrauch die Oligarchie davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte. Vor solchen Zuhörern legte ein solcher Redner die Tatsachen dar: den Dank für die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem Heer bereitete, die geringschätzige Beseitigung der Komitien, die Terrorisierung des Senats, die heilige Pflicht, das vor einem halben Jahrtausend von den Vätern mit den Waffen in der Hand dem Adel abgezwungene Volkstribunat mit gewaffneter Hand zu schirmen, den alten Schwur zu halten, den jene für sich wie für die Enkel ihrer Enkel geleistet, für die Tribune der Gemeinde Mann für Mann einzustehen bis in den Tod. Als dann er, der Führer und Feldherr der Popularpartei, die Soldaten des Volkes aufrief, jetzt, nachdem der Güteversuch erschöpft, die Nachgiebigkeit an den äußersten Grenzen angelangt war, jetzt ihm zu folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden Kampf gegen den ebenso verhaßten wie verachteten, ebenso perfiden wie unfähigen und bis zur Lächerlichkeit unverbesserlichen Adel - da war kein Offizier und kein Soldat, der sich zurückgehalten hätte. Der Aufbruch war befohlen; an der Spitze seines Vortrabs überschritt Caesar den schmalen Bach, der seine Provinz von Italien schied und jenseits dessen die Verfassung den Prokonsul von Gallien bannte. Indem er nach neunjähriger Abwesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat, betrat er zugleich die Bahn der Revolution. “Die Würfel waren geworfen.”

KAPITEL X.
Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus

Zwischen den beiden bisherigen Gesamtherrschern von Rom sollten also die Waffen entscheiden, wer von ihnen berufen sei, Roms erster Alleinherrscher zu sein. Sehen wir, wie für die bevorstehende Kriegführung zwischen Caesar und Pompeius sich das Machtverhältnis gestellt hatte.

Caesars Macht ruhte zunächst auf der völlig unumschränkten Gewalt, deren er innerhalb seiner Partei genoß. Wenn die Ideen der Demokratie und der Monarchie in ihr zusammenflossen, so war dies nicht die Folge einer zufällig eingegangenen und zufällig lösbaren Koalition, sondern es war im tiefsten Wesen der Demokratie ohne Repräsentativverfassung begründet, daß Demokratie wie Monarchie zugleich ihren höchsten und letzten Ausdruck in Caesar fanden. Politisch wie militärisch entschied Caesar durchaus in erster und letzter Instanz. In wie hohen Ehren er auch jedes brauchbare Werkzeug hielt, so blieb es doch immer Werkzeug: Caesar stand innerhalb seiner Partei ohne Genossen, nur umgeben von militärisch-politischen Adjutanten, die in der Regel aus der Armee hervorgegangen und als Soldaten geschult waren, nirgends nach Grund und Zweck zu fragen, sondern unbedingt zu gehorchen. Darum vor allem hat in dem entscheidenden Augenblick, als der Bürgerkrieg begann, von allen Soldaten und Offizieren Caesars nur ein einziger ihm den Gehorsam verweigert; und es bestätigt nur diese Auffassung des Verhältnisses Caesars zu seinen Anhängern, daß dieser eine eben von allen der Erste war. Titus Labienus hatte mit Caesar alle Drangsale der düsteren catilinarischen Zeit wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn geteilt, hatte regelmäßig selbständig befehligt und häufig die halbe Armee geführt; er war ohne Frage wie der älteste, tüchtigste und treueste unter Caesars Adjutanten, so auch der höchstgestellte und am höchsten geehrte. Noch im Jahre 704 (50) hatte Caesar ihm den Oberbefehl im Diesseitigen Gallien übertragen, um teils diesen Vertrauensposten in sichere Hand zu geben, teils zugleich Labienus in seiner Bewerbung um das Konsulat damit zu fördern. Allein ebenhier trat Labienus mit der Gegenpartei in Verbindung, begab sich beim Beginn der Feindseligkeiten im Jahre 705 (49), statt in Caesars in Pompeius’ Hauptquartier und kämpfte während des ganzen Bürgerkrieges mit beispielloser Erbitterung gegen seinen alten Freund und Kriegsherrn. Wir sind weder über Labienus’ Charakter noch über die einzelnen Umstände seines Parteiwechsels genügend unterrichtet; im wesentlichen aber liegt hier sicher nichts vor als ein weiterer Beleg dafür, daß der Kriegsfürst weit sicherer auf seine Hauptleute als auf seine Marschälle zählen kann. Allem Anschein nach war Labienus eine jener Persönlichkeiten, die mit militärischer Brauchbarkeit vollständige staatsmännische Unfähigkeit vereinigen und die dann, wenn sie unglücklicherweise Politik machen wollen oder müssen, jenen tollen Schwindelanfällen ausgesetzt sind, wovon die Geschichte der Napoleonischen Marschälle so manches tragikomische Beispiel aufzeigt. Er mochte wohl sich berechtigt halten, als das zweite Haupt der Demokratie neben Caesar zu gelten; und daß er mit diesem Anspruch zurückgewiesen ward, wird ihn in das Lager der Gegner geführt haben. Es zeigte hier zum ersten Male sich die ganze Schwere des Übelstandes, daß Caesars Behandlung seiner Offiziere als unselbständiger Adjutanten keine zur Übernahme eines abgesonderten Kommandos geeigneten Männer in seinem Lager emporkommen ließ, während er doch bei der leicht vorherzusehenden Zersplitterung der bevorstehenden Kriegführung durch alle Provinzen des weiten Reiches ebensolcher Männer dringend bedurfte. Allein dieser Nachteil wurde dennoch weit aufgewogen durch die erste und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines jeden Erfolgs, die Einheit der obersten Leitung.

Die einheitliche Leitung erhielt ihre volle Gewalt durch die Brauchbarkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die Armee. Sie zählte noch neun Legionen Infanterie oder höchstens 50000 Mann, welche aber alle vor dem Feinde gestanden und von denen zwei Drittel sämtliche Feldzüge gegen die Kelten mitgemacht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen Söldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit in dem Kriege gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjährige Krieg voll mannigfacher Wechselfälle gegen die tapfere, wenn auch militärisch der italischen entschieden nachstehende keltische Nation hatte Caesar die Gelegenheit gegeben, seine Armee zu organisieren, wie nur er zu organisieren verstand. Alle Brauchbarkeit des Soldaten setzt physische Tüchtigkeit voraus: bei Caesars Aushebungen wurde auf Stärke und Gewandtheit der Rekruten mehr als auf Vermögen und Moralität gesehen. Aber die Leistungsfähigkeit der Armee beruht, wie die einer jeden Maschine, vor allen Dingen auf der Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bewegung: in der Bereitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der Schnelligkeit des Marschierens erlangten Caesars Soldaten eine selten erreichte und wohl nie übertroffene Vollkommenheit. Mut galt natürlich über alles: die Kunst, den kriegerischen Wetteifer und den Korpsgeist anzufachen, so daß die Bevorzugung einzelner Soldaten und Abteilungen selbst den Zurückstehenden als die notwendige Hierarchie der Tapferkeit erschien, übte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewöhnte den Leuten das Fürchten ab, indem er, wo es ohne ernste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten nicht selten von einem bevorstehenden Kampf nicht in Kenntnis setzte, sondern sie unvermutet auf den Feind treffen ließ. Aber der Tapferkeit gleich stand der Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten, das Befohlene zu tun, ohne nach Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Strapaze wurde einzig als Übung in der schweren Kunst der blinden Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disziplin war streng, aber nicht peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn der Soldat vor dem Feinde stand; zu anderen Zeiten, vor allem nach dem Siege, wurden die Zügel nachgelassen, und wenn es dem sonst brauchbaren Soldaten dann beliebte, sich zu parfümieren oder mit eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar, wenn er Brutalitäten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher Art sich zu Schulden kommen ließ und nur nicht zunächst die militärischen Verhältnisse dadurch berührt wurden, so ging die Narrenteidung wie das Verbrechen ihm hin und die desfälligen Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn ein taubes Ohr. Meuterei dagegen ward, nicht bloß den Anstiftern, sondern selbst dem Korps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat soll nicht bloß überhaupt tüchtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es gegeben, durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch das Bewußtsein, zweckmäßig gebraucht zu werden, die beseelte Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen. Wenn der Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen, selbst mit ihnen der Gefahr ins Auge gesehen haben muß, so hatte Caesar auch als Feldherr Gelegenheit gehabt, den Degen zu ziehen und dann gleich dem Besten ihn gebraucht; an Tätigkeit aber und Strapazen mutete er stets sich selbst weit mehr zu als seinen Soldaten. Caesar sorgte dafür, daß an den Sieg, der zunächst freilich dem Feldherrn Gewinn bringt, doch auch für den Soldaten sich persönliche Hoffnungen knüpften. Daß er es verstand, die Soldaten für die Sache der Demokratie zu begeistern, soweit die prosaisch gewordene Zeit noch Begeisterung gestattet, und daß die politische Gleichstellung der transpadanischen Landschaft, der Heimat seiner meisten Soldaten, mit dem eigentlichen Italien als eines der Kampfziele hingestellt ward, wurde schon erwähnt. Es versteht sich, daß daneben auch materielle Prämien nicht fehlten, sowohl besondere für hervorragende Waffentaten, wie allgemeine für jeden tüchtigen Soldaten; daß die Offiziere dotiert, die Soldaten beschenkt und für den Triumph die verschwenderischsten Gaben in Aussicht gestellt wurden. Aber vor allen Dingen verstand es Caesar als wahrer Heermeister, in jedem einzelnen großen oder kleinen Triebrad des mächtigen Instruments das Gefühl zweckmäßiger Verwendung zu erwecken. Der gewöhnliche Mensch ist zum Dienen bestimmt und er sträubt sich nicht, Werkzeug zu sein, wenn er fühlt, daß ein Meister ihn lenkt. Allgegenwärtig und jederzeit ruhte der Adlerblick des Feldherrn auf dem ganzen Heer, mit unparteiischer Gerechtigkeit belohnend und bestrafend und der Tätigkeit eines jeden die zum Besten aller dienenden Wege weisend, so daß auch mit des Geringsten Schweiß und Blut nicht experimentiert oder gespielt, darum aber auch, wo es nötig war, unbedingte Hingebung bis in den Tod gefordert ward. Ohne dem einzelnen in das gesamte Triebwerk den Einblick zu gestatten, ließ Caesar ihn doch genug von dem politischen und militärischen Zusammenhang der Dinge ahnen, um als Staatsmann und Feldherr von dem Soldaten erkannt, auch wohl idealisiert zu werden. Durchaus behandelte er die Soldaten nicht als seinesgleichen, aber als Männer, welche Wahrheit zu fordern berechtigt und zu ertragen fähig waren, und die den Versprechungen und Versicherungen des Feldherrn Glauben zu schenken hatten, ohne Prellerei zu vermuten oder auf Gerüchte zu horchen; als langjährige Kameraden in Krieg und Sieg, unter denen kaum einer war, den er nicht mit Namen kannte und bei dem sich nicht in all den Feldzügen ein mehr oder minder persönliches Verhältnis zu dem Feldherrn gebildet hätte; als gute Genossen, mit denen er zutraulich und mit der ihm eigenen heiteren Elastizität schwatzte und verkehrte; als Schutzbefohlene, deren Dienste zu vergelten, deren Unbill und Tod zu rächen ihm heilige Pflicht war. Vielleicht nie hat es eine Armee gegeben, die so vollkommen war, was die Armee sein soll: eine für ihre Zwecke fähige und für ihre Zwecke willige Maschine in der Hand eines Meisters, der auf sie seine eigene Spannkraft überträgt. Caesars Soldaten waren und fühlten sich zehnfacher Übermacht gewachsen: wobei nicht übersehen werden darf, daß bei der durchaus auf das Handgemenge und vornehmlich den Schwertkampf berechneten römischen Taktik der geübte römische Soldat dem Neuling in noch weit höherem Grade überlegen war, als dies unter den heutigen Verhältnissen der Fall ist ^1. Aber noch mehr als durch die überlegene Tapferkeit fühlten die Gegner sich gedemütigt durch die unwandelbare und rührende Treue, mit der Caesars Soldaten an ihrem Feldherrn hingen. Es ist wohl ohne Beispiel in der Geschichte, daß, als der Feldherr seine Soldaten aufrief, ihm in den Bürgerkrieg zu folgen, mit der einzigen, schon erwähnten Ausnahme des Labienus kein römischer Offizier und kein römischer Soldat ihn im Stich ließ. Die Hoffnungen der Gegner auf eine ausgedehnte Desertion scheiterten ebenso schmählich wie der frühere Versuch, sein Heer wie das des Lucullus auseinander zu sprengen; selbst Labienus erschien in Pompeius’ Lager wohl mit einem Haufen keltischer und deutscher Reiter, aber ohne einen einzigen Legionär. Ja die Soldaten, als wollten sie zeigen, daß der Krieg ganz ebenso ihre Sache sei wie die des Feldherrn, machten unter sich aus, daß sie den Sold, den ihnen Caesar beim Ausbruch des Bürgerkrieges zu verdoppeln versprochen hatte, bis zu dessen Beendigung dem Feldherrn kreditieren und inzwischen die ärmeren Kameraden aus allgemeinen Mitteln unterstützen wollten; überdies rüstete und besoldete jeder Unteroffizier einen Reiter aus seiner Tasche.

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^1 Ein gefangener Centurio von der zehnten Legion Caesars erklärte dem feindlichen Oberfeldherrn daß er bereit sei, es mit zehn von seinen Leuten gegen die beste feindliche Kohorte (500 Mann) aufzunehmen (Bell. Afr. 45). “In der Fechtweise der Alten”, urteilt Napoleon I., “bestand die Schlacht aus lauter Zweikämpfen; in dem Munde des heutigen Soldaten würde es Prahlerei sein, was in dem jenes Centurionen nur richtig war.” Von dem Soldatengeist, der Caesars Armee durchdrang, legen die seinen Memoiren angehängten Berichte über den Afrikanischen und den Zweiten Spanischen Krieg, von denen jener einen Offizier zweiten Ranges zum Verfasser zu haben scheint, dieser ein in jeder Beziehung subalternes Lagerjournal ist, lebendigen Beweis ab.

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Wenn also Caesar das eine hatte, was not tat: unbeschränkte politische und militärische Gewalt und eine schlagfertige zuverlässige Armee, so dehnte seine Macht verhältnismäßig sich nur über einen sehr beschränkten Raum aus. Sie ruhte wesentlich auf der oberitalischen Provinz. Diese Landschaft war nicht bloß die am besten bevölkerte unter allen italischen, sondern auch der Sache der Demokratie als ihrer eigenen ergeben. Von der daselbst herrschenden Stimmung zeugt das Verhalten einer Abteilung Rekruten von Opitergium (Oderzo in der Delegation Treviso), die nicht lange nach dem Ausbruch des Krieges in den illyrischen Gewässern, auf einem elenden Floß von den feindlichen Kriegsschiffen umzingelt, den ganzen Tag bis zur sinkenden Sonne sich zusammenschießen ließen, ohne sich zu ergeben, und, soweit sie den Geschossen entgangen waren, in der folgenden Nacht mit eigener Hand sich den Tod gaben. Man begreift, was einer solchen Bevölkerung zugemutet werden konnte. Wie sie Caesar bereits die Mittel gewährt hatte, seine ursprüngliche Armee mehr als zu verdoppeln, so stellten auch nach Ausbruch des Bürgerkrieges zu den sofort angeordneten umfassenden Aushebungen die Rekruten zahlreich sich ein. In dem eigentlichen Italien dagegen war Caesars Einfluß dem der Gegner nicht entfernt zu vergleichen. Wenn er auch durch geschickte Manöver die Catonische Partei ins Unrecht zu setzen gewußt und alle, die einen Vorwand wünschten, um mit gutem Gewissen entweder neutral zu bleiben, wie die Senatsmajorität, oder seine Partei zu ergreifen, wie seine Soldaten und die Transpadaner, von seinem guten Recht hinreichend überzeugt hatte, so ließ sich doch die Masse der Bürgerschaft natürlich dadurch nicht irren und sah, als der Kommandant von Gallien seine Legionen gegen Rom in Bewegung setzte, allen formalen Rechtserörterungen zum Trotz, in Cato und Pompeius die Verteidiger der legitimen Republik, in Caesar den demokratischen Usurpator. Allgemein erwartete man ferner von dem Neffen des Marius, dem Schwiegersöhne des Cinna, dem Verbündeten des Catilina die Wiederholung der Marianisch-Cinnanischen Greuel, die Realisierung der von Catilina entworfenen Saturnalien der Anarchie; und wenn auch Caesar hierdurch allerdings Verbündete gewann, die politischen Flüchtlinge sofort in Masse sich ihm zur Verfügung stellten, die verlorenen Leute ihren Erlöser in ihm sahen, die niedrigsten Schichten des haupt- und landstädtischen Pöbels auf die Kunde von seinem Anmarsch in Gärung gerieten, so waren dies doch von den Freunden, die gefährlicher als die Feinde sind. Noch weniger als in Italien hatte Caesar in den Provinzen und den Klientelstaaten Einfluß. Das Transalpinische Gallien bis zum Rhein und zum Kanal gehorchte ihm zwar, und die Kolonisten von Narbo sowie die sonst daselbst ansässigen römischen Bürger waren ihm ergeben; allein selbst in der Narbonensischen Provinz hatte die Verfassungspartei zahlreiche Anhänger, und nun gar die neueroberten Landschaften waren für Caesar in dem bevorstehenden Bürgerkrieg weit mehr eine Last als ein Vorteil, wie er denn aus guten Gründen in demselben von dem keltischen Fußvolk gar keinen, von der Reiterei nur sparsamen Gebrauch machte. In den übrigen Provinzen und den benachbarten, halb oder ganz unabhängigen Staaten hatte Caesar wohl auch versucht, sich Rückhalt zu verschaffen, hatte den Fürsten reiche Geschenke gespendet, in manchen Städten große Bauten ausführen lassen und in Notfällen ihnen finanziellen und militärischen Beistand gewährt; allein im ganzen war natürlich damit nicht viel erreicht worden, und die Beziehungen zu den deutschen und keltischen Fürsten in den Rhein- und Donaulandschaften, namentlich die der Reiterwerbung wegen wichtige zu dem norischen König Voccio waren wohl die einzigen derartigen Verhältnisse, die für ihn etwas bedeuten mochten.

Wenn Caesar also in den Kampf eintrat nur als Kommandant von Gallien, ohne andere wesentliche Hilfsmittel als brauchbare Adjutanten, ein treues Heer und eine ergebene Provinz, so begann ihn Pompeius als tatsächliches Oberhaupt des römischen Gemeinwesens und im Vollbesitz aller der legitimen Regierung des großen römischen Reiches zur Verfügung stehenden Hilfsquellen. Allein wenn seine Stellung politisch und militärisch weit ansehnlicher war, so war sie dagegen auch weit minder klar und fest. Die Einheit der Oberleitung, die aus Caesars Stellung sich von selbst und mit Notwendigkeit ergab, war dem Wesen der Koalition zuwider; und obwohl Pompeius, zu sehr Soldat, um sich über die Unentbehrlichkeit derselben zu täuschen, sie der Koalition aufzuzwingen versuchte und sich vom Senat zum alleinigen und unumschränkten Oberfeldherrn zu Lande und zur See ernennen ließ, so konnte doch der Senat selbst nicht beseitigt und ein überwiegender Einfluß auf die politische, ein gelegentliches und darum doppelt schädliches Eingreifen in die militärische Oberleitung ihm nicht verwehrt werden. Die Erinnerung an den zwanzigjährigen, auf beiden Seiten mit vergifteten Waffen geführten Krieg zwischen Pompeius und der Verfassungspartei, das auf beiden Seiten lebhaft vorhandene und mühsam verhehlte Bewußtsein, daß die nächste Folge des erfochtenen Sieges der Bruch zwischen den Siegern sein werde, die Verachtung, die man gegenseitig und von beiden Seiten mit nur zu gutem Grund sich zollte, die unbequeme Anzahl angesehener und einflußreicher Männer in den Reihen der Aristokratie und die geistige und sittliche Inferiorität fast aller Beteiligten erzeugten überhaupt bei den Gegnern Caesars ein widerwilliges und widersetzliches Zusammenwirken, das mit dem einträchtigen und geschlossenen Handeln auf der anderen Seite den übelsten Kontrast bildet.

Wenn also alle Nachteile der Koalition unter sich feindlicher Mächte von Caesars Gegnern in ungewöhnlichem Maße empfunden wurden, so war doch allerdings auch diese Koalition eine sehr ansehnliche Macht. Die See beherrschte sie ausschließlich: alle Häfen, alle Kriegsschiffe, alles Flottenmaterial standen zu ihrer Verfügung. Die beiden Spanien, gleichsam Pompeius’ Hausmacht so gut wie die beiden Gallien Caesars, waren ihrem Herrn treu anhänglich und in den Händen tüchtiger und zuverlässiger Verwalter. Auch in den übrigen Provinzen, natürlich mit Ausnahme der beiden Gallien, waren die Statthalter- und Kommandantenstellen während der letzten Jahre unter dem Einfluß von Pompeius und der Senatsminorität mit sicheren Männern besetzt worden. Durchaus und mit großer Entschiedenheit ergriffen die Klientelstaaten Partei gegen Caesar und für Pompeius. Die bedeutendsten Fürsten und Städte waren in den verschiedenen Abschnitten seiner mannigfaltigen Wirksamkeit zu Pompeius in die engsten persönlichen Beziehungen getreten - wie er denn in dem Kriege gegen die Marianer der Waffengenosse der Könige von Numidien und Mauretanien gewesen war und das Reich des ersteren wiederaufgerichtet hatte; wie er im Mithradatischen Kriege außer einer Menge anderer kleinerer geistlicher und weltlicher Fürstentümer die Königreiche Bosporus, Armenien und Kappadokien wiederhergestellt, das galatische des Deiotarus geschaffen hatte; wie zunächst auf seine Veranlassung der Ägyptische Krieg unternommen und durch seinen Adjutanten die Lagidenherrschaft neu befestigt worden war. Selbst die Stadt Massalia in Caesars eigener Provinz verdankte wohl auch diesem manche Vergünstigungen, aber Pompeius vom Sertorianischen Kriege her eine sehr ansehnliche Gebietserweiterung, und es stand außerdem die hier regierende Oligarchie mit der römischen in einem natürlichen und durch vielfache Zwischenbeziehungen befestigten Bunde. Diese persönlichen Rücksichten und Verhältnisse sowie die Glorie des Siegers in drei Weltteilen, welche in diesen abgelegeneren Teilen des Reiches die des Eroberers von Gallien noch weit überstrahlte, schadeten indes hier Caesar vielleicht weniger noch als die daselbst nicht unbekannt gebliebenen An- und Absichten des Erben des Gaius Gracchus über die Notwendigkeit der Reunion der abhängigen Staaten und die Nützlichkeit der Provinzialkolonisationen. Keiner unter den abhängigen Dynasten sah von dieser Gefahr sich näher bedroht als König Juba von Numidien. Nicht bloß war er vor Jahren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit Caesar persönlich aufs heftigste zusammengeraten, sondern es hatte auch kürzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast den ersten Platz einnahm, bei der römischen Bürgerschaft den Antrag auf Einziehung des Numidischen Reiches gestellt. Sollte endlich es so weit kommen, daß die unabhängigen Nachbarstaaten in den römischen Bürgerkrieg eingriffen, so war der einzige wirklich mächtige, der der Parther, durch die zwischen Pakoros und Bibulus angeknüpfte Verbindung tatsächlich bereits mit der aristokratischen Partei alliiert, während Caesar viel zu sehr Römer war, um aus Parteiinteressen sich mit den Überwindern seines Freundes Crassus zu verkuppeln.

Was Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die große Majorität der Bürgerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natürlich die gesamte Aristokratie mit ihrem sehr beträchtlichen Anhang, nicht viel minder aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte, bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre parteiischen Geschworenengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu konservieren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen Kapitalisten, die Landgutsbesitzer und überhaupt alle Klassen, die etwas zu verlieren hatten; nur daß freilich in diesen Schichten die Sorge um die nächsten Zinstermine und um Saaten und Ernten in der Regel jede andere Rücksicht überwog.

Die Armee, über die Pompeius verfügte, bestand hauptsächlich in den spanischen Truppen, sieben krieggewohnten und in jeder Hinsicht zuverlässigen Legionen, wozu die weiter in Syrien, Asia, Makedonien, Afrika, Sizilien und sonst befindlichen, freilich schwachen und sehr zerstreuten Truppenabteilungen kamen. In Italien standen unter den Waffen zunächst nur die zwei von Caesar kürzlich abgegebenen Legionen, deren Effektivbestand sich nicht über 7000 Mann belief und deren Zuverlässigkeit mehr als zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im Diesseitigen Gallien und alte Waffengefährten Caesars, über die unfeine Intrige, durch die man sie das Lager hatte wechseln machen, in hohem Grade mißvergnügt waren und ihres Feldherrn, der die für den Triumph jedem Soldaten versprochenen Geschenke ihnen vor ihrem Abmarsch großmütig vorausgezahlt hatte, sehnsüchtig gedachten. Allein abgesehen davon, daß die spanischen Truppen mit dem Frühjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien oder zur See in Italien eintreffen konnten, konnten in Italien die Mannschaften der von den Aushebungen von 699 (55) noch übrigen drei Legionen sowie das im Jahre 702 (52) in Pflicht genommene italische Aufgebot aus dem Urlaub einberufen werden. Mit Einrechnung dieser stellte sich die Zahl der Pompeius im ganzen zur Verfügung stehenden Truppen, ohne die sieben Legionen in Spanien und die in den andern Provinzen zerstreuten zu rechnen, bloß in Italien auf zehn Legionen ^2 oder gegen 60000 Mann, so daß es eben keine Übertreibung war, wenn Pompeius behauptete, nur mit dem Fuße stampfen zu dürfen, um den Boden mit Bewaffneten zu bedecken. Freilich bedurfte es wenn auch kurzer, doch einiger Frist, um diese Truppen zu mobilisieren; die Anstalten dazu sowie zur Effektuierung der neuen, infolge des Ausbruchs des Bürgerkrieges vom Senat angeordneten Aushebungen waren aber auch bereits überall im Gange. Unmittelbar nach dem entscheidenden Senatsbeschluß (7. Januar 705 49), mitten im tiefen Winter, waren die angesehensten Männer der Aristokratie in die verschiedenen Landschaften abgegangen, um die Einberufung der Rekruten und die Anfertigung von Waffen zu beschleunigen. Sehr empfindlich war der Mangel an Reiterei, da man für diese gewohnt war, sich gänzlich auf die Provinzen und namentlich die keltischen Kontingente zu verlassen; um wenigstens einen Anfang zu machen, wurden dreihundert Caesar gehörende Gladiatoren aus den Fechtschulen von Capua entnommen und beritten gemacht, was indes so allgemeine Mißbilligung fand, daß Pompeius diese Truppe wieder auflöste und dafür aus den berittenen Hirtensklaven Apuliens 300 Reiter aushob.

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^2 Diese Ziffer gab Pompeius selbst an (Caes. civ. 1, 6) und es stimmt damit, daß er in Italien etwa 60 Kohorten oder 30000 Mann einbüßte und 25000 nach Griechenland überführte (Caes, civ. 3, 10).

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In der Staatskasse war Ebbe wie gewöhnlich; man war beschäftigt, aus den Gemeindekassen und selbst den Tempelschätzen der Munizipien den unzureichenden Barbestand zu ergänzen.

Unter diesen Umständen ward zu Anfang Januar 705 (49) der Krieg eröffnet. Von marschfähigen Truppen hatte Caesar nicht mehr als eine Legion, 5000 Mann Infanterie und 300 Reiter, bei Ravenna, das auf der Chaussee etwa 50 deutsche Meilen von Rom entfernt war; Pompeius zwei schwache Legionen, 7000 Mann Infanterie und eine geringe Reiterschar, unter Appius Claudius’ Befehlen bei Luceria, von wo man, ebenfalls auf der Chaussee, ungefähr ebensoweit nach der Hauptstadt hatte. Die anderen Truppen Caesars, abgesehen von den rohen, noch in der Bildung begriffenen Rekrutenabteilungen, standen zur Hälfte an der Saône und Loire, zur Hälfte in Belgien, während Pompeius’ italische Reserven bereits von allen Seiten in den Sammelplätzen eintrafen; lange bevor auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars in Italien einrücken konnte, wußte hier ein weit überlegenes Heer bereit stehen, sie zu empfangen. Es schien eine Torheit, mit einem Haufen von der Stärke des Catilinarischen und augenblicklich ohne wirksame Reserve angreifend vorzugehen gegen eine überlegene und stündlich anwachsende Armee unter einem fähigen Feldherrn; allein es war eine Torheit im Geiste Hannibals. Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Frühjahr sich hinauszog, so ergriffen Pompeius’ spanische Truppen im Transalpinischen, seine italischen im Cisalpinischen Gallien die Offensive, und Pompeius, als Taktiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm überlegen, war in einem solchen regelmäßig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Gegner. Jetzt ließ er vielleicht, gewohnt, mit überlegenen Massen langsam und sicher zu operieren, durch einen durchaus improvisierten Angriff sich deroutieren; und was Caesars dreizehnte Legion nach der ernsten Probe des gallischen Überfalls und der Januarkampagne im Bellovakerland nicht aus der Fassung bringen konnte, die Plötzlichkeit des Krieges und die Mühsal des Winterfeldzuges, maßte die Pompeianischen aus alten Caesarischen Soldaten oder auch schlecht geübten Rekruten bestehenden und noch in der Bildung begriffenen Heerhaufen desorganisieren.

So rückte denn Caesar in Italien ein ^3. Zwei Chausseen führten damals aus der Romagna nach Süden: die Aemilisch-Cassische, die von Bononia über den Apennin nach Arretium und Rom, und die Popillisch-Flaminische, die von Ravenna an der Küste des Adriatischen Meeres nach Fanum und, dort sich teilend, in westlicher Richtung durch den Furlopaß nach Rom, in südlicher nach Ancona und weiter nach Apulien lief. Auf der ersteren gelangte Marcus Antonius bis Arretium; auf der zweiten drang Caesar selbst vor. Widerstand ward nirgends geleistet: die vornehmen Werbeoffiziere waren keine Militärs, die Rekrutenmassen keine Soldaten, die Landstädter nur besorgt, nicht in eine Belagerung verwickelt zu werden. Als Curio mit 1500 Mann auf Iguvium anrückte, wo ein paar tausend umbrische Rekruten unter dem Prätor Quintus Minucius Thermus sich gesammelt hatten, suchten, auf die bloße Meldung seines Anmarsches, General und Soldaten das Weite; und ähnlich ging es im kleinen überall. Caesar hatte die Wahl, entweder gegen Rom, dem seine Reiter in Arretium bereits auf 28 deutsche Meilen sich genähert hatten, oder gegen die bei Luceria lagernden Legionen zu marschieren. Er wählte das letztere. Die Konsternation der Gegenpartei war grenzenlos. Pompeius erhielt die Meldung von Caesars Anmarsch in Rom; er schien anfangs die Hauptstadt verteidigen zu wollen, aber als die Nachricht von Caesars Einrücken in das Picenische und von seinen ersten Erfolgen daselbst einlief, gab er sie auf und befahl die Räumung. Ein panischer Schreck, vermehrt durch das falsche Gerücht, daß vor den Toren sich Caesars Reiter gezeigt hätten, kam über die vornehme Welt. Die Senatoren, denen angezeigt worden war, daß man jeden in der Hauptstadt Zurückbleibenden als Mitschuldigen des Rebellen Caesar behandeln werde, strömten scharenweise aus den Toren. Die Konsuln selbst hatten so vollständig den Kopf verloren, daß sie nicht einmal die Kassen in Sicherheit brachten; als Pompeius sie aufforderte, dies nachzuholen, wozu ausreichend Zeit war, ließen sie ihm zurücksagen, daß sie es für sicherer hielten, wenn er zuvor Picenum besetze! Man war ratlos; also ward großer Kriegsrat in Teanum Sidicinum gehalten (23. Januar), dem Pompeius, Labienus und beide Konsuln beiwohnten. Zunächst lagen wieder Vergleichsvorschläge Caesars vor: selbst jetzt noch erklärte dieser sich bereit, sein Heer sofort zu entlassen, seine Provinzen den ernannten Nachfolgern zu übergeben und sich in regelrechter Weise um das Konsulat zu bewerben, wofern Pompeius nach Spanien abgehe und Italien entwaffnet werde. Die Antwort war, daß man, wenn Caesar sogleich in seine Provinz zurückkehre, sich anheischig mache, die Entwaffnung Italiens und die Abreise des Pompeius durch einen ordnungsmäßig in der Hauptstadt zu fassenden Senatsbeschluß herbeizuführen; was vielleicht nicht eine plumpe Prellerei, sondern eine Annahme des Vergleichsvorschlags sein sollte, jedenfalls aber der Sache nach das Gegenteil war. Die von Caesar gewünschte persönliche Zusammenkunft mit Pompeius lehnte dieser ab und mußte sie ablehnen, um nicht durch den Anschein einer neuen Koalition mit Caesar das schon rege Mißtrauen der Verfassungspartei noch mehr zu reizen. Die Kriegführung anlangend einigte man in Teanum sich dahin, daß Pompeius das Kommando der bei Luceria stehenden Truppen, auf denen trotz ihrer Unzuverlässigkeit doch alle Hoffnung beruhte, übernehmen, mit diesen in seine und Labienus’ Heimat, in Picenum, einrücken, dort wie einst vor fünfunddreißig Jahren den Landsturm persönlich zu den Waffen rufen und an der Spitze der treuen picenischen und der kriegsgewohnten, ehemals Caesarischen Kohorten versuchen solle, dem Vordringen des Feindes eine Schranke zu setzen. Es kam nur darauf an, ob die picenische Landschaft sich so lange hielt, bis Pompeius zu ihrer Verteidigung herankam. Bereits war Caesar mit seiner wiedervereinigten Armee auf der Küstenstraße über Ancona in dieselbe eingedrungen. Auch hier waren die Rüstungen in vollem Gange; gleich in der nördlichsten picenischen Stadt Auximum stand ein ansehnlicher Haufe von Rekruten unter Publius Attius Varus beisammen; allein auf Ersuchen der Munizipalität räumte Varus die Stadt, noch ehe Caesar erschien, und eine Handvoll von dessen Soldaten, die den Trupp unweit Auximum einholten, zerstreuten ihn vollständig nach kurzem Gefecht - es war das erste in diesem Kriege. Ebenso räumten bald darauf Gaius Lucilius Hirrus mit 3000 Mann Camerinum, Publius Lentulus Spinther mit 5000 Asculum. Die Pompeius ganz ergebenen Mannschaften ließen zum größten Teil Haus und Hof willig im Stich und folgten den Führern über die Grenze: die Landschaft selbst aber war schon verloren, als der zur vorläufigen Leitung der Verteidigung von Pompeius gesandte Offizier Lucius Vibullius Rufus, kein vornehmer Senator, aber ein kriegskundiger Militär, daselbst eintraf; er mußte sich begnügen, die geretteten etwa 6000 bis 7000 Rekruten den unfähigen Werbeoffizieren abzunehmen und sie vorläufig nach dem nächsten Sammelplatz zu führen. Dies war Corfinium, der Mittelpunkt der Aushebungen im albensischen, marsischen und pälignischen Gebiet; die hier versammelte Rekrutenmasse von beiläufig 15000 Mann war das Kontingent der streitbarsten und der zuverlässigsten Landschaften Italiens und der Kern des in der Bildung begriffenen Heeres der Verfassungspartei. Als Vibullius hier eintraf, war Caesar noch mehrere Tagemärsche zurück; es war nichts im Wege, Pompeius’ Instruktionen gemäß sofort aufzubrechen und die geretteten picenischen nebst den in Corfinium gesammelten Rekruten dem Hauptheer in Apulien zuzuführen. Allein in Corfinium kommandierte der designierte Nachfolger Caesars in der Statthalterschaft des Jenseitigen Gallien, Lucius Domitius, einer der borniertesten Starrköpfe der römischen Aristokratie; und dieser weigerte sich nicht bloß, Pompeius’ Befehlen Folge zu leisten, sondern verhinderte auch den Vibullius, wenigstens mit der picenischen Mannschaft nach Apulien abzurücken. So fest hielt er sich überzeugt, daß Pompeius nur aus Eigensinn zaudere und notwendig zum Entsatz herbeikommen müsse, daß er kaum sich ernstlich auf die Belagerung gefußt machte und nicht einmal die in die umliegenden Städte verlegten Rekrutenhaufen in Corfinium zusammenzog. Pompeius aber erschien nicht und aus guten Gründen; denn seine beiden unzuverlässigen Legionen konnte er wohl als Rückhalt für den picenischen Landsturm verwenden, aber nicht mit ihnen allein Caesar die Schlacht anbieten. Dafür kam nach wenigen Tagen Caesar (14. Februar). Zu den Truppen desselben war in Picenum die zwölfte und vor Corfinium die achte von den transalpinischen Legionen gestoßen, und außerdem wurden teils aus den gefangenen oder freiwillig sich stellenden Pompeianischen Mannschaften, teils aus den überall sofort ausgehobenen Rekruten drei neue Legionen gebildet, so daß Caesar vor Corfinium bereits an der Spitze einer Armee von 40000 Mann, zur Hälfte gedienter Leute, stand. Solange Domitius auf Pompeius’ Eintreffen hoffte, ließ er die Stadt verteidigen; als dessen Briefe ihn endlich enttäuscht hatten, beschloß er nicht etwa, auf dem verlorenen Posten auszuharren, womit er seiner Partei den größten Dienst geleistet haben würde, auch nicht einmal zu kapitulieren, sondern, während dem gemeinen Soldaten der Entsatz als nahe bevorstehend angekündigt ward, selber mit den vornehmen Offizieren in der nächsten Nacht auszureißen. Indes selbst diesen sauberen Plan ins Werk zu setzen verstand er nicht. Sein verwirrtes Benehmen verriet ihn. Ein Teil der Mannschaften fing an zu meutern: die marsischen Rekruten, die eine solche Schändlichkeit ihres Feldherrn nicht für möglich hielten, wollten gegen die Meuterer kämpfen; aber auch sie mußten sich widerwillig von der Wahrheit der Anschuldigung überzeugen, worauf denn die gesamte Besatzung ihren Stab festnahm und ihn, sich und die Stadt an Caesar übergab (20. Februar). Das 3000 Mann starke Korps in Alba und 1500 in Tarracina gesammelte Rekruten streckten hierauf die Waffen, sowie Caesars Reiterpatrouillen sich zeigten; eine dritte Abteilung in Sulmo von 3500 Mann war bereits früher genötigt worden zu kapitulieren.

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^3 Der Senatsbeschluß war vom 7. Januar; am 18. wußte man schon in Rom seit mehreren Tagen, daß Caesar die Grenze überschritten habe (Cic. Att. 7, 10; 9, 10, 4); der Bote brauchte von Rom nach Ravenna allermindestens drei Tage. Danach fällt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher nach der gangbaren Reduktion dem julianischen 24. November 704 (50) entspricht.

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Pompeius hatte Italien verloren gegeben, sowie Caesar Picenum eingenommen hatte; nur wollte er die Einschiffung so lange wie möglich verzögern, um von den Mannschaften zu retten, was noch zu retten war. Langsam hatte er demnach sich nach dem nächsten Hafenplatz Brundisium in Bewegung gesetzt. Hier fanden die beiden Legionen von Luceria und was Pompeius in dem menschenleeren Apulien an Rekruten in der Eile hatte zusammenraffen können, sowie die von den Konsuln und sonstigen Beauftragten in Kompanien ausgehobenen und eiligst nach Brundisium geführten Leute sich ein; ebendahin begab sich eine Menge politischer Flüchtlinge, unter ihnen die angesehensten Senatoren in Begleitung ihrer Familien. Die Einschiffung begann; allein die vorrätigen Fahrzeuge genügten nicht, um die ganze Masse, die sich doch noch auf 25000 Köpfe belief, auf einmal zu transportieren. Es blieb nichts übrig, als das Heer zu teilen. Die größere Hälfte ging vorauf (4. März), mit der kleineren von etwa 10000 Mann erwartete Pompeius in Brundisium die Rückkehr der Flotte; denn wie wünschenswert für einen etwaigen Versuch, Italien wieder einzunehmen, auch der Besitz von Brundisium war, so getraute man sich doch nicht, den Platz auf die Dauer gegen Caesar zu halten. Inzwischen traf Caesar vor Brundisium ein; die Belagerung begann. Caesar versuchte vor allem, die Hafenmündung durch Dämme und schwimmende Brücken zu schließen, um die rückkehrende Flotte auszusperren; allein Pompeius ließ die im Hafen liegenden Handelsfahrzeuge armieren und wußte die völlige Schließung des Hafens so lange zu verhindern, bis die Flotte erschien und die von Pompeius, trotz der Wachsamkeit der Belagerer und der feindlichen Gesinnung der Stadtbewohner, mit großer Geschicklichkeit bis auf den letzten Mann unbeschädigt aus der Stadt herausgezogenen Truppen aus Caesars Bereich nach Griechenland entführte (17. März). An dem Mangel einer Flotte scheiterte wie die Belagerung selbst, so auch die weitere Verfolgung.

In einem zweimonatlichen Feldzug, ohne ein einziges ernstliches Gefecht, hatte Caesar eine Armee von zehn Legionen so aufgelöst, daß mit genauer Not die kleinere Hälfte derselben in verwirrter Flucht über das Meer entkommen, die ganze italische Halbinsel aber mit Einschluß der Hauptstadt nebst der Staatskasse und allen daselbst aufgehäuften Vorräten in die Gewalt des Siegers geraten war. Nicht ohne Grund klagte die geschlagene Partei über die schauerliche Raschheit, Einsicht und Energie des “Ungeheuers”.

Indes es ließ sich fragen, ob Caesar durch die Eroberung Italiens mehr gewann oder mehr verlor. In militärischer Hinsicht wurden zwar jetzt sehr ansehnliche Hilfsquellen nicht bloß den Gegnern entzogen, sondern auch für Caesar flüssig gemacht; schon im Frühjahr 705 (49) zählte seine Armee infolge der überall angeordneten massenhaften Aushebungen außer den neun alten eine bedeutende Anzahl von Rekrutenlegionen. Andererseits aber wurde es jetzt nicht bloß nötig, in Italien eine ansehnliche Besatzung zurückzulassen, sondern auch Maßregeln zu treffen gegen die von den seemächtigen Gegnern beabsichtigte Sperrung des überseeischen Verkehrs und die infolgedessen namentlich der Hauptstadt drohende Hungersnot, wodurch Caesars bereits hinreichend verwickelte militärische Aufgabe noch weiter sich komplizierte. Finanziell war es allerdings von Belang, daß es Caesar geglückt war, der hauptstädtischen Kassenbestände sich zu bemächtigen; aber die hauptsächlichsten Einnahmequellen, namentlich die Abgaben aus dem Orient, waren doch in den Händen des Feindes und bei den so sehr vermehrten Bedürfnissen für das Heer sowie der neuen Verpflichtung, für die darbende hauptstädtische Bevölkerung zu sorgen, zerrannen die vorgefundenen ansehnlichen Summen so schnell, daß Caesar sich bald genötigt sah, den Privatkredit anzusprechen, und, da er unmöglich damit lange sich fristen zu können schien, allgemein als die einzig übrig bleibende Aushilfe umfassende Konfiskationen erwartet wurden.

Ernstere Schwierigkeiten noch bereiteten die politischen Verhältnisse, in welche Caesar mit der Eroberung Italiens eintrat. Die Besorgnis der besitzenden Klassen vor einer anarchischen Umwälzung war allgemein. Feinde und Freunde sahen in Caesar einen zweiten Catilina; Pompeius glaubte oder behauptete zu glauben, daß Caesar nur durch die Unmöglichkeit, seine Schulden zu bezahlen, zum Bürgerkrieg getrieben worden sei. Das war allerdings absurd; aber in der Tat waren Caesars Antezedentien nichts weniger als beruhigend und noch weniger beruhigend der Hinblick auf das Gefolge, das jetzt ihn umgab. Individuen des anbrüchigsten Rufes, stadtkundige Gesellen wie Quintus Hortensius, Gaius Curio, Marcus Antonius - dieser der Stiefsohn des auf Ciceros Befehl hingerichteten Catilinariers Lentulus - spielten darin die ersten Rollen; die höchsten Vertrauensposten wurden an Männer vergeben, die es längst aufgegeben hatten, ihre Schulden auch nur zu summieren; man sah Caesarische Beamte Tänzerinnen nicht bloß unterhalten - das taten andere auch -, sondern öffentlich in Begleitung solcher Dirnen erscheinen. War es ein Wunder, daß auch ernsthafte und politisch parteilose Männer Amnestie für alle landflüchtigen Verbrecher, Vernichtung der Schuldbücher, umfassende Konfiskations-, Acht- und Mordbefehle erwarteten, ja eine Plünderung Roms durch die gallische Soldateska?

Indes hierin täuschte das “Ungeheuer” die Erwartungen seiner Feinde wie seiner Freunde. Schon wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten, sich bewaffnet innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Unterschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten, wurden die Landstädte vor jeder Unbill geschützt. Als die meuterische Garnison am späten Abend Corfinium übergab, verschob er, gegen jede militärische Rücksicht, die Besetzung der Stadt bis zum anderen Morgen, einzig, um die Bürgerschaft nicht einem nächtlichen Einmarsch seiner erbitterten Soldaten preiszugeben. Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als voraussetzlich politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht, die Offiziere aber nicht bloß verschont, sondern auch ohne Unterschied der Person und ohne Annahme irgendwelcher Zusagen frei entlassen, und was sie als Privateigentum in Anspruch nahmen, ohne auch nur die Berechtigung der Reklamationen mit Strenge zu untersuchen, ihnen ohne Weiterungen verabfolgt. So ward selbst Lucius Domitius behandelt, ja sogar dem Labienus das zurückgelassene Geld und Gepäck ins feindliche Lager nachgesandt. In der peinlichsten Finanznot wurden dennoch die ungeheuren Güter der anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht angegriffen; ja Caesar borgte lieber bei den Freunden, als daß er auch nur durch Ausschreibung der formell zulässigen, aber tatsächlich antiquierten Grundsteuer die Besitzenden gegen sich aufgeregt hätte. Nur die Hälfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe betrachtete der Sieger als mit dem Siege gelöst; die Bürgschaft der Dauer sah er nach seiner eigenen Äußerung allein in der unbedingten Begnadigung der Besiegten und hatte darum auch auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis Brundisium unablässig die Versuche erneuert, eine persönliche Zusammenkunft mit Pompeius und einen erträglichen Vergleich einzuleiten. Aber wenn die Aristokratie schon früher von keiner Aussöhnung hatte wissen wollen, so hatte die unerwartete und so schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum Wahnsinn gesteigert, und das wilde Racheschnauben der Geschlagenen kontrastierte seltsam mit der Versöhnlichkeit des Siegers. Die aus dem Emigrantenlager den in Italien zurückgebliebenen Freunden regelmäßig zukommenden Mitteilungen flossen über von Entwürfen zu Konfiskationen und Proskriptionen, von Epurationsplänen des Senats und des Staats, gegen die Sullas Restaurationen Kinderspiel waren und die selbst die gemäßigten Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft der Ohnmacht, die weise Mäßigung der Macht taten ihre Wirkung. Die ganze Masse, der die materiellen Interessen über die politischen gingen, warf sich Caesar in die Arme. Die Landstädte vergötterten “die Rechtschaffenheit, die Mäßigung, die Klugheit” des Siegers; und selbst die Gegner räumten ein, daß es mit diesen Huldigungen Ernst war. Die hohe Finanz, Steuerpächter und Geschworene verspürten nach dem argen Schiffbruch, der die Verfassungspartei in Italien betroffen hatte, keine besondere Lust, sich weiter denselben Steuermännern anzuvertrauen; die Kapitalien kamen wieder zum Vorschein und “die reichen Herren begaben sich wieder an ihr Tagewerk, die Zinsbücher zu schreiben”. Selbst die große Majorität des Senats, wenigstens der Zahl nach - denn allerdings befanden sich von den vornehmeren und einflußreichen Senatsmitgliedern nur wenige darunter - war, trotz der Befehle des Pompeius und der Konsuln, in Italien, zum Teil sogar in der Hauptstadt selbst zurückgeblieben und ließ Caesars Regiment sich gefallen. Caesars eben in ihrer scheinbaren Überschwenglichkeit wohlberechnete Milde erreichte ihren Zweck: die zappelnde Angst der besitzenden Klassen vor der drohenden Anarchie wurde einigermaßen beschwichtigt. Wohl war dies für die Folgezeit ein unberechenbarer Gewinn; die Abwendung der Anarchie und der fast nicht minder gefährlichen Angst vor der Anarchie war die Vorbedingung der künftigen Reorganisation des Gemeinwesens. Aber für den Augenblick war diese Milde für Caesar gefährlicher als die Erneuerung der cinnanischen und catilinarischen Raserei gewesen sein würde; sie verwandelte Feinde nicht in Freunde und Freunde in Feinde. Caesars catilinarischer Anhang grollte, daß das Morden und Plündern unterblieb; von diesen verwegenen, verzweifelten und zum Teil talentvollen Gesellen waren die bedenklichsten Quersprünge zu erwarten. Die Republikaner aller Schattierungen dagegen wurden durch die Gnade des Überwinders weder bekehrt noch versöhnt. Nach dem Credo der Catonischen Partei entband die Pflicht gegen das, was sie Vaterland nannte, von jeder anderen Rücksicht; selbst wer Caesar Freiheit und Leben verdankte, blieb befugt und verpflichtet, gegen ihn die Waffen zu ergreifen oder doch mindestens gegen ihn zu komplottieren. Die minder entschiedenen Fraktionen der Verfassungspartei ließen zwar allenfalls sich willig finden, von dem neuen Monarchen Frieden und Schutz anzunehmen; aber sie hörten doch darum nicht auf, die Monarchie wie den Monarchen von Herzen zu verwünschen. Je offenbarer die Verfassungsänderung hervortrat, desto bestimmter kam der großen Majorität der Bürgerschaft, sowohl in der politisch lebhaften, aufgeregten Hauptstadt wie in der energischen ländlichen und landstädtischen Bevölkerung, ihre republikanische Besinnung zum Bewußtsein; insofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit Recht an ihre Gesinnungsgenossen im Exil, daß daheim alle Klassen und alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stimmung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den moralischen Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesinnungsgenossen eben als Emigranten auf die Menge der Geringeren und Lauen ausübten. Dem ehrlichen Mann schlug über sein Verbleiben in Italien das Gewissen; der Halbaristokrat glaubte sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den Domitiern und den Metellern ins Exil ging und gar, wenn er in dem Caesarischen Senat der Nullitäten mitsaß. Die eigene Milde des Siegers gab dieser stillen Opposition erhöhte politische Bedeutung: da Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen die heimlichen Gegner ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne viele Gefahr betätigen zu können. Sehr bald machte er in dieser Beziehung merkwürdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte den Kampf begonnen, um den terrorisierten Senat von seinen Unterdrückern zu befreien. Dies war geschehen; er wünschte also von dem Senat die Billigung des Geschehenen, die Vollmacht zu weiterer Fortsetzung des Krieges zu erlangen. Zu diesem Zwecke beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt erschien (Ende März), die Volkstribune seiner Partei ihm den Senat (1. April). Die Versammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in Italien verbliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben, sogar der ehemalige Führer der servilen Majorität, Marcus Cicero, und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlimmer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt, auf Caesars Vorschläge einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fortsetzung des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen anwesenden Konsulare, Servius Sulpicius Rufus, ein urfurchtsamer Mann, der nichts wünschte als einen ruhigen Tod in seinem Bette, daß Caesar sich mehr um das Vaterland verdient machen werde, wenn er es aufgebe, den Krieg nach Griechenland und Spanien zu tragen. Als dann Caesar den Senat ersuchte, wenigstens seine Friedensvorschläge an Pompeius zu übermitteln, war man dem an sich zwar nicht entgegen, aber die Drohungen der Emigranten gegen die Neutralen hatten diese so in Furcht gesetzt, daß niemand sich fand, um die Friedensbotschaft zu übernehmen. An der Abneigung der Aristokratie, den Thron des Monarchen errichten zu helfen, und an derselben Schlaffheit des hohen Kollegiums, durch die kurz zuvor Caesar Pompeius’ legale Ernennung zum Oberfeldherrn in dem Bürgerkrieg vereitelt hatte, scheiterte jetzt auch er mit dem gleichen Verlangen. Andere Hemmungen kamen hinzu. Caesar wünschte, um seine Stellung doch irgendwie zu regulieren, zum Diktator ernannt zu werden; es geschah nicht, weil ein solcher verfassungsmäßig nur von einem der Konsuln bestellt werden konnte und der Versuch, den Konsul Lentulus zu kaufen, wozu bei dessen zerrütteten Vermögensverhältnissen wohl Aussicht war, dennoch fehlschlug. Der Volkstribun Lucius Metellus ferner legte gegen sämtliche Schritte des Prokonsuls Protest ein und machte Miene, die Staatskasse, als Caesars Leute kamen, um sie zu leeren, mit seinem Leibe zu decken. Caesar konnte in diesem Falle nicht umhin, den Unverletzlichen so sänftiglich wie möglich beiseiteschieben zu lassen; übrigens blieb er dabei, sich aller Gewaltschritte zu enthalten. Dem Senat erklärte er, ebenwie es kurz zuvor die Verfassungspartei getan, daß er zwar gewünscht habe, auf gesetzlichem Wege und mit Beihilfe der höchsten Behörde die Verhältnisse zu ordnen; allein da diese verweigert werde, könne er ihrer auch entraten. Ohne weiter um den Senat und die staatsrechtlichen Formalien sich zu kümmern, übergab er die einstweilige Verwaltung der Hauptstadt dem Prätor Marcus Aemilius Lepidus als Stadtpräfekten und ordnete für die Verwaltung der ihm gehorchenden Landschaften und die Fortsetzung des Krieges das Erforderliche an. Selbst unter dem Getöse des Riesenkampfes und neben dem lockenden Klang der verschwenderischen Versprechungen Caesars machte es noch tiefen Eindruck auf die hauptstädtische Menge, als sie in ihrem freien Rom zum erstenmal den Monarchen als Monarchen schalten und die Tür der Staatskasse durch seine Soldaten aufsprengen sah. Allein die Zeiten waren nicht mehr, wo Eindrücke und Stimmungen der Masse den Gang der Ereignisse bestimmten; die Legionen entschieden und auf einige schmerzliche Empfindungen mehr oder weniger kam eben nichts weiter an.

Caesar eilte, den Krieg wiederaufzunehmen. Seine bisherigen Erfolge verdankte er der Offensive, und er gedachte auch ferner, dieselbe festzuhalten. Die Lage seines Gegners war seltsam. Nachdem der ursprüngliche Plan, den Feldzug zugleich von Italien und Spanien aus in den beiden Gallien offensiv zu führen, durch Caesars Angriff vereitelt war, hatte Pompeius nach Spanien zu gehen beabsichtigt. Hier hatte er eine sehr starke Stellung. Das Heer zählte sieben Legionen; es dienten darin eine große Anzahl von Pompeius’ Veteranen, und die mehrjährigen Kämpfe in den lusitanischen Bergen hatten Soldaten und Offiziere gestählt. Unter den Anführern war Marcus Varro zwar nichts als ein berühmter Gelehrter und ein getreuer Anhänger; aber Lucius Afranius hatte mit Auszeichnung im Orient und in den Alpen gefochten, und Marcus Petreius, der Überwinder Catilinas, war ein ebenso unerschrockener wie fähiger Offizier. Wenn in der jenseitigen Provinz Caesar noch von seiner Statthalterschaft her mancherlei Anhang hatte, so war dagegen die wichtigere Ebroprovinz mit allen Banden der Verehrung und der Dankbarkeit an den berühmten General gefesselt, der zwanzig Jahre zuvor im Sertorianischen Kriege in ihr das Kommando geführt und nach dessen Beendigung sie neu eingerichtet hatte. Pompeius konnte nach der italischen Katastrophe offenbar nichts Besseres tun als mit den geretteten Heerestrümmern sich dorthin begeben und an der Spitze seiner gesamten Macht Caesar entgegentreten. Unglücklicherweise aber hatte er, in der Hoffnung, die in Corfinium stehenden Truppen noch retten zu können, so lange in Apulien sich verweilt, daß er statt der kampanischen Häfen das nähere Brundisium zum Einschiffungsort zu wählen genötigt war. Warum er, Herr der See und Siziliens, nicht späterhin auf den ursprünglichen Plan wieder zurück kam, läßt sich nicht entscheiden; ob vielleicht die Aristokratie in ihrer kurzsichtigen und mißtrauischen Art keine Lust bezeigte, sich den spanischen Truppen und der spanischen Bevölkerung anzuvertrauen - genug, Pompeius blieb im Osten und Caesar hatte die Wahl, den nächsten Angriff entweder gegen die Armee zu richten, die in Griechenland unter Pompeius’ eigenem Befehl sich organisierte, oder gegen die schlagfertige seiner Unterfeldherren in Spanien. Er hatte für das letztere sich entschieden und, sowie der italische Feldzug zu Ende ging, Maßregeln getroffen, um neun seiner besten Legionen, ferner 6000 Reiter, teils in den Keltengauen von Caesar einzeln ausgesuchte Leute, teils deutsche Söldner, und eine Anzahl iberischer und ligurischer Schützen an der unteren Rhone zusammenzuziehen.

Aber ebenhier waren auch seine Gegner tätig gewesen. Der vom Senat an Caesars Stelle zum Statthalter des Jenseitigen Galliens ernannte Lucius Domitius hatte von Corfinium aus, sowie Caesar ihn freigegeben, sich mit seinem Gesinde und mit Pompeius’ Vertrauensmann Lucius Vibullius Rufus nach Massalia auf den Weg gemacht und in der Tat die Stadt bestimmt, sich für Pompeius zu erklären, ja Caesars Truppen den Durchmarsch zu weigern. Von den spanischen Truppen blieben die zwei am wenigsten zuverlässigen Legionen unter Varros Oberbefehl in der jenseitigen Provinz stehen; dagegen hatten die fünf besten, verstärkt durch 40000 Mann spanischen Fußvolks, teils keltiberischer Linieninfanterie, teils lusitanischer und anderer Leichten, und durch 5000 spanische Reiter, unter Afranius und Petreius, den durch Vibullius überbrachten Befehlen des Pompeius gemäß sich aufgemacht, um die Pyrenäen dem Feinde zu sperren.

Hierüber traf Caesar selbst in Gallien ein und entsandte sogleich, da die Einleitung der Belagerung von Massalia ihn selber noch zurückhielt, den größten Teil seiner an der Rhone versammelten Truppen, sechs Legionen und die Reiterei, auf der großen, über Narbo (Narbonne) nach Rhode (Rosas) führenden Chaussee, um an den Pyrenäen dem Feinde zuvorzukommen. Es gelang; als Afranius und Petreius an den Pässen anlangten, fanden sie dieselben bereits besetzt von den Caesarianern und die Linie der Pyrenäen verloren. Sie nahmen darauf zwischen diesen und dem Ebro eine Stellung bei Ilerda (Lerida). Diese Stadt liegt vier Meilen nördlich vom Ebro an dem rechten Ufer eines Nebenflusses desselben, des Sicoris (Segre), über den nur eine einzige solide Brücke unmittelbar bei Ilerda führte. Südlich von Ilerda treten die das linke Ufer des Ebro begleitenden Gebirge ziemlich nahe an die Stadt hinan; nordwärts erstreckt sich zu beiden Seiten des Sicoris ebenes Land, das von dem Hügel, auf welchem die Stadt gebaut ist, beherrscht wird. Für eine Armee, die sich mußte belagern lassen, war es eine vortreffliche Stellung; aber die Verteidigung Spaniens konnte, nachdem die Besetzung der Pyrenäenlinie versäumt war, doch nur hinter dem Ebro ernstlich aufgenommen werden, und da weder eine feste Verbindung zwischen Ilerda und dem Ebro hergestellt, noch dieser Fluß überbrückt war, so war der Rückzug aus der vorläufigen in die wahre Verteidigungsstellung nicht hinreichend gesichert. Die Caesarianer setzten sich oberhalb Ilerda in dem Delta fest, das der Fluß Sicoris mit dem unterhalb Ilerda mit ihm sich vereinigenden Cinga (Cinca) bildet; indes ward es mit dem Angriff erst Ernst, nachdem Caesar im Lager eingetroffen war (23. Juni). Unter den Mauern der Stadt ward von beiden Teilen gleich erbittert und gleich tapfer mit vielfach wechselndem Erfolg gekämpft; ihren Zweck aber: zwischen dem Pompeianischen Lager und der Stadt sich festzusetzen und dadurch der Steinbrücke sich zu bemächtigen., erreichten die Caesarianer nicht und blieben also für ihre Kommunikation mit Gallien lediglich angewiesen auf zwei Brücken, welche sie über den Sicoris und zwar, da der Fluß bei Ilerda selbst zu solcher Überbrückung schon zu ansehnlich war, vier bis fünf deutsche Meilen weiter oberwärts in der Eile geschlagen hatten. Als dann mit der Schneeschmelze die Hochwasser kamen, wurden diese Notbrücken weggerissen; und da es an Schiffen fehlte, um die hochangeschwollenen Flüsse zu passieren, und unter diesen Umständen an Wiederherstellung der Brücken zunächst nicht gedacht werden konnte, so war die Caesarische Armee beschränkt auf den schmalen Raum zwischen der Cinca und dem Sicoris, das linke Ufer des Sicoris aber und damit die Straße, auf der die Armee mit Gallien und Italien kommunizierte, fast unverteidigt den Pompeianern preisgegeben, die den Fluß teils auf der Stadtbrücke, teils nach lusitanischer Art auf Schläuchen schwimmend passierten. Es war die Zeit kurz vor der Ernte; die alte Frucht war fast aufgebraucht, die neue noch nicht eingebracht und der enge Landstreif zwischen den beiden Bächen bald ausgezehrt. Im Lager herrschte förmliche Hungersnot - der preußische Scheffel Weizen kostete 300 Denare (90 Taler) - und brachen bedenkliche Krankheiten aus; dagegen häufte am linken Ufer Proviant und die mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nachschub aus Gallien von Reiterei und Schützen, beurlaubte Offiziere und Soldaten, heimkehrende Streifscharen, im ganzen eine Masse von 6000 Köpfen, welche von den Pompeianern mit überlegener Macht angegriffen und mit großem Verlust in die Berge gedrängt wurden, während die Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht untätig zusehen mußten. Die Verbindungen der Armee waren in den Händen der Pompeianer; in Italien blieben die Nachrichten aus Spanien plötzlich aus, und die bedenklichen Gerüchte, die dort umzulaufen begannen, waren von der Wahrheit nicht allzuweit entfernt. Hätten die Pompeianer ihren Vorteil mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen nicht fehlen, die auf dem linken Ufer des Sicoris zusammengedrängte, kaum widerstandsfähige Masse entweder in ihre Gewalt zu bringen oder wenigstens nach Gallien zurückzuwerfen und dies Ufer so vollständig zu besetzen, daß ohne ihr Wissen kein Mann den Fluß überschritt. Allein beides war versäumt worden; jene Haufen waren wohl mit Verlust beiseite gedrängt, aber doch weder vernichtet noch völlig zurückgeworfen worden, und die Überschreitung des Flusses zu wehren, überließ man wesentlich dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er ließ tragbare Kähne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit lederner Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Briten und später den Sachsen üblichen, im Lager anfertigen und sie auf Wagen an den Punkt, wo die Brücken gestanden hatten, transportieren. Auf diesen gebrechlichen Nachen wurde das andere Ufer erreicht und, da man es unbesetzt fand, ohne große Schwierigkeit die Brücke wiederhergestellt; rasch war dann auch die Verbindungsstraße freigemacht und die sehnlich erwartete Zufuhr in das Lager geschafft. Caesars glücklicher Einfall riß also das Heer aus der ungeheuren Gefahr, in der es schwebte. Sofort begann dann Caesars an Tüchtigkeit der feindlichen weit überlegene Reiterei, die Landschaft am linken Ufer des Sicoris zu durchstreifen; schon traten die ansehnlichsten spanischen Gemeinden zwischen den Pyrenäen und dem Ebro, Osca, Tarraco, Dertosa und andere, ja selbst einzelne südlich vom Ebro auf Caesars Seite. Durch die Streiftrupps Caesars und die Übertritte der benachbarten Gemeinden wurde nun den Pompeianern die Zufuhr knapp; sie entschlossen sich endlich zum Rückzug hinter die Ebrolinie und gingen eiligst daran, unterhalb der Sicorismündung eine Schiffbrücke über den Ebro zu schlagen. Caesar suchte den Gegnern den Rückweg über den Ebro abzuschneiden und sie in Ilerda festzuhalten; allein solange die Feinde im Besitz der Brücke bei Ilerda blieben und er dort weder Furt noch Brücken in seiner Gewalt hatte, durfte er seine Armee nicht auf die beiden Flußufer verteilen und konnte Ilerda nicht einschließen. Seine Soldaten schanzten also Tag und Nacht, um durch Abzugsgräben den Fluß so viel tiefer zu legen, daß die Infanterie ihn durchwaten könne. Aber die Vorbereitungen der Pompeianer, den Ebro zu passieren, kamen früher zu Ende als die Anstalten der Caesarianer zur Einschließung von Ilerda; als jene nach Vollendung der Schiffbrücke den Marsch nach dem Ebro zu am linken Ufer des Sicoris antraten, schienen die Ableitungsgräben der Caesarianer dem Feldherrn doch nicht weit genug vorgerückt, um die Furt für die Infanterie zu benutzen; nur seine Reiter ließ er den Strom passieren und, dem Feinde an die Fersen sich heftend, wenigstens ihn aufhalten und schädigen. Allein als Caesars Legionen am grauenden Morgen die seit Mitternacht abziehenden feindlichen Kolonnen erblickten, begriffen sie mit der instinktmäßigen Sicherheit krieggewohnter Veteranen die strategische Bedeutung dieses Rückzugs, der sie nötigte, dem Gegner in ferne, unwegsame und von feindlichen Scharen erfüllte Landschaften zu folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr, auch das Fußvolk in den Fluß zu führen, und obwohl den Leuten das Wasser bis an die Schultern ging, ward er doch ohne Unfall durchschritten. Es war die höchste Zeit. Wenn die schmale Ebene, welche die Stadt Ilerda von den den Ebro einfassenden Gebirgen trennt, einmal durchschritten und das Heer der Pompeianer in die Berge eingetreten war, so konnte der Rückzug an den Ebro ihnen nicht mehr verwehrt werden. Schon hatten dieselben, trotz der beständigen, den Marsch ungemein verzögernden Angriffe der feindlichen Reiterei, den Bergen sich bis auf eine Meile genähert, als sie, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsäglich erschöpft, ihren ursprünglichen Plan, die Ebene noch an diesem Tage ganz zu durchschreiten, aufgaben und Lager schlugen. Hier holte Caesars Infanterie sie ein und lagerte am Abend und in der Nacht ihnen gegenüber, indem der anfänglich beabsichtigte nächtliche Weitermarsch von den Pompeianern aus Furcht vor den nächtlichen Angriffen der Reiterei wieder aufgegeben ward. Auch am folgenden Tage standen beide Heere unbeweglich, nur beschäftigt, die Gegend zu rekognoszieren. Am frühen Morgen des dritten brach Caesars Fußvolk auf, um, durch die pfadlosen Berge zur Seite der Straße die Stellung der Feinde umgehend, ihnen den Weg zum Ebro zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Marsches, der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurückzuwenden schien, ward von den Pompeianischen Offizieren nicht sogleich erkannt. Als sie ihn faßten, opferten sie Lager und Gepäck und rückten im Gewaltmarsch auf der Hauptstraße vor, um den Uferkamm vor den Caesarianern zu gewinnen. Indes es war bereits zu spät; schon hielten, als sie herankamen, auf der großen Straße selbst die geschlossenen Massen des Feindes. Ein verzweifelter Versuch der Pompeianer, über die Bergsteile andere Wege zum Ebro ausfindig zu machen, ward von Caesars Reiterei vereitelt, welche die dazu vorgesandten lusitanischen Truppen umzingelte und zusammenhieb. Wäre es zwischen der Pompeianischen Armee, die die feindlichen Reiter im Rücken, das Fußvolk von vorne sich gegenüber hatte und gänzlich demoralisiert war, und den Caesarianern zu einer Schlacht gekommen, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft, und die Gelegenheit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte keinen Gebrauch davon und zügelte nicht ohne Mühe die ungeduldige Kampfeslust seiner siegesgewissen Soldaten. Die Pompeianische Armee war ohnehin strategisch verloren; Caesar vermied es, durch nutzloses Blutvergießen sein Heer zu schwächen und die arge Fehde noch weiter zu vergiften. Schon am Tage, nachdem es gelungen war, die Pompeianer vom Ebro abzuschneiden, hatten die Soldaten der beiden Heere miteinander angefangen zu fraternisieren und wegen der Übergabe zu unterhandeln, ja es waren bereits die von den Pompeianern geforderten Bedingungen, namentlich Schonung der Offiziere, von Caesar zugestanden worden, als Petreius mit seiner aus Sklaven und Spaniern bestehenden Eskorte über die Unterhändler zukam und die Caesarianer, deren er habhaft ward, niedermachen ließ. Caesar sandte dennoch die zu ihm in das Lager gekommenen Pompeianer ungeschädigt zurück und beharrte dabei, eine friedliche Lösung zu suchen. Ilerda, wo die Pompeianer noch Besatzung und ansehnliche Magazine hatten, ward jetzt das Ziel ihres Marsches; allein vor sich das feindliche Heer und zwischen sich und der Festung den Sicoris, marschierten sie, ohne ihrem Ziele näher zu kommen. Ihre Reiterei ward allmählich so eingeschüchtert, daß das Fußvolk sie in die Mitte nehmen und Legionen in die Nachhut gestellt werden mußten; die Beschaffung von Wasser und Fourage ward immer schwieriger; schon mußte man die Lasttiere niederstoßen, da man sie nicht ernähren konnte. Endlich fand die umherirrende Armee sich förmlich eingeschlossen, den Sicoris im Rücken, vor sich das feindliche Heer, das Wall und Graben um sie herumzog. Sie versuchte den Fluß zu überschreiten, aber Caesars deutsche Reiter und leichte Infanterie kamen in der Besetzung des entgegenstehenden Ufers ihr zuvor. Alle Tapferkeit und alle Treue konnten die unvermeidliche Kapitulation nicht länger abwenden (2. August 705 49). Caesar gewährte nicht bloß Offizieren und Soldaten Leben und Freiheit und sowohl den Besitz der ihnen noch gebliebenen Habe wie auch die Zurückgabe der bereits ihnen abgenommenen, deren vollen Wert er selber seinen Soldaten zu erstatten übernahm, sondern während er die in Italien gefangenen Rekruten zwangsweise in seine Armee eingereiht hatte, ehrte er diese alten Legionäre des Pompeius durch die Zusage, daß keiner wider seinen Willen genötigt werden solle, in sein Heer einzutreten. Er forderte nur, daß ein jeder die Waffen abgebe und sich in seine Heimat verfüge. Demgemäß wurden die aus Spanien gebürtigen Soldaten, etwa der dritte Teil der Armee, sogleich, die italischen an der Grenze des Jen- und Diesseitigen Galliens verabschiedet.

Das Diesseitige Spanien fiel mit der Auflösung dieser Armee von selbst in die Gewalt des Siegers. Im Jenseitigen, wo Marcus Varro für Pompeius den Oberbefehl führte, schien es diesem, als er die Katastrophe von Ilerda erfuhr, das rätlichste, sich in die Inselstadt Gades zu werfen und die beträchtlichen Summen, die er durch Einziehung der Tempelschätze und der Vermögen angesehener Caesarianer zusammengebracht hatte, die nicht unbedeutende von ihm aufgestellte Flotte und die ihm anvertrauten zwei Legionen dorthin in Sicherheit zu bringen. Allein auf das bloße Gerücht von Caesars Ankunft erklärten die namhaftesten Städte der Caesar seit langem anhänglichen Provinz sich für diesen und verjagten die Pompeianischen Besatzungen oder bestimmten sie zu gleichem Abfall: so Corduba, Carmo und Gades selbst. Auch eine der Legionen brach auf eigene Hand nach Hispalis auf und trat mit dieser Stadt zugleich auf Caesars Seite. Als endlich selbst Italica dem Varro die Tore sperrte, entschloß dieser sich zu kapitulieren.

Ungefähr gleichzeitig unterwarf sich auch Massalia. Mit seltener Energie hatten die Massalioten nicht bloß die Belagerung ertragen, sondern auch die See gegen Caesar behauptet; es war ihr heimisches Element und sie durften hoffen, auf diesem kräftige Unterstützung von Pompeius zu empfangen, welcher ja das Meer ausschließlich beherrschte. Indes Caesars Unterfeldherr, der tüchtige Decimus Brutus, derselbe, der über die Veneter den ersten Seesieg im Ozean erfochten hatte, wußte rasch eine Flotte herzustellen und, trotz der wackeren Gegenwehr der feindlichen, teils aus albiökischen Soldknechten der Massalioten, teils aus Hirtensklaven des Domitius bestehenden Flottenmannschaft, durch seine tapferen, aus den Legionen auserlesenen Schiffssoldaten die stärkere massaliotische Flotte zu überwinden und die größere Hälfte der Schiffe zu versenken oder zu erobern. Als dann ein kleines Pompeianisches Geschwader unter Lucius Nasidius aus dem Osten über Sizilien und Sardinien im Hafen von Massalia eintraf, erneuerten die Massalioten noch einmal ihre Seerüstung und liefen zugleich mit den Schiffendes Nasidius gegen Brutus aus. Hätten in dem Treffen, das auf der Höhe von Tauroeis (La Ciotat, östlich von Marseille) geschlagen ward, die Schiffe des Nasidius mit demselben verzweifelten Mut gestritten, den die massaliotischen an diesem Tage bewiesen, so möchte das Ergebnis desselben wohl ein verschiedenes gewesen sein; allein die Flucht der Nasidianer entschied den Sieg für Brutus und die Trümmer der Pompeianischen Flotte flüchteten nach Spanien. Die Belagerten waren von der See vollständig verdrängt. Auf der Landseite, wo Gaius Trebonius die Belagerung leitete, ward auch nachher noch die entschlossenste Gegenwehr fortgesetzt; allein trotz der häufigen Ausfälle der albiökischen Söldner und der geschickten Verwendung der ungeheuren, in der Stadt aufgehäuften Geschützvorräte rückten endlich doch die Arbeiten der Belagerer bis an die Mauer vor und einer der Türme stürzte zusammen. Die Massalioten erklärten, daß sie die Verteidigung aufgäben, aber mit Caesar selbst die Kapitulation abzuschließen wünschten, und ersuchten den römischen Befehlshaber, bis zu Caesars Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Trebonius hatte von Caesar gemessenen Befehl, die Stadt so weit irgend möglich zu schonen; er gewährte den erbetenen Waffenstillstand. Allein da die Massalioten ihn zu einem tückischen Ausfall benutzten, in dem sie die eine Hälfte der fast unbewachten römischen Werke vollständig niederbrannten, begann von neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf. Der tüchtige Befehlshaber der Römer stellte mit überraschender Schnelligkeit die vernichteten Türme und den Damm wieder her; bald waren die Massalioten abermals vollständig eingeschlossen. Als Caesar, von der Unterwerfung Spaniens zurückkehrend, vor ihrer Stadt ankam, fand er dieselbe teils durch die feindlichen Angriffe, teils durch Hunger und Seuchen aufs Äußerste gebracht und zum zweitenmal, und diesmal ernstlich, bereit, auf jede Bedingung zu kapitulieren. Nur Domitius, der schmählich mißbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk, bestieg einen Nachen und schlich sich durch die römische Flotte, um für seinen unversöhnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen. Caesars Soldaten hatten geschworen, die ganze männliche Bevölkerung der treubrüchigen Stadt über die Klinge springen zu lassen und forderten mit Ungestüm von dem Feldherrn das Zeichen zur Plünderung. Allein Caesar, seiner großen Aufgabe, die hellenisch-italische Zivilisation im Westen zu begründen auch hier eingedenk, ließ sich nicht zwingen, zu der Zerstörung Korinths die Fortsetzung zu liefern. Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien und seemächtigen Städten der alten ionischen Schiffernation die von der Heimat am weitesten entfernte und fast die letzte, in der das hellenische Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten hatte, wie denn auch die letzte griechische Stadt, die zur See geschlagen hat - Massalia mußte zwar seine Waffen- und Flottenvorräte an den Sieger abliefern und verlor einen Teil seines Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine Freiheit und seine Nationalität und blieb, wenn auch materiell in geschmälerten Verhältnissen, doch geistig nach wie vor der Mittelpunkt der hellenischen Kultur in der fernen, eben jetzt zu neuer geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft.

Während also in den westlichen Landschaften der Krieg nach manchen bedenklichen Wechselfällen schließlich sich durchaus zu Caesars Gunsten entschied und Spanien und Massalia unterworfen, die feindliche Hauptarmee bis auf den letzten Mann gefangengenommen wurde, hatte auch auf dem zweiten Kriegsschauplatze, auf welchem Caesar es notwendig gefunden, sofort nach der Eroberung Italiens die Offensive zu ergreifen, die Waffenentscheidung stattgefunden.

Es ward schon gesagt, daß die Pompeianer die Absicht hatten, Italien auszuhungern. Die Mittel dazu hatten sie in Händen. Sie beherrschten die See durchaus und arbeiteten allerorts, in Gades, Utica, Messana, vor allem im Osten, mit großem Eifer an der Vermehrung ihrer Flotte; sie hatten ferner die sämtlichen Provinzen inne, aus denen die Hauptstadt ihre Subsistenzmittel zog: Sardinien und Korsika durch Marcus Cotta, Sizilien durch Marcus Cato, Afrika durch den selbst ernannten Oberfeldherrn Titus Attius Varus und ihren Verbündeten, den König Juba von Numidien. Es war für Caesar unumgänglich nötig, diese Pläne des Feindes zu durchkreuzen und demselben die Getreideprovinzen zu entreißen. Quintus Valerius ward mit einer Legion nach Sardinien gesandt und zwang den Pompeianischen Statthalter, die Insel zu räumen. Die wichtigere Unternehmung, Sizilien und Afrika dem Feinde abzunehmen, wurde unter Beistand des tüchtigen und kriegserfahrenen Gaius Caninius Rebilus dem jungen Gaius Curio anvertraut. Sizilien ward von ihm ohne Schwertstreich besetzt; Cato, ohne rechte Armee und kein Mann des Degens, räumte die Insel, nachdem er in seiner rechtschaffenen Art die Sikelioten vorher gewarnt hatte, sich nicht durch unzulänglichen Widerstand nutzlos zu kompromittieren. Curio ließ zur Deckung dieser für die Hauptstadt so wichtigen Insel die Hälfte seiner Truppen zurück und schiffte sich mit der anderen, zwei Legionen und 500 Reitern, nach Afrika ein. Hier durfte er erwarten, ernsteren Widerstand zu finden: außer der ansehnlichen und in ihrer Art tüchtigen Armee Jubas hatte der Statthalter Varus aus den in Afrika ansässigen Römern zwei Legionen gebildet und auch ein kleines Geschwader von zehn Segeln aufgestellt. Mit Hilfe seiner überlegenen Flotte bewerkstelligte indes Curio ohne Schwierigkeit die Landung zwischen Hadrumetum, wo die eine Legion der Feinde nebst ihren Kriegsschiffen, und Utica, vor welcher Stadt die zweite Legion unter Varus selbst stand. Curio wandte sich gegen die letztere und schlug sein Lager unweit Utica, ebenda, wo anderthalb Jahrhunderte zuvor der ältere Scipio sein erstes Winterlager in Afrika genommen hatte. Caesar, genötigt, seine Kerntruppen für den Spanischen Krieg zusammenzuhalten, hatte die sizilisch-afrikanische Armee größtenteils aus den vom Feind übernommenen Legionen, namentlich den Kriegsgefangenen von Corfinium, zusammensetzen müssen; die Offiziere der Pompeianischen Armee in Afrika, die zum Teil bei denselben in Corfinium überwundenen Legionen gestanden hatten, ließen jetzt kein Mittel unversucht, ihre alten, nun gegen sie fechtenden Soldaten zu ihrem ersten Eidschwur wieder zurückzubringen. Indes Caesar hatte in seinem Stellvertreter sich nicht vergriffen. Curio verstand es, ebensowohl die Bewegung des Heeres und der Flotte zu lenken, als auch persönlichen Einfluß auf die Soldaten zu gewinnen; die Verpflegung war reichlich, die Gefechte ohne Ausnahme glücklich. Als Varus, in der Voraussetzung, daß es den Truppen Curios an Gelegenheit fehlte, auf seine Seite überzugehen, hauptsächlich, um ihnen diese zu verschaffen, sich entschloß, eine Schlacht zu liefern, rechtfertigte der Erfolg seine Erwartungen nicht. Begeistert durch die feurige Ansprache ihres jugendlichen Führers schlugen Curios Reiter die feindlichen in die Flucht und säbelten im Angesichte beider Heere die mit den Reitern ausgerückte leichte Infanterie der Feinde nieder; und ermutigt durch diesen Erfolg und durch Curios persönliches Beispiel, gingen auch seine Legionen durch die schwierige, die beiden Linien trennende Talschlucht vor zum Angriff, den die Pompeianer aber nicht erwarteten, sondern schimpflich in ihr Lager zurückflohen und auch dies die Nacht darauf räumten. Der Sieg war so vollständig, daß Curio sofort dazu schritt, Utica zu belagern. Als indes die Meldung eintraf, daß König Juba mit seiner gesamten Heeresmacht zum Entsatz heranrückte, entschloß sich Curio, ebenwie bei Syphax’ Eintreffen Scipio getan, die Belagerung aufzuheben und in Scipios ehemaliges Lager zurückzugehen, bis aus Sizilien Verstärkung nachkommen werde. Bald darauf lief ein zweiter Bericht ein, daß König Juba durch Angriffe seiner Nachbarfürsten veranlaßt worden sei, mit seiner Hauptmacht wieder umzukehren, und den Belagerten nur ein mäßiges Korps unter Saburra zur Hilfe sende. Curio, der bei seinem lebhaften Naturell nur sehr ungern sich entschlossen hatte zu rasten, brach nun sofort wieder auf, um mit Saburra zu schlagen, bevor derselbe mit der Besatzung von Utica in Verbindung treten könne. Seiner Reiterei, die am Abend voraufgegangen war, gelang es in der Tat, das Korps des Saburra am Bagradas bei nächtlicher Weile zu überraschen und übel zuzurichten; und auf diese Siegesbotschaft beschleunigte Curio den Marsch der Infanterie, um durch sie die Niederlage zu vollenden. Bald erblickte man auf den letzten Abhängen der gegen den Bagradas sich senkenden Anhöhen das Korps des Saburra, das mit den römischen Reitern sich herumschlug; die heranrückenden Legionen halfen, dasselbe völlig in die Ebene hinabdrängen. Allein hier wendete sich das Gefecht. Saburra stand nicht, wie man meinte, ohne Rückhalt, sondern nicht viel mehr als eine deutsche Meile entfernt von der numidischen Hauptmacht. Bereits trafen der Kern des numidischen Fußvolks und 2000 gallische und spanische Reiter auf dem Schlachtfeld ein, um Saburra zu unterstützen, und der König selbst mit dem Gros der Armee und sechzehn Elefanten war im Anmarsch. Nach dem Nachtmarsch und dem hitzigen Gefecht waren von den römischen Reitern augenblicklich nicht viel über 200 beisammen, und diese sowie die Infanterie von den Strapazen und dem Fechten aufs äußerste erschöpft, alle in der weiten Ebene, in die man sich hatte verlocken lassen, rings eingeschlossen von den beständig sich mehrenden feindlichen Scharen. Vergeblich suchte Curio, handgemein zu werden; die libyschen Reiter wichen, wie sie pflegten, sowie eine römische Abteilung vorging, um, wenn sie umkehrte, sie zu verfolgen. Vergeblich versuchte er, die Höhen wiederzugewinnen; sie wurden von den feindlichen Reitern besetzt und versperrt. Es war alles verloren. Das Fußvolk ward niedergehauen bis auf den letzten Mann. Von der Reiterei gelang es einzelnen sich durchzuschlagen; und Curio hätte wohl sich zu retten vermocht, aber er ertrug es nicht, ohne das ihm anvertraute Heer allein vor seinem Herrn zu erscheinen, und starb mit dem Degen in der Hand. Selbst die Mannschaft, die im Lager vor Utica sich zusammenfand, und die Flottenbesatzung, die sich so leicht nach Sizilien hätte retten können, ergaben sich unter dem Eindruck der fürchterlich raschen Katastrophe den Tag darauf an Varus (August oder September 705 49).

So endigte die von Caesar angeordnete sizilisch-afrikanische Expedition. Sie erreichte insofern ihren Zweck, als durch die Besetzung Siziliens in Verbindung mit der von Sardinien wenigstens dem dringendsten Bedürfnis der Hauptstadt abgeholfen ward; die vereitelte Eroberung Afrikas, aus welcher die siegende Partei keinen weiteren wesentlichen Gewinn zog, und der Verlust zweier unzuverlässiger Legionen ließen sich verschmerzen. Aber ein unersetzlicher Verlust für Caesar, ja für Rom, war Curios früher Tod. Nicht ohne Ursache hatte Caesar dem militärisch unerfahrenen und wegen seines Lotterlebens berufenen jungen Mann das wichtigste selbständige Kommando anvertraut; es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen Jüngling. Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf die Hefen geleert; auch er ward nicht darum Staatsmann, weil er Offizier war, sondern es gab seine politische Tätigkeit ihm das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war nicht die der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief empfundenen Gedankens; auch seine Kriegführung ruhte auf dem raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmutige Offenherzigkeit und volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von ihm sagt, Jugendfeuer und hoher Mut ihn zu Unvorsichtigkeiten hinrissen und wenn er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm, so fehlen Momente gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch in Caesars Geschichte nicht. Man darf es beklagen, daß es dieser übersprudelnden Natur nicht vergönnt war, auszuschäumen und sich aufzubewahren für die folgende, an Talenten so bettelarme, dem schrecklichen Regiment der Mittelmäßigkeiten so rasch verfallende Generation.

Inwiefern diese Kriegsvorgänge des Jahres 705 (49) in Pompeius’ allgemeinen Feldzugsplan eingriffen, namentlich welche Rolle in diesem nach dem Verlust Italiens den wichtigen Heereskörpern im Westen zugeteilt war, läßt sich nur vermutungsweise bestimmen. Daß Pompeius die Absicht gehabt, seinem in Spanien fechtenden Heer zu Lande über Afrika und Mauretanien zu Hilfe zu kommen, war nichts als ein im Lager von Ilerda umherlaufendes abenteuerliches und ohne Zweifel durchaus grundloses Gerücht. Viel wahrscheinlicher ist es, daß er bei seinem früheren Plan, Caesar im Dies- und Jenseitigen Gallien von zwei Seiten anzugreifen, selbst nach dem Verlust von Italien noch beharrte und einen kombinierten Angriff zugleich von Spanien und Makedonien aus beabsichtigte. Vermutlich sollte die spanische Armee so lange an den Pyrenäen sich defensiv verhalten, bis die in der Organisation begriffene makedonische gleichfalls marschfähig war; worauf dann beide zugleich aufgebrochen sein und, je nach den Umständen, entweder an der Rhone oder am Po sich die Hand gereicht, auch die Flotte vermutlich gleichzeitig versucht haben würde, das eigentliche Italien zurückzuerobern. In dieser Voraussetzung, wie es scheint, hatte Caesar zunächst sich darauf gefaßt gemacht, einem Angriff auf Italien zu begegnen. Einer der tüchtigsten seiner Offiziere, der Volkstribun Marcus Antonius, befehligte hier mit proprätorischer Gewalt. Die südöstlichen Häfen Sipus, Brundisium, Tarent, wo am ersten ein Landungsversuch zu erwarten war, hatten eine Besatzung von drei Legionen erhalten. Außerdem zog Quintus Hortensius, des bekannten Redners ungeratener Sohn, eine Flotte im Tyrrhenischen, Publius Dolabella eine zweite im Adriatischen Meere zusammen, welche teils die Verteidigung unterstützten, teils für die bevorstehende Überfahrt nach Griechenland mitverwandt werden sollten. Falls Pompeius versuchen würde, zu Lande in Italien einzudringen, hatten Marcus Licinius Crassus, der älteste Sohn des alten Kollegen Caesars, die Verteidigung des Diesseitigen Galliens, des Marcus Antonius jüngerer Bruder Gaius die von Illyricum zu leiten. Indes der vermutete Angriff ließ lange auf sich warten. Erst im Hochsommer des Jahres ward man in Illyrien handgemein. Hier stand Caesars Statthalter Gaius Antonius mit seinen zwei Legionen auf der Insel Curicta (Veglia, im Golf von Quarnero), Caesars Admiral Publius Dolabella mit 40 Schiffen in dem schmalen Meerarm zwischen dieser Insel und dem Festland. Das letztere Geschwader griffen Pompeius’ Flottenführer im Adriatischen Meer, Marcus Octavius mit der griechischen, Lucius Scribonius Libo mit der illyrischen Flottenabteilung an, vernichteten sämtliche Schiffe Dolabellas und schnitten Antonius auf seiner Insel ab. Ihn zu retten, kamen aus Italien ein Korps unter Basilus und Sallustius und das Geschwader des Hortensius aus dem Tyrrhenischen Meer; allein weder jenes noch dieses vermochten der weit überlegenen feindlichen Flotte etwas anzuhaben. Die Legionen des Antonius mußten ihrem Schicksal überlassen werden. Die Vorräte gingen zu Ende, die Truppen wurden schwierig und meuterisch; mit Ausnahme weniger Abteilungen, denen es gelang, auf Flößen das Festland zu erreichen, streckte das Korps, immer noch fünfzehn Kohorten stark, die Waffen und ward auf den Schiffen Libos nach Makedonien geführt, um dort in die Pompeianische Armee eingereiht zu werden, während Octavius zurückblieb, um die Unterwerfung der von Truppen entblößten illyrischen Küste zu vollenden. Die Delmater, jetzt in diesen Gegenden die bei weitem mächtigste Völkerschaft, die wichtige Inselstadt Issa (Lissa) und andere Ortschaften ergriffen die Partei des Pompeius; allein die Anhänger Caesars behaupteten sich in Salome (Spalato) und Lissos (Alessio) und hielten in der ersteren Stadt nicht bloß die Belagerung mutig aus, sondern machten, als sie aufs Äußerste gebracht waren, einen Ausfall mit solchem Erfolg, daß Octavius die Belagerung aufhob und nach Dyrrhachion abfuhr, um dort zu überwintern.

Dieser in Illyricum von der Pompeianischen Flotte erfochtene Erfolg, obwohl an sich nicht unbedeutend, wirkte doch auf den Gesamtgang des Feldzuges wenig ein; und zwerghaft gering erscheint er, wenn man erwägt, daß die Verrichtungen der unter Pompeius’ Oberbefehl stehenden Land- und Seemacht während des ganzen ereignisreichen Jahres 705 (49) sich auf diese einzige Waffentat beschränkten und daß vom Osten her, wo der Feldherr, der Senat, die zweite große Armee, die Hauptflotte, ungeheure militärische und noch ausgedehntere finanzielle Hilfsmittel der Gegner Caesars vereinigt waren, da, wo es not tat, in jenen allentscheidenden Kampf im Westen gar nicht eingegriffen ward. Der aufgelöste Zustand der in der östlichen Hälfte des Reiches befindlichen Streitkräfte, die Methode des Feldherrn, nie anders als mit überlegenen Massen zu operieren, seine Schwerfälligkeit und Weitschichtigkeit und die Zerfahrenheit der Koalition mag vielleicht die Untätigkeit der Landmacht zwar nicht entschuldigen, aber doch einigermaßen erklären; aber daß die Flotte, die doch ohne Nebenbuhler das Mittelmeer beherrschte, so gar nichts tat, um den Gang der Dinge bestimmen zu helfen, nichts für Spanien, so gut wie nichts für die treuen Massalioten, nichts, um Sardinien, Sizilien, Afrika zu verteidigen und Italien wo nicht wieder zu besetzen, doch wenigstens ihm die Zufuhr abzusperren - das macht an unsere Vorstellungen von der im Pompeianischen Lager herrschenden Verwirrung und Verkehrtheit Ansprüche, denen wir nur mit Mühe zu genügen vermögen.

Das Gesamtresultat dieses Feldzugs war entsprechend. Caesars doppelte Offensive gegen Spanien und gegen Sizilien und Afrika war dort vollständig, hier wenigstens teilweise gelungen; dagegen ward Pompeius’ Plan, Italien auszuhungern, durch die Wegnahme Siziliens in der Hauptsache, sein allgemeiner Feldzugsplan durch die Vernichtung der spanischen Armee vollständig vereitelt; und in Italien waren Caesars Verteidigungsanstalten nur zum kleinsten Teil zur Verwendung gekommen. Trotz der empfindlichen Verluste in Afrika und Illyrien ging doch Caesar in der entschiedensten und entscheidendsten Weise aus diesem ersten Kriegsjahr als Sieger hervor.

Wenn indes vom Osten aus nichts Wesentliches geschah, um Caesar an der Unterwerfung des Westens zu hindern, so arbeitete man doch wenigstens dort in der so schmählich gewonnenen Frist daran, sich politisch und militärisch zu konsolidieren. Der große Sammelplatz der Gegner Caesars ward Makedonien. Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der brundisinischen Emigranten; dorthin die übrigen Flüchtlinge aus dem Westen: Marcus Cato aus Sizilien, Lucius Domitius von Massalia; namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und Soldaten der aufgelösten Armee, an der Spitze ihre Feldherrn Afranius und Varro. In Italien ward die Emigration unter den Aristokraten allmählich nicht bloß Ehren-, sondern fast Modesache, und neuen Schwung erhielt sie durch die ungünstigen Nachrichten, die über Caesars Lage vor Ilerda eintrafen; auch von den laueren Parteigenossen und den politischen Achselträgern kamen nach und nach nicht wenige an, und selbst Marcus Cicero überzeugte sich endlich, daß er seiner Bürgerpflicht nicht ausreichend damit genüge, wenn er eine Abhandlung über die Eintracht schreibe. Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das offizielle Rom seinen interimistischen Sitz aufschlug, zählte gegen 200 Mitglieder, darunter manche hochbejahrte Greise und fast sämtliche Konsulare. Aber freilich waren es Emigranten. Auch dieses römische Koblenz stellte die hohen Ansprüche und dürftigen Leistungen der vornehmen Welt Roms, ihre unzeitigen Reminiszenzen und unzeitigeren Rekriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und finanziellen Verlegenheiten in kläglicher Weise zur Schau. Es war das wenigste, daß man, während der alte Bau zusammensank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten Schnörkel und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es bloß lächerlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensskrupel machte, außerhalb des geheiligten städtischen Bodens ihre Ratversammlung Senat zu heißen und sie vorsichtig sich die “Dreihundert” titulierten ^4; oder wenn man weitläufige staatsrechtliche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Kuriatgesetz von Rechts wegen sich anderswo zustande bringen lasse als im römischen Mauerring. Weit schlimmer war die Gleichgültigkeit der Lauen und die bornierte Verbissenheit der Ultras. Jene waren weder zum Handeln zu bringen noch auch nur zum Schweigen. Wurden sie aufgefordert, in einer bestimmten Weise für das gemeine Beste tätig zu sein, so betrachteten sie, mit der schwachen Leuten eigenen Inkonsequenz, jedes solche Ansinnen als einen böswilligen Versuch, sie noch weiter zu kompromittieren und taten das Befohlene gar nicht oder mit halbem Herzen. Dabei aber fielen sie natürlich mit ihrem verspäteten Besserwissen und ihren superklugen Unausführbarkeiten den Handelnden beständig zur Last; ihr Tagewerk bestand darin, jeden kleinen und großen Vorgang zu bekritteln, zu bespötteln und zu beseufzen und durch ihre eigene Lässigkeit und Hoffnungslosigkeit die Menge abzuspannen und zu entmutigen. Wenn hier die Atome der Schwäche zu schauen war, so stand dagegen deren Hypertonie bei den Ultras in voller Blüte. Hier hatte man es kein Hehl, daß die Vorbedingung für jede Friedensverhandlung die Überbringung von Caesars Kopf sei: jeder der Friedensversuche, die Caesar auch jetzt noch wiederholentlich machte, ward unbesehen von der Hand gewiesen oder nur benutzt, um auf heimtückische Weise den Beauftragten des Gegners nach dem Leben zu stellen. Daß die erklärten Caesarianer samt und sonders Leben und Gut verwirkt hatten, verstand sich von selbst; aber auch den mehr oder minder Neutralen ging es wenig besser. Lucius Domitius, der Held von Corfinium, machte im Kriegsrat alles Ernstes den Vorschlag, diejenigen Senatoren, die im Heer des Pompeius gefochten hätten, über alle, die entweder neutral geblieben oder zwar emigriert, aber nicht in das Heer eingetreten seien, abstimmen zu lassen und diese einzeln je nach Befinden freizusprechen oder mit Geldbuße oder auch mit dem Verlust des Lebens und des Vermögens zu bestrafen. Ein anderer dieser Ultras erhob bei Pompeius gegen Lucius Afranius wegen seiner mangelhaften Verteidigung Spaniens eine förmliche Anklage auf Bestechung und Verrat. Diesen in der Wolle gefärbten Republikanern nahm ihre politische Theorie fast den Charakter eines religiösen Glaubensbekenntnisses an; sie haßten denn auch die laueren Parteigenossen und den Pompeius mit seinem persönlichen Anhang womöglich noch mehr als die offenbaren Gegner, und durchaus mit jener Stupidität des Hasses, wie sie orthodoxen Theologen eigen zu sein pflegt; sie wesentlich verschuldeten die zahllosen und erbitterten Sonderfehden, welche die Emigrantenarmee und den Emigrantensenat zerrissen. Aber sie ließen es nicht bei Worten. Marcus Bibulus, Titus Labienus und andere dieser Koterie führten ihre Theorie praktisch durch und ließen, was ihnen von Caesars Armee an Offizieren oder Soldaten in die Hände fiel, in Masse hinrichten; was begreiflicherweise Caesars Truppen nicht gerade bewog, mit minderer Energie zu fechten. Wenn während Caesars Abwesenheit von Italien die Konterrevolution zu Gunsten der Verfassungsfreunde, zu der alle Elemente vorhanden waren, dennoch daselbst nicht ausbrach, so lag, nach der Versicherung einsichtiger Gegner Caesars, die Ursache hauptsächlich in der allgemeinen Besorgnis vor dem unbezähmbaren Wüten der republikanischen Ultras nach erfolgter Restauration. Die Besseren im Pompeianischen Lager waren in Verzweiflung über dies rasende Treiben. Pompeius, selbst ein tapferer Soldat, schonte, soweit er durfte und konnte, der Gefangenen; aber er war zu schwachmütig und in einer zu schiefen Stellung, um, wie es ihm als Oberfeldherrn zukam, alle Greuel dieser Art zu hemmen oder gar zu ahnden. Energischer versuchte der einzige Mann, der wenigstens mit sittlicher Haltung in den Kampf eintrat, Marcus Cato, diesem Treiben zu steuern, er erwirkte, daß der Emigrantensenat durch ein eigenes Dekret es untersagte, untertänige Städte zu plündern und einen Bürger anders als in der Schlacht zu töten. Ebenso dachte der tüchtige Marcus Marcellus. Freilich wußte es niemand besser als Cato und Marcellus, daß die extreme Partei ihre rettenden Taten wenn nötig allen Senatsbeschlüssen zum Trotze vollzog. Wenn aber bereits jetzt, wo man noch Klugheitsrücksichten zu beobachten hatte, die Wut der Ultras sich nicht bändigen ließ, so mochte man nach dem Siege auf eine Schreckensherrschaft sich gefaßt machen, von der Marius und Sulla selbst sich schaudernd abgewandt haben würden; und man begreift es, daß Cato, seinem eigenen Geständnis zufolge, mehr noch als vor der Niederlage, graute vor dem Siege seiner eigenen Partei.

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^4 Da nach formellem Recht die “gesetzliche Ratversammlung” unzweifelhaft ebenso wie das “gesetzliche Gericht” nur in der Stadt selbst oder innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte die bei dem afrikanischen Heer den Senat vertretende Versammlung sich die “Dreihundert” (Bell. Afr. 88, 90; App. hist. 2, 95), nicht weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normzahl der Senatoren war. Es ist sehr glaublich, daß diese Versammlung sich durch angesehene Ritter verstärkte; aber wenn Plutarch (Cato min. 59, 61) die Dreihundert zu italischen Großhändlern macht, so hat er seine Quelle (Bell. Afr. 90) mißverstanden. Ähnlich wird der Quasisenat schon in Thessalonike geordnet gewesen sein.

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Die Leitung der militärischen Vorbereitungen im makedonischen Lager lag in der Hand des Oberfeldherrn Pompeius. Die stets schwierige und gedrückte Stellung desselben hatte durch die unglücklichen Ereignisse des Jahres 705 (49) sich noch verschlimmert. In den Augen seiner Parteigenossen trug wesentlich er davon die Schuld. Es war das in vieler Hinsicht nicht gerecht. Ein guter Teil der erlittenen Unfälle kam auf Rechnung der Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit der Unterfeldherren, namentlich des Konsuls Lentulus und des Lucius Domitius; von dem Augenblick an, wo Pompeius an die Spitze der Armee getreten war, hatte er sie geschickt und mutig geführt und wenigstens sehr ansehnliche Streitkräfte aus dem Schiffbruch gerettet; daß er Caesars jetzt von allen anerkanntem, durchaus überlegenem Genie nicht gewachsen war, konnte billigerweise ihm nicht vorgeworfen werden. Indes es entschied allein der Erfolg. Im Vertrauen auf den Feldherrn Pompeius hatte die Verfassungspartei mit Caesar gebrochen; die verderblichen Folgen dieses Bruches fielen auf den Feldherrn Pompeius zurück, und wenn auch bei der notorischen militärischen Unfähigkeit aller übrigen Chefs kein Versuch gemacht ward, das Oberkommando zu wechseln, so war doch wenigstens das Vertrauen zu dem Oberfeldherrn paralysiert. Zu diesen Nachwehen der erlittenen Niederlagen kamen die nachteiligen Einflüsse der Emigration. Unter den eintreffenden Flüchtlingen war allerdings eine Anzahl tüchtiger Soldaten und fähiger Offiziere namentlich der ehemaligen spanischen Armee; allein die Zahl derer, die kamen, um zu dienen und zu fechten, war ebenso gering, wie zum Erschrecken groß die der vornehmen Generale, die mit ebenso gutem Fug wie Pompeius sich Prokonsuln und Imperatoren nannten, und der vornehmen Herren, die mehr oder weniger unfreiwillig am aktiven Kriegsdienst sich beteiligten. Durch diese ward die hauptstädtische Lebensweise in das Feldlager eingebürgert, keineswegs zum Vorteil des Heeres: die Zelte solcher Herren waren anmutige Lauben, der Boden mit frischem Rasen zierlich bedeckt, die Wände mit Efeu bekleidet; auf dem Tisch stand silbernes Tafelgeschirr und oft kreiste dort schon am hellen Tage der Becher. Diese eleganten Krieger machten einen seltsamen Kontrast mit Caesars Grasteufeln, vor deren grobem Brot jene erschraken und die in Ermangelung dessen auch Wurzeln aßen und schwuren, eher Baumrinde zu kauen als vom Feinde abzulassen. Wenn ferner die unvermeidliche Rücksicht auf eine kollegialische und ihm persönlich abgeneigte Behörde Pompeius schon an sich in seiner Tätigkeit hemmte, so steigerte diese Verlegenheit sich ungemein, als der Emigrantensenat beinahe im Hauptquartier selbst seinen Sitz aufschlug und nun alles Gift der Emigration in diesen Senatssitzungen sich entleerte. Eine bedeutende Persönlichkeit endlich, die gegen all diese Verkehrtheiten ihr eigenes Gewicht hätte einsetzen können, war nirgends vorhanden. Pompeius selbst war dazu geistig viel zu untergeordnet und viel zu zögernd, schwerfällig und versteckt. Marcus Cato würde wenigstens die erforderliche moralische Autorität gehabt und auch des guten Willens, Pompeius damit zu unterstützen, nicht ermangelt haben; allein Pompeius, statt ihn zum Beistand aufzufordern, setzte ihn mit mißtrauischer Eifersucht zurück und übertrug zum Beispiel das so wichtige Oberkommando der Flotte lieber an den in jeder Beziehung unfähigen Bibulus als an Cato. Wenn somit Pompeius die politische Seite seiner Stellung mit der ihm eigenen Verkehrtheit behandelte und was an sich schon verdorben war, nach Kräften weiter verdarb, so widmete er dagegen mit anerkennenswertem Eifer sich seiner Pflicht, die bedeutenden, aber aufgelösten Streitkräfte der Partei militärisch zu organisieren. Den Kern derselben bildeten die aus Italien mitgebrachten Truppen, aus denen mit den Ergänzungen aus den illyrischen Kriegsgefangenen und den in Griechenland domizilierten Römern zusammen fünf Legionen gebildet wurden. Drei andere kamen aus dem Osten: die beiden aus den Trümmern der Armee des Crassus gebildeten syrischen und eine aus den zwei schwachen, bisher in Kilikien stehenden kombinierte. Der Wegziehung dieser Besatzungstruppen stellte sich nichts in den Weg, da teils die Pompeianer mit den Parthern im Einvernehmen standen und selbst ein Bündnis mit ihnen hätten haben können, wenn Pompeius nicht unwillig sich geweigert hätte, den geforderten Preis: die Abtretung der von ihm selbst zum Reiche gebrachten syrischen Landschaft, dafür zu zahlen; teils Caesars Plan, zwei Legionen nach Syrien zu entsenden und durch den in Rom gefangengehaltenen Prinzen Aristobulos die Juden abermals unter die Waffen zu bringen, zum Teil durch andere Ursachen, zum Teil durch Aristobulos’ Tod vereitelt ward. Weiter wurden aus den in Kreta und Makedonien angesiedelten gedienten Soldaten eine, aus den kleinasiatischen Römern zwei neue Legionen ausgehoben. Zu allem dem kamen 2000 Freiwillige, die aus den Trümmern der spanischen Kernscharen und anderen ähnlichen Zuzügen hervorgingen, und endlich die Kontingente der Untertanen. Wie Caesar hatte Pompeius es verschmäht, von denselben Infanterie zu requirieren; nur zur Küstenbesatzung waren die epirotischen, ätolischen und thrakischen Milizen aufgeboten und außerdem an leichten Truppen 3000 griechische und kleinasiatische Schützen und 1200 Schleuderer angenommen worden. Die Reiterei dagegen bestand, außer einer aus dem jungen Adel Roms gebildeten, mehr ansehnlichen als militärisch bedeutenden Nobelgarde und den von Pompeius beritten gemachten apulischen Hirtensklaven, ausschließlich aus den Zuzügen der Untertanen und Klienten Roms. Den Kern bildeten die Kelten, teils von der Besatzung von Alexandreia, teils die Kontingente des Königs Deiotarus, der trotz seines hohen Alters an der Spitze seiner Reiterei in Person erschienen war, und der übrigen galatischen Dynasten. Mit ihnen wurden vereinigt die vortrefflichen thrakischen Reiter, die teils von ihren Fürsten Sadala und Rhaskuporis herangeführt, teils von Pompeius in der makedonischen Provinz angeworben waren; die kappadokische Reiterei; die von König Antiochos von Kommagene gesendeten, berittenen Schützen; die Zuzüge der Armenier von diesseits des Euphrat unter Taxiles, von jenseits desselben unter Megabares und die von König Juba gesandten numidischen Scharen - die gesamte Masse stieg auf 7000 Pferde.

Sehr ansehnlich endlich war die Pompeianische Flotte. Sie ward gebildet teils aus den von Brundisium mitgeführten oder später erbauten römischen Fahrzeugen, teils aus den Kriegsschiffen des Königs von Ägypten, der kolchischen Fürsten, des kilikischen Dynasten Tarkondimotos, der Städte Tyros, Rhodos, Athen, Kerkyra und überhaupt der sämtlichen asiatischen und griechischen Seestaaten und zählte gegen 500 Segel, wovon die römischen den fünften Teil ausmachten. An Getreide und Kriegsmaterial waren in Dyrrhachion ungeheure Vorräte aufgehäuft. Die Kriegskasse war wohlgefüllt, da die Pompeianer sich im Besitz der hauptsächlichen Einnahmequellen des Staats befanden und die Geldmittel der Klientelfürsten, der angesehenen Senatoren, der Steuerpächter und überhaupt der gesamten römischen und nichtrömischen Bevölkerung in ihrem Bereich für sich nutzbar machten. Was in Afrika, Ägypten, Makedonien, Griechenland, Vorderasien und Syrien das Ansehen der legitimen Regierung und Pompeius’ oftgefeierte Königs- und Völkerklientel vermochte, war zum Schutz der römischen Republik in Bewegung gesetzt worden; wenn in Italien die Rede ging, daß Pompeius die Geten, Kolcher und Armenier gegen Rom bewaffne, wenn im Lager er der “König der Könige” hieß, so waren dies kaum Übertreibungen zu nennen. Im ganzen gebot derselbe über eine Armee von 7000 Reitern und elf Legionen, von denen freilich höchstens fünf als kriegsgewohnt bezeichnet werden durften, und über eine Flotte von 500 Segeln. Die Stimmung der Soldaten, für deren Verpflegung und Sold Pompeius genügend sorgte und denen für den Fall des Sieges die überschwenglichsten Belohnungen zugesichert waren, war durchgängig gut, in manchen und eben den tüchtigsten Abteilungen sogar vortrefflich; indes bestand doch ein großer Teil der Armee aus neu ausgehobenen Truppen, deren Formierung und Exerzierung, wie eifrig sie auch betrieben ward, notwendigerweise Zeit erforderte. Die Kriegsmacht überhaupt war imposant, aber zugleich einigermaßen buntscheckig.

Nach der Absicht des Oberfeldherrn sollten bis zum Winter 705/06 (49/48) Heer und Flotte wesentlich vollständig an der Küste und in den Gewässern von Epirus vereinigt sein. Der Admiral Bibulus war auch bereits mit 110 Schiffen in seinem neuen Hauptquartier Kerkyra eingetroffen. Dagegen war das Landheer, dessen Hauptquartier während des Sommers zu Berrhöa am Haliakmon gewesen war, noch zurück; die Masse bewegte sich langsam auf der großen Kunststraße von Thessalonike nach der Westküste auf das künftige Hauptquartier Dyrrhachion zu; die beiden Legionen, die Metellus Scipio aus Syrien heranführte, standen gar noch bei Pergamon in Kleinasien im Winterquartier und wurden erst zum Frühjahr in Europa erwartet. Man nahm sich eben Zeit. Vorläufig waren die epirotischen Häfen außer durch die Flotte nur noch durch die Bürgerwehren und die Aufgebote der Umgegend verteidigt.

So war es Caesar möglich geblieben, trotz des dazwischenfallenden Spanischen Krieges auch in Makedonien die Offensive für sich zu nehmen, und er wenigstens säumte nicht. Längst hatte er die Zusammenziehung von Kriegs- und Transportschiffen in Brundisium angeordnet und nach der Kapitulation der spanischen Armee und dem Fall von Massalia die dort verwendeten Kerntruppen zum größten Teil ebendahin dirigiert. Die unerhörten Anstrengungen zwar, die also von Caesar den Soldaten zugemutet wurden, lichteten mehr als die Gefechte die Reihen, und die Meuterei einer der vier ältesten Legionen, der neunten, auf ihrem Durchmarsch durch Placentia war ein gefährliches Zeichen der bei der Armee einreißenden Stimmung; doch wurden Caesars Geistesgegenwart und persönliche Autorität derselben Herr, und von dieser Seite stand der Einschiffung nichts im Wege. Allein woran schon im März 705 (49) die Verfolgung des Pompeius gescheitert war, der Mangel an Schiffen, drohte auch diese Expedition zu vereiteln. Die Kriegsschiffe, die Caesar in den gallischen, sizilischen und italischen Häfen zu erbauen befohlen hatte, waren noch nicht fertig oder doch nicht zur Stelle; sein Geschwader im Adriatischen Meer war das Jahr zuvor bei Curicta vernichtet worden; er fand bei Brundisium nicht mehr als zwölf Kriegsschiffe und kaum Transportfahrzeuge genug, um den dritten Teil seiner nach Griechenland bestimmten Armee von zwölf Legionen und 10000 Reitern auf einmal überzuführen. Die ansehnliche feindliche Flotte beherrschte ausschließlich das Adriatische Meer und namentlich die sämtlichen festländischen und Inselhäfen der Ostküste. Unter solchen Umständen drängt die Frage sich auf, warum Caesar nicht statt des Seeweges den zu Lande durch Illyrien einschlug, welcher aller von der Flotte drohenden Gefahren ihn überhob und überdies für seine größtenteils aus Gallien kommenden Truppen kürzer war als der über Brundisium. Zwar waren die illyrischen Landschaften unbeschreiblich rauh und arm; aber sie sind doch von anderen Armeen nicht lange nachher durchschritten worden, und dieses Hindernis ist dem Eroberer Galliens schwerlich unübersteiglich erschienen. Vielleicht besorgte er, daß während des schwierigen illyrischen Marsches Pompeius seine gesamte Streitmacht über das Adriatische Meer führen möchte, wodurch die Rollen auf einmal sich umkehren, Caesar in Makedonien, Pompeius in Italien zu stehen kommen konnte; obwohl ein solcher rascher Wechsel dem schwerfälligen Gegner doch kaum zuzutrauen war. Vielleicht hatte Caesar auch in der Voraussetzung, daß seine Flotte inzwischen auf einen achtunggebietenden Stand gebracht sein würde, sich für den Seeweg entschieden, und als er nach seiner Rückkehr aus Spanien des wahren Standes der Dinge im Adriatischen Meere inne ward, mochte es zu spät sein, den Feldzugsplan zu ändern. Vielleicht, ja nach Caesars raschem, stets zur Entscheidung drängenden Naturell darf man sagen wahrscheinlich, fand er durch die augenblicklich noch unbesetzte, aber sicher in wenigen Tagen mit Feinden sich bedeckende epirotische Küste sich unwiderstehlich gelockt, den ganzen Plan des Gegners wieder einmal durch einen verwegenen Zug zu durchkreuzen. Wie dem auch sei, am 4. Januar 706 ^5 (48) ging Caesar mit sechs, durch die Strapazen und Krankheiten sehr gelichteten Legionen und 600 Reitern von Brundisium nach der epirotischen Küste unter Segel. Es war ein Seitenstück zu der tollkühnen britannischen Expedition; indes wenigstens der erste Wurf war glücklich. Inmitten der akrokeraunischen (Chimara-) Klippen, auf der wenig besuchten Reede von Paleassa (Paljassa) ward die Küste erreicht. Man sah die Transportschiffe sowohl aus dem Hafen von Orikon (Bucht von Avlona), wo ein Pompeianisches Geschwader von achtzehn Schiffen lag, als auch aus dem Hauptquartier der feindlichen Flotte bei Kerkyra; aber dort hielt man sich zu schwach, hier war man nicht segelfertig, und ungehindert ward der erste Transport ans Land gesetzt. Während die Schiffe sogleich zurückgingen, um den zweiten nachzuholen, überstieg Caesar noch denselben Abend die akrokeraunischen Berge. Seine ersten Erfolge waren so groß wie die Überraschung der Feinde. Der epirotische Landsturm setzte nirgends sich zur Wehr; die wichtigen Hafenstädte Orikon und Apollonia nebst einer Menge kleinerer Ortschaften wurden weggenommen; Dyrrhachion, von den Pompeianern zum Hauptwaffenplatz ausersehen und mit Vorräten aller Art angefüllt, aber nur schwach besetzt, schwebte in der größten Gefahr.

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^5 Nach dem berichtigten Kalender am 5. November 705 (49).

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Indes der weitere Verlauf des Feldzuges entsprach diesem glänzenden Anfange nicht. Bibulus machte die Nachlässigkeit, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen, nachträglich durch verdoppelte Anstrengungen zum Teil wieder gut. Nicht bloß brachte er von den heimkehrenden Transportschiffen gegen dreißig auf, die er sämtlich mit Mann und Maus verbrennen ließ, sondern er richtete auch längs des ganzen von Caesar besetzten Küstenstrichs, von der Insel Sason (Saseno) bis zu den Häfen von Kerkyra, den sorgfältigsten Wachtdienst ein, so beschwerlich auch die rauhe Jahreszeit und die Notwendigkeit, den Wachtschiffen alle Bedürfnisse, selbst Holz und Wasser, von Kerkyra zuzuführen, denselben machten; ja sein Nachfolger Libo - er selbst unterlag bald den ungewohnten Strapazen - sperrte sogar eine Zeitlang den Hafen von Brundisium, bis ihn von der kleinen Insel vor demselben, auf der er sich festgesetzt hatte, der Wassermangel wieder vertrieb. Es war Caesars Offizieren nicht möglich, ihrem Feldherrn den zweiten Transport der Armee nachzuführen. Ebensowenig gelang ihm selbst die Wegnahme von Dyrrhachion. Pompeius erfuhr durch einen der Friedensboten Caesars von dessen Vorbereitungen zur Fahrt nach der epirotischen Küste und darauf den Marsch beschleunigend warf er sich noch eben zu rechter Zeit in diesen wichtigen Waffenplatz. Caesars Lage war kritisch. Obwohl er in Epirus so weit sich ausbreitete, als es bei seiner geringen Stärke nur irgend möglich war, so blieb die Subsistenz seiner Armee doch schwierig und unsicher, während die Feinde, im Besitz der Magazine von Dyrrhachion und Herren der See, Überfluß an allem hatten. Mit seinem vermutlich wenig über 20000 Mann starken Heer konnte er dem wenigstens doppelt so zahlreichen Pompeianischen keine Schlacht anbieten, sondern mußte sich glücklich schätzen, daß Pompeius methodisch zu Werke ging und, statt sofort die Schlacht zu erzwingen, zwischen Dyrrhachion und Apollonia am rechten Ufer des Apsos, Caesar auf dem linken gegenüber, das Winterlager bezog, um mit dem Frühjahr, nach dem Eintreffen der Legionen von Pergamon, mit unwiderstehlicher Übermacht den Feind zu vernichten. So verflossen Monate. Wenn der Eintritt der besseren Jahreszeit, die dem Feinde starken Zuzug und den freien Gebrauch seiner Flotte brachte, Caesar noch in derselben Lage fand, so war er, mit seiner schwachen Schar zwischen der ungeheuren Flotte und dem dreifach überlegenen Landheer der Feinde in den epirotischen Felsen eingekeilt, allem Anscheine nach verloren; und schon neigte der Winter sich zu Ende. Alle Hoffnung beruhte immer noch auf der Transportflotte: daß diese durch die Blockade sich durchschlich oder durchschlug, war kaum zu hoffen; aber nach der ersten freiwilligen Tollkühnheit war diese zweite durch die Notwendigkeit geboten. Wie verzweifelt Caesar selbst seine Lage erschien, beweist sein Entschluß, da die Flotte immer nicht kam, allein auf einer Fischerbarke durch das Adriatische Meer nach Brundisium zu fahren, um sie zu holen; was in der Tat nur darum unterblieb, weil sich kein Schiffer fand, die verwegene Fahrt zu unternehmen. Indes es bedurfte seines persönlichen Erscheinens nicht, um den treuen Offizier, der in Italien kommandierte, Marcus Antonius, zu bestimmen, diesen letzten Versuch zur Rettung seines Herrn zu machen. Abermals lief die Transportflotte, mit vier Legionen und 800 Reitern an Bord, aus dem Hafen von Brundisium aus und glücklich führte ein starker Südwind sie an Libos Galeeren vorüber. Allein derselbe Wind, der hier die Flotte rettete, machte es ihr unmöglich, wie ihr befohlen war, an der apolloniatischen Küste zu landen, und zwang sie, an Caesars und Pompeius’ Lager vorbeizufahren und nördlich von Dyrrhachion nach Lissos zu steuern, welche Stadt zu gutem Glück noch zu Caesar hielt. Als sie an dem Hafen von Dyrrhachion vorüberfuhr, brachen die rhodischen Galeeren auf, um sie zu verfolgen, und kaum waren Antonius’ Schiffe in den Hafen von Lissos eingefahren, als auch das feindliche Geschwader vor demselben erschien. Aber eben in diesem Augenblick schlug plötzlich der Wind um und warf die verfolgenden Galeeren wieder zurück in die offene See und zum Teil an die felsige Küste. Durch die wunderbarsten Glückszufälle war die Landung auch des zweiten Transportes gelungen. Noch standen zwar Antonius und Caesar etwa vier Tagemärsche voneinander, getrennt durch Dyrrhachion und die gesamte feindliche Armee; indes Antonius bewerkstelligte glücklich den gefährlichen Marsch um Dyrrhachion herum durch die Pässe des Graba Balkan und ward von Caesar, der ihm entgegengegangen war, am rechten Ufer des Apsos aufgenommen. Pompeius, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Vereinigung der beiden feindlichen Armeen zu verhindern und das Korps des Antonius einzeln zum Schlagen zu zwingen, nahm eine neue Stellung bei Asparagion an dem Flusse Genusas (Uschkomobin), der dem Apsos parallel zwischen diesem und der Stadt Dyrrhachion fließt, und hielt hier sich wieder unbeweglich. Caesar fühlte jetzt sich stark genug, eine Schlacht zu liefern; aber Pompeius ging nicht darauf ein. Dagegen gelang es Caesar, den Gegner zu täuschen und unversehens mit seinen besser marschierenden Truppen sich, ähnlich wie bei Ilerda, zwischen das feindliche Lager und die Festung Dyrrhachion zu werfen, auf die dieses sich stützte. Die Kette des Graba Balkan, die in der Richtung von Osten nach Westen streichend am Adriatischen Meere in der schmalen dyrrhachinischen Landzunge endigt, entsendet drei Meilen östlich von Dyrrhachion in südwestlicher Richtung einen Seitenarm, der in bogenförmiger Richtung ebenfalls zum Meere sich wendet, und der Haupt- und der Seitenarm des Gebirges schließen zwischen sich eine kleine, um eine Klippe am Meeresstrand sich ausbreitende Ebene ein. Hier nahm Pompeius jetzt sein Lager, und obwohl die Caesarische Armee ihm den Landweg nach Dyrrhachion verlegt hielt, blieb er doch mit Hilfe seiner Flotte fortwährend mit dieser Stadt in Verbindung und ward von dort mit allem Nötigen reichlich und bequem versehen, während bei den Caesarianern, trotz starker Detachierungen in das Hinterland und trotz aller Anstrengungen des Feldherrn, ein geordnetes Fahrwesen und damit eine regelmäßige Verpflegung in Gang zu bringen, es doch mehr als knapp herging und Fleisch, Gerste, ja Wurzeln sehr häufig die Stelle des gewohnten Weizens vertreten maßten. Da der phlegmatische Gegner beharrlich bei seiner Passivität blieb, unternahm Caesar, den Höhenkreis zu besetzen, der die von Pompeius eingenommene Strandebene umschloß, um wenigstens die überlegene feindliche Reiterei festzustellen und ungestörter gegen Dyrrhachion operieren zu können, womöglich aber den Gegner entweder zur Schlacht oder zur Einschiffung zu nötigen. Von Caesars Truppen war beinahe die Hälfte ins Binnenland detachiert; es schien fast abenteuerlich, mit dem Rest eine vielleicht doppelt so zahlreiche, konzentriert aufgestellte, auf die See und die Flotte gestützte Armee gewissermaßen belagern zu wollen. Dennoch schlossen Caesars Veteranen unter unsäglichen Anstrengungen das Pompeianische Lager mit einer drei und eine halbe deutsche Meile langen Postenkette ein und fügten später, ebenwie vor Alesia, zu dieser inneren Linie noch eine zweite äußere hinzu, um sich vor Angriffen von Dyrrhachion aus und vor den mit Hilfe der Flotte so leicht ausführbaren Umgehungen zu schützen. Pompeius griff mehrmals einzelne dieser Verschanzungen an, um womöglich die feindliche Linie zu sprengen, allein durch eine Schlacht die Einschließung zu hindern versuchte er nicht, sondern zog es vor, auch seinerseits um sein Lager herum eine Anzahl Schanzen anzulegen und dieselben durch Linien miteinander zu verbinden. Beiderseits war man bemüht, die Schanzen möglichst weit vorzuschieben und die Erdarbeiten rückten unter beständigen Gefechten nur langsam vor. Zugleich schlug man auf der entgegengesetzten Seite des Caesarischen Lagers sich herum mit der Besatzung vor Dyrrhachion; durch Einverständnisse innerhalb der Festung hoffte Caesar sie in seine Gewalt zu bringen, ward aber durch die feindliche Flotte daran verhindert. Unaufhörlich ward an den verschiedensten Punkten - an einem der heißesten Tage an sechs Stellen zugleich - gefochten und in der Regel behielt in diesen Scharmützeln die erprobte Tapferkeit der Caesarianer die Oberhand; wie denn zum Beispiel einmal eine einzige Kohorte sich gegen vier Legionen mehrere Stunden lang in ihrer Schanze hielt, bis Unterstützung herbeikam. Ein Haupterfolg ward auf keiner Seite erreicht; doch machten sich die Folgen der Einschließung den Pompeianern allmählich in drückender Weise fühlbar. Die Stauung der von den Höhen in die Ebene sich ergießenden Bäche nötigte sie, sich mit sparsamem und schlechtem Brunnenwasser zu begnügen. Noch empfindlicher war der Mangel an Futter für die Lasttiere und die Pferde, dem auch die Flotte nicht genügend abzuhelfen vermochte; sie fielen zahlreich und es half nur wenig, daß die Pferde durch die Flotte nach Dyrrhachion geschafft wurden, da sie auch hier nicht ausreichend Futter fanden. Lange konnte Pompeius nicht mehr zögern, sich durch einen gegen den Feind geführten Schlag aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Da ward er durch keltische Überläufer davon in Kenntnis gesetzt, daß der Feind es versäumt habe, den Strand zwischen seinen beiden 600 Fuß voneinander entfernten Schanzenketten durch einen Querwall zu sichern, und baute hierauf seinen Plan. Während er die innere Linie der Verschanzungen Caesars vom Lager aus durch die Legionen, die äußere durch die auf Schiffe gesetzten und jenseits der feindlichen Verschanzungen gelandeten leichten Truppen angreifen ließ, landete eine dritte Abteilung in dem Zwischenraum zwischen beiden Linien und griff die schon hinreichend beschäftigten Verteidiger derselben im Rücken an. Die zunächst am Meer befindliche Schanze wurde genommen und die Besatzung floh in wilder Verwirrung; mit Mühe gelang es dem Befehlshaber der nächsten Schanze, Marcus Antonius, diese zu behaupten und für den Augenblick dem Vordringen der Pompeianer ein Ziel zu setzen; aber, abgesehen von dem ansehnlichen Verlust, blieb die äußerste Schanze am Meer in den Händen der Pompeianer und die Linie durchbrochen. Um so eifriger ergriff Caesar die Gelegenheit, die bald darauf sich ihm darbot, eine unvorsichtig sich vereinzelnde Pompeianische Legion mit dem Gros seiner Infanterie anzugreifen. Allein die Angegriffenen leisteten tapferen Widerstand, und in dem mehrmals zum Lager größerer und kleinerer Abteilungen benutzten und kreuz und quer von Wällen und Gräben durchzogenen Terrain, auf dem gefochten ward, kam Caesars rechter Flügel nebst der Reiterei ganz vom Wege ab statt den linken im Angriff auf die Pompeianische Legion zu unterstützen, geriet er in einen engen, aus einem der alten Lager zum Fluß hingeführten Laufgraben. So fand Pompeius, der den Seinigen zu Hilfe mit fünf Legionen eiligst herbeikam, die beiden Flügel der Feinde voneinander getrennt und den einen in einer gänzlich preisgegebenen Stellung. Wie die Caesarianer ihn anrücken sahen, ergriff sie ein panischer Schreck; alles stürzte in wilder Flucht zurück, und wenn es bei dem Verlust von 1000 der besten Soldaten blieb und Caesars Armee nicht eine vollständige Niederlage erlitt, so hatte sie dies nur dem Umstand zu danken, daß auch Pompeius sich auf dem durchschnittenen Boden nicht frei entwickeln konnte und überdies, eine Kriegslist besorgend, seine Truppen anfangs zurückhielt. Aber auch so waren es unheilvolle Tage. Nicht bloß hatte Caesar die empfindlichsten Verluste erlitten und seine Verschanzungen, das Resultat einer viermonatlichen Riesenarbeit, auf einen Schlag eingebüßt: er war durch die letzten Gefechte wieder genau auf den Punkt zurückgeworfen, von welchem er ausgegangen war. Von der See war er vollständiger verdrängt als je, seit des Pompeius ältester Sohn Gnaeus Caesars wenige, im Hafen von Orikon lagernde Kriegsschiffe durch einen kühnen Angriff teils verbrannt, teils weggeführt und bald nachher die in Lissos zurückgebliebene Truppenflotte gleichfalls in Brand gesteckt hatte; jede Möglichkeit, von Brundisium noch weitere Verstärkungen zur See heranzuziehen, war damit für Caesar verloren. Die zahlreiche Pompeianische Reiterei, jetzt ihrer Fesseln entledigt, ergoß sich in die Umgegend und drohte Caesar die stets schwierige Verpflegung der Armee völlig unmöglich zu machen. Caesars verwegenes Unternehmen, gegen einen seemächtigen, auf die Flotte gestützten Feind ohne Schiffe offensiv zu operieren, war vollständig gescheitert. Auf dem bisherigen Kriegsschauplatz fand er sich einer unbezwinglichen Verteidigungsstellung gegenüber und weder gegen Dyrrhachion noch gegen das feindliche Heer einen ernstlichen Schlag auszuführen imstande; dagegen hing es jetzt nur von Pompeius ab, gegen den bereits in seinen Subsistenzmitteln sehr gefährdeten Gegner unter den günstigsten Verhältnissen zum Angriff überzugehen. Der Krieg war an einem Wendepunkt angelangt. Bisher hatte Pompeius, allem Anscheine nach, das Kriegsspiel ohne eigenen Plan gespielt und nur nach dem jedesmaligen Angriff seine Verteidigung bemessen; und es war dies nicht zu tadeln, da das Hinziehen des Krieges ihm Gelegenheit gab, seine Rekruten schlagfähig zu machen, seine Reserven heranzuziehen und das Übergewicht seiner Flotte im Adriatischen Meer immer vollständiger zu entwickeln. Caesar war nicht bloß taktisch, sondern auch strategisch geschlagen. Diese Niederlage hatte zwar nicht diejenige Folge, die Pompeius nicht ohne Ursache erhoffte: zu einer sofortigen völligen Auflösung der Armee durch Hunger und Meuterei ließ die eminente soldatische Energie der Veteranen Caesars es nicht kommen. Allein es schien doch nur von dem Gegner abzuhängen, durch zweckmäßige Verfolgung seines Sieges die volle Frucht desselben zu ernten.

An Pompeius war es, die Offensive zu ergreifen, und er war dazu entschlossen. Es boten sich ihm drei verschiedene Wege dar, um seinen Sieg fruchtbar zu machen. Der erste und einfachste war, von der überwundenen Armee nicht abzulassen und, wenn sie aufbrach, sie zu verfolgen. Ferner konnte Pompeius Caesar selbst und dessen Kerntruppen in Griechenland stehen lassen und selber, wie er längst vorbereitet hatte, mit der Hauptarmee nach Italien überfahren, wo die Stimmung entschieden antimonarchisch war und die Streitmacht Caesars, nach Entsendung der besten Truppen und des tapfern und zuverlässigen Kommandanten zu der griechischen Armee, nicht gar viel bedeuten wollte. Endlich konnte der Sieger sich auch in das Binnenland wenden, die Legionen des Metellus Scipio an sich liehen und versuchen, die im Binnenlande stehenden Truppen Caesars aufzuheben. Es hatte nämlich dieser, unmittelbar nachdem der zweite Transport bei ihm eingetroffen war, teils, um die Subsistenzmittel für seine Armee herbeizuschaffen, starke Detachements nach Ätolien und Thessalien entsandt, teils ein Korps von zwei Legionen unter Gnaeus Domitius Calvinus auf der Egnatischen Chaussee gegen Makedonien vorgehen lassen, das dem auf derselben Straße von Thessalonike her anrückenden Korps des Scipio den Weg verlegen und womöglich es einzeln schlagen sollte. Schon hatten Calvinus und Scipio sich bis auf wenige Meilen einander genähert, als Scipio sich plötzlich rückwärts wandte und, rasch den Haliakmon (Jadsche Karasu) überschreitend und dort sein Gepäck unter Marcus Favonius zurücklassend, in Thessalien eindrang, um die mit der Unterwerfung des Landes beschäftigte Rekrutenlegion Caesars unter Lucius Cassius Longinus mit Übermacht anzugreifen. Longinus aber zog sich über die Berge nach Ambrakia auf das von Caesar nach Ätolien gesandte Detachement unter Gnaeus Calvisius Sabinus zurück, und Scipio konnte ihn nur durch seine thrakischen Reiter verfolgen lassen, da Calvinus seine unter Favonius am Haliakmon zurückgelassene Reserve mit dem gleichen Schicksale bedrohte, welches er selbst dem Longinus zu bereiten gedachte. So trafen Calvinus und Scipio am Haliakmon wieder zusammen und lagerten hier längere Zeit einander gegenüber.

Pompeius konnte zwischen diesen Plänen wählen; Caesar blieb keine Wahl. Er trat nach jenem unglücklichen Gefechte den Rückzug auf Apollonia an. Pompeius folgte. Der Marsch von Dyrrhachion nach Apollonia auf einer schwierigen, von mehreren Flüssen durchschnittenen Straße war keine leichte Aufgabe für eine geschlagene und vom Feinde verfolgte Armee; indes die geschickte Leitung ihres Feldherrn und die unverwüstliche Marschfähigkeit der Soldaten nötigten Pompeius nach viertägiger Verfolgung, dieselbe als nutzlos einzustellen. Er hatte jetzt sich zu entscheiden zwischen der italischen Expedition und dem Marsch in das Binnenland; und so rätlich und lockend auch jene schien, so manche Stimmen auch dafür sich erhoben, er zog es doch vor, das Korps des Scipio nicht preiszugeben, um so mehr, als er durch diesen Marsch das des Calvinus in die Hände zu bekommen hoffte. Calvinus stand augenblicklich auf der Egnatischen Straße bei Herakleia Lynkestis, zwischen Pompeius und Scipio und, nachdem Caesar sich auf Apollonia zurückgezogen, von diesem weiter entfernt als von der großen Armee des Pompeius, zu allem dem ohne Kenntnis von den Vorgängen bei Dyrrhachion und von seiner bedenklichen Lage, da nach den bei Dyrrhachion erlangten Erfolgen die ganze Landschaft sich zu Pompeius neigte und die Boten Caesars überall aufgegriffen wurden. Erst als die feindliche Hauptmacht bis auf wenige Stunden sich ihm genähert hatte, erfuhr Calvinus aus den Erzählungen der feindlichen Vorposten selbst den Stand der Dinge. Ein rascher Aufbruch in südlicher Richtung gegen Thessalien zu entzog ihn im letzten Augenblick der drohenden Vernichtung; Pompeius mußte sich damit begnügen, Scipio aus seiner gefährdeten Stellung befreit zu haben. Caesar war inzwischen unangefochten nach Apollonia gelangt. Sogleich nach der Katastrophe von Dyrrhachion hatte er sich entschlossen, wenn möglich den Kampf von der Küste weg in das Binnenland zu verlegen, um die letzte Ursache des Fehlschlagens seiner bisherigen Anstrengungen, die feindliche Flotte, aus dem Spiel zu bringen. Der Marsch nach Apollonia hatte nur den Zweck gehabt, dort, wo seine Depots sich befanden, seine Verwundeten in Sicherheit zu bringen und seinen Soldaten die Löhnung zu zahlen; sowie dies geschehen war, brach er, mit Hinterlassung von Besatzungen in Apollonia, Orikon und Lissos, nach Thessalien auf. Nach Thessalien hatte auch das Korps des Calvinus sich in Bewegung gesetzt; und die aus Italien, jetzt auf dem Landwege durch Illyrien, anrückenden Verstärkungen, zwei Legionen unter Quintus Cornificius, konnte er gleichfalls hier leichter noch als in Epirus an sich ziehen. Auf schwierigen Pfaden im Tale des Aoos aufwärtssteigend und die Bergkette überschreitend, die Epirus von Thessalien scheidet, gelangte er an den Peneios; ebendorthin ward Calvinus dirigiert und die Vereinigung der beiden Armeen also auf dem kürzesten und dem Feinde am wenigsten ausgesetzten Wege bewerkstelligt. Sie erfolgte bei Aeginion unweit der Quelle des Peneios. Die erste thessalische Stadt, vor der die jetzt vereinigte Armee erschien, Gomphoi, schloß ihr die Tore; sie ward rasch erstürmt und der Plünderung preisgegeben, und dadurch geschreckt unterwarfen sich die übrigen Städte Thessaliens, sowie nur Caesars Legionen vor den Mauern sich zeigten. Über diesen Märschen und Gefechten und mit Hilfe der, wenn auch nicht allzureichlichen, Vorräte, die die Landschaft am Peneios darbot, schwanden allmählich die Spuren und die Erinnerungen der überstandenen unheilvollen Tage.

Unmittelbare Früchte also hatten die Siege von Dyrrhachion für die Sieger nicht viele getragen. Pompeius, mit seiner schwerfälligen Armee und seiner zahlreichen Reiterei, hatte dem beweglichen Feind in die Gebirge zu folgen nicht vermocht; Caesar wie Calvinus hatten der Verfolgung sich entzogen und beide standen vereinigt und in voller Sicherheit in Thessalien. Vielleicht wäre es das richtigste gewesen, wenn Pompeius jetzt ohne weiteres mit seiner Hauptmacht zu Schiff nach Italien gegangen wäre, wo der Erfolg kaum zweifelhaft war. Indes vorläufig ging nur eine Abteilung der Flotte nach Sizilien und Italien ab. Man betrachtete im Lager der Koalition durch die Schlachten von Dyrrhachion die Sache mit Caesar als so vollständig entschieden, daß es nur galt, die Früchte der Siege zu ernten, das heißt, die geschlagene Armee aufzusuchen und abzufangen. An die Stelle der bisherigen übervorsichtigen Zurückhaltung trat ein durch die Umstände noch weniger gerechtfertigter Übermut; man achtete es nicht, daß man in der Verfolgung doch eigentlich gescheitert war, daß man sich gefaßt halten mußte, in Thessalien auf eine völlig erfrischte und reorganisierte Armee zu treffen und daß es nicht geringe Bedenken hatte, vom Meere sich entfernend und auf die Unterstützung der Flotte verzichtend, dem Gegner auf das von ihm gewählte Schlachtfeld zu folgen. Man war eben entschlossen, um jeden Preis mit Caesar zu schlagen und darum baldmöglichst und auf dem möglichst bequemen Wege an ihn zu kommen. Cato übernahm das Kommando in Dyrrhachion, wo eine Besatzung von achtzehn Kohorten, und in Kerkyra, wo 300 Kriegsschiffe zurückblieben: Pompeius und Scipio begaben sich, jener wie es scheint die Egnatische Chaussee bis Pella verfolgend und dann die große Straße nach Süden einschlagend, dieser vom Haliakmon aus durch die Pässe des Olymp, an den unteren Peneios und trafen bei Larisa zusammen. Caesar stand südlich davon in der Ebene, die zwischen dem Hügelland von Kynoskephalä und dem Othrysgebirge sich ausbreitet und von dem Nebenfluß des Peneios, dem Enipeus, durchschnitten wird, am linken Ufer desselben bei der Stadt Pharsalos; ihm gegenüber, am rechten Ufer des Enipeus am Abhang der Höhen von Kynoskephalä, schlug Pompeius sein Lager ^6. Pompeius’ Armee war vollständig beisammen; Caesar dagegen erwartete noch das früher nach Ätolien und Thessalien detachierte, jetzt unter Quintus Fufius Calenus in Griechenland stehende Korps von fast zwei Legionen und die auf dem Landweg von Italien ihm nachgesandten und bereits in Illyrien angelangten zwei Legionen des Cornificius. Pompeius’ Heer, elf Legionen oder 47000 Mann und 7000 Pferde stark, war dem Caesar an Fußvolk um mehr als das Doppelte, an Reiterei um das Siebenfache überlegen; Strapazen und Gefechte hatten Caesars Truppen so dezimiert, daß seine acht Legionen nicht über 22000 Mann unter den Waffen, also bei weitem nicht die Hälfte des Normalbestandes zählten. Pompeius’ siegreiche, mit einer zahllosen Reiterei und guten Magazinen versehene Armee hatte Lebensmittel in Fülle, während Caesars Truppen notdürftig sich hinhielten und erst von der nicht fernen Getreideernte bessere Verpflegung erhofften. Die Stimmung der Pompeianischen Soldaten, die in der letzten Kampagne den Krieg kennen und ihrem Führer vertrauen gelernt hatten, war die beste. Alle militärischen Gründe sprachen auf Pompeius’ Seite dafür, da man nun einmal in Thessalien Caesar gegenüberstand, mit der Entscheidungsschlacht nicht lange zu zögern; und mehr wohl noch als diese wog im Kriegsrat die Emigrantenungeduld der vielen vornehmen Offiziere und Heerbegleiter. Seit den Ereignissen von Dyrrhachion betrachteten diese Herren den Triumph ihrer Partei als eine ausgemachte Tatsache; bereits wurde eifrig gehadert über die Besetzung von Caesars Oberpontifikat und Aufträge nach Rom gesandt, um für die nächsten Wahlen Häuser am Markt zu mieten. Als Pompeius Bedenken zeigte, den Bach, der beide Heere schied und den Caesar mit seinem viel schwächeren Heer zu passieren sich nicht getraute, seinerseits zu überschreiten, erregte dies großen Unwillen; Pompeius, hieß es, zaudere nur mit der Schlacht, um noch etwas länger über so viele Konsulare und Prätorier zu gebieten und seine Agamemnonrolle zu verewigen. Pompeius gab nach; und Caesar, der in der Meinung, daß es nicht zum Kampf kommen werde, eben eine Umgehung der feindlichen Armee entworfen hatte und dazu gegen Skotussa aufzubrechen im Begriff war, ordnete ebenfalls seine Legionen zur Schlacht, als er die Pompeianer sich anschicken sah, sie auf seinem Ufer ihm anzubieten. Also ward, fast auf derselben Walstatt, wo hundertfünfzig Jahre zuvor die Römer ihre Herrschaft im Osten begründet hatten, am 9. August 706 (48) die Schlacht von Pharsalos geschlagen. Pompeius lehnte den rechten Flügel an den Enipeus, Caesar ihm gegenüber den linken an das vor dem Enipeus sich ausbreitende durchschnittene Terrain; die beiden anderen Flügel standen in die Ebene hinaus, beiderseits gedeckt durch die Reiterei und die leichten Truppen. Pompeius’ Absicht war, sein Fußvolk in der Verteidigung zu halten, dagegen mit seiner Reiterei die schwache Reiterschar, die, nach deutscher Art mit leichter Infanterie gemischt, ihr gegenüberstand, zu zersprengen und sodann Caesars rechten Flügel in den Rücken zu nehmen. Sein Fußvolk hielt den ersten Stoß der feindlichen Infanterie mutig aus und es kam das Gefecht hier zum Stehen. Labienus sprengte ebenfalls die feindliche Reiterei nach tapferem, aber kurzem Widerstand auseinander und entwickelte sich linkshin, um das Fußvolk zu umgehen. Aber Caesar, die Niederlage seiner Reiterei voraussehend, hatte hinter ihr auf der bedrohten Flanke seines rechten Flügels etwa 2000 seiner besten Legionäre aufgestellt. Wie die feindlichen Reiter, die Caesarischen vor sich hertreibend, heran und um die Linie herum jagten, prallten sie plötzlich auf diese unerschrocken gegen sie anrückende Kernschar und, durch den unerwarteten und ungewohnten Infanterieangriff ^7 rasch in Verwirrung gebracht, sprengten sie mit verhängten Zügeln vom Schlachtfeld. Die siegreichen Legionäre hieben die preisgegebenen feindlichen Schützen zusammen, rückten dann auf den linken Flügel des Feindes los und begannen nun ihrerseits dessen Umgehung. Zugleich ging Caesars bisher zurückgehaltenes drittes Treffen auf der ganzen Linie zum Angriff vor. Die unverhoffte Niederlage der besten Waffe des Pompeianischen Heeres, wie sie den Mut der Gegner hob, brach den der Armee und vor allem den des Feldherrn. Als Pompeius, der seinem Fußvolk von Haus aus nicht traute, die Reiter zurückjagen sah, ritt er sofort von dem Schlachtfeld zurück in das Lager, ohne auch nur den Ausgang des von Caesar befohlenen Gesamtangriffs abzuwarten. Seine Legionen fingen an zu schwanken und bald über den Bach in das Lager zurückzuweichen, was nicht ohne schweren Verlust bewerkstelligt ward. Der Tag war also verloren und mancher tüchtige Soldat gefallen, die Armee indes noch im wesentlichen intakt und Pompeius’ Lage weit minder bedenklich als die Caesars nach der Niederlage von Dyrrhachion. Aber wenn Caesar in den Wechselfällen seiner Geschicke es gelernt hatte, daß das Glück auch seinen Günstlingen wohl auf Augenblicke sich zu entziehen liebt, um durch Beharrlichkeit von ihnen abermals bezwungen zu werden, so kannte Pompeius das Glück bis dahin nur als die beständige Göttin und verzweifelte an sich und an ihr, als sie ihm entwich; und wenn in Caesars großartiger Natur die Verzweiflung nur immer mächtigere Kräfte entwickelte, so versank Pompeius’ dürftige Seele unter dem gleichen Druck in den bodenlosen Abgrund der Kümmerlichkeit. Wie er einst im Kriege mit Sertorius im Begriff gewesen war, das anvertraute Amt im Stiche lassend vor dem überlegenen Gegner auf und davon zu gehen, so warf er jetzt, da er die Legionen über den Bach zurückweichen sah, die verhängnisvolle Feldherrnschärpe von sich und ritt auf dem nächsten Weg dem Meere zu, um dort ein Schiff sich zu suchen. Seine Armee, entmutigt und führerlos - denn Scipio, obwohl von Pompeius als Kollege im Oberkommando anerkannt, war doch nur dem Namen nach Oberfeldherr -, hoffte hinter den Lagerwällen Schutz zu finden; aber Caesar gestattete ihr keine Rast: rasch wurde die hartnäckige Gegenwehr der römischen und thrakischen Lagerwachen überwältigt und die Masse genötigt, sich in Unordnung die Anhöhen von Krannon und Skotussa hinaufzuziehen, an deren Fuße das Lager geschlagen war. Sie versuchte, auf diesen Hügeln sich fortbewegend Larisa wiederzuerreichen; allein Caesars Truppen, weder der Beute noch der Müdigkeit achtend und auf besseren Wegen in die Ebene vorrückend, verlegten den Flüchtigen den Weg; ja, als am späten Abend die Pompeianer ihren Marsch einstellten, vermochten ihre Verfolger es noch, eine Schanzlinie zu ziehen, die den Flüchtigen den Zugang zu dem einzigen in der Nähe befindlichen Bach verschloß. So endigte der Tag von Pharsalos. Die feindliche Armee war nicht bloß geschlagen, sondern vernichtet. 15000 der Feinde lagen tot oder verwundet auf dem Schlachtfeld, während die Caesarianer nur 200 Mann vermißten; die noch zusammengebliebene Masse, immer noch gegen 20000 Mann, streckte am Morgen nach der Schlacht die Waffen; nur einzelne Trupps, darunter freilich die namhaftesten Offiziere, suchten eine Zuflucht in den Bergen; von den elf feindlichen Adlern wurden neun Caesar überbracht. Caesar, der schon am Tage der Schlacht die Soldaten erinnert hatte, im Feinde nicht den Mitbürger zu vergessen, behandelte die Gefangenen nicht wie Bibulus und Labienus es taten; indes auch er fand doch nötig, jetzt die Strenge walten zu lassen. Die gemeinen Soldaten wurden in das Heer eingereiht, gegen die Leute besseren Standes Geldbußen oder Vermögenskonfiskationen erkannt; die gefangenen Senatoren und namhaften Ritter erlitten, mit wenigen Ausnahmen, den Tod. Die Zeiten der Gnade waren vorbei; je länger er währte, desto rücksichtsloser und unversöhnlicher waltete der Bürgerkrieg.

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^6 Die genaue Bestimmung des Schlachtfeldes ist schwierig. Appian (bist. 2, 75) setzt dasselbe ausdrücklich zwischen (Neu-) Pharsalos (jetzt Fersala) und den Enipeus. Von den beiden Gewässern, die hier allein von einiger Bedeutung und unzweifelhaft der Apidanos und Enipeus der Alten sind, dem Sofadhitiko und dem Fersaliti, hat jener seine Quellen auf den Bergen von Thaumakoi (Dhomoko) und den Dolopischen Höhen, dieser auf dem Othrys, und fließt nur der Fersaliti bei Pharsalos vorbei; da nun aber der Enipeus nach Strabon (9 p. 432) auf dem Othrys entspringt und bei Pharsalos vorbeifließt, so ist der Fersaliti mit vollem Recht von W. M. Leake (Travels in Northern Greece. Bd. 4. London 1835, S. 320) für den Enipeus erklärt worden und die von Göler befolgte Annahme, daß der Fersaliti der Apidanos sei, unhaltbar. Damit stimmen auch alle sonstigen Angaben der Alten über beide Flüsse. Nur muß freilich mit Leake angenommen werden, daß der durch die Vereinigung des Fersaliti und des Sofadhitiko gebildete, zum Peneios gehende Fluß von Vlokho bei den Alten, wie der Sofadhitiko, Apidanos hieß: was aber auch um so natürlicher ist als wohl der Sofadhitiko, nicht aber der Fersaliti beständig Wasser hat (Leake, Bd. 4, S. 321). Zwischen Fersala also und dem Fersaliti muß Altpharsalos gelegen haben, wovon die Schlacht den Namen trägt. Demnach ward die Schlacht am linken Ufer des Fersaliti gefochten, und zwar so, daß die Pompeianer, mit dem Gesicht nach Pharsalos stehend, ihren rechten Flügel an den Fluß lehnten (Caes. civ. 3, 83. Frontin. strat. 2, 3, 22). Aber das Lager der Pompeianer kann hier nicht gestanden haben, sondern nur am Abhang der Höhen von Kynoskephalae am rechten Ufer des Enipeus, teils weil sie Caesar den Weg nach Skotussa verlegten, teils weil ihre Rückzugslinie offenbar über die oberhalb des Lagers befindlichen Berge nach Larisa ging; hätten sie, nach Leakes (Bd. 4, S. 482) Annahme, östlich von Pharsalos am linken Ufer des Enipeus gelagert, so konnten sie nimmermehr durch diesen gerade hier tief eingeschnittenen Bach (Leake, Bd. 4, S. 469) nordwärts gelangen und Pompeius hätte statt nach Larisa, nach Lamia flüchten müssen. Wahrscheinlich schlugen also die Pompeianer am rechten Ufer des Fersaliti ihr Lager und passierten den Fluß, sowohl um zu schlagen, als um nach der Schlacht wieder in ihr Lager zu gelangen von wo sie sodann sich die Abhänge von Krannon und Skotussa hinaufzogen, die über dem letzteren Orte zu den Höhen von Kynoskephalae sich gipfeln. Unmöglich war dies nicht. Der Enipeus ist ein schmaler, langsam fließender Bach, den Leake im November zwei Fuß tief fand und der in der heißen Jahreszeit oft ganz trocken liegt (Leake, Bd. 1, S. 448 und Bd. 4, S. 472; vgl. Lucan. 6, 373), und die Schlacht ward im Hochsommer geschlagen. Ferner standen die Heere vor der Schlacht drei Viertelmeilen auseinander (App. civ. 2, 65), so daß die Pompeianer alle Vorbereitungen treffen und auch die Verbindung mit ihrem Lager durch Brücken gehörig sichern konnten. Wäre die Schlacht in eine völlige Deroute ausgegangen, so hätte freilich der Rückzug an und über den Fluß nicht ausgeführt werden können, und ohne Zweifel aus diesem Grunde verstand Pompeius nur ungern sich dazu, hier zu schlagen. Der am weitesten von der Rückzugsbasis entfernte linke Flügel der Pompeianer hat dies auch empfunden; aber der Rückzug wenigstens ihres Zentrums und ihres rechten Flügels ward nicht in solcher Hast bewerkstelligt, daß er unter den gegebenen Bedingungen unausführbar wäre. Caesar und seine Ausschreiber verschweigen die Überschreitung des Flusses, weil dieselbe die übrigens aus der ganzen Erzählung hervorgehende Kampfbegierde der Pompeianer zu deutlich ins Licht stellen würde, und ebenso die für diese günstigen Momente des Rückzugs.

^7 In diesen Zusammenhang gehört die bekannte Anweisung Caesars an seine Soldaten, nach den Gesichtern der feindlichen Reiter zu stoßen. Die Infanterie, welche hier in ganz irregulärer Weise offensiv gegen die Kavallerie auftrat, der mit den Säbeln nicht beizukommen war, sollte ihre Pila nicht abwerfen, sondern sie als Handspeere gegen die Reiter brauchen und, um dieser sich besser zu erwehren, damit nach oben zu stoßen (Plut. Pomp. 69. 71; Plut. Caes. 45; App, civ. 2, 76, 78; Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15; irrig Frontin strat. 4, 7, 32). Die anekdotenhafte Umwandlung dieser Instruktion, daß die Pompeianischen Reiter durch die Furcht vor Schmarren im Gesicht zum Weglaufen sollten gebracht werden und auch wirklich “die Hände vor die Augen haltend” (Plutarch) davongaloppiert seien, fällt in sich selbst zusammen: denn sie hat nur dann eine Pointe, wenn die Pompeianische Reiterei hauptsächlich aus dem jungen Adel Roms, den “artigen Tänzern”, bestand; und dies ist falsch. Höchstens kann es sein, daß der Lagerwitz jener einfachen und zweckmäßigen militärischen Ordre diese sehr unsinnige, aber allerdings lustige Wendung gab.

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Es dauerte einige Zeit, bevor die Folgen des 9. August 706 (48) vollständig sich übersehen ließen. Was am wenigsten Zweifel litt, war der Übertritt aller derer, die zu der bei Pharsalos überwundenen Partei nur als zu der mächtigeren sich geschlagen hatten, auf die Seite Caesars; die Niederlage war eine so völlig entscheidende, daß dem Sieger alles zufiel, was nicht für eine verlorene Sache streiten wollte oder mußte. Alle die Könige, Völker und Städte, die bisher Pompeius’ Klientel gebildet hatten, riefen jetzt ihre Flotten- und Heereskontingente zurück und verweigerten den Flüchtlingen der geschlagenen Partei die Aufnahme - so Ägypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens, Phönikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und überhaupt der ganze Osten. Ja, König Pharnakes vom Bosporus trieb den Diensteifer so weit, daß er auf die Nachricht von der Pharsalischen Schlacht nicht bloß die manches Jahr zuvor vom Pompeius frei erklärte Stadt Phanagoria und die Gebiete der von ihm bestätigten kolchischen Fürsten, sondern selbst das von demselben dem König Deiotarus verliehene Königreich Klein-Armenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Megara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen ließ, und König Juba von Numidien, der von Caesar die Einziehung seines Reiches schon längst und nach dem Siege über Curio nur um so sicherer zu gewärtigen hatte und also freilich, wohl oder übel, bei der geschlagenen Partei ausharren mußte. Ebenso wie die Klientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsalos unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei, alle, die mit halbem Herzen mitgemacht hatten oder gar, wie Marcus Cicero und seinesgleichen, nur um die Aristokratie herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei, um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen, den denn auch dessen geringschätzige Nachsicht den Bittstellern bereitwillig und höflich gewährte. Aber der Kern der geschlagenen Partei transigierte nicht. Mit der Aristokratie war es vorbei; aber die Aristokraten konnten doch sich nimmermehr zur Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur Lüge, die einst segenhafte Staatsordnung zum Fluche werden; aber selbst das vergangene Evangelium noch findet Bekenner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich selber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein neues Geschlecht, von jenen Schemen des Gewesenen und Verwesenden befreit, über die verjüngte Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Entartung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war, es war einst ein großartiges politisches System gewesen; das heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt worden war, glühte, wie getrübt und verdumpft, dennoch fort in dem römischen Adel, solange es einen solchen gab, und machte eine innerliche Verständigung zwischen den Männern des alten Regiments und dem neuen Monarchen unmöglich. Ein großer Teil der Verfassungspartei fügte sich wenigstens äußerlich und erkannte die Monarchie insofern an, als sie von Caesar Gnade annahmen und soweit möglich, sich ins Privatleben zurückzogen; was freilich regelmäßig nicht ohne den Hintergedanken geschah, sich damit auf einen künftigen Umschwung der Dinge aufzusparen. Vorzugsweise taten dies die minder namhaften Parteigenossen; doch zählte auch der tüchtige Marcus Marcellus, derselbe, der den Bruch mit Caesar herbeigeführt hatte, zu diesen Verständigen und verbannte sich freiwillig nach Lesbos. Aber in der Majorität der echten Aristokratie war die Leidenschaft mächtiger als die kühle Überlegung; wobei freilich auch Selbsttäuschungen über den noch möglichen Erfolg und Besorgnisse vor der unvermeidlichen Rache des Siegers mannigfaltig mitwirkten. Keiner wohl beurteilte mit so schmerzlicher Klarheit und so frei von Furcht wie von Hoffnung für sich die Lage der Dinge wie Marcus Cato. Vollkommen überzeugt, daß nach den Tagen von Ilerda und Pharsalos die Monarchie unvermeidlich sei, und sittlich fest genug, um auch diese bittere Wahrheit sich einzugestehen und danach zu handeln, schwankte er einen Augenblick, ob die Verfassungspartei den Krieg überhaupt noch fortsetzen dürfe, der notwendig für eine verlorene Sache vielen Opfer zumutete, die nicht wußten, wofür sie sie brachten. Aber wenn er sich entschloß, weiter gegen die Monarchie zu kämpfen, nicht um den Sieg, sondern um rascheren und ehrenvolleren Untergang, so suchte er doch soweit möglich in diesen Krieg keinen hineinzuziehen, der den Untergang der Republik überleben und mit der Monarchie sich abfinden mochte. Solange die Republik nur bedroht gewesen, meinte er, habe man das Recht und die Pflicht gehabt, auch den lauen und schlechten Bürger zur Teilnahme an dem Kampfe zu zwingen; aber jetzt sei es sinnlos und grausam, den einzelnen zu nötigen, daß er mit der verlorenen Republik sich zugrunde richte. Nicht bloß entließ er selbst jeden, der nach Italien heimzukehren begehrte; als der wildeste unter den wilden Parteimännern, Gnaeus Pompeius der Sohn, auf die Hinrichtung dieser Leute, namentlich des Cicero drang, war es einzig Cato, der sie durch seine sittliche Autorität verhinderte.

Auch Pompeius begehrte keinen Frieden. Wäre er ein Mann gewesen, der es verdiente, an dem Platze zu stehen, wo er stand, so möchte man meinen, er habe es begriffen, daß, wer nach der Krone greift, nicht wieder zurück kann in das Geleise der gewöhnlichen Existenz und darum für den, der fehlgegriffen, kein Platz mehr auf der Erde ist. Allein schwerlich dachte Pompeius zu groß, um eine Gnade zu erbitten, die der Sieger vielleicht hochherzig genug gewesen wäre, ihm nicht zu versagen, sondern vielmehr wahrscheinlich dazu zu gering. Sei es, daß er es nicht über sich gewann, Caesar sich anzuvertrauen, sei es, daß er in seiner gewöhnlichen unklaren und unentschiedenen Weise, nachdem der erste unmittelbare Eindruck der Katastrophe von Pharsalos geschwunden war, wieder anfing, Hoffnung zu schöpfen, Pompeius war entschlossen, den Kampf gegen Caesar fortzusetzen und nach dem Pharsalischen noch ein anderes Schlachtfeld sich zu suchen.

So ging also, wie Caesar immer durch Klugheit und Mäßigung den Groll seiner Gegner zu beschwichtigen und ihre Zahl zu mindern bemüht war, der Kampf nichtsdestoweniger unabänderlich weiter. Allein die führenden Männer hatten fast alle bei Pharsalos mitgefochten, und obwohl sie, mit Ausnahme von Lucius Domitius Ahenobarbus, der auf der Flucht niedergemacht ward, sämtlich sich retteten, wurden sie doch nach allen Seiten hin versprengt, weshalb sie nicht dazu kamen, einen gemeinschaftlichen Plan für die Fortsetzung des Feldzuges zu verabreden. Die meisten von ihnen gelangten, teils durch die öden makedonischen und illyrischen Gebirge, teils mit Hilfe der Flotte, nach Kerkyra, wo Marcus Cato die zurückgelassene Reserve kommandierte. Hier fand unter Catos Vorsitz eine Art Kriegsrat statt, dem Metellus Scipio, Titus Labienus, Lucius Afranius, Gnaeus Pompeius der Sohn und andere beiwohnten; allein teils die Abwesenheit des Oberfeldherrn und die peinliche Ungewißheit über sein Schicksal, teils die innere Zerfahrenheit der Partei verhinderte eine gemeinsame Beschlußfassung, und es schlug schließlich jeder den Weg ein, der ihm für sich oder für die gemeine Sache der zweckmäßigste zu sein schien. Es war in der Tat in hohem Grade schwierig, unter den vielen Strohhalmen, an die man etwa sich anklammern konnte, denjenigen zu bezeichnen, der am längsten über Wasser halten würde. Makedonien und Griechenland waren durch die Schlacht von Pharsalos verloren. Zwar hielt Cato, nachdem er auf die Nachricht von der Niederlage Dyrrhachion sogleich geräumt hatte, nach Kerkyra, Rutilius Lupus noch den Peloponnes eine Zeitlang für die Verfassungspartei. Einen Augenblick schien es auch, als wollten die Pompeianer sich in Paträ auf dem Peloponnes verteidigen; allein die Nachricht von Calenus’ Anrücken genügte, um sie von hier zu verscheuchen. Kerkyra zu behaupten wurde ebensowenig versucht. An der italischen und sizilischen Küste hatten die nach den Siegen von Dyrrhachion dorthin entsandten Pompeianischen Geschwader gegen die Häfen von Brundisium, Messana und Vibo nicht unbedeutende Erfolge errungen und in Messana namentlich die ganze in der Ausrüstung begriffene Flotte Caesars niedergebrannt; allein die hier tätigen Schiffe, größtenteils kleinasiatische und syrische, wurden infolge der Pharsalischen Schlacht von ihren Gemeinden abberufen, so daß die Expedition damit von selber ein Ende nahm. In Kleinasien und Syrien standen augenblicklich gar keine Truppen, weder der einen noch der anderen Partei, mit Ausnahme der bosporanischen Armee des Pharnakes, die, angeblich für Rechnung Caesars, verschiedene Landschaften der Gegner desselben eingenommen hatte. In Ägypten stand zwar noch ein ansehnliches römisches Heer, gebildet aus den dort von Gabinius zurückgelassenen und seitdem aus italischen Landstreichern und syrischem oder kilikischem Räubergesindel rekrutierten Truppen; allein es verstand sich von selbst und ward durch die Rückberufung der ägyptischen Schiffe bald offiziell bestätigt, daß der Hof von Alexandreia keineswegs die Absicht hatte, bei der geschlagenen Partei auszuhalten oder gar ihr seine Truppenmacht zur Verfügung zu stellen. Etwas günstigere Aussichten boten sich den Besiegten im Westen dar. In Spanien waren unter der Bevölkerung die Pompeianischen Sympathien so mächtig, daß die Caesarianer den von dort aus gegen Afrika beabsichtigten Angriff deswegen unterlassen mußten und eine Insurrektion unausbleiblich schien, sowie ein namhafter Führer auf der Halbinsel sich zeigen würde. In Afrika aber hatte die Koalition oder vielmehr der eigentliche Machthaber daselbst, König Juba von Numidien, seit dem Herbst 705 (49) ungestört gerüstet. Wenn also der ganze Osten durch die Schlacht von Pharsalos der Koalition verloren war, so konnte sie dagegen in Spanien wahrscheinlich und sicher in Afrika den Krieg in ehrenhafter Weise weiterführen; denn die Hilfe des längst der römischen Gemeinde untertänigen Königs von Numidien gegen revolutionäre Mitbürger in Anspruch zu nehmen, war für den Römer wohl eine peinliche Demütigung, aber keineswegs ein Landesverrat. Wem freilich in diesem Kampfe der Verzweiflung weder Recht noch Ehre etwas weiter galt, der mochte auch, sich selber außerhalb des Gesetzes erklärend, die Räuberfehde eröffnen oder, mit unabhängigen Nachbarstaaten in Bündnis tretend, den Landesfeind in den inneren Streit hineinziehen oder endlich, die Monarchie mit den Lippen bekennend, die Restauration der legitimen Republik mit dem Dolch des Meuchelmörders betreiben. Daß die Überwundenen austraten und der neuen Monarchie absagten, war wenigstens der natürliche und insofern richtigste Ausdruck ihrer verzweifelten Lage. Das Gebirge und vor allem das Meer waren in jener Zeit seit Menschengedenken wie die Freistatt allen Frevels, so auch die des unerträglichen Elends und des unterdrückten Rechtes; Pompeianern und Republikanern lag es nahe, der Monarchie Caesars, die sie ausstieß, in den Bergen und auf den Meeren trotzig den Krieg zu machen, und namentlich nahe, die Piraterie in größerem Maßstab, in festerer Geschlossenheit, mit bestimmteren Zielen aufzunehmen. Selbst nach der Abberufung der aus dem Osten gekommenen Geschwader besaßen sie noch eine sehr ansehnliche eigene Flotte, während Caesar immer noch so gut wie ohne Kriegsschiffe war; und ihre Verbindung mit den Delmatern, die im eigenen Interesse gegen Caesar aufgestanden waren, ihre Herrschaft über die wichtigsten Meere und Hafenplätze, gaben für den Seekrieg, namentlich im kleinen, die vorteilhaftesten Aussichten. Wie einst Sullas Demokratenhetze geendigt hatte mit dem Sertorianischen Aufstand, der anfangs Piraten-, dann Räuberfehde war und schließlich doch ein sehr ernstlicher Krieg ward, so konnte, wenn in der catonischen Aristokratie oder unter den Anhängern des Pompeius so viel Geist und Feuer war wie in der marianischen Demokratie, und wenn in ihr der rechte Seekönig sich fand, auf dem noch unbezwungenen Meere wohl ein von Caesars Monarchie unabhängiges und vielleicht dieser gewachsenes Gemeinwesen entstehen.

In jeder Hinsicht weit schärfere Mißbilligung verdient der Gedanke, einen unabhängigen Nachbarstaat in den römischen Bürgerkrieg hineinzuziehen und durch ihn eine Konterrevolution herbeizuführen: Gesetz und Gewissen verurteilen den Überläufer strenger als den Räuber, und leichter findet die siegreiche Räuberschar den Rückweg zu einem freien und geordneten Gemeinwesen, als die vom Landesfeind zurückgeführte Emigration. Übrigens war es auch kaum wahrscheinlich, daß die geschlagene Partei auf diesem Wege eine Restauration würde bewirken können. Der einzige Staat, auf den sie versuchen konnte sich zu stützen, war der der Parther; und von diesem war es wenigstens zweifelhaft, ob er ihre Sache zu der seinigen machen, und sehr unwahrscheinlich, daß er gegen Caesar sie durchfechten werde. Die Zeit der republikanischen Verschwörungen aber war noch nicht gekommen.

Während also die Trümmer der geschlagenen Partei ratlos vom Schicksal sich treiben ließen und auch die den Kampf fortzusetzen entschieden waren nicht wußten, wie noch wo, hatte Caesar, wie immer rasch entschlossen und rasch handelnd, alles beiseite gelassen, um Pompeius zu verfolgen, den einzigen seiner Gegner, den er als Offizier achtete, und denjenigen, dessen persönliche Gefangennahme die eine und vielleicht die gefährlichere Hälfte seiner Gegner wahrscheinlich paralysiert haben würde. Mit weniger Mannschaft fuhr er über den Hellespont - seine einzelne Barke traf in demselben auf eine feindliche, nach dem Schwarzen Meere bestimmte Flotte und nahm die ganze, durch die Kunde von der Pharsalischen Schlacht wie mit Betäubung geschlagene Mannschaft derselben gefangen - und eilte, sowie die notwendigsten Anordnungen getroffen waren, Pompeius in den Osten nach. Dieser war vom Pharsalischen Schlachtfeld nach Lesbos gegangen, wo er seine Gemahlin und seinen zweiten Sohn Sextus abholte, und weiter um Kleinasien herum nach Kilikien und von da nach Kypros gesegelt. Er hätte zu seinen Parteigenossen nach Kerkyra oder Afrika gelangen können; allein der Widerwille gegen seine aristokratischen Verbündeten und der Gedanke an die Aufnahme, die nach dem Tage von Pharsalos und vor allem nach seiner schimpflichen Flucht ihn dort erwartete, scheinen ihn bewogen zu haben, seinen Weg für sich zu gehen und lieber in den Schutz des Partherkönigs als in den Catos sich zu begeben. Während er beschäftigt war, von den römischen Steuerpächtern und Kaufleuten auf Kypros Geld und Sklaven beizutreiben und einen Haufen von 2000 Sklaven zu bewaffnen, erhielt er die Nachricht, daß Antiocheia sich für Caesar erklärt habe und der Weg zu den Parthern nicht mehr offen sei. So änderte er seinen Plan und ging unter Segel nach Ägypten, wo in dem Heere eine Menge seiner alten Soldaten dienten und die Lage und die reichen Hilfsmittel des Landes Zeit und Gelegenheit gewährten, den Krieg zu reorganisieren.

In Ägypten hatten nach Ptolemaeos Auletes’ Tode (Mai 703 51) dessen Kinder, die etwa sechzehnjährige Kleopatra und der zehnjährige Ptolemaeos Dionysos, nach dem Willen ihres Vaters gemeinschaftlich und als Gatten, den Thron bestiegen; allein bald hatte der Bruder oder vielmehr dessen Vormund Potheinos die Schwester aus dem Reiche getrieben und sie genötigt, eine Zuflucht in Syrien zu suchen, von wo aus sie Anstalten traf, um in ihr väterliches Reich zurückzugelangen. Ptolemaeos und Potheinos standen eben, um gegen sie die Ostgrenze zu decken, mit der ganzen ägyptischen Armee bei Pelusion, als Pompeius bei dem Kasischen Vorgebirge vor Anker ging und den König ersuchen ließ, ihm die Landung zu gestatten. Der ägyptische Hof, längst von der Katastrophe bei Pharsalos unterrichtet, war im Begriffe, Pompeius zurückzuweisen; allein der Hofmeister des Königs, Theodotos, wies darauf hin, daß in diesem Falle Pompeius wahrscheinlich seine Verbindungen in der ägyptischen Armee benutzen werde, um dieselbe aufzuwiegeln; es sei sicherer und auch mit Rücksicht auf Caesar vorzuziehen, wenn man die Gelegenheit wahrnehme, um Pompeius aus der Welt zu schaffen. Dergleichen politische Räsonnements verfehlten bei den Staatsmännern der hellenischen Welt nicht leicht ihre Wirkung. Der General der königlichen Truppen, Achillas, und einige von Pompeius’ ehemaligen Soldaten fuhren mit einem Kahn an Pompeius’ Schiff heran und luden ihn ein, zum König zu kommen und, da das Fahrwasser seicht sei, ihre Barke zu besteigen. Im Aussteigen stach der Kriegstribun Lucius Septimius ihn hinterrücks nieder, unter den Augen seiner Gattin und seines Sohnes, welche von dem Verdeck ihres Schiffes aus dem Morde zusehen mußten, ohne retten oder rächen zu können (28. September 706 48). An demselben Tage, an dem er dreizehn Jahre zuvor, über Mithradates triumphierend, in die Hauptstadt eingezogen war, endigte auf einer öden Düne des unwirtlichen kasischen Strandes durch die Hand eines seiner alten Soldaten der Mann, der ein Menschenalter hindurch der Große geheißen und Jahre lang Rom beherrscht hatte. Ein guter Offizier, übrigens aber von mittelmäßigen Gaben des Geistes und des Herzens, hatte das Schicksal mit dreißigjähriger dämonischer Beständigkeit alle glänzenden mühelosen Aufgaben nur darum ihm zu lösen gewährt, alle von anderen gepflanzten und gepflegten Lorbeeren nur darum ihm zu brechen gestattet, nur darum alle Bedingungen zur Erlangung der höchsten Gewalt ihm entgegengetragen, um an ihm ein Beispiel falscher Größe aufzustellen, wie die Geschichte kein zweites kennt. Unter allen kläglichen Rollen gibt es keine kläglichere als die, mehr zu gelten als zu sein; und es ist das Verhängnis der Monarchie, da doch kaum alle tausend Jahre in dem Volke ein Mann aufsteht, welcher König nicht bloß heißt, sondern auch ist, daß diese Kläglichkeit unvermeidlich an ihr haftet. Wenn dies Mißverhältnis zwischen Scheinen und Sein vielleicht nie so schroff hervorgetreten ist wie in Pompeius, so mag der ernste Gedanke wohl dabei verweilen, daß er eben in gewissem Sinn die Reihe der römischen Monarchen eröffnet.

Als Caesar, Pompeius’ Spuren folgend, auf der Reede von Alexandreia eintraf, war bereits alles vorüber. Mit tiefer Erschütterung wandte er sich ab, als ihm der Mörder das Haupt des Mannes auf das Schiff entgegentrug, der sein Schwiegersohn und lange Jahre sein Genosse in der Herrschaft gewesen und den lebend in seine Gewalt zu bringen er nach Ägypten gekommen war. Die Antwort auf die Frage, wie Caesar mit dem gefangenen Pompeius verfahren sein würde, hat der Dolch des voreiligen Mörders abgeschnitten; aber wenn die menschliche Teilnahme, die in Caesars großer Seele noch neben dem Ehrgeiz Raum fand, ihm die Schonung des ehemaligen Freundes gebot, so forderte auch sein Interesse, denselben auf andere Art zu annullieren als durch den Henker. Pompeius war zwanzig Jahre lang der anerkannte Gebieter von Rom gewesen; eine so tief gewurzelte Herrschaft geht nicht unter mit dem Tode des Herrn. Pompeius’ Tod löste die Pompeianer nicht auf, sondern gab ihnen statt eines bejahrten, unfähigen und vernutzten Hauptes an dessen beiden Söhnen Gnaeus und Sextus zwei Führer, welche beide jung und rührig und von denen der zweite eine entschiedene Kapazität war. Der neugegründeten Erbmonarchie heftete sogleich parasitisch sich das erbliche Prätendententum an, und es war sehr zweifelhaft, ob bei diesem Wechsel der Personen Caesar nicht mehr verlor, als er gewann.

Indes in Ägypten hatte Caesar jetzt nichts weiter zu tun, und Römer und Ägypter erwarteten, daß er sofort wieder unter Segel gehen und sich an die Unterwerfung Afrikas und an das unermeßliche Organisationswerk machen werde, das ihm nach dem Siege bevorstand. Allein Caesar, seiner Gewohnheit getreu, wo er einmal in dem weiten Reiche sich befand, die Verhältnisse sogleich und persönlich endgültig zu regeln, und fest überzeugt, daß weder von der römischen Besatzung noch von dem Hofe irgendein Widerstand zu erwarten sei, überdies in dringender Geldverlegenheit, landete in Alexandreia mit den zwei ihn begleitenden, auf 3200 Mann zusammengeschmolzenen Legionen und 800 keltischen und deutschen Reitern, nahm Quartier in der königlichen Burg und ging daran, die nötigen Summen beizutreiben und die ägyptische Erbfolge zu ordnen, ohne sich stören zu lassen durch Potheinos’ naseweise Bemerkung, daß Caesar doch über diese Kleinigkeiten nicht seine so wichtigen eigenen Angelegenheiten versäumen möge. Gegen die Ägypter verfuhr er dabei gerecht und selbst nachsichtig. Obwohl der Beistand, den sie Pompeius geleistet hatten, zur Auflegung einer Kriegskontribution berechtigte, ward doch das erschöpfte Land damit verschont und unter Erlaß dessen, was auf die im Jahre 695 (59) stipulierte und seitdem erst etwa zur Hälfte abbezahlte Summe weiter rückständig war, lediglich eine Schlußzahlung von 10 Mill. Denaren (3 Mill. Taler) gefordert. Den beiden kriegführenden Geschwistern ward die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten anbefohlen und beide zur Untersuchung und Entscheidung des Streites vor den Schiedsherrn geladen. Man fügte sich; der königliche Knabe befand sich bereits in der Burg und auch Kleopatra stellte dort sich ein. Caesar sprach das Reich Ägypten, dem Testament des Auletes gemäß, den beiden geschwisterlichen Gatten Kleopatra und Ptolemaeos Dionysos zu und gab ferner unaufgefordert, unter Kassierung der früher verfügten Einziehung des Kyprischen Reiches, dieses als ägyptische Sekundogenitur an die jüngeren Kinder des Auletes Arsinoe und Ptolemaeos den Jüngeren.

Allein im stillen bereitete ein Ungewitter sich vor. Alexandreia war eine Weltstadt so gut wie Rom, an Einwohnerzahl der italischen Hauptstadt schwerlich nachstehend, an rührigem Handelsgeist, an Handwerkergeschick, an Sinn für Wissenschaft und Kunst ihr weit überlegen; in der Bürgerschaft war ein reges nationales Selbstgefühl und wenn kein politischer Sinn, doch ein unruhiger Geist, der sie ihre Straßenkrawalle so regelmäßig und so herzhaft abhalten ließ wie heutzutage die Pariser; man kann sich ihre Empfindungen denken, als sie in der Residenz der Lagiden den römischen Feldherrn schalten und ihre Könige vor seinem Tribunal Recht nehmen sah. Potheinos und der königliche Knabe, beide begreiflicherweise sehr unzufrieden sowohl mit der peremtorischen Einmahnung alter Schulden wie mit der Intervention in dem Thronstreit, welche nur zu Gunsten der Kleopatra ausfallen konnte und ausfiel, schickten zur Befriedigung der römischen Forderungen die Schätze der Tempel und das goldene Tischgerät des Königs mit absichtlicher Ostentation zum Einschmelzen in die Münze; mit tiefer Erbitterung schauten die abergläubisch frommen und der weltberühmten Pracht ihres Hofes wie eines eigenen Besitzes sich erfreuenden Ägypter die nackten Wände ihrer Tempel und die hölzernen Becher auf der Tafel ihres Königs. Auch die römische Okkupationsarmee, welche durch den langen Aufenthalt in Ägypten und die vielen Zwischenheiraten zwischen den Soldaten und ägyptischen Mädchen wesentlich denationalisiert war und überdies eine Menge alter Soldaten des Pompeius und verlaufener italischer Verbrecher und Sklaven in ihren Reihen zählte, grollte Caesar, auf dessen Befehl sie ihre Aktion an der syrischen Grenze hatte einstellen müssen, und seiner Handvoll hochmütiger Legionäre. Schon der Auflauf bei der Landung, als die Menge die römischen Beile in die alte Königsburg tragen sah, und die zahlreichen Meuchelmorde, welche gegen seine Soldaten in der Stadt verübt wurden, hatten Caesar darüber belehrt, in welcher ungeheuren Gefahr er mit seinen wenigen Leuten dieser erbitterten Menge gegenüber schwebte. Allein die Umkehr war wegen der in dieser Jahreszeit herrschenden Nordwestwinde schwierig, und der Versuch der Einschiffung konnte leicht das Signal zum Ausbruch der Insurrektion werden; überhaupt lag es nicht in Caesars Art, unverrichteter Sache sich davonzumachen. Er beorderte also zwar sogleich Verstärkungen aus Asien herbei, trug aber, bis diese eintrafen, zunächst die größte Sicherheit zur Schau. Nie war es lustiger in seinem Lager hergegangen als während dieser alexandrinischen Rast; und wenn die schöne und geistreiche Kleopatra mit ihren Reizen überhaupt nicht, und am wenigsten gegen ihren Richter, sparsam war, so schien auch Caesar unter all seinen Siegen die über schöne Frauen am höchsten zu schätzen. Es war ein lustiges Vorspiel zu sehr ernsten Auftritten. Unter Führung des Achillas und, wie später sich auswies, auf geheimen Befehl des Königs und seines Vormundes, erschien die in Ägypten stehende römische Okkupationsarmee unvermutet in Alexandreia; und sowie die Bürgerschaft sah, daß sie kam, um Caesar anzugreifen, machte sie mit den Soldaten gemeinschaftliche Sache. Mit einer Geistesgegenwart, die seine frühere Tolldreistigkeit gewissermaßen rechtfertigt, raffte Caesar schleunigst seine zerstreuten Mannschaften zusammen, bemächtigte sich der Person des Königs und seiner Minister, verschanzte sich in der königlichen Burg und dem benachbarten Theater, ließ, da es an Zeit gebrach, die in dem Haupthafen unmittelbar vor dem Theater stationierte Kriegsflotte in Sicherheit zu bringen, dieselbe anzünden und die den Hafen beherrschende Leuchtturminsel Pharos durch Boote besetzen. So war wenigstens eine beschränkte Verteidigungsstellung gewonnen und der Weg offen gehalten, um Zufuhr und Verstärkungen herbeizuschaffen. Zugleich ging dem Kornmandanten von Kleinasien sowie den nächsten untertänigen Landschaften, den Syrern und Nabatäern, den Kretensern und den Rhodiern, der Befehl zu, schleunigst Truppen und Schiffe nach Ägypten zu senden. Die Insurrektion, an deren Spitze die Prinzessin Arsinoe und deren Vertreter, der Eunuch Ganymedes, sich gestellt hatten, schaltete indes frei in ganz Ägypten und in dem größten Teil der Hauptstadt, in deren Straßen täglich gefochten ward, ohne daß es weder Caesar gelang, sich freier zu entwickeln und bis zu dem hinter der Stadt befindlichen Süßwassersee von Marea durchzubrechen, wo er sich mit Wasser und mit Fourage hätte versorgen können, noch den Alexandrinern, der Belagerten Herr zu werden und sie alles Trinkwassers zu berauben; denn als die Nilkanäle in Caesars Stadtteil durch hineingeleitetes Seewasser verdorben waren, fand sich unerwartet trinkbares Wasser in den am Strande gegrabenen Brunnen. Da Caesar von der Landseite nicht zu überwältigen war, richteten sich die Anstrengungen der Belagerer darauf, seine Flotte zu vernichten und ihn von der See abzuschneiden, auf der die Zufuhr ihm zukam. Die Leuchtturminsel und der Damm, durch den diese mit dem Festland zusammenhing, teilte den Hafen in eine westliche und eine östliche Hälfte, die durch zwei Bogenöffnungen des Dammes miteinander in Verbindung standen. Caesar beherrschte die Insel und den Osthafen, während der Damm und der Westhafen im Besitz der Bürgerschaft war, und seine Schiffe fuhren, da die alexandrinische Flotte verbrannt war, ungehindert ab und zu. Die Alexandriner, nachdem sie vergeblich versucht hatten, aus dem Westhafen in den östlichen Brander einzuführen, stellten darauf mit den Resten ihres Arsenals ein kleines Geschwader her und verlegten damit Caesars Schiffen den Weg, als dieselben eine Transportflotte mit einer aus Kleinasien nachgekommenen Legion hereinbugsierten; indes wurden Caesars vortreffliche rhodische Seeleute des Feindes Herr. Nicht lange darauf nahmen indes die Bürger die Leuchtturminsel weg ^8 und sperrten von da aus die schmale und klippige Mündung des Osthafens für größere Schiffe gänzlich; so daß Caesars Flotte genötigt war, auf der offenen Reede vor dem Osthafen zu stationieren und seine Verbindung mit der See nur noch an einem schwachen Faden hing. Caesars Flotte, auf jener Reede zu wiederholten Malen von der überlegenen feindlichen Seemacht angegriffen, konnte weder dem ungleichen Kampf ausweichen, da der Verlust der Leuchtturminsel ihr den inneren Hafen verschloß, noch auch das Weite suchen, da der Verlust der Reede Caesar ganz von der See abgesperrt haben würde. Wenn auch die tapfern Legionäre, unterstützt durch die Gewandtheit der rhodischen Matrosen, bisher noch immer diese Gefechte zu Gunsten der Römer entschieden hatten, so erneuerten und steigerten doch die Alexandriner mit unermüdeter Beharrlichkeit ihre Flottenrüstungen; die Belagerten mußten schlagen, so oft es den Belagerern beliebte, und wurden jene ein einziges Mal überwunden, so war Caesar vollständig eingeschlossen und wahrscheinlich verloren. Es ward schlechterdings nötig, einen Versuch zur Wiedergewinnung der Leuchtturminsel zu machen. Der zwiefache Angriff, der durch Boote von der Hafen-, durch die Kriegsschiffe von der Seeseite her gemacht ward, brachte in der Tat nicht bloß die Insel, sondern auch den unteren Teil des Dammes in Caesars Gewalt; erst bei der zweiten Bogenöffnung des Dammes befahl Caesar anzuhalten und den Damm hier gegen die Stadt zu durch einen Querwall zu sperren. Allein während hier um die Schanzenden ein hitziges Gefecht sich entspann, entblößten die römischen Truppen den unteren, an die Insel anstoßenden Teil des Dammes; unversehens landete hier eine Abteilung Ägypter, griff die auf dem Damm am Querwall zusammengedrängten römischen Soldaten und Matrosen von hinten an und sprengte die ganze Masse in wilder Verwirrung in das Meer. Ein Teil ward von den römischen Schiffen aufgenommen; die meisten ertranken. Etwa 400 Soldaten und eine noch größere Zahl von der Flottenmannschaft wurden das Opfer dieses Tages; der Feldherr selbst, der das Schicksal der Seinigen geteilt, hatte sich auf sein Schiff und, als dieses von Menschen überschwert sank, schwimmend auf ein anderes retten müssen. Indes so empfindlich auch der erlittene Verlust war, er ward durch den Wiedergewinn der Leuchtturminsel, die samt dem Damm bis zur ersten Bogenöffnung in Caesars Händen blieb, reichlich aufgewogen. Endlich kam der ersehnte Entsatz. Mithradates von Pergamon, ein tüchtiger Kriegsmann aus der Schule des Mithradates Eupator, dessen natürlicher Sohn er zu sein behauptete, führte zu Lande von Syrien her eine buntscheckige Armee heran: die Ityräer des Fürsten von Libanos, die Beduinen des Jamblichos, Sampsikeramos’ Sohn, die Juden unter dem Minister Antipatros, überhaupt die Kontingente der kleinen Häuptlinge und Gemeinden Kilikiens und Syriens. Von Pelusion, das Mithradates am Tage seiner Ankunft zu besetzen geglückt war, schlug er, um das durchschnittene Terrain des Delta zu vermeiden und den Nil vor seiner Teilung zu überschreiten, die große Straße nach Memphis ein, wobei seine Truppen von den besonders in diesem Teil Ägyptens zahlreich ansässigen Juden vielfache landsmannschaftliche Unterstützung empfingen. Die Ägypter, jetzt den jungen König Ptolemaeos an der Spitze, welchen Caesar in der vergeblichen Hoffnung, die Insurrektion durch ihn zu beschwichtigen, zu den Seinigen entlassen hatte, entsandten ein Heer auf dem Nil, um Mithradates auf dessen jenseitigem Ufer festzuhalten. Dasselbe traf auch, noch jenseits Memphis bei dem sogenannten Judenlager, zwischen Omion und Heliopolis, auf den Feind; allein Mithradates, geübt, in römischer Weise zu manövrieren und zu lagern, gewann dennoch unter glücklichen Gefechten das andere Ufer bei Memphis. Caesar andererseits, sowie er von dem Eintreffen der Entsatzarmee Kunde erhielt, führte einen Teil seiner Truppen auf Schiffen an die Spitze des Sees von Marea westlich von Alexandreia und marschierte um diesen herum und den Nil hinab dem flußaufwärts herankommenden Mithradates entgegen. Die Vereinigung erfolgte, ohne daß der Feind sie zu hindern versucht hätte. Caesar rückte dann in das Delta, wohin der König sich zurückgezogen hatte, warf, trotz des tiefeingeschnittenen Kanals vor ihrer Front, die ägyptische Vorhut im ersten Anlauf und stürmte sofort das ägyptische Lager selbst. Es befand sich am Fuß einer Anhöhe zwischen dem Nil, von dem nur ein schmaler Weg es trennte, und schwer zugänglichen Sümpfen. Caesar ließ zugleich von vorn und seitwärts auf dem Weg am Nil das Lager berennen und während dieses Sturmes ein drittes Detachement die Anhöhen hinter dem Lager ungesehen ersteigen. Der Sieg war vollständig; das Lager ward genommen und was von den Ägyptern nicht unter den feindlichen Schwertern fiel, ertrank bei dem Versuch, zu der Nilflotte zu entkommen. Mit einem der Boote, die mit Menschen überladen sanken, verschwand auch der junge König in den Wellen seines heimischen Stromes. Unmittelbar vom Schlachtfeld rückte Caesar von der Landseite her geradeswegs an der Spitze seiner Reiterei in den von den Ägyptern besetzten Teil der Hauptstadt. Im Trauergewande, ihre Götterbilder in den Händen, empfingen ihn um Friede bittend die Feinde, die Seinigen aber, da sie ihn von der anderen Seite, als von der er ausgezogen als Sieger wiederkehren sahen, mit grenzenlosem Jubel. Das Schicksal der Stadt, die den Herrn der Welt in seinen Plänen zu kreuzen gewagt und um ein Haar seinen Untergang herbeigeführt hatte, lag in Caesars Hand; allein er war zu sehr Regent, um empfindlich zu sein, und verfuhr mit den Alexandrinern wie mit den Massalioten. Caesar, hinweisend auf die arg verwüstete und bei Gelegenheit des Flottenbrandes ihrer Kornmagazine, ihrer weltberühmten Bibliothek und anderer bedeutender öffentlicher Gebäude beraubte Stadt, ermahnte die Einwohnerschaft, sich künftig allein der Künste des Friedens ernstlich zu befleißigen und die Wunden zu heilen, die sie sich selber geschlagen; übrigens begnügte er sich, den in Alexandreia angesessenen Juden dieselben Rechte zu gewähren, deren die griechische Stadtbevölkerung genoß, und anstatt der bisherigen, wenigstens dem Namen nach den Königen von Ägypten gehorchenden römischen Okkupationsarmee eine förmliche römische Besatzung, zwei der daselbst belagerten und eine dritte später aus Syrien nachgekommene Legion, unter einem von ihm selbst ernannten Befehlshaber nach Alexandreia zu legen. Zu diesem Vertrauensposten ward absichtlich ein Mann ausersehen, dessen Geburt es ihm unmöglich machte, denselben zu mißbrauchen, Rufio, ein tüchtiger Soldat, aber eines Freigelassenen Sohn. Das Regiment Ägyptens unter Roms Oberhoheit erhielten Kleopatra und deren jüngerer Bruder Ptolemaeos; die Prinzessin Arsinoe ward, um nicht den nach orientalischer Art der Dynastie ebenso ergebenen wie gegen den einzelnen Dynasten gleichgültigen Ägyptern abermals als Vorwand für Insurrektionen zu dienen, nach Italien abgeführt; Kypros wurde wieder ein Teil der römischen Provinz Kilikien.

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^8 Der Verlust der Leuchtturminsel muß in der Lücke Bell. Alex. 12 ausgefallen sein, da die Insel anfänglich ja in Caesars Gewalt war (civ. 3,112; Bell. Alex. 8). Der Damm muß beständig in der Gewalt der Feinde gewesen sein, da Caesar mit der Insel nur durch Schiffe verkehrte.

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Dieser alexandrinische Aufstand, so geringfügig er an sich war und so wenig er innerlich zusammenhing mit den weltgeschichtlichen Ereignissen, die zugleich im römischen Staate sich vollzogen, griff dennoch insofern in dieselben folgenreich ein, als er den Mann, der alles in allem war und ohne den nichts gefördert und nichts gelöst werden konnte, vom Oktober 706 (48) bis zum März 707 (47) nötigte, seine eigentlichen Aufgaben liegen zu lassen, um mit Juden und Beduinen gegen einen Stadtpöbel zu kämpfen. Die Folgen des persönlichen Regiments fingen an, sich fühlbar zu machen. Man hatte die Monarchie; aber überall herrschte die entsetzlichste Verwirrung und der Monarch war nicht da. Ebenwie die Pompeianer waren augenblicklich auch die Caesarianer ohne obere Leitung; es entschied überall die Fähigkeit der einzelnen Offiziere und vor allen Dingen der Zufall.

In Kleinasien stand bei Caesars Abreise nach Ägypten kein Feind. Indes hatte Caesars Statthalter daselbst, der tüchtige Gnaeus Domitius Calvinus, Befehl erhalten, dem König Pharnakes wiederabzunehmen, was derselbe den Verbündeten des Pompeius ohne Auftrag entrissen hatte; und da dieser, ein starrköpfiger und übermütiger Despot wie sein Vater, die Räumung Klein-Armeniens beharrlich verweigerte, so blieb nichts übrig, als gegen ihn marschieren zu lassen. Calvinus hatte von den drei ihm zurückgelassenen, aus pharsalischen Kriegsgefangenen gebildeten Legionen zwei nach Ägypten absenden müssen; er ergänzte die Lücke durch eine eiligst aus den im Pontus domizilierten Römern zusammengeraffte und zwei nach römischer Art exerzierte Legionen des Deiotarus und rückte in Klein-Armenien ein. Allein das bosporanische, in zahlreichen Kämpfen mit den Anwohnern des Schwarzen Meeres erprobte Heer erwies sich tüchtiger als das seinige. In dem Treffen bei Nikopolis ward Calvinus’ pontisches Aufgebot zusammengehauen und liefen die galatischen Legionen davon; nur die eine alte Legion der Römer schlug mit mäßigem Verlust sich durch. Statt Klein-Armenien zu erobern, konnte Calvinus nicht einmal verhindern, daß Pharnakes sich seiner pontischen “Erbstaaten” wieder bemächtigte und über deren Bewohner, namentlich die unglücklichen Amisener, die ganze Schale seiner scheußlichen Sultanslaunen ausgoß (Winter 706/07 48/47). Als dann Caesar selbst in Kleinasien eintraf und ihm sagen ließ, daß der Dienst, den Pharnakes ihm persönlich geleistet, indem er Pompeius keine Hilfe gewährt habe, nicht in Betracht kommen dürfe gegen den dem Reiche zugefügten Schaden und daß vor jeder Unterhandlung er die Provinz Pontus räumen und das geraubte Gut zurückstellen müsse, erklärte er sich zwar bereit zu gehorchen; aber wohl wissend, wie guten Grund Caesar hatte, nach dem Westen zu eilen, machte er dennoch keine ernstlichen Anstalten zur Räumung. Er wußte nicht, daß Caesar abtat, was er angriff. Ohne weiter zu verhandeln, nahm Caesar die eine von Alexandreia mitgebrachte Legion und die Truppen des Calvinus und Deiotarus zusammen und rückte gegen Pharnakes’ Lager bei Ziela. Wie die Bosporaner ihn kommen sahen, durchschritten sie keck den tiefen Bergspalt, der ihre Front deckte, und griffen den Hügel hinauf die Römer an. Caesars Soldaten waren noch mit dem Lagerschlagen beschäftigt und einen Augenblick schwankten die Reihen; allein die kriegsgewohnten Veteranen sammelten sich rasch und gaben das Beispiel zum allgemeinen Angriff und zum vollkommenen Siege (2. August 707 47). In fünf Tagen war der Feldzug beendigt - zu dieser Zeit, wo jede Stunde kostbar war, ein unschätzbarer Glücksfall. Mit der Verfolgung des Königs, der über Sinope heimgegangen war, beauftragte Caesar des Pharnakes illegitimen Bruder, den tapferen Mithradates von Pergamon, welcher zum Lohn für die in Ägypten geleisteten Dienste an Pharnakes’ Stelle die bosporanische Königskrone empfing. Im übrigen wurden die syrischen und kleinasiatischen Angelegenheiten friedlich geschlichtet, die eigenen Bundesgenossen reich belohnt, die des Pompeius im ganzen mit Geldbußen oder Verweisen entlassen. Nur der mächtigste unter den Klienten des Pompeius, Deiotarus, wurde wieder auf sein angestammtes enges Gebiet, den tolistobogischen Gau, beschränkt. An seiner Stelle ward mit Klein-Armenien König Ariobarzanes von Kappadokien belehnt, mit dem von Deiotarus usurpierten Vierfürstentum der Trokmer aber der neue König des Bosporus, welcher wie von väterlicher Seite dem pontischen, so von mütterlicher einem der galatischen Fürstengeschlechter entstammte.

Auch in Illyrien hatten, während Caesar in Ägypten war, sehr ernsthafte Auftritte sich zugetragen. Die delmatische Küste war seit Jahrhunderten ein wunder Fleck der römischen Herrschaft und die Bewohner mit Caesar seit den Kämpfen um Dyrrhachion in offener Fehde; im Binnenland aber wimmelte es noch von dem thessalischen Kriege her von versprengten Pompeianern. Indes hatte Quintus Cornificius mit den aus Italien nachrückenden Legionen sowohl die Eingeborenen wie die Flüchtlinge im Zaum gehalten und zugleich der in diesen rauben Gegenden so schwierigen Verpflegung der Truppen genügt. Selbst als der tüchtige Marcus Octavius, der Sieger von Curicta, mit einem Teil der Pompeianischen Flotte in diesen Gewässern erschien, um hier zur See und zu Lande den Krieg gegen Caesar zu leiten, wußte Cornificius, gestützt auf die Schiffe und den Hafen der Iadestiner (Zara), nicht bloß sich zu behaupten, sondern bestand auch selbst zur See gegen die Flotte des Gegners manches glückliche Gefecht. Aber als der neue Statthalter von Illyrien, der von Caesar aus dem Exil zurückberufene Aulus Gabinius, mit fünfzehn Kohorten und 3000 Reitern im Winter 706/07 (48/47) auf dem Landweg in Illyrien eintraf, wechselte das System der Kriegführung. Statt wie sein Vorgänger sich auf den kleinen Krieg zu beschränken, unternahm der kühne tätige Mann sogleich, trotz der rauben Jahreszeit, mit seiner gesamten Streitmacht eine Expedition in die Gebirge. Aber die ungünstige Witterung, die Schwierigkeit der Verpflegung und der tapfere Widerstand der Delmater rieben das Heer auf; Gabinius mußte den Rückzug antreten, ward auf diesem von den Delmatern angegriffen und schmählich geschlagen, und erreichte mit den schwachen Überresten seiner stattlichen Armee mühsam Salome, wo er bald darauf starb. Die meisten illyrischen Küstenstädte ergaben sich hierauf der Flotte des Octavius; die an Caesar festhielten, wie Salome und Epidauros (Ragusa vecchia), wurden von der Flotte zur See, zu Lande von den Barbaren so heftig bedrängt, daß die Übergabe und die Kapitulation der in Salome eingeschlossenen Heerestrümmer nicht mehr fern schien. Da ließ der Kommandant des brundisischen Depots, der energische Publius Vatinius, in Ermangelung von Kriegsschiffen gewöhnliche Boote mit Schnäbeln versehen und sie mit den aus den Hospitälern entlassenen Soldaten bemannen und lieferte mit dieser improvisierten Kriegsflotte der weit überlegenen Octavianischen bei der Insel Tauris (Torcola zwischen Lelina und Curzola) ein Treffen, in dem die Tapferkeit des Anführers und der Schiffssoldaten wie so oft ersetzte, was den Schiffen abging, und die Caesarianer einen glänzenden Sieg erfochten. Marcus Octavius verließ diese Gewässer und begab sich nach Afrika (Frühjahr 707 47); die Delmater setzten zwar noch Jahre lang mit großer Hartnäckigkeit sich zur Wehr, allein es war dies nichts als ein örtlicher Gebirgskrieg. Als Caesar aus Ägypten zurückkam, hatte sein entschlossener Adjutant die in Illyrien drohende Gefahr bereits beseitigt.

Um so ernster stand es in Afrika, wo die Verfassungspartei vom Anfang des Bürgerkrieges an unumschränkt geherrscht und ihre Macht fortwährend gesteigert hatte. Bis zur Pharsalischen Schlacht hatte hier eigentlich König Juba das Regiment geführt; er hatte Curio überwunden, und die Kraft des Heeres waren seine flüchtigen Reiter und seine zahllosen Schützen; der Pompeianische Statthalter Varus spielte neben ihm eine so subalterne Rolle, daß er sogar diejenigen Soldaten Curios, die sich ihm ergeben hatten, dem König hatte ausliefern und deren Hinrichtung oder Abführung in das innere Numidien hatte mitansehen müssen. Dies änderte sich nach der Pharsalischen Schlacht. An eine Flucht zu den Parthern dachte, mit Ausnahme des Pompeius selbst, kein namhafter Mann der geschlagenen Partei. Ebensowenig versuchte man, die See mit vereinten Kräften zu behaupten; Marcus Octavius’ Kriegführung in den illyrischen Gewässern stand vereinzelt und war ohne dauernden Erfolg. Die große Majorität der Republikaner wie der Pompeianer wandte sich nach Afrika, wo allein noch ein ehrenhafter und verfassungsmäßiger Kampf gegen den Usurpator möglich schien. Dort fanden die Trümmer der bei Pharsalos zersprengten Armee, die Besatzungstruppen von Dyrrhachion, Kerkyra und dem Peloponnes, die Reste der illyrischen Flotte sich allmählich zusammen; es trafen dort ein der zweite Oberfeldherr Metellus Scipio, die beiden Söhne des Pompeius, Gnaeus und Sextus, der politische Führer der Republikaner Marcus Cato, die tüchtigen Offiziere Labienus, Afranius, Petreius, Octavius und andere. Wenn die Kräfte der Emigration verringert waren, so hatte dagegen ihr Fanatismus sich womöglich noch gesteigert. Man fuhr nicht bloß fort, die Gefangenen und selbst die Parlamentäre Caesars zu ermorden, sondern König Juba, in dem die Erbitterung des Parteimannes mit der Wut des halbbarbarischen Afrikaners zusammenfloß, stellte die Maxime auf, daß in jeder der Sympathien mit dem Feinde verdächtigen Gemeinde die Bürgerschaft ausgerottet und die Stadt niedergebrannt werden müsse, und führte auch gegen einige Ortschaften, zum Beispiel das unglückliche Vaga bei Hadrumetum, diese Theorie in der Tat praktisch durch. Ja daß nicht die Hauptstadt der Provinz selber, das blühende, ebenwie einst Karthago von den numidischen Königen längst mit scheelem Auge angesehene Utica, von König Juba dieselbe Behandlung erfuhr und daß man gegen die, allerdings nicht mit Unrecht, der Hinneigung zu Caesar beschuldigte Bürgerschaft mit Vorsichtsmaßregeln sich begnügte, hatte sie nur Catos energischem Auftreten zu danken.

Da weder Caesar selbst noch einer seiner Statthalter das geringste gegen Afrika unternahm, so hatte die Koalition vollkommen Zeit, sich dort politisch und militärisch zu reorganisieren. Vor allem war es notwendig, die durch Pompeius’ Tod erledigte Oberfeldherrnstelle aufs neue zu besetzen. König Juba hatte nicht übel Lust, die Stellung, die er bis auf die Pharsalische Schlacht in Afrika gehabt, auch ferner zu behaupten; wie er denn überhaupt nicht mehr als Klient der Römer, sondern als gleichberechtigter Verbündeter oder gar als Schutzherr auftrat und zum Beispiel es sich herausnahm, römisches Silbergeld mit seinem Namen und Wappen zu schlagen, ja sogar den Anspruch erhob, allein im Lager den Purpur zu führen und den römischen Heerführern ansann, den purpurnen Feldherrnmantel abzulegen. Metellus Scipio ferner forderte den Oberbefehl für sich, weil Pompeius ihn, mehr aus schwiegersöhnlichen als aus militärischen Rücksichten, im thessalischen Feldzug als sich gleichberechtigt anerkannt hatte. Die gleiche Forderung erhob Varus als - freilich selbsternannter - Statthalter von Afrika, da der Krieg in seiner Provinz geführt werden sollte. Endlich die Armee begehrte zum Führer den Proprätor Marcus Cato. Offenbar hatte sie recht. Cato war der einzige Mann, der für das schwere Amt die erforderliche Hingebung, Energie und Autorität besaß; wenn er kein Militär war, so war es doch unendlich besser, einen Nichtmilitär, der sich zu bescheiden und seine Unterfeldherrn handeln zu lassen verstand, als einen Offizier von unerprobter Fähigkeit, wie Varus, oder gar einen von erprobter Unfähigkeit, wie Metellus Scipio, zum Oberfeldherrn zu bestellen. Indes die Entscheidung fiel schließlich auf ebendiesen Scipio, und Cato selbst war es, der sie im wesentlichen bestimmte. Es geschah dies nicht, weil er jener Aufgabe sich nicht gewachsen fühlte oder weil seine Eitelkeit bei dem Ausschlagen mehr ihre Rechnung fand als bei dem Annehmen; noch weniger, weil er Scipio liebte oder achtete, mit dem er vielmehr persönlich verfeindet war und der überall bei seiner notorischen Untüchtigkeit einzig durch seine Schwiegervaterschaft zu einer gewissen Bedeutung gelangt war; sondern einzig und allein, weil sein verbissener Rechtsformalismus lieber die Republik von Rechts wegen zugrunde gehen ließ, als sie auf irreguläre Weise rettete. Als er nach der Pharsalischen Schlacht auf Kerkyra mit Marcus Cicero zusammentraf, hatte er sich erboten, diesem, der noch von seiner kilikischen Statthalterschaft her mit der Generalschaft behaftet war, als dem höherstehenden Offizier, wie es Rechtens war, das Kommando in Kerkyra zu übertragen und den unglücklichen Advokaten, der seine Lorbeeren vom Amanos jetzt tausendmal verwünschte, durch diese Bereitwilligkeit fast zur Verzweiflung, aber auch alle halbwegs einsichtigen Männer zum Erstaunen gebracht. Die gleichen Prinzipien wurden hier geritten, wo etwas mehr darauf ankam; Cato erwog die Frage, wem die Oberfeldherrnstelle gebühre, als handelte es sich um ein Ackerfeld bei Tusculum, und sprach sie dem Scipio zu. Durch diesen Ausspruch wurde seine eigene und die Kandidatur des Varus beseitigt. Er war es aber auch, und er allein, der mit Energie den Ansprüchen des Königs Juba entgegentrat und es ihn fühlen ließ, daß der römische Adel zu ihm nicht bittend komme wie zu dem Großfürsten der Parther, um bei dem Schutzherrn Beistand zu suchen, sondern befehlend und von dem Untertan Beistand fordernd. Bei dem gegenwärtigen Stande der römischen Streitkräfte in Afrika konnte Juba nicht umhin, etwas gelindere Saiten aufzuziehen, obgleich er freilich bei dem schwachen Scipio es dennoch durchsetzte, daß die Besoldung seiner Truppen der römischen Kasse aufgebürdet und für den Fall des Sieges ihm die Abtretung der Provinz Afrika zugesichert ward.

Dem neuen Oberfeldherrn zur Seite trat wiederum der Senat der “Dreihundert”, der in Utica seinen Sitz aufschlug und seine gelichteten Reihen durch Aufnahme der angesehensten und vermögendsten Männer des Ritterstandes ergänzte.

Die Rüstungen wurden, hauptsächlich durch Catos Eifer, mit der größten Energie gefördert und jeder waffenfähige Mann, selbst Freigelassene und Libyer, in die Legionen eingestellt; wodurch dem Ackerbau die Hände so sehr entzogen wurden, daß ein großer Teil der Felder unbestellt blieb, aber allerdings auch ein imposantes Resultat erzielt ward. Das schwere Fußvolk zählte vierzehn Legionen, wovon zwei bereits durch Varus aufgestellt, acht andere teils aus den Flüchtigen, teils aus den in der Provinz Konskribierten gebildet und vier römisch bewaffnete Legionen des Königs Juba waren. Die schwere Reiterei, bestehend aus den mit Labienus eingetroffenen Kelten und Deutschen und allerlei darunter eingereihten Leuten, war ohne Jubas römisch gerüstete Reiterschar 1600 Mann stark. Die leichten Truppen bestanden aus zahllosen Massen ohne Zaum und Zügel reitender und bloß mit Wurfspeeren bewaffneter Numidier, aus einer Anzahl berittener Bogenschützen und großen Schwärmen von Schützen zu Fuß. Dazu kamen endlich Jubas 120 Elefanten und die von Publius Varus und Marcus Octavius befehligte 55 Segel starke Flotte. Dem drückenden Geldmangel wurde einigermaßen durch eine Selbstbesteuerung des Senats abgeholfen, die um so ergiebiger war, als die reichsten afrikanischen Kapitalisten in denselben einzutreten veranlaßt worden waren. Getreide und andere Vorräte hatte man in den verteidigungsfähigen Festungen in ungeheuren Massen aufgehäuft, zugleich aus den offenen Ortschaften die Vorräte möglichst entfernt. Die Abwesenheit Caesars, die schwierige Stimmung seiner Legionen, die Gärung in Spanien und Italien hoben allmählich die Stimmung, und die Erinnerung an die Pharsalische Schlacht fing an, neuen Siegeshoffnungen zu weichen.

Die von Caesar in Ägypten verlorene Zeit rächte nirgend sich schwerer als hier. Hätte er unmittelbar nach Pompeius’ Tode sich nach Afrika gewendet, so würde er daselbst ein schwaches, desorganisiertes und konsterniertes Heer und vollständige Anarchie unter den Führern vorgefunden haben; wogegen jetzt, namentlich durch Catos Energie, eine der bei Pharsalos geschlagenen an Zahl gleiche Armee unter namhaften Führern und unter einer geregelten Oberleitung in Afrika stand.

Es schien überhaupt über dieser afrikanischen Expedition Caesars ein eigener Unstern zu walten. Noch vor seiner Einschiffung nach Ägypten hatte Caesar in Spanien und Italien verschiedene Maßregeln zur Einleitung und Vorbereitung des afrikanischen Krieges angeordnet; aus allen war aber nichts als Unheil entsprungen. Von Spanien aus sollte, Caesars Anordnung zufolge, der Statthalter der südlichen Provinz, Quintus Cassius Longinus, mit vier Legionen nach Afrika übersetzen, dort den König Bogud von Westmauretanien ^9 an sich ziehen und mit ihm gegen Numidien und Afrika vorgehen. Aber jenes nach Afrika bestimmte Heer schloß eine Menge geborener Spanier und zwei ganze ehemals Pompeianische Legionen in sich; Pompeianische Sympathien herrschten in der Armee wie in der Provinz, und das ungeschickte und tyrannische Auftreten des Caesarischen Statthalters war nicht geeignet, sie zu beschwichtigen. Es kam förmlich zum Aufstande; Truppen und Städte ergriffen Partei für oder gegen den Statthalter; schon war es darauf oder daran, daß die, welche gegen den Statthalter Caesars sich erhoben hatten, offen die Fahne des Pompeius aufsteckten; schon hatte Pompeius’ ältester Sohn Gnaeus, um diese günstige Wendung zu benutzen, sich von Afrika nach Spanien eingeschifft, als die Desavouierung des Statthalters durch die angesehensten Caesarianer selbst und das Einschreiten des Befehlshabers der nördlichen Provinz den Aufstand eben noch rechtzeitig unterdrückten. Gnaeus Pompeius, der unterwegs mit einem vergeblichen Versuch, sich in Mauretanien festzusetzen, Zeit verloren hatte, kam zu spät; Gaius Trebonius, den Caesar nach seiner Heimkehr aus dem Osten zur Ablösung des Cassius nach Spanien sandte (Herbst 707 47), fand überall unweigerlichen Gehorsam. Aber natürlich war über diesen Irrungen von Spanien aus nichts geschehen, um die Organisation der Republikaner in Afrika zu stören; ja es war sogar, infolge der Verwicklungen mit Longinus, König Bogud von Westmauretanien, der auf Caesars Seite stand und wenigstens König Juba einige Hindernisse hätte in den Weg legen können, mit seinen Truppen nach Spanien abgerufen worden.

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^9 Die Staatengestaltung im nordwestlichen Afrika während dieser Zeit liegt sehr im Dunkel. Nach dem Jugurthinischen Kriege herrschte König Bocchus von Mauretanien wahrscheinlich vom westlichen Meere bis zum Hafen von Saldae, in dem heutigen Marokko und Algier; die von den mauretanischen Oberkönigen wohl von Haus aus verschiedenen Fürsten von Tingis (Tanger), die schon früher vorkommen (Plut. Sert. 9) und zu denen vermutlich Sallusts (hist. 3, 31 Kritz) Leptasta und Ciceros (Vat. 5, 12) Mastanesosus gehören, mögen in beschränkten Grenzen selbständig gewesen oder auch bei ihm zu Lehen gegangen sein; ähnlich wie schon Syphax über viele Stammfürsten gebot (App. Pun. 10) und um diese Zeit in dem benachbarten Numidien Cirta, wahrscheinlich doch unter Jubas Oberherrlichkeit, von dem Fürsten Massinissa besessen ward (App. civ. 4, 54). Um 672 (82) finden wir an Bocchus’ Stelle einen König Bocud oder Bogud (Oros. hist. 5, 21, 14), des Bocchus Sohn. Von 705 (49) an erscheint das Reich geteilt zwischen dem König Bogud, der die westliche, und dem König Bocchus, der die östliche Hälfte besitzt und auf welche die spätere Scheidung Mauretaniens in Boguds Reich oder den Staat von Tingis und Bocchus’ Reich oder den Staat von Jol (Caesarea) zurückgeht (Plin. nat. 5, 2, 19, vergl. Bell. Afr. 23).

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Bedenklicher noch waren die Vorgänge unter den Truppen, die Caesar im südlichen Italien hatte zusammenziehen lassen, um mit ihnen nach Afrika überzuschiffen. Es waren größtenteils die alten Legionen, die in Gallien, Spanien, Thessalien Caesars Thron begründet hatten. Den Geist dieser Truppen hatten die Siege nicht gebessert, die lange Rast in Unteritalien vollständig zerrüttet. Die fast übermenschlichen Zumutungen, die der Feldherr an sie machte und deren Folgen in den schrecklich gelichteten Reihen nur zu grell hervortraten, ließen selbst in diesen Eisenmännern einen Sauerteig des Grolls zurück, der nur der Zeit und Ruhe bedurfte, um die Gemüter in Gärung zu bringen. Der einzige Mann, der ihnen imponierte, war seit einem Jahre fern und fast verschollen, ihre vorgesetzten Offiziere aber scheuten weit mehr sich vor den Soldaten als diese vor ihnen und sahen den Weltbesiegern jede Brutalität gegen ihre Quartiergeber und jede Indisziplin nach. Als nun der Befehl, sich nach Sizilien einzuschiffen, kam und der Soldat das üppige Wohlleben in Kampanien wieder mit einer dritten, der spanischen und thessalischen an Drangsalen sicher nicht nachstehenden Kampagne vertauschen sollte, rissen die allzulange gelockerten und allzuplötzlich wiederangezogenen Zügel. Die Legionen weigerten sich zu gehorchen, bevor die versprochenen Geschenke ihnen gezahlt seien, und wiesen die von Caesar gesandten Offiziere mit Hohnreden, ja mit Steinwürfen zurück. Ein Versuch, den beginnenden Aufstand durch Steigerung der versprochenen Summen zu dämpfen, hatte nicht bloß keinen Erfolg, sondern die Soldaten brachen massenweise auf, um die Erfüllung der Versprechungen in der Hauptstadt von dem Feldherrn zu erpressen. Einzelne Offiziere, die die meuterischen Rotten unterwegs zurückzuhalten versuchten, wurden erschlagen. Es war eine furchtbare Gefahr. Caesar ließ die wenigen in der Stadt befindlichen Soldaten die Tore besetzen, um die mit Recht befürchtete Plünderung wenigstens für den ersten Anlauf abzuwehren, und erschien plötzlich unter dem tobenden Haufen mit der Frage, was sie begehrten. Man rief: den Abschied. Augenblicklich ward er, wie gebeten, erteilt. Wegen der Geschenke, fügte Caesar hinzu, welche er für den Triumph seinen Soldaten zugesagt habe, sowie wegen der Äcker, die er ihnen nicht versprochen, aber bestimmt gehabt, möchten sie an dem Tage, wo er mit den anderen Soldaten triumphieren werde, sich bei ihm melden; an dem Triumphe selbst freilich könnten sie, als vorher entlassen, natürlich nicht teilnehmen. Auf diese Wendung waren die Massen nicht gefaßt; überzeugt, daß Caesar ihrer für den afrikanischen Feldzug nicht entraten könne, hatten sie den Abschied nur gefordert, um, wenn er ihnen verweigert werde, daran ihre Bedingungen zu knüpfen. Halb irre geworden in dem Glauben an ihre eigene Unentbehrlichkeit; zu unbehilflich um wieder einzulenken und die verfahrene Unterhandlung in das rechte Geleise zurückzubringen; als Menschen beschämt durch die Treue, mit der der Imperator auch seinen treuvergessenen Soldaten Wort hielt, und durch die Hochherzigkeit desselben, welche ebenjetzt weit mehr gewährte, als er je zugesagt hatte; als Soldaten tief ergriffen, da der Feldherr ihnen in Aussicht stellte, dem Triumph ihrer Kameraden als Bürgersleute zuschauen zu müssen und da er sie nicht mehr “Kameraden” hieß, sondern “Bürger” und mit dieser aus seinem Munde so fremdartig klingenden Anrede gleichsam mit einem Schlage ihre ganze stolze Soldatenvergangenheit zerstörte, und zu alledem unter dem Zauber des unwiderstehlich gewaltigen Menschen - standen die Soldaten eine Weile stumm und zaudernd, bis von allen Seiten der Ruf erscholl, daß der Feldherr sie wieder zu Gnaden annehmen und es ihnen wieder gestatten möge, Caesars Soldaten zu heißen. Caesar gestattete es, nachdem er hinreichend sich hatte bitten lassen; den Rädelsführern bei dieser Meuterei aber wurde an ihren Triumphalgeschenken ein Dritteil gekürzt. Ein größeres psychologisches Meisterstück kennt die Geschichte nicht, und keines, das vollständiger gelungen wäre.

Auf den afrikanischen Feldzug wirkte diese Meuterei immerhin wenigstens insofern nachteilig ein, als sie die Eröffnung desselben beträchtlich verzögerte. Als Caesar in dem zur Einschiffung bestimmten Hafen von Lilybäon eintraf, waren die zehn nach Afrika bestimmten Legionen dort bei weitem noch nicht vollständig versammelt und eben die erprobten Truppen noch am weitesten zurück. Indes kaum waren sechs Legionen, darunter fünf neu gebildete, daselbst angelangt und die nötigen Kriegs- und Transportschiffe angekommen, als Caesar mit denselben in See stach (25. Dezember 707 47 des unberichtigten, etwa 8. Oktober des Julianischen Kalenders). Die feindliche Flotte, die der herrschenden Äquinoktialstürme wegen bei der Insel Ägimuros vor der Karthagischen Bucht auf den Strand gezogen war, hinderte die Überfahrt nicht; allein dieselben Stürme zerstreuten die Flotte Caesars nach allen Richtungen, und als Caesar unweit Hadrumetum (Susa) die Gelegenheit zu landen ersah, konnte er nicht mehr als etwa 3000 Mann, größtenteils Rekruten, und 150 Reiter ausschiffen. Der Versuch, das vom Feinde stark besetzte Hadrumetum wegzunehmen, mißlang; dagegen bemächtigte Caesar sich der beiden nicht weit voneinander entfernten Hafenplätze Ruspina (Monastir bei Susa) und Klein-Leptis. Hier verschanzte er sich; aber seine Stellung war so unsicher, daß er seine Reiter auf den Schiffen und diese segelfertig und mit Wasservorrat versehen hielt, um jeden Augenblick, wenn er mit Übermacht sollte angegriffen werden, wieder sich einschiffen zu können. Indes war dies nicht nötig, da eben noch zu rechter Zeit die verschlagenen Schiffe anlangten (3. Januar 708 46). Gleich am folgenden Tage unternahm Caesar, dessen Heer infolge der von den Pompeianern getroffenen Anstalten Mangel an Getreide litt, mit drei Legionen einen Zug in das innere Land, ward aber nicht weit von Ruspina auf dem Marsche von den Heerhaufen angegriffen, die Labienus heranführte, um Caesar von der Küste zu vertreiben. Da Labienus ausschließlich Reiterei und Schützen, Caesar fast nichts als Linieninfanterie hatte, so wurden die Legionen rasch umzingelt und den Geschossen der Feinde preisgegeben, ohne sie erwidern oder mit Erfolg angreifen zu können. Zwar machte die Deployierung der ganzen Linie die Flügel wieder frei und mutige Angriffe retteten die Ehre der Waffen; allein der Rückzug war unvermeidlich, und wäre Ruspina nicht so nahe gewesen, so hätte der maurische Wurfspeer vielleicht hier dasselbe ausgerichtet, was bei Karrhä der parthische Bogen. Caesar, den dieser Tag von der ganzen Schwierigkeit des bevorstehenden Krieges überzeugt hatte, wollte seine unerprobten und durch die neue Gefechtsweise entmutigten Soldaten keinem solchen Angriff wieder aussetzen, sondern wartete das Eintreffen seiner Veteranenlegionen ab. Die Zwischenzeit wurde benutzt, um die drückende Überlegenheit des Feindes in den Fernwaffen einigermaßen auszugleichen. Daß die geeigneten Leute von der Flotte als leichte Reiter oder Schützen in die Landarmee eingereiht wurden, konnte nicht viel helfen. Etwas mehr wirkten die von Caesar veranlaßten Diversionen. Es gelang, die am südlichen Abhang des Großen Atlas gegen die Sahara zu schweifenden gaetulischen Hirtenstämme gegen Juba in Waffen zu bringen; denn selbst bis zu ihnen hatten die Schläge der marianisch-sullanischen Zeit sich erstreckt, und ihr Groll gegen den Pompeius, der sie damals den numidischen Königen untergeordnet hatte, machte sie den Erben des mächtigen, bei ihnen noch vom Jugurthinischen Feldzug her in gutem Andenken lebenden Marius von vorn herein geneigt. Die mauretanischen Könige, Bogud in Tingis, Bocchus in Jol, waren Jubas natürliche Rivalen und zum Teil längst mit Caesar in Bündnis. Endlich streifte in dem Grenzgebiet zwischen den Reichen des Juba und des Bocchus noch der letzte der Catilinarier, jener Publius Sittius aus Nuceria, der achtzehn Jahre zuvor aus einem bankrotten italischen Kaufmann sich in einen mauretanischen Freischarenführer verwandelt und seitdem in den libyschen Händeln sich einen Namen und ein Heergefolge geschaffen hatte. Bocchus und Sittius fielen vereinigt in das numidische Land, besetzten die wichtige Stadt Cirta, und ihr Angriff sowie der der Gätuler nötigte den König Juba, einen Teil seiner Truppen an seine Süd- und Westgrenze zu senden. Indes blieb Caesars Lage unbequem genug. Seine Armee war auf den Raum einer Quadratmeile zusammengedrängt; wenn auch die Flotte Getreide herbeischaffte, so ward doch der Mangel an Fourage von Caesars Reitern ebenso gefühlt wie vor Dyrrhachion von denen des Pompeius. Die leichten Truppen des Feindes blieben, aller Anstrengungen Caesars ungeachtet, den seinigen so unermeßlich überlegen, daß es fast unmöglich schien, die Offensive in das Binnenland hinein auch mit Veteranen durchzuführen. Wenn Scipio zurückwich und die Küstenstädte preisgab, so konnte er vielleicht einen Sieg erfechten wie die, welche des Orodes Wesir über Crassus, Juba über Curio davongetragen hatten, wenigstens aber den Krieg ins unendliche hinausziehen. Diesen Feldzugsplan ergab die einfachste Überlegung: selbst Cato, obwohl nichts weniger als ein Strateg, riet dazu und erbot sich, zugleich mit einem Korps nach Italien überzufahren und dort die Republikaner unter die Waffen zu rufen, was bei der gründlichen Verwirrung daselbst gar wohl Erfolg haben konnte. Allein Cato konnte nur raten, nicht befehlen; der Oberbefehlshaber Scipio entschied, daß der Krieg in der Küstenlandschaft geführt werden solle. Es war dies nicht bloß insofern verkehrt, als man damit einen sicheren Erfolg verheißenden Kriegsplan fahren ließ, sondern auch insofern, als die Landschaft, in die man den Krieg verlegte, in bedenklicher Gärung, und das Heer, das man Caesar gegenüberstellte, zum guten Teil ebenfalls schwierig war. Die fürchterlich strenge Aushebung, die Wegschleppung der Vorräte, die Verwüstung der kleineren Ortschaften, überhaupt das Gefühl einer von Haus aus fremden und bereits verlorenen Sache aufgeopfert zu werden, hatten die einheimische Bevölkerung erbittert gegen die auf afrikanischem Boden ihren letzten Verzweiflungskampf kämpfenden römischen Republikaner; und das terroristische Verfahren der letzteren gegen alle auch nur der Gleichgültigkeit verdächtigen Gemeinden hatte diese Erbitterung zum furchtbarsten Haß gesteigert. Die afrikanischen Städte erklärten, wo sie irgend es wagen konnten, sich für Caesar; unter den Gätulern und den Libyern, die unter den leichten Truppen und selbst in den Legionen in Menge dienten, riß die Desertion ein. Indes Scipio beharrte mit aller dem Unverstand eigenen Hartnäckigkeit auf seinem Plan, zog mit gesamter Heeresmacht von Utica her vor die von Caesar besetzten Städte Ruspina und Klein-Leptis, belegte nördlich davon Hadrumetum, südlich Thapsus (am Vorgebirge Râs Dimâs) mit starken Besatzungen und bot in Gemeinschaft mit Juba, der mit all seinen nicht durch die Grenzverteidigung in Anspruch genommenen Truppen gleichfalls vor Ruspina erschien, zu wiederholten Malen dem Feinde die Schlacht an. Aber Caesar war entschlossen, seine Veteranenlegionen zu erwarten. Als diese dann nach und nach eintrafen und auf dem Kampfplatz erschienen, verloren Scipio und Juba die Lust, eine Feldschlacht zu wagen, und Caesar hatte kein Mittel, sie bei ihrer außerordentlichen Überlegenheit an leichter Reiterei zu einer solchen zu zwingen. Über Märsche und Scharmützel in der Umgegend von Ruspina und Thapsus, die hauptsächlich um die Auffindung der landüblichen Kellerverstecke (Silos) und um Ausbreitung der Posten sich bewegten, verflossen fast zwei Monate. Caesar, durch die feindlichen Reiter genötigt, sich möglichst auf den Anhöhen zu halten oder auch seine Flanken durch verschanzte Linien zu decken, gewöhnte doch während dieser mühseligen und aussichtslosen Kriegführung allmählich seine Soldaten an die fremdartige Kampfweise. Freund und Feind erkannten in dem vorsichtigen Fechtmeister, der seine Leute sorgfältig und nicht selten persönlich einschulte, den raschen Feldherrn nicht wieder und wurden fast irre an dieser im Zögern wie im Zuschlagen sich gleichbleibenden Meisterschaft. Endlich wandte Caesar, nachdem er seine letzten Verstärkungen an sich gezogen hatte, sich seitwärts gegen Thapsus. Scipio hatte diese Stadt, wie gesagt, stark besetzt und damit den Fehler begangen, seinem Gegner ein leicht zu fassendes Angriffsobjekt darzubieten; zu dem ersten fügte er bald den zweiten, noch minder verzeihlichen hinzu, die von Caesar gewünschte und von Scipio mit Recht bisher verweigerte Feldschlacht jetzt zur Rettung von Thapsus auf einem Terrain zu liefern, das die Entscheidung in die Hände der Linieninfanterie gab. Unmittelbar am Strande, Caesars Lager gegenüber, traten Scipios und Jubas Legionen an, die vorderen Reihen kampffertig, die hinteren beschäftigt, ein verschanztes Lager zu schlagen; zugleich bereitete die Besatzung von Thapsus einen Ausfall vor. Den letzteren zurückzuweisen, genügten Caesars Lagerwachen. Seine kriegsgewohnten Legionen, schon nach der unsicheren Aufstellung und den schlecht geschlossenen Gliedern den Feind richtig würdigend, zwangen, während drüben noch geschanzt ward und ehe noch der Feldherr das Zeichen gab, einen Trompeter, zum Angriff zu blasen, und gingen auf der ganzen Linie vor, allen voran Caesar selbst, der, da er die Seinigen ohne seinen Befehl abzuwarten vorrücken sah, an ihrer Spitze auf den Feind eingaloppierte. Der rechte Flügel, den übrigen Abteilungen voran, scheuchte die ihm gegenüberstehende Linie der Elefanten - es war dies die letzte große Schlacht, in der die Bestien verwendet worden sind - durch Schleuderkugeln und Pfeile zurück auf ihre eigenen Leute. Die Deckungsmannschaft ward niedergehauen, der linke Flügel der Feinde gesprengt und die ganze Linie aufgerollt. Die Niederlage war um so vernichtender, als das neue Lager der geschlagenen Armee noch nicht fertig und das alte beträchtlich entfernt war; beide wurden nacheinander fast ohne Gegenwehr erobert. Die Masse der geschlagenen Armee warf die Waffen weg und bat um Quartier; aber Caesars Soldaten waren nicht mehr dieselben, die vor Ilerda willig der Schlacht sich enthalten, bei Pharsalos der Wehrlosen ehrenvoll geschont hatten. Die Gewohnheit des Bürgerkrieges und der von der Meuterei zurückgebliebene Groll machten auf dem Schlachtfelde von Thapsus in schrecklicher Weise sich geltend. Wenn der Hydra, mit der man kämpfte, stets neue Köpfe nachwuchsen, wenn die Armee von Italien nach Spanien, von Spanien nach Makedonien, von Makedonien nach Afrika geschleudert ward, die immer heißer ersehnte Ruhe immer nicht kam, so suchte, und nicht ganz ohne Ursache, der Soldat davon den Grund in Caesars unzeitiger Milde. Er hatte es sich geschworen nachzuholen, was der Feldherr versäumt, und blieb taub für das Flehen der entwaffneten Mitbürger wie für die Befehle Caesars und der höheren Offiziere. Die fünfzigtausend Leichen, die das Schlachtfeld von Thapsus bedeckten, darunter auch mehrere als heimliche Gegner der neuen Monarchie bekannte und deshalb bei dieser Gelegenheit von ihren eigenen Leuten niedergemachte Caesarische Offiziere, zeigten, wie der Soldat sich Ruhe schafft. Die siegende Armee dagegen zählte nicht mehr als fünfzig Tote (6. April 708 46).

Eine Fortsetzung des Kampfes fand nach der Schlacht von Thapsus so wenig in Afrika statt, wie anderthalb Jahre zuvor im Osten nach der Pharsalischen Niederlage. Cato als Kommandant von Utica berief den Senat, legte den Stand der Verteidigungsmittel dar und stellte es zur Entscheidung der Versammelten, ob man sich unterwerfen oder bis auf den letzten Mann sich verteidigen wolle, einzig sie beschwörend, nicht jeder für sich, sondern alle für einen zu beschließen und zu handeln. Die mutigere Meinung fand manchen Vertreter; es wurde beantragt, die waffenfähigen Sklaven von Staats wegen freizusprechen, was aber Cato als einen ungesetzlichen Eingriff in das Privateigentum zurückwies und statt dessen einen patriotischen Aufruf an die Sklaveneigentümer vorschlug. Allein bald verging der größtenteils aus afrikanischen Großhändlern bestehenden Versammlung diese Anwandlung von Entschlossenheit, und man ward sich einig zu kapitulieren. Als dann Faustus Sulla, des Regenten Sohn, und Lucius Afranius mit einer starken Abteilung Reiterei vom Schlachtfelde her in Utica eintrafen, machte Cato noch einen Versuch, durch sie die Stadt zu halten; allein ihre Forderung, sie zuvörderst die unzuverlässige Bürgerschaft von Utica insgesamt niedermachen zu lassen, wies er unwillig zurück und ließ lieber die letzte Burg der Republikaner dem Monarchen ohne Gegenwehr in die Hände fallen als die letzten Atemzüge der Republik durch eine solche Metzelei entweihen. Nachdem er, teils durch seine Autorität, teils durch freigebige Spenden, dem Wüten der Soldateska gegen die unglücklichen Uticenser nach Vermögen gesteuert und, soweit es in seiner Macht stand, denen, die Caesars Gnade sich nicht anvertrauen mochten, die Mittel zur Flucht, denen, die bleiben wollten, die Gelegenheit, unter möglichst leidlichen Bedingungen zu kapitulieren mit rührender Sorgfalt gewährt und durchaus sich überzeugt hatte, daß er niemand weiter Hilfe zu leisten vermöge, hielt er seines Kommandos sich entbunden, zog sich in sein Schlafgemach zurück und stieß sich das Schwert in die Brust. Auch von den übrigen geflüchteten Reitern retteten sich nur wenige. Die von Thapsus geflüchteten Reiter stießen auf die Scharen des Sittius und wurden von ihnen niedergehauen oder gefangen; ihre Führer Afranius und Faustus wurden an Caesar ausgeliefert und, da dieser sie nicht sogleich hinrichten ließ, von dessen Veteranen in einem Auflauf erschlagen. Der Oberfeldherr Metellus Scipio geriet mit der Flotte der geschlagenen Partei in die Gewalt der Kreuzer des Sittius und durchbohrte sich selbst, da man Hand an ihn legen wollte. König Juba, nicht unvorbereitet auf einen solchen Ausgang, hatte für diesen Fall beschlossen, zu enden, wie es ihm königlich dünkte, und auf dem Markte seiner Stadt Zama einen ungeheuren Scheiterhaufen rüsten lassen, der mit seinem Körper auch all seine Schätze und die Leichen der gesamten Bürgerschaft von Zama verzehren sollte. Allein die Stadtbewohner verspürten kein Verlangen, bei der Leichenfeier des afrikanischen Sardanapal sich als Dekoration verwenden zu lassen und schlossen dem König, da er, vom Schlachtfeld flüchtend, in Begleitung von Marcus Petreius vor der Stadt erschien, die Tore. Der König, eine jener im grellen und übermütigen Lebensgenuß verwilderten Naturen, die auch aus dem Tode sich ein Taumelfest bereiten, begab sich mit seinem Begleiter nach einem seiner Landhäuser, ließ einen reichlichen Schmaus auftragen und forderte nach geendeter Mahlzeit den Petreius auf, mit ihm im Zweikampf um den Tod zu fechten. Es war der Besieger Catilinas, der ihn von der Hand des Königs empfing; der König ließ darauf von einem seiner Sklaven sich durchbohren. Die wenigen angesehenen Männer, welche entkamen, wie Labienus und Sextus Pompeius, folgten dem älteren Bruder des letzteren nach Spanien und suchten, wie einst Sertorius, in den Gebirgen und Gewässern dieser immer noch halb unabhängigen Landschaften ein letztes Räuber- und Piratenasyl. Ohne Widerstand ordnete Caesar die afrikanischen Verhältnisse. Wie schon Curio beantragt hatte, ward das Reich des Massinissa aufgelöst. Der östlichste Teil oder die Landschaft von Sitifis ward mit dem Reich des Königs Bocchus von Ostmauretanien vereinigt, auch der treue König Bogud von Tingis mit ansehnlichen Gaben bedacht. Cirta (Constantine) und den umliegenden Landstrich, die bisher, unter Jubas Oberhoheit, der Fürst Massinissa und dessen Sohn Arabion besessen hatten, erhielt der Condottiere Publius Sittius, um seine halbrömischen Scharen daselbst anzusiedeln ^10; zugleich aber wurde dieser Distrikt sowie überhaupt der bei weitem größte und fruchtbarste Teil des bisherigen Numidischen Reiches als “Neuafrika” mit der älteren Provinz Afrika vereinigt und die Verteidigung der Küstenlandschaft gegen die schweifenden Stämme der Wüste, welche die Republik einem Klientelkönig überlassen hatte, von dem neuen Herrscher auf das Reich selbst übernommen.

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^10 Die Inschriften der bezeichneten Gegend bewahren zahlreiche Spuren dieser Kolonisierung. Der Name der Sittier ist dort ungemein häufig; die afrikanische Ortschaft Milev führt als römische den Namen colonia Sarnensis (CIL VIII, p. 1094), offenbar von dem nucerinischen Flußgott Sarnus (Suet. rhet. 4).

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Der Kampf, den Pompeius und die Republikaner gegen Caesars Monarchie unternommen hatten, endigte also nach vierjähriger Dauer mit dem vollständigen Sieg des neuen Monarchen. Zwar die Monarchie ward nicht erst auf den Schlachtfeldern von Pharsalos und Thapsus festgestellt; sie durfte bereits sich datieren von dem Augenblick, wo Pompeius und Caesar im Bunde die Gesamtherrschaft begründet und die bisherige aristokratische Verfassung über den Haufen geworfen hatten. Doch waren es erst jene Bluttaufen des 9. August 706 (48) und des 6. April 708 (46), die das dem Wesen der Alleinherrschaft widerstreitende Gesamtregiment beseitigten und der neuen Monarchie festen Bestand und förmliche Anerkennung verliehen. Prätendenteninsurrektionen und republikanische Verschwörungen mochten nachfolgen und neue Erschütterungen, vielleicht sogar neue Revolutionen und Restaurationen hervorrufen; aber die während eines halben Jahrtausend ununterbrochene Kontinuität der freien Republik war durchrissen und im ganzen Umfang des weiten Römischen Reiches durch die Legitimität der vollendeten Tatsache die Monarchie begründet. Der verfassungsmäßige Kampf war zu Ende; und daß er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als er zu Utica sich in sein Schwert stürzte. Seit vielen Jahren war er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedränger der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war der Kampf selbst unmöglich geworden; die Republik, die Marcus Brutus begründet hatte, war tot und niemals wieder zum Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der Erde? Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgelöst; wer konnte sie schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel und vor allem mehr Verstand in Catos Tode, als in seinem Leben gewesen war. Cato war nichts weniger als ein großer Mann; aber bei all jener Kurzsichtigkeit, jener Verkehrtheit, jener dürren Langweiligkeit und jenen falschen Phrasen, die ihn, für seine wie für alle Zeit, zum Ideal des gedankenlosen Republikanertums und zum Liebling aller damit spielenden Individuen gestempelt haben, war er dennoch der einzige, der das große, dem Untergang verfallene System in dessen Agonie ehrlich und mutig vertrat. Darum, weil vor der einfältigen Wahrheit die klügste Lüge innerlich sich zernichtet fühlt und weil alle Hoheit und Herrlichkeit der Menschennatur schließlich nicht auf der Klugheit beruht, sondern auf der Ehrlichkeit, darum hat Cato eine größere geschichtliche Rolle gespielt als viele an Geist ihm weit überlegene Männer. Es erhöht nur die tiefe und tragische Bedeutung seines Todes, daß er selber ein Tor war: eben weil Don Quichotte ein Tor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist erschütternd, daß auf jener Weltbühne, darauf so viele große und weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt war zu epilogieren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monarchie, daß der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch kam; ein Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmäßigkeit, mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinneweben zerriß und das Schibboleth der Versöhnung aller Parteien, unter dessen Ägide das Herrentum erwuchs, in seiner ganzen gleisnerischen Lügenhaftigkeit prostituierte. Der unerbittliche Krieg, den das Gespenst der legitimen Republik Jahrhunderte lang, von Cassius und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel weiter hinab, gegen die Caesarische Monarchie geführt hat - dieser Krieg der Komplotte und der Literatur ist die Erbschaft, die Cato sterbend seinem Feinde vermachte. Ihre ganze vornehme, rhetorisch transzendentale, anspruchsvoll strenge, hoffnungslose und bis zum Tode getreue Haltung hat diese republikanische Opposition von Cato übernommen und dann auch den Mann, der im Leben nicht selten ihr Spott und ihr Ärgernis gewesen war, schon unmittelbar nach seinem Tode als Heiligen zu verehren begonnen. Die größte aber unter diesen Huldigungen war die unfreiwillige, die Caesar ihm erwies, indem er von der geringschätzigen Milde, mit welcher er seine Gegner, Pompeianer wie Republikaner, zu behandeln gewohnt war, allein gegen Cato eine Ausnahme machte und noch über das Grab hinaus ihn mit demjenigen energischen Hasse verfolgte; welchen praktische Staatsmänner zu empfinden pflegen gegen die auf dem idealen Gebiet, ihnen ebenso gefährlich wie unerreichbar, opponierenden Gegner.

KAPITEL XI.
Die alte Republik und die neue Monarchie

Der neue Monarch von Rom, der erste Herrscher über das ganze Gebiet römisch-hellenischer Zivilisation, Gaius Iulius Caesar, stand im sechsundfünfzigsten Lebensjahr (geb. 12. Juli 652 ? 102), als die Schlacht bei Thapsus, das letzte Glied einer langen Kette folgenschwerer Siege, die Entscheidung über die Zukunft der Welt in seine Hände legte. Weniger Menschen Spannkraft ist also auf die Probe gestellt worden wie die dieses einzigen schöpferischen Genies, das Rom, und des letzten, das die alte Welt hervorgebracht und in dessen Bahnen sie denn auch bis zu ihrem eigenen Untergange sich bewegt hat. Der Sprößling einer der ältesten Adelsfamilien Latiums, welche ihren Stammbaum auf die Helden der Ilias und die Könige Roms, ja auf die beiden Nationen gemeinsame Venus-Aphrodite zurückführte, waren seine Knaben- und ersten Jünglingsjahre vergangen, wie sie der vornehmen Jugend jener Epoche zu vergehen pflegten. Auch er hatte von dem Becher des Modelebens den Schaum wie die Hefen gekostet, hatte rezitiert und deklamiert, auf dem Faulbett Literatur getrieben und Verse gemacht, Liebeshändel jeder Gattung abgespielt und sich einweihen lassen in alle Rasier-, Frisier- und Manschettenmysterien der damaligen Toilettenweisheit, sowie in die noch weit geheimnisvollere Kunst, immer zu borgen und nie zu bezahlen. Aber der biegsame Stahl dieser Natur widerstand selbst diesem zerfahrenen und windigen Treiben; Caesar blieb sowohl die körperliche Frische ungeschwächt wie die Spannkraft des Geistes und des Herzens. Im Fechten und im Reiten nahm er es mit jedem seiner Soldaten auf, und sein Schwimmen rettete ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit seiner gewöhnlich des Zeitgewinns halber nächtlichen Reisen - das rechte Gegenstück zu der prozessionsartigen Langsamkeit, mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte - war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ursache seiner Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein bewunderungswürdiges Anschauungsvermögen offenbarte sich in der Sicherheit und Ausführbarkeit all seiner Anordungen, selbst wo er befahl, ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtnis war unvergleichlich und es war ihm geläufig, mehrere Geschäfte mit gleicher Sicherheit nebeneinander zu betreiben.: Obgleich Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch ein Herz. Solange er lebte, bewahrte er für seine würdige Mutter Aurelia - der Vater starb ihm früh - die reinste Verehrung; seinen Frauen und vor allem seiner Tochter Iulia widmete er eine ehrliche Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne Rückwirkung blieb. Mit den tüchtigsten und kernigsten Männern seiner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schönen Verhältnis gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art. Wie er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius’ kleinmütiger und gefühlloser Art fallen ließ und, nicht bloß aus Berechnung, in guter und böser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt, so haben auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius Matius, noch nach seinem Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre Anhänglichkeit bewahrt. Wenn in einer so harmonisch organisierten Natur überhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch hervorgehoben werden kann, so ist es die, daß alle Ideologie und alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst, daß Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leidenschaft gibt es keine Genialität; aber seine Leidenschaft war niemals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt, und Lieder, Liebe und Wein waren auch in sein Gemüt in lebendigem Leben eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den innerlichsten Kern seines Wesens. :Die Literatur beschäftigte ihn lange und ernstlich; aber wenn Alexandern der homerische Achill nicht schlafen ließ, so stellte Caesar in seinen schlaflosen Stunden Betrachtungen über die Beugungen der lateinischen Haupt- und Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals jeder, aber sie waren schwach; dagegen interessierten ihn astronomische und naturwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärmter Jugendzeit der nüchterne Römer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der Jugend der volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein Schimmer davon unvergänglich auf ihm ruhen: noch in späteren Jahren begegneten ihm Liebesabenteuer und Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse Stutzerhaftigkeit im äußeren Auftreten oder richtiger das erfreuliche Bewußtsein der eigenen männlich schönen Erscheinung. Sorgfältig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in späteren Jahren öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und hätte ohne Zweifel manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er damit die jugendlichen Locken hätte zurückkaufen können. Aber wie gern er auch noch als Monarch mit den Frauen verkehrte, so hat er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei Einfluß über sich eingeräumt; selbst sein vielbesprochenes Verhältnis zu der Königin Kleopatra ward nur angesponnen, um einen schwacher Punkt in seiner politischen Stellung zu maskieren. Caesar war durchaus Realist und Verstandesmensch; und was er angriff und tat, war von der genialen Nüchternheit durchdrungen und getragen, die seine innerste Eigentümlichkeit bezeichnet. Ihr verdankte er das Vermögen, unbeirrt durch Erinnern und Erwarten energisch im Augenblick zu leben; ihr die Fähigkeit, in jedem Augenblick mit gesammelter Kraft zu handeln und auch dem kleinsten und beiläufigsten Beginnen seine volle Genialität zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit der er erfaßte und beherrschte, was der Verstand begreifen und der Wille zwingen kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine Perioden fügte, wie seine Feldzüge entwarf; ihr die “wunderbare Heiterkeit”, die in guten und bösen Tagen ihm treu blieb; ihr die vollendete Selbständigkeit, die keinem Liebling und keiner Mätresse, ja nicht einmal dem Freunde Gewalt über sich gestattete. Aus dieser Verstandesklarheit rührt es aber auch her, daß Cäsar sich über die Macht des Schicksals und das Können des Menschen niemals Illusionen machte; für ihn war der holde Schleier gehoben, der dem Menschen die Unzulänglichkeit seines Wirkens verdeckt. Wie klug er auch plante und alle Möglichkeiten bedachte, das Gefühl wich doch nie aus seiner Brust, daß in allen Dingen das Glück, das heißt der Zufall das gute Beste tun müsse; und damit mag es denn auch zusammenhängen, daß er so oft dem Schicksal Paroli geboten und namentlich mit verwegener Gleichgültigkeit seine Person wieder und wieder auf das Spiel gesetzt hat. Wie ja wohl überwiegend verständige Menschen in das reine Hasardspiel sich flüchten, so war auch in Caesars Rationalismus ein Punkt, wo er mit dem Mystizismus gewissermaßen sich berührte.

Aus einer solchen Anlage konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von früher Jugend an war denn auch Caesar ein Staatsmann im tiefsten Sinne des Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen gestattet ist sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und sittliche Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen und der noch tiefer gesunkenen, mit der seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die harte Schule dreißigjähriger Erfahrungen änderte seine Ärasichten über die Mittel, wie dies Ziel zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungsvoller Erniedrigung wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als Demagog und Verschworener auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie da er als Mitinhaber der höchsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen einer Welt im vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den verschiedensten Zeiten von ihm ausgegangenen Maßregeln bleibender Art ordnen in den großen Bauplan zweckmäßig sich ein. Von einzelnen Leistungen Caesars sollte darum eigentlich nicht geredet werden; er hat nichts Einzelnes geschaffen. Mit Recht rühmt man den Redner Caesar wegen seiner aller Advokatenkunst spottenden männlichen Beredsamkeit, die wie die klare Flamme zugleich erleuchtete und erwärmte. Mit Recht bewundert man an dem Schriftsteller Caesar die unnachahmliche Einfachheit der Komposition, die einzige Reinheit und Schönheit der Sprache. Mit Recht haben die größten Kriegsmeister aller Zeiten den Feldherrn Caesar gepriesen, der wie kein anderer ungeirrt von Routine und Tradition immer diejenige Kriegführung zu finden wußte, durch welche in dem gegebenen Falle der Feind besiegt wird und welche also in dem gegebenen Falle die rechte ist; der mit divinatorischer Sicherheit für jeden Zweck das rechte Mittel fand; der nach der Niederlage schlagfertig dastand, wie Wilhelm von Oranien, und mit dem Siege ohne Ausnahme den Feldzug beendigte; der das Element der Kriegführung, dessen Behandlung das militärische Genie von der gewöhnlichen Offiziertüchtigkeit unterscheidet, die rasche Bewegung der Massen mit unübertroffener Vollkommenheit handhabte und nicht in der Massenhaftigkeit der Streitkräfte, sondern in der Geschwindigkeit ihrer Bewegung, nicht im langen Vorbereiten, sondern im raschen, ja verwegenen Handeln, selbst mit unzulänglichen Mitteln, die Bürgschaft des Sieges fand. Allein alles dieses ist bei Caesar nur Nebensache; er war zwar ein großer Redner, Schriftsteller und Feldherr, aber jedes davon ist er nur geworden, weil er ein vollendeter Staumann war. Namentlich spielt der Soldat in ihm eine durchaus beiläufige Rolle, und es ist eine der hauptsächlichsten Eigentümlichkeiten, die ihn von Alexander, Hannibal und Napoleon unterscheidet, daß in ihm nicht der Offizier, sondern der Demagog der Ausgangspunkt der politischen Tätigkeit war. Seinem ursprünglichsten Plan zufolge hatte er sein Ziel wie Perikles und Gaius Gracchus ohne Waffengewalt zu erreichen gedacht, und achtzehn Jahre hindurch hatte er als Führer der Popularpartei ausschließlich in politischen Plänen und Intrigen sich bewegt, bevor er, ungern sich überzeugend von der Notwendigkeit eines militärischen Rückhalts, schon ein Vierziger, an die Spitze einer Armee trat. Es war erklärlich, daß er auch späterhin immer noch mehr Staatsmann blieb als General - ähnlich wie Cromwell, der auch aus dem Oppositionsführer zum Militärchef und Demokratenkönig sich umschuf und der überhaupt, wie wenig der Puritanerfürst dem lockeren Römer zu gleichen scheint, doch in seiner Entwicklung wie in seinen Zielen und Erfolgen vielleicht unter allen Staatsmännern Caesar am nächsten verwandt ist. Selbst in seiner Kriegführung ist diese improvisierte Feldherrnschaft noch wohl zu erkennen; in Napoleons Unternehmungen gegen Ägypten und gegen England ist der zum Feldherrn aufgediente Artillerieleutnant nicht deutlicher sichtbar wie in den gleichartigen Caesars der zum Feldherrn metamorphosierte Demagog. Ein geschulter Offizier würde es schwerlich fertig gebracht haben, aus politischen Rücksichten nicht durchaus zwingender Natur die gegründetsten militärischen Bedenken in der Art beiseite zu schieben, wie dies Caesar mehrmals, am auffallendsten bei seiner Landung in Epirus getan hat. Einzelne seiner Handlungen sind darum militärisch tadelhaft; aber der Feldherr verliert nur, was der Staatsmann gewinnt. Die Aufgabe des Staatsmanns ist universeller Natur wie Caesars Genie: wenn er die vielfältigsten und voneinander entlegensten Dinge angriff, so gingen sie doch alle ohne Ausnahme zurück auf das eine große Ziel, dem er mit unbedingter Treue und Folgerichtigkeit diente; und nie hat er von den vielfältigen Seiten und Richtgen seiner großen Tätigkeit eine vor der andern bevorzugt. Obwohl ein Meister der Kriegskunst, hat er doch aus staatsmännischen Rücksichten das Äußerste getan, um den Bürgerkrieg abzuwenden und um, da er dennoch begann, wenigstens so unblutige Lorbeeren wie möglich zu ernten. Obwohl der Begründer der Militärmonarchie, hat er doch mit einer in der Geschichte beispiellosen Energie weder Marschallshierarchie noch Prätorianerregiment aufkommen lassen. Wenn überhaupt eine Seite der bürgerlichen Verdienste, so wurden von ihm vielmehr die Wissenschafter, und die Künste des Friedens vor den militärischen bevorzugt. Die bemerkenswerteste Eigentümlichkeit seines staatsmännischen Schaffens ist dessen vollkommene Harmonie. In der Tat waren alle Bedingungen zu dieser schwersten aller menschlichen Leistungen in Caesar vereinigt. Durch und durch Realist, ließ er die Bilder der Vergangenheit und die ehrwürdige Tradition nirgends sich anfechten: ihm galt nichts in der Politik als die lebendige Gegenwart und das verständige Gesetz, ebenwie er, auch als Grammatiker die historisch-antiquarische Forschung beiseite schob und nichts anerkannte als einerseits den lebendigen Sprachgebrauch, andererseits die Regel der Gleichmäßigkeit Ein geborener Herrscher, regierte er die Gemüter der Menschen, wie der Wind die Wolken zwingt, und nötigte die verschiedenartigsten Naturen, ihm sich zu eigen zu geben, den schlichten Bürger und den derben Unteroffizier, die vornehmen Damen Roms und die schönen Fürstinnen Ägyptens und Mauretaniens, den glänzenden Kavalleriegeneral und den kalkulierenden Bankier. Sein Organisationstalent ist wunderbar; nie hat ein Staatsmann seine Bündnisse, nie ein Feldherr seine Armee aus ungefügen und widerstrebenden Elementen so entschieden zusammengezwungen und so fest zusammengehalten wie Caesar seine Koalitionen und seine Legionen; nie ein Regent mit so scharfem Blick seine Werkzeuge beurteilt und ein jedes an den ihm angemessenen Platz gestellt. Er war Monarch; aber nie hat er den König gespielt. Auch als unumschränkter Herr von Rom blieb er in seinem Auftreten der Parteiführer; vollkommen biegsam und geschmeidig, bequem und anmutig in der Unterhaltung, zuvorkommend gegen jeden, schien er nichts sein zu wollen als der Erste unter seinesgleichen. Den Fehler so vieler ihm sonst ebenbürtiger Männer, den militärischen Kommandoton auf die Politik zu übertragen, hat Caesar durchaus vermieden; wie vielen Anlaß das verdrießliche Verhältnis zum Senat ihm auch dazu gab, er hat nie zu Brutalitäten gegriffen, wie die des achtzehnten Brumaire eine war. Caesar war Monarch; aber nie hat ihn der Tyrannenschwindel erfaßt. Er ist vielleicht der einzige unter den Gewaltigen des Herrn, welcher im großen wie im kleinen nie nach Neigung oder Laune, sondern ohne Ausnahme nach seiner Regentenpflicht gehandelt hat, und der, wenn er auf sein Leben zurücksah, wohl falsche Rechnungen zu bedauern, aber keinen Fehltritt der Leidenschaft zu bereuen fand. Es ist nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im kleinen ^1 sich vergleichen ließe mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen, mit der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis, welche die Geschichte von seinem großen Vorgänger im Osten berichtet. Er ist endlich vielleicht der einzige unter jenen Gewaltigen, der den staatsmännischen Takt für das Mögliche und Unmögliche bis an das Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und nicht gescheitert ist an derjenigen Aufgabe, die für großartig angelegte Naturen von allen die schwerste ist, an der Aufgabe, auf der Zinne des Erfolgs dessen natürliche Schranken zu erkennen. Was möglich war, hat er geleistet und nie um des unmöglichen Besseren willen das mögliche Gute unterlassen, nie es verschmäht, unheilbare Übel durch Palliative wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, daß das Schicksal gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am Hypanis, Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie mußten, und zürnten dem Geschick, daß es auch seinen Lieblingen nur begrenzte Erfolge gönnt; Caesar ist an der Themse und am Rhein freiwillig zurückgegangen und gedachte auch an der Donau und am Euphrat nicht ungemessene Pläne der Weltüberwindung, sondern bloß wohlerwogene Grenzregulierungen ins Werk zu setzen.

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^1 Wenn der Handel mit Laberius, den der bekannte Prolog erzählt, als ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angeführt worden ist, so hat man die Ironie der Situation wie des Dichters gründlich verkannt; ganz abgesehen von der Naivität, den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poeten als Märtyrer zu behandeln.

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So war dieser einzige Mann, den zu schildern so leicht scheint und doch so unendlich schwer ist. Seine ganze Natur ist durchsichtige Klarheit; und die Überlieferung bewahrt über ihn ausgiebigere und lebendigere Kunde als über irgendeinen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine solche Persönlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich verschieden aufgefaßt werden; jedem nicht ganz verkehrten Forscher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zügen erschienen, und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem gelungen. Das Geheimnis liegt in dessen Vollendung. Menschlich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunkt, in welchem die großen Gegensätze des Daseins sich ineinander aufheben. Von gewaltiger Schöpferkraft und doch zugleich vom durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und noch nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbringen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wieder berufen, die römische und die hellenische Entwicklung in sich wie nach außen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar der ganze und vollständige Mann. Darum fehlt es denn auch bei ihm mehr als bei irgendeiner anderen geschichtlichen Persönlichkeit an den sogenannten charakteristischen Zügen, welche ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemäßen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflächlichen Blick dafür gilt, zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als Individualität, sondern als Eigentümlichkeit der Kulturepoche oder der Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleichgestellten begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches, aber energisch logisches Naturell das Naturell der Römer überhaupt ist. Es gehört dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit, daß er im höchsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich gibt es nicht, sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen Volkseigentümlichkeit und in einem bestimmten Kulturzug stehen. Nur dadurch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mitten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil er die kernige Eigentümlichkeit der römischen Nation, die reale bürgerliche Tüchtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug; wie denn auch sein Hellenismus nur der mit der italischen Nationalität längst innig verwachsene war. Aber eben hierin liegt auch die Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen die Unmöglichkeit, Caesar anschaulich zu schildern. Wie der Künstler alles machen kann, nur nicht die vollendete Schönheit, so kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber schweigen. Denn es läßt die Regel wohl sich aussprechen, aber sie gibt uns nur die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das Geheimnis der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Normalität und Individualität miteinander zu verbinden, ist unaussprechlich. Uns bleibt nichts, als diejenigen glücklich zu preisen, die dieses Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu gewinnen, der auf den von dieser großen Natur geschaffenen Werken unvergänglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel der Zeit. Der römische Mann selbst stellte seinem jugendlichen griechischen Vorgänger nicht bloß ebenbürtig, sondern überlegen sich an die Seite; aber die Welt war inzwischen alt geworden und ihr Jugendschimmer verblaßt. Caesars Tätigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vorwärtsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und aus Ruinen und war zufrieden, in den einmal angewiesenen weiten, aber begrenzten Räumen möglichst erträglich und möglichst sicher sich einzurichten. Mit Recht hat denn auch der feine Dichtertakt der Völker um den unpoetischen Römer sich nicht bekümmert und dagegen den Sohn des Philippos mit allem Goldglanz der Poesie, mit allen Regenbogenfarben der Sage bekleidet. Aber mit gleichem Recht hat das staatliche Leben der Nationen seit Jahrtausenden wieder und wieder auf die Linien zurückgelenkt, die Caesar gezogen hat, und wenn die Völker, denen die Welt gehört, noch heute mit seinem Namen die höchsten ihrer Monarchen nennen, so liegt darin eine tiefsinnige, leider auch eine beschämende Mahnung.

Wenn es gelingen sollte, aus den alten in jeder Hinsicht heillosen Zuständen herauszukommen und das Gemeinwesen zu verjüngen, so mußte vor allen Dingen das Land tatsächlich beruhigt und der Boden von den Trümmern, die von der letzten Katastrophe her überall ihn bedeckten, gesäubert werden. Caesar ging dabei aus von dem Grundsatz der Versöhnung der bisherigen Parteien oder, richtiger gesagt - denn von wirklicher Ausgleichung kann bei unversöhnlichen Gegensätzen nicht gesprochen werden -, von dem Grundsatz, daß der Kampfplatz, auf dem die Nobilität und die Popularen bisher miteinander gestritten hatten, von beiden Teilen aufzugeben sei und beide auf dem Boden der neuen monarchischen Verfassung sich zusammenzufinden hätten. Vor allen Dingen also galt aller ältere Hader der republikanischen Vergangenheit als abgetan für immer und ewig. Während Caesar die auf die Nachricht von der Pharsalischen Schlacht von dem hauptstädtischen Pöbel umgestürzten Bildsäulen Sullas wiederaufzurichten befahl und also es anerkannte, daß über diesen großen Mann einzig der Geschichte Gericht zu halten gebühre, hob er zugleich die letzten noch nachwirkenden Folgen seiner Ausnahmegesetze auf, rief die noch von den cinnanischen und sertorianischen Wirren her Verbannten aus dem Exil zurück und gab den Kindern der von Sulla Geächteten die verlorene passive Wahlfähigkeit wieder. Ebenso wurden alle diejenigen restituiert, die in dem vorbereitenden Stadium der letzten Katastrophe durch Zensorenspruch oder politischen Prozeß, namentlich durch die auf Grund der Exzeptionalgesetze von 702 (52) erhobenen Anklagen, ihren Sitz im Senat oder ihre bürgerliche Existenz eingebüßt hatten. Nur blieben, wie billig, diejenigen, die Geächtete für Geld getötet hatten, auch ferner bescholten und ward der verwegenste Condottiere der Senatspartei, Milo, von der allgemeinen Begnadigung ausgeschlossen.

Weit schwieriger als die Ordnung dieser im wesentlichen bereits der Vergangenheit anheimgefallenen Fragen war die Behandlung der im Augenblick sich gegenüberstehenden Parteien: teils des eigenen demokratischen Anhangs Caesars, teils der gestürzten Aristokratie. Daß jener mit Caesars Verfahren nach dem Sieg und mit seiner Aufforderung, den alten Parteistandpunkt aufzugeben, womöglich noch minder einverstanden war als diese, versteht sich von selbst. Caesar selbst wollte wohl im ganzen dasselbe, was Gaius Gracchus im Sinne getragen hatte; allein die Absichten der Caesarianer waren nicht mehr die der Gracchaner. Die römische Popularpartei war in immer steigender Progression aus der Reform in die Revolution, aus der Revolution in die Anarchie, aus der Anarchie in den Krieg gegen das Eigentum gedrängt worden; sie feierte unter sich das Andenken der Schreckensherrschaft und schmückte, wie einst der Gracchen, so jetzt des Catilina Grab mit Blumen und Kränzen; sie hatte unter Caesars Fahne sich gestellt, weil sie von ihm das erwartete, was Catilina ihr nicht hatte verschaffen können. Als nun aber sehr bald sich herausstellte, daß Caesar nichts weniger sein wollte als der Testamentsvollstrecker Catilinas, daß die Verschuldeten von ihm höchstens Zahlungserleichterungen und Prozeßmilderungen zu hoffen hatten, da ward die erbitterte Frage laut, für wen denn die Volkspartei gesiegt habe, wenn nicht für das Volk? und fing das vornehme und niedere Gesindel dieser Art vor lauter Ärger über die fehlgeschlagenen politisch-ökonomischen Saturnalien erst an, mit den Pompeianern zu liebäugeln, dann sogar während Caesars fast zweijähriger Abwesenheit von Italien (Januar 706 48 bis Herbst 707 47) daselbst einen Bürgerkrieg im Bürgerkriege anzuzetteln. Der Prätor Marcus Caelius Rufus, ein guter Adliger und schlechter Schuldenbezahler, von einigem Talent und vieler Bildung, als ein heftiger und redefertiger Mann bisher im Senat und auf dem Markte einer der eifrigsten Vorkämpfer für Caesar, brachte, ohne höheren Auftrag, bei dem Volke ein Gesetz ein, das den Schuldnern ein sechsjähriges zinsfreies Moratorium gewährte, sodann, da man ihm hierbei in den Weg trat, ein zweites, das gar alle Forderungen aus Darlehen und laufenden Hausmieten kassiert; worauf der Caesarische Senat ihn seines Amtes entsetzte. Es war eben die Zeit vor der Pharsalischen Schlacht, und die Waagschale in dem großen Kampfe schien sich auf die Seite der Pompeianer zu neigen; Rufus trat mit dem alten senatorischen Bandenführer Milo in Verbindung und beide stifteten eine Konterrevolution an, die teils die republikanische Verfassung, teils Kassation der Forderungen und Freierklärung der Sklaven auf ihr Panier schrieb. Milo verließ seinen Verbannungsort Massalia und rief in der Gegend von Thurii die Pompeianer und die Hirtensklaven unter die Waffen; Rufus machte Anstalt, sich durch bewaffnete Sklaven der Stadt Capua zu bemächtigen. Allein der letztere Plan ward vor der Ausführung entdeckt und durch die capuanische Bürgerwehr vereitelt; Quintus Pedius, der mit einer Legion in das thurinische Gebiet einrückte, zerstreute die daselbst hausende Bande; und der Fall der beiden Führer machte dem Skandal ein Ende (706 48). Dennoch fand sich das Jahr darauf (707 47) ein zweiter Tor, der Volkstribun Publius Dolabella, der, gleich verschuldet, aber ungleich weniger begabt als sein Vorgänger, dessen Gesetz über die Forderungen und Hausmieten abermals einbrachte und mit seinem Kollegen Lucius Trebellius darüber noch einmal - es war das letzte Mal - den Demagogenkrieg begann; es gab arge Händel zwischen den, beiderseitigen bewaffneten Banden und vielfachen Straßenlärm, bis der Kommandant von Italien, Marcus Antonius, das Militär einschreiten ließ und bald darauf Caesars Rückkehr aus dem Osten dem tollen Treiben vollständig ein Ziel setzte. Caesar legte diesen hirnlosen Versuchen, die Catilinarischen Projekte wieder aufzuwärmen, so wenig Gewicht bei, daß er selbst den Dolabella in Italien duldete, ja nach einiger Zeit ihn sogar wieder zu Gnaden annahm. Gegen solches Gesindel, dem es nicht um irgend welche politische Frage, sondern einzig um den Krieg gegen das Eigentum zu, tun ist, genügt, wie gegen die Räuberbanden, das bloße Dasein einer starken Regierung; und Caesar war zu groß und zu besonnen, um mit der Angst, die die italischen Trembleurs vor diesen damaligen Kommunisten empfanden, Geschäfte zu machen und damit seiner Monarchie eine falsche Popularität zu erschwindeln.

Wenn Caesar also die gewesene demokratische Partei ihrem schon bis an die äußerste Grenze vorgeschrittenen Zersetzungsprozeß überlassen konnte und überließ, so hatte er dagegen gegenüber der bei weitem lebenskräftigeren ehemaligen aristokratischen Partei durch die gehörige Verbindung des Niederdrückens und des Entgegenkommens die Auflösung nicht herbeizuführen - dies vermochte nur die Zeit - sondern sie vorzubereiten und einzuleiten. Es war das wenigste, daß Caesar, schon aus natürlichem Anstandsgefühl, es vermied, die gestürzte Partei durch leeren Hohn zu erbittern, über die besiegten Mitbürger nicht triumphierte ^2, des Pompeius oft und immer mit Achtung gedachte und sein vom Volke umgestürztes Standbild am Rathaus bei der Herstellung des Gebäudes an dem früheren ausgezeichneten Platze wiederum errichten ließ. Der politischen Verfolgung nach dem Siege steckte Caesar die möglichst engen Grenzen. Es fand keine Untersuchung statt über die vielfachen Verbindungen, die die Verfassungspartei auch mit nominellen Caesarianern gehabt hatte; Caesar warf die in den feindlichen Hauptquartieren von Pharsalos und Thapsus vorgefundenen Papierstöße ungelesen ins Feuer und verschonte sich und das Land mit politischen Prozessen gegen des Hochverrats verdächtige Individuen. Ferner gingen straffrei aus alle gemeinen Soldaten, die ihren römischen oder provinzialen Offizieren in den Kampf gegen Caesar gefolgt waren. Eine Ausnahme ward nur gemacht mit denjenigen römischen Bürgern, die in dem Heere des numidischen Königs Juba Dienste genommen hatten; ihnen wurde zur Strafe des Landesverrates das Vermögen eingezogen. Auch den Offizieren der besiegten Partei hatte Caesar bis zum Ausgang des spanischen Feldzugs 705 (49) uneingeschränkte Begnadigung gewährt; allein er überzeugte sich, daß er hiermit zu weit gegangen und daß die Beseitigung wenigstens der Häupter unvermeidlich sei. Die Regel, die er von jetzt an zur Richtschnur nahm, war, daß wer nach der Kapitulation von Ilerda im feindlichen Heere als Offizier gedient oder im Gegensenat gesessen hatte, wenn er das Ende des Kampfes erlebte, sein Vermögen und seine politischen Rechte verlor und für Lebenszeit aus Italien verbannt ward, wenn er das Ende des Kampfes nicht erlebte, wenigstens sein Vermögen an den Staat fiel, wer aber von diesen früher von Caesar Gnade angenommen hatte und abermals in den feindlichen Reihen betroffen ward, damit das Leben verwirkt hatte. In der Ausführung indes wurden diese Sätze wesentlich gemildert. Todesurteile wurden nur gegen die wenigsten unter den zahlreichen Rückfälligen wirklich vollstreckt. Bei der Konfiskation des Vermögens der Gefallenen wurden nicht nur die auf den einzelnen Massen haftenden Schulden sowie die Mitgiftforderungen der Witwen wie billig ausgezahlt, sondern auch den Kindern der Toten ein Teil des väterlichen Vermögens gelassen. Von denjenigen endlich, die jenen Regeln zufolge Verbannung und Vermögenskonfiskation traf, wurden nicht wenige sogleich ganz begnadigt oder kamen, wie die zu Mitgliedern des Senats von Utica gepreßten afrikanischen Großhändler, mit Geldbußen davon. Aber auch den übrigen ward fast ohne Ausnahme Freiheit und Vermögen zurückgegeben, wenn sie nur es über sich gewannen, deshalb bittend bei Caesar einzukommen; manchem, der dessen sich weigerte, wie zum Beispiel dem Konsular Marcus Marcellus, ward die Begnadigung auch ungebeten oktroyiert und endlich im Jahre 710 (44) für alle noch nicht Zurückberufenen eine allgemeine Amnestie erlassen.

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^2 Auch der Triumph nach der später zu erzählenden Schlacht bei Munda galt wohl nur den zahlreich in dem besiegten Heer dienenden Lusitanern.

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Die republikanische Opposition ließ sich denn begnadigen; aber sie war nicht versöhnt. Unzufriedenheit mit der neuen Ordnung der Dinge und Erbitterung gegen den ungewohnten Herrscher waren allgemein. Zu offenem politischen Widerstand gab es freilich keine Gelegenheit mehr - es kam kaum in Betracht, daß einige oppositionelle Tribune bei Gelegenheit der Titelfrage durch demonstratives Einschreiten gegen die, welche Caesar König genannt hatten, sich die republikanische Märtyrerkrone erwarben; aber um so entschiedener äußerte der Republikanismus sich als Gesinnungsopposition und im geheimen Treiben und Wühlen. Keine Hand regte sich, wenn der Imperator öffentlich erschien. Es regnete Maueranschläge und Spottverse voll bitterer und treffender Volkssatire gegen die neue Monarchie. Wo ein Schauspieler eine republikanische Anspielung wagte, begrüßte ihn der lauteste Beifall. Catos Lob und Preis war das Modethema der oppositionellen Broschürenschreiber, und die Schriften derselben fanden nur ein um so dankbareres Publikum, weil auch die Literatur nicht mehr frei war. Caesar bekämpfte zwar auch jetzt noch die Republikaner auf dem eigenen Gebiet; er selbst und seine fähigeren Vertrauten antworteten auf die Catoliteratur mit Anticatonen, und es ward zwischen den republikanischen und den Caesarischen Skribenten um den toten Mann von Utica gestritten wie zwischen Troern und Hellenen um die Leiche des Patroklos; allein es verstand sich von selbst, daß in diesem Kampfe, in dem das durchaus republikanisch gestimmte Publikum Richter war, die Caesarianer den kürzeren zogen. Es blieb nichts übrig, als die Schriftsteller zu terrorisieren; weshalb denn unter den Verbannten die literarisch bekannten und gefährlichen Männer, wie Publius Nigidius Figulus und Aulus Caecina, schwerer als andere die Erlaubnis zur Rückkehr nach Italien erhielten, die in Italien geduldeten oppositionellen Schriftsteller aber einer tatsächlichen Zensur unterworfen wurden, die um so peinlicher fesselte, weil das Maß der zu befürchtenden Strafe durchaus arbiträr war ^3. Das Wühlen und Treiben der gestürzten Parteien gegen die neue Monarchie wird zweckmäßiger in einem andern Zusammenhang dargestellt werden; hier genügt es zu sagen, daß Prätendenten- wie republikanische Aufstände unaufhörlich im ganzen Umfange des Römischen Reiches gärten, daß die Flamme des Bürgerkrieges, bald von den Pompeianern, bald von den Republikanern angefacht, an verschiedenen Orten hell wieder emporschlug und in der Hauptstadt die Verschwörung gegen das Leben des Herrschers in Permanenz blieb, Caesar aber durch die Anschläge sich nicht einmal bewegen ließ, auf die Dauer sich mit einer Leibwache zu umgeben und in der Regel sich begnügte, die entdeckten Konspirationen durch öffentliche Anschläge bekannt zu machen. Wie sehr Caesar alle seine persönliche Sicherheit angehenden Dinge mit gleichgültiger Verwegenheit zu behandeln pflegte, die ernste Gefahr konnte er doch sich unmöglich verhehlen, mit der diese Masse Mißvergnügter nicht bloß ihn, sondern auch seine Schöpfungen bedrohte. Wenn er dennoch, alles Warnens und Hetzens seiner Freunde nicht achtend, ohne über die Unversöhnlichkeit auch der begnadigten Gegner sich zu täuschen, mit einer wunderbar kaltblütigen Energie dabei beharrte, der bei weitem größeren Anzahl derselben zu verzeihen, so war dies weder ritterliche Hochherzigkeit einer stolzen, noch Gefühlsmilde einer weichen Natur, sondern es war die richtige staatsmännische Erwägung, daß überwundene Parteien rascher und mit minderem Schaden für den Staat innerhalb des Staats sich absorbieren, als wenn man sie durch Ächtung auszurotten oder durch Verbannung aus dem Gemeinwesen auszuscheiden versucht. Caesar konnte für seine hohen Zwecke die Verfassungspartei selbst nicht entbehren, die ja nicht etwa bloß die Aristokratie, sondern alle Elemente des Freiheits- und des Nationalsinns innerhalb der italischen Bürgerschaft in sich schloß; für seine Pläne zur Verjüngung des alternden Staats bedurfte er der ganzen Masse von Talenten, Bildung, ererbtem und selbsterworbenem Ansehen, die diese Partei in sich schloß; und wohl in diesem Sinne mag er die Begnadigung der Gegner den schönsten Lohn des Siegs genannt haben. So wurden denn zwar die hervorragendsten Spitzen der geschlagenen Parteien beseitigt; aber den Männern zweiten und dritten Ranges und namentlich der jüngeren Generation ward die volle Begnadigung nicht vorenthalten, jedoch ihnen auch nicht gestattet, in passiver Opposition zu schmollen, sondern dieselben durch mehr oder minder gelinden Zwang veranlaßt, sich an der neuen Verwaltung tätig zu beteiligen und Ehren und Ämter von ihr anzunehmen. Wie für Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien so begannen auch für Caesar die größten Schwierigkeiten erst nach dem Siege. Jeder revolutionäre Sieger macht die Erfahrung, daß, wenn er nach Überwältigung der Gegner nicht, wie Cinna und Sulla, Parteihaupt bleibt, sondern wie Caesar, wie Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien, an die Stelle des notwendig einseitigen Parteiprogramms die Wohlfahrt des Gemeinwesens setzen will, augenblicklich alle Parteien, die eigene wie die besiegt, sich gegen das neue Oberhaupt vereinigen; und um so mehr, je größer und reiner dasselbe seinen neuen Beruf auffaßt. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Herzen entweder der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene Demokratie war, seit sie begriffen, daß Caesars Zwecke keineswegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr; selbst die persönlichen Anhänger Caesars murrten, als sie ihr Haupt statt eines Condottierstaats eine allen gliche und gerechte Monarchie gründen und die auf sie treffenden Gewinnportionen durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Diese Ordnung des Gemeinwesens war keiner Partei genehm und mußte den Genossen nicht minder als den Gegnern oktroyiert werden. Caesars eigene Stellung war jetzt in gewissem Sinne gefährdeter als vor dem Siege; aber was er verlor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die Parteimänner nicht bloß schonte, sondern jeden Mann von Talent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Rücksicht auf seine politische Vergangenheit, zu Ämtern gelangen ließ, gewann er nicht bloß für seinen großen Bau alle im Staate vorhandene Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen der Männer aller Parteien an demselben Werke führte auch unmerklich die Nation hinüber auf den neubereiteten Boden. Wenn diese Ausgleichung der Parteien für den Augenklick nur äußerlicher Art war und dieselben sich für jetzt viel weniger in der Anhänglichkeit an die neuen Zustände begegneten als in dem Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wußte es wohl, daß die Gegensätze doch in solcher äußerlichen Vereinigung sich abstumpfen und daß nur auf diesem Wege der Staatsmann der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag, solchen Hader schließlich zu sühnen, indem sie das alte Geschlecht ins Grab legt. Noch weniger fragte er, wer ihn haßte oder auf Mord gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern gab die Gunst der Zeitgenossen hin für den Segen der Zukunft und vor allem für die Erlaubnis, seien Nation retten und verjüngen zu dürfen.

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^3 Wer alte und neue Schriftstellerbedrängnisse zu vergleichen wünscht, wird in dem Briefe des Caecina (Cic. ad fam. 6, 7) Gelegenheit dazu finden.

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Versuchen wir im einzelnen Rechenschaft zu geben von der Überführung der alten Zustände in die neue Bahn, so ist zunächst daran zu erinnern, daß Caesar nicht kam um anzufangen, sondern um zu vollenden. Der Plan zu einer zeitgemäßen Politik, längst von Gaius Gracchus entworfen, war von seinen Anhängern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist und Glück, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar, von Haus aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der Popularpartei, hatte seit dreißig Jahren deren Schild hoch emporgehalten, ohne je die Farbe zu wechseln oder auch nur zu decken; er blieb Demokrat auch als Monarch. Wie er die Erbschaft seiner Partei, abgesehen natürlich von den catilinarischen und clodischen Verkehrtheiten, unbeschränkt antrat, der Aristokratie und den echten Aristokraten den bittersten, selbst persönlichen Haß zollte und die wesentlichen Gedanken der römischen Demokratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die überseeische Kolonisation, die allmähliche Nivellierung der unter den Klassen der Staatsangehörigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die Emanzipierung der exekutiven Gewalt vom Senat, unverändert festhielt, so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie im Widerspruch, daß vielmehr diese erst durch jene zur Vollendung und Erfüllung gelangte. Denn diese Monarchie war nicht die orientalische Despotie von Gottes Gnaden, sondern die Monarchie, wie Gaius Gracchus sie gründen wollte, wie Perikles und Cromwell sie gründeten: die Vertretung der Nation durch ihren höchsten und unumschränkten Vertrauensmann. Es waren insofern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen, nicht eigentlich neue; aber ihm gehört ihre Verwirklichung, die zuletzt überall die Hauptsache bleibt, und ihm die Großheit der Ausführung, die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie hätte schauen können, überrascht haben möchte und die jeden, dem sie in lebendiger Wirklichkeit oder im Spiegel der Geschichte entgegengetreten ist, welcher geschichtlichen Epoche und welcher politischen Farbe immer er angehöre, je nach dem Maß seiner Fassungskraft für menschliche und geschichtliche Größe mit tiefer und tieferer Bewegung und Bewunderung ergriffen hat und ewig ergreifen wird.

Wohl aber wird es gerade hier am Orte sein, das, was der Geschichtschreiber stillschweigend überall voraussetzt, einmal ausdrücklich zu fordern und Einspruch zu tun gegen die der Einfalt und der Perfidie gemeinschaftliche Sitte, geschichtliches Lob und geschichtlichen Tadel, von den gegebenen Verhältnissen abgelöst, als allgemein gültige Phrase zu verbrauchen, in diesem Falle das Urteil über Caesar in ein Urteil über den sogenannten Caesarismus umzudeuten. Freilich soll die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die Lehrmeisterin des laufenden sein; aber nicht in dem gemeinen Sinne, als könne man die Konjunkturen der Gegenwart in den Berichten über die Vergangenheit nur einfach wiederaufblättern und aus denselben der politischen Diagnose und Rezeptierkunst die Symptome und Spezifika zusammenlesen; sondern sie ist lehrhaft einzig insofern, als die Beobachtung der älteren Kulturen die organischen Bedingungen der Zivilisation überhaupt, die überall gleichen Grundkräfte und die überall verschiedene Zusammensetzung derselben offenbart und statt zum gedankenlosen Nachahmen vielmehr zum selbständigen Nachschöpfen anleitet und begeistert. In diesem Sinne ist die Geschichte Caesars und des römischen Caesarentums, bei aller unübertroffenen Großheit des Werkmeisters, bei aller geschichtlichen Notwendigkeit des Werkes, wahrlich eine schärfere Kritik der modernen Autokratie, als eines Menschen Hand sie zu schreiben vermag. Nach dem gleichen Naturgesetz, weshalb der geringste Organismus unendlich mehr ist als die kunstvollste Maschine, ist auch jede noch so mangelhafte Verfassung, die der freien Selbstbestimmung einer Mehrzahl von Bürgern Spielraum läßt, unendlich mehr als der genialste und humanste Absolutismus; denn jene ist der Entwicklung fähig, also lebendig, dieser ist was er ist, also tot. Dieses Naturgesetz hat auch an der römischen absoluten Militärmonarchie sich bewährt und nur um so vollständiger sich bewährt, als sie, unter dem genialen Impuls ihres Schöpfers und bei der Abwesenheit aller wesentlichen Verwicklungen mit dem Ausland, sich reiner und freier als irgendein ähnlicher Staat gestaltet hat. Von Caesar an hielt, wie die späteren Bücher dies darlegen werden und Gibbon längst es dargelegt hat, das römische Wesen nur noch äußerlich zusammen und ward nur mechanisch erweitert, während es innerlich eben mit ihm völlig vertrocknete und abstarb. Wenn in den Anfängen der Autokratie und vor allem in Caesars eigener Seele noch der hoffnungsreiche Traum einer Vereinigung freier Volksentwicklung und absoluter Herrschaft waltet, so hat schon das Regiment der hochbegabten Kaiser des Julianischen Geschlechts in schrecklicher Weise gelehrt, inwiefern es möglich ist, Feuer und Wasser in dasselbe Gefäß zu fassen. Caesars Werk war notwendig und heilsam, nicht weil es an sich Segen brachte oder auch nur bringen konnte, sondern weil, bei der antiken, auf Sklavenrum gebauten, von der republikanisch-konstitutionellen Vertretung völlig abgewandten Volksorganisation und gegenüber der legitimen, in der Entwicklung eines halben Jahrtausends zum oligarchischen Absolutismus herangereiften Stadtverfassung, die absolute Militärmonarchie der logisch notwendige Schlußstein und das geringste Übel war. Wenn einmal in Virginien und den Carolinas die Sklavenhalteraristokratie es so weit gebracht haben wird wie ihre Wahlverwandten in dem sullanischen Rom, so wird dort auch der Caesarismus vor dem Geist der Geschichte legitimiert sein ^4; wo er unter andern Entwicklungsverhältnissen auftritt, ist er zugleich eine Fratze und eine Usurpation. Die Geschichte aber wird sich nicht bescheiden, dem rechten Caesar deshalb die Ehre zu verkürzen, weil ein solcher Wahlspruch den schlechten Caesaren gegenüber die Einfalt irren und der Bosheit zu Lug und Trug Gelegenheit geben kann. Sie ist auch eine Bibel, und wenn sie so wenig wie diese, weder dem Toren es wehren kann sie mißzuverstehen, noch dem Teufel sie zu zitieren, so wird auch sie imstande sein, beides zu ertragen wie zu vergiften.

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^4 Als dies geschrieben wurde, im Jahre 1857, konnte man noch nicht wissen, wie bald durch den gewaltigsten Kampf und den herrlichsten Sieg, den die Geschichte des Menschengeschlechts bisher verzeichnet hat, demselben diese furchtbare Probe erspart und dessen Zukunft der unbedingten, durch keinen fokalen Cäsarismus auf dir Dauer zu hemmenden sich selbst beherrschenden Freiheit gesichert werden sollte.

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Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell, zunächst wenigstens, als Diktatur. Caesar übernahm dieselbe zuerst nach der Rückkehr aus Spanien im Jahre 705 (49), legte sie aber nach wenigen Tagen wieder nieder und führte den entscheidenden Feldzug des Jahres 706 (48) lediglich als Konsul - es war dies das Amt, über dessen Bekleidung zunächst der Bürgerkrieg ausgebrochen war. Aber im Herbst dieses Jahres, nach der Pharsalischen Schlacht, kam er wieder auf die Diktatur zurück und ließ sich dieselbe abermals übertragen, zuerst auf unbestimmte Zeit, jedoch vom 1. Januar 709 (45) an als Jahresamt, alsdann im Januar oder Februar 710 ^5 (44) auf die Dauer seines Lebens, so daß er die früher vorbehaltene Niederlegung des Amtes schließlich ausdrücklich fallen ließ und der Lebenslänglichkeit des Amtes in dem neuen Titel dictator perpetuus formellen Ausdruck gab. Diese Diktatur, sowohl jene erste ephemere wie die zweite dauernde, ist nicht die der alten Verfassung, sondern das nur in dem Namen mit dieser zusammentreffende höchste Ausnahmeamt nach der Ordnung Sullas; ein Amt, dessen Kompetenz nicht durch die verfassungsmäßigen Ordnungen über das höchste Einzelamt, sondern durch besonderen Volksschluß festgestellt ward und zwar dahin, daß der Inhaber in dem Auftrag, Gesetze zu entwerfen und das Gemeinwesen zu ordnen, eine rechtlich unumschränkte, die republikanische Teilung der Gewalten aufhebende Amtsbefugnis empfing. Es sind nur Anwendungen von dieser allgemeinen Befugnis auf den einzelnen Fall, wenn dem Machthaber das Recht ohne Befragen des Senats und des Volkes über Krieg und Frieden zu entscheiden, die selbständige Verfügung über Heere und Kassen, die Ernennung der Provinzialstatthalter nach durch besondere Akte übertragen wurden. Selbst solche Befugnisse, welche außerhalb der magistratischen, ja außerhalb der Kompetenz der Staatsgewalten überhaupt lagen, konnte Caesar hiernach von Rechts wegen sich beilegen; und es erscheint fast als eine Konzession seinerseits, daß er darauf verzichtete, die Magistrate anstatt der Komitien zu ernennen, und sich darauf beschränkte, für einen Teil der Prätoren und der niederen Magistrate ein bindendes Vorschlagsrecht in Anspruch zu nehmen; daß er sich ferner zu der nach dem Herkommen überhaupt nicht statthaften Kreierung von Patriziern noch durch besonderen Volksschluß ermächtigen ließ.

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^5 Am 26. Januar 710 ;44) heißt Caesar noch dictator IIII (Triumphaltafel); am 25. Februar des Jahres war er bereits dictator perpetuus (Cic. Phil. 2, 34, 87). Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl.. S. 726.

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Für andere Ämter im eigentlichen Sinn bleibt neben dieser Diktatur kein Raum. Die Zensur als solche hat Caesar nicht übernommen ^6, wohl aber die zensorischen Rechte, namentlich das wichtige der Senatorenernennung in umfassender Weise geübt.

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^6 Die Formulierung jener Diktatur scheint die “Sittenbesserung” ausdrücklich mithervorgehoben zu haben; aber ein eigenes Amt derart hat Caesar nicht bekleidet (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 705).

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Das Konsulat hat er häufig neben der Diktatur, einmal auch ohne Kollegen bekleidet, aber keineswegs dauernd an seine Person geknüpft und den Aufforderungen, dasselbe auf fünf oder gar auf zehn Jahre nacheinander zu übernehmen, keine Folge gegeben.

Die Oberaufsicht über den Kult brauchte Caesar nicht erst sich übertragen zu lassen, da er bereits Oberpontifex war. Es versteht sich, daß auch die Mitgliedschaft des Augurnkollegiums ihm zuteil ward und überhaupt alte und neue Ehrenrechte in Fülle, wie der Titel eines Vaters des Vaterlandes, die Benennung seines Geburtsmonats mit dem Namen, den er nach heute führt, des Julius, und andere, zuletzt in platte Vergötterung sich verlaufende Manifestationen des beginnenden Hoftons. Hervorgehoben zu werden verdienen nur zwei Einrichtungen: daß Caesar den Tribunen des Volkes namentlich in ihrer besonderen persönlichen Unverletzlichkeit gleichgestellt und daß die Imperatorenbenennung dauernd an seine Person geknüpft und neben den sonstigen Amtsbezeichnungen von ihm als Titel geführt ward ^7.

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^7 Caesar führt die Bezeichnung Imperator immer ohne Iterationsziffer und immer hinter dem Namen an erster Stelle (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, A. 1).

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Für den Verständigen wird es weder dafür eines Beweises bedürfen, daß Caesar beabsichtigte, die höchste Gewalt dem Gemeinwesen einzufügen, und zwar nicht nur auf einige Jahre oder auch als persönliches Amt auf unbestimmte Zeit, etwa wie Sullas Regentschaft, sondern als wesentliches und bleibendes Organ, noch auch dafür, daß er für die neue Institution eine entsprechende und einfache Bezeichnung ausersah; denn wenn es ein politischer Fehler ist, inhaltlose Namen zu schaffen, so ist es kaum ein geringerer, den Inhalt der Machtfülle ohne Namen hinzustellen. Nur ist es freilich, teils weil in dieser Übergangszeit die ephemeren und die bleibenden Bauten sich noch nicht klar voneinander sondern, teils weil die dem Winke bereits zuvorkommende Devotion der Klienten den Herrn mit einer ohne Zweifel ihm selbst widerwärtigen Fülle von Vertrauensdekreten und Ehrengesetzen überschüttete, nicht leicht festzustellen, welche definitive Formulierung Caesar im Sinne gehabt hat. Am wenigsten konnte die neue Monarchie an das Konsulat anknüpfen, schon wegen der von diesem Amt nicht wohl zu trennenden Kollegialität, es hat auch Caesar offenbar darauf hingearbeitet, dieses bisher höchste Amt zum leeren Titel herabzusetzen und späterhin, wenn er es übernahm, dasselbe nicht das ganze Jahr hindurch geführt, sondern vor dem Ablauf an Personen zweiten Ranges abgegeben. Die Diktatur tritt praktisch am häufigsten und bestimmtesten hervor, aber wahrscheinlich nur, weil Caesar sie als das benutzen wollte, was sie von alters her im Verfassungsorganismus bedeutet hatte, als außerordentliche Vorstandschaft zur Überwindung außerordentlicher Krisen. Als Trägerin der neuen Monarchie dagegen empfahl sie sich wenig, da Exzeptionalität und Unpopularität diesem Amte einmal anhafteten und es dem Vertreter der Demokratie kaum zugetraut werden kann, diejenige Form, die der genialste Vorfechter der Gegenpartei für seine Zwecke geschaffen hatte, für die dauernde Organisation zu wählen. Bei weitem geeigneter für die Formulierung der Monarchie erscheint der neue Imperatorenname, schon darum, weil er in dieser Verwendung ^8 neu ist und kein bestimmter äußerer Anlaß zur Einführung desselben erhellt. Der neue Wein durfte nicht in alte Schläuche gefüllt werden: hier ist zu der neuen Sache der neue Name und in demselben in prägnantester Weise zusammengefaßt, was schon in dem Gabinischen Gesetz, nur mit minderer Schärfe, die demokratische Partei als Kompetenz ihres Oberhauptes formuliert hatte: die Konzentrierung und Perpetuierung der Amtsgewalt (imperium) in der Hand eines vom Senat unabhängigen Volkshauptes. Auch begegnet auf Caesars Münzen, namentlich auf denen der letzten Zeit, neben der Diktatur vorwiegend der Imperatorentitel und scheint in Caesars Gesetz über politische Verbrechen der Monarch mit diesem Ausdruck bezeichnet worden zu sein. Es hat denn auch die Folgezeit, wenngleich nicht unmittelbar, die Monarchie an den Imperatornamen geknüpft. Um diesem neuen Amt zugleich die demokratische und die religiöse Weihe zu verleihen, beabsichtigte Caesar wahrscheinlich, mit demselben teils die tribunizische Gewalt, teils das Oberpontifikat ein für allemal zu verknüpfen.

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^8 In republikanischer Zeit wird der Imperatorname, der den siegreichen Feldherrn bezeichnet, abgelegt mit dem Ende des Feldzugs; als dauernde Titulatur erscheint er bei Caesar zuerst.

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Daß die neue Organisation nicht bloß auf die Lebenszeit ihres Stifters beschränkt bleiben sollte, ist unzweifelhaft; aber derselbe ist nicht dazu gelangt, die vor allem schwierige Frage der Nachfolge zu erledigen, und es muß dahingestellt bleiben, ob er die Aufstellung irgendeiner Form für die Nachfolgerwahl im Sinn gehabt hat, wie sie bei dem ursprünglichen Königtum bestanden hatte, oder ob er für das höchste Amt wie die Lebenslänglichkeit, so auch die Erblichkeit hat einführen wollen, wie dies sein Adoptivsohn späterhin behauptet hat ^9. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er die Absicht gehabt hat, beide Systeme gewissermaßen miteinander zu verbinden und die Nachfolge, ähnlich wie Cromwell und wie Napoleon, in der Weise zu ordnen, daß dem Herrscher der Sohn in der Herrschaft nachfolgt, wenn er aber keinen Sohn hat oder der Sohn ihm nicht zur Nachfolge geeignet scheint, der Herrscher in der Form der Adoption den Nachfolger nach freier Wahl ernennt.

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^9 Daß bei Caesars Lebzeiten das Imperium sowohl wie das Oberpontifikat für seine agnatische - leibliche oder durch Adoption vermittelte - Deszendenz durch einen förmlichen legislatorischen Akt erblich gemacht worden ist, hat Caesar der Sohn als seinen Rechtstitel zur Herrschaft geltend gemacht. Nach der Beschaffenheit unserer Überlieferung muß die Existenz eines derartigen Gesetzes oder Senatsbeschlusses entschieden in Abrede gestellt werden; es bleibt aber wohl möglich, daß Caesar die Erlassung eines solchen beabsichtigt hat. Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, 1106.

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Staatsrechtlich lehnte das neue Imperatorenamt sich an an die Stellung, welche die Konsuln oder Prokonsuln außerhalb der Bannmeile einnahmen, so daß zunächst das militärische Kommando, daneben aber auch die höchste richterliche und folgeweise auch die administrative Gewalt darin enthalten war ^10. Insofern aber war die Gewalt des Imperators qualitativ der konsularisch-prokonsularischen überlegen, als jene nicht nach Zeit und Raum begrenzt, sondern lebenslänglich und auch in der Hauptstadt wirksam war ^11, als der Imperator nicht, wohl aber der Konsul, durch gleich mächtige Kollegen gehemmt werden konnte und als alle im Laufe der Zeit der ursprünglicher. höchsten Amtsgewalt gesetzten Beschränkungen, namentlich die Verpflichtung der Provokation stattzugeben und die Ratschläge des Senats zu beachten, für den Imperator wegfielen. Um es mit einem Worte zu sagen: dies neue Imperatorenamt war nichts anderes als das wiederhergestellte uralte Königtum; denn ebenjene Beschränkungen in der zeitlichen und örtlichen Begrenzung der Gewalt, in der Kollegialität und der für gewisse Fälle notwendigen Mitwirkung des Rats oder der Gemeinde waren es ja, die den Konsul vom König unterschieden. Es ist kaum ein Zug der neuen Monarchie, der nicht in der alten sich wiederfände: die Vereinigung der höchsten militärischen, richterlichen und administrativen Gewalt in der Hand des Fürsten; eine religiöse Vorstandschaft über das Gemeinwesen; das Recht, Verordnungen mit bindender Kraft zu erlassen; die Herabdrückung des Senats zum Staatsrat; die Wiedererweckung des Patriziats und der Stadtpräfektur. Aber schlagender noch als diese Analogien ist die innere Gleichartigkeit der Monarchie des Servius Tullius und der Monarchie Caesars: wenn jene alten Könige vor. Rom bei all ihrer Vollgewalt doch Herrn einer freien Gemeinde und eben sie die Schutzmänner des gemeinen Mannes gegen den Adel gewesen waren, so war auch Caesar nicht gekommen, um die Freiheit aufzulösen, sondern um sie zu erfüllen, und zunächst, um das unerträgliche Joch der Aristokratie zu brechen. Es darf auch nicht befremden, daß Caesar, nichts weniger als ein politischer Antiquarius, ein halbes Jahrtausend zurückgriff, um zu seinem neuen Staat das Muster zu finden; denn da das höchste Amt des römischen Gemeinwesens zu allen Zeiten ein durch eine Anzahl Spezialgesetze eingeschränktes Königtum geblieben war, war auch der Begriff des Königtums selbst keineswegs verschollen. Zu den verschiedensten Zeiten und von sehr verschiedenen Seiten her, in der Dezemviralgewalt, in der Sullanischen und in seiner eigenen Diktatur, war man während der Republik praktisch auf denselben zurückgekommen; ja mit einer gewissen logischen Notwendigkeit trat überall, wo das Bedürfnis einer Ausnahmegewalt .sich zeigte, im Gegensatz gegen das gewöhnliche beschränkte das unbeschränkte Imperium hervor, welches eben nichts anderes war als die königliche Gewalt. Endlich empfahlen auch äußere Rücksichten dies Zurückgehen auf das ehemalige Königtum. Die Menschheit gelangt zu Neuschöpfungen unsäglich schwer und hegt darum die einmal entwickelten Formen als ein heiliges Erbstück. Darum knüpfte Caesar mit gutem Bedacht an Servius Tullius in ähnlicher Weise an, wie später Karl der Große an ihn angeknüpft hat und Napoleon an Karl den Großen wenigstens anzuknüpfen versuchte. Er tat dies auch nicht etwa auf Umwegen und heimlich, sondern so gut wie seine Nachfahren in möglichst offenkundiger Weise; es war ja eben der Zweck dieser Anknüpfung, eine klare, nationale und populäre Formulierung für den neuen Staat zu finden. Seit alter Zeit standen auf dem Kapitol die Standbilder derjenigen sieben Könige, welche die konventionelle Geschichte Roms aufzuführen pflegte; Caesar befahl, daneben das seinige als das achte zu errichten. Er erschien öffentlich in der Tracht der alten Könige von Alba. In seinem neuen Gesetz über politische Verbrechen war die hauptsächlichste Abweichung von dem Sullanischen die, daß neben die Volksgemeinde und auf eine Linie mit ihr der Imperator als der lebendige und persönliche Ausdruck des Volkes gestellt ward. In der für die politischen Eide üblichen Formel ward zu dem Jovis und den Penaten des römischen Volkes der Genius des Imperator hinzugefügt. Das äußere Kennzeichen der Monarchie war nach der im ganzen Altertum verbreiteten Ansicht das Bild des Monarchen auf den Münzen: seit dem Jahre 710 (44) erscheint auf denen des römischen Staats der Kopf Caesars. Man konnte hiernach wenigstens darüber sich nicht beschweren, daß Caesar das Publikum über die Auffassung seiner Stellung im dunkeln ließ; so bestimmt und so förmlich wie möglich trat er auf, nicht bloß als Monarch, sondern eben als König von Rom. Möglich ist es sogar, obwohl nicht gerade wahrscheinlich und auf jeden Fall von untergeordneter Bedeutung, daß er im Sinne gehabt hat, seine Amtsgewalt nicht mit dem neuen Imperatoren-, sondern geradezu mit dem alten Königsnamen zu bezeichnen ^12. Schon bei seinen Lebzeiten waren viele seiner Feinde wie seine Freunde der Ansicht, daß er beabsichtige, sich ausdrücklich zum König von Rom ernennen zu lassen; ja einzelne seiner leidenschaftlichsten Anhänger legten ihm die Aufsetzung der Krone auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeiten nahe; am auffallendsten Marcus Antonius, indem er als Konsul vor allem Volke Caesar das Diadem darbot (15. Februar 710 44). Caesar aber wies diese Anträge ohne Ausnahme von der Hand. Wenn er zugleich gegen diejenigen einschritt, die diese Vorfälle benutzten, um republikanische Opposition zu machen, so folgt daraus noch keineswegs, daß es ihm mit der Zurückweisung nicht Ernst war. Die Annahme nun gar, daß diese Aufforderungen auf sein Geheiß erfolgt seien, um die Menge auf das ungewohnte Schauspiel des römischen Diadems vorzubereiten, verkennt völlig die gewaltige Macht der Gesinnungsopposition, mit welcher Caesar zu rechnen hatte und die durch eine solche öffentliche Anerkennung ihrer Berechtigung von Seiten Caesars selbst nicht nachgiebiger werden konnte, vielmehr notwendig dadurch weiteren Boden gewann. Es kann der unberufene Eifer leidenschaftlicher Anhänger allein diese Auftritte veranlaßt haben; es kann auch sein, daß Caesar die Szene mit Antonius nur zuließ oder auch veranstaltete, um durch die vor den Augen der Bürgerschaft erfolgte und auf seinen Befehl selbst in die Kalender des Staats eingetragene, in der Tat nicht wohl wieder zurückzunehmende Ablehnung des Königstitels dem unbequemen Klatsch auf möglichst eklatante Weise ein Ende zu machen. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Caesar, der den Wert einer geläufigen Formulierung ebenso würdigte wie die mehr an die Namen als an das Wesen der Dinge sich heftenden Antipathien der Menge, entschlossen war, den mit uraltem Bannfluch behafteten und den Römern seiner Zeit mehr noch für die Despoten des Orients als für ihren Numa und Servius geläufigen Königsnamen zu vermeiden und das Wesen des Königtums unter dem Imperatorentitel sich anzueignen.

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^10 Die verbreitete Meinung, die in dem kaiserlichen Imperatorenamt nichts als die lebenslängliche Reichsfeldherrnwürde sieht, wird weder durch die Bedeutung des Wortes noch durch die Auffassung der alten Berichterstatter gerechtfertigt. Imperium ist die Befehlsgewalt, imperator der Inhaber derselben; in diesen Worten wie in den entsprechenden griechischen Ausdrucken κράτωρ, αυτοκράτωρ liegt so wenig eine spezifisch militärische Beziehung, daß es vielmehr eben das Charakteristische der römischen Amtsgewalt ist, wo sie rein und vollständig auftritt, Krieg und Prozeß, das ist die militärische und die bürgerliche Befehlsgewalt, als ein untrennbares Ganze in sich zu enthalten. Ganz richtig sagt Dio Cassius (53, 17, vgl. 43, 44; 52, 41), daß der Name Imperator von den Kaisern angenommen ward “zur Anzeige ihrer Vollgewalt anstatt des Königs- und Diktaturtitels (πρός δήλωσιν τής αυτοτελούς σφών εξουσίας, αντί τής τού βασιλέως τού τε δικτάτωρος επικλήσεως); denn diese älteren Titel sind dem Namen nach verschwunden, der Sache nach aber gibt der Imperatorname dieselben Befugnisse (τό δέ δή έργον αυτών τή τού αυτοκράτωρος προςηγορία βεβαισύνται), zum Beispiel das Recht, Soldaten auszuheben, Steuern; auszuschreiben, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, über Bürger und Nichtbürger in und außer der Stadt die höchste Gewalt zu üben und jeden an jedem Orte am Leben oder sonst zu strafen., überhaupt der mit dem höchsten Imperium in ältester Zeit verbundenen Befugnisse sich anzumaßen”. Deutlicher kann es wohl nicht gesagt werden, daß imperator eben gar nichts ist als ein Synonym für rex, so gut wie imperare mit regere zusammenfällt.

^11 Als Augustus bei Konstituierung des Prinzipats das Caesarische Imperium wiederaufnahm, geschah dies mit der Beschränkung, daß es räumlich und in gewissem Sinn auch zeitlich begrenzt sein solle; die prokonsularische Gewalt der Kaiser, welche nichts ist als ebendies Imperium, sollte für Rom und Italien nicht zur Anwendung kommen (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3, Aufl., S. 854j. Auf diesem Moment ruht der wesentliche Unterschied des Caesarischen Imperiums und des Augustfischen Prinzipats, sowie andererseits auf der schon prinzipiell und mehr noch praktisch unvollständigen Verwirklichung jener Schranke die reale Gleichheit beider Institutionen.

^12 Über diese Frage läßt sich streiten; dagegen muß die Annahme, daß es Caesars Absicht gewesen, die Römer als Imperator, die Nichtrömer als Rex zu beherrschen, einfach verworfen werden. Sie stützt sich einzig auf die Erzählung, daß in der Senatssitzung, in welcher Caesar ermordet ward, von einem der Orakelpriester Lucius Cotta ein Sibyllenspruch, wonach die Parther nur von einem “König” könnten überwunden werden, habe vorgelegt und infolgedessen der Beschluß gefaßt werden sollen, Caesar das Königtum über die römischen Provinzen zu übertragen. Diese Erzählung war allerdings schon unmittelbar nach Caesars Tod in Umlauf. Allein nicht bloß findet sie nirgends irgendwelche auch nur mittelbare Bestätigung, sondern sie wird von dem Zeitgenossen Cicero (div. 2, 54, 119) sogar ausdrücklich für falsch erklärt und von den späteren Geschichtschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur als ein Gerücht berichtet, das sie weit entfernt sind, verbürgen zu wollen; und sie wird denn auch dadurch nicht besser beglaubigt, daß Plutarch (Caes. 60, 64; Brut. 10) und Appian (civ. 2, 110) ihrer Gewohnheit gemäß jener anekdotenhaft, dieser pragmatisierend, sie wiederholen. Es ist diese Erzählung aber nicht bloß unbezeugt, sondern auch innerlich unmöglich. Wenn man auch davon absehen will, daß Caesar zu viel Geist und zu viel politischen Takt hatte, um nach Oligarchenart wichtige Staatsfragen durch einen Schlag mit der Orakelmaschine zu entscheiden, so konnte er doch nimmermehr daran denken, den Staat, den er nivellieren wollte, also förmlich und rechtlich zu spalten.

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Indes wie auch die definitive Titulatur gedacht gewesen sein mag, der Herr war da, und sogleich richtete denn auch der Hof in obligatem Pomp und obligater Geschmacklosigkeit und Leerheft sich ein. Caesar erschien öffentlich statt in dem mit Purpurstreifen verbrämten Gewande der Konsuln in dem ganzpurpurnen, das im Altertum als das Königskleid galt, und empfing, auf seinem Goldsessel sitzend, ohne sich von demselben zu erheben, den feierlichen Zug des Senats. Die Geburtstags-, Sieges- und Gelübdefeste zu seinen Ehren füllten den Kalender. Wenn Caesar nach der Hauptstadt kam, zogen die vornehmsten seiner Diener scharenweise auf weite Strecken ihm entgegen ihn einzuholen. Ihm nahe zu sein fing an so viel zu bedeuten, daß die Mietpreise in dem von ihm bewohnten Stadtviertel in die Höhe gingen. Durch die Menge der zur Audienz sich drängenden Personen ward die persönliche Verhandlung mit ihm so erschwert, daß Caesar sogar mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich zu verkehren sich genötigt sah und daß auch die Vornehmsten stundenlang im Vorzimmer zu warten hatten. Man empfand es, deutlicher als es Caesar selber lieb war, daß man nicht mehr zu einem Mitbürger kam. Es entstand ein monarchischer Adel, welcher in merkwürdiger Weise zugleich neu und alt war und aus dem Gedanken entsprang, den Adel der Oligarchie durch den des Königtums, die Nobilität durch das Patriziat in Schatten zu stellen. Noch immer bestand die Patrizierschaft, wenngleich ohne wesentliche ständische Vorrechte, doch als geschlossene Junkergilde fort; aber da sie keine neuen Geschlechter aufnehmen konnte, war sie im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zusammengestorben: nicht mehr als fünfzehn bis sechzehn Patriziergeschlechter waren zu Caesars Zeit noch vorhanden. Indem Caesar, selber einem derselben entsprossen, das Recht, neue patrizische Geschlechter zu kreieren, durch Volksbeschluß dem Imperator erteilen ließ, gründete er, im Gegensatz zu der republikanischen Nobilität, den neuen Adel des Patriziats, der alle Erfordernisse eines monarchischen Adels: altersgrauen Zauber, vollständige Abhängigkeit von der Regierung und gänzliche Bedeutungslosigkeit auf das glücklichste vereinigte. Nach allen Seiten hin offenbarte sich das neue Herrenrum.

Unter einem also tatsächlich unumschränkten Monarchen konnte kaum von einer Verfassung die Rede sein, geschweige denn von denn Fortbestand des bisherigen, auf dem gesetzlichen Zusammenwirken der Bürgerschaft, des Senats und der einzelner. Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit voller Bestimmtheit ging Caesar zurück auf die Überlieferung der Königszeit: die Bürgerschaftsversammlung blieb, was sie schon in der Königszeit gewesen war, neben und mit dem König der höchste und letzte Ausdruck des souveränen Volkswillens; der Senat ward wieder auf seine ursprüngliche Bestimmung zurückgeführt, dem Herrn auf dessen Verlangen Rat zu erteilen; der Herrscher endlich konzentrierte in seiner Person aufs neue die gesamte Beamtengewalt, so daß es einen anderen selbständigen Staatsbeamten neben ihm so wenig gab wie neben den Königen der ältesten Zeit.

Für die Gesetzgebung hielt der demokratische Monarch fest an dem uralten Satz des römischen Staatsrechts, daß nur die Volksgemeinde in Gemeinschaft mit dem sie berufenden König vermögend sei, das Gemeinwesen organisch zu regulieren, und sanktionierte seine konstitutiven Verfügungen regelmäßig durch Volksschluß. Die freie Kraft und die sittlich-staatliche Autorität, die das Ja oder Nein jener alten Wehrmannschaften in sich getragen hatte, ließ sich freilich den sogenannten Komitien dieser Zeit nicht wiedereinflößen; die Mitwirkung der Bürgerschaft bei der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung höchst beschränkt, aber wirklich und lebendig gewesen war, war in der neuen in praktischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Besonderer beschränkender Maßregeln gegen die Komitien bedurfte es darum auch nicht; eine vieljährige Erfahrung hatte gezeigt, daß mit diesem formellen Souverän jede Regierung, die Oligarchie wie der Monarch, bequem auskam. Nur insofern, als diese Caesarischen Komitien dazu dienten, die Volkssouveränität prinzipiell festzuhalten und energisch gegen den Sultanismus zu protestieren, waren sie ein wichtiges Moment in dem Caesarischen System und mittelbar von praktischer Bedeutung.

Daneben aber wurde, wie nicht bloß an sich klar, sondern auch bestimmt bezeugt ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von seinen Nachfolgern auch der andere Satz des ältesten Staatsrechts wieder aufgenommen, daß, was der höchste oder vielmehr einzige Beamte befiehlt, unbedingt Gültigkeit hat, solange er im Amte bleibt, und die Gesetzgebung zwar nur dem König und der Bürgerschaft gemeinschaftlich zukommt, die königliche Verordnung aber, wenigstens bis zum Abgang ihres Urhebers, dem Gesetz gleichsteht.

Wenn der Demokratenkönig also der Volksgemeinde wenigstens einen formellen Anteil an der Souveränität zugestand, so war es dagegen keineswegs seine Absicht, mit der bisherigen Regierung, dem Senatorenkollegium, die Gewalt zu teilen. Caesars Senat sollte - ganz anders als der spätere Augusteische - nichts sein als ein höchster Reichsrat, den er benutzte, um die Gesetze mit ihm vorzuberaten und die wichtigeren administrativer. Verfügungen durch ihn oder wenigstens unter seinem Namen zu erlassen, denn es kam freilich auch vor, daß Senatsbeschlüsse ergingen, von denen selbst von den als bei der Redaktion gegenwärtig aufgeführten Senatoren keiner eine Ahnung hatte. Es hatte keine wesentlichen Formschwierigkeiten, den Senat wieder auf seine ursprüngliche beratende Stellung zurückzuführen, aus der er mehr tatsächlich als rechtlich herausgetreten war; dagegen war es hier notwendig, sich vor praktischem Widerstand zu schützen, da der römische Senat ebenso der Herd der Opposition gegen Caesar war wie der attische Areopag derjenige gegen Perikles. Hauptsächlich aus diesem Grunde wurde die Zahl der Senatoren, die bisher höchstens sechshundert im Normalbestand betragen hatte und durch die letzten Krisen stark zusammengeschwunden war, durch außerordentliche Ergänzung bis auf neunhundert gebracht und zugleich, um sie mindestens auf dieser Höhe zu halten, die Zahl der jährlich zu ernennenden Quästoren, das heißt der jährlich in den Senat eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig erhöht ^13. Die außerordentliche Ergänzung des Senats nahm der Monarch allein vor. Bei der ordentlichen sicherte er einen dauernden Einfluß sich dadurch, daß die Wahlkollegien durch Gesetz ^14 verpflichtet wurden, den ersten zwanzig vom Monarchen mit Empfehlungsschreiben versehenen Bewerbern um die Quästur ihre Stimmen zu geben; überdies stand es der Krone frei, die an die Quästur oder ein derselben übergeordnetes Amt geknüpften Ehrenrechte, also namentlich den Sitz im Senat, ausnahmsweise auch an nichtqualifizierte Individuen zu vergeben. Die außerordentlichen Ergänzungswahlen fielen natürlich wesentlich auf Anhänger der neuen Ordnung der Dinge und brachten neben angesehenen Rittern auch manche zweifelhafte und plebejische Individuen in die hohe Korporation: ehemalige, durch den Zensor oder infolge eines Richterspruchs von der Liste gestrichene Senatoren, Ausländer aus Spanien und Gallien, welche zum Teil erst im Senat ihr Lateinisch zu lernen hatten, gewesene Unteroffiziere, die bisher nicht einmal den Ritterring gehabt, Söhne von freigelassenen Leuten oder von solchen, die unehrenhafte Gewerbe betrieben, und dergleichen Elemente mehr. Die exklusiven Kreise der Nobilität, denen diese Umgestaltung des senatorischen Personals natürlich zum bittersten Ärger gereichte, sahen darin eine absichtliche Herabwürdigung der Institution des Senats selbst. Einer solchen sich selber vernichtenden Staatskunst war Caesar nicht fähig; er war ebenso entschlossen, sich nicht von seinem Rat regieren zu lassen, als überzeugt von der Notwendigkeit des Instituts an sich. Richtiger hätten sie in diesem Verfahren die Absicht des Monarchen erkannt, dem Senat seinen bisherigen Charakter der ausschließlichen Repräsentation des oligarchischen Adels zu nehmen und ihn wieder zu dem zu machen, was er in der Königszeit gewesen war: zu einem alle Klassen der Staatsangehörigen durch ihre intelligentesten Elemente vertretenden und auch den niedrig geborenen und selbst den fremden Mann nicht mit Notwendigkeit ausschließenden Reichsrat - gerade wie jene ältesten Könige Nichtbürger, zog Caesar Nichtitaliker in seinen Senat.

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^13 Nach der früher angenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnung würde dies eine durchschnittliche Gesamtzahl von 1000-1200 Senatoren ergeben.

^14 Dasselbe bezog sich allerdings nur auf die Wahlen für das Jahr 711 (43) und 712 (42) (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 730); aber gewiß sollte die Einrichtung bleibend werden.

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Wenn hiermit das Regiment der Nobilität beseitigt und ihre Existenz untergraben, der Senat in seiner neuen Gestalt aber nichts als ein Werkzeug des Monarchen war, so wurde zugleich in der Verwaltung und Regierung des Staats die Autokratie in der schärfsten Weise durchgeführt und die gesamte Exekutive in der Hand des Monarchen vereinigt. Vor allen Dingen entschied natürlich in jeder irgend wesentlichen Frage der Imperator in eigener Person. Caesar hat es vermocht, das persönliche Regiment in einer Ausdehnung durchzuführen, die für uns geringe Menschen kaum faßlich ist und die doch nicht allein aus der beispiellosen Raschheit und Sicherheit seines Arbeitens sich erklärt, sondern außerdem noch begründet ist in einer allgemeineren Ursache. Wenn wir Caesar, Sulla, Gaius Gracchus, überhaupt die römischen Staatsmänner durchweg eine unsere Vorstellungen von menschlicher Arbeitskraft übersteigende Tätigkeit entwickeln sehen, so liegt die Ursache nicht in der seit jener Zeit veränderten Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit veränderten Organisation des Hauswesens. Das römische Haus war eine Maschine, in der dem Herrn auch die geistigen Kräfte seiner Sklaven und Freigelassenen zuwuchsen; ein Herr, der diese zu regieren verstand, arbeitete gleichsam mit unzähligen Geistern. Es war das Ideal bürokratischer Zentralisation, dem unser Kontorwesen zwar mit Eifer nachstrebt, aber doch hinter dem Urbild ebenso weit zurückbleibt wie die heutige Kapitalherrschaft hinter dem antiken Sklavensystem. Caesar verstand diesen Vorteil zu nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, sehen wir grundsätzlich, soweit irgend andere Rücksichten es gestatten, ihn denselben mit seinen Sklaven, Freigelassenen, niedrig geborenen Klienten besetzen. Seine Werke im ganzen zeigen, was ein organisierendes Genie wie das seinige mit einem solchen Werkzeug auszurichten vermochte; auf die Frage, wie im einzelnen diese wunderbaren Leistungen durchgeführt wurden, haben wir keine hinreichende Antwort - die Bürokratie gleicht der Fabrik auch darin, daß das geschaffene Werk nicht als das des einzelnen erscheint, der es gearbeitet hat, sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das ist vollkommen klar, daß Caesar durchaus keinen Gehilfen bei seinem Werke gehabt hat, der von persönlichem Einfluß auf dasselbe oder auch nur in den ganzen Plan eingeweiht gewesen wäre; er war nicht nur allein Meister, sondern er arbeitete auch ohne Gesellen, nur mit Handlangern.

Im einzelnen versteht sich von selbst, daß in den eigentlich politischen Angelegenheiten Caesar soweit irgend möglich jede Stellvertretung vermied. Wo sie unumgänglich war, wie denn Caesar namentlich während seiner häufigen Abwesenheit von Rom eines höheren Organs daselbst durchaus bedurfte, wurde in bezeichnender Weise hierzu nicht der legale Stellvertreter des Monarchen, der Stadtpräfekt, bestimmt, sondern ein Vertrauensmann ohne offiziell anerkannte Kompetenz, gewöhnlich Caesars Bankier, der kluge und geschmeidige phönikische Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Gades. In der Verwaltung war Caesar vor allem darauf bedacht, die Schlüssel der Staatskasse, die der Senat nach dem Sturze des Königtums sich zugeeignet und mittels deren er sich des Regiments bemächtigt hatte, wiederum an sich zu nehmen und sie nur solchen Dienern anzuvertrauen, die mit ihrem Kopfe unbedingt und ausschließlich ihm hafteten. Zwar dem Eigentum nach blieb das Privatvermögen des Monarchen von dem Staatsgut natürlich streng geschieden; aber die Verwaltung des ganzen Finanz- und Geldwesens des Staates nahm Caesar in die Hand und führte sie durchaus in der Art, wie er, und überhaupt die römischen Großen, die Verwaltung ihres eigenen Vermögens zu führen pflegten. Für die Zukunft wurden die Erhebung der Provinzialgefälle und in der Hauptsache auch die Leitung des Münzwesens den Sklaven und Freigelassenen des Imperators übertragen und die Männer senatorischen Standes davon ausgeschlossen - ein folgenreicher Schritt, aus dem im Laufe der Zeit der so wichtige Prokuratorenstand und das “kaiserliche Haus” sich entwickelt haben. Dagegen von den Statthalterschaften, die, nachdem sie ihre finanziellen Geschäfte an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer abgegeben, mehr noch als bisher wesentlich Militärkommandos waren, ging nur das ägyptische Kommando an die eigenen Leute des Monarchen über. Die in eigentümlicher Art geographisch isolierte und politisch zentralisierte Landschaft am Nil war, wie schon die während der letzten Krise mehrfach vorgekommenen Versuche bedrängter italischer Parteichefs, daselbst sich festzusetzen, hinreichend bewiesen, wie kein anderer Distrikt geeignet, unter einem fähigen Führer auf die Dauer sich von der Zentralgewalt loszumachen. Wahrscheinlich war es eben diese Rücksicht, die Caesar bestimmte, das Land nicht förmlich zur Provinz zu erklären, sondern die ungefährlichen Lagiden daselbst zu belassen; und sicher wurden aus diesem Grunde die in Ägypten stationierenden Legionen nicht einem dem Senat, das heißt der ehemaligen Regierung angehörigen Manne anvertraut, sondern dieses Kommando, ähnlich wie die Steuereinnehmerstellen, als ein Gesindeposten behandelt. Im allgemeinen aber überwog bei Caesar die Rücksicht, die Soldaten Roms nicht, wie die der Könige des Ostens, durch Lakaien kommandieren zu lassen. Es blieb Regel, die bedeutenderen Statthalterschaften mit gewesenen Konsuln, die geringeren mit gewesenen Prätoren zu besetzen; anstatt des fünfjährigen Zwischenraums, den das Gesetz von 702 (52) vorgeschrieben, knüpfte wahrscheinlich wieder in alter Weise der Anfang der Statthalterschaft unmittelbar an das Ende der städtischen Amtstätigkeit an. Dagegen die Verteilung der Provinzen unter die qualifizierten Kandidaten, die bisher bald durch Volks- oder Senatsbeschluß, bald durch Vereinbarung der Beamten oder durch das Los erfolgt war, ging über an den Monarchen; und indem die Konsuln häufig veranlaßt wurden, vor Ende des Jahres abzudanken und nachgewählten Konsuln (consules suffecti) Platz zu machen, ferner die Zahl der jährlich ernannten Prätoren von acht auf sechzehn erhöht und dem Imperator die Ernennung der Hälfte derselben in ähnlicher Art wie die der Hälfte der Quästoren übertragen ward, endlich demselben das Recht reserviert blieb, zwar nicht Titularkonsuln, aber doch Titularprätoren wie Titularquästoren zu ernennen, sicherte Caesar sich für die Besetzung der Statthalterschaften eine hinreichende Zahl ihm genehmer Kandidaten. Die Abberufung blieb natürlich dem Ermessen des Regenten anheimgestellt, ebenso wie die Ernennung; als Regel wurde angenommen, daß der konsularische Statthalter nicht über zwei, der prätorische nicht über ein Jahr in der Provinz bleiben solle. Was endlich die Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt anlangt, so beabsichtigte der Imperator eine Zeitlang offenbar, auch diese in ähnlicher Weise von ihm ernannten Beamten anzuvertrauen. Er rief die alte Stadtverweserschaft der Königszeit wieder ins Leben; zu verschiedenen Malen übertrug er während seiner Abwesenheit die Verwaltung der Hauptstadt einem oder mehreren solchen von ihm ohne Befragen des Volkes und auf unbestimmte Zeit ernannten Stellvertretern, welche die Geschäfte der sämtlichen Verwaltungsbeamten in sich vereinigten und sogar das Recht besaßen, mit eigenem Namen, obwohl natürlich nicht mit eigenem Bilde, Münze zu schlagen. In dem Jahre 707 (47) und in den ersten neun Monaten des Jahres 709 (45) gab es ferner weder Prätoren noch kurulische Ädilen noch Quästoren; auch die Konsuln wurden in jenem Jahre erst gegen das Ende ernannt, und in diesem war gar Caesar Konsul ohne Kollegen. Es sieht dies ganz aus wie ein Versuch, die alte königliche Gewalt auch innerhalb der Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische Vergangenheit des neuen Monarchen gebotenen Beschränkungen, vollständig zu erneuern, also von Beamten, außer dem König selbst, nur den Stadtpräfekten während des Königs Abwesenheit und die zum Schutz der Volksfreiheit bestellten Tribunen und Volksädilen bestehen zu lassen, aber das Konsulat, die Zensur, die Prätur, die kurulische Ädilität und die Quästur wiederabzuschaffen ^15. Indes ging Caesar hiervon später wieder ab: weder nahm er selbst den Königstitel an, noch tilgte er jene ehrwürdigen, mit der glorreichen Geschichte der Republik verwachsenen Namen. Den Konsuln, Prätoren, Ädilen, Tribunen und Quästoren blieb im wesentlichen ihre bisherige formelle Kompetenz, allein ihre Stellung ward dennoch gänzlich umgewandelt. Es war der politische Grundgedanke der Republik, daß das Römische Reich in der Stadt Rom aufgehe, und deshalb waren konsequent die hauptstädtischen Munizipal- durchaus als Reichsbeamte behandelt worden. In Caesars Monarchie fiel mit jener Auffassung auch diese Folge weg; die Beamten Roms bildeten fortan nur die erste unter den vielen Reichsmunizipalitäten, und namentlich das Konsulat ward ein reiner Titularposten, der nur durch die daran geknüpfte Expektanz einer höheren Statthalterschaft eine gewisse praktische Bedeutung bewahrte. Das Schicksal, das die römische Gemeinde den unterworfenen zu bereiten gewohnt gewesen, widerfuhr durch Caesar ihr selber: ihre Souveränität über das Römische Reich verwandelte sich in eine beschränkte Kommunalfreiheit innerhalb des römischen Staates. Daß zugleich die Zahl der Prätoren und Quästoren verdoppelt ward, wurde schon erwähnt; das gleiche geschah hinsichtlich der Volksädilen, zu denen zwei neue “Getreideädilen” (aediles Ceriales) zur Überwachung der hauptstädtischen Zufuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Ämter blieb der Gemeinde und ward hinsichtlich der Konsuln, vielleicht auch der Volkstribune und der Volksädilen, nicht beschränkt; daß für die Hälfte der jährlich zu ernennenden Prätoren, kurulischen Ädilen und Quästoren der Imperator ein die Wähler bindendes Vorschlagsrecht erhielt, ward in der Hauptsache schon erwähnt. Überhaupt wurden die altheiligen Palladien der Volksfreiheit nicht angetastet; was natürlich nicht hinderte, gegen den einzelnen aufsätzigen Volkstribun ernstlich einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der Senatoren zu streichen. Indem also der Imperator für die allgemeineren und wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; indem er die Finanzen durch seine Bedienten, das Heer durch seine Adjutanten beherrschte; indem die alten republikanischen Staatsämter wieder in Gemeindeämter der Stadt Rom umgewandelt waren, war die Autokratie hinreichend begründet.

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^15 Daher denn auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwähnung dieser Ämter in Caesars Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae populi censum aget (Lex Iul. munic., Z. 144); praetor isve quei Romae iure deicundo praerit (Lex Rubr. oft); quaestor urbanes queive aerario praerit (Lex Iul. munic., Z. 37 u. ö.).

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In der geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl er auch über diesen Teil des Staatshaushalts ein ausführliches Gesetz erließ, nichts Wesentliches geneuert, außer daß er das Oberpontifikat und vielleicht die Mitgliedschaft der höheren Priesterkollegien überhaupt mit der Person des Regenten verknüpfte; womit es teilweise zusammenhängt, daß in den drei höchsten Kollegien je eine, in dem vierten der Schmausherren drei neue Stellen geschaffen wurden. Hatte die römische Staatskirche bisher der herrschenden Oligarchie zur Stütze gedient, so konnte sie ebendenselben Dienst auch der neuen Monarchie leisten. Die konservative Religionspolitik des Senats ging über auf die neuen Könige von Rom; als der streng konservative Varro um diese Zeit seine ‘Altertümer der göttlichen Dinge’, das Haupt- und Grundbuch der römischen Staatstheologie, bekannt machte, durfte er dieselben dem Oberpontifex Caesar zueignen. Der matte Glanz, den der Joviskult noch zu geben vermochte, umfloß den neugegründeten Thron, und der alte Landesglaube ward in seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freilich von Haus aus hohlen und schwächlichen Caesaropapismus.

Im Gerichtswesen ward zunächst die alte königliche Gerichtsbarkeit wiederhergestellt. Wie der König ursprünglich in Kriminal- und Zivilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Überweisung der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworene rechtlich gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch, Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgültiger Entscheidung an sich zu ziehen und sie im Falle seiner Anwesenheit selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu erledigen. In der Tat finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten Könige, teils öffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht sitzen über des Hochverrats angeklagte römische Bürger, teils in seinem Hause Gericht halten über die des gleichen Vergehens beschuldigten Klientelfürsten; so daß das Vorrecht, das die römischen Bürger vor den übrigen Untertanen des Königs voraus hatten, allein in der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung bestanden zu haben scheint. Indes dieses wiedererweckte königliche Oberrichtertum konnte, wenngleich Caesar mit Unparteilichkeit und Sorgfalt sich demselben unterzog, doch der Natur der Sache nach tatsächlich nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Für den gewöhnlichen Rechtsgang in Kriminal- und Zivilsachen blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege im wesentlichen bestehen. Die Kriminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den verschiedener, für die einzelnen Verbrechen kompetenten Geschworenenkommissionen, die Zivilsachen teils vor dem Erbschafts- oder dem sogenannten “Hundertmännergericht”, teils vor den Einzelgeschworenen; die Leitung der Gerichte ward, wie bisher, in der Hauptstadt hauptsächlich von den Prätoren, in den Provinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Verbrechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschworenenkommission überwiesen; die neue Ordnung, die Caesar für dieselbe erließ, spezifizierte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau und in liberaler, jede Gesinnungsverfolgung ausschließender Weise und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung. Hinsichtlich der Auswahl der Geschworenen, die die Senatorenpartei ausschließlich aus dem Senat, die strengen Gracchaner ausschließlich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, ließ Caesar, getreu dem Grundsatz der Versöhnung der Parteien, es bei dem Transaktionsgesetze Cottas, jedoch mit der wahrscheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom Jahre 699 (55) vorbereiteten Modifikation, daß die aus den unteren Schichten des Volkes hervorgegangenen Ärartribunen beseitigt, damit also ein Geschworenenzensus von mindestens 400000 Sesterzen (30000 Taler) festgesetzt ward, und Senatoren und Ritter in die Geschworenenfunktionen, die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt sich teilten.

Das Verhältnis der königlichen und der republikanischen Gerichtsbarkeit war im ganzen konkurrierender Art, so daß jede Sache sowohl vor dem Königsgericht als vor dem beikommenden republikanischen Gerichtshof anhängig gemacht werden konnte, wobei im Kollisionsfall natürlich der letztere zurückstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den Spruch gefällt hatte, die Sache damit endgültig erledigt war.

Zur Umstoßung eines in einer Zivil- oder in einer Kriminalsache von den berufenen Geschworenen gefällten Verdikts war auch der neue Herrscher nicht befugt, ausgenommen wo besondere Momente, zum Beispiel Bestechung oder Gewalt, schon nach dem Recht der Republik die Kassation des Geschworenenspruchs herbeiführten. Dagegen erhielt der Satz, daß wegen eines jeden bloß magistratischen Dekrets der dadurch Beschwerte an den Vorgesetzten des Dezernenten zu appellieren befugt sei, wahrscheinlich schon jetzt die große Ausdehnung, aus der die spätere kaiserliche Appellationsinstanz hervorgegangen ist: es wurden vielleicht sämtliche rechtsprechende Magistrate, mindestens aber die Statthalter der sämtlichen Provinzen insofern als Unterbeamte des Herrschers angesehen, daß von jedem ihrer Dekrete Berufung an denselben eingelegt werden konnte.

Allerdings haben diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Generalisierung der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen die römische Rechtspflege daniederlag, keineswegs ausgeheilt. Der Kriminalprozeß kann in keinem Sklavenstaat gesund sein, da das Verfahren gegen Sklaven wenn nicht rechtlich, doch tatsächlich in der Hand des Herrn liegt. Der römische Herr ahndete begreiflicherweise das Verbrechen seines Knechts durchgängig nicht als solches, sondern nur insofern es den Sklaven ihm unbrauchbar oder unangenehm machte; die Verbrechersklaven wurden eben nur ausrangiert, etwa wie die stößigen Ochsen, und, wie diese an den Schlächter, so jene in die Fechtbude verkauft. Aber auch der Kriminalprozeß gegen Freie, der von Haus aus politischer Prozeß gewesen und zum guten Teil immer geblieben war, hatte in dem wüsten Treiben der letzten Generationen aus einem ernstlichen Rechtshandel sich umgewandelt in eine mit Gunst, Geld und Gewalt zu schlagende Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen Beteiligten zugleich, an den Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem Zuschauerpublikum; aber die unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte das Treiben der Advokaten. Indem die Schmarotzerpflanze der römischen Advokatenberedsamkeit gedieh, wurden alle positiven Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publikum so schwer einleuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der römischen Kriminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. “Ein recht schlechter Angeklagter”, sagt ein vielerfahrener römischer Advokat dieser Zeit, “kann auf jedes beliebige Verbrechen, das er begangen oder nicht begangen hat, angeklagt werden und wird sicher verurteilt.” Es sind aus dieser Epoche zahlreiche Plädoyers in Kriminalsachen erhalten; kaum eines ist darunter, das auch nur ernstlich versuchte, das fragliche Verbrechen zu fixieren und den Beweis oder Gegenbeweis zu formulieren ^16. Daß der gleichzeitige Zivilprozeß ebenfalls vielfach ungesund war, bedarf kaum der Erwähnung; auch er litt unter den Folgen der in alles sich mengenden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem Prozeß des Publius Quinctius (671-673 83-81) die widersprechendsten Entscheidungen fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand hatte; und die Anwälte, häufig Nichtjuristen, stifteten auch hier absichtlich und unabsichtlich Verwirrung genug. Aber es lag doch in der Natur der Sache, daß teils die Partei hier nur ausnahmsweise sich einmengte, teils die Advokatenrabulistik nicht so rasch und nicht so tief die Rechtsbegriffe aufzulösen vermochte; wie denn auch die Zivilplädoyers, die wir aus dieser Epoche besitzen, zwar nicht nach unseren strengeren Begriffen gute Advokatenschriften, aber doch weit weniger libellistischen und weit mehr juristischen Inhalts sind als die gleichzeitigen Kriminalreden. Wenn Caesar der Advokatenberedsamkeit den von Pompeius ihr angelegten Maulkorb ließ oder gar ihn noch verschärfte, war damit wenigstens nichts verloren; und viel war gewonnen, wenn besser gewählte und besser beaufsichtigte Beamte und Geschworene ernannt wurden und die handgreifliche Bestechung und Einschüchterung der Gerichte ein Ende nahm. Aber das heilige Rechtsgefühl und die Ehrfurcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemütern der Menge zu zerrütten, sind schwerer noch wiederzuerzeugen. Wie auch der Gesetzgeber mannigfaltigen Mißbrauch abstellte, den Grundschaden vermochte er nicht zu heilen; und man durfte zweifeln, ob die Zeit, die alles Heilbare heilt, hier Hilfe bringen werde.

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^16 “Weit öfter”, sagt Cicero in seiner Anweisung zur Redekunst (De orat. 2, 42, 178), zunächst in Beziehung auf den Kriminalprozeß, “bestimmen Abneigung oder Zuneigung oder Parteilichkeit oder Erbitterung oder Schmerz oder Freude oder Hoffnung oder Furcht oder Täuschung oder überhaupt eine Leidenschaft den Wahrspruch der Leute als der Beweis oder die Vorschrift oder eine Rechtsregel oder die Prozeßinstruktion oder die Gesetze.” Darauf wird denn die weitere Unterweisung für den angehenden Sachwalter begründet.

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Das römische Heerwesen dieser Zeit war ungefähr in derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen sendeten nur noch die Offiziere; die Untertanenschaft, Plebejer und Provinzialen, bildeten das Heer. Der Feldherr war von der Zentralregierung finanziell und militärisch fast unabhängig und im Glück wie im Unglück wesentlich auf sich selbst und auf die Hilfsquellen seines Sprengels angewiesen. Bürger- und sogar Nationalsinn waren aus dem Heere verschwunden und als innerliches Band einzig der Korpsgeist übriggeblieben. Die Armee hatte aufgehört ein Werkzeug des Gemeinwesens zu sein; politisch hatte sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber vermochte sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militärisch sank sie unter den gewöhnlichen elenden Führern zu einer aufgelösten, unbrauchbaren Rotte herab, entwickelte aber auch unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Bürgerheer unerreichbaren militärischen Vollkommenheit. Der Offiziersstand vor allem war im tiefsten Verfall. Die höheren Stände, Senatoren und Ritter entwöhnten immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher und schon mußten manche dieser Posten mit Männern niedrigeren Standes besetzt werden; wer aber überhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte wenigstens seine Dienstzeit in Sizilien oder einer anderen Provinz abzutun, wo man sicher war, nicht vor den Feind zu kommen. Offiziere von gewöhnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius seine Zeitgenossen eine sie in jeder Hinsicht kompromittierende militärische Vergötterung trieben. Zum Ausreißen wie zur Meuterei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der sträflichen Nachsicht der Kommandierenden waren Anträge auf Kassation vornehmer Offiziere alltägliche Vorfälle. Noch besitzen wir das von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und geweint und an Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von den besseren Ständen keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch, allein die Aushebung erfolgte, wenn es neben der Anwerbung dazu kam, in regelloser Weise; zahlreiche Pflichtige wurden übergangen und die einmal Eingetretenen dreißig Jahre und länger bei den Adlern festgehalten. Die römische Bürgerreiterei vegetierte nur noch als eine Art berittener Nobelgarde, deren salbenduftende Kavaliere und ausgesuchte Luxuspferde einzig bei den hauptstädtischen Festen eine Rolle spielten; das sogenannte Bürgerfußvolk war eine aus den niedrigsten Schichten der Bürgerbevölkerung zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Untertanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen ausschließlich und fingen an, auch im Fußvolk immer stärker mitverwendet zu werden. Die Rottenführerstellen in den Legionen, auf denen bei der damaligen Kriegführung die Tüchtigkeit der Abteilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wurden jetzt nicht bloß regelmäßig nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirtschaft der Regierung und der Feilheit und Betrügerei der großen Majorität der Beamten höchst mangelhaft und unregelmäßig.

Die notwendige Folge hiervon war, daß im gewöhnlichen Laufe der Dinge die römischen Armeen die Provinzen ausraubten, gegen die Offiziere meuterten und vor dem Feinde davonliefen; es kam vor, daß beträchtliche Heere, wie das makedonische des Piso im Jahre 697 (57), ohne eigentliche Niederlage, bloß durch diese Mißwirtschaft vollständig ruiniert wurden. Fähige Führer dagegen, wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhandenen Material tüchtige und schlagfertige, zum Teil musterhafte Armeen; allein es gehörten diese Armeen viel mehr ihrem Heerführer als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollständigere Verfall der römischen Marine, die zu allem andern den Römern antipathisch geblieben und nie völlig nationalisiert worden war, bedarf kaum der Erwähnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruiniert worden, was überhaupt ruiniert werden konnte.

Caesars Reorganisation des römischen Militärwesens beschränkte sich im wesentlichen darauf, die unter der bisherigen schlaffen und unfähigen Oberleitung gelockerten Zügel der Disziplin wieder straff und fest anzuziehen. Einer radikalen Reform schien ihm das römische Heerwesen entweder nicht bedürftig oder auch nicht fähig; die Elemente der Armee akzeptierte er, ebenwie Hannibal sie akzeptiert hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeordnung, daß, um vor dem dreißigsten Jahre ein Gemeindeamt zu bekleiden oder im Gemeinderat zu sitzen, ein dreijähriger Dienst zu Pferde - das heißt als Offizier - oder ein sechsjähriger zu Fuß erforderlich sei, beweist wohl, daß er die besseren Stände in das Heer zu ziehen wünschte, aber ebenso deutlich auch, daß bei dem immer mehr einreißenden unkriegerischen Geist der Nation er selbst es nicht mehr für möglich hielt, die Bekleidung eines Ehrenamtes an die Überstehung der Dienstzeit unbedingt wie ehedem zu knüpfen. Ebendaraus wird es sich erklären, daß Caesar keinen Versuch gemacht hat, die römische Bürgerreiterei wiederherzustellen. Die Aushebung ward besser geordnet, die Dienstzeit geregelt und abgekürzt; übrigens blieb es dabei, daß die Linieninfanterie vorwiegend aus den niederen Ständen der römischen Bürgerschaft, die Reiterei und die leichte Infanterie aus der Untertanenschaft ausgehoben ward - daß für die Reorganisation der Kriegsflotte nichts geschah, ist auffallend. Eine ohne Zweifel ihrem Urheber selbst bedenkliche Neuerung, zu der die Unzuverlässigkeit der Untertanenreiterei zwang, war es, daß Caesar zuerst von dem altrömischen System abwich, niemals mit Söldnern zu fechten, und in die Reiterei gemietete Ausländer, namentlich Deutsche, einstellte. Eine andere Neuerung war die Einsetzung der Legionsadjutanten (legati legionis). Bis dahin hatten die teils von der Bürgerschaft, teils von dem betreffenden Statthalter ernannten Kriegstribune in der Art die Legionen geführt, daß jeder derselben je sechs vorgesetzt waren und unter diesen das Kommando wechselte; einen Einzelkommandanten der Legion bestellte nur vorübergehend und außerordentlicherweise der Feldherr. In späterer Zeit dagegen erscheinen jene Legionsobersten oder Legionsadjutanten teils als eine bleibende und organische Institution, teils als ernannt nicht mehr von dem Statthalter, dem sie gehorchen, sondern von dem Oberkommando in Rom; beides scheint auf Caesars an das Gabinische Gesetz anknüpfende Einrichtungen zurückzugehen. Der Grund der Einführung dieser wichtigen Zwischenstufe in die militärische Hierarchie wird teils in dem Bedürfnis einer energischen Zentralisierung des Kommandos, teils in dem fühlbaren Mangel an fähigen Oberoffizieren, teils und vor allem in der Absicht zu suchen sein, durch Zuordnung eines oder mehrerer vom Imperator ernannten Obersten dem Statthalter ein Gegengewicht zu geben. Die wesentlichste Veränderung im Heerwesen bestand in der Aufstellung eines bleibenden Kriegshauptes in dem Imperator, welcher anstatt des bisherigen unmilitärischen und in jeder Beziehung unfähigen Regierungskollegiums das gesamte Armeeregiment in seinen Händen vereinigte und dasselbe also aus einer meist bloß nominellen Direktion in ein wirkliches und energisches Oberkommando umschuf. Wir sind nicht gehörig darüber unterrichtet, in welcher Weise dies Oberkommando sich zu den bis dahin in ihren Sprengeln allmächtigen Spezialkommandos stellte. Wahrscheinlich lag dabei im allgemeinen die Analogie des zwischen dem Prätor und dem Konsul oder auch dem Konsul und dem Diktator obwaltenden Verhältnisses zu Grunde, so daß der Statthalter zwar an sich die höchste militärische Gewalt in seinem Sprengel behielt, aber der Imperator in jedem Augenblick dieselbe ihm ab und sie für sich oder seine Beauftragten zu nehmen befugt war und daß, während die Gewalt des Statthalters auf den Sprengel beschränkt war, die des Imperators wieder, wie die königliche und die ältere konsularische, sich über das gesamte Reich erstreckte. Ferner ist höchst wahrscheinlich schon jetzt die Ernennung der Offiziere, sowohl der Kriegstribune als der Centurionen, soweit sie bisher dem Statthalter zugestanden ^17, ebenso wie die Ernennung der neuen Legionsadjutanten unmittelbar an den Imperator gekommen und ebenso mögen schon jetzt die Anordnung der Aushebungen, die Abschiedserteilung, die wichtigeren Kriminalfälle an das Oberkommando gezogen worden sein. Bei dieser Beschränkung der Kompetenz der Statthalter und bei der regulierten Kontrolle des Imperators war fernerhin nicht leicht, weder eine völlige Verwahrlosung der Armeen noch eine Umwandlung derselben in persönliche Gefolgschaften der einzelnen Offiziere zu befürchten. Indes, so entschieden auch die Verhältnisse zur Militärmonarchie hindrängten und so bestimmt Caesar das Oberkommando ausschließlich für sich nahm, war er dennoch keineswegs gesonnen, seine Gewalt durch und auf das Heer zu begründen. Er hielt zwar eine stehende Armee notwendig für seinen Staat, aber nur, weil derselbe seiner geographischen Lage nach einer umfassenden Grenzregulierung und stehender Grenzbesatzungen bedurfte. Teils in früheren Epochen, teils während des letzten Bürgerkrieges hatte er an Spaniens Befriedigung gearbeitet und in Afrika längs der großen Wüste, im Nordwesten des Reiches an der Rheinlinie feste Stellungen für die Grenzverteidigung eingerichtet. Mit ähnlichen Plänen beschäftigte er sich für die Landschaften am Euphrat und an der Donau. Vor allen Dingen gedachte er gegen die Parther zu ziehen und den Tag von Karrhä zu rächen; er hatte drei Jahre für diesen Krieg bestimmt und war entschlossen, mit diesen gefährlichen Feinden ein für allemal und ebenso vorsichtig wie gründlich abzurechnen. Ebenso hatte er den Plan entworfen, den zu beiden Seiten der Donau gewaltig um sich greifenden Getenkönig Burebistas anzugreifen und auch im Nordosten Italien durch ähnliche Marken zu schützen, wie er sie ihm im Keltenland geschaffen. Dagegen liegen durchaus keine Beweise dafür vor, daß Caesar gleich Alexander einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte; es wird wohl erzählt, daß er von Parthien aus an das Kaspische und von diesem an das Schwarze Meer, sodann an dem Nordufer desselben bis zur Donau zu ziehen, ganz Skythien und Germanien bis an den - nach damaliger Vorstellung vom Mittelmeer nicht allzu fernen - nördlichen Ozean zum Reiche zu bringen und durch Gallien heimzukehren beabsichtigt habe; allein keine irgend glaubwürdige Autorität verbürgt die Existenz dieser fabulosen Projekte. Bei einem Staat, der, wie der römische Caesars, bereits eine schwer zu bewältigende Masse barbarischer Elemente in sich schloß und mit deren Assimilierung noch auf Jahrhunderte hinaus mehr als genug zu tun hatte, wären solche Eroberungen, auch ihre militärische Ausführbarkeit angenommen, doch nichts gewesen als noch weit glänzendere und noch weit schlimmere Fehler als die indische Heerfahrt Alexanders. Sowohl nach Caesars Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden, ist es in hohem Grade wahrscheinlich, daß Caesar, mit Scipio Aemilianus, die Götter nicht anrief, das Reich zu mehren, sondern es zu erhalten, und daß seine Eroberungspläne sich beschränkten auf eine, freilich nach seinem großartigen Maßstab bemessene, Grenzregulierung, welche die Euphratlinie sichern und anstatt der völlig schwankenden und militärisch nichtigen nordöstlichen Reichsgrenze die Donaulinie feststellen und verteidigungsfähig machen sollte. Indes wenn es nur wahrscheinlich bleibt, daß Caesar nicht in dem Sinne als Welteroberer bezeichnet werden darf wie Alexander und Napoleon, so ist das vollkommen gewiß, daß er seine neue Monarchie nicht zunächst auf die Armee zu stützen, überhaupt nicht die militärische Gewalt über die bürgerliche zu setzen, sondern sie dem bürgerlichen Gemeinwesen ein- und soweit möglich unterzuordnen gedachte. Die unschätzbaren Stützen eines Soldatenstaates, jene alten vielgefeierten gallischen Legionen, wurden eben wegen ihres mit einem bürgerlichen Gemeinwesen unverträglichen Korpsgeistes in ehrenvoller Weise annulliert und ihre ruhmvollen Namen pflanzten nur sich fort in neugegründeten städtischen Gemeinden. Die von Caesar bei der Entlassung mit Landlosen beschenkten Soldaten wurden nicht wie die Sullas in eigenen Kolonien gleichsam militärisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich soweit sie in Italien ansässig wurden, möglichst vereinzelt und durch die ganze Halbinsel zerstreut; nur war es freilich nicht zu vermeiden, daß auf den zur Verfügung gebliebenen Teilen des kampanischen Ackers die alten Soldaten Caesars dennoch in Masse sich zusammenfanden. Der schwierigen Aufgabe, die Soldaten einer stehenden Armee innerhalb der Kreise des bürgerlichen Lebens zu halten, suchte Caesar zu genügen teils durch Festhaltung der bisherigen nur gewisse Dienstjahre, nicht aber einen eigentlich stehenden, das heißt durch keine Entlassung unterbrochenen Dienst vorschreibenden Ordnung, teils durch die schon erwähnte Verkürzung der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des Soldatenpersonals herbeiführte, teils durch regelmäßige Ansiedlung der ausgedienten Soldaten als Ackerkolonisten, teils und vornehmlich dadurch, daß die Armee von Italien und überhaupt von den eigentlichen Sitzen des bürgerlichen und politischen Lebens der Nation ferngehalten und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er nach der Meinung des großen Königs allein an seinem Platze war: in die Grenzstationen zur Abwehr des auswärtigen Feindes. Das rechte Kriterium des Militärstaates, die Entwicklung und Bevorzugung der Gardetruppe, findet ebenfalls bei Caesar sich nicht. Obwohl in der aktiven Armee das Institut einer besonderen Leibwache des Feldherrn bereits seit langem bestand, so tritt diese doch in Caesars Heerführung vollständig in den Hintergrund; seine prätorische Kohorte scheint wesentlich nur aus Ordonnanzoffizieren oder nichtmilitärischen Begleitern bestanden zu haben und niemals ein eigentliches Elitenkorps, also auch niemals Gegenstand der Eifersucht der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn Caesar schon als Feldherr die Leibwache tatsächlich fallen ließ, so duldete er um so weniger als König eine Garde um sich. Obwohl beständig, und ihm wohl bewußt, von Mördern umschlichen, wies er dennoch den Antrag des Senats auf Errichtung einer Nobelgarde zurück, entließ, sowie die Dinge einigermaßen sich beruhigten, die spanische Eskorte, deren er in der ersten Zeit in der Hauptstadt sich bedient hatte, und begnügte sich mit dem Gefolge von Gerichtsdienern, wie es für die römischen Oberbeamten hergebracht war. Wie viel auch Caesar von dem Gedanken seiner Partei und seiner Jugend, ein perikleisches Regiment in Rom nicht kraft des Säbels, sondern kraft des Vertrauens der Nation zu begründen, im Kampfe mit den Realitäten hatte müssen fallen lassen - den Grundgedanken, keine Militärmonarchie zu stiften, hielt er auch jetzt noch mit einer Energie fest, zu der die Geschichte kaum eine Parallele darbietet. Allerdings war auch dies ein unausführbares Ideal - es war die einzige Illusion, in der das sehnsüchtige Verlangen in diesem starken Geiste mächtiger war als der klare Verstand. Ein Regiment, wie es Caesar im Sinne trug, war nicht bloß notwendig höchst persönlicher Natur und mußte mit dem Tode des Urhebers ebenso zugrunde gehen wie die verwandten Schöpfungen Perikles’ und Cromwells mit dem Tode ihrer Stifter; sondern bei dem tief zerrütteten Zustand der Nation war es nicht einmal glaublich, daß es dem achten König von Rom auch nur für seine Lebenszeit gelingen werde, so wie seine sieben Vorgänger seine Mitbürger bloß kraft Gesetz und Recht zu beherrschen, und ebensowenig wahrscheinlich, daß es ihm gelingen werde, das stehende Heer, nachdem es im letzten Bürgerkrieg seine Macht kennengelernt und die Scheu verlernt hatte, wieder als dienendes Glied in die bürgerliche Ordnung einzufügen. Wer kaltblütig erwog, bis zu welchem Grade die Furcht vor dem Gesetz aus den untersten wie aus den obersten Schichten der Gesellschaft entwichen war, dem mußte die erstere Hoffnung vielmehr ein Traum dünken; und wenn mit der Marianischen Reform des Heerwesens der Soldat überhaupt aufgehört hat, Bürger zu sein, so zeigten die kampanische Meuterei und das Schlachtfeld von Thapsus mit leidiger Deutlichkeit, in welcher Art jetzt die Armee dem Gesetze ihren Arm lieh. Selbst der große Demokrat vermochte die Gewalten, die er entfesselt hatte, nur mühsam und mangelhaft wieder zu bändigen; Tausende von Schwertern flogen noch auf seinen Wink aus der Scheide, aber zurück in die Scheide kehrten sie schon nicht mehr auf seinen Wink. Das Verhängnis ist mächtiger als das Genie. Caesar wollte der Wiederhersteller des bürgerlichen Gemeinwesens werden und ward der Gründer der von ihm verabscheuten Militärmonarchie; er stürzte den Aristokraten- und Bankierstaat im Staate nur, um an deren Platz den Soldatenstaat im Staate zu setzen, und das Gemeinwesen blieb wie bisher tyrannisiert und exploitiert von einer privilegierten Minorität. Aber dennoch ist es ein Privilegium der höchsten Naturen, also schöpferisch zu irren. Die genialen Versuche großer Männer, das Ideal zu realisieren, wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden den besten Schatz der Nationen. Es ist Caesars Werk, daß der römische Militärstaat erst nach mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward und daß die römischen Imperatoren, wie wenig sie sonst auch dem großen Begründer ihrer Herrschaft glichen, doch den Soldaten wesentlich nicht gegen den Bürger verwandten, sondern gegen den Feind, und Nation und Armee beide zu hoch achteten, um diese zum Konstabler über jene zu setzen.

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^17 An die Ernennung eines Teiles der Kriegstribune durch die Bürgerschaft hat Caesar, auch hierin Demokrat, nicht gerührt.

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Die Ordnung des Finanzwesens machte bei den soliden Grundlagen, die die ungeheure Größe des Reiches und der Ausschluß des Kreditsystems gewährten, verhältnismäßig geringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher in beständiger Finanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die Unzulänglichkeit der Staatseinnahmen am wenigsten schuld; vielmehr hatten diese eben in den letzten Jahren sich ungemein vermehrt. Zu der älteren Gesamteinnahme, die auf 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) angeschlagen wird, waren durch die Einrichtung der Provinzen Bithynien-Pontus und Syrien 85 Mill. Sesterzen (6500000 Taler) gekommen; welcher Zuwachs, nebst den sonstigen neueröffneten oder gesteigerten Einnahmequellen, namentlich durch den beständig steigenden Ertrag der Luxusabgaben, den Verlust der kampanischen Pachtgelder weit überwog. Außerdem waren durch Lucullus, Metellus, Pompeius, Cato und andere außerordentlicherweise dem Staatsschatz ungeheure Summen zugeflossen. Die Ursache der finanziellen Verlegenheiten lag vielmehr teils in den gesteigerten ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben, teils in der geschäftlichen Verwirrung. Unter jenen nahm die Getreideverteilung an die hauptstädtische Menge fast unerschwingliche Summen in Anspruch: durch die von Cato 691 (63) ihr gegebene Ausdehnung stieg die jährliche Ausgabe dafür auf 30 Mill. Sesterzen (2300000 Taler), und seit Abschaffung der bisher gezahlten Vergütung im Jahre 696 (58) verschlang dieselbe gar den fünften Teil der Staatseinkünfte. Auch das Militärbudget war gestiegen, seit zu den Besatzungen von Spanien, Makedonien und den übrigen Provinzen noch die von Kilikien, Syrien und Gallien hinzukamen. Unter den außerordentlichen Ausgaben sind in erster Linie die großen Kosten der Flottenrüstungen zu nennen, wofür zum Beispiel fünf Jahre nach der großen Razzia von 687 (67) auf einmal 34 Mill. Sesterzen (2600000 Taler) verausgabt wurden. Dazu kamen die sehr ansehnlichen Summen, welche die Kriegszüge und Kriegsvorbereitungen wegnahmen, wie denn bloß für Ausrüstung des makedonischen Heeres an Piso auf einmal 18 Mill. Sesterzen (1370000 Taler), an Pompeius für die Unterhaltung und Besoldung der spanischen Armee gar jährlich 24 Mill. Sesterzen (1826000 Taler) und ähnliche Summen an Caesar für die gallischen Legionen gezahlt wurden. So beträchtlich aber auch diese Ansprüche waren, die an die römische Staatskasse gemacht wurden, so hätte dennoch dieselbe ihnen zu genügen vermocht, wenn nicht ihre einst so musterhafte Verwaltung von der allgemeinen Schlaffheit und Unehrlichkeit dieser Zeit mitergriffen worden wäre; oft stockten die Zahlungen des Ärars bloß deshalb, weil man dessen ausstehende Forderungen einzumahnen versäumte. Die vorgesetzten Beamten, zwei von den Quästoren, junge, jährlich gewechselte Menschen, verhielten im besten Fall sich passiv; unter dem früherhin seiner Ehrenhaftigkeit wegen mit Recht hoch angesehenen Schreiber- und sonstigen Büropersonal waren jetzt, namentlich seit diese Posten käuflich geworden waren, die ärgsten Mißbräuche im Schwange.

Sowie indes die Fäden des römischen Staatsfinanzwesens nicht mehr wie bisher im Senat, sondern in Caesars Kabinett zusammenliefen, kam von selbst neues Leben, strengere Ordnung und festerer Zusammenhang in alle Räder und Triebfedern dieser großen Maschine. Die beiden von Gaius Gracchus herrührenden und Krebsschäden gleich das römische Finanzwesen zerfressenden Institutionen: die Verpachtung der direkten Abgaben und die Getreideverteilungen, wurden teils abgeschafft, teils umgestaltet. Caesar wollte nicht wie sein Vorläufer die Nobilität durch die Bankieraristokratie und den hauptstädtischen Pöbel in Schach halten, sondern sie beseitigen und das Gemeinwesen von sämtlichen Parasiten hohen und niederen Ranges befreien; und darum ging er in diesen beiden wichtigen Fragen nicht mit Gaius Gracchus, sondern mit dem Oligarchen Sulla. Das Verpachtungssystem blieb für die indirekten Abgaben bestehen, bei denen es uralt war und, bei der auch von Caesar unverbrüchlich festgehaltenen Maxime der römischen Finanzverwaltung, die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach und übersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt werden konnte. Die direkten Abgaben aber wurden fortan durchgängig entweder, wie die afrikanischen und sardinischen Korn- und Öllieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzuführende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefälle, in feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbeträge den Steuerdistrikten selbst überlassen. Die Kornverteilungen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herrschenden und, weil sie herrschte, von den Untertanen zu speisenden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht übersehen werden, daß eine Menge gänzlich unvermögender Bürger lediglich durch diese Speisungen vor dem Verhungern geschützt worden war. In diesem Sinne hielt Caesar dieselben fest. Hatte nach der Sempronischen, von Cato wiedererneuerten Ordnung jeder in Rom angesessene römische Bürger rechtlich Anspruch gehabt auf unentgeltliches Brotkorn, so wurde diese Empfängerliste, welche zuletzt bis auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000 herabgebracht und diese Zahl als Maximalzahl der Freikornstellen ein für allemal fixiert, zugleich eine jährliche Revision der Liste angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen Plätze mit den bedürftigsten unter den Bewerbern wieder zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Armenversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerter Satz zum erstenmal in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe ringt die bürgerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidarität der Interessen; im früheren Altertum schützte der Staat die Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Mörder, aber er war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der notwendigen Subsistenzmittel den gänzlich hilflosen Mitbürger vor dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Die attische Zivilisation ist es gewesen, die in der Solonischen und nachsolonischen Gesetzgebung zuerst den Grundsatz entwickelt hat, daß es Pflicht der Gemeinde ist, für ihre Invaliden, ja für ihre Armen überhaupt zu sorgen; und zuerst Caesar hat, was in der beschränkten Enge des attischen Lebens Gemeindesache geblieben war, zu einer organischen Staatsinstitution entwickelt und eine Einrichtung, die für den Staat eine Last und eine Schmach war, umgeschaffen in die erste jener heute so unzählbaren wie segensreichen Anstalten, in denen das unendliche menschliche Erbarmen mit dem unendlichen menschlichen Elend ringt.

Außer diesen prinzipiellen Reformen fand eine durchgängige Revision des Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentlichen Einnahmen wurden überall reguliert und fixiert. Nicht wenigen Gemeinden, ja ganzen Landschaften ward, sei es mittelbar durch Verleihung des römischen oder latinischen Bürgerrechts, sei es unmittelbar durch Privilegium, die Steuerfreiheit bewilligt; so erhielten sie zum Beispiel alle sizilischen ^18 Gemeinden auf jenem, die Stadt Ilion auf diesem Wege. Noch größer war die Zahl derjenigen, deren Steuerquantum herabgesetzt ward; wie denn den Gemeinden im Jenseitigen Spanien schon nach Caesars Statthalterschaft auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat bewilligt worden war, und jetzt der am meisten gedrückten Provinz Asia nicht bloß die Hebung ihrer direkten Steuern erleichtert, sondern auch der dritte Teil derselben ganz erlassen ward. Die neu hinzukommenden Abgaben, wie die der in Illyrien unterworfenen und vor allem der gallischen Gemeinden, welche letztere zusammen 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) jährlich entrichteten, waren durchgängig niedrig gegriffen. Freilich ward dagegen auch einzelnen Städten, wie Klein-Leptis in Afrika, Sulci auf Sardinien und mehreren spanischen Gemeinden, zur Strafe ihres Verhaltens während des letzten Krieges die Steuer erhöht. Die sehr einträglichen, in den letzten Zeiten der Anarchie abgeschafften italischen Hafenzölle wurden um so mehr wiederhergestellt, als diese Abgabe wesentlich die aus dem Osten eingehenden Luxuswaren traf. Zu diesen neu- oder wiedereröffneten ordentlichen Einnahmequellen kamen die Summen hinzu, die außerordentlicherweise, namentlich infolge des Bürgerkrieges, an den Sieger gelangten: die in Gallien gesammelte Beute; der hauptstädtische Kassenbestand; die aus den italischen und spanischen Tempeln entnommenen Schätze, die in Formen der Zwangsanleihe, des Zwangsgeschenkes oder der Buße von den abhängigen Gemeinden und Dynasten erhobenen Summen und die in ähnlicher Weise durch Rechtsspruch oder auch bloß durch Zusendung des Zahlungsbefehls einzelnen reichen Römern auferlegten Strafgelder; vor allen Dingen aber der Erlös aus dem Vermögen der geschlagenen Gegner. Wie ergiebig diese Einnahmequellen waren, mag man daraus abnehmen, daß allein die Buße der afrikanischen Großhändler, die in dem Gegensenat gesessen, sich auf 100 Mill. Sesterzen (7½ Mill. Taler) und der von den Käufern des Vermögens des Pompeius gezahlte Preis auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler) belief. Dieses Verfahren war notwendig, weil die Macht der geschlagenen Nobilität zum guten Teil auf ihrem kolossalen Reichtum ruhte und nur dadurch wirksam gebrochen werden konnte, daß ihr die Tragung der Kriegskosten auferlegt ward. Die Gehässigkeit der Konfiskationen aber ward einigermaßen dadurch gemildert, daß Caesar ihren Ertrag allein dem Staate zugute kommen ließ und, statt in Sullas Weise seinen Günstlingen jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von seinen treuesten Anhängern, zum Beispiel von Marcus Antonius, die Kaufgelder mit Strenge beitrieb.

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^18 Den Wegfall der sizilischen Zehnten bezeugt Varro in einer nach Ciceros Tode publizierten Schrift (rust. 2 praef.), indem er als die Kornprovinzen, aus denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Afrika und Sardinien, nicht mehr Sizilien nennt. Die Latinität, wie sie Sizilien erhielt, muß also wohl die Immunität eingeschlossen haben (vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 684).

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In den Ausgaben wurde zunächst durch die ansehnliche Beschränkung der Getreidespenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene Kornverteilung an die hauptstädtischen Armen sowie die verwandte, von Caesar neu eingeführte Öllieferung für die hauptstädtischen Bäder ward wenigstens zum großen Teil ein- für allemal fundiert auf die Naturalabgaben von Sardinien und namentlich von Afrika und schied dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder größtenteils aus. Andererseits stiegen die regelmäßigen Ausgaben für das Militärwesen, teils durch die Vermehrung des stehenden Heeres, teils durch die Erhöhung der bisherigen Löhnung des Legionärs, von jährlich 480 (36 Taler) auf jährlich 900 Sesterzen (68½ Taler). Beides war in der Tat unerläßlich. Eine ernstliche Grenzverteidigung mangelte ganz und die unerläßliche Voraussetzung derselben war eine ansehnliche Vermehrung der Armee. Die Verdoppelung des Soldes hat Caesar wohl benutzt, um seine Soldaten fest an sich zu ketten, aber nicht aus diesem Grunde als bleibende Neuerung eingeführt. Der bisherige Sold von 1 1/3 Sesterz (2 Groschen) den Tag war festgesetzt worden in uralten Zeiten, wo das Geld einen ganz anderen Wert hatte als in dem damaligen Rom; nur deshalb hatte er bis in eine Zeit hinein, wo der gemeine Tagelöhner in der Hauptstadt mit seiner Hände Arbeit täglich durchschnittlich 3 Sesterzen (5 Groschen) verdiente, beibehalten werden können, weil in diesen Zeiten der Soldat nicht des Soldes halber, sondern hauptsächlich wegen der größtenteils unerlaubten Akzidentien des Militärdienstes in das Heer eintrat. Zu einer ernstlichen Reform des Militärwesens und zur Beseitigung des meist den Provinzialen aufgebürdeten unregelmäßigen Soldatenverdienstes war die erste Bedingung eine zeitgemäße Erhöhung der regulären Löhnung; und die Fixierung derselben auf 2½ Sesterzen (4 Groschen) darf als eine billige, die dem Ärar dadurch aufgebürdete große Last als eine notwendige und in ihren Folgen segensreiche betrachtet werden. Von dem Belauf der außerordentlichen Ausgaben, die Caesar übernehmen mußte oder freiwillig übernahm, ist es schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Die Kriege selbst fraßen ungeheure Summen; und vielleicht nicht geringere wurden erfordert, um die Zusicherungen zu erfüllen, die Caesar während des Bürgerkrieges zu machen genötigt worden war. Es war ein schlimmes und für die Folgezeit leider nicht verlorenes Beispiel, daß jeder gemeine Soldat für seine Teilnahme am Bürgerkrieg 20000 Sesterzen (1500 Taler), jeder Bürger der hauptstädtischen Menge für seine Nichtbeteiligung an demselben als Zulage zum Brotkorn 300 Sesterzen (22 Taler) empfing; Caesar indes, nachdem er einmal in dem Drange der Umstände sein Wort verpfändet, war zu sehr König, um davon abzudingen. Außerdem genügte Caesar unzähligen Anforderungen ehrenhafter Freigebigkeit und machte namentlich für das Bauwesen, das während der Finanznot der letzten Zeit der Republik schmählich vernachlässigt worden war, ungeheure Summen flüssig - man berechnete den Kostenbetrag seiner teils während der gallischen Feldzüge, teils nachher in der Hauptstadt ausgeführten Bauten auf 160 Mill. Sesterzen (12 Mill. Taler). Das Gesamtresultat der finanziellen Verwaltung Caesars ist darin ausgesprochen, daß er durch einsichtige und energische Reformen und durch die rechte Vereinigung von Sparsamkeit und Liberalität allen billigen Ansprüchen reichlich und völlig genügte und dennoch bereits im März 710 (44) in der Kasse des Staats 700, in seiner eigenen 100 Mill. Sesterzen (zusammen 61 Mill. Taler) bar lagen - eine Summe, die den Kassenbestand der Republik in ihrer blühendsten Zeit um das Zehnfache überstieg.

Aber die Aufgabe, die alten Parteien aufzulösen und das neue Gemeinwesen mit einer angemessenen Verfassung, einer schlagfertigen Armee und geordneten Finanzen auszustatten, so schwierig sie war, war nicht der schwierigste Teil von Caesars Werk. Sollte in Wahrheit die italische Nation wiedergeboren werden, so bedurfte es einer Reorganisation, die alle Teile des großen Reiches, Rom, Italien und die Provinzen, umwandelte. Versuchen wir auch hier sowohl die alten Zustände als auch die Anfänge einer neuen und leidlicheren Zeit zu schildern.

Aus Rom war der gute Stamm latinischer Nation längst völlig verschwunden. Es liegt in den Verhältnissen, daß die Hauptstadt ihr munizipales und selbst ihr nationales Gepräge schneller verschleift als jedes untergeordnete Gemeinwesen. Hier scheiden die höheren Klassen rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus, um mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt ihre Heimat zu finden; hier konzentriert sich unvermeidlich die ausländische Ansiedlung, die fluktuierende Bevölkerung von Vergnügens- und Geschäftsreisenden, die Masse des müßigen, faulen, verbrecherischen, ökonomisch und moralisch bankrotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in hervorragender Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrachtete sein Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem aus der städtischen Munizipalität die Reichsämter hervorgingen, das städtische Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward, kleinere, sich selber regierende Bezirks- oder sonstige Gemeinschaften innerhalb der Hauptstadt nicht geduldet wurden, hörte jedes eigentliche Kommunalleben für Rom auf. Aus dem ganzen Umfange des weitumfassenden Reiches strömte man nach Rom, um zu spekulieren, zu debauchieren, zu intrigieren, zum Verbrecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Gesetzes sich zu verbergen. Diese Übel gingen aus dem hauptstädtischen Wesen gewissermaßen mit Notwendigkeit hervor; andere, mehr zufällige und vielleicht noch ernstere gesellten sich dazu. Es hat vielleicht nie eine Großstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; teils die Einfuhr, teils die häusliche Fabrikation durch Sklaven machten hier jede freie Industrie von vornherein unmöglich. Die nachteiligen Folgen des Grundübels der Staatenbildung im Altertum überhaupt, des Sklavensystems, traten in der Hauptstadt schärfer als irgendwo sonst hervor. Nirgends häuften solche Sklavenmassen sich an wie in den hauptstädtischen Palästen der großen Familien oder der reichen Emporkömmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der hauptstädtischen Sklavenschaft die Nationen dreier Weltteile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher einströmenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit unzertrennliche Demoralisation und der scheußliche Widerspruch des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten, gleichsam vornehmen Stadtsklaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die Sklavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloß tatsächlich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sklaven und doch nicht völlig Bürger, ökonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn abhängig und doch mit den Ansprüchen freier Männer; und eben die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine Handwerk fast ganz in ihren Händen waren. Ihr Einfluß auf die Wahlen wird ausdrücklich bezeugt; und daß sie auch bei den Straßenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewöhnliche Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt wurden, die Schließung der Buden und Verkaufslokale. Zu allem dem kam, daß die Regierung nicht bloß nichts tat, um dieser Korrumpierung der hauptstädtischen Bevölkerung entgegenzuwirken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zuliebe ihr Vorschub leistete. Die verständige Gesetzvorschrift, welche dem wegen Kapitalverbrechens verurteilten Individuum den Aufenthalt in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht zur Ausführung gebracht. Die dringend nahegelegte polizeiliche Überwachung der Assoziation des Gesindels ward anfangs vernachlässigt, späterhin als freiheitswidrige Volksbeschränkung sogar für strafbar erklärt. Die Volksfeste hatte man so anwachsen lassen, daß die sieben ordentlichen allein, die römischen, die plebejischen, die der Göttermutter, der Ceres, des Apoll, der Flora und der Victoria, zusammen zweiundsechzig Tage währten, wozu dann noch die Fechterspiele und unzählige andere außerordentliche Lustbarkeiten kamen. Die bei einem solchen, durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unumgängliche Fürsorge für niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt, und die Preisschwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechenbarer Art ^19. Endlich, die Getreideverteilungen luden das gesamte nahrungslose und arbeitsscheue Bürgerproletariat offiziell ein, seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Klub- und Bandenwesen auf dem politischen Gebiet, auf dem religiösen der Isisdienst und der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war beständig im Angesicht einer Teuerung und nicht selten in voller Hungersnot. Nirgends war man seines Lebens weniger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbsmäßig betriebene Banditenmord war das einzige derselben eigene Handwerk; es war die Einleitung zur Ermordung, daß das Schlachtopfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaffnetes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die äußere Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerrüttung und schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment. Für die Regulierung des Tiberstromes ward nichts getan; kaum daß man die einzige Brücke, mit der man immer noch sich behalf, wenigstens bis zur Tiberinsel von Stein aufführen ließ. Für die Planierung der Siebenhügelstadt war ebensowenig etwas geschehen, außer wo etwa die Schutthaufen ausgeglichen hatten. Die Straßen gingen eng und winkelig Hügel auf und ab und waren elend gehalten, die Trottoirs schmal und schlecht gepflastert. Die gewöhnlichen Häuser waren von Ziegeln ebenso liederlich wie schwindelnd hoch gebaut, meistens von spekulierenden Baumeistern für Rechnung der kleinen Besitzer, wobei jene steinreich, diese zu Bettlern wurden. Wie einzelne Inseln in diesem Meer von elenden Gebäuden erschienen die glänzenden Paläste der Reichen, die den kleinen Häusern ebenso den Raum verengten wie ihre Besitzer den kleinen Leuten ihr Bürgerrecht im Staat und neben deren Marmorsäulen und griechischen Statuen die verfallenden Tempel mit ihren großenteils noch holzgeschnitzten Götterbildern eine traurige Figur machten. Von einer Straßen-, einer Ufer-, Feuer- und Baupolizei war kaum die Rede; wenn die Regierung um die alljährlich eintretenden Überschwemmungen, Feuersbrünste und Häusereinstürze überhaupt sich bekümmerte, so geschah es, um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken über den wahren Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren. Man versuche sich ein London zu denken mit der Sklavenbevölkerung von New Orleans, mit der Polizei von Konstantinopel, mit der Industrielosigkeit des heutigen Rom und bewegt von einer Politik nach dem Muster der Pariser von 1848, und man wird eine ungefähre Vorstellung von der republikanischen Herrlichkeit gewinnen, deren Untergang Cicero und seine Genossen in ihren Schmollbriefen betrauern.

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^19 In dem Produktionsland Sizilien ward der römische Scheffel innerhalb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne danach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen mußten, das von überseeischem Korn lebte und der Sitz der Spekulanten war.

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Caesar trauerte nicht, aber er suchte zu helfen, soweit zu helfen war. Rom blieb natürlich, was es war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm wiederum einen spezifisch italischen Charakter zu geben, wäre nicht bloß unausführbar gewesen, sondern hätte auch in Caesars Plan nicht gepaßt. Ähnlich wie Alexander für sein griechisch-orientalisches Reich eine angemessene Hauptstadt in dem hellenisch-jüdisch-ägyptischen und vor allem kosmopolitischen Alexandreia fand, so sollte auch die im Mittelpunkt des Orients und Okzidents gelegene Hauptstadt des neuen römisch-hellenischen Weltreichs nicht eine italische Gemeinde sein, sondern die denationalisierte Kapitale vieler Nationen. Darum duldete es Caesar, daß neben dem Vater Jovis die neu angesiedelten ägyptischen Götter verehrt wurden, und gestattete sogar den Juden die freie Übung ihres seltsam fremdartigen Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches. Wie widerlich bunt immer die parasitische, namentlich hellenisch-orientalische Bevölkerung in Rom sich mischte, er trat ihrer Ausbreitung nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, daß er bei seinen hauptstädtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloß in lateinischer und griechischer, sondern auch in anderen Zungen, vermutlich in phönikischer, hebräischer, syrischer, spanischer aufführen ließ.

Aber wenn Caesar den Grundcharakter der Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewußtsein akzeptierte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der daselbst obwaltenden kläglichen und schimpflichen Zustände. Leider waren eben die Grundübel am wenigsten austilgbar. Die Sklaverei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht abstellen; es muß dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht haben würde, die Sklavenbevölkerung in der Hauptstadt wenigstens zu beschränken, wie er dies auf einem anderen Gebiete unternahm. Ebensowenig vermochte Caesar eine freie hauptstädtische Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die ungeheuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermaßen ab und eröffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin, die Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluß von solchen, die die Getreidespenden nach Rom führten, ward durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl beschränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopfte ^20, doch sehr wesentlich beschränkt. Unter dem vorhandenen Proletariat räumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden, mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten, andererseits die umfassende überseeische Kolonisation; von den 80000 Kolonisten, die Caesar in den wenigen Jahren seiner Regierung über das Meer führte, wird ein sehr großer Teil den unteren Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung entnommen sein, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Daß in Abweichung von der bisherigen Ordnung, die dem Freigelassenen jedes städtische Ehrenamt verschloß, Caesar ihnen in seinen Kolonien die Türe des Rathauses eröffnete, geschah ohne Zweifel, um die besser gestellten von ihnen für die Auswanderung zu gewinnen. Diese Auswanderung muß aber auch mehr gewesen sein als eine bloß vorübergehende Veranstaltung; Caesar, überzeugt wie jeder andere verständige Mann, daß die einzige wahrhafte Hilfe gegen das Elend des Proletariats in einem wohlregulierten Kolonisierungssystem besteht, und durch die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt, dasselbe in fast ungemessener Ausdehnung zu verwirklichen, wird die Absicht gehabt haben, hiermit dauernd fortzufahren und dem stets wieder sich erzeugenden Übel einen bleibenden Abzug zu eröffnen. Maßregeln wurden ferner ergriffen, um den argen Preisschwankungen der wichtigsten Nahrungsmittel auf den hauptstädtischen Märkten Grenzen zu setzen. Die neu geordneten und liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten hierzu die Mittel und zwei neu ernannte Beamte, die Getreideädilen, übernahmen die spezielle Beaufsichtigung der Lieferanten und des Marktes der Hauptstadt. Dem Klubwesen wurde wirksamer, als es durch Prohibitivgesetze möglich war, gesteuert durch die veränderte Verfassung, indem mit der Republik und den republikanischen Wahlen und Gerichten die Bestechung und Vergewaltigung der Wahl- und Richterkollegien, überhaupt die politischen Saturnalien der Kanaille von selbst ein Ende hatten. Außerdem wurden die durch das Clodische Gesetz ins Leben getretenen Verbindungen aufgelöst und das ganze Assoziationswesen unter die Oberaufsicht der Regierungsbehörden gestellt. Mit Ausnahme der althergebrachten Zünfte und Vergesellschaftungen, der religiösen Vereinigungen der Juden und anderer besonders ausgenommener Kategorien, wofür die einfache Anzeige an den Senat genügt zu haben scheint, wurde die Erlaubnis, eine bleibende Gesellschaft mit festen Versammlungsfristen und stehenden Einschüssen zu konstituieren, an eine vom Senat und regelmäßig wohl erst nach eingeholter Willensmeinung des Monarchen zu erteilende Konzession geknüpft. Dazu kam eine strengere Kriminalrechtspflege und eine energische Polizei. Die Gesetze, namentlich hinsichtlich des Verbrechens der Vergewaltigung, wurden verschärft und die unvernünftige Bestimmung des republikanischen Rechts, daß der überwiesene Verbrecher befugt sei, durch Selbstverbannung einem Teil der verwirkten Strafe sich zu entziehen, wie billig beseitigt. Das detaillierte Regulativ, das Caesar über die hauptstädtische Polizei erließ, ist großenteils noch erhalten und es kann, wer da will, sich überzeugen, daß der Imperator es nicht verschmähte, die Hausbesitzer zur Instandsetzung der Straßen und zur Pflasterung der Trottoirs in ihrer ganzen Breite mit behauenen Steinen anzuhalten und geeignete Bestimmungen über das Tragen der Sänften und das Fahren der Wagen zu erlassen, die bei der Beschaffenheit der Straßen nur zur Abend- und Nachtzeit in der Hauptstadt frei zirkulieren durften. Die Oberaufsicht über die Lokalpolizei blieb wie bisher hauptsächlich den vier Ädilen, welche, wenn nicht schon früher, wenigstens jetzt angewiesen wurden, jeder einen bestimmt abgegrenzten Polizeidistrikt innerhalb der Hauptstadt zu überwachen. Endlich das hauptstädtische Bauwesen und die damit zusammenhängende Fürsorge für die gemeinnützigen Anstalten überhaupt nahm durch Caesar, der die Baulust des Römers und des Organisators in sich vereinigte, plötzlich einen Aufschwung, der nicht bloß die Mißwirtschaft der letzten anarchischen Zeiten beschämte, sondern auch alles, was die römische Aristokratie in ihrer besten Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich ließ wie Caesars Genie das redliche Bemühen der Marcier und der Aemilier. Es war nicht bloß die Ausdehnung der Bauten an sich und die Größe der darauf verwandten Summen, durch die Caesar seine Vorgänger übertraf, sondern der echt staatsmännische und gemeinnützige Sinn, der das, was Caesar für die öffentlichen Anstalten Roms tat, vor allen ähnlichen Leistungen auszeichnet. Er baute nicht, wie seine Nachfolger, Tempel und sonstige Prachtgebäude, sondern er entlastete den Markt von Rom, auf dem sich immer noch die Bürgerversammlungen, die Hauptgerichtsstätten, die Börse und der tägliche Geschäftsverkehr wie der tägliche Müßiggang zusammendrängten, wenigstens von den Versammlungen und den Gerichten, indem er für jene eine neue Dingstätte, die Saepta Iulia auf dem Marsfeld, für diese einen besonderen Gerichtsmarkt, das Forum Iulium zwischen Kapitol und Palatin, anlegen ließ. Verwandten Geistes ist die von ihm herrührende Einrichtung, daß den hauptstädtischen Bädern jährlich 3 Millionen Pfund Öl, größtenteils aus Afrika, geliefert und diese dadurch in den Stand gesetzt wurden, den Badenden das zum Salben des Körpers erforderliche Öl unentgeltlich zu verabfolgen - eine nach der alten wesentlich auf Baden und Salben gegründeten Diätetik höchst zweckmäßige Maßregel der Reinlichkeits- und Gesundheitspolizei. Indes diese großartigen Einrichtungen waren nur die ersten Anfänge einer vollständigen Umwandlung Roms. Bereits waren die Entwürfe gemacht zu einem neuen Rathaus, einem neuen prachtvollen Basar, einem mit dem Pompeischen wetteifernden Theater, einer öffentlichen lateinischen und griechischen Bibliothek nach dem Muster der kürzlich zugrunde gegangenen von Alexandreia - die erste Anstalt derart in Rom -, endlich zu einem Tempel des Mars, der an Reichtum und Herrlichkeit alles bisher Dagewesene überboten haben würde. Genialer noch war der Gedanke, einmal durch die Pomptinischen Sümpfe einen Kanal zu legen und deren Wasser nach Tarracina abzuleiten, sodann den unteren Lauf des Tiberstroms zu ändern und ihn von dem heutigen Ponte Molle an, statt zwischen dem Vaticanischen und dem Marsfelde hindurch, vielmehr um das Vaticanische Feld und das Ianiculum herum nach Ostia zu führen, wo die schlechte Reede einem vollgenügenden Kunsthafen Platz machen sollte. Durch diesen Riesenplan wurde einerseits der gefährlichste Feind der Hauptstadt, die böse Luft der Nachbarschaft, gebannt, andrerseits auf einen Schlag die äußerst beschränkte Baugelegenheit in der Hauptstadt in der Art erweitert, daß das damit auf das linke Tiberufer verlegte Vaticanische Feld an die Stelle des Marsfeldes treten und das geräumige Marsfeld für öffentliche und Privatbauten verwendet werden konnte, während sie zugleich den so schmerzlich vermißten sicheren Seehafen erhielt. Es schien, als wolle der Imperator Berge und Flüsse versetzen und mit der Natur selber den Wettlauf wagen. Indessen so sehr auch durch die neue Ordnung die Stadt Rom an Bequemlichkeit und Herrlichkeit gewann, ihre politische Suprematie ging ihr, wie schon gesagt ward, durch ebendieselbe unwiderbringlich verloren. Daß der römische Staat mit der Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der Zeit immer unnatürlicher und verkehrter geworden; aber der Satz war doch so innig mit dem Wesen der römischen Republik verwachsen, daß er nicht vor dieser selbst zugrunde gehen konnte. Erst in dem neuen Staate Caesars ward er, etwa mit Ausnahme einiger legaler Fiktionen, vollständig beseitigt und das hauptstädtische Gemeinwesen rechtlich auf eine Linie mit allen übrigen Munizipalitäten gestellt; wie denn Caesar, hier wie überall bemüht, nicht bloß die Sache zu ordnen, sondern auch sie offiziell bei dem rechten Namen zu nennen, seine italische Gemeindeordnung, ohne Zweifel absichtlich, zugleich für die Hauptstadt und für die übrigen Stadtgemeinden erließ. Man kann hinzufügen, daß Rom, eben weil es eines lebendigen Kommunalwesens als Hauptstadt nicht fähig war, hinter den übrigen Munizipalitäten der Kaiserzeit sogar wesentlich zurückstand. Das republikanische Rom war eine Räuberhöhle, aber zugleich der Staat; das Rom der Monarchie, obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier Weltteile sich zu schmücken und in Gold und Marmor zu schimmern begann, war doch nichts im Staate als das Königsschloß in Verbindung mit dem Armenhaus, das heißt ein notwendiges übel.

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^20 Es ist nicht ohne Interesse, daß ein späterer, aber einsichtiger politischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius’ Namen an Caesar gerichteten Briefe, diesem den Rat erteilt, die hauptstädtische Getreideverteilung in die einzelnen Munizipien zu verlegen. Die Kritik hat ihren guten Sinn; wie denn bei der großartigen munizipalen Waisenversorgung unter Traian offenbar ähnliche Gedanken gewaltet haben.

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Wenn es in der Hauptstadt sich nur darum handelte, durch polizeiliche Ordnungen im größten Maßstab handgreifliche Übelstände hinwegzuräumen, so war es dagegen eine bei weitem schwierigere Aufgabe, der tief zerrütteten italischen Volkswirtschaft aufzuhelfen. Die Grundleiden waren die bereits früher ausführlich hervorgehobenen, das Zusammenschwinden der ackerbauenden und die unnatürliche Vermehrung der kaufmännischen Bevölkerung, woran ein unabsehbares Gefolge anderer Übelstände sich anschloß. Wie es mit der italischen Bodenwirtschaft stand, wird dem Leser unvergessen sein. Trotz der ernstlichsten Versuche, der Vernichtung des kleinen Grundbesitzes zu steuern, war doch in dieser Epoche kaum mehr in einer Landschaft des eigentlichen Italien, etwa mit Ausnahme der Apenninen- und Abruzzentäler, die Bauernwirtschaft die vorwiegende Wirtschaftsweise. Was die Gutswirtschaft anlangt, so ist zwischen der früher dargestellten Catonischen und derjenigen, die uns Varro schildert, kein wesentlicher Unterschied wahrzunehmen, nur daß die letztere im Guten wie im Schlimmen von dem gesteigerten großstädtischen Leben in Rom die Spuren zeigt. “Sonst”, sagt Varro, “war die Scheune auf dem Gut größer als das Herrenhaus; jetzt pflegt es umgekehrt zu sein.” In der tusculanischen und tiburtinischen Feldmark, an den Gestaden von Tarracina und Baiae erhoben sich da, wo die alten latinischen und italischen Bauernschaften gesät und geerntet hatten, jetzt in unfruchtbarem Glanz die Landhäuser der römischen Großen, von denen manches mit den dazu gehörigen Gartenanlagen und Wasserleitungen, den Süß- und Salzwasserreservoirs zur Aufbewahrung und Züchtung von Fluß- und Seefischen, den Schnecken- und Siebenschläferzüchtungen, den Wildschonungen zur Hegung von Hasen, Kaninchen, Hirschen, Rehen und Wildschweinen und den Vogelhäusern, in denen selbst Kraniche und Pfauen gehalten wurden, den Raum einer mäßigen Stadt bedeckte. Aber der großstädtische Luxus macht auch manche fleißige Hand reich und ernährt mehr Arme als die almosenspendende Menschenliebe. Jene Vogelhäuser und Fischteiche der vornehmen Herren waren natürlich in der Regel eine sehr kostspielige Liebhaberei. Allein extensiv und intensiv hatte diese Wirtschaft sich so hoch entwickelt, daß zum Beispiel der Bestand eines Taubenhauses bis auf 100000 Sesterzen (7600 Taler) geschätzt ward; daß eine rationelle Mästungswirtschaft entstanden war und der in den Vogelhäusern gewonnene Dünger landwirtschaftlich in Betracht kam; daß ein einziger Vogelhändler auf einmal 5000 Krammetsvögel - denn auch diese wußte man zu hegen - das Stück zu 3 Denaren (21 Groschen), ein einziger Fischteichbesitzer 2000 Muränen zu liefern imstande war und aus den von Lucius Lucullus hinterlassenen Fischen 40000 Sesterzen (3050 Taler) gelöst wurden. Begreiflicherweise konnte unter solchen Umständen, wer diese Wirtschaft geschäftlich und intelligent betrieb, mit verhältnismäßig geringem Anlagekapital sehr hohen Gewinn erzielen. Ein kleiner Bienenzüchter dieser Zeit verkaufte von seinem nicht mehr als einen Morgen großen, in der Nähe von Falerii gelegenen Thymiangärtchen Jahr aus Jahr ein an Honig für mindestens 10000 Sesterzen (760 Taler). Der Wetteifer der Obstzüchter ging so weit, daß in eleganten Landhäusern die marmorgetäfelte Obstkammer nicht selten zugleich als Tafelzimmer eingerichtet, auch wohl gekauftes Prachtobst dort zur Schau als eigenes Gewächs gestellt ward. In dieser Zeit wurden auch zuerst die kleinasiatische Kirsche und andere ausländische Fruchtbäume in den italischen Gärten angepflanzt. Die Gemüsegärten, die Rosen- und Veilchenbeete in Latium und Kampanien warfen reichen Ertrag ab und der “Naschmarkt” (forum cupedinis) neben der Heiligen Straße, wo Früchte, Honig und Kränze feilgeboten zu werden pflegten, spielte eine wichtige Rolle im hauptstädtischen Leben. Überhaupt stand die Gutswirtschaft, Plantagenwirtschaft wie sie war, ökonomisch auf einer schwer zu übertreffenden Höhe der Entwicklung. Das Tal von Rieti, die Umgegend des Fuciner Sees, die Landschaften am Liris und Volturnus, ja Mittelitalien überhaupt, waren landwirtschaftlich in dem blühendsten Zustand; selbst gewisse Industrien, die geeignet waren, sich an den Betrieb des Guts mittels Sklaven anzuschließen, wurden von den intelligenten Landwirten mit aufgenommen und, wo die Verhältnisse günstig waren, Wirtshäuser, Webereien und besonders Ziegeleien auf dem Gute angelegt. Die italischen Produzenten, namentlich von Wein und Öl, versorgten nicht bloß die italischen Märkte, sondern machten auch in beiden Artikeln ansehnliche überseeische Ausfuhrgeschäfte. Eine schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht Italien einem großen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die ein gleichzeitiger Dichter von seinem schönen Heimatland entwirft, wo die wohlbewässerte Wiese, das üppige Kornfeld, der lustige Rebenhügel von der dunklen Zeile der Ölbäume umsäumt wird, wo der Schmuck des Landes, lachend in mannigfaltiger Anmut, die holdesten Gärten in seinem Schoße hegt und selber von nahrunggebenden Bäumen umkränzt wird diese Schilderungen, offenbar treue Gemälde der dem Dichter täglich vor Augen stehenden Landschaft, versetzen uns in die blühendsten Striche von Toscana und Terra di lavoro. Die Weidewirtschaft freilich, die aus den früher entwickelten Ursachen besonders im Süden und Südosten Italiens immer weiter vordrang, war in jeder Beziehung ein Rückschritt; allein auch sie nahm doch bis zu einem gewissen Grade teil an der allgemeinen Steigerung des Betriebes, wie denn für die Verbesserung der Rassen vieles geschah und zum Beispiel Zuchtesel mit 60000 (4600 Taler), 100000 (7570 Taler), ja 400000 Sesterzen (30000 Taler) bezahlt wurden. Die gediegene italische Bodenwirtschaft erzielte in dieser Zeit, wo die allgemeine Entwicklung der Intelligenz und die Fülle der Kapitalien sie befruchtete, bei weitem glänzendere Resultate als jemals die alte Bauernwirtschaft hatte geben können, und ging sogar schon hinaus über die Grenzen Italiens, indem der italische Ökonom auch in den Provinzen große Strecken viehzüchtend und selbst kornbauend exploitierte.

Welche Dimensionen aber neben dieser auf dem Ruin der kleinen Bauernschaft unnatürlich gedeihenden Gutswirtschaft die Geldwirtschaft angenommen, wie die italische Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette in alle Provinzen und Klientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte, alles Kapital endlich in Rom zusammenfloß, dafür wird es, nach dem früher darüber Gesagten, hier genügen, auf die einzige Tatsache hinzuweisen, daß auf dem hauptstädtischen Geldmarkt der regelmäßige Zinsfuß in dieser Zeit sechs vom Hundert, das Geld daselbst also um die Hälfte billiger war als sonst durchschnittlich im Altertume.

Infolge dieser agrarisch wie merkantil auf Kapitalmassen und Spekulation begründeten Volkswirtschaft ergab sich das fürchterlichste Mißverhältnis in der Verteilung des Vermögens. Die oft gebrauchte und oft gemißbrauchte Rede von einem aus Millionären und Bettlern zusammengesetzten Gemeinwesen trifft vielleicht nirgends so vollständig zu wie bei dem Rom der letzten Zeit der Republik; und nirgends wohl auch ist der Kernsatz des Sklavenstaats, daß der reiche Mann, der von der Tätigkeit seiner Sklaven lebt, notwendig respektabel, der arme Mann, der von seiner Hände Arbeit lebt, notwendig gemein ist, mit so grauenvoller Sicherheit als der unwidersprechliche Grundgedanke des ganzen öffentlichen und privaten Verkehrs anerkannt worden ^21. Einen wirklichen Mittelstand in unserm Sinne gibt es nicht, wie es denn in keinem vollkommen entwickelten Sklavenstaat einen solchen geben kann; was gleichsam als guter Mittelstand erscheint und gewissermaßen auch es ist, sind diejenigen reichen Geschäftsmänner und Grundbesitzer, die so ungebildet oder auch so gebildet sind, um sich innerhalb der Sphäre ihrer Tätigkeit zu bescheiden und vom öffentlichen Leben sich fernzuhalten. Unter den Geschäftsmännern, wo die zahlreichen Freigelassenen und sonstigen emporgekommenen Leute in der Regel von dem Schwindel erfaßt wurden, den vornehmen Mann zu spielen, gab es solcher Verständigen nicht allzuviel: ein Musterbild dieser Gattung ist der in den Berichten aus dieser Zeit häufig erwähnte Titus Pomponius Atticus, der teils mit der großen Gutswirtschaft, welche er in Italien und in Epirus betrieb, teils mit seinen durch ganz Italien, Griechenland, Makedonien, Kleinasien sich verzweigenden Geldgeschäften ein ungeheures Vermögen gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschäftsmann blieb, sich nicht verleiten ließ, um ein Amt zu werben oder auch nur Staatsgeldgeschäfte zu machen, und, dem geizigen Knausern ebenso fern wie dem wüsten und lästigen Luxus dieser Zeit - seine Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7½ Talern) täglich bestritten -, sich genügen ließ an einer bequemen, die Anmut des Land- und des Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft Roms und Griechenlands und jeden Genuß der Literatur und der Kunst sich aneignenden Existenz. Zahlreicher und tüchtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages. Die gleichzeitige Literatur bewahrt in der Schilderung des Sextus Roscius, der bei den Proskriptionen 673 (81) mitermordet ward, das Bild eines solchen Landedelmanns (pater familias rusticanus); sein Vermögen, angeschlagen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler), ist wesentlich angelegt in seinen dreizehn Landgütern; die Wirtschaft betreibt er selbst rationell und mit Leidenschaft; nach der Hauptstadt kommt er selten oder nie, und wenn er dort erscheint, so sticht er mit seinen ungehobelten Manieren nicht minder von dem feinen Senator ab wie die zahllosen Scharen seiner rauben Ackerknechte von dem zierlichen hauptstädtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kosmopolitisch gebildeten Adelskreise und der überall und nirgends heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die wesentlich durch dieselben gehaltenen “Ackerstädte” (municipia rusticana) sowohl die Zucht und Sitte der Väter als auch deren reine und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern der Nation; der Spekulant, der sein Vermögen gemacht hat und unter die Notabeln des Landes einzutreten wünscht, kauft sich an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden, doch wenigstens einen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser Gutsbesitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volkstümliche Regung sich zeigt und wo die Literatur einen grünen Sproß treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die neue Monarchie ihre beste Kraft; ihr gehören Varro, Lucretius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative Frische dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der anmutigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer grünen Oase in der fürchterlichen Öde dieses ebenso leeren wie voluminösen Skribenten.

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^21 Charakteristisch ist die folgende Auseinandersetzung in Ciceros ‘Pflichtenlehre’ (off. 1, 42): “Darüber, welche Geschäfte und Erwerbszweige als anständig gelten können und welche als gemein, herrschen im allgemeinen folgende Vorstellungen. Bescholten sind zunächst die Erwerbszweige, wobei man den Haß des Publikums sich zuzieht, wie der der Zolleinnehmer, der der Geldverleiher. Unanständig und gemein ist auch das Geschäft der Lohnarbeiter, denen ihre körperliche, nicht ihre Geistesarbeit bezahlt wird; denn für diesen selben Lohn verkaufen sie gleichsam sich in die Sklaverei. Gemeine Leute sind auch die von dem Kaufmann zu sofortigem Verschleiß einkaufenden Trödler; denn sie kommen nicht fort, wenn sie nicht über alle Maßen lügen, und nichts ist minder ehrenhaft als der Schwindel. Auch die Handwerker treiben sämtlich gemeine Geschäfte; denn man kann nicht Gentleman sein in der Werkstatt. Am wenigsten ehrbar sind die Handwerker, die der Schlemmerei an die Hand gehen, zum Beispiel: ‘Wurstmacher, Salzfischhändler, Koch, Geflügelverkäufer, Fischer’ mit Terenz (Eun. 2, 2, 26) zu reden; dazu noch etwa die Parfümerienhändler, die Tanzmeister und die ganze Sippschaft der Spielbuden. Diejenigen Erwerbszweige aber, welche entweder eine höhere Bildung voraussetzen oder einen nicht geringen Ertrag abwerfen, wie die Heilkunst, die Baukunst, der Unterricht in anständigen Gegenständen, sind anständig für diejenigen, deren Stande sie angemessen sind. Der Handel aber, wenn er Kleinhandel ist, ist gemein; der große Kaufmann freilich, der aus den verschiedensten Ländern eine Menge von Waren einführt und sie an eine Menge von Leuten ohne Schwindel absetzt, ist nicht gerade sehr zu schelten; ja wenn er, des Gewinstes satt oder vielmehr mit dem Gewinste zufrieden, wie oft zuvor vom Meere in den Hafen, so schließlich aus dem Hafen selbst zu Grundbesitz gelangt, so darf man wohl mit gutem Recht ihn loben. Aber unter allen Erwerbszweigen ist keiner besser, keiner ergiebiger, keiner erfreulicher, keiner dem freien Manne anständiger als der Grundbesitz.”

Also der anständige Mann muß streng genommen Gutsbesitzer sein; das Kaufmannsgewerbe passiert ihm nur, insofern es Mittel zu diesem letzten Zweck ist, die Wissenschaft als Profession nur den Griechen und den nicht den herrschenden Ständen angehörigen Römern, welche damit sich in den vornehmen Kreisen allenfalls für ihre Person eine gewisse Duldung erkaufen dürfen. Es ist die vollkommen ausgebildete Plantagenbesitzeraristokratie, mit einer starken Schattierung von kaufmännischer Spekulation und einer leisen Nuance von allgemeiner Bildung.

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Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tüchtige Gutsbesitzerstand wird weit überwuchert von den beiden tonangebenden Klassen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen Ziffern, um das relative Maß der Armut und des Reichtums für diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wieder an die Äußerung erinnert werden, die etwa fünfzig Jahre früher ein römischer Staatsmann tat: daß die Zahl der Familien von festgegründetem Reichtum innerhalb der römischen Bürgerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Bürgerschaft war seitdem eine andere geworden; aber daß das Mißverhältnis zwischen arm und reich sich wenigstens gleichgeblieben war, dafür sprechen deutliche Spuren. Die fortschreitende Verarmung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die entsprechende Steigerung des Reichtums bezeugt ausdrücklich ein Schriftsteller dieser Generation, indem er, von den Verhältnissen der marianischen Zeit sprechend, ein Vermögen von 2 Mill. Sesterzen (152 000 Taler) “nach damaligen Verhältnissen Reichtum” nennt; und ebendahin führen die Angaben, die wir über das Vermögen einzelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhieß zwanzigtausend Soldaten jedem vier Jugera Land aus eigenem Besitz; das Vermögen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1520000 Taler); Marcus Crassus, der reichste der Reichen, besaß am Anfang seiner Laufbahn 7 (530000 Taler), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das Volk 170 Millionen Sesterzen (13 Mill. Taler). Die Folgen solcher Armut und solchen Reichtums waren nach beiden Seiten eine äußerlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige ökonomische und sittliche Zerrüttung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unterstützung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es die notwendige Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechselwirkend auch wieder als Ursache auftrat, daß er der Bettlerfaulheit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbeiten, gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch, daß die Demagogen ihre Rechnung dabei fanden, vorwiegend die Besitzer derartiger Etablissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung der ärgsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Blüte gelangt, daß mit dem Verkauf der Programme derselben ein einträgliches Geschäft gemacht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neuerung auf, daß über Leben und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkür des Siegers, sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink der Sieger den daniederliegenden Besiegten entweder verschonte oder durchbohrte. Das Handwerk des Fechters war so im Preise gestiegen oder auch die Freiheit so im Preise gesunken, daß die Unerschrockenheit und der Wetteifer, die auf den Schlachtfeldern dieser Zeit vermißt wurden, in den Heeren der Arena allgemein waren und, wo das Duellgesetz es mit sich brachte, jeder Gladiator lautlos und ohne zu zucken sich durchbohren ließ, ja daß freie Männer nicht selten sich den Unternehmern für Kost und Lohn als Fechtknechte verkauften. Auch die Plebejer des fünften Jahrhunderts hatten gedarbt und gehungert, aber ihre Freiheit hatten sie nicht verkauft; und noch weniger würden die Rechtweiser jener Zeit sich dazu hergegeben haben, den ebenso sitten- wie rechtswidrigen Kontrakt eines solchen Fechtknechts, “sich unweigerlich fesseln, peitschen, brennen oder töten zu lassen, wenn die Gesetze der Anstalt dies mit sich bringen würden”, auf unfeinen juristischen Schleichwegen als statthaft und klagbar hinzustellen.

In der vornehmen Welt kam nun dergleichen nicht vor; aber im Grunde war sie kaum anders, am wenigsten besser. Im Nichtstun nahm es der Aristokrat dreist mit dem Proletarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster lungerte, dehnte jener sich bis in den hellen Tag hinein in den Feldern. Die Verschwendung regierte hier ebenso maß- wie geschmacklos. Sie warf sich auf die Politik wie auf das Theater, natürlich zu beider Verderben: man kaufte das Konsulamt um unglaublichen Preis - im Sommer 700 (54) ward allein die erste Stimmabteilung mit 10 Mill. Sesterzen (760000 Talern) bezahlt - und verdarb durch den tollen Dekorationsluxus dem Gebildeten alle Freude am Bühnenspiel. Die Mietpreise scheinen in Rom durchschnittlich vierfach höher als in den Landstädten sich gestellt zu haben; ein Haus daselbst ward einmal für 15 Mill. Sesterzen (1150000 Taler) verkauft. Das Haus des Marcus Lepidus (Konsul 676 78), als Sulla starb, das schönste in Rom, war ein Menschenalter später noch nicht der hundertste in der Rangfolge der römischen Paläste. Des mit den Landhäusern getriebenen Schwindels ward bereits gedacht; wir finden, daß für ein solches, das hauptsächlich seines Fischteiches wegen geschätzt war, 4 Mill. Sesterzen (300000 Taler) bezahlt wurden; und der ganz vornehme Mann bedurfte jetzt schon wenigstens zweier Landhäuser, eines in den Sabiner- oder Albaner Bergen bei der Hauptstadt und eines zweiten in der Nähe der kampanischen Bäder, dazu noch womöglich eines Gartens unmittelbar vor den Toren Roms. Noch unsinniger als diese Villen- waren die Grabpaläste, von denen einzelne noch bis auf den heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen Quaderhaufens der reiche Römer bedurfte, um standesmäßig gestorben zu sein. Die Pferde- und Hundeliebhaber fehlten auch nicht; für ein Luxuspferd waren 24000 Sesterzen (1830 Taler) ein nicht ungewöhnlicher Preis. Man raffinierte auf Möbel von feinem Holz - ein Tisch von afrikanischem Zypressenholz ward mit 1 Mill. Sesterzen (67000 Taler) bezahlt; auf Gewänder von Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze und daneben auch auf die zierlich vor dem Spiegel zurechtgelegten Falten - der Redner Hortensius soll einen Kollegen wegen Injurien belangt haben, weil er ihm im Gedränge den Rock zerknittert; auf Edelsteine und Perlen, die zuerst in dieser Zeit an die Stelle des alten, unendlich schöneren und kunstvolleren Goldschmucks traten: es war schon vollkommenes Barbarentum, wenn bei Pompeius’ Triumph über Mithradates das Bild des Siegers ganz von Perlen gearbeitet erschien und wenn man im Speisesaal die Sofas und die Etageren mit Silber beschlagen, ja das Küchengeschirr von Silber fertigen ließ. Gleicher Art ist es, wenn die Sammler dieser Zeit aus den alten Silberbechern die kunstvollen Medaillons herausbrachen um sie in goldene Gefäße wiedereinzusetzen. Auch der Reiseluxus ward nicht vermißt. “Wenn der Statthalter reiste”, erzählt Cicero von einem der sizilischen, “was natürlich im Winter nicht geschah, sondern erst mit Frühlingsanfang, nicht dem des Kalenders, sondern dem Anfang der Rosenzeit, so ließ er, wie es bei den Königen von Bithynien Brauch war, sich auf einer Achtträgersänfte befördern, sitzend auf Kissen von maltesischer Gaze und mit Rosenblättern gestopft, einen Kranz auf dem Kopf, einen zweiten um den Hals geschlungen, ein feines, leinenes, kleingetüpfeltes, mit Rosen angefülltes Riechsäckchen an die Nase haltend; und so ließ er bis vor sein Schlafzimmer sich tragen.” Aber keine Gattung des Luxus blühte so wie die roheste von allen, der Luxus der Tafel. Die ganze Villeneinrichtung und das ganze Villenleben lief schließlich hinaus auf das Dinieren; man hatte nicht bloß verschiedene Tafelzimmer für Winter und Sommer, sondern auch in der Bildergalerie, in der Obstkammer, im Vogelhaus wurde serviert oder auf einer im Wildpark aufgeschlagenen Estrade, um welche dann, wenn der bestellte “Orpheus” im Theaterkostüm erschien und Tusch blies, die dazu abgerichteten Rehe und Wildschweine sich drängten. So ward für Dekoration gesorgt, aber die Realität darüber durchaus nicht vergessen. Nicht bloß der Koch war ein graduierter Gastronom, sondern oft machte der Herr selbst den Lehrmeister seiner Köche. Längst war der Braten durch Seefische und Austern in den Schatten gestellt; jetzt waren die italischen Flußfische völlig von der guten Tafel verbannt und galten die italischen Delikatessen und die italischen Weine fast für gemein. Es wurden jetzt schon bei Volksfesten außer dem italischen Falerner drei Sorten ausländischen Weines - Sizilianer, Lesbier, Chier - verteilt, während ein Menschenalter zuvor es auch bei großen Schmäusen genügt hatte, einmal griechischen Wein herumzugeben; in dem Keller des Redners Hortensius fand sich ein Lager von 10000 Krügen (zu 33 Berliner Quart) fremden Weines. Es war kein Wunder, daß die italischen Weinbauer anfingen, über die Konkurrenz der griechischen Inselweine zu klagen. Kein Naturforscher kann eifriger die Länder und Meere nach neuen Tieren und Pflanzen durchsuchen, als es von den Eßkünstlern jener Zeit wegen neuer Küchenelegantien geschah ^22. Wenn dann der Gast, um den Folgen der ihm vorgesetzten Mannigfaltigkeiten zu entgehen, nach der Mahlzeit ein Vomitiv nahm, so fiel dies niemand mehr auf. Die Debauche aller Art ward so systematisch und so schwerfällig, daß sie ihre Professoren fand, die davon lebten, vornehmen Jünglingen theoretisch und praktisch als Lastermeister zu dienen. Es wird nicht nötig sein, bei diesem wüsten Gemälde eintönigster Mannigfaltigkeit noch länger zu verweilen; um so weniger, als ja auch auf diesem Gebiet die Römer nichts weniger als originell waren und sich darauf beschränkten, von dem hellenisch-orientalischen Luxus eine noch maß- und noch geistlosere Kopie zu liefern. Natürlich verschlingt Plutos seine Kinder so gut wie Kronos; die Konkurrenz um alle jene meist nichtigen Gegenstände vornehmer Begehrlichkeit trieb die Preise so in die Höhe, daß den mit dem Strome Schwimmenden in kurzer Zeit das kolossalste Vermögen zerrann und auch diejenigen, die nur Ehren halber das Notwendigste mitmachten, den ererbten und festgegründeten Wohlstand rasch sich unterhöhlen sahen. Die Bewerbung um das Konsulat zum Beispiel war die gewöhnliche Landstraße zum Ruin angesehener Häuser; und fast dasselbe gilt von den Spielen, den großen Bauten und all jenen andern, zwar lustigen, aber teuren Metiers. Der fürstliche Reichtum jener Zeit wird nur von der noch fürstlicheren Verschuldung überboten: Caesar schuldete um 692 (62) nach Abzug seiner Aktiva 25 Mill. Sesterzen (1900000 Taler), Marcus Antonius als Vierundzwanzigjähriger 6 Mill. Sesterzen (460000 Taler), vierzehn Jahre später 40 (3 Mill. Taler), Curio 60 (4½ Mill. Taler), Milo 70 Mill. (5½ Mill. Taler). Wie durchgängig jenes verschwenderische Leben und Treiben der vornehmen römischen Welt auf Kredit beruhte, davon zeugt die Tatsache, daß durch die Anleihen der verschiedenen Konkurrenten um das Konsulat einmal in Rom der Monatzins plötzlich von vier auf acht vom Hundert aufschlug. Die Insolvenz, statt rechtzeitig den Konkurs oder doch die Liquidation herbeizuführen und damit wenigstens wieder ein klares Verhältnis herzustellen, ward in der Regel von dem Schuldner, solange es irgend ging, verschleppt; statt seine Habe, namentlich seine Grundstücke zu verkaufen, fuhr er fort, zu borgen und den Scheinreichen weiter zu spielen, bis denn der Krach nur um so ärger kam und Konkurse ausbrachen wie zum Beispiel der des Milo, bei dem die Gläubiger etwas über vier vom Hundert der liquidierten Summen erhielten. Es gewann bei diesem rasend schnellen Umschlagen vom Reichtum zum Bankrott und diesem systematischen Schwindel natürlich niemand als der kühle Bankier, der es verstand, Kredit zu geben und zu verweigern. So kamen denn die Kreditverhältnisse fast auf demselben Punkte wieder an, wo sie in den schlimmsten Zeiten der sozialen Krise des fünften Jahrhunderts gestanden hatten: die nominellen Grundeigentümer waren gleichsam die Bittbesitzer ihrer Gläubiger, die Schuldner entweder ihren Gläubigern knechtisch untertan, so daß die geringeren von ihnen, gleich den Freigelassenen, in dem Gefolge derselben erschienen, die vornehmeren selbst im Senat nach dem Wink ihres Schuldherrn sprachen und stimmten, oder auch im Begriff, dem Eigentum selbst den Krieg zu erklären und ihre Gläubiger entweder durch Drohungen zu terrorisieren oder gar sich ihrer durch Komplott und Bürgerkrieg zu entledigen. Auf diesen Verhältnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen entsprangen die Aufläufe, deren Signal das “freie Folium” war, des Cinna und bestimmter noch des Catilina, des Caelius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die hellenische Welt bewegten. Daß bei so unterhöhlten ökonomischen Zuständen jede finanzielle oder politische Krise die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur der Dinge: es bedarf kaum gesagt zu werden, daß die gewöhnlichen Erscheinungen: das Verschwinden des Kapitals, die plötzliche Entwertung der Grundstücke, zahllose Bankrotte und eine fast allgemeine Insolvenz, ebenwie während des Bundesgenössischen und Mithradatischen, so auch jetzt während des Bürgerkrieges sich einstellten.

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^22 Wir haben noch (Macr. Sat. 3, 13) den Speisezettel derjenigen Mahlzeit, welche Lucius Lentulus Niger vor 691 (63) bei Antritt seines Pontifikats gab und an der die Pontifices - darunter Caesar -, die Vestalischen Jungfrauen und einige andere Priester und nah verwandte Damen Anteil nahmen. Vor der Mahlzeit kamen Meerigel; frische Austern soviel die Gäste wollten; Gienmuscheln; Lazarusklappen; Krammetsvögel mit Spargeln; gemästetes Huhn; Auster- und Muschelpastete; schwarze und weiße Meereicheln; noch einmal Lazarusklappen; Glykymarismuscheln; Nesselmuscheln; Feigenschnepfen; Rehrippen; Schweinsrippen; Geflügel in Mehl gebacken; Feigenschnepfen; Purpurmuscheln, zwei Sorten. Die Mahlzeit selbst bestand aus Schweinsbrust, Schweinskopf; Fischpastete; Schweinspastete; Enten; Kriechenten gekocht; Hasen; gebratenem Geflügel; Kraftmehlbackwerk; pontischem Backwerk.

Das sind die Kollegienschmäuse, von denen Varro (rust. 3, 2, 16) sagt, daß sie die Preise aller Delikatessen in die Höhe trieben. Derselbe zählt in einer seiner Satiren als die namhaftesten ausländischen Delikatessen folgende auf: Pfauen von Samos; Haselhühner aus Phrygien; Kraniche von Melos; Zicklein von Ambrakia; Thunfische von Kalchedon; Muränen aus der Gaditanischen Meerenge; Edelfische (?) von Pessinus. Austern und Muscheln von Tarent; Störe (?) von Rhodos; Scarusfische (?) von Kilikien; Nüsse von Thasos; Datteln aus Ägypten; spanische Eicheln.

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Daß Sittlichkeit und Familienleben unter solchen Verhältnissen in allen Schichten der Gesellschaft zur Antiquität wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht mehr der ärgste Schimpf und das schlimmste Verbrechen, arm zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat, der Bürger seine Freiheit; um Geld war die Offizierstelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vornehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkundenfälschung und Meineide waren so gemein geworden, daß bei einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid “das Schuldenpflaster” heißt. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Bestechung zurückwies, galt nicht für einen rechtschaffenen Mann, sondern für einen persönlichen Feind. Die Kriminalstatistik aller Zeiten und Länder wird schwerlich ein Seitenstück bieten zu einem Schaudergemälde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und so widernatürlicher Verbrechen, wie es der Prozeß des Aulus Cluentius in dem Schoß einer der angesehensten Familien einer italischen Ackerstadt vor uns aufrollt.

Wie aber im tiefen Grunde des Volkslebens der Schlamm immer giftiger und immer bodenloser sich sammelte, so legte sich um so viel glatter und gleißender über die Oberfläche der Firnis feiner Sitten und allgemeiner Freundschaft. Alle Welt besuchte sich einander, so daß in den vornehmen Häusern es schon nötig wird, die jeden Morgen zum Lever sich einstellenden Personen in einer gewissen, von dem Herrn oder gelegentlich auch dem Kammerdiener festgesetzten Reihenfolge vorzulassen, auch nur den namhafteren einzeln Audienz zu geben, die übrigen aber teils in Gruppen, teils schließlich in Masse abzufertigen, mit welcher Scheidung Gaius Gracchus, auch hierin der Pfadfinder der neuen Monarchie, vorangegangen sein soll. Eine ebenso große Ausdehnung wie die Höflichkeitsbesuche hat auch der Höflichkeitsbriefwechsel gewonnen; zwischen Personen, die weder ein persönliches Verhältnis noch Geschäfte miteinander haben, fliegen dennoch die “freundschaftlichen” Briefe über Land und Meer, und umgekehrt kommen eigentliche und förmliche Geschäftsbriefe fast nur da noch vor, wo das Schreiben an eine Korporation gerichtet ist. In der gleichen Weise werden die Einladungen zur Tafel, die üblichen Neujahrsgeschenke, die häuslichen Feste ihrem Wesen entfremdet und fast in öffentliche Festlichkeiten verwandelt; ja, der Tod selbst befreit nicht von diesen Rücksichten auf die unzähligen “Nächsten”, sondern, um anständig gestorben zu sein, muß der Römer jeden derselben wenigstens mit einem Andenken bedacht haben. Ebenwie in gewissen Kreisen unserer Börsenwelt war der eigentliche innige häusliche und hausfreundliche Zusammenhang dem damaligen Rom so vollständig abhanden gekommen, daß mit den inhaltlos gewordenen Formen und Floskeln desselben der gesamte Geschäfts- und Bekanntenverkehr sich staffieren und dann allmählich an die Stelle der wirklichen jenes Gespenst der “Freundschaft” treten konnte, welches unter den mancherlei über den Ächtungen und Bürgerkriegen dieser Zeit schwebenden Höllengeistern nicht den letzten Platz einnimmt.

Ein ebenso charakteristischer Zug in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist die Emanzipation der Frauenwelt. ökonomisch hatten die Frauen längst sich selbständig gemacht; in der gegenwärtigen Epoche begegnen schon eigene Frauenanwälte, die einzelnstehenden reichen Damen bei ihrer Vermögensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflissen zur Hand gehen, durch Geschäfts- und Rechtskenntnis ihnen imponieren und damit reichlichere Trinkgelder und Erbschaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Börse. Aber nicht bloß der ökonomischen Vormundschaft des Vaters oder des Mannes fühlten die Frauen sich entbunden. Liebeshändel aller Art waren beständig auf dem Tapet. Ballettänzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuosität ihrer Industrien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen, die Cytheris und wie sie weiter heißen, beschmutzen selbst die Blätter der Geschichte. Indes ihrem gleichsam konzessionierten Gewerbe tat sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Häusern waren so häufig geworden, daß nur ein ganz ausnehmendes Ärgernis sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe lächerlich. Ein Skandal ohnegleichen, wie ihn Publius Clodius 693 (61) bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex aufführte, obwohl tausendmal ärger als die Vorfälle, die noch fünfzig Jahre zuvor zu einer Reihe von Todesurteilen geführt hatten, ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Badesaison - im April, wo die Staatsgeschäfte ruhten und die vornehme Welt in Baiae und Puteoli zusammenströmte - zog ihren Hauptreiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhältnissen, die neben Musik und Gesang und eleganten Frühstücken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen unumschränkt; indes begnügten sie sich keineswegs mit dieser ihnen von Rechts wegen zustehenden Domäne, sondern sie machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intrigen an dem wüsten Koterietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmänninnen auf der Bühne Scipios und Catos agieren sah und daneben den jungen Elegant, wie er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und Busentüchern, Manschettenhemden und Frauensandalen das lockere Dirnchen kopierte, dem mochte wohl grauen vor der unnatürlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser Aristokratie über Ehescheidung dachte, läßt das Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf Bitten eines heiratslustigen Freundes von seiner Frau sich zu scheiden, keinen Anstand nahm und ebensowenig daran, nach dem Tode dieses Freundes dieselbe Frau zum zweitenmal zu heiraten. Ehe- und Kinderlosigkeit griffen vornehmlich in den höheren Ständen immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe längst als eine Last galt, die man höchstens im öffentlichen Interesse über sich nahm, so begegnen wir jetzt schon auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete: daß es Bürgerpflicht sei, die großen Vermögen zusammenzuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. Wo waren die Zeiten, als die Benennung “Kinderzeuger” (proletarius) für den Römer ein Ehrenname gewesen war!

Infolge dieser sozialen Zustände schwand der latinische Stamm in Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich über die schönen Landschaften teils die parasitische Einwanderung, teils die reine Öde. Ein ansehnlicher Teil der Bevölkerung Italiens strömte in das Ausland. Schon die Summe von Kapazitäten und Arbeitskräften, welche die Lieferung von italischen Beamten und italischen Besatzungen für das gesamte Mittelmeergebiet in Anspruch nahm, überstieg die Kräfte der Halbinsel, zumal da die also in die Fremde gesandten Elemente zum großen Teil der Nation für immer verloren gingen. Denn je mehr die römische Gemeinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs, desto mehr entwöhnte sich die regierende Aristokratie, Italien als ihre ausschließliche Heimat zu betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein ansehnlicher Teil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blutigen Bürgerkriege zugrunde, und ein anderer ward durch die lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienstzeit der Heimat völlig entfremdet. In gleicher Weise wie der öffentliche Dienst hielt die Spekulation einen Teil der Grundbesitzer- und fast die ganze Kaufmannschaft wenn nicht auf zeitlebens, doch auf lange Zeit außer Landes fest und entwöhnte namentlich die letztere in dem demoralisierenden Handelsreiseleben überhaupt der bürgerlichen Existenz im Mutterlande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie. Als Ersatz dafür erhielt Italien teils das Sklaven- und Freigelassenenproletariat, teils die aus Kleinasien, Syrien und Ägypten einströmenden Handwerker und Händler, die vornehmlich in der Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstädten Ostia, Puteoli, Brundisium wucherten. Aber in dem größten und wichtigsten Teil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevölkerung sichtlich hin. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien, von Gleichzeitigen der menschenleerste Teil Italiens genannt wird, und von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwirkung des zurückgehenden Ackerbaues und der zunehmenden bösen Luft jährlich mehr verödete. Labici, Gabii, Bovillae, einst freundliche Landstädtchen, waren so verfallen, daß es schwer hielt, Vertreter derselben für die Zeremonie des Latinerfestes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der angesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus einigen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches Heimatrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfähigen Bürger weit zurück selbst hinter kleinen Gemeinden des inneren Italiens. Der Stamm der waffenfähigen Mannschaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaftigkeit wesentlich beruht hatte, so vollständig ausgegangen, daß man die im Vergleich mit den gegenwärtigen Verhältnissen fabelhaft klingenden Berichte der Chronik von den Äquer- und Volskerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Teilen Mittelitaliens und in Kampanien: aber dennoch “standen”, wie Varro klagt, durchgängig einst menschenreiche Städte verödet.

Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist der verhängnisvolle Gegensatz durch nichts vermittelt oder gemildert. Je deutlicher und peinlicher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd höher der Reichtum stieg, je tiefer der Abgrund der Armut gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spekulation und des Glücksspiels der einzelne aus der Tiefe in die Höhe und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je weiter äußerlich die beiden Welten auseinanderklafften, desto vollständiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Familienlebens, das doch aller Nationalität Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Üppigkeit, der gleichen bodenlosen Ökonomie, der gleichen unmännlichen Abhängigkeit, der gleichen, nur im Tarif unterschiedenen Korruption, der gleichen Verbrecherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten, mit dem Eigentum den Krieg zu beginnen. Reichtum und Elend im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit Sklavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauenvolles Bild, aber kein eigentümliches; überall, wo das Kapitalistenregiment im Sklavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es Gottes schöne Welt in gleicher Weise verwüstet. Wie die Ströme in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber überall sich gleich sieht, so gleicht auch das Italien der ciceronischen Epoche wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo in ganz ähnlicher Weise das allmächtig regierende Kapital den Mittelstand zugrunde gerichtet, den Handel und die Gutswirtschaft zur höchsten Blüte gesteigert und schließlich eine gleißend übertünchte sittliche und politische Verwesung der Nation herbeigeführt hatte. Alles, was in der heutigen Welt das Kapital an argen Sünden gegen Nation und Zivilisation begangen hat, bleibt so tief unter den Greueln der alten Kapitalistenstaaten, wie der freie Mann, sei er auch noch so arm, über dem Sklaven bleibt; und erst wenn Nordamerikas Drachensaat reift, wird die Welt wieder ähnliche Früchte zu ernten haben.

Diese Leiden, an denen die italische Volkswirtschaft daniederlag, waren ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar, und was daran noch geheilt werden konnte, mußte wesentlich das Volk und die Zeit bessern; denn auch die weiseste Regierung vermag so wenig wie der geschickteste Arzt, die verdorbenen Säfte des Organismus in frische zu verwandeln oder bei tieferliegenden Übeln mehr zu tun, als die Zufälligkeiten abzuwehren, die die Heilkraft der Natur in ihrem Wirken hindern. Eine solche Abwehr gewährte an sich schon die friedliche Energie des neuen Regiments, durch welche einige der ärgsten Auswüchse von selber wegfielen, wie zum Beispiel die künstliche Großziehung des Proletariats, die Straflosigkeit der Verbrechen, der Ämterkauf und anderes mehr. Allein etwas mehr konnte die Regierung doch tun als bloß nicht schaden. Caesar gehörte nicht zu den überklugen Leuten, die das Meer darum nicht eindämmen, weil der Springflut doch kein Deich zu trotzen vermag. Es ist besser, wenn die Nation und ihre Ökonomie von selbst die naturgemäße Bahn geht; aber da sie aus dieser ausgewichen war, so setzte Caesar alle seine Energie ein, um von oben herab die Nation in das heimatliche und Familienleben zurückzubringen und die Volksökonomie durch Gesetz und Dekret zu reformieren. Um der dauernden Abwesenheit der Italiker aus Italien zu steuern und die vornehme Welt und die Kaufmannschaft zur Gründung eigener Herde in der Heimat zu veranlassen, wurde nicht bloß die Dienstzeit der Soldaten verkürzt, sondern auch den Männern senatorischen Standes überhaupt untersagt, anders als in öffentlichen Geschäften ihren Aufenthalt außerhalb Italiens zunehmen, den übrigen Italikern in heiratsfähigem Alter (vom zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahr) vorgeschrieben, nicht über drei Jahre hintereinander von Italien abwesend zu sein. In demselben Sinn hatte Caesar schon in seinem ersten Konsulat bei Gründung der Kolonie Capua die Väter mehrerer Kinder vorzugsweise bedacht und setzte nun als Imperator den Vätern zahlreicher Familien außerordentliche Belohnungen aus, während er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung und Ehebruch mit einem nach römischen Begriffen unerhörten Rigorismus behandelte. Er verschmähte es sogar nicht, ein detailliertes Luxusgesetz zu erlassen, das unter anderm die Bauverschwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswüchse, den Grabmonumenten, beschnitt, den Gebrauch von Purpurgewändern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen beschränkte und ihn erwachsenen Männern ganz untersagte, dem Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht neu; neu aber war es, daß der “Sittenmeister” ernstlich über deren Befolgung hielt, die Eßwarenmärkte durch bezahlte Aufpasser überwachte, ja, den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener die Tafel revidieren und die verbotenen Schüsseln auf dieser selbst konfiszieren ließ. Durch solche theoretische und praktische Unterweisung in der Mäßigkeit, welche die neue monarchische Polizei der vornehmen Welt erteilte, konnte freilich kaum mehr erreicht werden, als daß der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit zurückzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Verhältnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern.

Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen die Maßregeln Caesars zur besseren Regulierung der italischen Geld- und Bodenwirtschaft. Zunächst handelte es sich hier um transitorische Bestimmungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise überhaupt. Das durch den Lärm über die zurückgehaltenen Kapitalien hervorgerufene Gesetz, daß niemand über 60000 Sesterzen (4600 Taler) an barem Gold und Silber vorrätig haben dürfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden Publikums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; die Form der Publikation, wobei fingiert ward, daß hiermit nur ein älteres, in Vergessenheit geratenes Gesetz wieder eingeschärft werde, zeigt es, daß Caesar dieser Verfügung sich schämte, und schwerlich wird von ihr wirklich Anwendung gemacht sein. Eine weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden Forderungen, deren vollständigen Erlaß die Partei, die sich die seine nannte, von Caesar mit Ungestüm begehrte. Daß derselbe auf dieses Begehren so nicht einging, ward schon gesagt; indes wurden doch, und zwar schon im Jahre 705 (49), den Schuldnern zwei wichtige Zugeständnisse gemacht. Einmal wurden die rückständigen Zinsen niedergeschlagen ^23 und die gezahlten vom Kapital abgezogen. Zweitens ward der Gläubiger genötigt, die bewegliche und unbewegliche Habe des Schuldners an Zahlungs Statt nach demjenigen Taxwert anzunehmen, welchen die Sachen vor dem Bürgerkrieg und der durch denselben herbeigeführten allgemeinen Entwertung gehabt hatten. Die letztere Festsetzung war nicht unbillig; wenn der Gläubiger tatsächlich als der Eigentümer der Habe seines Schuldners bis zum Belauf der ihm geschuldeten Summe anzusehen war, so war es wohl gerechtfertigt, daß er an der allgemeinen Entwertung des Besitzes seinen Anteil mittrug. Dagegen die Annullierung der geleisteten oder ausstehenden Zinszahlungen, durch welche der Sache nach die Gläubiger außer den Zinsen selbst von dem, was sie zur Zeit der Erlassung des Gesetzes an Kapital zu fordern hatten, durchschnittlich 25 Prozent einbüßten, war in der Tat nichts anderes als eine teilweise Gewährung der von den Demokraten so ungestüm begehrten Kassation der aus Darlehen herrührenden Forderungen; und wie arg auch die Zinswucherer gewirtschaftet haben mochten, so ist es doch nicht möglich, damit die rückwirkende Vernichtung aller Zinsforderungen ohne Unterschied zu rechtfertigen. Um diese Agitation wenigstens zu begreifen, muß man sich erinnern, wie die demokratische Partei zu der Zinsfrage stand. Das gesetzliche Verbot, Zinsen zu nehmen, das die alte Plebejeropposition im Jahre 412 (342) erzwungen hatte, war zwar durch die mittels der Prätur den Zivilprozeß beherrschende Nobilität tatsächlich außer Anwendung gesetzt, aber doch formell seit jener Zeit in Gültigkeit geblieben; und die Demokraten des siebenten Jahrhunderts, die sich durchaus als die Fortsetzer jener alten ständisch-sozialen Bewegung betrachteten, hatten die Nichtigkeit der Zinszahlungen zu jeder Zeit behauptet, auch schon in den Wirren der marianischen Zeit dieselbe wenigstens vorübergehend praktisch geltend gemacht. Es ist nicht glaublich, daß Caesar die kruden Ansichten seiner Partei über die Zinsfrage teilte; wenn er in seinem Bericht über die Liquidationsangelegenheit der Verfügung über die Hingabe der Habe der Schuldner an Zahlungs Statt gedenkt, aber von der Kassation der Zinsen schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer Selbstvorwurf. Allein wie jeder Parteiführer hing doch auch er von seiner Partei ab und konnte die traditionellen Sätze der Demokratie in der Zinsfrage nicht geradezu verleugnen; um so mehr, als er über diese Frage nicht als der allmächtige Sieger von Pharsalos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entscheiden hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und das Eigentum vielleicht mehr zuließ als bewirkte, so ist es sicher sein Verdienst, daß jenes ungeheuerliche Begehren der Kassation sämtlicher Darlehnsforderungen zurückgewiesen ward: und es darf wohl als eine Ehrenrettung für ihn angesehen werden, daß die Schuldner über das ihnen gemachte, nach ihrer Ansicht höchst ungenügende Zugeständnis noch weit ungehaltener waren als die verkürzten Gläubiger und unter Caelius und Dolabella jene törichten und, wie bereits früher erzählt, rasch vereitelten Versuche machten, das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch Krawall und Bürgerkrieg zu erzwingen.

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^23 Dieses ist zwar nicht überliefert, folgt aber notwendig aus der Gestattung, die durch Barzahlung oder Anweisung gezahlten Zinsen (si quid usurae nomine numeratum auf perscriptum fuisset: Suet. Caes. 42) als gesetzwidrig gezahlt an dem Kapital zu kürzen.

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Aber Caesar beschränkte sich nicht darauf, dem Schuldner für den Augenblick zu helfen, sondern er tat, was er als Gesetzgeber tun konnte, um die fürchterliche Allmacht des Kapitals auf die Dauer zu beugen. Vor allen Dingen ward der große Rechtssatz proklamiert, daß die Freiheit nicht ein dem Eigentum kommensurables Gut ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat. Es ist Caesar, der, vielleicht auch hier angeregt durch die humanere ägyptische und griechische, besonders die Solonische Gesetzgebung ^24, dieses den Satzungen der älteren Konkursordnung schnurstracks widersprechende Prinzip eingeführt hat in das gemeine Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet. Nach römischem Landrecht ward der zahlungsunfähige Schuldner Knecht seines Gläubigers. Das Poetelische Gesetz hatte zwar dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Überschuldung augenblicklich zahlungsunfähig Gewordenen verstattet, durch Abtretung seiner Habe die persönliche Freiheit zu retten; für den wirklich Überschuldeten jedoch war jener Rechtssatz wohl in Nebenpunkten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein halbes Jahrtausend unverändert festgehalten worden; ein zunächst auf das Vermögen gerichteter Konkurs kam nur ausnahmsweise vor dann, wenn der Schuldner tot oder seines Bürgerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Erst Caesar gab dem überschuldeten Manne das Recht, worauf noch unsere heutigen Konkursordnungen beruhen: durch förmliche Abtretung der Habe an die Gläubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persönliche Freiheit, wenn auch mit geschmälerten Ehren- und politischen Rechten, zu erretten und eine neue Vermögensexistenz zu beginnen, in der er wegen der aus der älteren Zeit herrührenden und im Konkurs nicht gedeckten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie bezahlen konnte, ohne wiederum sich ökonomisch zu ruinieren. Wenn also dem großen Demokraten die unvergängliche Ehre zuteil ward, die persönliche Freiheit prinzipiell vom Kapital zu emanzipieren, so versuchte er ferner, die Übermacht des Kapitals durch Wuchergesetze auch polizeilich einzudämmen. Die demokratische Antipathie gegen die Zinsverträge verleugnete auch er nicht. Für den italischen Geldverkehr wurde eine Maximalsumme der dem einzelnen Kapitalisten zu gestattenden Zinsdarlehen festgestellt, welche sich nach dem einem jeden zuständigen italischen Grundbesitz gerichtet zu haben scheint und vielleicht die Hälfte des Wertes desselben betrug. Übertretungen dieser Bestimmung wurden, nach Art des in den republikanischen Wuchergesetzen vorgeschriebenen Verfahrens, als Kriminalvergehen behandelt und vor eine eigene Geschworenenkommission gewiesen. Wenn es gelang, diese Vorschriften praktisch durchzuführen, so wurde jeder italische Geschäftsmann dadurch genötigt, vor allem zugleich auch italischer Grundbesitzer zu werden, und die Klasse der bloß von ihren Zinsen zehrenden Kapitalisten verschwand in Italien gänzlich. Mittelbar wurde damit auch die nicht minder schädliche Kategorie der überschuldeten und der Sache nach nur für ihre Gläubiger das Gut verwaltenden Grundeigentümer wesentlich beschränkt, indem die Gläubiger, wenn sie ihr Zinsgeschäft fortführen wollten, gezwungen wurden, selber sich anzukaufen. Schon hierin übrigens liegt es, daß Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot der alten Popularpartei einfach erneuern, sondern vielmehr das Zinsnehmen innerhalb gewisser Grenzen gestatten wollte. Sehr wahrscheinlich aber hat er dabei sich nicht auf jene bloß für Italien gültige Anordnung eines Maximalsatzes der auszuleihenden Summen beschränkt, sondern auch, namentlich mit Rücksicht auf die Provinzen, für die Zinsen selbst Maximalsätze vorgeschrieben. Die Verfügungen, daß es unstatthaft sei, höhere Zinsen als eins vom Hundert monatlich oder von rückständigen Zinsen wieder Zinsen zu nehmen oder endlich an rückständigen Zinsen mehr als eine dem Kapital gleichkommende Summe gerichtlich geltend zu machen, wurden, wahrscheinlich ebenfalls nach griechisch-ägyptischem Muster ^25, im Römischen Reiche zuerst von Lucius Lucullus für Kleinasien aufgestellt und daselbst von seinen besseren Nachfolgern beibehalten, sodann bald auch auf andere Provinzen durch Statthalterverordnungen übertragen und endlich wenigstens ein Teil derselben durch einen Beschluß des römischen Senats vom Jahre 704 (50) mit Gesetzeskraft in allen Provinzen versehen. Wenn diese Lucullischen Verfügungen späterhin in ihrem vollen Umfang als Reichsgesetz erscheinen und durchaus die Grundlage der römischen, ja der heutigen Zinsgesetzgebung geworden sind, so darf auch dies vielleicht auf eine Bestimmung Caesars zurückgeführt werden.

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^24 Die ägyptischen Königsgesetze (Diod. 1, 79) und ebenso das Solonische Recht (Plut. Sol. 13, 15) untersagten die Schuldbriefe, worin auf die Nichtzahlung der Verlust der persönlichen Freiheit des Schuldners gesetzt war; und wenigstens das letztere legte auch im Falle des Konkurses dem Schuldner nicht mehr auf als die Abtretung seiner sämtlichen Aktiva.

^25 Wenigstens der letztere Satz kehrt wieder in den alten ägyptischen Königsgesetzen (Diod. 1, 79). Dagegen kennt das Solonische Recht keine Zinsbeschränkungen, erlaubt vielmehr ausdrücklich, Zinsen von jeder beliebigen Höhe auszumachen.

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Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, der Kapitalübermacht zu wehren, gingen die Bemühungen, die Bodenwirtschaft in diejenige Bahn zurückzuleiten, die dem Gemeinwesen die förderlichste war. Sehr wesentlich war hierfür schon die Verbesserung der Rechtspflege und der Polizei. Wenn bisher niemand in Italien seines Lebens und seines beweglichen oder unbeweglichen Eigentums sicher gewesen war, wenn zum Beispiel die römischen Bandenführer in den Zwischenzeiten, wo ihre Leute nicht in der Hauptstadt Politik machen halfen, in den Wäldern Etruriens dem Raube obgelegen oder auch die Landgüter ihrer Soldherren durch Eroberungen arrondiert hatten, so hatte dergleichen Faustrecht nunmehr ein Ende; und vor allem die ackerbauende Bevölkerung aller Klassen mußte davon die wohltätigen Folgen empfinden. Auch Caesars Baupläne, die sich durchaus nicht auf die Hauptstadt beschränkten, waren bestimmt, hier einzugreifen; so sollte zum Beispiel die Anlegung einer bequemen Fahrstraße von Rom durch die Apenninenpässe zum Adriatischen Meer den italischen Binnenverkehr beleben, die Niedrigerlegung des Fuciner Sees der marsischen Bauernschaft zugute kommen. Allein auch unmittelbar griff Caesar in die wirtschaftlichen Zustände Italiens ein. Den italischen Viehzüchtern wurde auferlegt, wenigstens den dritten Teil ihrer Hirten aus freigeborenen, erwachsenen Leuten zu nehmen, wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem freien Proletariat eine Erwerbsquelle geöffnet ward. In der agrarischen Frage ging Caesar, der bereits in seinem ersten Konsulat in die Lage gekommen war, sie zu regulieren, verständiger als Tiberius Gracchus, nicht darauf aus, die Bauernwirtschaft wiederherzustellen um jeden Preis, selbst um den einer unter juristischen Klauseln versteckten Revolution gegen das Eigentum; ihm wie jedem andern echten Staatsmann galt vielmehr als die erste und unverbrüchlichste aller politischen Maximen die Sicherheit dessen, was Eigentum ist oder doch im Publikum als Eigentum gilt, und nur innerhalb der hierdurch gezogenen Schranken suchte er die Hebung des italischen Kleinbesitzes, die auch ihm als eine Lebensfrage der Nation erschien, zu bewerkstelligen. Es ließ auch so noch viel in dieser Beziehung sich tun. Jedes Privatrecht, mochte es Eigentum oder titulierter Erbbesitz heißen, auf Gracchus oder auf Sulla zurückgehen, ward unbedingt von ihm respektiert. Dagegen das sämtliche wirkliche Domanialland in Italien, mit Einschluß eines ansehnlichen Teils der in den Händen geistlicher Innungen befindlichen, rechtlich dem Staate zuständigen Liegenschaften, wurde von Caesar, nachdem er in seiner streng sparsamen, auch im kleinen keine Verschleuderung und Vernachlässigung duldenden Weise durch die wiedererweckte Zwanzigerkommission eine allgemeine Revision der italischen Besitztitel veranstaltet hatte, zur Verteilung in gracchanischer Weise bestimmt, natürlich soweit es sich zum Ackerbau eignete - die dem Staate gehörigen apulischen Sommer- und samnitischen Winterweiden blieben auch ferner Domäne; und es war wenigstens die Absicht des Imperators, wenn diese Domänen nicht ausreichen würden, das weiter erforderliche Land durch Ankauf italischer Grundstücke aus der Staatskasse zu beschaffen. Bei der Auswahl der neuen Bauern wurden natürlich vor allen die gedienten Soldaten berücksichtigt und soweit möglich die Last, welche die Aushebung für das Mutterland war, dadurch in eine Wohltat umgewandelt, daß Caesar den als Rekruten ausgehobenen Proletarier ihm als Bauer zurückgab; bemerkenswert ist es auch, daß die verödeten latinischen Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena, vorzugsweise mit neuen Kolonisten bedacht worden zu sein scheinen. Die Vorschrift Caesars, daß die neuen Eigentümer erst nach zwanzig Jahren befugt sein sollten, die empfangenen Ländereien zu veräußern, war ein glücklicher Mittelweg zwischen der völligen Freigebung des Veräußerungsrechts, die den größten Teil des verteilten Landes rasch wieder in die Hände der großen Kapitalisten zurückgeführt haben würde, und den bleibenden Beschränkungen der Verkehrsfreiheit, wie sie Tiberius Gracchus und Sulla, beide gleich vergeblich, verfügt hatten.

Wenn also die Regierung energisch dazu tat, die kranken Elemente des italischen Volkslebens zu entfernen und die gesunden zu stärken, so sollte endlich das neu regulierte Munizipalwesen, nachdem sich dasselbe erst jüngst aus der Krise des Bundesgenossenkriegs in und neben dem Staatswesen entwickelt hatte, der neuen absoluten Monarchie das mit ihr verträgliche Gemeindeleben mitteilen und die stockende Zirkulation der edelsten Elemente des öffentlichen Lebens wieder zu rascheren Pulsschlägen erwecken. Als leitender Grundsatz in den beiden im Jahre 705 (49) für das Cisalpinische Gallien, im Jahre 709 (45) für Italien erlassenen Gemeindeordnungen ^26, von denen namentlich die letztere für die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb, erscheint teils die strenge Reinigung der städtischen Kollegien von allen unsittlichen Elementen, während von politischer Polizei darin keine Spur vorkommt, teils die möglichste Beschränkung des Zentralisierens und die möglichst freie Bewegung der Gemeinden, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenngleich beschränkte Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit verblieb. Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Beschränkungen des Assoziationsrechts, griffen freilich auch hier Platz.

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^26 Von beiden Gesetzen sind beträchtliche Bruchstücke noch vorhanden.

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Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar versuchte, die italische Volkswirtschaft zu reformieren. Es ist leicht, sowohl ihre Unzulänglichkeit darzutun, indem auch sie noch eine Menge von Übelständen bestehen ließen, als auch nachzuweisen, daß sie vielfach schädlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit zum Teil sehr empfindlich beschränkten. Es ist noch leichter nachzuweisen, daß die Schäden der italischen Volkswirtschaft überhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotzdem wird der praktische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war schon etwas, daß da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhilfe verzweifelnd, mit einer bloß formalen Reorganisation sich begnügt hatte, das Übel an seinem eigentlichen Sitze angefaßt und hier mit ihm gerungen ward; und wir dürfen wohl urteilen, daß Caesar mit seinen Reformen dem Maße des Möglichen so nahe kam, als zu kommen dem Staatsmann und dem Römer gegeben war. Die Verjüngung Italiens hat auch er von ihnen nicht erwarten können noch erwartet, sondern diese vielmehr auf einem sehr verschiedenen Wege zu erreichen gesucht, den darzulegen es nötig wird, zunächst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vorfand, ins Auge zu fassen.

Die Provinzen, welche Caesar vorfand, waren vierzehn an der Zahl; sieben europäische: das Jenseitige und das Diesseitige Spanien; das Transalpinische Gallien; das Italische Gallien mit Illyricum; Makedonien mit Griechenland; Sizilien; Sardinien mit Korsika; fünf asiatische: Asia; Bithynien und Pontus; Kilikien mit Kypros; Syrien; Kreta; und zwei afrikanische: Kyrene und Afrika; wozu Caesar durch die Einrichtung der beiden neuen Statthalterschaften des Lugdunensischen Galliens und Belgiens und durch Konstituierung Illyricums als einer eigenen Provinz noch drei neue Sprengel hinzufügte ^27.

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^27 Da nach Caesars Ordnung jährlich sechzehn Proprätoren und zwei Prokonsuln in die Statthalterschaften sich teilten und die letzteren zwei Jahre im Amt blieben, so möchte man schließen daß er die Zahl der Provinzen insgesamt auf zwanzig zu bringen beabsichtigte. Zu einer Gewißheit ist indes hier um so weniger zu gelangen, als Caesar vielleicht absichtlich weniger Ämter einrichtete als Kandidaturen.

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In dem Regiment über diese Provinzen war die oligarchische Mißwirtschaft auf einem Punkte angekommen, wie ihn wenigstens im Okzident, trotz mancher achtbarer Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals erreicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung nicht mehr möglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung hierfür die Römer nicht allein. Fast überall hatte bereits vor ihnen das griechische, phönikische oder asiatische Regiment den Völkern den höheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefühl besserer Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, daß jeder angeschuldigte Provinziale auf Verlangen in Rom persönlich zur Verantwortung sich zu stellen verpflichtet war; daß der römische Statthalter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der abhängigen Gemeinden eingriff, Bluturteile fällte und Verhandlungen des Gemeinderats kassierte; daß er im Kriegsfall mit den Milizen nach Gutdünken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie zum Beispiel Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle gefährlichen Posten anwies, um seine Italiker zu schonen, und, da die Belagerung nicht nach Wunsch ging, seinen Werkmeistern den Kopf vor die Füße zu legen befahl. Es war wohl arg, daß keine Vorschrift der Sittlichkeit oder des Strafrechts weder die römischen Vögte noch ihr Gefolge band und daß Vergewaltigungen, Schändungen und Ermordungen mit oder ohne Form Rechtens in den Provinzen alltägliche Auftritte waren. Allein es war dies wenigstens nichts Neues: fast überall war man sklavischer Behandlung längst gewohnt und es kam am Ende wenig darauf an, ob ein karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder ein römischer Prokonsul den Lokaltyrannen spielte. Das materielle Wohlbefinden, ziemlich das einzige, wofür man in den Provinzen noch Sinn hatte, ward durch jene Vorgänge, die zwar bei den vielen Tyrannen viele, aber doch nur einzelne Individuen trafen, weit minder gestört als durch die auf allen zugleich lastende finanzielle Exploitierung, welche mit solcher Energie doch niemals noch aufgetreten war. Die Römer bewährten ihre alte Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet in einer entsetzlichen Weise. Es ist früher versucht worden, das römische System der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen und verständigen Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verderbung darzustellen. Daß die letztere progressiv zunahm, versteht sich von selbst. Die ordentlichen Abgaben wurden weit drückender durch die Ungleichheit der Steuerverteilung und durch das verkehrte Hebesystem als durch ihre Höhe. Über die Einquartierungslast äußerten römische Staatsmänner selbst, daß eine Stadt ungefähr gleich viel leide, wenn der Feind sie erstürme und wenn ein römisches Heer Winterquartier in ihr nehme. Während die Besteuerung nach ihrem ursprünglichen Charakter die Vergütung für die von Rom übernommene Kriegslast gewesen war und die steuernde Gemeinde also ein Recht darauf hatte, vom ordentlichen Dienst verschont zu bleiben, wurde jetzt, wie zum Beispiel für Sardinien bezeugt ist, der Besatzungsdienst größtenteils den Provinzialen aufgebürdet und sogar in den ordentlichen Heeren außer anderen Leistungen die ganze schwere Last des Reiterdienstes auf sie abgewälzt. Die außerordentlichen Leistungen, wie zum Beispiel die Kornlieferungen gegen geringe oder gar keine Vergütung zum Besten des hauptstädtischen Proletariats, die häufigen und kostspieligen Flottenrüstungen und Strandverteidigungen, um der Piraterie zu steuern, die Aufgaben, Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Bedürfnisse des wahnwitzigen römischen Theater- und Tierhetzenluxus herbeizuschaffen, die militärischen Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso häufig wie erdrückend und unberechenbar. Ein einzelnes Beispiel mag zeigen, wie weit die Dinge gingen. Während der dreijährigen Verwaltung Siziliens durch Gaius Verres sank die Zahl der Ackerwirte in Leontinoi von 84 auf 32, in Motuka von 187 auf 86, in Herbita von 252 auf 120, in Agyrion von 250 auf 80; so daß in vier der fruchtbarsten Distrikte Siziliens von hundert Grundbesitzern 59 ihre Äcker lieber brach liegen ließen, als sie unter diesem Regiment bestellten. Und diese Ackerwirte waren, wie schon ihre geringe Zahl zeigt und auch ausdrücklich gesagt wird, keineswegs kleine Bauern, sondern ansehnliche Plantagenbesitzer und zum großen Teil römische Bürger!

In den Klientelstaaten waren die Formen der Besteuerung etwas verschieden, aber die Lasten selbst womöglich noch ärger, da außer den Römern hier auch noch die einheimischen Höfe erpreßten. In Kappadokien und Ägypten war der Bauer wie der König bankrott und jener den Steuereinnehmer, dieser den römischen Gläubiger zu befriedigen außerstande. Dazu kamen denn die eigentlichen Erpressungen nicht bloß des Statthalters selbst, sondern auch seiner “Freunde”, von denen jeder gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter zu haben meinte und ein Anrecht, durch ihn aus der Provinz als ein gemachter Mann zurückzukommen. Die römische Oligarchie glich in dieser Beziehung vollständig einer Räuberbande und betrieb das Plündern der Provinzialen berufs- und handwerksmäßig: ein tüchtiges Mitglied griff nicht allzu säuberlich zu, da man ja mit den Sachwaltern und den Geschworenen zu teilen hatte und je mehr, um desto sicherer stahl. Auch die Diebesehre war bereits entwickelt: der große Räuber sah auf den kleinen, dieser auf den bloßen Dieb geringschätzig herab; wer einmal wunderbarerweise verurteilt worden war, tat groß mit der hohen Ziffer der als erpreßt ihm nachgewiesenen Summen. So wirtschafteten in den Ämtern die Nachfolger jener Männer, die von ihrer Verwaltung nichts nach Hause zu bringen gewohnt gewesen als den Dank der Untertanen und den Beifall der Mitbürger.

Aber womöglich noch ärger und noch weniger einer Kontrolle unterworfen hausten die italischen Geschäftsmänner unter den unglücklichen Provinzialen. Die einträglichsten Stücke des Grundbesitzes und das gesamte Handels- und Geldwesen in den Ämtern konzentrierten sich in ihren Händen. Die Güter in den überseeischen Gebieten, welche italischen Vornehmen gehörten, waren allem Elend der Verwalterwirtschaft ausgesetzt und sahen niemals ihren Herrn, ausgenommen etwa die Jagdparke, welche schon in dieser Zeit im Transalpinischen Gallien mit einem Flächeninhalt bis fast zu einer deutschen Quadratmeile vorkommen. Die Wucherei florierte wie nie zuvor. Die kleinen Landeigentümer in Illyricum, Asia, Ägypten wirtschafteten schon zu Varros Zeit größtenteils tatsächlich als Schuldknechte ihrer römischen oder nichtrömischen Gläubiger, ebenwie einst die Plebejer für ihre patrizischen Zinsherren. Es kam vor, daß Kapitalien selbst an Stadtgemeinden zu vier Prozent monatlich verborgt wurden. Es war etwas Gewöhnliches, daß ein energischer und einflußreicher Geschäftsmann zu besserer Betreibung seiner Geschäfte entweder vom Senat sich den Gesandten- ^28 oder auch vom Statthalter den Offizierstitel geben ließ und womöglich auch Mannschaft dazu; in beglaubigter Weise wird ein Fall erzählt, wo einer dieser ehrenwerten kriegerischen Bankiers wegen einer Forderung an die Stadt Salamis auf Kypros den Gemeinderat derselben im Rathaus so lange blockiert hielt, bis fünf der Ratsmitglieder Hungers gestorben waren.

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^28 Dies ist die sogenannte “freie Gesandtschaft” (libera legatio), nämlich eine Gesandtschaft ohne eigentliche öffentliche Aufträge.

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Zu dieser gedoppelten Pressung, von denen jede allein unerträglich war und deren Ineinandergreifen immer besser sich regulierte, kamen dann die allgemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch die römische Regierung die Schuld, zum großen Teil wenigstens mittelbar trug. In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald von den römischen Heeren große Kapitalien aus dem Lande weggeschleppt und größere verdorben. Bei der Nichtigkeit der römischen Land- und Seepolizei wimmelte es überall von Land- und Seeräubern. In Sardinien und im inneren Kleinasien war die Bandenwirtschaft endemisch; in Afrika und im Jenseitigen Spanien machte sie es nötig, alle außerhalb der städtischen Ringmauern angelegten Gebäude mit Mauern und Türmen zu befestigen. Das furchtbare Übel der Piraterie ward bereits in einem anderen Zusammenhang geschildert. Die Panazeen des Prohibitivsystems, mit denen der römische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das unter solchen Verhältnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme oder Brotteuerung eintrat, die Verbote der Gold- und Getreideausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht besser. Die Kommunalverhältnisse waren fast überall, außer durch den allgemeinen Notstand, auch noch durch lokale Wirren und Unterschleife der Gemeindebeamten zerrüttet. Wo solche Bedrängnisse nicht etwa vorübergehend, sondern Menschenalter hindurch auf den Gemeinden und den einzelnen mit unabwendbar stetigem, jährlich steigendem Drucke lasteten, mußte wohl der bestgeordnete öffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen und das unsäglichste Elend über alle Nationen vom Tajo bis zum Euphrat sich ausbreiten. “Alle Gemeinden”, heißt es in einer schon 684 (70) veröffentlichten Schrift “sind zugrunde gerichtet”; ebendasselbe wird für Spanien und das Narbonensische Gallien, also die verhältnismäßig ökonomisch noch am leidlichsten gestellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar standen Städte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche Sklavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe, und sogar der geduldige Asiate war, nach den Schilderungen römischer Staatsmänner selbst, des Lebens überdrüssig geworden. Wen zu ergründen gelüstet, wie tief der Mensch sinken kann, sowohl in dem frevelhaften Zufügen wie in dem nicht minder frevelhaften Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Kriminalakten dieser Zeit zusammenlesen, was römische Große zu tun, was Griechen, Syrer und Phöniker zu leiden vermochten. Selbst die eigenen Staatsmänner räumten öffentlich und ohne Umschweife ein, daß der römische Name durch ganz Griechenland und Asien unaussprechlich verhaßt sei; und wenn die Bürger des pontischen Herakleia einmal die römischen Zöllner sämtlich erschlugen, so war dabei nur zu bedauern, daß dergleichen nicht öfter geschah.

Die Optimaten spotteten über den neuen Herrn, der seine “Meierhöfe” einen nach dem andern selbst zu besichtigen kam; in der Tat forderte der Zustand aller Provinzen den ganzen Ernst und die ganze Weisheit eines jener seltenen Männer, denen der Königsname es verdankt, daß er den Völkern nicht bloß gilt als leuchtendes Exempel menschlicher Unzulänglichkeit. Die geschlagenen Wunden mußte die Zeit heilen; daß sie es konnte und daß nicht ferner neue geschlagen wurden, dafür sorgte Caesar. Das Verwaltungswesen ward durchgreifend umgestaltet. Die Sullanischen Prokonsuln und Proprätoren waren in ihrem Sprengel wesentlich souverän und tatsächlich keiner Kontrolle unterworfen gewesen; die Caesarischen waren die wohl in Zucht gehaltenen Diener eines strengen Herrn, der schon durch die Einheit und die lebenslängliche Dauer seiner Macht zu den Untertanen ein natürlicheres und leidlicheres Verhältnis hatte als jene vielen, jährlich wechselnden kleinen Tyrannen. Die Statthalterschaften wurden zwar auch ferner unter die jährlich abtretenden zwei Konsuln und sechzehn Prätoren verteilt, aber dennoch, indem der Imperator acht von den letzteren geradezu ernannte und die Verteilung der Provinzen unter die Konkurrenten lediglich von ihm abhing, der Sache nach von dem Imperator vergeben. Auch die Kompetenz der Statthalter ward tatsächlich beschränkt. Es blieb ihnen die Leitung der Rechtspflege und die administrative Kontrolle der Gemeinden, aber ihr Kommando ward paralysiert durch das neue Oberkommando in Rom und dessen, dem Statthalter zur Seite gestellte Adjutanten, das Hebewesen wahrscheinlich schon jetzt, auch in den Provinzen wesentlich an kaiserliche Bediente übertragen, so daß der Statthalter fortan mit einem Hilfspersonal umringt war, welches entweder durch die Gesetze der militärischen Hierarchie oder durch die noch strengeren der häuslichen Zucht unbedingt von dem Imperator abhing. Wenn bisher der Prokonsul und sein Quästor erschienen waren gleichsam als die zur Einziehung der Brandschatzung abgesandten Mitglieder einer Räuberbande, so waren Caesars Beamte dazu da, um den Schwachen gegen den Starken zu beschützen; und an die Stelle der bisherigen, schlimmer als nichtigen Kontrolle der Ritter- oder senatorischen Gerichte trat für sie die Verantwortung vor einem gerechten und unnachsichtigen Monarchen. Das Gesetz über Erpressungen, dessen Bestimmungen Caesar schon in seinem ersten Konsulat verschärft hatte, wurde gegen die Oberkommandanten in den Ämtern von ihm mit unerbittlicher, selbst über den Buchstaben desselben hinausgehender Schärfe zur Anwendung gebracht; und die Steuerbeamten gar, wenn sie ja es wagten, sich eine Unrechtfertigkeit zu erlauben, büßten ihrem Herrn, wie Knechte und Freigelassene nach dem grausamen Hausrecht jener Zeit zu büßen pflegten. Die außerordentlichen öffentlichen Lasten wurden auf das richtige Maß und den wirklichen Notfall zurückgeführt, die ordentlichen wesentlich vermindert. Der durchgreifenden Regulierung des Steuerwesens ward bereits früher gedacht: die Ausdehnung der Steuerfreiheiten, die durchgängige Herabsetzung der direkten Abgaben, die Beschränkung des Zehntsystems auf Afrika und Sardinien, die vollständige Beseitigung der Mittelsmänner bei der Einziehung der direkten Abgaben waren für die Provinzialen segensreiche Reformen. Daß Caesar nach dem Beispiel eines seiner größten demokratischen Vorgänger, des Sertorius, die Untertanen von der Einquartierungslast hat befreien und die Soldaten anhalten wollen, sich selber bleibende stadtartige Standlager zu errichten, ist zwar nicht nachzuweisen; aber er war, wenigstens nachdem er die Prätendenten- mit der Königsrolle vertauscht hatte, nicht der Mann, den Untertan dem Soldaten preiszugeben; und es war in seinem Geiste gedacht, als die Erben seiner Politik solche Kriegslager und aus diesen Kriegslagern wieder Städte erschufen, in denen die italische Zivilisation Brennpunkte inmitten der barbarischen Grenzlandschaften fand.

Bei weitem schwieriger als dem Beamtenunwesen zu steuern war es, die Provinzialen von der erdrückenden Übermacht des römischen Kapitals zu befreien. Geradezu brechen ließ dieselbe sich nicht, ohne Mittel anzuwenden, die noch gefährlicher waren als das Übel; die Regierung konnte vorläufig nur einzelne Mißbräuche abstellen, wie zum Beispiel Caesar die Benutzung des Staatsgesandtentitels zu wucherlichen Zwecken untersagte, und der offenbaren Vergewaltigung und dem handgreiflichen Wucher durch scharfe Handhabung der allgemeinen Straf- und der auch auf die Provinzen sich erstreckenden Wuchergesetze entgegentreten, eine gründlichere Heilung des Übels aber von dem unter der besseren Verwaltung wiederaufblühenden Wohlstand der Provinzialen erwarten. Transitorische Verfügungen, um der Überschuldung einzelner Provinzen abzuhelfen, waren in den letzten Zeiten mehrfach ergangen. Caesar selbst hatte 694 (60) als Statthalter des Jenseitigen Spaniens den Gläubigern zwei Drittel der Einnahmen ihrer Schuldner zugewiesen, um daraus sich bezahlt zu machen. Ähnlich hatte schon Lucius Lucullus als Statthalter von Kleinasien einen Teil der maßlos angeschwollenen Zinsreste geradezu kassiert, für den übrigen Teil die Gläubiger angewiesen auf den vierten Teil des Ertrages der Ländereien ihrer Schuldner sowie auf eine angemessene Quote der aus Hausmiete oder Sklavenarbeit denselben zufließenden Nutzungen. Es ist nicht überliefert, daß Caesar nach dem Bürgerkrieg ähnliche allgemeine Schuldenliquidationen in den Provinzen veranlaßt hätte; doch kann es, nach dem eben Bemerkten und nach dem, was für Italien geschah, kaum bezweifelt werden, daß Caesar darauf ebenfalls hingearbeitet hat oder dies wenigstens in seinem Plan lag.

Wenn also der Imperator, soweit Menschenkraft es vermochte, die Provinzialen der Bedrückungen durch die Beamten und Kapitalisten Roms entlastete, so durfte man zugleich von der durch ihn neu erstarkenden Regierung mit Sicherheit erwarten, daß sie die wilden Grenzvölker verscheuchen und die Land- und Seepiraten zerstreuen werde, wie die aufsteigende Sonne die Nebel verjagt. Wie auch noch die alten Wunden schmerzten, mit Caesar erschien den vielgeplagten Untertanen die Morgenröte einer erträglicheren Zeit, seit Jahrhunderten wieder die erste intelligente und humane Regierung und eine Friedenspolitik, die nicht auf der Feigheit, sondern auf der Kraft beruhte. Wohl mochten mit den besten Römern vor allem die Untertanen an der Leiche des großen Befreiers trauern.

Allein diese Abstellung der bestehenden Mißbräuche war nicht die Hauptsache in Caesars Provinzialreform. In der römischen Republik waren, nach der Ansicht der Aristokratie wie der Demokratie, die Ämter nichts gewesen als wie sie häufig genannt werden: Landgüter des römischen Volkes, und als solche waren sie benutzt und ausgenutzt worden. Damit war es jetzt vorbei. Die Provinzen als solche sollten allmählich untergehen, um der verjüngten hellenisch-italischen Nation eine neue und geräumigere Heimat zu bereiten, von deren einzelnen Bezirken keiner nur um eines andern willen da war, sondern alle für einen und einer für alle; die Leiden und Schäden der Nation, für die in dem alten Italien keine Hilfe war, sollte das neue Dasein in der verjüngten Heimat, das frischere, breitere, großartigere Volksleben von selber überwinden. Bekanntlich waren diese Gedanken nicht neu. Die seit Jahrhunderten stehend gewordene Emigration aus Italien in die Provinzen hatte längst, freilich den Emigranten selber unbewußt, eine solche Ausdehnung Italiens vorbereitet. In planmäßiger Weise hatte zuerst Gaius Gracchus, der Schöpfer der römischen demokratischen Monarchie, der Urheber der transalpinischen Eroberungen, der Gründer der Kolonien Karthago und Narbo, die Italiker über Italiens Grenzen hinausgelenkt, sodann der zweite geniale Staatsmann, den die römische Demokratie hervorgebracht, Quintus Sertorius, damit begonnen, die barbarischen Okzidentalen zur latinischen Zivilisation anzuleiten; er gab der vornehmen spanischen Jugend römische Tracht und hielt sie an, lateinisch zu sprechen und auf der von ihm gegründeten Bildungsanstalt in Osca sich die höhere italische Bildung anzueignen. Bei Caesars Regierungsantritt war bereits eine massenhafte, freilich der Stetigkeit wie der Konzentration großenteils ermangelnde italische Bevölkerung in allen Provinzen und Klientelstaaten vorhanden - um von den förmlich italischen Städten in Spanien und dem südlichen Gallien zu schweigen, erinnern wir nur an die zahlreichen Bürgertruppen, die Sertorius und Pompeius in Spanien, Caesar in Gallien, Juba in Numidien, die Verfassungspartei in Afrika, Makedonien, Griechenland, Kleinasien und Kreta aushoben; an die freilich übelgestimmte lateinische Leier, auf der die Stadtpoeten von Corduba schon im Sertorianischen Kriege der römischen Feldherren Lob und Preis sangen; an die eben ihrer sprachlichen Eleganz wegen geschätzten Übersetzungen griechischer Poesien, die der älteste namhafte außeritalische Poet, der Transalpiner Publius Terentius Varro von der Aude, kurz nach Caesars Tode veröffentlichte.

Andererseits war die Durchdringung des latinischen und des hellenischen Wesens, man möchte sagen, so alt wie Rom. Schon bei der Einigung Italiens hatte die obsiegende latinische Nation alle anderen besiegten Nationalitäten sich assimiliert, nur die einzige griechische, so wie sie war, sich eingefügt, ohne sie äußerlich mit sich zu verschmelzen. Wohin der römische Legionär kam, dahin folgte der griechische Schulmeister, in seiner Art nicht minder ein Eroberer, ihm nach; schon früh finden wir namhafte griechische Sprachlehrer ansässig am Guadalquivir, und in der Anstalt von Osca ward so gut griechisch gelehrt wie lateinisch. Die höhere römische Bildung selbst war ja durchaus nichts anderes als die Verkündung des großen Evangeliums hellenischer Art und Kunst im italischen Idiom; gegen die bescheidene Anmaßung der zivilisierenden Eroberer, dasselbe zunächst in ihrer Sprache den Barbaren des Westens zu verkündigen, konnte der Hellene wenigstens nicht laut protestieren. Schon längst erblickte der Grieche überall, und am entschiedensten eben da, wo das Nationalgefühl am reinsten und am stärksten war, an den von barbarischer Denationalisierung bedrohten Grenzen, wie zum Beispiel in Massalia, am Nordgestade des Schwarzen Meeres und am Euphrat und Tigris, den Schild und das Schwert des Hellenismus in Rom; und in der Tat nahmen Pompeius’ Städtegründungen im fernen Osten nach jahrhundertelanger Unterbrechung Alexanders segensreiches Werk wieder auf.

Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalität war nicht neu - er wäre sonst auch nichts gewesen als ein Fehler; aber daß er aus schwankenden Entwürfen zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfängen zu konzentrierter Grundlegung fortschritt, ist das Werk des dritten und größten der demokratischen Staatsmänner Roms.

Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen Nivellierung des Reichs war die Erhaltung und Ausdehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimmten Nationen, unter möglichst rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Stämme. In gewissem Sinne könnte man allerdings neben Römern und Griechen noch eine dritte Nationalität nennen, die mit denselben in der damaligen Welt an Ubiquität wetteiferte und auch in dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwürdige, nachgiebig zähe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt überall und nirgends heimisch und überall und nirgends mächtig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten für die Juden jener Zeit kaum mehr, als heutzutage Jerusalem für sie bedeutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und geistige Einheit einen sichtbaren Anhalt in dem kleinen Königreich von Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der Untertanenschaft der Hasmonäer, sondern in den zahllos durch das ganze Parthische und das ganze Römische Reich zerstreuten Judenschaften. In Alexandreia namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser Städte eigene, administrativ und selbst lokal abgegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unserer Städte nicht ungleich, aber freier gestellt und von einem “Volksherrn” als oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in Rom die jüdische Bevölkerung bereits vor Caesar war, und zugleich, wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zusammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers dieser Zeit, daß es für den Statthalter bedenklich sei, den Juden in seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zählen dürfe, nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschäft der Juden der Handel: mit dem erobernden römischen Kaufmann zog damals der jüdische Händler ebenso überall hin wie später mit dem genuesischen und venezianischen, und neben der römischen strömte das Kapital allerorts bei der jüdischen Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit endlich begegnen wir der eigentümlichen Antipathie der Okzidentalen gegen diese so gründlich orientalische Rasse und ihre fremdartigen Meinungen und Sitten. Dies Judentum, obwohl nicht der erfreulichste Zug in dem nirgends erfreulichen Bilde der damaligen Völkermengung, war nichtsdestoweniger ein im natürlichen Verlauf der Dinge sich entwickelndes geschichtliches Moment, das der Staatsmann weder sich ableugnen noch bekämpfen durfte und dem Caesar vielmehr, ebenwie sein Vorgänger Alexander, in richtiger Erkenntnis der Verhältnisse möglichst Vorschub tat. Wenn Alexander, der Stifter des alexandrinischen Judentums, damit nicht viel weniger für die Nation tat wie ihr eigener David durch den Tempelbau von Jerusalem, so förderte auch Caesar die Juden in Alexandreia wie in Rom durch besondere Begünstigungen und Vorrechte und schützte namentlich ihren eigentümlichen Kult gegen die römischen wie gegen die griechischen Lokalpfaffen. Die beiden großen Männer dachten natürlich nicht daran, der hellenischen oder italisch-hellenischen Nationalität die jüdische ebenbürtig zur Seite zu stellen. Aber der Jude, der nicht wie der Okzidentale die Pandoragabe politischer Organisation empfangen hat und gegen den Staat sich wesentlich gleichgültig verhält; der ferner ebenso schwer den Kern seiner nationalen Eigentümlichkeit aufgibt als bereitwillig denselben mit jeder beliebigen Nationalität umhüllt und bis zu einem gewissen Grad der fremden Volkstümlichkeit sich anschmiegt - der Jude war ebendarum wie geschaffen für einen Staat, welcher auf den Trümmern von hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermaßen abstrakten und von vornherein verschliffenen Nationalität ausgestattet werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition und insofern ein vorzugsweise berechtigtes Mitglied in dem Caesarischen Staate, dessen Politie doch eigentlich nichts als Weltbürgertum, dessen Volkstümlichkeit im Grunde nichts als Humanität war.

Indes die positiven Elemente des neuen Bürgertums blieben ausschließlich die latinische und die hellenische Nationalität. Mit dem spezifisch italischen Staat der Republik war es also zu Ende; jedoch war es nichts als ein sehr erklärliches, aber auch sehr albernes Gerede des grollenden Adels, daß Caesar Italien und Rom absichtlich zugrunde richte, um den Schwerpunkt des Reiches in den griechischen Osten zu verlegen und zur Hauptstadt desselben Ilion oder Alexandreia zu machen. Vielmehr behielt in Caesars Organisation die latinische Nationalität immer das Übergewicht; wie sich dies schon darin ausspricht, daß er jede Verfügung in lateinischer, aber die für die griechisch redenden Landschaften bestimmten daneben in griechischer Sprache erließ. Im allgemeinen ordnete er die Verhältnisse der beiden großen Nationen in seiner Monarchie ebenwie sie in dem geeinigten Italien seine republikanischen Vorgänger geordnet hatten: die hellenische Nationalität wurde geschützt, wo sie bestand, die italische nach Vermögen erweitert und ihr die Erbschaft der aufzulösenden Rassen bestimmt. Es war dies schon deshalb notwendig, weil eine völlige Gleichstellung des griechischen und lateinischen Elements im Staate aller Wahrscheinlichkeit nach in sehr kurzer Zeit diejenige Katastrophe herbeigeführt haben würde, die manche Jahrhunderte später der Byzantinismus vollzog; denn das Griechentum war nicht bloß geistig nach allen Richtungen hin dem römischen Wesen überlegen, sondern auch an Masse, und hatte in Italien selbst an den Schwärmen der gezwungen oder freiwillig nach Italien wandernden Hellenen und Halbhellenen eine Unzahl unscheinbarer, aber in ihrem Einfluß nicht hoch genug anzuschlagender Apostel. Um nur der eminentesten Erscheinung auf diesem Gebiete zu gedenken, so ist das Regiment der griechischen Lakaien über die römischen Monarchen so alt wie die Monarchie: der erste in der ebenso langen wie widerwärtigen Liste dieser Individuen ist Pompeius’ vertrauter Bedienter Theophanes von Mytilene, welcher durch seine Gewalt über den schwachen Herrn wahrscheinlich mehr als irgendein anderer Mann zu dem Ausbruch des Krieges zwischen Pompeius und Caesar beigetragen hat. Nicht ganz mit Unrecht ward er nach seinem Tode von seinen Landsleuten göttlich verehrt: eröffnete er doch die Kammerdienerregierung der Kaiserzeit, die gewissermaßen eben auch eine Herrschaft der Hellenen über die Römer war. Die Regierung hatte demnach allen Grund, die Ausbreitung des Hellenismus wenigstens im Westen nicht noch von oben herab zu fördern. Wenn Sizilien nicht bloß des Zehntendrucks entlastet, sondern auch seinen Gemeinden das latinische Recht bestimmt ward, dem seiner Zeit vermutlich die volle Gleichstellung mit Italien nachfolgen sollte, so kann Caesars Absicht nur gewesen sein, die herrliche, aber damals verödete und wirtschaftlich zum größten Teil in italische Hände gelangte Insel, welche die Natur nicht so sehr zum Nachbarland Italiens bestimmt hat als zu der schönsten seiner Landschaften, völlig in Italien aufgehen zu lassen. Im übrigen aber ward das Griechentum, wo es bestand, erhalten und geschützt. Wie nahe auch die politischen Krisen es dem Imperator legten, die festen Pfeiler des Hellenismus im Okzident und in Ägypten umzustürzen, Massalia und Alexandreia wurden weder vernichtet noch denationalisiert.

Dagegen das römische Wesen ward durch Kolonisierung wie durch Latinisierung mit allen Kräften und an den verschiedensten Punkten des Reiches von der Regierung gehoben. Der zwar aus einer argen Vereinigung formeller Rechts- und brutaler Machtentwicklung hervorgegangene, aber, um freie Hand gegen die zur Vernichtung bestimmten Nationen zu haben, unumgänglich notwendige Satz, daß an allem, nicht durch besonderen Akt der Regierung an Gemeinden oder Private abgetretenen Grund und Boden in den Provinzen der Staat das Eigentum, der zeitige Inhaber nur einen geduldeten und jederzeit widerruflichen Erbbesitz habe, wurde auch von Caesar festgehalten und durch ihn aus einer demokratischen Parteitheorie zu einem Fundamentalprinzip des monarchischen Rechts erhoben. In erster Linie kam für die Ausbreitung der römischen Nationalität natürlich Gallien in Frage. Gallien diesseits der Alpen erhielt durch die längst von der Demokratie als vollzogen angenommene und nun (705 49) durch Caesar schließlich vollzogene Aufnahme der transpadanischen Gemeinden in den römischen Bürgerverband durchgängig, was ein großer Teil der Bewohner längst gehabt: politische Gleichberechtigung mit dem Hauptland. Tatsächlich hatte sich diese Provinz in den vierzig Jahren, die seit Erteilung des Latinerrechts verflossen waren, bereits vollständig latinisiert. Die Exklusiven mochten spotten über den breiten und gurgelnden Akzent des Kettenlateins und ein “ich weiß nicht was von hauptstädtischer Anmut” bei dem Insubrer und Veneter vermissen, der sich als Caesars Legionär mit dem Schwert einen Platz auf dem römischen Markt und sogar in der römischen Kurie erobert hatte. Nichtsdestoweniger war das Cisalpinische Gallien mit seiner dichten, vorwiegend bauernschaftlichen Bevölkerung schon vor Caesar der Sache nach eine italische Landschaft und blieb Jahrhunderte lang der rechte Zufluchtsort italischer Sitte und italischer Bildung; wie denn die Lehrer der latinischen Literatur nirgends sonst außerhalb der Hauptstadt so vielen Zuspruch und Anklang fanden. Wenn also das Cisalpinische Gallien wesentlich in Italien aufging, so trat zugleich an die Stelle, die es bisher eingenommen hatte, die transalpinische Provinz, die ja durch Caesars Eroberungen aus einer Grenz- in eine Binnenprovinz umgewandelt worden war und die durch ihre Nähe wie durch ihr Klima vor allen anderen Gebieten sich dazu eignete, mit der Zeit gleichfalls eine italische Landschaft zu werden. Dorthin hauptsächlich, nach dem alten Zielpunkt der überseeischen Ansiedlungen der römischen Demokratie, ward der Strom der italischen Emigration gelenkt. Es wurden daselbst teils die alte Kolonie Narbo durch neue Ansiedler verstärkt, teils in Baeterrae (Béziers) unweit Narbo, in Arelate (Arles) und Arausio (Orange) an der Rhone und in der neuen Hafenstadt Forum Iulii (Fréjus) vier neue Bürgerkolonien angelegt, deren Namen zugleich das Andenken der tapferen Legionen bewahrten, die das nördliche Gallien zum Reiche gebracht hatten ^29. Die nicht mit Kolonisten belegten Ortschaften scheinen zugleich, wenigstens größtenteils, in derselben Art wie einst das transpadanische Kettenland, der Romanisierung entgegengeführt worden zu sein durch Verleihung latinischen Stadtrechts; namentlich wurde Nemausus (Nîmes) als der Hauptort des den Massalioten infolge ihrer Auflehnung gegen Caesar aberkannten Gebiets aus einem massaliotischen Flecken in eine latinische Stadtgemeinde umgewandelt und mit ansehnlichem Gebiet und selbst mit Münzrecht ausgestattet ^30. Indem also das Cisalpinische Gallien von der vorbereitenden Stufe zur vollen Gleichstellung mit Italien fortschritt, rückte gleichzeitig die narbonensische Provinz in jenes vorbereitende Stadium nach; ganz wie bisher im Cisalpinischen Gallien hatten die ansehnlichsten Gemeinden daselbst das volle Bürger-, die übrigen latinisches Recht.

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^29 Narbo heißt Kolonie der Decimaner, Baeterrae der Septimaner, Forum Iulii der Octavaner, Arelate der Sextaner, Arausio der Secundaner. Die neunte Legion fehlt, weil sie ihre Nummer durch die Meuterei von Placentia entehrt hatte. Daß übrigens die Kolonisten dieser Kolonien den eponymen Legionen angehörten, wird nicht gesagt und ist nicht glaublich; die Veteranen selbst wurden wenigstens der großen Mehrzahl nach in Italien angesiedelt. Ciceros Klage, daß Caesar “ganze Provinzen und Landschaften auf einen Schlag konfisziert habe” (off. 2, 7, 27, vgl. Phil. 13,15; 31, 32), geht ohne Zweifel, wie schon die enge Verknüpfung derselben mit dem Tadel des Triumphs über die Massalioten beweist, auf die dieser Kolonien wegen in der narbonensischen Provinz vorgenommenen Landeinziehungen und zunächst auf die Massalia auferlegten Gebietsverluste.

^30 Ausdrücklich überliefert ist es nicht, von wem das latinische Recht der nichtkolonisierten Ortschaften dieser Gegend und namentlich von Nemausus herrührt. Aber da Caesar selbst (civ. 1, 35) so gut wie geradezu sagt, daß Nemausus bis 705 (49) ein massaliotisches Dorf war; da nach dem Livianischen Bericht (Dio 41, 25; Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15) eben dieser Teil des Gebietes den Massalioten von Caesar entzogen ward da endlich schon auf voraugustischen Münzen und sodann bei Strabon die Stadt als Gemeinde latinischen Rechts vorkommt, so kann nur Caesar der Urheber dieser Latinitätsverleihung sein. Von Ruscino (Roussillon bei Perpignan) und anderen, im Narbonensischen Gallien früh zu latinischer Stadtverfassung gelangten Gemeinden läßt sich nur vermuten, daß sie dieselbe gleichzeitig mit Nemausus empfingen.

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In den anderen nichtgriechischen und nichtlatinischen Landschaften des Reiches, welche der Einwirkung Italiens und dem Assimilationsprozeß noch ferner standen, beschränkte Caesar sich darauf, einzelne Brennpunkte für die italische Zivilisation zu gründen, wie dies bisher in Gallien Narbo gewesen war, um durch sie die künftige vollständige Ausgleichung vorzubereiten. Solche Anfänge lassen, mit Ausnahme der ärmsten und geringsten von allen, der sardinischen, in sämtlichen Provinzen des Reiches sich nachweisen. Wie Caesar im nördlichen Gallien verfuhr, ward schon dargelegt; die lateinische Sprache erhielt hier, wenn auch noch nicht für alle Zweige des öffentlichen Verkehrs, durchgängig offizielle Geltung und es entstand am Lemansee als die nördlichste Stadt italischer Verfassung die Kolonie Noviodunum (Nyon).

In Spanien, vermutlich damals der am dichtesten bevölkerten Landschaft des Römischen Reiches, wurden nicht bloß in der wichtigen hellenisch-iberischen Hafenstadt Emporiae neben der alten Bevölkerung Caesarische Kolonisten angesiedelt, sondern, wie neuerdings aufgefundene Urkunden gezeigt haben, auch eine Anzahl wahrscheinlich überwiegend dem hauptstädtischen Proletariat entnommener Kolonisten in der Stadt Urso (Osuna), unweit Sevilla im Herzen von Andalusien, und vielleicht noch in mehreren anderen Ortschaften dieser Provinz versorgt. Die alte und reiche Kaufstadt Gades, deren Munizipalwesen Caesar schon als Prätor zeitgemäß umgestaltet hatte, erhielt jetzt von dem Imperator das volle Recht der italischen Munizipien (705 49) und wurde, was in Italien Tusculum gewesen war, die erste außeritalische, nicht von Rom gegründete Gemeinde, die in den römischen Bürgerverband eintrat. Einige Jahre nachher (709 45) wurde das gleiche Recht auch einigen anderen spanischen Gemeinden und vermutlich noch mehreren das latinische zuteil.

In Afrika wurde, was Gaius Gracchus nicht hatte zu Ende führen sollen, jetzt ins Werk gesetzt und an derjenigen Stätte, wo die Stadt der Erbfeinde Roms gestanden, 3000 italische Kolonisten und eine große Anzahl der im karthagischen Gebiet ansässigen Pacht- und Bittbesitzer angesiedelt; und zum Erstaunen rasch wuchs unter den unvergleichlich günstigen Lokalverhältnissen die neue “Venuskolonie”, das römische Karthago, wieder empor. Utica, bis dahin die Haupt- und erste Handelsstadt der Provinz, war schon im vorweg, es scheint durch Erteilung des latinischen Rechts, für die Wiedererweckung des überlegenen Konkurrenten einigermaßen entschädigt worden. In dem neu zum Reiche gefügten numidischen Gebiet erhielten das wichtige Cirta und die übrigen, dem römischen Condottiere Publius Sittius für sich und die Seinigen überwiesenen Gemeinden das Recht römischer Militärkolonien. Die stattlichen Provinzstädte freilich, die das wahnsinnige Wüten Jubas und der verzweifelten Reste der Verfassungspartei in Schutthaufen verwandelt hatte, erhoben sich nicht so rasch wieder, wie sie eingeäschert worden waren, und manche Trümmerstätte erinnerte noch lange nachher an diese verhängnisvolle Zeit; allein die beiden neuen Julischen Kolonien, Karthago und Cirta, wurden und blieben die Mittelpunkte der afrikanisch-römischen Zivilisation.

In dem verödeten griechischen Land beschäftigte Caesar außer mit anderen Plänen, zum Beispiel der Anlage einer römischen Kolonie in Buthroton (Korfu gegenüber), vor allem sich mit der Wiederherstellung von Korinth; nicht bloß wurde eine ansehnliche Bürgerkolonie dorthin geführt, sondern auch der Plan entworfen, durch den Durchstich des Isthmus die gefährliche Umschiffung des Peloponnes abzuschneiden und den ganzen italisch-asiatischen Verkehr durch den Korinthisch-Saronischen Meerbusen zu leiten. Endlich rief selbst in dem entlegenen hellenischen Osten der Monarch italische Ansiedlungen ins Leben: so am Schwarzen Meer in Herakleia und in Sinope, welche Städte die italischen Kolonisten ähnlich wie Emporiae mit den alten Bewohnern teilten; so an der syrischen Küste in dem wichtigen Hafen von Berytos, das wie Sinope italische Verfassung erhielt; ja sogar in Ägypten wurde auf der den Hafen von Alexandreia beherrschenden Leuchtturminsel eine römische Station gegründet.

Durch diese Anordnungen ward die italische Gemeindefreiheit in weit umfassenderer Weise, als es bisher geschehen war, in die Provinzen getragen. Die Vollbürgergemeinden, also sämtliche Städte der cisalpinischen Provinz und die in dem Transalpinischen Gallien und sonst zerstreuten Bürgerkolonien und Bürgermunizipien, standen den italischen insofern gleich, als sie sich selber verwalteten und selbst eine, allerdings beschränkte, Gerichtsbarkeit ausübten: wogegen freilich die wichtigeren Prozesse vor die hier kompetenten römischen Behörden, in der Regel den Statthalter des Sprengels gehörten ^31. Die formell autonomen latinischen und die sonstigen befreiten Gemeinden, also jetzt die sizilischen und die des Narbonensischen Galliens, soweit sie nicht Bürgergemeinden waren, alle und auch in anderen Provinzen eine beträchtliche Zahl, hatten nicht bloß die freie Verwaltung, sondern wahrscheinlich unbeschränkte Gerichtsbarkeit, so daß der Statthalter hier nur kraft seiner allerdings sehr arbiträren Verwaltungskontrolle einzugreifen befugt war. Wohl hatte es auch früher schon Vollbürgergemeinden innerhalb der Statthaltersprengel gegeben, wie zum Beispiel Aquileia und Narbo, und hatten ganze Statthaltersprengel, wie das Diesseitige Gallien, aus Gemeinden mit italischer Verfassung bestanden; aber wenn nicht rechtlich, war es doch politisch eine ungemein wichtige Neuerung, daß es jetzt eine Provinz gab, die so gut wie Italien lediglich von römischen Bürgern bevölkert war ^32, und daß andere es zu werden versprachen. Es fiel damit der eine große tatsächliche Gegensatz, in dem Italien zu den Provinzen gestanden hatte; und auch der zweite, daß in Italien regelmäßig keine Truppen standen, wohl aber in den Provinzen, war gleichermaßen im Verschwinden: die Truppen standen jetzt nur da, wo es eine Grenze zu verteidigen gab, und die Kommandanten der Provinzen, bei denen dies nicht zutraf, wie zum Beispiel bei Narbo und Sizilien, waren nur dem Namen nach noch Offiziere. Der formelle Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen, der zu allen Zeiten auf anderen Unterschieden beruht hatte, blieb allerdings auch jetzt bestehen, Italien der Sprengel der bürgerlichen Rechtspflege und der Konsuln-Prätoren, die Provinzen kriegsrechtliche Jurisdiktionsbezirke und den Prokonsuln und Proprätoren unterworfen; allein der Prozeß nach Bürger- und nach Kriegsrecht fiel längst praktisch zusammen, und die verschiedene Titulatur der Beamten hatte wenig zu bedeuten, seit über allen der eine Imperator stand.

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^31 Daß keiner Vollbürgergemeinde mehr als beschränkte Gerichtsbarkeit zustand, ist ausgemacht. Auffallend ist es aber, was aus der Caesarischen Gemeindeordnung für das Cisalpinische Gallien bestimmt hervorgeht, daß die jenseits der munizipalen Kompetenz liegenden Prozesse aus dieser Provinz nicht vor den Statthalter derselben, sondern vor den römischen Prätor gehen; denn im übrigen ist der Statthalter ja in seinem Sprengel ebensowohl anstatt des Prätors, der zwischen Bürgern, wie anstatt dessen, der zwischen Bürgern und Nichtbürgern Recht spricht, und durchaus für alle Prozesse kompetent. Ohne Zweifel ist dies ein Überrest der vorsullanischen Ordnung, wo in dem ganzen festländischen Gebiet bis zu den Alpen lediglich die Stadtbeamten kompetent waren und also hier sämtliche Prozesse, wo sie die munizipale Kompetenz überschritten, notwendig vor die Prätoren in Rom kamen. Dagegen in Narbo, Gades, Karthago, Korinth gingen die Prozesse in diesem Fall sicher an den betreffenden Statthalter; wie denn auch schon aus praktischen Rücksichten nicht wohl an einen Rechtszug nach Rom gedacht werden kann.

^32 Warum die Erteilung des römischen Bürgerrechts an eine Landschaft insgesamt und der Fortbestand der Provinzialverwaltung für dieselbe als sich einander ausschließende Gegensätze gedacht zu werden pflegen, ist nicht abzusehen. Überdies erhielt notorisch das Cisalpinische Gallien durch den Roscischen Volksschluß vom 11. März 705 (49) die Civität, während es Provinz blieb, solange Caesar lebte, und erst nach seinem Tode mit Italien vereinigt ward (Dio 48, 12), auch die Statthalter bis 711 (43) nachweisbar sind. Schon daß die Caesarische Gemeindeordnung die Landschaft nie als Italien, sondern als Cisalpinisches Gallien bezeichnet, mußte auf das Richtige führen.

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Offenbar ist in all diesen einzelnen munizipalen Gründungen und Ordnungen, die wenigstens dem Plan, wenn auch vielleicht nicht alle der Ausführung nach, auf Caesar zurückgehen, ein bestimmtes System. Italien ward aus der Herrin der unterworfenen Völkerschaften umgewandelt in die Mutter der verjüngten italisch-hellenischen Nation. Die dem Mutterlande vollständig gleichgestellte cisalpinische Provinz verhieß und verbürgte es, daß in der Monarchie Caesars, ebenwie in der frischeren Epoche der Republik, jede latinisierte Landschaft erwarten durfte, den älteren Schwestern und der Mutter selbst ebenbürtig an die Seite zu treten. Auf der Vorstufe zur vollen nationalen und politischen Ausgleichung mit Italien standen dessen Nebenländer, das griechische Sizilien und das rasch sich latinisierende südliche Gallien. Auf einer entfernteren Stufe zu dieser Ausgleichung standen die übrigen Landschaften des Reiches, in denen, wie bisher in Südgallien Narbo römische Kolonie gewesen war, jetzt die großen Seestädte: Emporiae, Gades, Karthago, Korinth, Herakleia im Pontos, Sinope, Berytos, Alexandreia, italische oder hellenisch-italische Gemeinden wurden, die Stützpunkte einer italischen Zivilisation selbst im griechischen Osten, die Grundpfeiler der künftigen nationalen und politischen Nivellierung des Reiches. Die Herrschaft der Stadtgemeinde Rom über das Litoral des Mittelmeeres war zu Ende; an ihre Stelle trat der neue Mittelmeerstaat und sein erster Akt war die Sühnung der beiden größten Untaten, die jene Stadtgemeinde an der Zivilisation begangen hatte. Wenn die Zerstörung der beiden größten Handelsplätze im römischen Gebiet den Wendepunkt bezeichnete, wo die Schutzherrschaft der römischen Gemeinde in politische Tyrannisierung und finanzielle Ausnutzung der untertänigen Landschaften überging, so bezeichnete jetzt die sofortige und glänzende Wiederherstellung von Karthago und Korinth die Begründung des neuen, alle Landschaften am Mittelmeer zu nationaler und politischer Gleichheit, zu wahrhaft staatlicher Einigung heranbildenden großen Gemeinwesens. Wohl durfte Caesar der Stadt Korinth zu ihrem vielberühmten alten den neuen Namen der “Julischen Ehre” verleihen.

Wenn also das neue einheitliche Reich mit einer Nationalität ausgestattet ward, die freilich notwendigerweise der volkstümlichen Individualität entbehrte und mehr ein unlebendiges Kunstprodukt als ein frischer Trieb der Natur war, so bedurfte dasselbe ferner der Einheit in denjenigen Institutionen, in denen das allgemeine Leben der Nationen sich bewegt: in Verfassung und Verwaltung, in Religion und Rechtspflege, in Münze, Maß und Gewicht; wobei natürlich lokale Besonderheiten mannigfaltigster Art mit wesentlicher Einigung sich vollkommen vertrugen. Überall kann auf diesen Gebieten nur von Anfängen die Rede sein, da die einheitliche Durchbildung der Monarchie Caesars in der Zukunft lag und er nichts tat, als für den Bau von Jahrhunderten den Grund legen. Aber von den Linien, die der große Mann auf diesen Gebieten gezogen hat, lassen noch manche sich erkennen; und es ist erfreulicher, hier ihm nachzugehen, als in dem Trümmerbau der Nationalitäten.

Hinsichtlich der Verfassung und Verwaltung wurden bereits in einem anderen Zusammenhang die wichtigsten Momente der neuen Einheit hervorgehoben: der Übergang der Souveränität von dem römischen Gemeinderat auf den Alleinherrscher der Mittelmeermonarchie; die Umwandlung jenes Gemeinderats in einen höchsten, Italien wie die Provinzen repräsentierenden Reichsrat: vor allem die begonnene Übertragung der römischen und überhaupt der italischen Gemeindeordnung auf die Provinzialgemeinden. Es führte dieser letztere Weg, die Verleihung latinischen und demnach römischen Rechts an die zum vollständigen Eintritt in den Einheitsstaat reifen Gemeinden, gleichmäßige kommunale Ordnungen allmählich von selbst herbei. Nur in einer Hinsicht konnte man hierauf nicht warten. Das neue Reich bedurfte sofort einer Institution, die der Regierung die hauptsächlichen Grundlagen der Verwaltung, die Bevölkerungs- und Vermögensverhältnisse der einzelnen Gemeinden, übersichtlich vor Augen legte, das heißt eines verbesserten Zensus. Zunächst ward der italische reformiert. Nach Caesars Verordnung ^33, die freilich wohl nur die infolge des Bundesgenossenkrieges wenigstens im Prinzip getroffenen Anordnungen zur Ausführung brachte, sollten künftig, wenn in der römischen Gemeinde die Schatzung stattfand, gleichzeitig in jeder italischen der Name eines jeden Gemeindebürgers und der seines Vaters oder Freilassers, sein Bezirk, sein Alter und sein Vermögen von der höchsten Behörde der Gemeinde aufgezeichnet und diese Listen an den römischen Schatzmeister so früh abgeliefert werden, daß dieser das allgemeine Verzeichnis der römischen Bürger und der römischen Habe rechtzeitig vollenden konnte. Daß es Caesars Absicht war, ähnliche Institutionen auch in den Provinzen einzuführen, dafür bürgt teils die von Caesar angeordnete Vermessung und Katastrierung des gesamten Reiches, teils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die allgemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den nichtitalischen Gemeinden des Staats die für die Zentralverwaltung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es auch hier Caesars Absicht, auf die Traditionen der älteren republikanischen Zeit zurückzugehen und die Reichsschatzung wiedereinzuführen, welche die ältere Republik, wesentlich in derselben Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des Instituts der städtischen Zensur mit seinen Fristen und sonstigen wesentlichen Normen auf die sämtlichen Untertanengemeinden Italiens und Siziliens bewirkt hatte. Es war dies eines der ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie verfallen und damit der obersten Verwaltungsbehörde jede Übersicht über die disponiblen Mannschaften und Steuerkräfte und also jede Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle verloren gehen ließ. Die vorhandenen Spuren und der Zusammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, daß Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen Reichsschatzung vorbereitete.

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^33 Das Fortbestehen der munizipalen Schatzungsbehörden spricht dafür, daß die örtliche Abhaltung des Zensus bereits infolge des Bundesgenossenkriegs für Italien fortgesetzt worden war (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 368); wahrscheinlich aber ist die Durchführung dieses Systems Caesars Werk.

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Daß in der Religion und in der Rechtspflege an eine durchgreifende Nivellierung nicht gedacht werden konnte, ist kaum nötig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Toleranz gegen Lokalglauben und Munizipalstatute eines gemeinsamen, der italisch-hellenischen Nationalität entsprechenden Kultus und einer allgemeinen, den Munizipalstatuten übergeordneten Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war tatsächlich schon da. Auf dem religiösen Gebiet war man seit Jahrhunderten tätig gewesen, den italischen und den hellenischen Kult teils durch äußerliche Aufnahme, teils durch innerliche Ausgleichung der Gottheitsbegriffe ineinanderzuarbeiten und bei der nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Götter hatte es nicht einmal große Schwierigkeit gemacht, den Jupiter in dem Zeus, die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des latinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben. Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzügen fertig da; wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen bewußt war, über die spezifisch römische hinaus und zu einer italisch-hellenischen Quasinationalität fortgeschritten zu sein, beweist zum Beispiel die in Varros schon erwähnter Theologie aufgestellte Unterscheidung der “gemeinen”, d. h. der von den Römern wie den Griechen anerkannten Götter, von den besonderen der römischen Gemeinde.

Im Rechtswesen hatte es auf dem Gebiete des Kriminal- und Polizeirechts, wo die Regierung unmittelbar eingreift und dem rechtlichen Bedürfnis wesentlich durch eine verständige Legislation genügt wird, keine Schwierigkeit, auf dem Wege der gesetzgeberischen Tätigkeit denjenigen Grad materieller Gleichförmigkeit zu erreichen, der allerdings auch hier für die Reichseinheit notwendig war. Im Zivilrecht dagegen, wo die Initiative dem Verkehr, dem Gesetzgeber nur die Formulierung zusteht, war das einheitliche Reichszivilrecht, das der Gesetzgeber zu schaffen freilich nicht vermocht hätte, längst auch bereits auf naturgemäßem Wege durch den Verkehr selber entwickelt worden. Das römische Stadtrecht zwar beruhte rechtlich immer noch auf der in den Zwölf Tafeln enthaltenen Formulierung des latinischen Landrechts. Die späteren Gesetze hatten wohl im einzelnen mancherlei zeitgemäße Verbesserungen eingeführt, unter denen leicht die wichtigste sein mochte die Abschaffung der alten ungeschickten Prozeßeröffnung durch stehende Spruchformeln der Parteien und ihre Ersetzung durch eine von dem prozeßleitenden Beamten schriftlich abgefaßte Instruktion für den Einzelgeschworenen (formula); allein in der Hauptsache hatte die Volkslegislation nur über jene altersgraue Grundlage einen den englischen Statutargesetzen vergleichbaren unübersehlichen Wust großenteils längst veralteter und vergessener Spezialgesetze aufgeschichtet. Die Versuche wissenschaftlicher Formulierung und Systematisierung hatten die verschlungenen Gänge des alten Zivilrechts allerdings zugänglich gemacht und erhellt; allein dem Grundmangel, daß ein vor vierhundert Jahren abgefaßtes städtisches Weistum mit seinen ebenso diffusen wie konfusen Nachträgen jetzt als das Recht eines großen Staates dienen sollte, konnte kein römischer Blackstone abhelfen. Gründlicher half der Verkehr sich selbst. Längst hatte in Rom der rege Verkehr zwischen Römern und Nichtrömern ein internationales Privatrecht (ius gentium; 1, 167) entwickelt, das heißt einen Komplex von Satzungen namentlich über Verkehrsverhältnisse, nach welchen römische Richter dann sprachen, wenn eine Sache weder nach ihrem eigenen noch nach irgendeinem anderen Landrecht entschieden werden konnte, sondern sie genötigt waren, von den römischen, hellenischen, phönikischen und sonstigen Rechtseigentümlichkeiten absehend, auf die allem Verkehr zu Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurückzugehen. Hier knüpfte die neuere Rechtsbildung an. Zunächst als Richtschnur für den rechtlichen Verkehr der römischen Bürger unter sich setzte sie an die Stelle des alten, praktisch unbrauchbar gewordenen tatsächlich ein neues Stadtrecht, das materiell beruhte auf einem Kompromiß zwischen dem nationalen Zwölftafelrecht und dem internationalen oder dem sogenannten Rechte der Völker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natürlich mit zeitgemäßen Modifikationen, festgehalten im Ehe-, Familien- und Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Vermögensverkehr betrafen, also für Eigentum und Kontrakte, das Internationalrecht maßgebend; ja hier wurde sogar dem lokalen Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Beispiel die Wuchergesetzgebung und das Hypothekarinstitut. Ob auf einmal oder allmählich, ob durch einen oder mehrere Urheber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genügende Antwort schuldig bleiben müssen; wir wissen nur, daß diese Reform, wie natürlich, zunächst ausging von dem Stadtgericht, daß sie zuerst sich formulierte in den jährlich von dem neu antretenden Stadtrichter zur Nachachtung für die Parteien ergehenden Belehrungen über die wichtigsten, in dem beginnenden Gerichtsjahr einzuhaltenden Rechtsmaximen (edictum annuum oder perpetuum praetoris urbani de iuris dictione) und daß sie, wenn auch manche vorbereitende Schritte in früheren Zeiten getan sein mögen, sicher erst in dieser Epoche ihre Vollendung fand. Die neue Rechtssatzung war theoretisch abstrakt, insofern die römische Rechtsanschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich entäußert hatte, als sie derselben sich bewußt worden war; sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in die trübe Dämmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von bestimmten Behörden für bestimmte konkrete Fälle nach festen Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulierung nicht bloß fähig, sondern in dem Stadtedikt wesentlich schon teilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner materiell den Bedürfnissen der Zeit, insofern sie für Prozeß, Eigentumserwerb, Kontraktabschluß die durch den gesteigerten Verkehr geforderten bequemeren Formen darbot. Sie war endlich bereits im wesentlichen im ganzen Umfang des römischen Reiches allgemein subsidiäres Recht geworden, indem man die mannigfaltigen Lokalstatuten für diejenigen Rechtsverhältnisse, die nicht zunächst Verkehrsverhältnisse sind, sowie für den Lokalverkehr zwischen Gliedern desselben Rechtssprengels beibehielt, dagegen den Vermögensverkehr zwischen Reichsangehörigen verschiedener Rechtskreise durchgängig nach dem Muster des, rechtlich auf diese Fälle freilich nicht anwendbaren, Stadtediktes sowohl in Italien wie in den Provinzen regulierte. Das Recht des Stadtedikts hatte also wesentlich dieselbe Stellung in jener Zeit, die in unserer staatlichen Entwicklung das römische Recht eingenommen hat: auch dies ist, soweit solche Gegensätze sich vereinigen lassen, zugleich abstrakt und positiv; auch dies empfahl sich durch seine, verglichen mit dem älteren Satzungsrecht, geschmeidigen Verkehrsformen und trat neben den Lokalstatuten als allgemeines Hilfsrecht ein. Nur darin hatte die römische Rechtsentwicklung vor der unsrigen einen wesentlichen Vorzug, daß die denationalisierte Gesetzgebung nicht, wie bei uns, vorzeitig und durch Kunstgeburt, sondern rechtzeitig und naturgemäß sich einfand.

Diesen Rechtszustand fand Caesar vor. Wenn er den Plan entwarf zu einem neuen Gesetzbuch, so ist es nicht schwer zu sagen, was er damit beabsichtigt hat. Es konnte dies Gesetzbuch einzig das Recht der römischen Bürger zusammenfassen und allgemeines Reichsgesetzbuch nur insofern sein, als ein zeitgemäßes Gesetzbuch der herrschenden Nation von selbst im ganzen Umfange des Reiches allgemeines Subsidiarrecht werden mußte. Im Kriminalrecht, wenn überhaupt der Plan sich auf dies miterstreckte, bedurfte es nur einer Revision und Redaktion der Sullanischen Ordnungen. Im Zivilrecht war für einen Staat, dessen Nationalität eigentlich die Humanität war, die notwendige und einzig mögliche Formulierung jenes schon aus dem rechtlichen Verkehr freiwillig hervorgewachsene Stadtedikt in gesetzlicher Sicherung und Präzisierung. Den ersten Schritt zu dieser hatte das Cornelische Gesetz von 687 (67) getan, indem es den Richter an die zu Anfang seines Amtes aufgestellten Maximen band und ihm vorschrieb, nicht willkürlich anderes Recht zu sprechen - eine Bestimmung, die wohl mit dem Zwölftafelgesetz verglichen werden darf und für die Fixierung des neueren Stadtrechts fast ebenso bedeutsam geworden ist wie jenes für die Fixierung des älteren. Aber wenn auch seit dem Cornelischen Volksschluß das Edikt nicht mehr unter dem Richter stand, sondern gesetzlich der Richter unter dem Edikt; wenn auch das neue Gesetzbuch im Gerichtsgebrauch wie im Rechtsunterricht das alte Stadtrecht tatsächlich verdrängt hatte, so stand es doch noch jedem Stadtrichter frei, bei Antritt seines Amtes das Edikt unbeschränkt und willkürlich zu verändern, und überwog das Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen formell immer noch das Stadtedikt, so daß in jedem einzelnen Kollisionsfall die veraltete Satzung durch arbiträres Eingreifen der Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt werden mußte. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedikts in dem Fremdengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichtshöfen war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Oberbeamten gestellt. Offenbar war es notwendig, das alte Stadtrecht, soweit es nicht in das neuere übergegangen war, definitiv zu beseitigen und in dem letzteren der willkürlichen Änderung durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu setzen, etwa auch die subsidiäre Anwendung desselben neben den Lokalstatuten zu regulieren. Dies war Caesars Absicht, als er den Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies mußte sie sein. Der Plan ward nicht ausgeführt und damit jener lästige Übergangszustand in dem römischen Rechtswesen verewigt, bis nach sechshundert Jahren, und auch dann nur unvollkommen, diese notwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem Kaiser Justinianus, vollzogen ward.

Endlich in Münze, Maß und Gewicht war die wesentliche Ausgleichung des latinischen und des hellenischen Systems längst im Zuge. Sie war uralt in den für Handel und Verkehr unentbehrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Körper- und Längenmaße und in dem Münzwesen wenig jünger als die Einführung der Silberprägung. Indes reichten diese älteren Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die verschiedenartigsten metrischen und Münzsysteme nebeneinander bestanden; es war notwendig und lag auch ohne Zweifel in Caesars Plan, in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht bereits früher schon geschehen war, römische Münze, römisches Maß und römisches Gewicht jetzt überall in der Art einzuführen, daß im offiziellen Verkehr allein danach gerechnet, und die nichtrömischen Systeme teils auf lokale Geltung beschränkt, teils zu den römischen in ein ein für allemal reguliertes Verhältnis gesetzt wurden ^34. Nachweisen indes läßt Caesars Tätigkeit sich nur auf zweien der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geld- und im Kalenderwesen.

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^34 Kürzlich zum Vorschein gekommene pompeianische Gewichte legen die Annahme nahe, daß im Anfang der Kaiserzeit neben dem römischen Pfund die attische Mine (vermutlich im Verhältnis von 3 : 4) als zweites Reichsgewicht Geltung gehabt hat (Heymes 16, 1880, S. 311).

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Das römische Geldwesen beruhte auf den beiden neben und in einem festen Verhältnis zueinander umlaufenden edlen Metallen, von denen das Gold nach dem Gewicht ^35, das Silber nach dem Gepräge gegeben und genommen ward, tatsächlich aber infolge des ausgedehnten überseeischen Verkehrs das Gold bei weitem das Silber überwog. Ob nicht schon früher im ganzen Umfange des Reiches die Annahme des römischen Silbergeldes obligatorisch war, ist ungewiß; auf jeden Fall vertrat die Stelle des Reichsgeldes im ganzen römischen Gebiet wesentlich das ungemünzte Gold, um so mehr als die Römer in allen Provinzen und Klientelstaaten die Goldprägung untersagt hatten, und hatte der Denar außer in Italien auch im Cisalpinischen Gallien, in Sizilien, in Spanien und sonst vielfach, namentlich im Westen, gesetzlich oder faktisch sich eingebürgert. Mit Caesar aber beginnt die Reichsmünze. Ebenwie Alexander bezeichnete auch er die Gründung der neuen, die zivilisierte Welt umfassenden Monarchie dadurch, daß das einzig weltenvermittelnde Metall auch in der Münze den ersten Platz erhielt. In wie großartigem Umfang sogleich das neue Caesarische Goldstück (zu 7 Taler, 18 Groschen nach heutigem Metallwert) geprägt ward, beweist die Tatsache, daß in einem einzelnen, sieben Jahre nach Caesars Tode vergrabenen Schatz sich 80000 dieser Stücke beisammen gefunden haben. Freilich mögen hier nebenbei auch finanzielle Spekulationen von Einfluß gewesen sein ^36. Was das Silbergeld anlangt, so ward durch Caesar die Alleinherrschaft des römischen Denars im gesamten Westen, zu der der Grund schon früher gelegt worden war, schließlich festgestellt, indem er die einzige okzidentalische Münzstätte, die im Silbercourant noch mit der römischen konkurrierte, die massaliotische, definitiv schloß. Die Prägung von silberner oder kupferner Scheidemünze blieb einer Anzahl okzidentalischer Gemeinden erlaubt, wie denn Dreivierteldenare von einigen latinischen Gemeinden des südlichen Galliens, halbe Denare von mehreren nordgallischen Gauen, kupferne Kleinmünzen vielfach auch noch nach Caesar von Kommunen des Westens geschlagen worden sind; allein auch diese Scheidemünze war durchgängig auf römischen Fuß geprägt und ihre Annahme überdies wahrscheinlich nur im Lokalverkehr obligatorisch. An eine einheitliche Regulierung des Münzwesens im Osten, wo große Massen groben, großenteils zu leicht ausgebrachten oder vernutzten Silbergeldes, zum Teil sogar, wie in Ägypten, eine unserem Papiergeld verwandte Kupfermünze umlief, auch die syrischen Handelsstädte den Mangel ihrer bisherigen, dem mesopotamischen Courant entsprechenden Landesmünze sehr schwer empfunden haben würden, scheint Caesar so wenig gedacht zu haben wie die frühere Regierung. Wir finden hier später die Einrichtung, daß der Denar überall gesetzlichen Kurs hat und offiziell nur nach ihm gerechnet wird ^37, die Lokalmünzen aber innerhalb ihres beschränkten Rayons zwar auch Legalkurs, aber nach einem für sie ungünstigen Tarif gegen den Denar haben ^38; dieselbe ist wahrscheinlich nicht auf einmal und zum Teil auch wohl schon von Caesar eingeführt worden, auf jeden Fall aber die wesentliche Ergänzung der Caesarischen Reichsmünzordnung, deren neues Goldstück in dem ungefähr gleich schweren Alexanders sein unmittelbares Muster fand und wohl ganz besonders auf die Zirkulation im Orient berechnet war.

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^35 Die Goldstücke, die Sulla und gleichzeitig Pompeius, beide in geringer Zahl, schlagen ließen, heben diesen Satz nicht auf: denn sie wurden wahrscheinlich lediglich nach dem Gewicht genommen ähnlich wie die goldenen Philippeer, die auch bis nach Caesars Zeit im Umlauf gewesen sind. Merkwürdig sind sie allerdings, insofern sie das Caesarische Reichsgold ähnlich einleiten wie Sullas Regentschaft die neue Monarchie.

^36 Es scheint nämlich, daß man in älterer Zeit die auf Silber lautenden Forderungen der Staatsgläubiger nicht wider deren Willen in Gold, nach dem legalen Kurs desselben zum Silber, bezahlen konnte; wogegen es keinen Zweifel leidet, daß seit Caesar das Goldstück unweigerlich für 100 Silbersesterzen angenommen werden mußte. Es war dies ebendamals um so wichtiger, als infolge der durch Caesar in Umlauf gebrachten großen Quantitäten Goldes dasselbe eine Zeitlang im Handelskurs 25 Prozent unter dem Legalkurs stand.

^37 Es gibt wohl keine Inschrift der Kaiserzeit, die Geldsummen anders als in römischer Münze angäbe.

^38 So gilt die attische Drachme, obwohl merklich schwerer als der Denar, doch diesem gleich; das antiochische Tetradrachmon, durchschnittlich 15 Gramm Silber schwer, gleich 3 römischen Denaren, die nur gegen 12 Gramm wiegen; so der kleinasiatische Cistophorus nach Silberwert über 3, nach dem Legaltarif 2 Denare; so die rhodische halbe Drachme nach Silberwert ¾, nach dem Legaltarif 5/8 Denare und so weiter.

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Verwandter Art war die Kalenderreform. Der republikanische Kalender, unglaublicherweise immer noch der alte, aus der vormetonischen Oktaeteris verunstaltete Dezemviralkalender, war durch die Verbindung elendester Mathematik und elendester Administration dahin gelangt, um volle 67 Tage der wahren Zeit voranzugehen und zum Beispiel das Blütenfest statt am 28. April am 11. Juli zu feiern. Caesar beseitigte endlich diesen Mißstand und führte mit Hilfe des griechischen Mathematikers Sosigenes das nach dem ägyptischen Eudoxischen Kalender geordnete italische Bauernjahr sowie ein verständiges Einschaltungssystem in den religiösen und offiziellen Gebrauch ein, indem zugleich das alte Kalenderneujahr des 1. März abgeschafft, dagegen der zunächst für den Amtswechsel der höchsten Magistrate festgestellte und infolgedessen längst im bürgerlichen Leben überwiegende Termin des 1. Januar auch als Kalenderepoche für den Jahreswechsel angenommen ward. Beide Änderungen traten mit dem 1. Januar 709 der Stadt, 45 vor Chr., ins Leben und mit ihnen der Gebrauch des von seinem Urheber benannten Julianischen Kalenders, der lange nach dem Untergang der Monarchie Caesars in der gebildeten Welt maßgebend geblieben und in der Hauptsache es noch ist. Zur Erläuterung ward in einem ausführlichen Edikt ein den ägyptischen Himmelsbeobachtungen entnommener und, freilich nicht geschickt, auf Italien übertragener Sternkalender hinzugefügt, welcher den Auf- und Untergang der namhaften Gestirne nach Kalendertagen bestimmte ^39. Auch auf diesem Gebiet also setzten die römische und die griechische Welt sich ins gleiche.

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^39 Die Identität dieses vielleicht von Marcus Flavius redigierten Edikts (Macr. Sat. I, 14, 2) und der angeblichen Schrift Caesars von den Gestirnen beweist der Scherz Ciceros (Plut. Caes. 59), daß jetzt die Leier nach Verordnung aufgehe.

Übrigens wußte man schon vor Caesar, daß das Sonnenjahr von 365 Tagen sechs Stunden, das dem ägyptischen Kalender zugrunde lag und das er seinem Kalender zugrunde legte, etwas zu lang angesetzt sei. Die genaueste Berechnung des tropischen Jahres, die die alte Welt kannte, die des Hipparchos, setzte dasselbe auf 365 Tage 5 Stunden 52' 12"; die wahre Länge ist 365 Tage 5 Stunden 48' 48".

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Dies waren die Grundlagen der Mittelmeermonarchie Caesars. Zum zweitenmal war in Rom die soziale Frage zu einer Krise gelangt, wo die Gegensätze, so wie sie aufgestellt waren, unauflöslich, so wie sie ausgesprochen waren, unversöhnlich nicht bloß schienen, sondern waren. Damals war Rom dadurch gerettet worden, daß Italien in Rom und Rom in Italien aufging und in der neuen erweiterten und verwandelten Heimat jene alten Gegensätze nicht ausgeglichen wurden, sondern wegfielen. Wieder ward jetzt Rom dadurch gerettet, daß die Landschaften des Mittelmeeres in ihm aufgingen oder zum Aufgehen vorbereitet wurden; der Krieg der italischen Armen und Reichen, der in dem alten Italien nur mit der Vernichtung der Nation endigen konnte, hatte in dem Italien dreier Weltteile kein Schlachtfeld und keinen Sinn mehr. Die latinischen Kolonien schlossen die Kluft, die im fünften Jahrhundert die römische Gemeinde zu verschlingen drohte; den tieferen Riß des siebenten Jahrhunderts füllten Gaius Gracchus’ und Caesars transalpinische und überseeische Kolonisationen. Für das einzige Rom hat die Geschichte nicht bloß Wunder getan, sondern auch seine Wunder wiederholt und zweimal die im Staate selbst unheilbare innere Krise dadurch geheilt, daß sie den Staat verjüngte. Wohl ist viel Verwesung in dieser Verjüngung; wie die Einigung Italiens auf den Trümmern der samnitischen und etruskischen Nation sich vollzog, so erbaute auch die Mittelmeermonarchie sich auf den Ruinen unzähliger, einst lebendiger und tüchtiger Staaten und Stämme; aber es ist eine Verwesung, der frische und zum Teil noch heute grünende Saaten entkeimten. Was zugrunde ging um des neuen Gebäudes willen, waren nur die längst schon von der nivellierenden Zivilisation zum Untergang bezeichneten sekundären Nationalitäten. Caesar hat, wo er zerstörend auftrat, nur den ausgefällten Spruch der geschichtlichen Entwicklung vollzogen, die Keime der Kultur aber geschützt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das Römertum gerettet und erneuert, aber auch das Griechentum hat er nicht bloß geschont, sondern mit derselben sicheren Genialität, womit er die Neugründung Roms vollbrachte, auch der Regeneration der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene Werk des großen Alexander wiederaufgenommen, dessen Bild, wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er hat diese beiden großen Aufgaben nicht bloß nebeneinander, sondern eine durch die andere gelöst. Die beiden großen Wesenheiten des Menschentums, die allgemeine und die individuelle Entwicklung oder Staat und Kultur, einst im Keime vereinigt in jenen alten, fern von den Küsten und Inseln des Mittelmeers in urväterlicher Einfachheit ihre Herden weidenden Graecoitalikern, hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Italiker und Hellenen, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fürsten und der latinischen Königstochter aus einem Staat ohne eigene Kultur und einer kosmopolitischen Zivilisation ein neues Ganzes, in welchem auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der reichen Fülle des glückseligen Alters Staat und Kultur wiederum sich zusammenfanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis würdig erfüllten.

Die Linien sind dargelegt, welche Caesar für dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und nach denen die Späteren, viele Jahrhunderte hindurch gebannt in die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen, wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im ganzen nach den Intentionen des großen Meisters weiter zu arbeiten versuchten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan vollständig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen Lücken in dem, was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug, um einen Mann unsterblich zu machen, und doch wieder alle zusammen ein harmonisches Ganzes. Fünf und ein halbes Jahr, nicht halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als König von Rom; zwischen sieben großen Feldzügen, die ihm nicht mehr als zusammen fünfzehn Monate ^40 in der Hauptstadt seines Reiches zu verweilen erlaubten, ordnete er die Geschicke der Welt für die Gegenwart und die Zukunft; von der Feststellung der Grenzlinie zwischen Zivilisation und Barbarei an bis hinab zu der Beseitigung der Regenpfützen auf den Gassen der Hauptstadt, und behielt dabei noch Zeit und Heiterkeit genug, um den Preisstücken im Theater aufmerksam zu folgen und dem Sieger den Kranz mit improvisierten Versen zu erteilen. Die Schnelligkeit und Sicherheit der Ausführung des Planes beweist, daß er lange durchdacht und in allen Teilen im einzelnen festgestellt war; allein auch so bleibt sie nicht viel weniger wunderbar als der Plan selbst. Die Grundzüge waren gegeben und damit der neue Staat für alle Zukunft bestimmt; vollenden konnte den Bau nur die grenzenlose Zukunft. Insofern durfte Caesar sich sagen, daß sein Ziel erreicht sei, und das wohl mochten die Worte bedeuten, die man zuweilen aus seinem Munde vernahm, daß er genug gelebt habe. Aber eben weil der Bau ein unendlicher war, fügte der Meister, solange er lebte, rastlos Stein auf Stein, mit immer gleicher Geschmeidigkeit und immer gleicher Spannkraft tätig an seinem Werk, ohne je zu überstürzen oder zu verschieben, eben als gebe es für ihn nur ein Heute und kein Morgen. So wirkte und schaffte er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm, und als ein Wirkender und Schaffender lebt er noch nach Jahrtausenden im Gedächtnis der Nationen, der erste und doch auch der einzige Imperator Caesar.

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^40 Caesar verweilte in Rom im April und Dezember 705 (49), beide Male auf wenige Tage; vom September bis Dezember 707 (47); etwa vier Herbstmonate des fünfzehnmonatlichen Jahres 708 (46) und vom Oktober 709 (45) bis zum März 710 (44).

KAPITEL XII.
Religion, Bildung, Literatur und Kunst

In der religiös-philosophischen Entwicklung tritt in dieser Epoche kein neues Moment hervor. Die römisch-hellenische Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren für jede Regierung, Oligarchie, Demokratie oder Monarchie, nicht bloß ein bequemes Instrument, sondern deshalb geradezu unentbehrlich, weil es ebenso unmöglich war, den Staat ganz ohne religiöse Elemente zu konstruieren als irgendeine neue zur Ersetzung der alten geeignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revolutionäre Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinnweben der auguralen Vogelweisheit hinein; aber die morsche, in allen Fugen krachende Maschine überdauerte dennoch das Erdbeben, das die Republik selber verschlang, und rettete ihre Geistlosigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue Monarchie. Es versteht sich, daß sie zunahm an Ungnade bei allen denen, die ein freies Urteil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion verhielt die öffentliche Meinung sich wesentlich gleichgültig; sie war allerseits als eine Institution politischer Konvenienz anerkannt und es bekümmerte sich niemand sonderlich um sie, mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Gelehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte sich in dem unbefangenen Publikum jene Feindseligkeit, die die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Länge nie verfehlt zu erwecken. Daß der Stoa selbst von ihrer eigenen Nichtigkeit eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch, auf dem Wege des Synkretismus sich wieder einigen Geist künstlich einzuflößen: Antiochos von Askalon (blüht 675 79), der mit dem stoischen System das platonisch-aristotelische zu einer organischen Einheit zusammengeklittert zu haben behauptete, brachte es in der Tat dahin, daß seine mißgeschaffene Doktrin die Modephilosophie der Konservativen seiner Zeit und von den vornehmen Dilettanten und Literaten Roms gewissenhaft studiert ward. Wer irgend in geistiger Frische sich regte, opponierte der Stoa oder ignorierte sie. Es war hauptsächlich der Widerwille gegen die großmauligen und langweiligen römischen Pharisäer, daneben freilich auch der zunehmende Hang, sich aus dem praktischen Leben in schlaffe Apathie oder nichtige Ironie zu flüchten, dem während dieser Epoche das System Epikurs seine Ausbreitung in weiteren Kreisen und die Diogenische Hundephilosophie ihre Einbürgerung in Rom verdankte. Wie matt und gedankenarm auch jenes sein mochte, eine Philosophie, die nicht in der Veränderung der hergebrachten Bezeichnungen den Weg zur Freiheit suchte, sondern mit den vorhandenen sich begnügte und durchaus nur die sinnliche Wahrnehmung als wahr gelten ließ, war immer noch besser als das terminologische Geklapper und die hohlen Begriffe der stoischen Weisheit; und die Hundephilosophie gar war von allen damaligen philosophischen Systemen insofern bei weitem das vorzüglichste, als ihr System sich darauf beschränkte, gar kein System zu haben, sondern alle Systeme und alle Systematiker zu verhöhnen. Auf beiden Gebieten wurde gegen die Stoa mit Eifer und Glück Krieg geführt; für ernste Männer predigte der Epikureer Lucretius mit dem vollen Akzent der innigen Überzeugung und des heiligen Eifers gegen den stoischen Götter- und Vorsehungsglauben und die stoische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele; für das große lachbereite Publikum traf der Kyniker Varro mit den flüchtigen Pfeilen seiner vielgelesenen Satiren noch schärfer zum Ziel. Wenn also die tüchtigsten Männer der älteren Generation die Stoa befehdeten, so stand dagegen die jüngere, wie zum Beispiel Catullus, zu ihr in gar keinem innerlichen Verhältnis mehr und kritisierte sie noch bei weitem schärfer durch vollständiges Ignorieren.

Indes wenn hier ein glaubenloser Glaube aus politischer Konvenienz aufrecht erhalten ward, so brachte man dies anderswo reichlich wieder ein. Unglaube und Aberglaube, verschiedene Farbenbrechungen desselben geschichtlichen Phänomens, gingen auch in der damaligen römischen Welt Hand in Hand und es fehlte nicht an Individuen, welche sie beide in sich vereinigten, mit Epikuros die Götter leugneten und doch vor jeder Kapelle beteten und opferten. Natürlich galten nur noch die aus dem Orient gekommenen Götter, und wie die Menschen fortfuhren, aus den griechischen Landschaften nach Italien zu strömen, so wanderten auch die Götter des Ostens in immer steigender Zahl nach dem Westen hinüber. Was der phrygische Kult damals in Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den älteren Männern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherrlichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der charakteristischen Bitte schließt, daß die Göttin geneigen möge, nur andere, nicht den Dichter selbst verrückt zu machen. Neu trat hinzu der persische Götterdienst, der zuerst durch Vermittlung der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeere sich begegnenden Piraten zu den Okzidentalen gelangt sein soll und als dessen älteste Kultstätte im Westen der Berg Olympos in Lykien bezeichnet wird. Dafür, daß man bei der Aufnahme der orientalischen Kulte im Okzident das, was sie von höheren spekulativen und sittlichen Elementen enthielten, durchgängig fallen ließ, ist es ein merkwürdiger Beleg, daß der höchste Gott der reinen Lehre Zarathustras, Ahuramazda, im Westen so gut wie unbekannt blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjenigen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den zweiten gerückt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten traf der langweilig geheimnisvolle Schwarm der ägyptischen Götterkarikaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wiederauflebenden Osiris, dem finsteren Sarapis, dem schweigsam ernsten Harpokrates, dem hundsköpfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius die Klubs und Konventikel freigab (696 58), und ohne Zweifel eben infolge dieser Emanzipation des Pöbels, machte jener Schwarm sogar Anstalt, in die alte Burg des römischen Jupiter auf dem Kapitol seinen Einzug zu halten, und kaum gelang es, von hier ihn noch abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die Vorstädte Roms zu bannen. Kein Kult war in den unteren Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung gleich populär: als der Senat die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureißen befahl, wagte kein Arbeiter, die erste Hand daran zu legen, und der Konsul Lucius Paullus mußte selber den ersten Axtschlag tun (704 50); man konnte darauf wetten, daß je lockerer ein Dirnchen war, es desto frommer die Isis verehrte. Daß Loswerfen, Traumdeuten und dergleichen freie Künste ihren Mann ernährten, versteht sich von selbst. Das Horoskopstellen ward schon wissenschaftlich betrieben: Lucius Tarutius aus Firmum, ein angesehener und in seiner Art gelehrter, mit Varro und Cicero befreundeter Mann, stellte ganz ernsthaft den Königen Romulus und Numa und der Stadt Rom selbst die Nativität und erhärtete zur Erbauung der beiderseitigen Gläubigen mittels seiner chaldäischen und ägyptischen Weisheit die Berichte der römischen Chronik. Aber bei weitem die merkwürdigste Erscheinung auf diesem Gebiet ist der erste Versuch, das rohe Glauben mit dem spekulativen Denken zu verquicken, das erste Hervortreten derjenigen Tendenzen, die wir als neuplatonische zu bezeichnen gewohnt sind, in der römischen Welt. Ihr ältester Apostel daselbst war Publius Nigidius Figulus, ein vornehmer Römer von der strengsten Fraktion der Aristokratie, der 696 (58) die Prätur bekleidete und im Jahre 709 (45) als politischer Verbannter außerhalb Italiens starb. Mit staunenswerter Vielgelehrtheit und noch staunenswerterer Glaubensstärke schuf er aus den disparatesten Elementen einen philosophisch-religiösen Bau, dessen wunderlichen Grundriß er mehr wohl noch in mündlichen Verkündigungen entwickelte als in seinen theologischen und naturwissenschaftlichen Schriften. In der Philosophie griff er, Erlösung suchend von den Totengerippen der umgehenden Systeme und Abstraktionen, zurück auf den verschütteten Born der vorsokratischen Philosophie, deren alten Weisen der Gedanke selber noch mit sinnlicher Lebendigkeit erschienen war. Die naturwissenschaftliche Forschung, die, zweckmäßig behandelt, dem mystischen Schwindel und der frommen Taschenspielerei auch jetzt noch so vortreffliche Handhaben darbietet und im Altertum, bei der mangelhafteren Einsicht in die physikalischen Gesetze, sie noch bequemer darbot, spielte begreiflicherweise auch hier eine ansehnliche Rolle. Seine Theologie beruhte wesentlich auf dem wunderlichen Gebräu, in dem den geistesverwandten Griechen orphische und andere uralte oder sehr neue einheimische Weisheit mit persischen, chaldäischen und ägyptischen Geheimlehren zusammengeflossen war und in welches Figulus noch die Quasiresultate der tuskischen Forschung in das Nichts und die einheimische Vogelfluglehre zu weiterer harmonischer Konfusion einarbeitete. Dem ganzen System gab die politisch-religiös-nationale Weihe der Name des Pythagoras, des ultrakonservativen Staatsmannes, dessen oberster Grundsatz war, “die Ordnung zu fördern und der Unordnung zu wehren”, des Wundermannes und Geisterbeschwörers, des in Italien heimischen, selbst in Roms Sagengeschichte verflochtenen und auf dem römischen Markte im Standbilde zu schauenden uralten Weisen. Wie Geburt und Tod miteinander verwandt sind, so, schien es, sollte Pythagoras nicht bloß an der Wiege der Republik stehen als des weisen Numa Freund und der klugen Mutter Egeria Kollege, sondern auch als der letzte Hort der heiligen Vogelweisheit an ihrem Grabe. Das neue System war aber nicht bloß wunderhaft, es wirkte auch Wunder: Nigidius verkündigte dem Vater des nachmaligen Kaisers Augustus an dem Tage selbst, wo dieser geboren ward, die künftige Größe des Sohnes; ja die Propheten bannten den Gläubigen Geister und, was mehr sagen will, sie wiesen ihnen die Plätze nach, wo ihre verlorenen Münzen lagen. Die neu-alte Weisheit, wie sie nun eben war, machte doch auf die Zeitgenossen einen tiefen Eindruck; die vornehmsten, gelehrtesten, tüchtigsten Männer der verschiedensten Parteien, der Konsul des Jahres 705 (49), Appius Claudius, der gelehrte Marcus Varro, der tapfere Offizier Publius Vatinius, machten das Geisterzitieren mit, und es scheint sogar, daß gegen das Treiben dieser Gesellschaften polizeilich eingeschritten werden mußte. Diese letzten Versuche, die römische Theologie zu retten, machen, ähnlich wie Catos verwandte Bestrebungen auf dem politischen Gebiet, zugleich einen komischen und einen wehmütigen Eindruck; man darf über das Evangelium wie über die Apostel lächeln, aber immer ist es eine ernsthafte Sache, wenn auch die tüchtigen Männer anfangen, sich dem Absurden zu ergeben.

Die Jugendbildung bewegte sich, wie sich von selbst versteht, in dem in der vorigen Epoche vorgezeichneten Kreise zwiesprachiger Humanität, und mehr und mehr ging die allgemeine Bildung auch der römischen Welt ein auf die von den Griechen dafür festgestellten Formeln. Selbst die körperlichen Übungen schritten von dem Ballspiel, dem Laufen und Fechten fort zu den kunstmäßiger entwickelten griechischen Turnkämpfen; wenn es auch für diese noch keine öffentlichen Anstalten gab, pflegte doch in den vornehmen Landhäusern schon neben den Badezimmern die Palästra nicht zu fehlen. In welcher Art der Kreis der allgemeinen Bildung sich in der römischen Welt im Laufe eines Jahrhunderts umgewandelt hatte, zeigt die Vergleichung der Catonischen ‘Encyklopädie’ mit der gleichartigen Schrift Varros ‘Von den Schulwissenschaften’. Als Bestandteile der nichtfachwissenschaftlichen Bildung erscheinen bei Cato die Redekunst, die Ackerbau-, Rechts-, Kriegs- und Arzneikunde, bei Varro - nach wahrscheinlicher Vermutung - Grammatik, Logik oder Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, Medizin und Architektur. Es sind also im Verlaufe des siebenten Jahrhunderts Kriegs-, Rechts- und Ackerbaukunde aus allgemeinen zu Fachwissenschaften geworden. Dagegen tritt bei Varro die hellenische Jugendbildung bereits in ihrer ganzen Vollständigkeit auf: neben dem grammatisch-rhetorisch-philosophischen Kursus, der schon früher in Italien eingeführt war, findet jetzt auch der länger spezifisch hellenisch gebliebene geometrisch-arithmetisch-astronomisch-musikalische ^1 sich ein. Daß namentlich die Astronomie, die in der Nomenklatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettantismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herrschenden religiösen Schwindel entgegenkam, in Italien von der Jugend regelmäßig und eifrig studiert ward, läßt sich auch anderweitig belegen: Aratos’ astronomische Lehrgedichte fanden unter allen Werken der alexandrinischen Literatur am frühesten Eingang in den römischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Kursus trat dann noch die aus dem älteren römischen Jugendunterricht stehengebliebene Medizin und endlich die dem damaligen statt des Ackers Häuser und Villen bauenden vornehmen Römer unentbehrliche Architektur.

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^1 Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Künste, die mit dieser Unterscheidung der früher in Italien eingebürgerten drei und der nachträglich rezipierten vier Disziplinen sich durch das ganze Mittelalter behauptet haben.

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Im Vergleich mit der vorigen Epoche nimmt die griechische wie die lateinische Bildung an Umfang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an Feinheit. Der steigende Drang nach griechischem Wissen gab dem Unterricht von selbst einen gelehrten Charakter. Horneros oder Euripides zu exponieren war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schüler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrinischen Poesien, welche überdies auch ihrem Geiste nach der damaligen römischen Welt weit näher standen als die echte griechische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwürdig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend achtbares Alter besaßen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Euphorions Liebesgedichte, Kalkmachos’ ‘Ursachen’ und seine ‘Ibis’, Lykophrons komisch dunkle ‘Alexandra’ enthielten in reicher Fülle seltene Vokabeln (glossae), die zum Exzerpieren und Interpretieren sich eigneten, mühsam verschlungene und mühsam aufzulösende Sätze, weitläufige Exkurse voll Zusammengeheimnissung verlegener Mythen, überhaupt Vorrat zu beschwerlicher Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwierigerer Übungsstücke; jene Produkte, großenteils Musterarbeiten von Schulmeistern, eigneten sich vortrefflich zu Lehrstücken für Musterschüler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in dem italischen Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben, bleibenden Platz und förderten allerdings das Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde Bildungshunger drängte ferner die römische Jugend, den Hellenismus so viel wie möglich an der Quelle zu schöpfen. Die Kurse bei den griechischen Meistern in Rom genügten nur noch für den ersten Anlauf; wer irgend wollte mitsprechen können, hörte griechische Philosophie in Athen, griechische Rhetorik in Rhodos und machte eine literarische und Kunstreise durch Kleinasien, wo noch am meisten von den alten Kunstschätzen der Hellenen an Ort und Stelle anzutreffen war und, wenn auch handwerksmäßig, die musische Bildung derselben sich fortgepflanzt hatte; wogegen das fernere und mehr als Sitz der strengen Wissenschaften gefeierte Alexandreia weit seltener das Reiseziel der bildungslustigen jungen Leute war.

Ähnlich wie der griechische steigert sich auch der lateinische Unterricht. Zum Teil geschah dies schon durch die bloße Rückwirkung des griechischen, dem er ja seine Methode und seine Anregungen wesentlich entlehnte. Ferner trugen die politischen Verhältnisse, der durch das demokratische Treiben in immer weitere Kreise getragene Zudrang zu der Rednerbühne auf dem Markte, zur Verbreitung und Steigerung der Redeübungen nicht wenig bei; “wo man hinblickt”, sagt Cicero, “ist alles von Rhetoren voll”. Es kam hinzu, daß die Schriften des sechsten Jahrhunderts, je weiter sie in die Vergangenheit zurücktraten, desto entschiedener als klassische Texte der goldenen Zeit der lateinischen Literatur zu gelten anfingen und damit dem wesentlich auf sie sich konzentrierenden Unterricht ein größeres Schwergewicht gaben. Endlich gab die von vielen Seiten her einreißende und einwandernde Barbarei und die beginnende Latinisierung ausgedehnter keltischer und spanischer Landschaften der lateinischen Sprachlehre und dem lateinischen Unterricht von selbst eine höhere Bedeutung, als er sie hatte haben können, solange nur Latium lateinisch sprach: der Lehrer der lateinischen Literatur hatte in Comum und Narbo von Haus aus eine andere Stellung als in Praeneste und Ardea. Im ganzen genommen war die Bildung mehr im Sinken als im Steigen. Der Ruin der italischen Landstädte, das massenhafte Eindringen fremder Elemente, die politische, ökonomische und sittliche Verwilderung der Nation, vor allem die zerrüttenden Bürgerkriege verdarben auch in der Sprache mehr, als alle Schulmeister der Welt wieder gutmachen konnten. Die engere Berührung mit der hellenischen Bildung der Gegenwart, der bestimmtere Einfluß der geschwätzigeren athenischen Weisheit und der rhodischen und kleinasiatischen Rhetorik führten vorwiegend eben die schädlichsten Elemente des Hellenismus der römischen Jugend zu. Die propagandistische Mission, die Latium unter den Kelten, Iberern und Libyern übernahm, wie stolz die Aufgabe auch war, mußte doch für die lateinische Sprache ähnliche Folgen haben, wie die Hellenisierung des Ostens sie für die hellenische gehabt hatte. Wenn das römische Publikum dieser Zeit die wohlgefügte und rhythmisch kadenzierte Periode des Redners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder metrischer Verstoß teuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, daß die schulmäßig reflektierte Einsicht in die Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward: aber daneben klagen urteilsfähige Zeitgenossen, daß die hellenische Bildung in Italien um 690 (64) weit tiefer gestanden als ein Menschenalter zuvor; daß man das reine gute Latein nur selten mehr, am ersten noch aus dem Munde älterer gebildeter Frauen zu hören bekomme; daß die Überlieferung echter Bildung, der alte, gute lateinische Mutterwitz, die Lucilische Feinheit, der gebildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmählich ausgingen. Daß Wort und Begriff der “Urbanität”, das heißt der feinen nationalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, daß sie herrschte, sondern daß sie im Verschwinden war und daß man in der Sprache und dem Wesen der latinisierten Barbaren oder barbarisierten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanität schneidend empfand. Wo noch der urbane Konversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht so wie in Rom verschollenen Weise.

So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem Wesen nach unverändert, nur daß sie, nicht so sehr durch ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, weniger Gutes und mehr Übles stiftete als in der vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und sodann höchstens geduldet hatte, so mußte die Regierung des neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Humanität war, dieselbe notwendig in hellenischer Weise von oben herab fördern. Wenn Caesar sämtlichen Lehrern der freien Wissenschaften und sämtlichen Ärzten der Hauptstadt das römische Bürgerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Einleitung gefunden werden zu jenen Anstalten, in denen späterhin für die höhere zwiesprachige Bildung der Jugend des Reiches von Staats wegen gesorgt ward und die der prägnanteste Ausdruck des neuen Staates der Humanität sind; und wenn Caesar ferner die Gründung einer öffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Römer der Zeit, Marcus Varro, zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin unverkennbar die Absicht, mit der Weltmonarchie die Weltliteratur zu verknüpfen.

Die sprachliche Entwicklung dieser Zeit knüpfte an den Gegensatz an zwischen dem klassischen Latein der gebildeten Gesellschaft und der Vulgärsprache des gemeinen Lebens. Jenes selbst war ein Erzeugnis der spezifischen italischen Bildung; schon in dem Scipionischen Kreise war das “reine Latein” Stichwort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr völlig naiv gesprochen, sondern in bewußtem Unterschied von der Sprache des großen Haufens. Diese Epoche eröffnet mit einer merkwürdigen Reaktion gegen den bisher in der höheren Umgangssprache und demnach auch in der Literatur alleinherrschenden Klassizismus, einer Reaktion, die innerlich und äußerlich mit der gleichartigen Sprachreaktion in Griechenland eng zusammenhing. Eben um diese Zeit begannen der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von Magnesia und die zahlreichen, an ihn sich anschließenden kleinasiatischen Rhetoren und Literaten sich aufzulehnen gegen den orthodoxen Attizismus. Sie forderten das Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Karien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern für den des großen Publikums. Gegen den Grundsatz ließ sich nicht viel einwenden; nur freilich konnte das Resultat nicht besser sein als das damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn für Strenge und Reinheit der Produktion gänzlich verloren hatte und nur nach dem Zierlichen und Brillanten verlangte. Um von den aus dieser Richtung entsprungenen Afterkunstgattungen, namentlich dem Roman und der romanhaften Geschichte, hier zu schweigen, so war schon der Stil dieser Asiaten begreiflicherweise zerhackt und ohne Kadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll Flitter und Bombast, durchaus gemein und manieriert; “wer Hegesias kennt”, sagt Cicero, “der weiß, was albern ist”.

Dennoch fand dieser neue Stil seinen Weg auch in die latinische Welt. Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vorigen Epoche in den latinischen Jugendunterricht sich eingedrängt hatte, zu Anfang der gegenwärtigen den letzten Schritt tat und mit Quintus Hortensius (640-704 114-50), dem gefeiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die römische Rednerbühne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateinischen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng sich an; und das römische Publikum, nicht mehr das rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich eifrig den Neuerer, der es verstand, dem Vulgarismus den Schein kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von großer Bedeutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunächst in den Rhetorenschulden geführt ward, so war auch in Rom die gerichtliche Rede gewissermaßen mehr noch als die Literatur maßgebend für den Stil, und es war deshalb mit dem Sachwalterprinzipat gleichsam von Rechts wegen die Befugnis verbunden, den Ton der modischen Sprech- und Schreibweise anzugeben. Hortensius’ asiatischer Vulgarismus verdrängte also den Klassizismus von der römischen Rednerbühne und zum Teil auch aus der Literatur. Aber bald schlug in Griechenland wie in Rom die Mode wieder um. Dort war es die Rhodische Rhetorenschule, die ohne auf die ganze keusche Strenge des attischen Stils zurückzugehen, doch versuchte, zwischen ihm und der modernen Weise einen Mittelweg einzuschlagen; wenn die rhodischen Meister es mit der innerlichen Korrektheit des Denkens und Sprechens nicht allzu genau nahmen, so drangen sie doch wenigstens auf sprachliche und stilistische Reinheit, auf sorgfältige Auswahl der Wörter und Wendungen und durchgeführte Kadenzierung der Sätze. In Italien war es Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), der, nachdem er in seiner ersten Jugend die Hortensische Manier mitgemacht hatte, durch das Hören der rhodischen Meister und durch eigenen gereifteren Geschmack auf bessere Wege zurückgeführt ward und fortan sich strenger Reinheit der Sprache und durchgängiger Periodisierung und Kadenzierung der Rede befliß. Die Sprachmuster, an die er hierbei sich anschloß, fand er vor allen Dingen in denjenigen Kreisen der höheren römischen Gesellschaft, welche von dem Vulgarismus noch wenig oder gar nicht gelitten hatten; und wie schon gesagt ward, es gab deren noch, obwohl sie anfingen zu schwinden. Die ältere lateinische und die gute griechische Literatur, so bedeutend auch namentlich auf den Numerus der Rede die letztere eingewirkt hat, standen daneben doch nur in zweiter Linie; es war diese Sprachreinigung also keineswegs eine Reaktion der Buch- gegen die Umgangssprache, sondern eine Reaktion der Sprache der wirklich Gebildeten gegen den Jargon der falschen und halben Bildung. Caesar, auch auf dem Gebiet der Sprache der größte Meister seiner Zeit, sprach den Grundgedanken des römischen Klassizismus aus, indem er in Rede und Schrift jedes fremdartige Wort so zu vermeiden gebot, wie der Schiffer die Klippe meidet: man verwarf das poetische und das verschollene Wort der älteren Literatur ebenso, wie die bäurische oder der Sprache des gemeinen Lebens entlehnte Wendung und namentlich die, wie die Briefe dieser Zeit es beweisen, in sehr weitem Umfang in die Umgangssprache eingedrungenen griechischen Wörter und Phrasen. Aber nichtsdestoweniger verhielt dieser schulmäßige und künstliche Klassizismus der ciceronischen Zeit sich zu dem scipionischen, wie zu der Unschuld die bekehrte Sünde oder wie zu dem mustergültigen Französisch Molières und Boileaus das der napoleonischen Klassizisten; wenn jener aus dem vollen Leben geschöpft hatte, so fing dieser gleichsam die letzten Atemzüge eines unwiderbringlich untergehenden Geschlechts noch eben rechtzeitig auf. Wie er nun war, er breitete rasch sich aus. Mit dem Sachwalterprinzipat ging auch die Sprach- und Geschmacksdiktatur von Hortensius auf Cicero über, und die mannigfaltige und weitläufige Schriftstellerei des letzteren gab diesem Klassizismus, was ihm noch gefehlt hatte, ausgedehnte prosaische Texte. So wurde Cicero der Schöpfer der modernen klassischen lateinischen Prosa und knüpfte der römische Klassizismus durchaus und überall an Cicero als Stilisten an; dem Stilisten Cicero, nicht dem Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmanne, galten die überschwenglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lobsprüche, mit denen die begabtesten Vertreter des Klassizismus, namentlich Caesar und Catullus, ihn überhäufen.

Bald ging man weiter. Was Cicero in der Prosa, das führte in der Poesie gegen das Ende der Epoche die neurömische an die griechische Modepoesie sich anlehnende Dichterschule durch, deren bedeutendstes Talent Catullus war. Auch hier verdrängte die höhere Umgangssprache die bisher auf diesem Gebiet noch vielfach waltenden archaistischen Reminiszenzen und fügte wie die lateinische Prosa sich dem attischen Numerus, so die lateinische Poesie sich allmählich den strengen oder vielmehr peinlichen metrischen Gesetzen der Alexandriner; so zum Beispiel wird von Catullus an es nicht mehr verstattet, mit einem einsilbigen oder einem nicht besonders schwerwichtigen zweisilbigen Wort zugleich einen Vers zu beginnen und einen im vorigen begonnenen Satz zu schließen. Endlich trat denn die Wissenschaft hinzu, fixierte das Sprachgesetz und entwickelte die Regel, die nicht mehr aus der Empirie bestimmt ward, sondern den Anspruch machte, die Empirie zu bestimmen. Die Deklinationsendungen, die bisher noch zum Teil geschwankt hatten, sollten jetzt ein für allemal fixiert werden, wie zum Beispiel von den bisher nebeneinander gangbaren Genetiv- und Dativformen der sogenannten vierten Deklination (senatuis und senatus, senatui und senatu) Caesar ausschließlich die zusammengezogenen (us und u) gelten ließ. In der Orthographie wurde mancherlei geändert, um die Schrift mit der Sprache wieder vollständiger ins gleiche zu setzen - so ward das inlautende u in Wörtern wie maxumus nach Caesars Vorgang durch i ersetzt und von den beiden überflüssig gewordenen Buchstaben k und q die Beseitigung des ersten durchgesetzt, die des zweiten wenigstens vorgeschlagen. Die Sprache war, wenn noch nicht erstarrt, doch im Erstarren begriffen, von der Regel zwar noch nicht gedankenlos beherrscht, aber doch bereits ihrer sich bewußt geworden. Daß für diese Tätigkeit auf dem Gebiete der lateinischen Grammatik die griechische nicht bloß im allgemeinen den Geist und die Methode hergab, sondern die lateinische Sprache auch wohl geradezu nach jener rektifiziert ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schließenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Gefallen bald als Konsonant, bald nicht als solcher gegolten hatte, von den neumodischen Poeten aber durchgängig wie im Griechischen als konsonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulierung ist die eigentliche Domäne des römischen Klassizismus; in der verschiedensten Weise und ebendarum nur um so bedeutsamer wird bei den Koryphäen desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten Catulls, die Regel eingeschärft und der Verstoß dagegen abgetrumpft; wogegen die ältere Generation sich über die auf dem sprachlichen Gebiet ebenso rücksichtslos wie auf dem politischen durchgreifende Revolution mit begreiflicher Empfindlichkeit äußert ^2. Indem aber der neue Klassizismus, das heißt das regulierte und mit dem mustergültigen Griechisch soweit möglich ins gleiche gesetzte mustergültige Latein, hervorgehend aus der bewußten Reaktion gegen den in die höhere Gesellschaft und selbst in die Literatur eingedrungenen Vulgarismus, sich literarisch fixierte und schematisch formulierte, räumte dieser doch keineswegs das Feld. Wir finden ihn nicht bloß naiv in den Werken untergeordneter, nur zufällig unter die Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht über Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Literatur, im Mimus, im Halbroman, in den ästhetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgeprägt begegnen; und charakteristisch ist es, daß er eben in den am meisten volkstümlichen Gebieten der Literatur sich behauptet und daß wahrhaft konservative Männer, wie Varro, ihn in Schutz nehmen. Der Klassizismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen konsequent, daß die Männer, in denen die Republik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren, ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volkstümlichkeit zuliebe ihre ästhetischen Mängel ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser Epoche überall hin auseinander: neben der altfränkischen Poesie des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, neben Ciceros kadenzierter Periode Varros absichtlich jede Gliederung verschmähender Satz. Auch hierin spiegelt sich die Zerrissenheit der Zeit.

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^2 So sagt Varro (rust. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a patribus nostris; ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo.

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In der Literatur dieser Periode fällt zunächst, im Vergleich mit der früheren, die äußere Steigerung des literarischen Treibens in Rom auf. Die literarische Tätigkeit der Griechen gedieh längst nicht mehr in der freien Luft der bürgerlichen Unabhängigkeit, sondern nur noch in den wissenschaftlichen Anstalten der größeren Städte und besonders der Höfe. Angewiesen auf Gunst und Schutz der Großen und durch das Erlöschen der Dynastien von Pergamon (621 133), Kyrene (658 96), Bithynien (679 75) und Syrien (690 64), durch den sinkenden Glanz der Hofhaltung der Lagiden aus den bisherigen Musensitzen verdrängt ^3, überdies seit Alexanders des Großen Tod notwendig kosmopolitisch und unter den Ägyptern und Syrern wenigstens ebenso fremd wie unter den Lateinern, fingen die hellenischen Literaten mehr und mehr an, ihre Blicke nach Rom zu wenden. Neben dem Koch, dem Buhlknaben und dem Spaßmacher spielten unter dem Schwarm griechischer Bedienten, mit denen der vornehme Römer dieser Zeit sich umgab, auch der Philosoph, der Poet und der Memoirenschreiber hervorragende Rollen. Schon begegnen in diesen Stellungen namhafte Literaten; wie zum Beispiel der Epikureer Philodemos als Hauptphilosoph bei Lucius Piso, Konsul 696 (58), angestellt war und nebenbei mit seinen artigen Epigrammen auf den grobdrähtigen Epikureismus seines Patrons die Eingeweihten erbaute. Von allen Seiten zogen immer zahlreicher die angesehensten Vertreter der griechischen Kunst und Wissenschaft sich nach Rom, wo der literarische Verdienst jetzt reichlicher floß als irgendwo sonst; so werden als in Rom ansässig genannt der Arzt Asklepiades, den König Mithradates vergeblich von dort weg in seinen Dienst zu ziehen versuchte, der Gelehrte für alles, Alexandros von Milet, genannt der Polyhistor; der Poet Parthenios aus Nikäa in Bithymen; der als Reisender, Lehrer und Schriftsteller gleich gefeierte Poseidonios von Apameia in Syrien, der hochbejahrt im Jahre 703 (51) von Rhodos nach Rom übersiedelte, und andere mehr. Ein Haus wie das des Lucius Lucullus war, fast wie das alexandrinische Museion, ein Sitz hellenischer Bildung und ein Sammelplatz hellenischer Literaten; römische Mittel und hellenische Kennerschaft hatten in diesen Hallen des Reichtums und der Wissenschaft einen unvergleichlichen Schatz von Bildwerken und Gemälden älterer und gleichzeitiger Meister sowie eine ebenso sorgfältig ausgewählte wie prachtvoll ausgestattete Bibliothek vereinigt und jeder Gebildete und namentlich jeder Grieche war hier willkommen - oft sah man den Hausherrn selbst mit einem seiner gelehrten Gäste in philologischem oder philosophischem Gespräch den schönen Säulengang auf- und niederwandeln. Freilich trugen diese Griechen mit ihren reichen Bildungsschätzen auch zugleich ihre Verkehrtheit und Bedientenhaftigkeit nach Italien; wie sich denn zum Beispiel einer dieser gelehrten Landläufer, der Verfasser der ‘Schmeichelredekunst’, Aristodemos von Nysa, um 700 (54) seinen Herren durch den Nachweis empfahl, daß Horneros ein geborener Römer gewesen sei. In demselben Maße wie das Treiben der griechischen Literaten in Rom stieg auch bei den Römern selbst die literarische Tätigkeit und das literarische Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere Geschmack des scipionischen Zeitalters gänzlich beseitigt hatte, tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun einmal Weltsprache, und eine griechische Schrift fand ein ganz anderes Publikum als eine lateinische; darum ließen, wie die Könige von Armenien und Mauretanien, so auch römische Vornehme, wie zum Beispiel Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus, Quintus Scaevola (Volkstribun 700 54), gelegentlich griechische Prosa und sogar griechische Verse ausgehen. Indes dergleichen griechische Schriftstellerei geborener Römer blieb Nebensache und beinahe Spielerei; die literarischen wie die politischen Parteien Italiens trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus durchdrungenen Nationalität. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer Schriftstellerei wenigstens über Mangel an Rührigkeit sich nicht beklagen. Es regnete in Rom Bücher und Flugschriften aller Art und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische Publikationen waren zur stehenden Jugendsünde regerer Naturen geworden, und auch damals pries man denjenigen glücklich, dessen Jugendgedichte die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Handwerk einmal verstand, schrieb ohne Mühe auf einen Ansatz seine fünfhundert Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu tadeln, freilich auch kein Leser etwas zu loben fand. Auch die Frauenwelt beteiligte sich lebhaft an diesem literarischen Treiben; die Damen beschränkten sich nicht darauf, Tanz und Musik zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die Konversation und sprachen vortrefflich über griechische und lateinische Literatur; und wenn die Poesie auf die Mädchenherzen Sturm lief, so kapitulierte die belagerte Festung nicht selten gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr das elegante Spielzeug der großen Kinder beiderlei Geschlechts; poetische Billets, gemeinschaftliche poetische Übungen und Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewöhnliches, und gegen das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in der Hauptstadt Anstalten eröffnet, in denen unflügge lateinische Poeten das Versemachen für Geld erlernen konnten. Infolge des starken Bücherkonsums wurde die Technik des fabrikmäßigen Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publikation verhältnismäßig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward ein angesehenes und einträgliches Gewerbe und der Laden des Buchhändlers ein gewöhnlicher Versammlungsort gebildeter Männer. Das Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Tafel ward, wo nicht bereits roherer Zeitvertreib sich eingedrängt hatte, regelmäßig vorgelesen, und wer eine Reise vorhatte, vergaß nicht leicht, eine Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier sah man im Lagerzelt den schlüpfrigen griechischen Roman, den Staatsmann im Senat den philosophischem Traktat in der Hand. Es stand denn auch im römischen Staate, wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die Bürger lesen “von der Türschwell an bis zum Privet”. Der parthische Wesir hatte nicht unrecht, wenn er den Bürgern von Seleukeia die im Lager des Crassus gefundenen Romane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher Bücher noch für furchtbare Gegner hielten.

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^3 Merkwürdig ist für diese Verhältnisse die Dedikation der auf den Namen des Skymnos gehenden poetischen Erdbeschreibung. Nachdem der Dichter seine Absicht erklärt hat, in dem beliebten menandrischen Maß einen für Schüler faßlichen und leicht auswendig zu lernenden Abriß der Geographie zu bearbeiten, widmet er, wie Apollodoros sein ähnliches historisches Kompendium dem König Attalos Philadelphos von Pergamon widmete,

dem es ewigen Ruhm

Gebracht, daß seinen Namen dies Geschichtswerk trägt,

sein Handbuch dem König Nikomedes III. (663? - 679 91 - 75) von Bithynien:

Daß, wie die Leute sagen, königliche Huld

Von allen jetzigen Königen nur du erzeigst,

Dies zu erproben an mir selbst, entschloß ich mich,

Zu kommen und zu sehen, was ein König sei.

Bestärkt in diesem durch Apolls Orakelwort,

Nah’ ich mich billig deinem fast, auf deinen Wink,

Zu der Gelehrten insgemein gewordnen Herd.

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Die literarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und der neuen Weise geteilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem politischen Gebiet sich bekämpften, die national-italische der Konservativen, die hellenisch-italische oder, wenn man will, kosmopolitische der neuen Monarchie, haben auch auf dem literarischen ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die ältere lateinische Literatur, die auf dem Theater, in der Schule und in der gelehrten Forschung mehr und mehr den Charakter der Klassizität annimmt. Mit minderem Geschmack und stärkerer Parteitendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius, Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die Blätter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die relative Nationalität und relative Produktivität der Dichter des sechsten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser Epoche des ausgebildeten Epigonentums, die in der Literatur ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der Hannibalskämpfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwiederbringlich dahingegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewunderung der alten Klassiker ein guter Teil derselben Hohlheit und Heuchelei, die dem konservativen Wesen dieser Zeit überhaupt eigen sind, und die Zwischengänger mangelten auch hier nicht. Cicero zum Beispiel, obwohl in der Prosa einer der Hauptvertreter der modernen Tendenz, verehrte dennoch die ältere nationale Poesie ungefähr mit demselben anbrüchigen Respekt, welchen er der aristokratischen Verfassung und der Auguraldisziplin zollte; “der Patriotismus erfordert es”, heißt es bei ihm, “lieber eine notorisch elende Übersetzung des Sophokles zu lesen als das Original”. Wenn also die moderne, der demokratischen Monarchie verwandte literarische Richtung selbst unter den rechtgläubigen Enniusbewunderern stille Bekenner genug zählte, so fehlte es auch schon nicht an dreisteren Urteilern, die mit der einheimischen Literatur ebenso unsäuberlich umgingen wie mit der senatorischen Politik. Man nahm nicht bloß die strenge Kritik der scipionischen Epoche wieder auf und ließ den Terenz nur gelten, um Ennius und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die jüngere und verwegenere Welt ging weit darüber hinaus und wagte es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen die literarische Orthodoxie, den Plautus einen rohen Spaßmacher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heißen. Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung vielmehr auf die neuere griechische Literatur oder den sogenannten Alexandrinismus.

Es kann nicht umgangen werden, von diesem merkwürdigen Wintergarten hellenischer Sprache und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als für das Verständnis der römischen Literatur dieser und der späteren Epochen erforderlich ist. Die alexandrinische Literatur ruht auf dem Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit Alexanders des Großen im Leben ersetzt ward durch einen verkommenen, zunächst aus der Berührung des makedonischen Dialekts mit vielfachen griechischen und barbarischen Stämmen hervorgegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische Literatur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Nation überhaupt, die, um die alexandrinische Weltmonarchie und das Reich des Hellenismus zu begründen, in ihrer volkstümlichen Individualität untergehen mußte und unterging. Hätte Alexanders Weltreich Bestand gehabt, so würde an die Stelle der ehemaligen nationalen und volkstümlichen eine nur dem Namen nach hellenische, wesentlich denationalisierte und gewissermaßen von oben herab ins Leben gerufene, aber allerdings die Welt beherrschende, kosmopolitische Literatur getreten sein; indes wie der Staat Alexanders mit seinem Tode aus den Fugen wich, gingen auch die Anfänge der ihm entsprechenden Literatur rasch zugrunde. Die griechische Nation aber gehörte darum nicht weniger mit allem, was sie gehabt, mit ihrer Volkstümlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit an. Nur in einem verhältnismäßig engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die griechische Literatur noch als tote gepflegt, ihr reicher Nachlaß in wehmütiger Freude oder trockener Grübelei inventarisiert und auch wohl das lebendige Nachgefühl oder die tote Gelehrsamkeit bis zu einer Scheinproduktivität gesteigert. Diese posthume Produktivität ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesentlich gleichartig derjenigen Gelehrtenliteratur, welche, abstrahierend von den lebendigen romanischen Nationalitäten und ihren vulgären Idiomen, in einem philologisch gelehrten, kosmopolitischen Kreise als künstliche Nachblüte des untergegangenen Altertums während des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts erwuchs; der Gegensatz zwischen dem klassischen und dem Vulgärgriechisch der Diadochenzeit ist wohl minder schroff, aber nicht eigentlich ein anderer als der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italienischen Macchiavellis.

Italien hatte bisher sich gegen den Alexandrinismus im wesentlichen ablehnend verhalten. Die relative Blütezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem Ersten Punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius und schloß überhaupt die gesamte nationalrömische Schriftstellerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer Produktion, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen, nicht an ihre griechischen Zeitgenossen oder jüngsten Vorgänger sich an, sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und die anderen Meister der lebendigen und volkstümlichen griechischen Literatur. Die römische Literatur ist niemals frisch und national gewesen; aber solange es ein römisches Volk gab, griffen seine Schriftsteller instinktmäßig nach lebendigen und volkstümlichen Mustern und kopierten, wenn auch nicht immer aufs beste noch die besten, doch wenigstens Originale. Die ersten römischen Nachahmer - denn die geringen Anfänge aus der marianischen Zeit können kaum mitgezählt werden - fand die nach Alexander entstandene griechische Literatur unter den Zeitgenossen Ciceros und Caesars; und nun griff der römische Alexandrinismus mit reißender Schnelligkeit um sich. Zum Teil ging dies aus äußerlichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Berührung mit den Griechen, namentlich die häufigen Reisen der Römer in die hellenischen Landschaften und die Ansammlung griechischer Literaten in Rom, verschafften natürlich der griechischen Tagesliteratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Märchen, auch unter den Italikern ein Publikum. Indem ferner die alexandrinische Poesie, wie früher dargestellt ward, in dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies auf die lateinische Literatur um so mehr zurück, als diese von der hellenischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhängig war und blieb. Es findet sich hier sogar eine unmittelbare Anknüpfung der neurömischen an die neugriechische Literatur: der schon genannte Parthenios, einer der bekannteren alexandrinischen Elegiker, eröffnete, es scheint um 700 (54), eine Literatur- und Poesieschule in Rom, und es sind noch die Exzerpte vorhanden, in denen er Stoffe für lateinische erotisch-mythologische Elegien nach dem bekannten alexandrinischen Rezept einem seiner vornehmen Schüler an die Hand gab. Aber es waren keineswegs bloß diese zufälligen Veranlassungen, die den römischen Alexandrinismus ins Leben riefen; er war vielmehr ein vielleicht nicht erfreuliches, aber durchaus unvermeidliches Erzeugnis der politischen und nationalen Entwicklung Roms. Einerseits löste, wie Hellas im Hellenismus, so jetzt Latium im Romanismus sich auf; die nationale Entwicklung Italiens überwuchs und zersprengte sich in ganz ähnlicher Weise in Caesars Mittelmeer - wie die hellenische in Alexanders Ostreich. Wenn andererseits das neue Reich darauf beruhte, daß die mächtigen Ströme der griechischen und lateinischen Nationalität, nachdem sie Jahrtausende hindurch in parallelen Betten geflossen, nun endlich zusammenfielen, so mußte auch die italische Literatur nicht bloß wie bisher an der griechischen überhaupt einen Halt suchen, sondern eben mit der griechischen Literatur der Gegenwart, das heißt mit dem Alexandrinismus sich ins Niveau setzen. Mit dem schulmäßigen Latein, der geschlossenen Klassikerzahl, dem exklusiven Kreise der klassikerlesenden “Urbanen” war die volkstümliche lateinische Literatur tot und zu Ende; es entstand dafür eine durchaus epigonenhafte, künstlich großgezogene Reichsliteratur, die nicht auf einer bestimmten Volkstümlichkeit ruhte, sondern in zweien Sprachen das allgemeine Evangelium der Humanität verkündigte und geistig durchaus und bewußt von der hellenischen, sprachlich teils von dieser, teils von der altrömischen Volksliteratur abhing. Es war dies kein Fortschritt. Die Mittelmeermonarchie Caesars war wohl eine großartige und, was mehr ist, eine notwendige Schöpfung; aber sie war von oben herab ins Leben gerufen und darum nichts in ihr zu finden von dem frischen Volksleben, von der übersprudelnden Nationalkraft, wie sie jüngeren, beschränkteren, natürlicheren Gemeinwesen eigen sind, wie noch der Staat Italien des sechsten Jahrhunderts sie hatte aufzeigen können. Der Untergang der italischen Volkstümlichkeit, abgeschlossen in Caesars Schöpfung, brach der Literatur das Herzblatt aus. Wer ein Gefühl hat für die innige Wahlverwandtschaft der Kunst und der Nationalität, der wird stets sich von Cicero und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wenden; und nur die, freilich auf diesem Gebiete verjährte, schulmeisterliche Auffassung der Geschichte wie der Literatur hat es vermocht, die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heißen. Aber wenn der römisch-hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurückstehen muß hinter der, wie immer unvollkommenen, älteren nationalen Literatur, so ist er andererseits dem Alexandrinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird später darzustellen sein, daß die augustische Literatur, verglichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologen- und weit mehr eine Reichsliteratur gewesen ist als diese und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft weit dauernder und weit allgemeiner als jemals der griechische Alexandrinismus gewirkt hat.

Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenliteratur. Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationalliteratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche innerlich abgestorben. Neue Stücke wurden nicht mehr gespielt. Daß noch in der sullanischen Zeit das Publikum dergleichen zu sehen erwartete, zeigen die dieser Zeit angehörigen Wiederaufführungen Plautinischer Komödien mit gewechselten Titeln und Personennamen, wobei die Direktion wohl hinzufügte, daß es besser sei, ein gutes altes, als ein schlechtes neues Stück zu sehen. Davon hatte man denn nicht weit zu der völligen Einräumung der Bühne an die toten Poeten, die wir in der ciceronischen Zeit finden und der der Alexandrinismus sich gar nicht widersetzte. Seine Produktivität auf diesem Gebiete war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendichtung hat die alexandrinische Literatur nie gekannt; nur das Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung geschrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden, und bald fingen denn diese dramatischen Jamben auch an, in Rom ebenso wie in Alexandreia zu grassieren und namentlich das Trauerspielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu figurieren. Welcher Art diese Produktionen waren, kann man ungefähr danach bemessen, daß Quintus Cicero, um die Langeweile des gallischen Winterquartiers homöopathisch zu vertreiben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Einzig in dem “Lebensbild” oder dem Mimus verwuchs der letzte noch grünende Trieb der nationalen Literatur, die Atellanenposse, mit den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die der Alexandrinismus mit größerer poetischer Kraft und besserem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie kultivierte. Der Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertänzen zur Flöte, die teils bei anderen Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, teils besonders im Parterre des Theaters während der Zwischenakte aufgeführt wurden. Es war nicht schwer, aus diesen Tänzen, bei denen die Rede wohl längst gelegentlich zur Hilfe genommen ward, durch Einführung einer geordneteren Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen, die jedoch von dem früheren Lustspiel und selbst von der Posse sich doch dadurch noch wesentlich unterschieden, daß der Tanz und die von solchem Tanz unzertrennliche Laszivität hier fortfuhren, eine Hauptrolle zu spielen, und daß der Mimus, als nicht eigentlich auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede szenische Idealisierung wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, beiseite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen auch von Frauen darstellen ließ. Dieser neue Mimus, der zuerst um 672 (82) auf die hauptstädtische Bühne gekommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harlekinade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusammenfiel, und ward als das gewöhnliche Zwischen- und namentlich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet ^4. Die Fabel war natürlich noch gleichgültiger, lockerer und toller als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, so fragte das Publikum nicht, warum es lachte, und rechtete nicht mit dem Poeten, der, statt den Knoten zu lösen, ihn zerhieb. Die Sujets waren vorwiegend verliebter Art, meistens von der frechsten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und Publikum ohne Ausnahme Partei und die poetische Gerechtigkeit bestand in der Verhöhnung der guten Sitte. Der künstlerische Reiz beruhte ganz wie bei der Atellane auf der Sittenmalerei des gemeinen und gemeinsten Lebens, wobei die ländlichen Bilder vor denen des hauptstädtischen Lebens und Treibens zurücktreten und der süße Pöbel von Rom, ganz wie in den gleichartigen griechischen Stücken der von Alexandreia, aufgefordert wird, sein eigenes Konterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Handwerkerleben entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeidliche ‘Walker’, dann ‘Der Seiler’, ‘Der Färber, ‘Der Salzmann’, ‘Die Weberinnen’, ‘Der Hundejunge’; andere Stücke geben Charakterfiguren: ‘Der Vergeßliche’, ‘Das Großmaul’, ‘Der Mann von 100000 Sesterzen’ ^5; oder Bilder des Auslandes: ‘Die Etruskerin’, ‘Die Gallier’, ‘Der Kretenser’, ‘Alexandreia’; oder Schilderungen von Volksfesten: ‘Die Compitalien’, ‘Die Saturnalien’, ‘Anna Perenna’, ‘Die warmen Bäder’; oder travestierte Mythologie: ‘Die Fahrt in die Unterwelt’, ‘Der Arverner See’. Treffende Schlagwörter und kurze, leicht behalt- und anwendbare Gemeinsprüche sind willkommen; aber auch jeder Unsinn hat von selber das Bürgerrecht: in dieser verkehrten Welt wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegangen. Sogar von den auf dem römischen Theater sonst so streng untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich einzelne Beispiele ^6. Was die metrische Form anlangt, so gaben sich diese Poeten, wie sie selber sagen, “nur mäßige Mühe mit dem Versemaß”; die Sprache strömte selbst in den zur Veröffentlichung redigierten Stücken über von Vulgärausdrücken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht, der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse; nur daß die Charaktermasken und die stehende Szenerie von Atella sowie das bäuerliche Gepräge wegfällt und dafür das hauptstädtische Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bretter kommt. Die meisten Stücke dieser Art waren ohne Zweifel flüchtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz in der Literatur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch in ihrer Art meisterlich behandelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Geschichtschreiber muß es bedauern, daß es uns nicht mehr vergönnt ist, das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit seinem großen attischen Gegenbild zu vergleichen.

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^4 Daß der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten sei, bezeugt Cicero (ad fam. 9 16); damit stimmt überein, daß die Mimen und Miminnen zuerst um die sullanische Zeit hervortreten (Rhet. Her. 1, 14, 24; 2, 13, 19; Atta com. 1 Ribbeck.; Plin. nat. 7, 48, 158; Plut. Sull. z. 36). Übrigens wird die Bezeichnung mimus zuweilen ungenau von dem Komöden überhaupt gebraucht. So war der bei der Apollonischen Festfeier 542/43 212/211 auftretende mimus (Festus v. salva res est; vgl. Cic. De orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als ein Schauspieler der palliata, denn für wirkliche Mimen im spätem Sinn ist in dieser Zeit in der römischen Theaterentwicklung kein Raum.

Zu dem Mimus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen Genrebilder, namentlich ländliche, dargestellt wurden, hat der römische Mimus keine nähere Beziehung.

^5 Mit dem Besitz dieser Summe, wodurch man in die erste Stimmklasse eintritt und die Erbschaft dem Voconischen Gesetz unterworfen wird, ist die Grenze überschritten, welche die geringen (tenuiores) von den anständigen Leuten scheidet. Darum fleht auch der arme Klient Catulls (23, 26) die Götter an, ihm zu diesem Vermögen zu verhelfen.

^6 In Laberius’ ‘Fahrt in die Unterwelt’ tritt allerlei Volk auf, das Wunder und Zeichen gesehen hat; dem einen ist ein Ehemann mit zwei Frauen erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch ärger als das kürzlich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Ädilen. Nämlich Caesar wollte - nach dem Klatsch der Zeit - die Vielweiberei in Rom einführen (Suet. Caes. 82) und ernannte in der Tat statt vier Ädilen deren sechs. Man sieht auch hieraus, daß Laberius Narrenrecht zu üben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand.

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Mit der Nichtigkeit der Bühnenliteratur Hand in Hand geht die Steigerung des Bühnenspiels und der Bühnenpracht. Dramatische Vorstellungen erhielten ihren regelmäßigen Platz im öffentlichen Leben nicht bloß der Hauptstadt, sondern auch der Landstädte; auch jene bekam nun endlich durch Pompeius ein stehendes Theater (699 55) und die kampanische Sitte, während des in alter Zeit stets unter freiem Himmel stattfindenden Schauspiels zum Schutze der Spieler und der Zuschauer Segeldecken über das Theater zu spannen, fand ebenfalls jetzt Eingang in Rom (676 78). Wie derzeit in Griechenland nicht die mehr als blassen Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klassische Schauspiel, vor allem die Euripideische Tragödie in reichster Entfaltung szenischer Mittel die Bühne behauptete, so wurden auch in Rom zu Ciceros Zeit vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und Accius, die Lustspiele des Plautus gegeben. Wenn der letztere in der vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komischer Kraft freilich geringeren Terenz verdrängt worden war, so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heißt das Theater und die Philologie zusammen, um ihm eine ähnliche Wiederaufstehung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und Johnson widerfuhr; und auch Plautus hatte dabei von der gesunkenen Empfänglichkeit und der unruhigen Hast des durch die kurzen und lotterigen Possen verwöhnten Publikums zu leiden, so daß die Direktion die Länge der Plautinischen Komödien zu entschuldigen, ja vielleicht auch zu streichen und zu ändern sich genötigt sah. Je beschränkter das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die Tätigkeit des dirigierenden und exekutierenden Personals, als auch das Interesse des Publikums auf die szenische Darstellung der Stücke. Kaum gab es in Rom ein einträglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Tänzerin ersten Ranges. Das fürstliche Vermögen des tragischen Schauspielers Aesopus ward bereits erwähnt; sein noch höher gefeierter Zeitgenosse Roscius schlug seine Jahreseinnahme auf 600000 Sesterzen (46000 Taler) an ^7 und die Tänzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (15000 Taler). Daneben wandte man ungeheure Summen auf Dekorationen und Kostüme: gelegentlich schritten Züge von sechshundert aufgeschirrten Maultieren über die Bühne und das troische Theaterheer ward dazu benutzt, um dem Publikum eine Musterkarte der von Pompeius in Asien besiegten Nationen vorzuführen. Die den Vortrag der eingelegten Gesangstücke begleitende Musik erlangte gleichfalls größere und selbständigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Flötenspieler die Gemüter der Zuhörer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie gewöhnte sich, das Tempo rascher zu nehmen und nötigte dadurch den Schauspieler zu lebhafterer Aktion. Die musikalische und Bühnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitué erkannte jedes Tonstück an der ersten Note und wußte die Texte auswendig; jeder musikalische oder Rezitationsfehler ward streng von dem Publikum gerügt. Lebhaft erinnert das römische Bühnenwesen der ciceronischen Zeit an das heutige französische Theater. Wie den losen Tableaus der Tagesstücke der römische Mimus entspricht, für den wie für jene nichts zu gut und nichts zu schlecht war, so findet auch in beiden sich dasselbe traditionell klassische Trauerspiel und Lustspiel, die zu bewundern oder mindestens zu beklatschen der gebildete Mann von Rechts wegen verpflichtet ist. Der Menge wird Genüge getan, indem sie in der Posse sich selber wiederfindet, in dem Schauspiel den dekorativen Pomp anstaunt und den allgemeinen Eindruck einer idealen Welt empfängt; der höher Gebildete kümmert im Theater sich nicht um das Stück, sondern einzig um die künstlerische Darstellung. Endlich die römische Schauspielkunst selbst pendelte in ihren verschiedenen Sphären, ähnlich wie die französische, zwischen der Chaumière und dem Salon. Es war nichts Ungewöhnliches, daß die römischen Tänzerinnen bei dem Finale das Obergewand abwarfen und dem Publikum einen Tanz im Hemde zum besten gaben; andererseits aber galt auch dem römischen Talma als das höchste Gesetz seiner Kunst nicht die Naturwahrheit, sondern das Ebenmaß.

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^7 Vom Staat erhielt er für jeden Spieltag 1000 Denare (300 Taler) und außerdem die Besoldung für seine Truppe. In späteren Jahren wies er für sich das Honorar zurück.

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In der rezitativen Poesie scheint es an metrischen Chroniken nach dem Muster der Ennianischen nicht gefehlt zu haben; aber sie dürften ausreichend kritisiert sein durch jenes artige Mädchengelübde, von dem Catullus singt: der heiligen Venus, wenn sie den geliebten Mann von seiner bösen politischen Poesie ihr wieder zurück in die Arme führe, das schlechteste der schlechten Heldengedichte zum Brandopfer darzubringen. In der Tat ist auf dem ganzen Gebiet der rezitativen Dichtung in dieser Epoche die ältere nationalrömische Tendenz nur durch ein einziges namhaftes Werk vertreten, das aber auch zu den bedeutendsten dichterischen Erzeugnissen der römischen Literatur überhaupt gehört. Es ist das Lehrgedicht des Titus Lucretius Carus (655-699 99-55) ‘Vom Wesen der Dinge’, dessen Verfasser, den besten Kreisen der römischen Gesellschaft angehörig, vom öffentlichen Leben aber, sei es durch Kränklichkeit, sei es durch Abneigung ferngehalten, kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges im besten Mannesalter starb. Als Dichter knüpft er energisch an Ennius an und damit an die klassische griechische Literatur. Unwillig wendet er sich weg von dem “hohlen Hellenismus” seiner Zeit und bekennt sich mit ganzer Seele und vollem Herzen als den Schüler der “strengen Griechen”, wie denn selbst des Thukydides heiliger Ernst in einem der bekanntesten Abschnitte dieser römischen Dichtung keinen unwürdigen Widerhall gefunden hat. Wie Ennius bei Epicharmos und Euhemeros seine Weisheit schöpft, so entlehnt Lucretius die Form seiner Darstellung dem Empedokles, “dem herrlichsten Schatz des gabenreichen sizilischen Eilands”, und liest dem Stoffe nach “die goldenen Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros”, “welcher die anderen Weisen überstrahlt, wie die Sonne die Sterne verdunkelt”. Wie Ennius verschmäht auch Lucretius die der Poesie von dem Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und fordert nichts von seinem Leser als die Kenntnis der allgemein geläufigen Sagen ^8. Dem modernen Purismus zum Trotz, der die Fremdwörter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius, wie es Ennius getan, statt matten und undeutlichen Lateins lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altrömische Alliteration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzeinschnitte und überhaupt die ältere Rede- und Dichtweise begegnen noch häufig in Lucretius’ Rhythmen, und obwohl er den Vers melodischer behandelt als Ennius, so wälzen sich doch seine Hexameter nicht wie die der modernen Dichterschule zierlich hüpfend gleich dem rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich dem Strome flüssigen Goldes. Auch philosophisch und praktisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubensbekenntnis des Sängers von Rudiae:

Himmelsgötter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch,

Doch sie kümmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los

bezeichnet vollständig auch Lucretius’ religiösen Standpunkt und nicht mit Unrecht nennt er deshalb selbst sein Lied gleichsam die Fortsetzung dessen,

Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers

Kranz zuerst mitbracht’ aus des Helikon lieblichem Haine,

Daß Italiens Völkern er strahl’ in glänzender Glorie.

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^8 Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea, sind daraus zu erklären, daß dies aus dem Reiseroman des Euhemeros vielleicht schon in die Ennianische Poesie, auf jeden Fall in die Gedichte des Lucius Manlius (Plin. nat. 10, 2, 4) übergegangen und daher dem Publikum, für das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.

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Noch einmal, zum letztenmal noch erklingt in Lucretius’ Gedicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem furchtbaren Pöner und dem herrlichen Scipiaden, die Anschauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen gesunkenen Zeit ^9. Auch ihm klingt der eigene “aus dem reichen Gemüt anmutig quillende” Gesang den gemeinen Liedern gegenüber “wie gegen das Geschrei der Kraniche das kurze Lied des Schwanes”; auch ihm schwillt das Herz, den selbsterfundenen Melodien lauschend, von hoher Ehren Hoffnung - ebenwie Ennius den Menschen, denen er “das Feuerlied kredenzet aus der tiefen Brust”, verbietet, an seinem, des unsterblichen Sängers Grabe zu trauern.

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^9 Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die heerverderbenden Seestürme, die die eigenen Leute zertretenden Elefantenscharen, also Bilder aus den Punischen Kriegen, erscheinen, als gehörten sie der unmittelbaren Gegenwart an. Vgl. 2, 41; 5, 1226, 1303, 1339.

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Es ist ein seltsames Verhängnis, daß dieses ungemeine, an ursprünglicher poetischer Begabung den meisten, wo nicht allen seinen Vorgängern weit überlegene Talent in eine Zeit gefallen war, in der es selber sich fremd und verwaist fühlte und infolgedessen in der wunderlichsten Weise sich im Stoffe vergriffen hat. Epikuros’ System, welches das All in einen großen Atomenwirbel verwandelt und die Entstehung und das Ende der Welt sowie alle Probleme der Natur und des Lebens in rein mechanischer Weise abzuwickeln unternimmt, war wohl etwas weniger albern als die Mythenhistorisierung, wie Euhemeros und nach ihm Ennius sie versucht hatten; aber ein geistreiches und frisches System war es nicht, und die Aufgabe nun gar, diese mechanische Weltanschauung poetisch zu entwickeln, war von der Art, daß wohl nie ein Dichter an einen undankbareren Stoff Leben und Kunst verschwendet hat. Der philosophische Leser tadelt an dem Lucretischen Lehrgedicht die Weglassung der feineren Pointen des Systems, die Oberflächlichkeit namentlich in der Darstellung der Kontroversen, die mangelhafte Gliederung, die häufigen Wiederholungen mit ebensogutem Recht, wie der poetische an der rhythmisierten Mathematik sich ärgert, die einen großen Teil des Gedichtes geradezu unlesbar macht. Trotz dieser unglaublichen Mängel, denen jedes mittelmäßige Talent unvermeidlich hätte erliegen müssen, durfte dieser Dichter mit Recht sich rühmen, aus der poetischen Wildnis einen neuen Kranz davongetragen zu haben, wie die Musen noch keinen verliehen hatten; und es sind auch keineswegs bloß die gelegentlichen Gleichnisse und sonstigen eingelegten Schilderungen mächtiger Naturerscheinungen und mächtigerer Leidenschaften, die dem Dichter diesen Kranz erwarben. Die Genialität der Lebensanschauung wie der Poesie des Lucretius ruht auf seinem Unglauben, welcher mit der vollen Siegeskraft der Wahrheit und darum mit der vollen Lebendigkeit der Dichtung dem herrschenden Heuchel- oder Aberglauben gegenübertrat und treten durfte.

Als danieder er sah das Dasein liegen der Menschheit

Jammervoll auf der Erd’, erdrückt von der lastenden Gottfurcht,

Die vom Himmelsgewölb ihr Antlitz offenbarend,

Schauerlich anzusehen, hinab auf die Sterblichen drohte,

Wagt’ es ein griechischer Mann zuerst das sterbliche Auge

Ihr entgegenzuheben, zuerst ihr entgegenzutreten;

Und die mutige Macht des Gedankens siegte; gewaltig

Trat hinaus er über die flammenden Schranken des Weltalls

Und der verständige Geist durchschritt das unendliche Ganze.

Also eiferte der Dichter, die Götter zu stürzen, wie Brutus die Könige gestürzt, und “die Natur von ihren strengen Herren zu erlösen”. Aber nicht gegen Jovis altersschwachen Thron wurden diese Flammenworte geschleudert; ebenwie Ennius kämpft Lucretius praktisch vor allen Dingen gegen den wüsten Fremd- und Aberglauben der Menge, den Kult der Großen Mutter zum Beispiel und die kindische Blitzweisheit der Etrusker. Das Grauen und der Widerwille gegen die entsetzliche Welt überhaupt, in der und für die der Dichter schrieb, haben dies Gedicht eingegeben. Es wurde verfaßt in jener hoffnungslosen Zeit, wo das Regiment der Oligarchie gestürzt und das Caesars noch nicht aufgerichtet war, in den schwülen Jahren, während deren der Ausbruch des Bürgerkrieges in langer peinlicher Spannung erwartet ward. Wenn man dem ungleichartigen und unruhigen Vortrag es anzufühlen meint, daß der Dichter täglich erwartete, den wüsten Lärm der Revolution über sich und sein Werk hereinbrechen zu sehen, so wird man auch bei seiner Anschauung der Menschen und der Dinge nicht vergessen dürfen, unter welchen Menschen und in Aussicht auf welche Dinge sie ihm entstand. War es doch in Hellas in der Epoche vor Alexander ein gangbares und von allen Besten tief empfundenes Wort, daß nicht geboren zu sein das Beste von allem, das nächstdem Beste aber sei zu sterben. Unter allen in der verwandten caesarischen Zeit einem zarten und poetisch organisierten Gemüt möglichen Weltanschauungen war diese die edelste und die veredelndste, daß es eine Wohltat für den Menschen ist, erlöst zu werden von dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und damit von der bösen die Menschen, gleichwie die Kinder die Angst im dunkeln Gemach, tückisch beschleichenden Furcht vor dem Tode und vor den Göttern; daß, wie der Schlaf der Nacht erquicklicher ist als die Plage des Tages, so auch der Tod, das ewige Ausruhen von allem Hoffen und Fürchten, besser ist als das Leben, wie denn auch die Götter des Dichters selber nichts sind noch haben als die ewige selige Ruhe; daß die Höllenstrafen nicht nach dem Leben den Menschen peinigen, sondern während desselben in den wilden und rastlosen Leidenschaften des klopfenden Herzens; daß die Aufgabe des Menschen ist, seine Seele zum ruhigen Gleichmaß zu stimmen, den Purpur nicht höher zu schätzen als das warme Hauskleid, lieber unter den Gehorchenden zu verharren, als in das Getümmel der Bewerber um das Herrenamt sich zu drängen, lieber am Bach im Grase zu liegen, als unter dem goldenen Plafond des Reichen dessen zahllose Schüsseln leeren zu helfen. Diese philosophisch-praktische Tendenz ist der eigentliche ideelle Kern des Lucretischen Lehrgedichts und durch alle öde physikalischer Demonstrationen nur verschüttet, nicht erdrückt. Wesentlich auf ihr beruht dessen relative Weisheit und Wahrheit. Der Mann, der mit einer Ehrfurcht vor seinen großen Vorgängern, mit einem gewaltsamen Eifer, wie sie dies Jahrhundert sonst nicht kennt, solche Lehre gepredigt und sie mit musischem Zauber verklärt hat, darf zugleich ein guter Bürger und ein großer Dichter genannt werden. Das Lehrgedicht vom Wesen der Dinge, wie vieles auch daran den Tadel herausfordert, ist eines der glänzendsten Gestirne in den sternenarmen Räumen der römischen Literatur geblieben, und billig wählte der größte deutsche Sprachenmeister die Wiederlesbarmachung des Lucretischen Gedichts zu seiner letzten und meisterlichsten Arbeit.

Lucretius, obwohl seine poetische Kraft wie seine Kunst schon von den gebildeten Zeitgenossen bewundert ward, blieb doch, Spätling wie er war, ein Meister ohne Schüler. In der hellenischen Modedichtung dagegen fehlte es an Schülern wenigstens nicht, die den alexandrinischen Meistern nachzueifern sich mühten. Mit richtigem Takt hatten die begabteren unter den alexandrinischen Poeten die größeren Arbeiten und die reinen Dichtgattungen, das Drama, das Epos, die Lyrik, vermieden; ihre erfreulichsten Leistungen waren ihnen, ähnlich wie den neulateinischen Dichtern, in “kurzatmigen” Aufgaben gelungen und vorzugsweise in solchen, die auf den Grenzgebieten der Kunstgattungen, namentlich dem weiten, zwischen Erzählung und Lied in der Mitte liegenden sich bewegten. Lehrgedichte wurden vielfach geschrieben. Sehr beliebt waren ferner kleine heroisch-erotische Epen, vornehmlich aber eine diesem Altweibersommer der griechischen Poesie eigentümliche und für ihre philologische Hippokrene charakteristische, gelehrte Liebeselegie, wobei der Dichter die Schilderung der eigenen, vorwiegend sinnlichen Empfindungen mit epischen Fetzen aus dem griechischen Sagenkreis mehr oder minder willkürlich durchflocht. Festlieder wurden fleißig und künstlich gezimmert; überhaupt waltete bei dem Mangel an freiwilliger poetischer Erfindung das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worin die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Dürftigkeit der Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder nicht volkstümlichen Literatur unvermeidlich anhaftet, suchte man möglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, geschraubten Wendungen, seltenen Wörtern und künstlicher Versbehandlung, überhaupt dem ganzen Apparat philologisch-antiquarischer Gelehrsamkeit und technischer Gewandtheit.

Dies war das Evangelium, das den römischen Knaben dieser Zeit gepredigt ward, und sie kamen in hellen Haufen, um zu hören und auszuüben: schon um 700 (54) waren Euphorions Liebesgedichte und ähnliche alexandrinische Poesien die gewöhnliche Lektüre und die gewöhnlichen Deklamationsstücke der gebildeten Jugend ^10. Die literarische Revolution war da; aber sie lieferte zunächst mit seltenen Ausnahmen nur frühreife oder unreife Früchte. Die Zahl der “neumodischen Dichter” war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am Parnasse hergeht, genötigt, sehr kurzen Prozeß zu machen. Die langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch in diesem literarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage geworden; es begegnete wohl, daß einem der Freund zum Hohn als Festtagsgeschenk einen Stoß schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager ins Haus schickte, deren Wert der zierliche Einband und das glatte Papier schon auf drei Schritte verriet. Ein eigentliches Publikum, in dem Sinne wie die volkstümliche Literatur ein Publikum hat, fehlte den römischen Alexandrinern so gut wie den hellenischen: es ist durchaus die Poesie der Clique oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten, dem Eindringling übel mitspielen, unter sich die neuen Poesien vorlesen und kritisieren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise die gelungenen Produktionen wieder poetisch feiern und vielfach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm erschwindeln. Ein namhafter und selbst in dieser neuen Richtung poetisch tätiger Lehrer der lateinischen Literatur, Valerius Cato, scheint über den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schulpatronat ausgeübt und über den relativen Wert der Poesien in letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern gegenüber sind diese römischen Poeten durchgängig unfrei, zuweilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer Produkte werden nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im Lernen begriffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung. Indem man in der Sprache und im Maß weit enger, als je die volkstümliche lateinische Poesie es getan, an die griechischen Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine größere sprachliche und metrische Korrektheit und Konsequenz erreicht; aber es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluß teils der weichlichen Muster, teils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein auffallendes, der Poesie wenig zuträgliches Übergewicht; doch wurden auch die beliebten metrischen Kompendien der Griechen schon vielfach übersetzt, so das astronomische des Aratos von Cicero und entweder am Ende dieser oder wahrscheinlicher am Anfang der folgenden Periode das geographische Lehrbuch des Eratosthenes von Publius Varro von der Aude und die physikalisch-medizinischen des Nikandros von Aemilius Macer. Es ist weder zu verwundern noch zu bedauern, daß von dieser zahllosen Dichterschar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Kuriositäten oder als gewesene Größen: so der Redner Quintus Hortensius mit seinen “fünfhunderttausend Zeilen” langweiliger Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte Laevius, dessen ‘Liebesscherze’ nur durch ihre verwickelten Maße und manierierten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Nun gar das Kleinepos ‘Smyrna’ des Gaius Helvius Cinna († 710? 44), so sehr es von der Clique angepriesen ward, trägt sowohl in dem Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater, wie in der neunjährigen darauf verwandten Mühsal die schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden, mit der Sauberkeit und der Formgewandtheit derselben den in dem republikanischen und namentlich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volkstümlichen Gehalt zu verbinden. Es galt dies, um von Laberius und Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben erwähnten Poeten der republikanischen Opposition Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63), Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54).

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^10 “Freilich”, sagt Cicero (Tusc. 3, 19, 45) in Beziehung auf Ennius, “wird der herrliche Dichter von unseren Euphorionrezitierern verachtet.” “Ich bin glücklich angelangt”, schreibt derselbe an Atticus (7, 2 z. A.), “da uns von Epirus herüber der günstige Nordwind wehte. Diesen Spondaicus kannst du, wenn du Lust hast, einem von den Neumodischen als dein eigen verkaufen” (ita belle nobis flavit ab Epiro lenissumus Onchesmites. Hunc σποδειάζοντα si cui voles τών νεοτέρων pro tuo vendito).

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Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, können wir dies freilich nur mutmaßen; über die Gedichte des Catullus steht auch uns noch ein Urteil zu. Auch er hängt in Stoff und Form ab von den Alexandrinern. Wir finden in seiner Sammlung Übersetzungen von Stücken des Kallimachos und nicht gerade von den recht guten, sondern von den recht schwierigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte Modepoesien, wie die überkünstlichen Galliamben zum Lobe der Phrygischen Mutter; und selbst das sonst so schöne Gedicht von der Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschachtelung der Ariadneklage in das Hauptgedicht künstlerisch verdorben. Aber neben diesen Schulstücken steht die melodische Klage der echten Elegie, steht das Festgedicht im vollen Schmuck individueller und fast dramatischer Durchführung, steht vor allem die solideste Kleinmalerei gebildeter Geselligkeit, die anmutigen sehr ungenierten Mädchenabenteuer, davon das halbe Vergnügen im Ausschwatzen und Poetisieren der Liebesgeheimnisse besteht, das liebe Leben der Jugend bei vollen Bechern und leeren Beuteln, die Reise- und die Dichterlust; die römische und öfter noch die veronesische Stadtanekdote und der launige Scherz in dem vertrauten Zirkel der Freunde. Jedoch nicht bloß in die Saiten greift des Dichters Apoll, sondern er führt auch den Bogen: der geflügelte Pfeil des Spottes verschont weder den langweiligen Versemacher noch den sprachverderbenden Provinzialen, aber keinen trifft er öfter und schärfer als die Gewaltigen, von denen der Freiheit des Volkes Gefahr droht. Die kurzzeiligen und kurzweiligen, oft von anmutigen Refrains belebten Maße sind von vollendeter Kunst und doch ohne die widerwärtige Glätte der Fabrik. Umeinander führen diese Gedichte in das Nil- und in das Potal; aber in dem letzteren ist der Dichter unvergleichlich besser zu Hause. Seine Dichtungen ruhen wohl auf der alexandrinischen Kunst, aber doch auch auf dem bürgerlichen, ja dem landstädtischen Selbstgefühl, auf dem Gegensatz von Verona zu Rom, auf dem Gegensatz des schlichten Munizipalen gegen die hochgeborenen, ihren geringen Freunden gewöhnlich übel mitspielenden Herren vom Senat, wie er in Catulls Heimat, dem blühenden und verhältnismäßig frischen Cisalpinischen Gallien, lebendiger noch als irgendwo anders empfunden werden mochte. In die schönsten seiner Lieder spielen die süßen Bilder vom Gardasee hinein und schwerlich hätte in dieser Zeit ein Hauptstädter ein Gedicht zu schreiben vermocht wie das tief empfundene auf des Bruders Tod oder das brave, echt bürgerliche Festlied zu der Hochzeit des Manlius und der Arunculeia. Catullus, obwohl abhängig von den alexandrinischen Meistern und mitten in der Mode- und Cliquendichtung jener Zeit stehend, war doch nicht bloß ein guter Schüler unter vielen mäßigen und schlechten, sondern seinen Meistern selbst um so viel überlegen, als der Bürger einer freien italischen Gemeinde mehr war als der kosmopolitische hellenische Literat. Eminente schöpferische Kraft und hohe poetische Intentionen darf man freilich bei ihm nicht suchen; er ist ein reichbegabter und anmutiger, aber kein großer Poet, und seine Gedichte sind, wie er selbst sie nennt, nichts als “Scherze und Torheiten”. Aber wenn nicht bloß die Zeitgenossen von diesen flüchtigen Liedchen elektrisiert wurden, sondern auch die Kunstkritiker der augustischen Zeit ihn neben Lucretius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so hatten die Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen recht. Die lateinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht, in dem der künstlerische Gehalt und die künstlerische Form in so gleichmäßiger Vollendung wiedererscheinen wie bei Catullus; und in diesem Sinne ist Catullus’ Gedichtsammlung allerdings das Vollkommenste, was die lateinische Poesie überhaupt aufzuweisen vermag.

Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in prosaischer Form. Das bisher unwandelbar festgehaltene Gesetz der echten, naiven wie bewußten, Kunst, daß der poetische Stoff und die metrische Fassung sich einander bedingen, weicht der Vermischung und Trübung aller Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den bezeichnendsten Zügen dieser Zeit gehört. Zwar von Romanen ist noch weiter nichts anzuführen, als daß der berühmteste Geschichtschreiber dieser Epoche, Sisenna, sich nicht für zu gut hielt, die viel gelesenen Milesischen Erzählungen des Aristeides, schlüpfrige Modenovellen der plattesten Sorte, ins Lateinische zu übersetzen. Eine originellere und erfreulichere Erscheinung auf diesem zweifelhaften poetisch-prosaischen Grenzgebiet sind die ästhetischen Schriften Varros, der nicht bloß der bedeutendste Vertreter der lateinischen philologisch-historischen Forschung, sondern auch in der schönen Literatur einer der fruchtbarsten und interessantesten Schriftsteller ist. Einem in der sabinischen Landschaft heimischen, dem römischen Senat seit zweihundert Jahren angehörigen Plebejergeschlechte entsprossen, streng in altertümlicher Zucht und Ehrbarkeit erzogen ^11 und bereits am Anfang dieser Epoche ein reifer Mann, gehörte Marcus Terentius Varro von Reate (638-727 116-27) politisch, wie sich von selbst versteht, der Verfassungspartei an und beteiligte sich ehrlich und energisch an ihrem Tun und Leiden. Er tat dies teils literarisch, indem er zum Beispiel die erste Koalition, das “dreiköpfige Ungeheuer” in Flugschriften bekämpfte, teils im ernsteren Kriege, wo wir ihn im Heere des Pompeius als Kommandanten des Jenseitigen Spaniens fanden. Als die Sache der Republik verloren war, ward Varro von seinem Überwinder zum Bibliothekar der neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt bestimmt. Die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch einmal in ihren Strudel hinein, und erst siebzehn Jahre nach Caesars Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefüllten Lebens rief der Tod ihn ab. Die ästhetischen Schriften, die ihm einen Namen gemacht haben, waren kürzere Aufsätze, teils einfach prosaische ernsteren Inhalts, teils launige Schilderungen, deren prosaisches Grundwerk vielfach eingelegte Poesien durchwirken. Jenes sind die ‘Philosophisch-historischen Abhandlungen’ (logistorici), dies die Menippischen Satiren. Beide schließen nicht an lateinische Vorbilder sich an, namentlich die Varronische Satura keineswegs an die Lucilische; wie denn überhaupt die römische Satura nicht eigentlich eine feste Kunstgattung, sondern nur negativ das bezeichnet, daß “das mannigfaltige Gedicht” zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezählt sein will und darum denn auch die Saturapoesie bei jedem begabten Poeten wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt. Es war vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie, in der Varro die Muster für seine strengeren wie für seine leichteren ästhetischen Arbeiten fand: für die ernsteren Abhandlungen in den Dialogen des Herakleides von Herakleia am Schwarzen Meer († um 450 300), für die Satiren in den Schriften des Menippos von Gadara in Syrien (blüht um 475 280). Die Wahl war bezeichnend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch Platons philosophische Gespräche, hatte über deren glänzende Form den wissenschaftlichen Inhalt gänzlich aus den Augen verloren und die poetisch-fabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger als ein Philosoph. Menippos war es ebensowenig, sondern der echteste literarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren Weisheit darin besteht, die Philosophie zu leugnen und die Philosophen zu verhöhnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein lustiger Meister ernsthafter Weisheit, bewies er in Exempeln und Schnurren, daß außer dem rechtschaffenen Leben alles auf Erden und im Himmel eitel sei, nichts aber eitler als der Hader der sogenannten Weisen. Dies waren die rechten Muster für Varro, einen Mann voll altrömischen Unwillens über die erbärmliche Zeit und voll altrömischer Laune, dabei durchaus nicht ohne plastisches Talent, aber für alles, was nicht wie Bild und Tatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, vollständig vernagelt und vielleicht den unphilosophischsten unter den unphilosophischen Römern ^12. Allein Varro war kein unfreier Schüler. Die Anregung und im allgemeinen die Form entlehnte er von Herakleides und Mennippos; aber er war eine zu individuelle und zu entschieden römische Natur, um nicht seine Nachschöpfungen wesentlich selbständig und national zu halten. Für seine ernsten Abhandlungen, in denen ein moralischer Satz oder sonst ein Gegenstand von allgemeinem Interesse behandelt ward, verschmähte er in der Fabulierung an die Milesischen Märchen zu streifen, wie Herakleides es getan, und so gar kinderhafte Geschichten wie die vom Abaris und von dem nach siebentägigem Tode wieder zum Leben erwachenden Mädchen dem Leser aufzutischen. Nur selten entnahm er die Einkleidung den edleren Mythen der Griechen, wie in dem Aufsatz ‘Orestes oder vom Wahnsinn’; regelmäßig gab ihm einen würdigeren Rahmen für seine Stoffe die Geschichte, namentlich die gleichzeitige vaterländische, wodurch diese Aufsätze zugleich, wie sie auch heißen, ‘Lobschriften’ wurden auf geachtete Römer, vor allem auf die Koryphäen der Verfassungspartei. So war die Abhandlung ‘Vom Frieden’ zugleich eine Denkschrift auf Metellus Pius, den letzten in der glänzenden Reihe der glücklichen Feldherrn des Senats; die ‘Von der Götterverehrung’ zugleich bestimmt, das Andenken an den hochgeachteten Optimaten und Pontifex Gaius Curio zu bewahren; der Aufsatz ‘Über das Schicksal’ knüpfte an Marius an, der ‘Über die Geschichtschreibung’ an den ersten Historiker dieser Epoche, Sisenna, der ‘Über die Anfänge der römischen Schaubühne’ an den fürstlichen Spielgeber Scaurus, der ‘Über die Zahlen’ an den feingebildeten römischen Bankier Atticus. Die beiden philosophisch-historischen Aufsätze ‘Laelius oder von der Freundschaft, ‘Cato oder vom Alter’, welche Cicero, wahrscheinlich nach dem Muster der Varronischen, schrieb, mögen von Varros halb lehrhafter, halb erzählender Behandlung dieser Stoffe ungefähr eine Vorstellung geben.

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^11 “Mir als Knaben”, sagt er irgendwo, “genügte ein einziger Flausrock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Flußbad selten.” Wegen seiner persönlichen Tapferkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flottenabteilung führte, den Schiffskranz.

^12 Etwas Kindischeres gibt es kaum als Varros Schema der sämtlichen Philosophien, das erstlich alle nicht die Beglückung des Menschen als letztes Ziel aufstellenden Systeme kurzweg für nicht vorhanden erklärt und dann die Zahl der unter dieser Voraussetzung denkbaren Philosophien auf zweihundertachtundachtzig berechnet. Der tüchtige Mann war leider zu sehr Gelehrter um einzugestehen, daß er Philosoph weder sein könne noch sein möge, und hat deshalb als solcher zeit seines Lebens zwischen Stoa, Pythagoreismus und Diogenismus einen nicht schönen Eiertanz aufgeführt.

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Ebenso originell in Form und Inhalt ward von Varro die Menippische Satire behandelt; die dreiste Mischung von Prosa und Versen ist dem griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von römischer Eigentümlichkeit, man möchte sagen von sabinischem Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln, wie die philosophisch-historischen Aufsätze, irgendein moralisches oder sonst für das größere Publikum geeignetes Thema, wie dies schon einzelne Titel zeigen: ‘Hercules’ Säulen oder vom Ruhm’; ‘Der Topf findet den Deckel oder von den Pflichten des Ehemanns’; ‘Der Nachttopf hat sein Maß oder vom Zechen’; ‘Papperlapapp oder von der Lobrede’. Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen durfte, ist natürlich der vaterländischen Geschichte nur selten entlehnt, wie in der Satire ‘Serranus oder von den Wahlen’. Dagegen spielt die Diogenische Hundewelt wie billig eine große Rolle: es begegnen der Hund Gelehrter, der Hund Rhetor, der Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund, der Hundekatechismus und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu komischen Zwecken in Kontribution gesetzt: wir finden einen ‘Befreiten Prometheus’, einen ‘Strohernen Aias’, einen ‘Herkules Sokratiker’, einen ‘Anderthalb Odysseus’, der nicht bloß zehn, sondern fünfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen Stücken, zum Beispiel im ‘Befreiten Prometheus’, in dem ‘Mann von sechzig Jahren’, im ‘Frühauf’ noch aus den Trümmern hervor; es scheint, daß Varro die Fabel häufig, vielleicht regelmäßig als eigenes Erlebnis erzählte, wie zum Beispiel im ‘Frühauf’ die handelnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag halten, “da er als Büchermacher ihnen bekannt war”. Über den poetischen Wert dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urteil nicht mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unseren Trümmern allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit - so eröffnet im ‘Befreiten Prometheus’ der Heros nach Lösung seiner Fesseln eine Menschenfabrik, in welcher Goldschuh, der Reiche, sich ein Mädchen bestellt von Milch und feinstem Wachs, wie es die milesischen Bienen aus mannigfachen Blüten sammeln, ein Mädchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und Haar, rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensatem dieser Dichtung ist die Polemik - nicht so sehr die politische der Partei, wie Lucilius und Catullus sie übten, sondern die allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zügellose und verkehrte Jugend, des in seinen Klassikern lebenden Gelehrten gegen die lockere und schofle oder doch ihrer Tendenz nach verwerfliche moderne Poesie ^13, des guten Bürgers von altem Schlag gegen das neue Rom, in dem der Markt, mit Varro zu reden, ein Schweinestall ist und Numa, wenn er auf seine Stadt den Blick wendet, keine Spur seiner weisen Satzungen mehr gewahrt. Varro tat in dem Verfassungskampf, was ihm Bürgerpflicht schien; aber sein Herz war bei diesem Parteitreiben nicht - “warum”, klagt er einmal, “riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den Rathausschmutz?” Er gehörte der guten alten Zeit an, wo die Rede nach Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war. Nur eine einzelne Seite dieser altväterischen Opposition gegen den Geist der neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde des echten Römertums, die griechischen Weltweisen; aber es lag sowohl im Wesen der Hundephilosophie als in Varros Naturell, daß die menippische Geißel ganz besonders den Philosophen um die Ohren schwirrte und sie denn auch in angemessene Angst versetzte - nicht ohne Herzklopfen übersandten die philosophischen Skribenten der Zeit dem “scharfen Mann” ihre neu erschienenen Traktate. Das Philosophieren ist wahrlich keine Kunst. Mit dem zehnten Teil der Mühe, womit der Herr den Sklaven zum Kunstbäcker erzieht, bildet er selbst sich zum Philosophen; freilich, wenn dann der Bäcker und der Philosoph beide unter den Hammer kommen, geht der Kuchenkünstler hundertmal teurer weg als der Weltweise. Sonderbare Leute, diese Philosophen! Der eine befiehlt, die Leichen in Honig beizusetzen - ein Glück, daß man ihm nicht den Willen tut, wo bliebe sonst der Honigwein? Der andere meint, daß die Menschen wie die Kresse aus der Erde gewachsen sind. Der dritte hat einen Weltbohrer erfunden, durch den die Erde einst untergehen wird.

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^13 “Willst du etwa”, schreibt er einmal, “die Redefiguren und Verse des Quintussklaven Clodius abgurgeln und ausrufen: O Geschick! o Schicksalsgeschick!” Anderswo: “Da der Quintussklave Clodius eine solche Anzahl von Komödien ohne irgendeine Muse gemacht hat, sollte ich da nicht einmal ein einziges Büchlein mit Ennius zu reden ‘fabrizieren’ können?” Dieser sonst nicht bekannte Clodius muß wohl ein schlechter Nachahmer des Terenz gewesen sein, da zumal jene ihm spöttisch heimgegebenen Worte: “O Geschick! o Schicksalsgeschick!” in einem Terenzischen Lustspiel sich wiederfinden. Die folgende Selbstvorstellung eines Poeten in Varros ‘Esel beim Lautenspiel’:

Schüler mich heißt man Pacuvs; er dann war des Ennius Schüler,

Dieser der Musen; ich selbst nenne Pompilius mich

könnte füglich die Einleitung des Lucretius parodieren, dem Varro schon als abgesagter Feind des epikurischen Systems nicht geneigt gewesen sein kann und den er nie anführt.

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Gewiß, niemals hat ein Kranker etwas je geträumt

So toll, was nicht gelehrt schon hätte ein Philosoph.

Es ist spaßhaft anzusehen, wie so ein Langbart- der etymologisierende Stoiker ist gemeint - ein jedes Wort bedächtig auf der Goldwaage wägt; aber nichts geht doch über den echten Philosophenzank - ein stoischer Faustkampf übertrifft weit jede Athletenbalgerei. In der Satire ‘Die Marcusstadt oder vom Regimente’, wo Marcus sich ein Wolkenkuckucksheim nach seinem Herzen schuf, erging es, ebenwie in dem attischen, dem Bauern gut, dem Philosophen aber übel; der Schnell-durch-ein-Glied-Beweis (Celer-δι΄-ενός-λήμματος-λόγος), Antipatros, des Stoikers Sohn, schlägt darin seinem Gegner, offenbar dem philosophischen Zweiglied (Dilemma), mit der Feldhacke den Schädel ein. Mit dieser sittlich polemischen Tendenz und diesem Talent, einen kaustischen und pittoresken Ausdruck für sie zu finden, das, wie die dialogische Einkleidung der im achtzigsten Jahre geschriebenen Bücher vom Landbau beweist, bis in das höchste Alter ihn nicht verließ, vereinigte sich auf das glücklichste Varros unvergleichliche Kunde der nationalen Sitte und Sprache, die in den philologischen Schriften seines Greisenalters kollektaneenartig, hier aber in ihrer ganzen unmittelbaren Fülle und Frische sich entfaltet. Varro war im besten und vollsten Sinne des Wortes ein Lokalgelehrter, der seine Nation in ihrer ehemaligen Eigentümlichkeit und Abgeschlossenheit wie in ihrer modernen Verschliffenheit und Zerstreuung aus vieljähriger eigener Anschauung kannte und seine unmittelbare Kenntnis der Landessitte und Landessprache durch die umfassendste Durchforschung der geschichtlichen und literarischen Archive ergänzt und vertieft hatte. Was insofern an verstandesmäßiger Auffassung und Gelehrsamkeit in unserem Sinn ihm abging, das gewann die Anschauung und die in ihm lebendige Poesie. Er haschte weder nach antiquarischen Notizen noch nach seltenen veralteten oder poetischen Wörtern ^14; aber er selbst war ein alter und altfränkischer Mann und beinah ein Bauer, die Klassiker seiner Nation ihm liebe, langgewohnte Genossen; wie konnte es fehlen, daß von der Sitte der Väter, die er über alles liebte und vor allen kannte, gar vielerlei in seinen Schriften erzählt ward, und daß seine Rede überfloß von sprichwörtlichen griechischen und lateinischen Wendungen, von guten alten, in der sabinischen Umgangssprache bewahrten Wörtern, von Ennianischen, Lucilischen, vor allem Plautinischen Reminiszenzen? Den Prosastil dieser ästhetischen Schriften aus Varros früherer Zeit darf man sich nicht vorstellen nach dem seines im hohen Alter geschriebenen und wahrscheinlich im unfertigen Zustand veröffentlichten sprachwissenschaftlichen Werkes, wo allerdings die Satzglieder am Faden der Relative aufgereiht werden wie die Drosseln an der Schnur; daß aber Varro grundsätzlich die strenge Stilisierung und die attische Periodisierung verwarf, wurde früher schon bemerkt, und seine ästhetischen Aufsätze waren zwar ohne den gemeinen Schwulst und die falschen Flitter des Vulgarismus, aber in mehr lebendig gefügten als wohl gegliederten Sätzen unklassisch und selbst schluderig geschrieben. Die eingelegten Poesien dagegen bewiesen nicht bloß, daß ihr Urheber die mannigfaltigsten Maße meisterlich wie nur einer der Modepoeten zu bilden verstand, sondern auch, daß er ein Recht hatte, denen sich zuzuzählen, welchen ein Gott es vergönnt hat, “die Sorgen aus dem Herzen zu bannen durch das Lied und die heilige Dichtkunst” ^15. Schule machte die Varronische Skizze so wenig wie das Lucretische Lehrgedicht; zu den allgemeineren Ursachen kam hier noch hinzu das durchaus individuelle Gepräge derselben, welches unzertrennlich war von dem höheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigenartigen Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmut und Laune vor allem der menippischen Satiren, welche an Zahl wie an Bedeutung Varros ernsteren Arbeiten weit überlegen gewesen zu sein scheinen, fesselte die Zeitgenossen sowohl wie diejenigen Späteren, die für Originalität und Volkstümlichkeit Sinn hatten; und auch wir noch, denen es nicht mehr vergönnt ist, sie zu lesen, mögen aus den erhaltenen Bruchstücken einigermaßen es nachempfinden, daß der Schreiber “es verstand, zu lachen und mit Maß zu scherzen”. Und schon als der letzte Hauch des scheidenden guten Geistes der alten Bürgerzeit, als der jüngste grüne Sproß, den die volkstümliche lateinische Poesie getrieben hat, verdienten es Varros Satiren, daß der Dichter in seinem poetischen Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl,

Dem da Romas liegt und Latiums Blühen am Herzen,

und sie behaupten denn auch einen ehrenvollen Platz in der Literatur wie in der Geschichte des italischen Volkes ^16.

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^14 Er selbst sagt einmal treffend, daß er veraltete Wörter nicht besonders liebe, aber öfter brauche, poetische Wörter sehr liebe, aber nicht brauche.

^15 Die folgende Schilderung ist dem ‘Marcussklaven’ entnommen:

Auf einmal, um die Zeit der Mitternacht etwa,

Als uns mit Feuerflammen weit und breit gestickt

Der luftige Raum den Himmelssternenreigen wies,

Umschleierte des Himmels goldenes Gewölb

Mit kühlem Regenflor der raschen Wolken Zug,

Hinab das Wasser schüttend auf die Sterblichen,

Und schossen, los sich reißend von dem eisigen Pol,

Die Wind’, heran, des Großen Bären tolle Brut,

Fortführend mit sich Ziegel, Zweig’ und Wetterwust.

Doch wir, gestürzt, schiffbrüchig, gleich der Störche Schwarm,

Die an zweizackigen Blitzes Glut die Flügel sich

Versengt, wir fielen traurig jäh zur Erd’ hinab.

In der ‘Menschenstadt’ heißt es:

Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fülle der Schätze;

Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg

Sorg’ und Furcht, und auch der Saal nicht Crassus des Reichen.

Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ‘Der Topf hat sein Maß’ stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein:

Es bleibt der Wein für jedermann der beste Trank.

Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund;

Er ist der süße Keimeplatz der Fröhlichkeit,

Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhält.

Und in dem ‘Weltbohrer’ schließt der heimkehrende Wandersmann also seinen Zuruf an die Schiffer:

Laßt schießen die Zügel dem leisesten Hauch,

Bis daß uns des frischeren Windes Geleit

Rückführt in die liebliche Heimat!

^16 Die Skizzen Varros haben eine so ungemeine historische und selbst poetische Bedeutsamkeit und sind doch infolge der trümmerhaften Gestalt, in der uns die Kunde davon zugekommen ist, so wenigen bekannt und so verdrießlich kennenzulernen, daß es wohl erlaubt sein wird, einige derselben hier mit der wenigen zur Lesbarkeit unumgänglichen Restauration zu resümieren.

Die Satire ‘Frühauf’ schildert die ländliche Haushaltung. “Frühauf ruft mit der Sonne zum Aufstehen und führt selbst die Leute auf den Arbeitsplatz. Die Jungen machen selbst sich ihr Bett, das die Arbeit ihnen weich macht, und stellen sich selber Wasserkrug und Lampe dazu. Der Trank ist der klare frische Quell, die Kost Brot und als Zubrot Zwiebeln. In Haus und Feld gedeiht alles. Das Haus ist kein Kunstbau; aber der Architekt könnte Symmetrie daran lernen. Für den Acker wird gesorgt, daß er nicht unordentlich und wüst in Unsauberkeit und Vernachlässigung verkomme; dafür wehrt die dankbare Ceres den Schaden von der Frucht, daß die Schober hochgeschichtet das Herz des Landmannes erfreuen. Hier gilt noch das Gastrecht; willkommen ist, wer nur Muttermilch gesogen hat. Brotkammer und Weinfaß und der Wurstvorrat am Hausbalken, Schlüssel und Schloß sind dem Wandersmann dienstwillig, und hoch türmen vor ihm die Speisen sich auf; zufrieden sitzt der gesättigte Gast, nicht vor- noch rückwärts schauend, nickend am Herde in der Küche. Zum Lager wird der wärmste doppelwollige Schafpelz für ihn ausgebreitet. Hier gehorcht man noch als guter Bürger dem gerechten Gesetz, das weder aus Mißgunst Unschuldigen zu nahe tritt, noch aus Gunst Schuldigen verzeiht. Hier redet man nicht Böses wider den Nächsten. Hier rekelt man nicht mit den Füßen auf dem heiligen Herd, sondern ehrt die Götter mit Andacht und mit Opfern, wirft dem Hausgeist sein Stückchen Fleisch in das bestimmte Schüsselchen und geleitet, wenn der Hausherr stirbt, die Bahre mit demselben Gebet, mit welchem die des Vaters und des Großvaters hinweggetragen wurde.”

In einer anderen Satire tritt ein “Lehrer der Alten auf, dessen die gesunkene Zeit dringender zu bedürfen scheint als des Jugendlehrers, und setzt auseinander, “wie einst alles in Rom keusch und fromm war und jetzt alles so ganz anders ist”. “Trügt mich mein Auge oder sehe ich Sklaven in Waffen gegen ihre Herren? - Einst ward, wer zur Aushebung sich nicht stellte, von Staats wegen als Sklave in die Fremde verkauft; jetzt heißt [der Aristokratie, 2, 225; 3, 358; 4, 103 u. 330] der Zensor, der Feigheit und alles hingehen läßt, ein großer Bürger und erntet Lob, daß er nicht darauf aus ist, sich durch Kränkung der Mitbürger einen Namen zu machen. - Einst ließ der römische Bauer sich alle Woche einmal den Bart scheren; jetzt kann der Ackersklave es nicht fein genug haben. - Einst sah man auf den Gütern einen Kornspeicher, der zehn Ernten faßte, geräumige Keller für die Weinfässer und entsprechende Keltern; jetzt hält der Herr sich Pfauenherden und läßt seine Türen mit afrikanischem Zypressenholz einlegen. - Einst drehte die Hausfrau mit der Hand die Spindel und hielt dabei den Topf auf dem Herd im Auge, damit der Brei nicht verbrenne; jetzt” - heißt es in einer andern Satire -“bettelt die Tochter den Vater um ein Pfund Edelsteine, das Weib den Mann um einen Scheffel Perlen an. - Einst war der Mann in der Brautnacht stumm und blöde; jetzt gibt die Frau sich dem ersten besten Kutscher preis. - Einst war der Kindersegen der Stolz des Weibes, jetzt, wenn der Mann sich Kinder wünscht, antwortet sie: Weißt du nicht, was Ennius sagt?:

Lieber will ich ja das Leben dreimal wagen in der Schlacht,

Als ein einzig Mal gebären. -

Einst war die Frau vollkommen zufrieden, wenn der Mann ein- oder zweimal im Jahre sie in dem ungepolsterten Wagen über Land fuhr”; jetzt - konnte er hinzusetzen (vgl. Cic. Mil. 21, 55) - schmollt die Frau, wenn der Mann ohne sie auf sein Landgut geht, und folgt der reisenden Dame das elegante griechische Bedientengesindel und die Kapelle nach auf die Villa.”

In einer Schrift der ernsteren Gattung ‘Catus oder die Kinderzucht’ belehrt Varro den Freund, der ihn deswegen um Rat gefragt, nicht bloß über die Gottheiten, denen nach altem Brauch für der Kinder Wohl zu opfern war, sondern, hinweisend auf die verständigere Kindererziehung der Perser und auf seine eigene streng verlebte Jugend, warnt er vor überfüttern und überschlafen, vor süßem Brot und feiner Kost - die jungen Hunde, meint der Alte, werden jetzt verständiger genährt als die Kinder -, ebenso vor dem Besiebnen und Besegnen, das in Krankheitsfällen so oft die Stelle des ärztlichen Rates vertrat. Er rät, die Mädchen zum Sticken anzuhalten, damit sie später die Stickereien und Webereien richtig zu beurteilen verständen, und sie nicht zu früh das Kinderkleid ablegen zu lassen; er warnt davor, die Knaben in die Fechterspiele zu führen, in denen früh das Herz verhärtet und die Grausamkeit gelernt wird.

In dem ‘Mann von sechzig Jahren’ erscheint Varro als ein römischer Epimenides, der, als zehnjähriger Knabe eingeschlafen, nach einem halben Jahrhundert wiedererwacht. Er staunt darüber, statt seines glattgeschorenen Knabenkopfes ein altes Glatzhaupt wiederzufinden, mit häßlicher Schnauze und wüsten Borsten gleich dem Igel; mehr noch aber staunt er über das verwandelte Rom. Die lucrinischen Austern, sonst eine Hochzeitschüssel, sind jetzt ein Alltagsgericht; dafür rüstet denn auch der bankrotte Schlemmer im stillen die Brandfackel. Wenn sonst der Vater dem Knaben vergab, so ist jetzt das Vergeben an den Knaben gekommen; das heißt, er vergibt dem Vater mit Gift. Der Wahlplatz ist zur Börse geworden, der Kriminalprozeß zur Goldgrube für die Geschworenen. Keinem Gesetze wird noch gehorcht, außer dem einen, daß nichts für nichts gegeben wird. Alle Tugenden sind geschwunden; dafür begrüßen den Erwachten als neue Insassen die Gotteslästerung, die Wortlosigkeit, die Geilheit. “O wehe dir, Marcus, über solchen Schlaf und solches Erwachen!”

Die Skizze gleicht der catilinarischen Zeit, kurz nach welcher (um 697 57) sie der alte Mann geschrieben haben muß, und es lag eine Wahrheit in der bitteren Schlußwendung, wo der Marcus, gehörig ausgescholten wegen seiner unzeitgemäßen Anklagen und antiquarischen Reminiszenzen, mit parodischer Anwendung einer uralten römischen Sitte, als unnützer Greis auf die Brücke geschleppt und in den Tiber gestürzt wird. Es war allerdings für solche Männer in Rom kein Platz mehr.

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Zu einer kritischen Geschichtschreibung in der Art, wie die Nationalgeschichte von den Attikern in ihrer klassischen Zeit, wie die Weltgeschichte von Polybios geschrieben ward, ist man in Rom eigentlich niemals gelangt. Selbst auf dem dafür am meisten geeigneten Boden, in der Darstellung der gleichzeitigen und der jüngst vergangenen Ereignisse, blieb es im ganzen bei mehr oder minder unzulänglichen Versuchen; in der Epoche namentlich von Sulla bis auf Caesar wurden die nicht sehr bedeutenden Leistungen, welche die vorhergehende auf diesem Gebiet aufzuweisen hatte, die Arbeiten Antipaters und Asellios, kaum auch nur erreicht. Das einzige diesem Gebiete angehörende namhafte Werk, das in der gegenwärtigen Epoche entstand, ist des Lucius Cornelius Sisenna (Prätor 676 78) Geschichte des Bundesgenossen- und Bürgerkrieges. Von ihr bezeugen die, welche sie lasen, daß sie an Lebendigkeit und Lesbarkeit die alten trockenen Chroniken weit übertraf, dafür aber in einem durchaus unreinen und selbst in das Kindische verfallenden Stil geschrieben war; wie denn auch die wenigen übrigen Bruchstücke eine kleinliche Detailmalerei des Gräßlichen ^17 und eine Menge neugebildeter oder der Umgangssprache entnommener Wörter aufzeigen. Wenn noch hinzugefügt wird, daß das Muster des Verfassers und sozusagen der einzige ihm geläufige griechische Historiker Kleitarchos war, der Verfasser einer zwischen Geschichte und Fiktion schwankenden Biographie Alexanders des Großen in der Art des Halbromans, der den Namen des Curtius trägt, so wird man nicht anstehen, in Sisennas vielgerühmtem Geschichtswerk nicht ein Erzeugnis echter historischer Kritik und Kunst zu erkennen, sondern den ersten römischen Versuch in der bei den Griechen so beliebten Zwittergattung von Geschichte und Roman, welche das tatsächliche Grundwerk durch erfundene Ausführung lebendig und interessant machen möchte und es dadurch schal und unwahr macht; und es wird nicht ferner Verwunderung erregen demselben Sisenna auch als Übersetzer griechischer Moderomane zu begegnen.

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^17 “Die Unschuldigen”, hieß es in einer Rede, “zitternd an allen Gliedern, schleppst du heraus und am hohen Uferrande des Flusses beim Morgengrauen (lässest du sie schlachten).” Solche ohne Mühe einer Taschenbuchsnovelle einzufügende Phrasen begegnen mehrere.

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Daß es auf dem Gebiet der allgemeinen Stadt- und gar der Weltchronik noch weit erbärmlicher aussah, lag in der Natur der Sache. Die steigende Regsamkeit der antiquarischen Forschung ließ erwarten, daß aus Urkunden und sonstigen zuverlässigen Quellen die gangbare Erzählung rektifiziert werden würde; allein diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Je mehr und je tiefer man forschte, desto deutlicher trat es hervor, was es hieß, eine kritische Geschichte Roms schreiben. Schon die Schwierigkeiten, die der Forschung und Darstellung sich entgegenstellten, waren unermeßlich; aber die bedenklichsten Hindernisse waren nicht die literarischer Art. Die konventionelle Urgeschichte Roms, wie sie jetzt seit wenigstens zehn Menschenaltern erzählt und geglaubt ward, war mit dem bürgerlichen Leben der Nation aufs innigste zusammengewachsen; und doch mußte bei jeder eingehenden und ehrlichen Forschung nicht bloß einzelnes hie und da modifiziert, sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen werden wie die fränkische Urgeschichte vom König Pharamund und die britische vom König Arthur. Ein konservativ gesinnter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener Freigeist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimmsten aller Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, von allen guten Bürgern das “Kreuzige” erschollen sein. So führte die philologische und antiquarische Forschung von der Geschichtschreibung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren überhaupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; höchstens daß man, wie Titus Pomponius Atticus tat, die Beamten- und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit zusammenstellte - ein Werk übrigens, durch das die synchronistische griechisch-römische Jahrzählung in der Weise, wie sie den Späteren konventionell feststand, zum Abschluß geführt worden ist. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum ihre Tätigkeit natürlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der großen, von der Langenweile für die Langeweile geschriebenen Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie in Versen zu liefern, ohne daß die Buchmacher, zum Teil bereits Freigelassene, um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert hätten. Was uns von diesen Schriften genannt wird - erhalten ist keine derselben -, scheint nicht bloß durchaus untergeordneter Art, sondern großenteils sogar von unlauterer Fälschung durchdrungen gewesen zu sein. Zwar die Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676? 78) war in einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliß in der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze. Aber wenn Gaius Licinius Macer († als gewesener Prätor 688 66), des Dichters Calvus Vater und ein eifriger Demokrat, mehr als irgendein anderer Chronist auf Urkundenforschung und Kritik Anspruch machte, so sind seine “leinenen Bücher” und anderes ihm Eigentümliche im höchsten Grade verdächtig und wird wahrscheinlich eine sehr umfassende und zum Teil in die späteren Annalisten übergegangene Interpolation der gesamten Chronik zu demokratisch-tendenziösen Zwecken auf ihn zurückgehen. Valerius Antias endlich übertraf in der Weitläufigkeit wie in der kindischen Fabulierung alle seine Vorgänger. Die Zahlenlüge war hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab durchgeführt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten abermals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzählung, in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe Egeria die Götter Faunus und Picus mit Weine fing, und die schöne, von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene Unterhaltung allen Verehrern der sogenannten Sagengeschichte Roms nicht dringend genug empfohlen werden können, um womöglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellenschreiber dieser Zeit solche für sie wie gemachte Stoffe sich hätten entgehen lassen. In der Tat fehlte es auch nicht an griechischen Literaten, welche die römische Geschichte zu Romanen verarbeiteten: eine solche Schrift waren zum Beispiel des schon unter den in Rom lebenden griechischen Literaten erwähnten Polyhistors Alexandros fünf Bücher ‘Über Rom’, ein widerwärtiges Gemisch abgestandener historischer Überlieferung und trivialer, vorwiegend erotischer Erfindung. Er vermutlich hat den Anfang dazu gemacht, das halbe Jahrtausend, welches mangelte, um Troias Untergang und Roms Entstehung in den durch die beiderseitigen Fabeln geforderten chronologischen Zusammenhang zu bringen, auszufüllen mit einer jener tatenlosen Königslisten, wie sie den ägyptischen und griechischen Chronisten leider geläufig waren; denn allem Anschein nach ist er es, der die Könige Aventinus und Tiberinus und das albanische Silviergeschlecht in die Welt gesetzt hat, welche dann im einzelnen mit Namen, Regierungszeit und mehrerer Anschaulichkeit wegen auch einem Konterfei auszustatten die Folgezeit nicht versäumte.

So dringt von verschiedenen Seiten her der historische Roman der Griechen in die römische Historiographie ein; und es ist mehr als wahrscheinlich, daß von dem, was man heute Tradition der römischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der kleinste Teil aus Quellen herrührt von dem Schlage der ‘Amadis von Gallien’ und der Fouquéschen Ritterromane - eine erbauliche Betrachtung wenigstens für diejenigen, die Sinn haben für den Humor der Geschichte und die Komik der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für König Numa gehegten Pietät zu würdigen verstehen. Neu ein in die römische Literatur tritt in dieser Epoche neben der Landes- die Universal- oder, richtiger gesagt, die zusammengefaßte römisch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos aus Ticinum (ca. 650 - ca. 725 100-30) liefert zuerst eine allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700 54) und eine nach gewissen Kategorien geordnete allgemeine Biographiensammlung politisch oder literarisch ausgezeichneter römischer und griechischer oder doch in die römische oder griechische Geschichte eingreifender Männer. Diese Arbeiten schließen an die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen schon seit längerer Zeit schrieben; und ebendiese griechischen Weltchroniken begannen jetzt auch, wie zum Beispiel die im Jahre 698 (56) abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galatischen Königs Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlässigte römische Geschichte in ihren Kreis zu ziehen. Diese Arbeiten haben allerdings, ebenwie Polybios, versucht, an die Stelle der lokalen die Geschichte der Mittelmeerwelt zu setzen; aber was bei Polybios aus großartig klarer Auffassung und tiefem geschichtlichen Sinn hervorging, ist in diesen Chroniken vielmehr das Produkt des praktischen Bedürfnisses für den Schul- und den Selbstunterricht. Der künstlerischen Geschichtschreibung können diese Weltchroniken, Lehrbücher für den Schulunterricht oder Handbücher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusammenhängende, auch in lateinischer Sprache späterhin sehr weitschichtig gewordene Literatur kaum zugezählt werden; und namentlich Nepos selbst war ein reiner, weder durch Geist noch auch nur durch Planmäßigkeit ausgezeichneter Kompilator.

Merkwürdig und in hohem Grade charakteristisch ist die Historiographie dieser Zeit allerdings, aber freilich so unerfreulich wie die Zeit selbst. Das Ineinandergreifen der griechischen und der lateinischen Literatur tritt auf keinem Gebiet so deutlich hervor wie auf dem der Geschichte; hier setzen die beiderseitigen Literaturen in Stoff und Form am frühesten sich ins gleiche und die einheitliche Auffassung der hellenisch-italischen Geschichte, mit der Polybios seiner Zeit vorangeeilt war, lernte jetzt bereits der griechische wie der römische Knabe in der Schule. Allein wenn der Mittelmeerstaat einen Geschichtschreiber gefunden hatte, ehe er seiner selbst sich bewußt worden war, so stand jetzt, wo dies Bewußtsein sich eingestellt hatte, weder bei den Griechen noch bei den Römern ein Mann auf, der ihm den rechten Ausdruck zu leihen vermochte. Eine römische Geschichtschreibung, sagt Cicero, gibt es nicht; und soweit wir urteilen können, ist dies nicht mehr als die einfache Wahrheit. Die Forschung wendet von der Geschichtschreibung sich ab, die Geschichtschreibung von der Forschung; die historische Literatur schwankt zwischen dem Schulbuch und dem Roman. Alle reinen Kunstgattungen, Epos, Drama, Lyrik, Historie, sind nichtig in dieser nichtigen Welt; aber in keiner Gattung spiegelt doch der geistige Verfall der ciceronischen Zeit in so grauenvoller Klarheit sich wieder wie in ihrer Historiographie.

Die kleine historische Literatur dieser Zeit weist dagegen unter vielen geringfügigen und verschollenen Produktionen eine Schrift ersten Ranges auf: die Memoiren Caesars oder vielmehr der militärische Rapport des demokratischen Generals an das Volk, von dem er seinen Auftrag erhalten hatte. Der vollendete und allein von dem Verfasser selbst veröffentlichte Abschnitt, der die keltischen Feldzüge bis zum Jahre 702 (52) schildert, hat offenbar den Zweck, das formell verfassungswidrige Beginnen Caesars, ohne Auftrag der kompetenten Behörde ein großes Land zu erobern und zu diesem Ende sein Heer beständig zu vermehren, so gut wie möglich vor dem Publikum zu rechtfertigen; es ward geschrieben und bekannt gemacht im Jahre 703 (51), als in Rom der Sturm gegen Caesar losbrach und er aufgefordert ward, sein Heer zu entlassen und sich zur Verantwortung zu stellen ^18. Der Verfasser dieser Rechtfertigungsschrift schreibt, wie er auch selber sagt, durchaus als Offizier und vermeidet es sorgfältig, die militärische Berichterstattung auf die bedenklichen Gebiete der politischen Organisation und Administration zu erstrecken. Seine in der Form eines Militärberichts entworfene Gelegenheits- und Parteischrift ist selber ein Stück Geschichte wie die Bulletins Napoleons, aber ein Geschichtswerk im rechten Sinne des Wortes ist sie nicht und soll sie nicht sein; die Objektivität der Darstellung ist nicht die historische, sondern die des Beamten. Allein in dieser bescheidenen Gattung ist die Arbeit meisterlich und vollendet wie keine andere in der gesamten römischen Literatur. Die Darstellung ist immer knapp und nie karg, immer schlicht und nie nachlässig, immer von durchsichtiger Lebendigkeit und nie gespannt oder manieriert. Die Sprache ist vollkommen rein von Archaismen wie von Vulgarismen, der Typus der modernen Urbanität. Den Büchern vom Bürgerkrieg meint man es anzufühlen, daß der Verfasser den Krieg hatte vermeiden wollen und nicht vermeiden können, vielleicht auch, daß in Caesars Seele wie in jeder anderen die Zeit der Hoffnung eine reinere und frischere war als die der Erfüllung; aber über die Schrift vom Gallischen Krieg ist eine helle Heiterkeit, eine einfache Anmut ausgegossen, welche nicht minder einzig in der Literatur dastehen wie Caesar in der Geschichte.

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^18 Daß die Schrift über den Gallischen Krieg auf einmal publiziert worden ist, hat man längst vermutet; den bestimmten Beweis dafür liefert die Erwähnung der Gleichstellung der Boier und der Häduer schon im ersten Buch (c. 28), während doch die Boier noch im siebenten (c. 10) als zinspflichtige Untertanen der Häduer vorkommen und offenbar erst wegen ihres Verhaltens und desjenigen der Häduer in dem Kriege gegen Vercingetorix gleiches Recht mit ihren bisherigen Herren erhielten. Andererseits wird, wer die Geschichte der Zeit aufmerksam verfolgt, in der Äußerung über die Milonische Krise (7, 6) den Beweis finden, daß die Schrift vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges publiziert ward; nicht weil Pompeius hier gelobt wird, sondern weil Caesar daselbst die Ausnahmegesetze vom Jahr 702 (52) billigt. Dies konnte und mußte er tun, solange er ein friedliches Abkommen mit Pompeius herbeizuführen suchte, nicht aber nach dem Bruch, wo er die aufgrund jener für ihn verletzenden Gesetze erfolgten Verurteilungen umstieß. Darum ist die Veröffentlichung dieser Schrift mit vollem Recht in das Jahr 703 (51) gesetzt worden.

Die Tendenz der Schrift erkennt man am deutlichsten in der beständigen, oft, am entschiedensten wohl bei der aquitanischen Expedition, nicht glücklichen Motivierung jedes einzelnen Kriegsakts als einer nach Lage der Dinge unvermeidlichen Defensivmaßregel. Daß die Gegner Caesars Angriffe auf die Kelten und Deutschen vor allem als unprovoziert tadelten, ist bekannt (Suet. Caes. 24).

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Verwandter Art sind die Briefwechsel von Staatsmännern und Literaten dieser Zeit, die in der folgenden Epoche mit Sorgfalt gesammelt und veröffentlicht wurden: so die Korrespondenz von Caesar selbst, von Cicero, Calvus und andern. Den eigentlich literarischen Leistungen können sie noch weniger beigezählt werden; aber für die geschichtliche wie für jede andere Forschung war diese Korrespondenzliteratur ein reiches Archiv und das treueste Spiegelbild einer Epoche, in der so viel würdiger Gehalt vergangener Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen Treiben sich verflüchtigte und verzettelte.

Eine Journalistik in dem heutigen Sinn hat bei den Römern niemals sich gebildet; die literarische Polemik blieb angewiesen auf die Broschürenliteratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit allgemein verbreitete Sitte die für das Publikum bestimmten Notizen an öffentlichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben. Dagegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt, für die abwesenden Vornehmen die Tagesvorfälle und Stadtneuigkeiten aufzuzeichnen; auch für die sofortige Veröffentlichung eines Auszugs aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem ersten Konsulat geeignete Maßregeln. Aus den Privatjournalen jener römischen Penny-a-liners und diesen offiziellen laufenden Berichten entstand eine Art von hauptstädtischem Intelligenzblatt (acta diurna), in dem das Resümee der vor dem Volke und im Senat verhandelten Geschäfte, ferner Geburten, Todesfälle und dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht unwichtige geschichtliche Quelle, blieb aber ohne eigentliche politische wie ohne literarische Bedeutung.

Zu der historischen Nebenliteratur gehört von Rechts wegen auch die Redeschriftstellerei. Die Rede, aufgezeichnet oder nicht, ist ihrer Natur nach ephemer und gehört der Literatur nicht an; indes kann sie, wie der Bericht und der Brief, und sie noch leichter als diese, durch die Prägnanz des Moments und die Macht des Geistes, denen sie entspringt, eintreten unter die bleibenden Schätze der nationalen Literatur. So spielten denn auch in Rom die Aufzeichnungen der vor der Bürgerschaft oder den Geschworenen gehaltenen Reden politischen Inhalts nicht bloß seit langem eine große Rolle in dem öffentlichen Leben, sondern es wurden auch die Reden namentlich des Gaius Gracchus mit Recht gezählt zu den klassischen römischen Schriften. In dieser Epoche aber tritt hier nach allen Seiten hin eine seltsame Verwandlung ein. Die politische Redeschriftstellerei ist im Sinken wie die Staatsrede selbst. Die politische Rede fand, in Rom wie überhaupt in den alten Politien, ihren Höhepunkt in den Verhandlungen vor der Bürgerschaft: hier fesselten den Redner nicht, wie im Senat, kollegialische Rücksichten und lästige Formen, nicht, wie in den Gerichtsreden, die der Politik an sich fremden Interessen der Anklage und Verteidigung; hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der ganzen, an seinen Lippen hangenden großen und mächtigen römischen Volksgemeinde. Allein damit war es nun vorbei. Nicht als hätte es an Rednern gemangelt oder an der Veröffentlichung der vor der Bürgerschaft gehaltenen Reden; vielmehr ward die politische Schriftstellerei jetzt erst recht weitläufig und es fing an, zu den stehenden Tafelbeschwerden zu gehören, daß der Wirt die Gäste durch Vorlesung seiner neuesten Reden inkommodierte. Auch Publius Clodius ließ seine Volksreden als Broschüren ausgehen, ebenwie Gaius Gracchus; aber es ist nicht dasselbe, wenn zwei Männer dasselbe tun. Die bedeutenderen Führer selbst der Opposition, vor allem Caesar selbst, sprachen zu der Bürgerschaft nicht oft und veröffentlichten nicht mehr die vor ihr gehaltenen Reden; ja sie suchten zum Teil für ihre politischen Flugschriften sich eine andere Form als die hergebrachte der Contionen, in welcher Hinsicht namentlich die Lob- und Tadelschriften auf Cato bemerkenswert sind. Es ist das wohl erklärlich. Gaius Gracchus hatte zur Bürgerschaft gesprochen; jetzt sprach man zu dem Pöbel; und wie das Publikum, so die Rede. Kein Wunder, wenn der reputierliche politische Schriftsteller auch die Einkleidung vermied, als habe er seine Worte an die auf dem Markte der Hauptstadt versammelten Haufen gerichtet. Wenn also die Redeschriftstellerei in ihrer bisherigen literarischen und politischen Geltung in derselben Weise verfällt, wie alle naturgemäß aus dem nationalen Leben entwickelten Zweige der Literatur, so beginnt zugleich eine seltsame nichtpolitische Plädoyerliteratur. Bisher hatte man nichts davon gewußt, daß der Advokatenvortrag als solcher, außer für die Richter und die Parteien, auch noch für Mit- und Nachwelt zur literarischen Erbauung bestimmt sei; kein Sachwalter hatte seine Plädoyers aufgezeichnet und veröffentlicht, wofern dieselben nicht etwa zugleich politische Reden waren und insofern sich dazu eigneten, als Parteischriften verbreitet zu werden, und auch dies war nicht gerade häufig geschehen. Noch Quintus Hortensius (640-704 114-50), in den ersten Jahren dieser Periode der gefeiertste römische Advokat, veröffentlichte nur wenige und wie es scheint nur die ganz oder halb politischen Reden. Erst sein Nachfolger in dem Prinzipat der römischen Sachwalter, Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), war von Haus aus ebensosehr Schriftsteller wie Gerichtsredner; er publizierte seine Plädoyers regelmäßig und auch dann, wenn sie nicht oder nur entfernt mit der Politik zusammenhingen. Dies ist nicht Fortschritt, sondern Unnatur und Verfall. Auch in Athen ist das Auftreten der nichtpolitischen Advokatenreden unter den Gattungen der Literatur ein Zeichen der Krankheit; und zwiefach ist es dies in Rom, das diese Mißbildung nicht wie Athen aus dem überspannten rhetorischen Treiben mit einer gewissen Notwendigkeit erzeugt, sondern willkürlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen der Nation dem Ausland abgeborgt hat. Dennoch kam diese neue Gattung rasch in Aufnahme, teils weil sie mit der älteren politischen Redeschriftstellerei vielfach sich berührte und zusammenfloß, teils weil das unpoetische, rechthaberische, rhetorisierende Naturell der Römer für den neuen Samen einen günstigen Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advokatenrede und selbst eine Art von Prozeßliteratur in Italien etwas bedeutet. Also erwarb die von der Politik emanzipierte Redeschriftstellerei das Bürgerrecht in der römischen Literatenwelt durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehrfach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäßig eben abgetan: so trat er im Prozeß des Verres gegen die Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Verhandlung über das Gabinische und verfocht das Manilische Gesetz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand, und so weiter. Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im guten noch im bösen, durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber bewirkt. In literarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben worden, daß er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa war; auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung, und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich versucht, in unendlichen Hexametern Marius’ Groß- und seine eigenen Kleintaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit seinen philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt, um auch den Thukydides zu überwinden. Er war in der Tat so durchaus Pfuscher, daß es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzend oder kompilierend hergestellt hätte. Am treuesten gibt seine Korrespondenz sein Bild wieder. Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen: sie ist es auch, solange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vornehmen Welt widerspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der Pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Daß ein solcher Staatsmann und ein solcher Literat auch als Mensch nicht anders sein konnte als von schwach überfirnißter Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nötig zu sagen. Sollen wir den Redner noch schildern? Der große Schriftsteller ist doch auch ein großer Mensch; und vor allem dem großen Redner strömt die Überzeugung und die Leidenschaft klarer und brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen vielen, die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Überzeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advokat und kein guter Advokat. Er verstand es, seine Sacherzählung anekdotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl, doch die Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder Witzeleien meist persönlicher Art das trockene Geschäft der Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenngleich auch sie die freie Anmut und den sicheren Treff der vorzüglichsten Kompositionen dieser Art, zum Beispiel der Memoiren von Beaumarchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und angenehme Lektüre. Werden aber schon die eben bezeichneten Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften Wertes erscheinen, so muß der absolute Mangel politischen Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduktion in den Gerichtsreden, der pflichtvergessene, die Sache stets über dem Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die gräßliche Gedankenöde jeden Leser der Ciceronischen Reden von Herz und Verstand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahrlich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fanden. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im reinen sein; der Ciceronianismus ist ein Problem, das in der Tat nicht eigentlich aufgelöst, sondern nur aufgehoben werden kann in dem größeren Geheimnis der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung der Sprache auf das Gemüt. Indem die edle lateinische Sprache, eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaßt und in seinen weitläufigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdige Gefäß etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und von der Pietät, die sie erweckt. Man besaß einen großen lateinischen Prosaiker; denn Caesar war, wie Napoleon, nur beiläufig Schriftsteller. War es zu verwundern, daß man in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem großen Stilisten? und daß, wie Cicero selbst, so auch Ciceros Leser sich gewöhnten zu fragen, nicht was, sondern wie er geschrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was die Macht der Sprache begonnen hatte. Ciceros Zeitgenossen übrigens waren begreiflicherweise in dieser seltsamen Abgötterei weit weniger befangen als viele der Späteren. Die Ciceronische Manier beherrschte wohl ein Menschenalter hindurch die römische Advokatenwelt, so gut wie die noch weit schlechtere des Hortensius es getan; allein die bedeutendsten Männer, zum Beispiel Caesar, hielten doch stets derselben sich fern, und unter der jüngeren Generation regte bei allen frischen und lebendigen Talenten sich die entschiedenste Opposition gegen jene zwitterhafte und schwächliche Redekunst. Man vermißte in Ciceros Sprache Knappheit und Strenge, in den Späßen das Leben, in der Anordnung Klarheit und Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen Beredsamkeit das Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen Eklektiker fing man an, auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias und Demosthenes zurückzugehen und suchte eine kräftigere und männlichere Beredsamkeit in Rom einzubürgern. Dieser Richtung gehörten an der feierliche, aber steife Marcus Iunius Brutus (669-712 85-42), die beiden politischen Parteigänger Marcus Caelius Rufus (672-706 82-48) und Gaius Scribonius Curio († 705 49), beide als Redner voll Geist und Leben, der auch als Dichter bekannte Calvus (672-706 82-48), die literarische Koryphäe dieses jüngeren Rednerkreises, und der ernste und gewissenhafte Gaius Asinius Pollio (678-757 76-4 n. Chr.). Unleugbar war in dieser jüngeren Redeliteratur mehr Geschmack und mehr Geist als in der Hortensischen und Ciceronischen zusammengenommen; indes vermögen wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stürmen der Revolution, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Entwicklung gelangten. Die Zeit war ihnen allzu kurz gemessen. Die neue Monarchie begann damit, der Redefreiheit den Krieg zu machen und unterdrückte die politische Rede bald ganz. Seitdem ward wohl noch die untergeordnete Gattung des reinen Advokatenplädoyers in der Literatur festgehalten; aber die höhere Redekunst und Redeliteratur, die durchaus ruht auf dem politischen Treiben, ging mit diesem selbst notwendig und für immer zu Grabe.

Endlich entwickelt sich in der ästhetischen Literatur dieser Zeit die künstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe in der Form des stilisierten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr verbreitet und vereinzelt auch bereits früher bei den Römern vorgekommen war. Namentlich Cicero versuchte sich vielfach in der Darstellung rhetorischer und philosophischer Stoffe in dieser Form und in der Verschmelzung des Lehrbuchs mit dem Lesebuche. Seine Hauptschriften sind die ‘Vom Redner’ (geschrieben 699 55), wozu die Geschichte der römischen Beredsamkeit (der Dialog ‘Brutus’, geschrieben 708 46) und andere kleinere rhetorische Aufsätze ergänzend hinzutreten, und die Schrift ‘Vom Staat’ (geschrieben 700 54), womit die Schrift ‘Von den Gesetzen’ (geschrieben 702? 52) nach Platonischem Muster in Verbindung gesetzt ist. Es sind keine große Kunstwerke, aber unzweifelhaft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers am meisten und seine Mängel am wenigsten hervortreten. Die rhetorischen Schriften erreichen bei weitem nicht die lehrhafte Strenge und begriffliche Schärfe der dem Herennius gewidmeten Rhetorik, aber enthalten dafür einen Schatz von praktischer Sachwaltererfahrung und Sachwalteranekdoten aller Art in leichter und geschmackvoller Darstellung und lösen in der Tat das Problem einer amüsanten Lehrschrift. Die Schrift vom Staat führt in einem wunderlichen, geschichtlich-philosophischen Zwittergebilde den Grundgedanken durch, daß die bestehende Verfassung Roms wesentlich die von den Philosophen gesuchte ideale Staatsordnung sei; eine freilich eben so unphilosophische wie unhistorische, übrigens auch nicht einmal dem Verfasser eigentümliche Idee, die aber begreiflicherweise populär ward und blieb. Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und politischen Schriften Ciceros gehört natürlich durchaus den Griechen und auch vieles einzelne, zum Beispiel der große Schlußeffekt in der Schrift vom Staate, der Traum des Scipio, ist geradezu ihnen abgeborgt; doch kommt denselben insofern eine relative Originalität zu, als die Bearbeitung durchaus römische Lokalfarbe zeigt und das staatliche Selbstgefühl, zu dem der Römer den Griechen gegenüber allerdings berechtigt war, den Verfasser sogar mit einer gewissen Selbständigkeit seinen griechischen Lehrmeistern entgegentreten ließ. Auch die Gesprächsform Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der besten griechischen Kunstdialoge noch der echte Konversationston Diderots oder Lessings; aber die großen Gruppen der um Crassus und Antonius sich versammelnden Advokaten und der älteren und jüngeren Staatsmänner des Scipionischen Zirkels geben doch einen lebendigen und bedeutenden Rahmen, passende Anknüpfungen für geschichtliche Beziehungen und Anekdoten und geschickte Ruhepunkte für die wissenschaftliche Erörterung. Der Stil ist ebenso durchgearbeitet und gefeilt wie in den bestgeschriebenen Reden und insofern erfreulicher als diese, als der Verfasser hier nicht oft einen vergeblichen Anlauf zum Pathos nimmt. Wenn diese philosophisch gefärbten rhetorischen und politischen Schriften Ciceros nicht ohne Verdienst sind, so fiel dagegen der Kompilator vollständig durch, als er in der unfreiwilligen Muße seiner letzten Lebensjahre (709, 710 45, 44) sich an die eigentliche Philosophie machte und mit ebenso großer Verdrießlichkeit wie Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek zusammenschrieb. Das Rezept war sehr einfach. In roher Nachahmung der populären aristotelischen Schriften, in welchen die dialogische Form hauptsächlich zur Entwicklung und Kritisierung der verschiedenen älteren Systeme benutzt war, nähte Cicero die das gleiche Problem behandelnden epikureischen, stoischen und synkretistischen Schriften, wie sie ihm in die Hand kamen oder gegeben wurden, zu einem sogenannten Dialog aneinander, ohne von sich mehr dazu zu tun als teils irgendeine, aus der reichen Sammlung von Vorreden für künftige Werke, die er liegen hatte, dem neuen Buche vorgeschobene Einleitung, teils eine gewisse Popularisierung, indem er römische Beispiele und Beziehungen einflocht, auch wohl auf ungehörige, aber dem Schreiber wie dem Leser geläufigere Gegenstände, in der Ethik zum Beispiel auf den rednerischen Anstand, abschweifte, teils diejenige Verhunzung, ohne welche ein weder zum philosophischen Denken noch auch nur zum philosophischen Wissen gelangter, schnell und dreist arbeitender Literat dialektische Gedankenreihen nicht reproduziert. Auf diesem Wege konnten denn freilich sehr schnell eine Menge dicker Bücher entstehen - “es sind Abschriften”, schrieb der Verfasser selbst einem über seine Fruchtbarkeit verwunderten Freunde; “sie machen mir wenig Mühe, denn ich gebe nur die Worte dazu und die habe ich in Überfluß”. Dagegen war denn weiter nichts zu sagen; wer aber in solchen Schreibereien klassische Produktionen sucht, dem kann man nur raten sich in literarischen Dingen eines schönen Stillschweigens zu befleißigen.

Unter den Wissenschaften herrschte reges Leben nur in einer einzigen: es war dies die lateinische Philologie. Das von Stilo angelegte Gebäude sprachlicher und sachlicher Forschung innerhalb des latinischen Volksbereichs wurde vor allem von seinem Schüler Varro in der großartigsten Weise ausgebaut. Es erschienen umfassende Durcharbeitungen des gesamten Sprachschatzes, namentlich Figulus’ weitschichtige grammatische Kommentarien und Varros großes Werk ‘Von der lateinischen Sprache’; grammatische und sprachgeschichtliche Monographien, wie Varros Schriften vom lateinischen Sprachgebrauch, über die Synonymen, über das Alter der Buchstaben, über die Entstehung der lateinischen Sprache; Scholien zu der älteren Literatur, besonders zum Plautus; literargeschichtliche Arbeiten, Dichterbiographien, Untersuchungen über die ältere Schaubühne, über die szenische Teilung der Plautinischen Komödien und über die Echtheit derselben. Die lateinische Realphilologie, welche die gesamte ältere Geschichte und das aus der praktischen Jurisprudenz ausfallende Sakralrecht in ihren Kreis zog, wurde zusammengefaßt in Varros fundamentalen und für alle Zeiten fundamental gebliebenen ‘Altertümern der menschlichen und der göttlichen Dinge’ (bekanntgemacht zwischen 687 und 709 67 und 45). Die erste Hälfte ‘Von den menschlichen Dingen’ schilderte die Urzeit Roms, die Stadt- und Landeinteilung, die Wissenschaft von den Jahren, Monaten und Tagen, endlich die öffentlichen Handlungen daheim und im Kriege; in der zweiten Hälfte ‘Von den göttlichen Dingen’ wurde die Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung der Sachverständigenkollegien, der heiligen Stätten, der religiösen Feste, der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Götter selbst übersichtlich entwickelt. Dazu kam außer einer Anzahl von Monographien - zum Beispiel über die Herkunft des römischen Volkes, über die aus Troia stammenden römischen Geschlechter, über die Distrikte - als ein größerer und selbständigerer Nachtrag die Schrift ‘Vom Leben des römischen Volkes’; ein merkwürdiger Versuch einer römischen Sittengeschichte, die ein Bild des häuslichen finanziellen und Kulturzustandes in der Königs-, der ersten republikanischen, der hannibalischen und der jüngsten Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseitigen und in ihrer Art so großartigen empirischen Kenntnis der römischen Welt und ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie weder vor- noch nachher ein anderer Römer besessen hat und zu der die lebendige Anschauung der Dinge und das Studium der Literatur gleichmäßig beigetragen haben; das Lob der Zeitgenossen war wohlverdient, daß Varro seine in ihrer eigenen Welt fremden Landsleute in der Heimat orientiert und die Römer kennen gelehrt habe, wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man vergebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trüben Quellen geflossen und es finden sich Spuren, daß auch in der römischen der Schreiber von dem Einfluß des historischen Romans seiner Zeit nicht frei war. Der Stoff ist wohl in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk eingereiht, aber methodisch weder gegliedert noch behandelt und bei allem Bestreben, Überlieferung und eigene Beobachtung harmonisch zu verarbeiten, sind doch Varros wissenschaftliche Arbeiten weder von einem gewissen Köhlerglauben gegenüber der Tradition noch von unpraktischer Scholastik freizusprechen ^19. Die Anlehnung an die griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Mängel als der Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymologisieren auf bloßen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine Scharade und oft geradezu ins Alberne verläuft ^20. In ihrer empirischen Sicherheit und Fülle wie auch in ihrer empirischen Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die Varronische lebhaft an die englische Nationalphilologie und findet auch ebenwie diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne. Daß die monarchische Literatur im Gegensatz gegen diese sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits bemerkt. Es ist in hohem Grade bedeutsam, daß an der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die Analogie (bekanntgemacht zwischen 696 und 704 68 und 50) es zuerst unternahm die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen.

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^19 Ein merkwürdiges Exempel ist in der Schrift von der Landwirtschaft die allgemeine Auseinandersetzung über das Vieh (2, 1), mit den neunmal neun Unterabteilungen der Viehzuchtlehre, mit der “unglaublichen” aber “wahren” Tatsache, daß die Stuten bei Olisipo (Lissabon) vom Winde befruchtet werden, überhaupt mit ihrem sonderbaren Gemenge philosophischer, historischer und landwirtschaftlicher Notizen.

^20 So leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der Sache ein Ansehn gibt, volpes, den Fuchs, nach Stilo von volare pedibus als den Fliegefuß; Gaius Trebatius, ein philosophischer Jurist dieser Zeit, sacellum von sacra cella; Figulus frater von fere alter und so weiter. Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der philologischen Literatur dieser Zeit erscheint hat die größte Ähnlichkeit mit der Weise, wie man bis vor kurzem Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in den Sprachenorganismus hier den Empirikern das Handwerk legte.

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Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philologie fällt die geringe Tätigkeit in den übrigen Wissenschaften auf. Was von Belang in der Philosophie erschien, wie Lucretius’ Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinderkleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schriften Ciceros, tat seine Wirkung und fand sein Publikum nicht durch, sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch die ästhetische Form; die zahlreichen Übersetzungen epikureischer Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros großes Werk über die Elemente der Zahlen und das noch ausführlichere des Figulus von den Göttern, hatten ohne Zweifel weder wissenschaftlichen noch formellen Wert.

Auch in den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch geschriebene Bücher vom Landbau sind freilich methodischer als die seiner Vorgänger Cato und Saserna, auf die denn auch mancher tadelnde Seitenblick fällt, dafür aber im ganzen mehr aus der Schreibstube hervorgegangen als, wie jene älteren Werke, aus der lebendigen Erfahrung. Von desselben sowie des Servius Sulpicius Rufus (Konsul 703 51) juristischen Arbeiten ist kaum etwas weiter zu sagen, als daß sie zu dem dialektischen und philologischen Aufputz der römischen Jurisprudenz beigetragen haben. Weiter aber ist hier nichts zu nennen als etwa noch des Gaius Matius drei Bücher über Kochen, Einsalzen und Einmachen, unseres Wissens das älteste römische Kochbuch und als das Werk eines vornehmen Mannes allerdings eine bemerkenswerte Erscheinung. Daß Mathematik und Physik durch die gesteigerten hellenistischen und utilitarischen Tendenzen der Monarchie gefördert wurden, zeigt sich wohl in der steigenden Bedeutung derselben im Jugendunterricht und in einzelnen praktischen Anwendungen, wohin, außer der Reform des Kalenders, etwa noch gezählt werden können das Aufkommen der Wandkarten in dieser Zeit; die verbesserte Technik des Schiffsbaus und der musikalischen Instrumente; Anlagen und Bauten wie das von Varro angegebene Vogelhaus, die von Caesars Ingenieuren ausgeführte Pfahlbrücke über den Rhein, sogar zwei halbkreisförmige, zum Zusammenschieben eingerichtete, zuerst gesondert als zwei Theater, dann zusammen als Amphitheater benutzte Brettergerüste. Ausländische Naturmerkwürdigkeiten bei den Volksfesten öffentlich zur Schau zu stellen war nicht ungewöhnlich; und die Schilderungen merkwürdiger Tiere, die Caesar in seine Feldzugsberichte eingelegt hat, beweisen, daß ein Aristoteles, wenn er aufgetreten wäre, seinen Fürsten wiederum gefunden haben würde. Was aber von literarischen Leistungen auf diesem Gebiet erwähnt wird, hängt wesentlich an den Neupythagoreismus sich an; so des Figulus Zusammenstellung griechischer und barbarischer, d. h. ägyptischer Himmelsbeobachtungen und desselben Schriften von den Tieren, den Winden, den Geschlechtsteilen. Nachdem überhaupt die griechische Naturforschung von dem Aristotelischen Streben, im einzelnen das Gesetz zu finden, mehr und mehr zu der empirischen und meistens unkritischen Beobachtung des Äußerlichen und Auffallenden in der Natur abgeirrt war, konnte die Naturwissenschaft, indem sie als mystische Naturphilosophie auftrat, statt aufzuklären und anzuregen, nur noch mehr verdummen und lähmen; und solchem Treiben gegenüber ließ man es besser noch bei der Plattheit bewenden, welche Cicero als sokratische Weisheit vorträgt, daß die Naturforschung entweder nach Dingen sucht, die niemand wissen könne, oder nach solchen, die niemand zu wissen brauche.

Werfen wir schließlich noch einen Blick auf die Kunst, so zeigen auch hier sich dieselben unerfreulichen Erscheinungen, die das ganze geistige Leben dieser Periode erfüllen. Das Staatsbauwesen stockte in der Geldklemme der letzten Zeit der Republik so gut wie ganz. Von dem Bauluxus der Vornehmen Roms war bereits die Rede; die Architekten lernten infolgedessen den Marmor verschwenden - die farbigen Sorten wie der gelbe numidische (Giallo antico) und andere kamen in dieser Zeit in Aufnahme und auch die lunensischen (carrarischen) Marmorbrüche wurden jetzt zuerst benutzt - und fingen an, die Fußböden der Zimmer mit Mosaik auszulegen, die Wände mit Marmorplatten zu täfeln oder auch den Stuck marmorartig zu bemalen - die ersten Anfänge der späteren Zimmerwandmalerei. Die Kunst aber gewann nicht bei dieser verschwenderischen Pracht.

In den bildenden Künsten waren Kennerschaft und Sammelei in weiterem Zunehmen. Es war eine bloße Affektation catonischer Simplizität, wenn ein Advokat vor den Geschworenen von den Kunstwerken “eines gewissen Praxiteles” sprach; alles reiste und schaute und das Handwerk der Kunstciceronen oder, wie sie damals hießen, der Exegeten, war keines von den schlechtesten. Auf alte Kunstwerke wurde förmlich Jagd gemacht - weniger freilich noch auf Statuen und Gemälde, als nach der rohen Art römischer Prachtwirtschaft auf kunstvolles Gerät und Zimmer- und Tafeldekoration aller Art. Schon zu jener Zeit wühlte man die alten griechischen Gräber von Capua und Korinth um wegen der Erz- und Tongefäße, die den Toten waren mit ins Grab gegeben worden. Für eine kleine Nippfigur von Bronze wurden 40000 (3000 Taler), für ein paar kostbare Teppiche 200000 Sesterzen (15000 Taler) bezahlt; eine gutgearbeitete kupferne Kochmaschine kam höher zu stehen als ein Landgut. Wie billig ward bei dieser barbarischen Kunstjagd der reiche Liebhaber von seinen Zuträgern häufig geprellt: aber der ökonomische Ruin namentlich des an Kunstwerken überreichen Kleinasiens brachte auch manches wirklich alte und seltene Prachtstück und Kunststück auf den Markt und von Athen, Syrakus, Kyzikos, Pergamon, Chios, Samos und wie die alten Kunststätten weiter hießen, wanderte alles, was feil war und gar manches, was es nicht war, in die Paläste und Villen der römischen Großen. Welche Kunstschätze zum Beispiel das Haus des Lucullus barg, der freilich wohl nicht mit Unrecht beschuldigt wurde, sein artistisches Interesse auf Kosten seiner Feldherrnpflichten befriedigt zu haben, ward bereits erwähnt. Die Kunstliebhaber drängten sich daselbst wie heutzutage in Villa Borghese und beklagten auch damals schon sich über die Verbannung der Kunstschätze auf die Paläste und Landhäuser der vornehmen Herren, wo sie schwierig und nur nach besonders von dem Besitzer eingeholter Erlaubnis gesehen werden konnten. Die öffentlichen Gebäude dagegen füllten sich keineswegs im Verhältnis mit berühmten Werken griechischer Meister, und vielfach standen noch in den Tempeln der Hauptstadt nichts als die alten holzgeschnitzten Götterbilder. Von Ausübung der Kunst ist so gut wie gar nichts zu berichten; kaum wird aus dieser Zeit ein anderer römischer Bildhauer oder Maler mit Namen genannt als ein gewisser Arellius, dessen Bilder reißend abgingen, nicht ihres künstlerischen Wertes wegen, sondern weil der arge Roué in den Bildern der Göttinnen getreue Konterfeie seiner jedesmaligen Mätressen lieferte.

Die Bedeutung von Musik und Tanz stieg im öffentlichen wie im häuslichen Leben. Wie die Theatermusik und das Tanzstück in der Bühnenentwicklung dieser Zeit zu selbständigerer Geltung gelangte, wurde bereits dargestellt; es kann noch hinzugefügt werden, daß jetzt in Rom selbst auf der öffentlichen Bühne schon sehr häufig von griechischen Musikern, Tänzern und Deklamatoren Vorstellungen gegeben wurden, wie sie in Kleinasien und überhaupt in der ganzen hellenischen und hellenisierenden Welt üblich waren ^21. Dazu kamen denn die Musikanten und Tänzerinnen, die bei Tafel und sonst auf Bestellung ihre Künste produzierten, und die in vornehmen Häusern nicht mehr seltenen eigenen Kapellen von Saiten- und Blasinstrumenten und Sängern. Daß aber auch die vornehme Welt selbst fleißig spielte und sang, beweist schon die Aufnahme der Musik in den Kreis der allgemein anerkannten Unterrichtsgegenstände; und was das Tanzen anlangt, so wurde, um von den Frauen zu schweigen, selbst Konsularen es vorgehalten, daß sie im kleinen Zirkel sich mit Tanzvorstellungen produzierten.

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^21 Dergleichen “griechische Spiele” waren nicht bloß in den griechischen Städten Italiens, namentlich in Neapel (Cic. Arch. 5, 10; Plut. Brut. 21), sondern jetzt schon auch in Rom sehr häufig (Cic. ad. fam. 7, 1, 3; Att. 16, 5, 1; Suet. Caes. 39; Plut. Brut. 21). Wenn die bekannte Grabschrift der vierzehnjährigen Licinia Eucharis, die wahrscheinlich dem Ende dieser Epoche angehört, dieses “wohlunterrichtete und in allen Künsten von den Musen selbst unterwiesene Mädchen”, in den Privatvorstellungen der vornehmen Häuser als Tänzerin glänzen und öffentlich zuerst auf der griechischen Schaubühne auftreten läßt (modo nobilium ludos decoravi choro, Et Graeca in scaena prima populo apparui), so kann dies wohl nur heißen, daß sie das erste Mädchen war, das auf der öffentlichen griechischen Schaubühne in Rom erschien, wie denn überhaupt erst in dieser Epoche die Frauenzimmer in Rom anfingen, öffentlich aufzutreten.

Diese “griechischen Spielen in Rom scheinen nicht eigentlich szenische gewesen zu sein, sondern vielmehr zu der Gattung der zusammengesetzten, zunächst musikalisch-deklamatorischen Aufführungen gehört zu haben, wie sie auch in Griechenland in späterer Zeit nicht selten vorkamen (F. G. Welcker, Die griechischen Tragödien. Bonn 1839-41, S. 1277). Dahin führt das Hervortreten des Flötenspiels bei Polybios (30, 13) des Tanzes in dem Berichte Suetons über die bei Caesars Spielen aufgeführten kleinasiatischen Waffentänze und in der Grabschrift der Eucharis; auch die Beschreibung des Kitharöden Her. Rhet. 4, 47, 60 (vgl. Vitr. 5, 7) wird solchen “griechischen Spielen” entnommen sein. Bezeichnend ist noch die Verbindung dieser Vorstellungen in Rom mit griechischen Athletenkämpfen (Polyb. a. a. O.; Liv. 39, 22). Dramatische Rezitationen waren von diesen Mischspielen keineswegs ausgeschlossen, wie denn unter den Spielern, die Lucius Anicius 587 (167) in Rom auftreten ließ, ausdrücklich Tragödien miterwähnt werden; aber es wurden doch dabei nicht eigentlich Schauspiele aufgeführt, sondern vielmehr von einzelnen Künstlern entweder ganze Dramen oder wohl noch häufiger Stücke daraus deklamierend oder singend zur Flöte vorgetragen. Das wird denn auch in Rom vorgekommen sein; aber allem Anschein nach war für das römische Publikum die Hauptsache bei diesen griechischen Spielen Musik und Tanz, und die Texte mögen für sie wenig mehr bedeutet haben als heutzutage die der italienischen Oper für die Londoner und Pariser. Jene zusammengesetzten Spiele mit ihrem wüsten Potpourri eigneten sich auch weit besser für das römische Publikum und namentlich für die Aufführungen in Privathäusern als eigentlich szenische Aufführungen in griechischer Sprache; daß auch die letzteren in Rom vorgekommen sind, läßt sich nicht widerlegen, aber auch nicht beweisen.

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Indes gegen das Ende dieser Periode zeigen mit der beginnenden Monarchie sich auch in der Kunst die Anfänge einer besseren Zeit. Welchen gewaltigen Aufschwung das hauptstädtische Bauwesen durch Caesar nahm und das Reichsbauwesen nehmen sollte, ist früher erzählt worden. Sogar im Stempelschnitt der Münzen erscheint um das Jahr 700 (54) eine bemerkenswerte Änderung: das bis dahin größtenteils rohe und nachlässige Gepräge wird seitdem feiner und sorgsamer behandelt.

Wir stehen am Ende der römischen Republik. Wir sahen sie ein halbes Jahrtausend in Italien und in den Landschaften am Mittelmeer schalten; wir sahen sie nicht durch äußere Gewalt, sondern durch inneren Verfall politisch und sittlich, religiös und literarisch zugrunde gehen und der neuen Monarchie Caesars Platz machen. Es war in der Welt, wie Caesar sie vorfand, viel edle Erbschaft vergangener Jahrhunderte und eine unendliche Fülle von Pracht und Herrlichkeit, aber wenig Geist, noch weniger Geschmack und am wenigsten Freude im und am Leben. Wohl war es eine alte Welt; und auch Caesars genialer Patriotismus vermochte nicht, sie wieder jung zu machen. Die Morgenröte kehrt nicht wieder, bevor die Nacht völlig hereingebrochen ist. Aber doch kam mit ihm den vielgeplagten Völkern am Mittelmeer nach schwülem Mittag ein leidlicher Abend; und als sodann nach langer geschichtlicher Nacht der neue Völkertag abermals anbrach und frische Nationen in freier Selbstbewegung nach neuen und höheren Zielen den Lauf begannen, da fanden sich manche darunter, in denen der von Caesar ausgestreute Same aufgegangen war und die ihm ihre nationale Individualität verdankten und verdanken.






End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 5 by Theodor Mommsen

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***

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