The Project Gutenberg eBook, Aus dem Durchschnitt, by Gustav Falke This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Aus dem Durchschnitt Author: Gustav Falke Release Date: February 16, 2004 [eBook #11108] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS DEM DURCHSCHNITT*** E-text prepared by Project Gutenberg Distributed Proofreaders Aus dem Durchschnitt Roman von Gustav Falke Hamburg 1900 Meinem Bruder Albert gewidmet. I. Dem undurchdringlichen Nebel des Maerzabends war eine Frostnacht gefolgt. An der Ecke der Gaertnerstrasse und des Durchschnitts, in einem oestlichen Vororte Hamburgs, hatte am Morgen darauf die Glaette des uebereisten, abgenutzten Strassendammes ein Opfer gefordert. Ein Droschkenpferd war so ungluecklich gestuerzt, dass an eine Rettung des gutgepflegten, wertvollen Tieres nicht zu denken war. Beide Vorderbeine waren dem Dunkelbraunen gebrochen. Schweissbedeckt, mit heftig arbeitenden Lungen, lag er in dem Kreis der schnell zusammengelaufenen Gaffer. Der Kutscher, ein aelterer Mann, stand in dumpfer Resignation dabei. "Dat verdammte Jis, dat verdammte Jis", wiederholte er nur immer. Ein Schlachter draengte sich durch die Menge: "Na, Beuthien, is he henn?" "To'n Duebel is he", brach der verhaltene Grimm des Angeredeten los. Er warf die Peitsche mit einem Fluch auf die Erde und machte sich daran, den keuchenden Gaul von allem Geschirr zu befreien. Der Frager und ein junger kraeftiger Mann, dessen frisches, wettergebraeuntes Gesicht unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Kutscher aufwies, waren dem hart Betroffenen behilflich. "Harst doch man Liesch nohmen, Vadder", meinte der junge Mann. "Schnack morgen klok", war die verbissene Antwort. In dem Knaul der sich noch immer vermehrenden Zuschauer hielten sich Mitleid, Neugier und Lust am Unglueck die Wage. Auch fehlte es nicht an schlechten Witzen. Vergeblich bemuehte sich ein Schutzmann, die Menge zu zerstreuen. Er liess seinen Aerger dafuer an den Kindern aus, aber die auf der einen Seite mit barschem Wort verjagten, schlossen sich auf der anderen beharrlich wieder an. Hatte das Publikum nur spoettische Mienen, halblaute Scherze fuer die heilige Hermandad, so war die Besitzerin des Eckladens, eines Geschaeftskellers, in dem sich eine Weiss- und hollaendische Warenhandlung befand, um so energischer bemueht, den Mann der Ordnung wenigstens durch ihren Beifall aufzumuntern. Sie war um ihre Spiegelscheiben besorgt. Die kleine, rundliche Frau war in bestaendiger Bewegung. Unter Mittelmass, kostete es ihr verzweifelte Anstrengungen, dann und wann einen Blick auf den Gegenstand der allgemeinen Neugier zu ermoeglichen. Einmal versuchte sie sogar, sich von ihrem niedrigen Standpunkt aus dennoch einen Anteil an der Aktion zu sichern. "Na, Herr Beuthien, is er tot?" fragte sie mit heller, durchdringender Stimme in das Gewuehl hinein. "Ne, man so'n bischen", rief ein vorlauter Junge zurueck, unter dem Gelaechter der Umstehenden. Ein Dienstmaedchen suchte, mit unwilligem Ellbogenstoss die Zaertlichkeit eines Gesellen abwehrend, die Naehe der Geaergerten zu gewinnen. "Morgen, Frau Wittfoth! ich wollt' nur fuer'n Groschen Haarnadeln haben, von die langen, wissen Sie woll. Ich komm gleich retour, will man bloss mal eben Kartoffel holen." "Recht, Fraeulein, holen Sie man bloss mal eben Kartoffel", lachte die Wittfoth. Gewandt schluepfte das Maedchen durch das Gedraenge. Allmaehlich verlor sich die Menge. Das gestuerzte Tier ward bis zur Ankunft des Frohnes durch uebergeworfene Decken dem Anblick der Voruebergehenden entzogen. Vereinzelt sich anfindende Neugierige wies der Schutzmann sogleich weiter. Eine halbe Stunde spaeter zeugte nichts mehr von dem Vorfall. Frau Caroline Wittfoth war noch beim Sortieren der Haarnadelpaeckchen beschaeftigt, ihr nervoeser Ordnungssinn hatte immer irgend etwas zu richten, zu veraendern und zu verbessern, als auch schon jenes Dienstmaedchen, mit der gefuellten Kartoffelkiepe am Arm, laut und fahrig in den Laden trat. "Nu?" fragte sie mit strahlendem Lachen. "Haben Sie mich die Nadeln rausgesucht?" "Sie feiern wohl Geburtstag heute?" meinte die Wittfoth, die verlangten Haarnadeln einwickelnd. "Ich? Ne, wie meinem Sie das?" "Na, ich meine man, weil Sie so vergnuegt sind." "Das sagen Sie man. Mal will unsereins auch lachen. Aergern thut man sich so schon genug." "Haben Sie wieder was mit ihr gehabt?" "Mit ihr nich. Mit ihr werd ich schon fertig. Aber die andere, die meint wunder, was sie ist, und muss sich doch auch man selbst kratzen, wenn ihr was beisst." "Nu aber raus", rief Frau Caroline lachend, beleidigtes Feingefuehl erheuchelnd. Die andere liess sich jedoch gemuetlich auf dem einzigen Rohrstuhl an der Tonbank nieder. "Die? das glauben Sie gar nich", fuhr sie fort auszukramen. "Naechstens isst sie auch nicht mehr vor Faulheit. Meinen Sie, sie stippt einen Finger in Wasser? I bewahre, koennt ja nass sein". "Wie man nur so sein mag", ging Frau Caroline auf die Unterhaltung ein. "Wenn ich die Mutter waere". "Die? die stellt nichts nich mit ihr auf". "Der Herr sollte sie man mal ordentlich vornehmen". Die Wittfoth machte eine bezeichnende Handbewegung. "Dreimal auf'n Tag und duechtig", eiferte das Maedchen. "Aber Herrjeses! ich vergess mir ja ganz. Na, das wird'n schoenen Segen geben. Sie hat so keinen Guten heute". Sie riss ihre Kartoffelkiepe an sich und stuerzte mit einem vertraulichen "Schueuess Frau Wittfoth" fort, mit klirrendem Schlag die Thuer hinter sich schliessend. "Deernsvolk!" schalt die zusammenschreckende Frau hinterher. II. Frau Caroline Wittfoth war die Witwe eines kleinen Hafenbeamten, der ihr ausser einer geringfuegigen Pension soviel hinterlassen hatte, dass sie die Weiss- und hollaendische Warenhandlung von der erkrankten Besitzerin kaufen konnte. Vier Jahre hatte sie seitdem das gut eingefuehrte Geschaeft mit Glueck fortgesetzt und erweitert. Klug und unternehmend, hatte sie sich bald in die neuen Verhaeltnisse hineingearbeitet. Sie wusste, was sie wollte. Die Geschaeftsreisenden merkten, dass sie der kleinen hellaeugigen Frau nichts aufschwaetzen konnten und respektierten ihre Geschaeftstuechtigkeit. Mehr Muehe und Verdriesslichkeiten hatten ihr im Anfang die jungen Maedchen gemacht, deren sie zwei benoetigte, eine Verkaeuferin und eine Schneiderin fuer die Anfertigung der Dienstmaedchenkostueme. Sie hatte viel wechseln muessen. Die meistens ungebildeten, anspruchsvollen Maedchen suchten der kleinen, in manchen Dingen selbst noch unerfahrenen Frau durch freches Wesen zu imponieren. Aber Frau Caroline Wittfoth liess sich nicht in ihrem eigenen Hause "kujonieren". Sie hatte immer kurzen Prozess gemacht und, wenn noetig, alle acht Tage gewechselt, bis sie schliesslich die brauchbaren Persoenlichkeiten gefunden und sich in diesem taeglichen Kampfe gegen Widersetzlichkeit, Unordnung und Traegheit soweit geschult und gestaehlt hatte, dass sie sich fortan in Respekt zu setzen wusste. Seit einem halben Jahr hatte sie ihre Nichte Therese Sass, die Tochter einer verarmt verstorbenen Schwester, zu sich genommen, ein zweiundzwanzigjaehriges, schwaechliches, etwas verwachsenes Maedchen, das erkenntlichen Charakters die Fuersorge der Tante durch hingebende Pflichttreue vergalt. Therese war sehr geschickt im Schneidern und erlebte die Genugthuung, dass neuerdings auch einzelne Damen der Nachbarschaft ihre einfachere Garderobe, Haus- und Morgenroecke, von ihr anfertigen liessen. Die Wittfoth selbst verstand nichts von diesem Zweig ihres Geschaeftes, und besorgte lediglich den Laden und die Wirtschaft, wobei sie von einem zweiten jungen Maedchen unterstuetzt wurde. Die achtzehnjaehrige bluehende Blondine mit den grossen grauen, blitzenden Augen wusste ihre Prinzipalin gut zu nehmen. Anstellig und gewandt, war sie mit Erfolg bestrebt, sich der Wittfoth unentbehrlich zu machen und sie durch kluges, einschmeichelndes Eingehen auf ihre Schwaechen und Eigenheiten zu gewinnen. Auch die Kunden fesselte das huebsche Maedchen durch sein gefaelliges, entgegenkommendes Wesen. Mit der stillen, freundlichen Nichte ihrer Herrin hatte Mimi Kruse eine waermere Freundschaft geschlossen. Von Natur gutmuetig, fuehlte sie Mitleid mit der kraenklichen, in einer freudlosen Jugend Verkuemmerten, und diese empfand das frische, immer gleich heitere Wesen Mimis als belebenden Sonnenstrahl in dem Einerlei ihres zum Verzicht auf jede lautere Lebensfreude verurteilten Daseins. So lebten die drei Frauenspersonen wie in Familienzusammengehoerigkeit. Oft kam ein Neffe der Witwe zum Besuch, Hermann Heinecke, ein Volksschullehrer. Der junge Mann war der Sohn ihres Stiefbruders, der im Mecklenburgischen eine kleine Landstelle besass. Hermann verkehrte gerne bei der Tante, der jungen Maedchen wegen. Der verwandtschaftlichen Freundschaft fuer Therese gesellte sich eine aufrichtige Wertschaetzung ihres sanften, geduldigen Wesens und ihres feineren, tieferen Seelenlebens. Doch die Ergebenheit, die er seiner Cousine entgegenbrachte, hinderte ihn nicht, der huebschen Verkaeuferin seiner Tante gleichzeitig ein warmes Interesse zu schenken. Mimi hatte keinen gluehenderen Verehrer, als Hermann Heinecke. Sie wusste das und verwandte alle kleinen Kuenste der Koketterie, um ihn an sich zu fesseln. Das gutmuetige, etwas fade, von einem duennen blonden Bart umrahmte Gesicht des jungen Mannes war eigentlich nicht "ihre Nummer", wie sie zu sagen pflegte. Ihre Schwaermerei waren die Schwarzen, Kraushaarigen. Die goldene Brille, die Hermann trug, soehnte sie jedoch wieder etwas mit seinem Gesicht aus. Sie hatte, wie die meisten jungen Maedchen, eine Vorliebe fuer Augenglaeser, unter diesen wieder das Pincenez bevorzugend. Die Brille verlieh dem ziemlich ausdruckslosen Gesicht des Lehrers ein bedeutenderes Ansehen. Die freundlichen blauen Augen sahen ohne diesen Schutz etwas bloede in die Welt, gewannen dahinter versteckt jedoch an Glanz und Leben. Auch der Umstand, dass die Einfassung der Brille von Gold war, fiel bei Mimi Kruse durchaus ins Gewicht. Schenkte sie ihre Beachtung einmal einem Herrn, der eigentlich gegen ihren Geschmack war, so musste sie hierzu triftige Gruende haben, zum Beispiel die Aussicht auf nahe und auskoemmliche Versorgung. Und die bot ein junger Lehrer immerhin. Der Neffe ihrer Prinzipalin war seit Michaelis fest angestellt, hatte ein gesichertes Einkommen und war pensionsberechtigt. Dafuer durfte er schon blond sein und einen schlichten Scheitel tragen. Hermann hatte den beiden Maedchen versprochen, sie am ersten Ostertage spazieren zu fuehren, und kam nun am Freitag vor dem Feste, noch abends um 9 Uhr, um seine Einladung zu wiederholen und das Naehere zu bereden. Man wollte bei guenstigem Wetter einen Nachmittagsspaziergang machen und am Abend ein Theater oder Konzerthaus besuchen. Bei schlechter Witterung sollte auf dem Dammthorbahnhof oder in der Alsterlust der Kaffee getrunken werden. Die Maedchen waren mit Freuden bereit. Namentlich Therese, der so selten ein Vergnuegen wurde, freute sich wie ein Kind. Mimi brachte sofort die Frage auf. Was ziehe ich an? Hermann sah sie am liebsten in heller Kleidung, und sie ging sogleich auf seinen Wunsch ein, ihr hellblaues Wollkleid anzulegen. Von Theresens Anzug war nicht die Rede. Ihre Garderobe war nicht sehr reichhaltig. Auch trug sie nur schwarz. Anstandshalber hatte man auch die Tante eingeladen, in der Voraussetzung, dass sie ablehnen wuerde. Man wusste, dass sie um keinen Preis an irgend einem Tage ihr Geschaeft schloss und etwas darin suchte, zu Hause zu bleiben, wenn andere ausgingen. Sie hatte ueberhaupt einen Hang, die Maertyrerin zu spielen, die von allen Kindern Gottes das geplagteste war. Trotzdem atmete Hermann auf, als sie ganz entruestet die Zumutung zurueckwies, am Nachmittag des ersten Ostertages ihren Laden zu schliessen. Sie hatte tausend Gruende dagegen. Gerade an diesem Tage haette sie noch in jedem Jahre die glaenzendsten Geschaefte gemacht. Fuer sie gaebe es keine Feiertage. Wie das wohl werden sollte, wenn sie spazieren laufen wollte. Und damit burrte sie zum Zimmer hinaus, da die Ladenglocke schellte. "Therese, komm mal nach hinten", rief sie gleich darauf wieder durch die hastig aufgerissene Thuer. "Fraeulein Behn will Mass genommen haben." Mit Metermass und ihrem Notizbuechlein folgte Therese. Mimi sass am runden Sophatisch. Sie hatte die niedrige Lampe aus blaeulichem Milchglas dicht vor sich gerueckt und war beschaeftigt, die duennen, schmiegsamen Stahlstaebchen in der Taille eines hellen Maedchenkleides zu befestigen. Der Schein des Lichtes fiel voll auf ihre etwas grossen, aber weichen, schoengeformten Haende, die gut gepflegt waren, wenn auch nicht jede Spur haeuslicher Thaetigkeit sich hatte entfernen lassen. Mit etwas gezierter Haltung des kleinen Fingers fuehrte sie die Nadel. Die gleichmaessige Bewegung der vollen, rosigen Maedchenhand, an deren Mittelfinger ein schmaechtiger Ring mit einem falschen gruenen Stein matt glaenzte, fesselte Hermanns Blick. "Wie moegen Sie nur diesen falschen Stein tragen, Fraeulein Mimi", sagte er. "Schenken Sie mir einen echten, Herr Heinecke", entgegnete sie, ohne aufzusehen. "Wenn Sie ganz artig sind", scherzte er. "Bin ich das nicht immer?" Sie sah ihn jetzt an, mit einem versteckten Spott in den grauen Augen, der ihm entging. In der Vorfreude auf den lange ersehnten Ausgang mit ihr erschien sie ihm heute doppelt verfuehrerisch. Mit ihr allein jetzt, und so schnell in diese verfaengliche Unterhaltung geraten, fuehlte er sich ganz in der Gewalt ihrer Reize. Ohne auf ihre Frage zu antworten, stand er auf und stellte sich schweigend neben ihren Stuhl, der Weiterarbeitenden zusehend. Ein schwacher Veilchenduft, ihr Lieblingsparfuem, das sie jedoch diskret gebrauchte, stieg zu ihm auf. Er zog den Duft ein. "Ah, Veilchen." "Das letzte Troepfchen", lachte sie. "Wenn's verflogen ist, ist es aus mit der Veilchenherrlichkeit." "Dann bleiben die Rosen." "Wie so?" Er beruehrte mit dem Ruecken der rechten Hand sanft ihre linke Wange. "Wie Feuer." Sie schlug nach ihm. Sie hatte ihn kraeftig getroffen. Der Fingerhut entflog ihr bei dem Schlag und rollte durchs Zimmer unter den altmodischen Sekretaer aus Eichenholz, dessen Messingringe und Schluessellochumkleidungen der Verdruss der jungen Maedchen waren, denn nie konnte dieser Zierat der Wittfoth glaenzend genug leuchten. Hermann, auf der Verfolgung des Ausreissers, lag baeuchlings auf dem Fussboden und angelte und fegte pustend und aechzend mit einem langen hoelzernen Stricksticken der Tante unter dem ziemlich tiefen Moebel umher, als das Zimmer von aussen geoeffnet und die helle Stimme der Tante laut wurde: "Unser Wohn- und Arbeitszimmer, Fraeulein." Gleichzeitig erschien Fraeulein Behn in dem Rahmen der Thuer, noch ehe die Wittfoth die ungewoehnliche Lage ihres Neffen recht gewahrte. In groesster Verwirrung schnellte Hermann empor, mit bestaubten Aermeln und Rockschoessen, an welchen sich auch die unvermeidlichen Faeden der Naehstube festgesetzt hatten. Schallendes Gelaechter begruesste ihn, in das er notgedrungen einstimmte. "Fraeulein Behn, mein Neffe, Herr Heinicke", stellte seine Tante vor. Die junge Dame mass den Neffen mit etwas spoettischem Blick, der jenem entging, da er bei seinem demuetigen Ritterdienst die Brille vorsichtig abgenommen hatte und noch immer zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand aengstlich von sich abhielt. Therese beendete die komische Szene, indem sie sich mit der Kleiderbuerste an die Reinigung ihres Vetters machte. III. Der Ostermorgen versprach einen heiteren, wenn auch etwas kuehlen Festtag. Voller Sonnenschein lag ueber der herben Fruehlandschaft, als die Glocken von St. Gertrud die Glaeubigen und Erbauungsbeduerftigen zum Gottesdienst riefen. Auch die Wittfoth, in Begleitung Theresens, befand sich unter den Kirchgaengern. Seit sie die Kirche so bequem zur Hand hatte, dass sie sie in zehn Minuten erreichen konnte, versaeumte die kleine, lebenslustige, keineswegs fromme Frau nie, wenigstens an den hohen Feiertagen die Predigt zu hoeren und sich an dem Gesang des Kirchenchors zu erbauen. "Das ist man sich schuldig", sagte sie. "Ich gehoere durchaus nicht zu den Betschwestern, aber mal will der Mensch doch auch etwas Hoeheres haben. Und fuer mich hat es immer so etwas Feierliches, wenn die Knaben singen und die Orgel dazu spielt." Therese begleitete die Tante regelmaessig in die Kirche, besuchte auch haeufig allein den Gottesdienst. Ihr war die Erbauung aufrichtiges Herzensbeduerfnis. Sie hatte den Glauben der hier auf Erden zu kurz Gekommenen an den Himmel und seine ausgleichenden Freuden. Wie alle Angelegenheiten des Herzens, umfasste sie auch diese Dinge mit grosser Innigkeit und fuehlte sich dabei in schmerzlichem Gegensatz zur Tante, die auch hier ihre Oberflaechlichkeit nicht verleugnete. "Ach, ich glaub an gar nichts", erklaerte die Wittfoth einmal. "Mir soll's auch einerlei sein. Sterben muessen wir alle, und von oben ist noch keiner lebendig wieder runter gekommen". Eine geheime Angst hatte die kleine Frau vor dem Lebendig-begraben-werden. Wenn es irgend anginge, sollte man sie nach ihrem Tode verbrennen, nur nicht "einpurren". "Dann koennt Ihr meine Asche in alle Winde streuen. Dann seid Ihr mich los", sagte sie. "An mein Grab kommt ja doch niemand, da ist es besser, Ihr verbrennt mich gleich". Vor der Kirchenthuer trafen Therese und ihre Tante auf Frau Behn mit ihren Toechtern. "Na, Frau Behn, auch'n bischen hier?" fragte die Wittfoth. "Dat is ja nu mal de Dag dorto", meinte die Angeredete, die zum Aerger ihrer vornehmen Aeltesten gerne platt sprach. Fraeulein Lulu musterte mit laessigem Gruss die Toiletten der Tante und Nichte. "Dann beten Sie man recht", lachte die Wittfoth der Mutter zu, glaette schnell die Falten ihres vergnuegten rundlichen Gesichts zu andachtsvollem demuetigem Ausdruck und draengte sich mit dem allgemeinen Strom durch den etwas engen Eingang in die freundliche, erst neu erbaute Kirche. Mimi Kruse huetete inzwischen den Laden. Ihr war die Kirche nichts als ein Haus mit einem Turm. Seit ihrer Konfirmation hatte sie nur einmal wieder eine Predigt gehoert, das heisst, eine solche in den Kauf genommen zu dem Gesang des Kirchenchors, um dessen willen eine Freundin sie mit in die Kirche "geschleppt" hatte. Denn der Kirchenchor war gerade Mode geworden. "Wenn das Herz man gut ist, das Beten thut's nicht", behauptete sie, und entschlug sich im Vertrauen auf ihr gutes Herz aller christlichen Uebungen. Auch jetzt hatte sie statt des Gesangbuches den Generalanzeiger neben sich auf dem Fensterbrett liegen und ueberflog den Roman im Feuilleton. Ihre Gedanken weilten jedoch nur zur Haelfte bei der schnoede verlassenen Graefin, die andere Haelfte gehoerte dem blauen Kleid, das sie am Nachmittag anziehen wollte, und an dem noch allerlei kleine Ausbesserungen und Aenderungen vorzunehmen waren. Mimi wollte huebsch sein an Hermanns Seite, der mit seinem sonntaeglichen, dunkelblauen Ueberzieher, dem weichen hellgrauen Filzhut, den "Bismarckfarbenen" und der goldnen Brille immer so nobel aussah. Wenn er nur nicht so langweilig sein wollte, so laestig durch seine unaufhoerliche Kurmacherei. Am meisten zuwider war ihr sein bestaendiges, verliebtes Anlaecheln. Ihr Schlag am Freitag Abend war ernst gemeint gewesen. Sie hasste diese "Antatzerei", wie sie es nannte. Als er dann der Laenge nach auf dem Fussboden lag, war er ihr sehr laecherlich erschienen. Heute aber, zum Ausgehen, war er ihr gut genug. Er war nicht "angewachsen", gab gerne und mit einer gewissen Prahlerei. Mimi dachte schon an die Chokolade, Toertchen und Liqueure, die er ihr am Nachmittag spendieren wuerde. Ein wenig Schatten in ihre Vorfreude warfen nur die Wolken, die in kuerzeren oder laengeren Zwischenraeumen die Sonne ueberzogen. Besorgt sah sie auf. Es waere doch zu aergerlich, wenn sich das Wetter nicht halten wuerde. Wenn es regnete, was sollte sie dann anziehen? Und wirklich fielen jetzt grosse, schwere Tropfen, denen sich bald weiche, zerfliessende Schneeflocken beimischten, gegen die Scheiben. Mimi nahm eine Rolle Zwirn und warf sie wuetend durch das ganze Zimmer. Ihre Stirn legte sich in bitterboese Falten, und dem unmutig verzogenen Mund entfuhr ein derbes Wort. Die Flocken verdichteten sich, die Sonne verschwand ganz. Wirbelnd fegte der lose Schnee um die Strassenecken, als waere es Weihnachtszeit und nicht Ostern. Trotzdem stellte sich Hermann am Nachmittag zur bestimmten Stunde ein, in Gummischuhen und dickem Flausrock. Statt des hellen, weichen Kuenstlerhutes schwenkte er eine steife, bienenkorbartige Kopfbedeckung heftig in der Hand, um sie von den Schneeflocken zu befreien. Da die benaesste, angelaufene Brille ihn am Sehen hinderte, blieb er unbeholfen in der Thuer stehen. "Eine schoene Bescherung, meine Damen, der reine Winter", naeselte er verschnupft. "Wie schade", bedauerte Therese. "Aber vielleicht klaert sich's noch auf." "Klaert sich was", brummte Mimi. "Wird'n netter Matsch sein." "O, ich stelle Ihnen meine Galoschen zur Verfuegung, gnaediges Fraeulein", scherzte Hermann. "Hoechst ungnaediges Fraeulein", verbesserte Therese. "Mimi trauert um ihr helles Kleid." "Faellt mir nicht ein", leugnete diese. In Wahrheit war sie sehr missgestimmt, sich nicht nach Vorhaben putzen zu koennen. Auch Hermann sah nicht so aus dass man viel Staat mit ihm machen konnte. Eine verfehlte Partie, dachte sie. "Meinetwegen lasst uns zu Hause bleiben," meinte aufrichtig Therese. "Mir ist's auch gleich", stimmte Mimi bei, und die Partie drohte wirklich noch im letzten Augenblick zu Wasser zu werden, als die Wittfoth den Ausschlag gab. "Was?" schalt sie. "Das sind junge Leute, und fuerchten sich vor Schnee? Marsch, fort mit Euch!" "Man nich so eitel, Fraeulein", wandte sie sich direkt an Mimi. "Sie sind noch lange huebsch genug. Wenn der Rechte kommt, sieht er nicht erst aufs Kleid." "Das mein ich auch", bekraeftigte Hermann eifrig. "Wenn die Rose selbst sich schmueckt, schmueckt sie auch den Garten." "Nun wird's Zeit", rief die Wittfoth, "wenn Schiller erst redet." "Rueckert, liebe Tante", belehrte Hermann. Die liebe Tante ueberhoerte diese Belehrung und wandte sich an Therese: "Dass Du Dich mir warm anziehst, Kind. Du weisst, Du bist gleich erkaeltet. Und dass Ihr mir fahrt heute Abend, hoerst Du Hermann? Die Abendluft ist so gefaehrlich." Mimi, die sich muerrisch zum Ankleiden entfernt hatte, kam wie verwandelt wieder. Sie lachte ueber das ganze Gesicht. Sie trug ein schlichtes graues Kleid, eine knapp anschliessende schwarze Plueschjacke, ein schwarzes, langhaariges Mueffchen und ein dunkelbraunes kokettes Pelzbarett, das ihr allerliebst stand. Ein Blick in den Spiegel hatte sie schnell ueber das blaue Kleid getroestet, und hoechst zufrieden fand sie sich wieder bei den andern ein. Sie war der Wettermacher. Ihre Stimmung war immer ausschlaggebend, sie hatte etwas mitreissendes, dominierendes in ihrem Wesen. Hermann war gluecklich ueber diesen schnellen Umschlag ihrer Laune und bemerkte mit Wohlgefallen ihr vorteilhaftes Aussehen. Therese freute sich, wenn andere sich freuten, und so nahm man gut gelaunt von der Tante Abschied. IV. Die Wittfoth hatte sich eine Tasse starken Kaffee bereitet, ihr Lieblingsgetraenk, der zwar fuer die vollbluetige, nervoese Frau das reine Gift war, dem sie jedoch mit wahrer Leidenschaft zusprach. Wenn Frau Caroline von "einer Tasse Kaffee" sprach, so war das nur der einfachere Ausdruck fuer ein gefuelltes Kannenmass. Heute, zur Feier des Festtages, hatte sie sogar noch fuer eine Tasse ueber das gewoehnliche Mass gesorgt, sich guten Rahm statt der sonst bei ihr ueblichen Milch gegoennt und neben der gefuellten Zuckerschale einen selbstgebackenen Kuchen gestellt. Seit Jahren kam zu allen Festlichkeiten ein solcher Kuchen, ein grosser, flacher Platenkuchen mit Zucker- und Mandelaufguss auf den Tisch. Wer dieses Gebaeck nicht genug zu wuerdigen wusste, hatte es mit der kleinen Frau verdorben. Ihr Platenkuchen war ihr Stolz. Behaglich in den tiefen Lehnstuhl fast versinkend, liess sich die Wittfoth ihren Festkaffee vortrefflich schmecken. Sie steckte ihre Naeharbeit in die Ecke des Sofas und nahm sich vor, den Rest des Nachmittags mit gemuetlichem Nichtsthun zu verbringen. Sie wollte auch ihren Feiertag haben. Sie musste sich wahrlich genug plagen. "Ich wundere mich nur, dass mir der Kaffee noch so gut schmeckt", sagte sie oft. Im Grunde hatte sie wenig Ursache zum Klagen. Die Maedchen nahmen ihr alle Arbeit ab. Selbst die Kueche brauchte sie nicht allein zu besorgen. Dennoch war sie ueberzeugt, dass niemand so mit Arbeit ueberbuerdet sei wie sie. Sie war immer in Bewegung und meistens in unnoetiger. Sie war ueberall und nirgends, bald in der Kueche, bald im Laden oder im Arbeitszimmer, hier einen Topf oder eine Pfanne, dort einen Flicken oder einen Bindfaden aus dem Wege raeumend, um ihn an anderer Stelle abzulagern, wo er oft noch mehr im Wege war. Alle Augenblicke seufzte sie "meine Beine, meine Beine" und brummkreiselte doch wieder ruhelos auf ihren kurzen Beinen weiter. Kein Wunder, wenn sie am Abend "von all der Arbeit" muede war. Auch jetzt hatte sie sich, trotzdem sie allein war, mit ihrem Gewohnheitsseufzer "Meine Beine, meine Beine" niedergelassen. Der duftige Trank regte ihre Lebensgeister an, der Kuchen war nach ihrem Geschmack vortrefflich geraten, und ein seltsames Wohlgefuehl ueberkam sie. Aus einer der ueber ihrem Keller gelegenen Etagenwohnungen drang gedaempftes Klavierspiel zu ihr: Zwei Teile des Donauwalzers von Strauss und dann Ketterers beliebtes Salonstueck "Silberfischchen". "Schnutentante klimpert wieder", sagte die Wittfoth im Selbstgespraech. Schnutentante war eine vierzehnjaehrige "hoehere Tochter", der sie wegen ihrer das Normalmass ueberschreitenden Nase diesen Namen beigelegt hatte. Aber das Klimpern war der einsamen Kaffeetrinkerin nicht unangenehm. Die Musik stimmte sie sentimental. Das Gefuehl des Alleinseins ueberkam sie, die wohlthuende Empfindung des Mitleids mit sich selbst. Das Wetter draussen war fortgesetzt unfreundlich. Der Wind warf einzelne Regen- und Schneeschauer gegen die Fenster, die in gleicher Hoehe mit dem Trottoir lagen. Frau Wittfoth freute sich doch, zu Hause geblieben zu sein. Der Ofen strahlte so gemuetliche Waerme aus. Gott sei Dank, dass sie nicht draussen "rumzupatschen" brauchte. Aber die Musik von oben fuehrte ihre Gedanken den jungen Leuten nach, ins Konzerthaus. Sie hoerte so gerne Musik. Als ihr Seliger noch lebte, besuchten sie haeufig die Gartenkonzerte bei Mutzenbecher, jetzt Hornhardt, auf St. Pauli, oder im "Zoologischen". Das war lange her. Jetzt, mit den Jungen, machte es ihr nur halbes Vergnuegen. Sie fuehlte sich ueberfluessig in deren Gesellschaft. Aber war sie denn nicht auch noch jung? Waren denn fuenfunddreissig Jahre ein Alter? Zu den achtzehnjaehrigen Backfischen allerdings passte sie nicht mehr. Aber um schon auf alle Lebensfreuden zu verzichten, sich zum alten Eisen zu rechnen, war es doch noch zu frueh. Freilich, eine alleinstehende Witwe in ihren Jahren muss sich schon zufrieden geben. Man muss froh sein, wenn man nur im Stillsitzen seinen guten Ruf wahrt. Dem Klatsch entgeht man nimmer. Was war das doch fuer ein Gerede damals gewesen, mit dem huebschen Reisenden von Rosinsky und Soehne. Weil sie hoeflich gegen Herrn Bellermann war, sollte sie natuerlich Heiratsabsichten haben. Als ob es nicht ihre Pflicht gewesen waere, im Beginn ihrer Geschaeftsthaetigkeit sich mit Kunden und Lieferanten auf moeglichst guten Fuss zu stellen. Und wie viele Nachfolger hatte Herr Bellermann gehabt. Bald war es der, bald jener, den sie koedern, oder der nach ihr seinen Haken auswerfen sollte. Und immer waren die Leute boshaft genug, nicht von ihrer Person, sondern von ihrem Geschaeft zu reden. Als ob sie nicht immer noch ansehnlich genug sei. Jetzt war es Herr Pohlenz, der Stadtreisende von Mueller und Lenze, der grossen Knopffabrik, der Absichten auf sie haben sollte. Nun ja, diesmal hatten die Leute ja recht. Ein Blinder musste sehen, dass Herr Pohlenz auf die Firma Caroline Wittfoth spekulierte. Aber lieber ginge sie in die Alster, als dass sie diesen Pohlenz heiratete. Schon vor seinen feuchten, kalten Haenden schauderte ihr. Dann lieber den alten Beuthien, der schon einmal Andeutungen gemacht hatte. Zwar nahm sie es damals fuer Scherz und nahm es auch noch dafuer. Aber gesetzt, er haette die Absicht, lieber den Droschkenkutscher als den Pomadenhengst mit den Leichenhaenden. Aber was fiel ihr denn ein, wie kam sie doch nur jetzt auf diese Heiratsgedanken? Sie musste ueber sich selbst lachen. Sie fuellte zum dritten Mal ihre Tasse und schob ein laengliches Stueck Kuchen in den Mund, als die Ladenglocke ging. Sie hoerte am schweren Auftreten, dass maennliche Kundschaft sie beehrte. Es war der junge Beuthien, der sonntaeglich gekleidet vor der Tonbank stand. Er bat um einen neuen Halskragen. "Welche Nummer, Herr Beuthien?" Ja, wenn er das wuesste, lachte er. Seine Kragen waeren ihm zu eng geworden. "Dat kniept all bannig". Sie legte ihm verschiedene Weiten vor, und er passte sie unbeholfen an. Da er sich nicht entschliessen konnte, half sie ihm und legte eigenhaendig einen Kragen um seinen Hals. "De passt", empfahl sie. Als er gewaehlt hatte, musste sie ihm wieder behilflich sein, die kleinen widerspenstigen Hornknoepfe durch die neuen steifen Knopfloecher zu druecken. Seine grossen plumpen Finger waren nicht geschickt dazu. Sie hatte Muehe davon, und es dauerte lange. Sein rotblonder Bart kitzelte sie auf der Hand. Er hob das Kinn hoeher, und sie bewunderte seinen braunen kraeftigen Hals. Beim Umlegen der Krawatte ging er etwas ungestuem zu Werke, so dass das Halsband riss. "Dunner", schalt er. "Dat Schiet is moer". Verlegen besah er den Schaden. Aber es liess sich nichts daran aendern, und er verstand sich dazu, einen neuen Slips zu fordern. Sein verlegener Aerger ruehrte sie. Und da seine Krawatte noch so gut wie neu war, erbot sie sich, den Schaden mit einigen Nadelstichen zu reparieren. Sie noetigte ihn in die Stube. Zoegernd folgte er und nahm mit etwas umstaendlichem Gebahren auf dem angebotenen Stuhl Platz, waehrend sie ihr Naehzeug aus dem auf der Fensterbank stehenden Korb zusammensuchte. Ein Blick auf die Strasse zeigte ihr, dass im Parterre gegenueber Lulu Behn wieder ihrer Gewohnheit nach am Fenster rekelte. "Immer as'n Blomenpott vor't Finster", sagte sie und liess die Rouleaux herunter, um jener einen Einblick zu versperren. Beuthien schien ihre Bemerkung ueberhoert zu haben. Im Begriff, sich zu setzen, kam ihr der Einfall, ihm eine Tasse Kaffee anzubieten. "Warum nich", nahm er dankbar an. Sie schenkte ihm ein und schob ihm den Kuchenteller zu. Es schien ihm zu behagen, und sie war schneller mit ihrer Arbeit fertig, als er mit seinem Kaffee. Sie lud ihn ein sich Zeit zu lassen, fragte nach diesem und jenem und stillte ihre Neugier. Als er gespraechig Auskunft gab und auch auf die Absicht seines Vaters zu sprechen kam, sich bald zur Ruhe zu setzen, meinte sie: "Dann heiraten Se woll gliek?" "Ja", antwortete er scherzend. "Wuelln Se min Fru sin?" "Da foehrt wi immer fein tosamen in de Kutsch", ging sie darauf ein. "Un mit soess", lachte er und schob die geleerte Tasse von sich. Schwerfaellig erhob er sich, und sie bemerkte erst jetzt, dass er ein wenig schwankte. Er wischte sich mit dem Ruecken der linken Hand langsam ueber die etwas niedrige braune Stirn und reckte die breiten Schultern. Als sie ihm die ausgebesserte Krawatte zurueckgab griff er nach ihrer Hand und legte den Arm um ihre Taille. "Dat laten S' unnerwegs", rief sie, sich losreissend. "So wiet suend wi ja woll noch nich". Er versuchte noch einmal die hinter den hohen Lehnstuhl sich fluechtende zu erhaschen. "Nichts fuer ungut, Madammchen", lachte er dann, ablassend. "Spass muss sind, sagt der Berliner". "All wo's hin gehoert", sagte sie pikiert. "Na, denn nich", brummte er gekraenkt und fragte, was er schuldig sei. Aber sie wollte fuer die kleine Muehe nichts haben. "Se foehrt mi mal ut", scherzte sie, wieder versoehnlich gestimmt. "Na, dann besten Dank und froehlich Fest". Er gab ihr die Hand, und sein kraeftiger Druck zwang ihr ein leises Au ab. Als er fort war, stand sie wie selbstvergessen mitten im Laden und rieb noch immer mechanisch die Stelle, wo sich die roten Spuren seiner kraeftigen Finger laengst verzogen hatten. V. Therese und Mimi waren spaet nach Hause gekommen, hatten die Vorwuerfe der Tante unter Lachen und Schmeicheleien durch ein mitgebrachtes Veilchenstraeusschen und eine Tafel Chocolade erstickt, beides von Hermann gespendet, und waren schnell ins Bett gehuscht. Beim Fruehkaffee des zweiten Festtages nun kramten sie ihre Geschichten aus. Sie hatten sich "himmlisch" amuesiert, wie Mimi versicherte. Hermann sei "zu nett" gewesen. Sie wusste, wie gerne die Wittfoth ihren Neffen loben hoerte. Nach einer Tasse Kaffee und einem Stueck Torte bei Homann, hatte man zu Fuss den Weg nach Ludwigs Konzerthaus zuruecklegen muessen, da alle Pferdebahnen infolge des schlechten Wetters ueberfuellt waren. Auch dort hatte man nur mit Muehe Platz an einem Tisch in der Mitte des Saales erwischen koennen. Die unfreundliche Witterung trieb die Vergnuegler schnell von der Strasse in die Lokale, und auch der grosse Saal des Ludwigschen Etablissements war bald ueberfuellt. Froh des erlangten Sitzes, gab man sich um so empfaenglicher der Musik des vortrefflichen Orchesters hin. Das Programm bot mit Ruecksicht auf das Sonntagspublikum meist heitere Weisen, worunter natuerlich ein Straussischer Walzer nicht fehlte, Mimis Universalmittel gegen jegliche Art von Truebsinn und Verstimmung. Wie immer zog das huebsche Maedchen die Blicke der naeher sitzenden Herren auf sich. Auch Herrn Pohlenz begruesste man von weitem. Hermann, um nicht aus dem Felde geschlagen zu werden, hatte seine Liebenswuerdigkeit verdoppelt und zuletzt, noch vor dem Schluss des Konzertes, die Maedchen zu einem kleinen Souper in einem benachbarten Restaurant eingeladen, wo man vorzueglich ass und vor allen Dingen ungestoert geniessen konnte. Vielleicht bestimmte dieser letzte Umstand ihn besonders. Es war jedenfalls die einfachste und nobelste Art, sich seiner Konkurrenten zu entledigen. Die Wittfoth hatte den froehlichen Berichten der Maedchen nichts entgegenzusetzen. Ihr Erlebnis mit dem jungen Beuthien brannte ihr auf der Zunge. Es prickelte sie, aber sie wusste nicht den rechten Ton zu finden und begnuegte sich, eine grosse Zufriedenheit zu erheucheln, dass sie doch einmal einen ruhigen, ungestoerten Nachmittag ganz fuer sich allein gehabt haette. Zuletzt aber musste sie doch wenigstens so viel verraten, dass der junge Beuthien sich einen neuen Kragen gekauft hatte. "Der schoene Wilhelm?" fragte Mimi mit lachendem Spott. "Ist er eigentlich so schoen?" meinte Therese, waehrend die Tante, ohne auf dies Thema einzugehen, eifrig die Tassen abraeumte, mit mehr Geklapper, als sonst ihre Art war. Mimi erklaerte Beuthien fuer einen ganz ansehnlichen Mann. Fuer Koechinnen, setzte sie hinzu, und liess durchblicken, dass ihre Ansprueche hoeher gingen. Therese fand etwas Rohes in seinen Zuegen und lobte dagegen das ehrliche, gutmuetige Gesicht seines Vaters. Mimi war der zweite Festtag frei gegeben worden, ihre Verwandten in Bergedorf zu besuchen. Sie machte sich frueh auf den Weg, und Nichte und Tante blieben allein. Hermann kam am Nachmittag auf eine Viertelstunde, um zu fragen, wie den Damen der gestrige Abend bekommen sei. Er war heute, da das Wetter freundlich geworden war, so nobel gekleidet, wie Mimi sich ihn gestern gewuenscht hatte. Man sah und hoerte ihm an, wie gluecklich ihn die Erinnerung an den vergangenen Tag machte. Er brachte drei kleine Bouquets, je eine Rose von Veilchen umgeben, ueberreichte, anscheinend wahllos, der Tante die Theerose, Therese eine weisse und bestimmte die uebrig bleibende tiefrote fuer "Fraeulein Kruse". Auch ein Buch, von dem er dem Maedchen gesprochen hatte, lieferte er ab: Rueckerts Liebesfruehling. "Liebesfruehling und Veilchenbouquets. Da kann man sich ja ordentlich was auf einbilden", meinte die Wittfoth. Sie stand dem Verhaeltnis zwischen ihrem Neffen und ihrem Ladenmaedchen nicht blind gegenueber. Es amuesierte sie. Eine unschuldige Kurmacherei, die zu nichts Ernstlichem fuehren wuerde. Keinem wuerde das Herz dabei brechen, am allerwenigsten dem Maedchen. Uebrigens wollte sie gelegentlich mit Hermann darueber reden. Therese hatte das Buch in Empfang genommen und blaetterte mechanisch darin. "Mimi wird sich freuen", sagte sie und legte es vor sich auf die Naehmaschine. "Und Du?" fragte Hermann. "Du weisst, ich schwaerme fuer Gedichte". "Und nun gar Liebesgedichte", scherzte er. "Einen ganzen Band voll Liebe." Sie wurde auf einmal sehr rot und machte sich an den paar kuemmerlichen Geranienpflanzen zu thun, die in irdenen Toepfen auf dem Fensterbrett standen. "Werft doch die elenden Stoecke fort", schalt er. "Es kommt doch nichts darnach." "Sie wollen nicht gedeihen, zu wenig Sonne", antwortete sie. Sie hatte wieder ihre gewoehnliche, gelbblasse, kraenkliche Farbe. Zu wenig Sonne. Er fing dies Wort auf. Sie war ihm nie so schwaechlich vorgekommen, wie in diesem Augenblick. "Ihr geht doch spazieren nachher?" fragte er. "Das Wetter ist so milde. Sitzt nur nicht wieder den ganzen Tag hier im Keller." "Du kennst ja die Tante", entschuldigte sie. "Luft und Licht sind Euch beiden noetig ", eiferte er. "Also steckt die Nase man mal hinaus." Er reichte ihr die Hand zum Abschied. "Willst Du schon gehen?" fragte sie bedauernd, mit aufrichtiger Betruebnis. "Meine Freunde warten", erklaerte er. "Kommst Du bald wieder?" bat sie. Er versprach es. "Adieu, liebe Tante", rief er ueber den Korridor in die Kueche hinein, wo die Wittfoth mit Messern und Gabeln klapperte. Therese gab ihm das Geleit bis an die Thuer. Lange sah sie ihm nach. Auf ihren Platz am Fenster zurueckgekehrt, las sie im Liebesfruehling, brockenweise, hier ein Gedicht, dort eine Strophe, ohne ganz bei der Sache zu sein. Sie wusste ja, das Buch war eigentlich fuer Mimi bestimmt. Mimi und Gedichte! Was waren der alle schoenen Gefuehle und erhabenen Gedanken. Was war ihr ueberhaupt Hermann. Nichts mehr, als jeder andere heiratsfaehige Kurmacher. Mimi war ein gutes Maedchen, aber leicht und oberflaechlich. Und anspruchsvoll war sie. Wie hatte sie sich gestern alle Aufmerksamkeiten als selbstverstaendlich gefallen lassen. Und Hermann war doch kein Kroesus. Therese hatte tausend Gruende gegen eine Verbindung zwischen ihrem Vetter und Mimi, denn sie liebte ihn selbst. Sein gutes, freundliches, sich immer gleich bleibendes Wesen sprach sie an. Er galt ihr fuer gescheut. Sein bischen Lehrerweisheit imponierte dem unwissenden, frueh der Schule entrissenen, aber lerneifrigen Maedchen. "Weinst Du?" fragte die Tante, in ihrer fahrigen, kreiselnden Weise ins Zimmer tretend. "Ich? Nein. Wie so?" stotterte Therese und versuchte zu lachen. Bei Behns drueben fuhr in diesem Augenblick eine Droschke vor. Die Familie kehrte von einer Ausfahrt zurueck. Die Wittfoth stuerzte ans Fenster. "Die koennen's. Immer nobel." Fraeulein Lulu verliess als letzte etwas langsam den Wagen. "Greif Dich man nich an," spottete die Wittfoth. "Wie sie schlappt." Therese, solche Bemerkungen der Tante gewohnt und wenig erbaut davon, schwieg. "Hast Du gesehn?" fuhr diese fort. "Beim Aussteigen? Die hat ja wohl seit acht Tagen keine frischen Struempfe angezogen." "So?" zweifelte Therese. "Pechschwarz, und 'n Loch war auch drin," eiferte die Tante. "Das kannst Du von hier sehen?" wunderte sich das Maedchen. "Na, jedenfalls wuerd' ich mich schaemen, mit solchen Struempfen auszufahren," lenkte die Wittfoth ein. "Und noch dazu auf'n Ostern." VI. Lulu Behn entsprach so ziemlich ihrem Ruf. Vom Vater verzogen, dessen Liebling die ihm aehnliche Erstgeborene geblieben war, der schwachen, etwas beschraenkten Mutter an Verstand weit ueberlegen, genoss sie nach Kraeften die bequemen Tage, die die gute Lebensstellung der Eltern ihr ermoeglichte. Ihr Hang zur Bequemlichkeit artete in Traegheit aus, je weniger die unter harter Arbeit gross gewordene Mutter vom Selbstwirtschaften ablassen wollte, trotzdem der in den letzten Jahren oft kraenkelnden Frau von dem gutmuetigen Mann in jeder Weise Erleichterung zu Gebote gestellt wurde. Mit Hilfe eines Dienstmaedchens und der zweiten, vierzehnjaehrigen Tochter Paula, die in allem der Mutter aehnelte, konnte sie recht gut den Pflichten des schlicht buergerlichen Hauswesens nachkommen, ohne auf die Unterstuetzung der aelteren Tochter angewiesen zu sein. Lulu, die frueh gute Anlagen zum Lernen zeigte, hatte eine fuer ihre Verhaeltnisse sorgsame Ausbildung genossen. Sie war zwei Jahre in einer auswaertigen Pension gewesen, wohin sie der Vater des Hausfriedens wegen schickte, da Mutter und Tochter sich schlecht vertrugen. Auch Musikunterricht hatte Lulu gehabt. Als Dame war sie ins Elternhaus zurueckgekehrt. Die Schwester war in allem das Gegenteil. Sie zeigte unueberwindliche Abneigung gegen jedes Lernen, aber alle Talente der Mutter zum Hauswesen. Hoch aufgeschossen, kraeftig, kerniger als die Mutter, arbeitete sie, wenn es galt, mit dem Dienstmaedchen um die Wette. Gab es nichts zu scheuern, putzen, spuelen oder schrapen in der Kueche, so spielte sie lieber auf der Strasse mit ihren Altersgenossen, am liebsten mit den Knaben, als hinter den Schulbuechern zu sitzen. Der Vater, der sich vom einfachen Maurergesellen zum Hausbesitzer hinaufgearbeitet hatte, war vernuenftig genug, die Kleine, ihren Neigungen und Faehigkeiten entsprechend in die Volksschule zu schicken. "Die wird noch mal 'ne fixe Koeksch," pflegte er zu sagen. "Jeder nach seiner Art." Trotzdem blickte er mit Stolz auf seine gebildete Tochter. Mit der wollte er hoeher hinaus. Schon zweimal haette Lulu eine anstaendige Partie machen koennen, aber beide Freier waren kleine Handwerker, Anfaenger, und der alte Behn wollte fuer seine Lulu einen "Herrn". Gluecklich war er, wenn ihm das Maedchen vorspielte. Das Blumenlied von Gustav Lange, der Kusswalzer von Strauss und die Ouverture zum "Kalifen von Bagdad" waren seine Lieblinge und Lulus Parforcestuecke. Diese und zwei oder drei andere hatte sie aus der Pension mit nach Hause gebracht und seitdem nur noch Ludolf Waldmanns gerade populaer gewordenes Lied "Fischerin, Du kleine" hinzugelernt, Paulas Leiblied, zu dem sie jedesmal zu Lulus Aerger den Text mit ihrer hellen, blechernen Kinderstimme heruntersang, eine Liebhaberei, die sie mit Anna, dem Dienstmaedchen, teilte. Lulu war trotz der Pensionserziehung im Grunde ordinaer geblieben. Auf dem Niveau ihres musikalischen Geschmacks stand ihr ganzes Seelenleben. Sie kleidete sich mit einem Hang zum Auffaelligen und sah infolge ihrer Traegheit und Unordnung in jedem neuen Kostuem bald schlampig und gewoehnlich aus. Gefallsuechtig, trug sie doch eine gewisse Nonchalance in Betreff ihrer aeussern Erscheinung zur Schau. Sie wusste, dass sie huebsch war und auch ohne tadellose Toilette die Augen der Maenner auf sich zog. Ihre mittelgrosse, wohlproportionierte Figur mit den schwellenden, etwas zur Ueppigkeit neigenden Formen, der zarte, rosige Teint mit dem feinen Sommersprossengesprenkel, die zierliche, gerade Nase, die blauen, eigenartig verschleiert glaenzenden Augen, das satte Blond ihrer Haare und vor allem der sinnlich muede, luesterne Ausdruck ihres Gesichtes machten sie jedem Manne interessant. Das in der Pension verwoehnte Maedchen hatte nach der Rueckkehr ins Elternhaus dem Herrenkreis, mit dem sie durch ihre Familie in Beruehrung kam, wenig Beachtung geschenkt. Lulu liess deutlich durchblicken, dass sie hoehere Ansprueche machte, und schreckte manchen ehrlichen Bewerber ab. Als aber auch bei ihr dann das Liebesbeduerfnis sich einstellte und sie, der vornehmen Maske muede, Annaeherung suchte, war man in ihren Kreisen ihrer ueberdruessig geworden. Die Mutter war besorgt, die Tochter koennte auf diese Weise ganz leer ausgehen. Ihr Mann aber meinte, mit neunzehn Jahren haette Lulu noch keine so grosse Eile. "Tid haett se, Vadder, aber'n Baron krigt se doch nich", gab die Frau zu. "Du mit Din Baron", schalt er, "foer'n Discher is se mi to god". "De Hugelmann waer'n flietigen Minschen", verteidigte sie sich. "De Deern is man kruetsch". "Kann se ok", behauptete er. "Foer'n Discher is se nich in de Pangschohn wesen." "Du mit Din Discher", brummte Mutter Behn. Waehrend die Eltern ueber die Frage, ob "Discher" oder "Baron" noch manchmal viel ueberfluessige Worte verloren, segelte Lulu bereits mit vollen Segeln in dem Fahrwasser einer Leidenschaft, dessen Quelle weit zurueck lag, in ihren Kindertagen entsprungen war. Der alte Behn hatte als Polier geheiratet und damals ein bescheidenes Haeuschen in Barmbeck bewohnt, in unmittelbarer Nachbarschaft des um zwei Jahre frueher verheirateten, aelteren Schulfreundes Heinrich Beuthien, der mit einer Droschke und zwei Pferden sein bescheidenes Fuhrgeschaeft eroeffnet hatte. Hier hatten die Kinder, der zehnjaehrige Wilhelm und die neunjaehrige Lulu im taeglichen Verkehr Freundschaft geschlossen, die die ersten Trennungen, durch Wohnungsveraenderungen bedingt, ueberstand, bis allmaehlich der intelligentere, vom Glueck beguenstigte Behn einen zu weiten Vorsprung vor seinem frueheren Schulkameraden gewann und "das Pensionsfraeulein" dem "Droschkenkutscher" entfremdet wurde. Als nun der Zufall beide Familien wieder in einer Strasse vereinigte, war die einstige Vertraulichkeit zwischen den Eltern laengst erkaltet. Die Vaeter begruessten sich noch gewohnheitsmaessig mit Du, nannten sich aber nicht mehr beim Vornamen, wie sonst. Lulu war natuerlich fuer den Spielkameraden aus der Barmbecker Zeit jetzt das Fraeulein Behn, wie er fuer sie Herr Beuthien. So peinlich ihr diese Nachbarschaft war, die auch der alte Behn nur aus zwingenden Geschaeftsruecksichten auf sich genommen hatte, und so sehr sie durch vornehme Zurueckhaltung das fruehere Verhaeltnis in Vergessenheit zu bringen bemueht war, so wenig schien er von der Naehe der Jugendfreundin und deren jetzigen Vornehmheit geniert. Ja, er that, als haette er sie garnicht mit auf der Rechnung. Der huebsche, von allen Weibern beachtete junge Mann schien durchaus keinen grossen Abstand zu empfinden zwischen einem Droschkenkutscher und der in einer Pension erzogenen Tochter eines fuenffachen Hausbesitzers. Er gruesste sie, wie er ihre Anna, das Dienstmaedchen, gruesste und die Kraemersfrau oder die Wittfoth und andere Frauen und Maedchen aus den Geschaefts- und Wohnkellern der Nachbarschaft, mit der gleichgiltigen ueberlegenen Herablassung eines siegesueberdruessigen Don Juans. Er war ihr gegenueber entschieden im Vorteil. Das aergerte sie. Als es mit der Vornehmheit nicht gluecken wollte, suchte sie den Unterschied ihrer Stellungen durch ein Herabsteigen aus ihrer Hoehe auszugleichen. Als auch hier der Erfolg ihren Erwartungen nicht entsprach, und ihm Fraeulein Lulu Behn noch immer mit Stiene und Mine rangierte, erwachte die gekraenkte Eitelkeit. Aus diesem Kampf um seine Anerkennung erwuchs ihr Interesse fuer ihn zu einer fast krankhaften Leidenschaft. Fuhr er aus, er musste immer an ihrem Hause vorbei, war sie gewiss am Fenster. Sie lauerte ihm foermlich auf. Der junge Beuthien war begehrliche Blicke gewohnt. Er wusste bald, wie er mit Fraeulein Lulu Behn daran war. Aber er hatte auch seinen Stolz. Sie gefiehl ihm wohl. Er verstand sich auf Weiber. Aber sie war ihm nicht mehr als hundert andere huebsche Maedchen auch. Freilich, wenn er einmal mit ihr zu Tanz gehen koennte, wie mit der Anna, er wuerde etwas darum geben. Es waere ihm ein Gaudium. Und dann sie stehen lassen, wie jede andere Lise. VII. Frueher als sonst stellte sich der Fruehling ein. Dem spaeten, aber immer noch winterlichen Ostern folgten warme Tage. Was an Straeuchern im Maerz schon seine ersten vorsichtigen Taster ausgestreckt hatte, wagte sich im April zuversichtlich heraus. Ueberall ein Schwellen und Knospen. Gruener Hauch ueber Busch und Baum. Es gab schon einzelne heisse Tage, an denen der Ueberzieher laestig wurde, und man an die Sommergarderobe dachte. Eine weiche, milde Luft wehte, und die Wittfoth oeffnete ihr die Thuer ihres Kellergewoelbes. Mit der zunehmenden Waerme stand diese den ganzen Tag auf. Fraeulein Mimi hatte dann ihren bestaendigen Sitz hinter der Tonbank, weil die Glocke nicht mehr die eintretenden Kunden melden konnte. Die Dienstmaedchen, die jetzt durch die immer geoeffnete Thuer bequem "mal vorspringen" konnten, hatten ihre sommerlichen, kurzaermeligen Kattunkleider angelegt, die ihnen so gut stehen. Die frischen, vollen Arme waren nicht mehr blau und rot gefroren. An der Ecke gegenueber, beim Gastwirt Tetje Juergens, der unter dem Parterre des Behnschen Hauses einen "Bier- und Fruehstueckskeller" seit Jahren hatte, hielt schon die erste offene Break mit Ausflueglern. Singend waren sie angekommen, singend fuhren sie nach einem hastigen "Stehseidel" weiter. Es war Fruehling, sonnenwarmer Fruehling. Schon in den ersten Tagen des Mai konnte der alte Behn auf dem Holsteinischen Baum, einem Bier- und Tanzetablissement in der Nachbarschaft, sein Glas Grogk im Freien, unter der breiten, glasbedachten Veranda, trinken und den Uebergang von diesem Wintergetraenk zum sommerlichen Trunk kuehlen Augustinerbraeus bewerkstelligen. Im Winter pflegte er allabendlich in dem geraeumigen, gemuetlichen Gastzimmer zwischen neun und zehn Uhr, nach dem Abendessen, seinen Steifen zu trinken. Einmal in der Woche hielt er eine laengere Skatsitzung ab. Den Karten wurde auch im Sommer geopfert. Oft sassen die Frauen und Kinder in der Veranda bei einem Glas Bier oder einer Flasche Brauselimonade, waehrend sich die Maenner und Vaeter im Gastzimmer beim Spiel erhitzten. Es war an einem solchen Skatabend, einem Mittwoch, als Lulu Behn mit der Mutter und Schwester in der Veranda des Holsteinischen Baums die milde Abendluft genossen. Es herrschte ein reges Leben um sie. An jedem Mittwoch war in den hintern Saelen grosses Tanzvergnuegen. Da sprachen die Koechinnen und Dienstmaedchen, oft nur auf ein paar Minuten, vor, "nur einmal rum". Zu Hause wartete indessen die Herrschaft auf den Belag zum Abendbrot. Wer Ausgehtag hatte, kam auch wohl in Balltoilette, mit Blumen im Haar, gefuehrt von sonntaeglich geputzten jungen Burschen. Schlachtergesellen in ihren gestreiften Leinenblousen, die Fleischmulde an der Thuer absetzend, draengten sich zu einem kurzen Rundtanz in den Saal. Hausknechte traten im Voruebergehen ein, Kutscher liessen ihre Droschke halten, sprangen vom Bock und huldigten einen Augenblick den Freuden des Tanzes. "Damen" fanden sie immer im Ueberfluss im Saal vor, oder sie nahmen von den draussen stehenden die erste beste mit hinein. Es gab immer neugierige oder schuechterne am Eingang, denen es an Mut, Zeit oder Geld gebrach, sich in den erleuchteten Saal zu wagen. Es war wie vor einem Bienenkorb. Ein bestaendiges Kommen und Gehen. Lulu, die leidenschaftlich gerne tanzte, beneidete im Stillen jedes Maedchen, das am Arm seines Liebhabers lachend und ungeduldig dem ueber alles geliebten Walzer entgegeneilte. Nun fuhr auch noch der junge Beuthien mit seiner Droschke vor, der vier etwas angeheiterte junge Burschen entstiegen. Jeder von ihnen trug eine rote Nelke im Knopfloch, und auch Wilhelm war auf diese Weise geschmueckt. "Kumm mit, min Jung", rief ihn einer seiner Fahrgaeste an. "Ne, ne, lat man", straeubte er sich, sah aber den Hineinschwankenden unschluessig nach. Ein huebsches Dienstmaedchen in hellrotem Kattunkleid und sauberer weisser Schuerze mit Spitzenlaetzchen, nickte ihm im Voruebergehen wie einem alten Bekannten zu. Die Kleine schien seinen Entschluss zu bestimmen, und er folgte ihr schnell. Ob er Lulu bemerkt hatte? Es schien nicht so. Diese verging fast vor Tanzlust, Neid und Eifersucht. Paula hatte sich neugierig bis an die Saalthuer gedraengt und kam nun mit gluehenden Wangen und leuchtenden Augen zurueck. "Du, ich hab auch getanzt", rief sie freudestrahlend und stolz. "Du? Dummes Goer! Toef, dat vertell ik Vadder", schalt die Mutter. Die Kleine wurde etwas bestuerzt. "Es war man bloss Beuthien", suchte sie sich zu entschuldigen. "Ich wollte erst gar nich, aber er zog mich hinein". Lulu wurde blutrot. Diese Krabbe hatte mit ihm getanzt. "Wie gemein", sagte sie naseruempfend. "Ach Du", warf ihr die Kleine veraechtlich ueber die Schulter zu. "Dass Du mich nu hier bleibst", ermahnte die Mutter, der Nachbarn wegen, die am naechsten Tische aufmerksam geworden waren, hochdeutsch sprechend. "Geh mich nich wieder weg, das sag ich Dich", verspottete halblaut ein geschniegelter Kaufmannslehrling mit hellblauer Krawatte die scheltende Frau. Lulu, die es hoerte, erroetete. "Papa wird hoffentlich bald kommen, ich finde es unertraeglich hier", sagte sie laut und etwas affektiert, in dem Bestreben zu zeigen, dass man an ihrem Tisch auch ein reines Deutsch sprechen konnte. Aber auch ihre gezierte Sprache fand ein spoettisches Echo an jenem Tisch ungezogener Gruenschnaebel. "Ich gehe nach Hause, ich bekomme Kopfweh hier", klagte Lulu und stand auf. Die Mutter, gewohnt, gegen den Willen der Tochter nichts auszurichten, liess sie gewaehren. Am Ausgang wurde Lulu unsanft bei Seite gedraengt. Jenes huebsche Dienstmaedchen, dem Beuthien in den Saal gefolgt war, hastete an ihr vorueber. "Marie Marie!" rief der Eiligen ein amtsfreier Brieftraeger nach. Aber Marie hoerte nicht. Lulu, entruestet ueber den Stoss, gewahrte, sich umsehend, auch Beuthien, eine Cigarre im Mund, langsam und wie gelangweilt aus dem Saal zurueckkommen. Von neuen Ankoemmlingen am Weiterschreiten gehindert, musste sie ihn herankommen lassen. Sie beruehrten sich im Voruebergehen, aber er sah sie nicht, oder wollte sie nicht sehen. Verstimmt zog sie sich zu Hause auf ihr Zimmer zurueck. Ihre Lampe war nicht gefuellt, und sie liess ihren Aerger an Anna aus. "Dat is Madamm ehr Sak, Se hebben mi nix to seggen," widersprach das Maedchen. "Dummes Ding," fuhr Lulu auf, und eine Ohrfeige brannte auf der Wange der verdutzten Ungehorsamen. Ohne ein Wort zu wagen, erfuellte die Gemassregelte Lulus Befehle. Diese ploetzliche Energie des sonst so gleichmuetigen, phlegmatischen Fraeuleins imponierte ihr so, dass sie verstummte. Nur in der Kueche ballte sie heimlich eine Faust und brach eine ganze Viertelstunde spaeter vor Wut in Thraenen aus. Lulu hatte durch diese gewaltsame Entladung ihres aufgespeicherten Unmutes ihre Gemuetsruhe wieder gewonnen. Sie stand schon lange auf keinen guten Fuss mit der Anna und freute sich, sie einmal "Mores" gelehrt zu haben. Dass die Geschlagene die Zuechtigung so ruhig einsteckte, hatte sie kaum erwartet. Das gab ihr Mut. Von jetzt an wollte sie anders auftreten. Es war ihr, als haette sie sich mit dieser Ohrfeige zugleich an allen anderen Maedchen geraecht, auf die sie erbost war, weil sie Beuthiens Umgang und Freundschaft genossen. Sie lachte einmal im Genuss dieser eingebildeten Rachebefriedigung auf. Am liebsten haette sie der Roten, mit der Beuthien vorhin getanzt, die Ohrfeige versetzt, und der Paula gleichfalls, dem dummen Goer. Sie haette sie knuffen moegen, als sie so wichtig mit ihrem Erlebnis herausplatzte. Anna hatte eigentlich die ihr zugefuegte Schmach mit einer Kuendigung beantworten wollen, besann sich aber mit Ruecksicht auf die gute Stellung, die sie im Behnschen Hause hatte, eines andern. Im Stillen naehrte sie von jetzt an einen gluehenden Hass auf Lulu, der sie so viel als moeglich aus dem Wege ging. Zwei Tage spaeter war Lulu im Laden der Wittfoth zufaellig Zeuge, wie jenes Maedchen, Beuthiens Taenzerin, erzaehlte, dass sie am Mittwoch mit dem jungen Fuhrmannssohn getanzt haette. "Das is aber'n Flotten", schwaermte sie. "De danzt', dat's 'n Staat is". Am Sonntag wolle er wieder tanzen, erzaehlte sie weiter, im Ottensener Park. Leider aber haette ihre Madam grossen Kaffee, und so koenne sie nicht fort. "Und er bat mir doch so herzlich", schloss sie bedauernd. Wie der Blitz kam Lulu der Gedanke: Da ist Gelegenheit. Dort kennt dich niemand. Am Sonntag besuchst Du den Ottensener Park. Sie dachte nach, wie sie diesen abenteuerlichen Plan am leichtesten verwirklichen koennte. Sie war wie besessen von der Idee. Eine in Altona wohnende Freundin fiel ihr ein, die derartigen leichtsinnigen Unternehmungen nicht abhold sein wuerde. Allein getraute sie sich nicht zu gehen. Vielleicht hatte jenes Maedchen, eine Maentelnaeherin in einem grossen Altonaer Konfektionsgeschaeft, irgend einen bekannten jungen Mann, der sie begleitete. Schlimmsten Falles konnte man jenes Lokal auch ohne Herrenbegleitung besuchen. Die Freundin ging sofort auf ihren Vorschlag ein, Feuer und Flamme fuer ein Unternehmen, das pikanteste Unterhaltung versprach. Man verabredete alles schriftlich, und Lulu sah in fieberhafter Aufregung dem Sonntag entgegen. VIII. Paula, die noch immer von der Erinnerung an jenen einen Tanz mit Beuthien zehrte, hatte auf ihrem Schulweg ihren Taenzer getroffen. Er hatte ihr von seinem Bock herab freundlich zugenickt, und sie hatte seinen Gruss kokett erwidert. "Kennst Du den?" fragten drei, vier Stimmen zugleich, und ihre Freundinnen draengten sich neugierig an sie. "Was sollt ich den nich kennen. Ich bin sogar mit ihm zu Tanz gewesen," erzaehlte sie. "Das luegst Du," riefen die andern wie aus einem Munde. "Das ist doch wahr," behauptete Paula. "Fragt ihn doch." Unglaeubig trennte man sich. Paula lechzte seitdem nach einer Wiederholung des wunderschoenen Walzers. Aber wie sollte sie es anstellen? Zum Ausreissen hatte sie schon Mut, aber wenn man sie dort saehe, es ihrem Vater hinterbraechte? Sie suchte mit Beuthien naeher bekannt zu werden. Sie nickte ihm zuerst zu, wo sie ihn sah. Traf sie ihn vor seinem Stall beim Spuelen der Droschken oder bei sonstiger Beschaeftigung, so blieb sie keck stehen und redete ihn an. Das erste Mal hatte er im Scherz mit der tropfenden Buerste nach ihr gespritzt. "Nu haben Sie mir meine reine Schuerze nass gemacht," schalt sie ihn und zog schmollend ab. Aber schon am naechsten Tag dachte sie, ob er mich wohl wieder spritzt, und gesellte sich vorsichtig zu ihm. Eigentlich hatte sie schon jemand, mit dem sie "ging", einen dreizehnjaehrigen Luemmel von Jungen, einen Schueler der Mittelschule. Aber Bernhard Pruessnitz konnte nicht mit ihr zu Tanz gehen. So machte sie sich keine Gewissensbisse daraus, sich neben dem, mit dem sie "ging," noch eines andern zu versichern, mit dem sie "tanzte." Beuthien amuesierte sich ueber das Kind. Heimlich that es ihm auch wohl, dass jemand aus dem Behnschen Hause seine Freundschaft suchte. Er fragte Paula aus und freute sich, wenn die Kleine auf Lulu schalt. "Tanzt Deine Schwester auch," fragte er sie, als sie wieder seinem Reinigungswerk auf der Strasse zusah. "Und ob," war die Antwort. "Sie thut man immer so etepetete, aber die hat's faustdick hinter den Ohren." Er lachte. "Tanzen Sie Mittwoch wieder, Herr Beuthien?" fragte sie nach einer Pause, in der sie mit anscheinend grossem Interesse beobachtete, wie er das linke Hinterrad der Droschke um seine Axe kreisen liess, es waschend und schmierend. "Gewiss, komm man hin, Deern," lachte er, ohne aufzusehen. "Vor Mutter bin ich nich bange," meinte sie, "aber Lulu, das Uetz, passt mir immer auf." "Dann bring sie mit," scherzte er. Lulu war entruestet, als Paula ihr diese Einladung in aller Unschuld ueberbrachte. "Das sag' ich Papa," schalt sie. "Du hast solche Dinge im Kopf?" "Das kannst Du thun," antwortete Paula moeglichst gleichgiltig. "Dann sag' ich Papa, dass Du Anna geschlagen hast." Lulu lachte laut auf. "Zu kindlich." Am Abend fragte sie die Schwester leise, im Voruebergehen: "Paula, ist es wirklich wahr, mit Beuthien?" "Was denn?" "Ach Du weisst ja, was ich meine." "Ich lueg nicht so wie Du." Zu jeder andern Zeit waere Paulas Frechheit nicht ohne Erwiderung geblieben. Diesmal hoerte Lulu sie kaum. Eine halbe Stunde spaeter war es Paula, die im Wohnzimmer leise hinter dem Ruecken der Schwester auf die Sache zurueckkam. "Wenn Du's Vater sagst, hau ich Dich," fluesterte sie. Jetzt haette Lulu gar zu gerne die gehoerige Antwort gegeben, aber um die Mutter nicht aufmerksam zu machen, musste sie auch diese angenehme Eroeffnung stillschweigend entgegennehmen. Im Grunde war Lulu das Treiben der Schwester hoechst gleichgiltig. Ihr jetzt etwas in den Weg zu legen, sie sich zu verfeinden, waere obendrein unklug gewesen. Stand Paula mit Beuthien auf vertrautem Fuss, konnte sie ihr vielleicht noch gute Dienste leisten. Am Sonnabend kam ein Brief der Altonaer Freundin, der Lulu zum Geburtstag einlud und besonders betonte, den Hausschluessel nicht zu vergessen. Man wolle recht vergnuegt sein, und es wuerde voraussichtlich spaet werden. "Dat is doch nett von Lene Kroeger, dat se noch an Di denkt," meinte Mutter Behn. "Se war immer so'n luett anghaenglich Deern. Wat schenkst Du ehr denn?" Lulu entschloss sich zu einem Bouquet und einer Tafel Vanillechocolade, die Lene so sehr liebte, wie sie sagte. IX. Hermann Heineckes Liebe zu Mimi Kruse war erfinderisch in allerlei kleinen Aufmerksamkeiten gegen das huebsche Maedchen, obgleich er sich mit Ruecksicht auf Therese immer noch Zurueckhaltung auferlegte. Sein gutes Herz erlaubte ihm nicht, Mimi mit einem Geschenk, einem Bouquet, einer Rose, oder was der Tag und der Zufall brachte, zu erfreuen und die Cousine leer ausgehen zu lassen. Und selten hatte er ja Gelegenheit, die Geliebte laenger als fuenf Minuten alleine zu sprechen. Nebenbei widerstrebte es seinem Stolz, Heimlichkeiten mit ihr zu haben, sie zu bitten, der Tante und Cousine nichts zu erzaehlen, wenn er ihr eine Blume oder ein Flaeschchen Odeur mitgebracht hatte. So sah er sich genoetigt, alles zweifach und manchmal, um die Tante nicht zurueckzusetzen, dreifach zu spenden, und mit der Erfindungsgabe des Verliebten den fuer Mimi bestimmten Gegenstaenden noch irgend einen kleinen Ueberwert zu verleihen, aus dem sie entnehmen konnte, dass er sie auszeichnen wollte. Nur den Ring, den er ihr gekauft hatte, damit sie den haesslichen gruenen Stein ablegte, hatte er ihr doch heimlich zusenden muessen. Ein solches Wertstueck konnte er ihr unmoeglich oeffentlich ueberreichen, ohne die Kritik der Tante herauszufordern. Diese Heimlichkeit war in seinen Augen entschuldigt. Mimi hatte den Ring mit unverhohlener Ueberraschung und lebhafter Freude entgegen genommen. Er ward zu einem gewichtigen Verbuendeten der goldenen Brille Hermanns. Herr Heinecke war entschieden eine hoechst annehmbare Partie, ein Verehrer, den man warm halten musste. Sie fand ihn schon ansehnlicher, als vor acht Wochen, eigentlich doch gar nicht so uebel. Hermann freute sich der Wirkung des Ringes. Als er damals mit den beiden Maedchen nach dem Konzert soupiert hatte und er in seiner gehobenen Stimmung Theresens Anwesenheit stoerend empfand, war ihm der lebhafte Wunsch gekommen, einmal einen Tag mit Mimi allein zu verbringen. Aber wie sollte er das anfangen. Er durfte sie doch nicht gradezu einladen, sie war doch immer das Ladenmaedchen seiner Tante. Und heimlich? Freilich, das Versteckspielen hat seine Reize. Da kam ihm der Zufall zu Hilfe. Ein verabredeter Sonntagnachmittagsspaziergang nach der Elbschlucht, einem an der Flottbecker Chaussee gelegenen Restaurant mit wundervoller Aussicht auf den Elbstrom, drohte durch Theresens Kopfschmerzen in Frage gestellt zu werden, als die Tante, durch Mimis kindlich zur Schau getragene Trauer geruehrt, antrieb, den Spaziergang doch ohne Therese zu machen. Es war ein herrlicher Maisonntag, als die beiden jungen Leute auf dem Rathausmarkt die Pferdebahn verliessen, um eine Droschke erster Klasse anzurufen. Mimi, entzueckt ueber Hermanns Gentilitaet, strahlte vor Vergnuegen, als sie, bequem in den weichen Fond des sauberen Gefaehrts zurueckgelehnt, wie eine Dame durch die Strassen rollte. Sie sah allerliebst aus. Ihre volle, jugendfrische Bueste kam in dem straff anliegenden schwarzen Jaeckchen, das sich wirkungsvoll von dem schlichten, perlgrauen Kleid abhob, zur schoensten Geltung. Eigenhaendig hatte ihr Hermann eine dunkelrote, halberschlossene Rose ins Knopfloch gesteckt. Ein leichtes Strohhuetchen, nur mit weissen, duftigen Spitzen garniert, stand ihrem frischen lachenden Gesicht vortrefflich. Hermann, der auch seine kleinen Schwaechen besass, hatte Mimis Vorliebe fuer das Pincenez das Opfer gebracht, sich ein solches zuzulegen, und war nun alle paar Minuten beschaeftigt, den ungewohnten Nasenreiter mit seinen bismarckfarbenen Haenden--er trug mit Vorliebe diese Modehandschuhe--wieder in den Sattel zu setzen. Uebrigens verlieh diese Gesichtszierde ihm ein vornehmeres Aussehen, und die Wenigsten suchten gewiss in diesem distinguierten Paar einen Volksschullehrer und eine Ladenmamsell. Unterwegs entschloss man sich, die Fahrt, die beiden viel Vergnuegen bereitete, etwas weiter auszudehnen, und befahl dem Kutscher, nach dem eine halbe Stunde weiter elbabwaerts gelegenen Parkhotel zu fahren. Von da wollte man mit einem der kleinen Elbdampfer nach Hamburg zurueckkehren und den Tag in irgend einem Konzertgarten beschliessen. Aber ein Blick in den Vergnuegungsanzeiger, der im Hotel auslag, hatte Mimis Tanzleidenschaft angeregt, und in guter Laune beschlossen sie, auf Hermanns Vorschlag, dem naechstgelegenen Tanzlokal, dem Ottensener Park, einen Besuch abzustatten, wo man sich so gut wie fremd fuehlen und ohne Furcht gesehen zu werden, der hoechste Vorteil einer grossen Stadt, unter die Taenzer mischen durfte. Arm in Arm gingen sie einen einsamen Seitenweg durch die Felder; der Umweg war ihnen willkommen. Es war schon daemmerig. Lange Strecken gingen sie zwischen Hecken und Knicks, oder auf schmalen Fusssteigen an Wiesenraendern, ohne einen Menschen zu treffen. Mimi war sehr aufgeraeumt. Die genossene Chartreuse that ihre Wirkung. Man alberte mit einander, suchte sich in die kleinen wasserlosen Graeben zu draengen, kitzelte sich mit langhalmigen Graesern unter die Nase und trieb allerlei Kindereien. Mimi war selten so animiert gewesen. Alles erschien ihr in rosigem Licht heute, auch Hermann. Er kam ihr fast huebsch vor. Ihre Gedanken nahmen in der Einsamkeit der Felder mit einem Mal eine eigentuemliche Richtung an, und sie erschrak mitten unter ihren Narrheiten. Gab es eine passendere Gelegenheit fuer ihn, sich auszusprechen? Forderte ihn nicht alles dazu auf? Ob ihm gar keine derartigen Gedanken kommen wuerden? Sie ward stiller und ging nicht mehr auf seine Neckereien ein. Einige Minuten gingen sie schweigend weiter, sie vorauvorausdurch die Enge des Weges genoetigt, hinter ihr. "Sehen Sie, die bluehen schon," rief sie ploetzlich, stehen bleibend, und zeigte auf einen schwankenden, ueberhaengenden Weissdornzweig, an dem die ersten Knospen sich erschlossen hatten. Er wollte ihr den Zweig brechen, aber sie erhob sich auf den Zehen und streckte, den Sonnenschirm fallen lassend, beide Arme danach aus. Da sie vor ihm stand, musste er sie gewaehren lassen. Aber sie muehte sich vergeblich, und er griff ueber ihre Schulter weg gleichfalls nach dem Zweig. Wie sie so aneinandergedraengt standen, alles an ihrem schlanken, jugendkraeftigen Koerper straff gespannt, fasste es ihn mit Gewalt. Er umfing sie und drueckte der erschrocken Aufkreischenden einen heftigen Kuss auf den Mund. Hatte sie auch an etwas derartiges vorhin mit halbem Wunsche gedacht, und in ihrer Chartreusestimmung eine romanhafte Entwicklung dieses Spazierganges nicht ungern gesehen, so fuehlte sie sich doch bei dieser unerwarteten Beruehrung ploetzlich ernuechtert. Sein heisser Atem, die feuchte Waerme seiner breiten, schwuelen Lippen floessten ihr Widerwillen ein. Der Bier- und Cigarrendunst aus seinem Munde erregte ihr Ekel. Scham, Zorn und Bestuerzung liessen sie anfangs auf Sekunden verstummen. Wortlos ordnete sie ihre verschobenen Kleider. Aber der Unmut auf ihrem Gesicht, das sich in jaehem Wechsel zwischen rot und weiss verfaerbte, zeigte ihm deutlich, dass er zu kuehn gewesen war. Betreten suchte er durch einen flauen Scherz ueber die Verlegenheit hinweg zu kommen. "Das lassen Sie aber bitte nach," sagte sie nach einer kurzen, peinlichen Pause. "Dann kehre ich sofort um". "Aber Fraeulein, Sie werden doch nicht", zweifelte er. "Ganz gewiss", beteuerte sie. Sie empfand schon Mitleid mit ihm. Er sah gar zu bestuerzt aus. "Wenn Leute kommen. Hier auf offenem Felde", lenkte sie ein. "O, das hat niemand gesehen", meinte er, gluecklich, sie ihre gute Laune wieder gewinnen zu sehen. "Sind Sie mir boese"? fragte er, sich ihr naehernd. "Ja". Trotzig trat sie einen Schritt hinter ihn, als fuerchte sie eine neue Umarmung. Der Bierdunst seines Atems hatte sie wieder gestreift. Nun wurde auch Hermann aergerlich. Hatte sie sich nicht frei und ausgelassen genug benommen, dass er auch seinerseits sich wohl vergessen konnte? "Wenn es Ihnen lieber ist, Fraeulein Kruse", sagte er verletzt, "so bringe ich Sie bis zur naechsten Pferdebahn. Es thut mir leid, wir waren so vergnuegt, und ich bitte Sie um Verzeihung". Sie wurde ganz rot. Was fiel ihm denn ein? Das hatte sie nicht erwartet. Er haette freilich den Kuss unterwegs lassen koennen, aber so tragisch war doch die Geschichte nicht. Oder sollte er selbst vielleicht genug von der Partie haben und die Gelegenheit benutzen wollen, sich ihrer fuer den Rest des Abends zu entledigen? "O, ich finde die Pferdebahn auch alleine", gab sie ihm schnippisch zur Antwort. "Wenn Sie es vorziehen, bitte". Er gab ihr den Weg frei und lueftete den Hut. Sie zoegerte und bohrte die Spitze ihres weissen Spitzenschirmes in den tiefen weichen Sand. "Sie sind abscheulich!" stiess sie ploetzlich hervor. Sie zog die Unterlippe unter die Oberlippe, und Thraenen standen ihr in den Augen. Sofort war er geruehrt. "Aber liebes Fraeulein, machen Sie doch keinen Unsinn. Kommen Sie." Er legte ihren Arm mit sanftem Zwang in den seinen und zog sie mit sich. Zum Schein sich straeubend, mit der behandschuhten Rechten eine grosse Thraene von der linken Backe wischend, folgte sie ihm. Sie schaemte sich, und ein noch halb mit dem Weinen kaempfendes Lachen foerderte einen drolligen, hellen, glucksenden Ton zum Vorschein. Dieser komische Laut gab Anlass zu erneutem Lachen, und der Friede war geschlossen. Sie haette sich jetzt noch einmal von ihm kuessen lassen, aber er ging sittsam neben ihr her. Der Umweg erwies sich groesser, als Hermann ihn geschaetzt hatte, und es herrschte voelliges Dunkel, als man aus den Feldern heraus in den bebauten Weg einbog, der nach dem erwaehnten Tanzlokal fuehrte. Die Strassenlaternen brannten schon, und auch der nun sichtbar werdende Garten, das Ziel der Wanderung, erstrahlte im Licht seiner vielen Lampen. X. Der Ottensener Park war ein altes Etablissement. Frueher bei den kleinen Buergersleuten, namentlich der Nachbarstadt Altona, als Konzertgarten sehr beliebt, hatte er in den letzten Jahren eine kleine Wandlung durchgemacht und erfreute sich jetzt vornehmlich des Zuspruchs der jungen tanzlustigen Welt. Selbst aus Hamburg kamen die jungen "Herren", Kommis, Hausknechte und Gesellen hierher. Das "Damenpublikum" bestand zum groessten Teil aus Naeherinnen, Schneiderinnen, Dienstmaedchen und Fabrikarbeiterinnen. Hin und wieder mochten auch unlautere Elemente sich hierher verirren, die sonst in St. Pauli, der froehlichen Vorstadt Hamburgs, ein ergiebigeres Feld fuer ihre Thaetigkeit fanden. Hermann und Mimi eilten durch den kiesbestreuten Garten. Zahlreiche unter lichtdaempfenden Milchglaskuppeln brennende Flammen erleuchteten ihn, gereichten ihm aber, teils kandelaberartig von gruen angestrichenen Pfaehlen getragen, teils wie Lampions auf von Pfahl zu Pfahl laufenden Drahtboegen aneinandergereiht, keineswegs zur Zierde. In dem kleinen gleichfalls mit dem geschmacklosen gruenen Anstrich versehenen Orchesterpavillon trug eine Kapelle populaere Musikstuecke vor. Die scharfen Rhythmen des Wiener Gigerlmarsches und der Glanz der vielen, von dem dunklen Hintergrund des Busch- und Laubwerks sich abhebenden Lampen versetzten die beiden vom Wege etwas ermuedeten Ankoemmlinge sofort in einen eigenartigen, nervenprickelnden Rausch. Die gedaempften Klaenge eines zweiten Orchesters lockten sie in den Saal. Es war voll drin, und sie mussten eine Weile stehen, bis sie an einem Seitentisch Platz fanden. Die Hitze zwang auch sie, Hut und Ueberkleider in der Garderobe abzugeben. Hermann und Mimi waren beide keine Neulinge mehr auf einem solchen Tanzboden. So bewegten sie sich denn ungeniert zwischen den tanzlustigen Paaren. Als sie nach dem ersten Walzer sich dem Rundgang durch den Saal anschlossen, gewahrte Hermann Lulu Behn an dem Arm eines kleinen schmaechtigen Taenzers mit sehr pomadesatter, glattgescheitelter Frisur. Er war erstaunt. "Ist das nicht die von drueben?" fragte er Mimi. Sie folgte seinem Blick. "Wirklich, Lulu Behn! Nein, sag einer, wie kommt die hierher?" "Ja, wie kommen wir hierher?" lachte Hermann. "Aber die"?, meinte Mimi. Sie sah Lulu in diesem Augenblick einer langen, hageren Bruenette, die unter den Zuschauern stand, einen resignierten Blick zuwerfen und leicht die Achseln zucken, worauf ein breites, spoettisches Grinsen das sinnliche gutmuetige Gesicht der anderen keineswegs verschoente. "Das wird interessant", meinte Hermann. Bald hatte auch Lulu Mimi entdeckt und ihr mit erstaunt in die Hoehe gezogenen Brauen einen verwunderten Blick zugeworfen, dem sie sofort ein verstaendnisvolles Laecheln folgen liess. Dann machte sie sich aus dem Arm ihrer Freundin los, mit der sie die letzte Polka getanzt hatte, und eilte auf Mimi zu. "Um Gotteswillen, Fraeulein, erzaehlen Sie nichts," bat sie aengstlich. "Mein Vater schlaegt mich tot." "Sein Sie ohne Sorge", troestete Mimi. "Eine Kraehe hackt der anderen die Augen nicht aus". Dumme Person, dachte Lulu, sagte aber aufatmend: "Das meine ich auch. Schoene Seelen finden sich". "Die Hitze aber, was"? setzte sie, sich Kuehlung faechelnd, hinzu und entfernte sich mit einem leichten, vertraulichen Nicken. Ein semmelblonder, ueberhoeflicher Kommis oder Barbiergehilfe bat in singendem, saechselndem Dialekt Mimi um die Ehre eines Tanzes, und Hermann musste wohl oder uebel ebenso hoeflich gewaehren. Da Lulu ohne Taenzer geblieben war, engagierte er sie zu diesem Walzer. Sie war hoechst erfreut. Hatten sie erst mit einander getanzt, brauchte sie keinen Verrat mehr zu befuerchten. Hermann, selbst ein guter Taenzer, hatte selten eine so gute Taenzerin gefunden. Er hatte ihr diese Leichtigkeit nicht zugetraut. Mimi tanzte auch vortrefflich, aber etwas lebhaft, ungeduldig. Dieses sanfte, anstrengungslose Wiegen und Drehen mit Lulu gefiel ihm, wie sie selbst auch. Sie sah vorteilhaft aus und wusste sich lebhaft und zwanglos zu unterhalten. Nur ihr hastiges, unstetes Umhersuchen mit den Augen fiel ihm sonderbar auf. "Suchen Sie jemand, Fraeulein", fragte er. "Nein. Ich? Warum? Meine Freundin", stotterte sie. Einen Augenblick vergass Hermann ueber Lulu Mimi und den Semmelblonden, bis sie beim Anschliessen vor ihm zu stehen kamen und er sich ueber die singenden Komplimente des Sachsen aergerte, um so mehr, als Mimi in heiterster Laune auf das fade Geschwaetz einging. Seine Eifersucht erwachte, und er verstummte Lulu gegenueber, die befremdet diese Veraenderung bemerkte. Auf einmal ging ein Fluestern durch die Reihen, und neugierig wandte sich hier und da ein Maedchenkopf nach dem Eingang des Saales. "Der schoene Wilhelm", ging es halblaut von Mund zu Mund. "Wer?" wandte sich Hermann an seine Taenzerin. Lulu war ganz blass geworden und schien seine Frage ueberhoert zu haben. Mimi aber wandte sich laechelnd um. "Kennen Sie den nicht?" fragte sie das Paar. "Nein, wer ist das?" fragte Hermann zurueck. "Der schoene Wilhelm, Wilhelm Beuthien, unser Beuthien, den kennen Sie doch. Sehen Sie, da steht er ja", gab Mimi Auskunft. Sie zeigte ungeniert mit der Hand nach dem Pfeiler in der Naehe des Saaleingangs. "Ach", rief Hermann. "Gewiss, das ist also der schoene Wilhelm? Na, jeder nach seinem Gusto. Die Damen muessen's wissen." "Aber sind Sie nicht wohl, Fraeulein?" wandte er sich erschrocken an Lulu. "Bitte, nein, es ist nichts. Die Hitze", stammelte sie, ihr Taschentuch wie zur Kuehlung vor das Gesicht haltend. "Wollen Sie mich entschuldigen, Herr Heinecke?" Sie hatte seinen Arm fahren lassen. "Da steht meine Freundin schon", rief sie, und ehe Hermann etwas erwidern konnte, hatte sie sich einen Weg zu jener gebahnt. "Lass man, Caesar, das giebt sich", witzelte der Semmelblonde. "Wird wohl wieder werden." Wilhelm Beuthien hatte von seinem etwas erhoehten Standpunkt aus sofort Lulu Behn bemerkt und auch ihr Erblassen, als ihre Blicke sich trafen. Das grenzenlose Erstaunen, sie hier zu treffen, wich bald der geheimen Freude, der Erfuellung seines lange gehegten Wunsches so unerwartet nahe zu sein. Ob sie mit der Ladenmamsell von der Ecke gekommen war? Sonderbar. Oder---- Ein ueberlegenes Laecheln flog ueber sein huebsches Gesicht. Die vielen begehrlichen Maedchenblicke unbeachtet lassend, suchte er, ohne seinen Platz zu veraendern, Lulu mit den Augen. Er hatte sie bald wiedergefunden. In einer Ecke des Saales stand sie in eifrigem Gespraech mit der Freundin. Kurz entschlossen ging er auf die beiden Maedchen zu, liess Lulu fast unbeachtet und forderte Lene Kroeger zum Walzer auf. Lulu biss sich auf die Lippe und trat einen Schritt zurueck. Sie war kreideweiss geworden und zitterte. Es war ein Stuhl in der Naehe, und sie war froh, sich setzen zu koennen. Lene Kroeger hatte mit einem jungfraeulichen Erroeten Beuthiens Arm genommen, vergebens bemueht, zu verbergen, wie sehr sie sich durch diese unerwartete Aufforderung geschmeichelt fuehlte. Mit zusammengekniffenen Lippen und wutfunkelnden Augen verfolgte Lulu die beiden. Lene Kroeger galt frueher fuer die beste Taenzerin in diesen Kreisen, eine Schwester von ihr war sogar Solotaenzerin beim Ballett der Zentralhalle. Lene tanzte auch jetzt noch gut. Wie grazioes die hagere, eckige Person sich zu wiegen verstand. Lulu kochte vor Eifersucht und Zorn. Die Schmach! Beuthien schien kein Ende finden zu koennen. Und wie die Lene lachte. Er sprach in einem fort mit ihr. Endlich verstummte die Musik, und die beiden kamen zurueck. Mit einer kurzen, nachlaessigen Verbeugung und einer schlenkernden Armbewegung schleuderte Beuthien das lange Maedchen foermlich auf seinen Sitz zurueck. "Der tanzt aber", stiess Lene hochatmend hervor und faechelte sich mit dem Taschentuch Kuehlung zu. Lulu war dem Weinen nahe. Muehsam bezwang sie sich. "Das find ich gemein von Dir", zischte sie. "Na nu, was kann ich denn dafuer?" fragte Lene unschuldig. Lulu schwieg. "Kind, sei doch nicht puetscherig", lachte die gutmuetige Bruenette. "Er wagte sich nur nich ran." Das log sie allerdings, und Lulu brummte: "Unsinn." "Er kommt noch, pass auf", behauptete Lene. "Er fragte mich, ob Du gut tanztest." "Und was sagtest Du?" fiel ihr die Gekraenkte hastig ins Wort. "Wie Etelka vom Ballett", scherzte die andere. "Aber siehst Du? Er sucht Dich schon". Die Musik setzte wieder ein und spielte einen Rheinlaender. "Mein Gott, was ist das? Rheinlaender?" fragte Lulu bestuerzt. "Den kann ich nicht." "Ach was, wag's nur. Wenn er ihn nur kann", meinte Lene. Und da war er auch schon. "Mein Fraeulein." Mit einem leisen Anflug von Spott und einem zweifelnd fragenden Blick pflanzte sich Beuthien mit lautem Hackenschlag fast militaerisch vor Lulu auf. Einen Augenblick kam ihr der Gedanke, ihm einen Korb zu geben. Was fiel ihr ein? Mit einer stummen Verbeugung nahm sie seinen Arm. Ihr schwindelte. Das Blut stroemte ihr gewaltsam durch den Kopf. Sie hoerte kaum die Musik. Zum Glueck trat er nicht gleich mit ihr zum Tanz an, sondern schloss sich den promenierenden Paaren an. "Auch'n bischen hier, Fraeulein", begann er die Unterhaltung. "Wie kommt denn das?" "Ja, es machte sich so. Meine Freundin", sagte sie stockend. "Nettes Maedchen", lobte er. "Rank und schlank. Schroeder heisst sie?" "Kroeger", berichtigte sie. Die Reihe war an ihnen, und sie tanzten. Beuthien tanzte Walzer nach dem Rhythmus des Rheinlaenders, und sie ueberliess sich aufatmend seiner Fuehrung. "Wie 'ne Feder", schmeichelte er ihr waehrend des Tanzes. "Meinen Sie?" Er hob sie statt einer Antwort mit kraeftigen Schwunge vom Boden, so dass sie einige Sekunden frei in seinen Armen schwebte. Beim zweiten Mal, es schien ihm Vergnuegen zu machen, schrie sie leise auf. "Nicht, nicht", keuchte sie. Er schwenkte sie jedoch ein drittes Mal, so dass sie die Zaehne zusammenbiss. "Hoch geht's hier her, Fraeulein. Das ist mal nicht anders." Sie lachte. Ein nie gekanntes Wohlgefuehl kaempfte ihre Scham nieder. "Wenn der Alte das wuesste", aengstigte er sie. "Um Gottes Willen", fluesterte sie, als staenden Aufpasser hinter ihnen. "Der Segen", meinte er bezeichnend. So kamen sie auf ihre Familie zu sprechen. Er liess Lulu nicht von sich und tanzte auch den folgenden Tanz mit ihr. Sie, uebergluecklich, doch ihren Zweck erreicht zu haben, ward immer gespraechiger und munterer. Sie liess sich von ihm mit Bier traktieren, er lud auch ihre Freundin ein, Jugenderinnerungen kamen zur Sprache, und eine gemuetliche Vertraulichkeit stellte sich ein. "Da liegt der Hund begraben", meinte Mimi, als sie mit Hermann an dem Tisch vorueber ging, wo die Drei sich guetlich thaten. "Sollte sie wirklich?" fragte Hermann. "Eine Verabredung?" "Gewiss", versicherte Mimi. "Die ist nicht so fromm, als sie aussieht. Ich kenne meine Pappenheimer." Im Grunde kannte sie ihre Pappenheimer nur sehr oberflaechlich und war nicht weniger als Hermann erstaunt, Lulu Behn mit dem jungen Droschkenkutscher in solcher Intimitaet auf dem Tanzboden zu treffen, denn die Jugendbekanntschaft der beiden war ihr fremd. Mimi, neben Lulu die "vornehmste" Erscheinung unter allen "Damen", war viel begehrt und konnte nicht genug vom Tanzen bekommen. Immer bat sie, nur einen Walzer noch, und Hermann musste nachgeben. Er selbst fand nicht ganz seine Rechnung bei diesem Vergnuegen. Es wollte ihm nicht recht wohl werden unter den "Hausknechten" und "Haeringsbaendigern". Und dann plagte ihn die Eifersucht, und er war chokiert, dass Mimi an solchen "Herren" ueberhaupt Gefallen fand und sie auf gleiche Stufe mit ihm stellte. Je ausgelassener Mimi wurde, je reizender sah sie aus. Es war ein Feuer in dem Maedchen, das ihn ueberraschte. Seine Leidenschaft haette Kuss auf Kuss gewagt, wenn er in diesem Augenblick mit ihr jenen einsamen Feldweg gegangen waere. Einen Handkuss hatte er waehrend eines Walzers sich erlaubt, und er war ihm ungestraft durchgelassen worden. Wenn er doch nur eine Stunde mit ihr allein sein konnte. Aber sie war ja nicht aus dem Saal fort zu bringen. Welche Tanzwut! Endlich hatte er sie zum Gehen ueberredet. Als er ihr in der Garderobe behilflich war, kostete es ihm Muehe, sich in Gegenwart der Garderobenfrau zu beherrschen, so berauschte ihn ihre Naehe und das Veilchenparfuem, das ihrem schwarzen Jaeckchen entstroemte. "Wir nehmen eine Droschke", entschied er. "Unsinn", protestierte sie. "Die haben Sie nicht unter zehn Mark." "Einerlei," beharrte er. Sollte er jetzt steif neben ihr in der Pferdebahn sitzen, wo jede Fiber in ihm nach einer Wiederholung der Heldenthat vom Feldweg draengte? Er wollte sich aussprechen, noch heute. Er griff in die Tasche, um das Garderobegeld zu entrichten. Was war das? Er suchte in allen Taschen, sein Portemonnaie war fort. Mimi sah ihm erschrocken zu. Er stuerzte in den Saal zurueck und kam blass und verstoert wieder. Das Portemonnaie war verschwunden. Es enthielt ein Zwanzigmarkstueck und einiges Silbergeld, fuenf bis sechs Mark, wie er schaetzte. Die Kellner liefen zusammen, der Wirt kam. Man zuckte mit den Achseln, bedauerte, aber was sollte man dabei machen? Es blieb nichts uebrig, als sich vorlaeufig in den Verlust zu fuegen. Nun musste man schon mit der Pferdebahn vorlieb nehmen. Aber, es fiel Hermann jetzt erst ein, er hatte ja auch dafuer keinem Pfennig. "Haben Sie Geld bei sich, Fraeulein?" fragte er zoegernd. Sie erroetete heftig. "Zwanzig Pfennige", lachte sie verlegen. Einen Augenblick war man ratlos, bis Mimi zaudernd Lulus Namen nannte. Was half es, man musste es versuchen. Unmoeglich konnte man den weiten Weg von Ottensen nach Hause in der Nacht zu Fuss gehen. Lulu war erfreut ueber diese neue Gelegenheit, sich die beiden zu verpflichten. Sie begann den Fahrpreis in Zehnpfennigstuecken abzuzaehlen. "Lassen Sie doch den Pfennigkram", schalt Beuthien, zog sein Portemonnaie und wog es protzig in der Linken. "Bitte nehmen Sie", draengte er Hermann ein Zehnmarkstueck auf. "Wir sehen uns ja wieder." Ungern nahm Hermann gerade von Beuthien diese Gefaelligkeit an, aber um nicht unartig zu sein, weigerte er sich nicht lange. Das war ein unerfreulicher Schluss des Tages. Es war keine Aussicht vorhanden, das Verlorene oder Gestohlene wieder zu erlangen. Das Vergnuegen war ihm teuer geworden. Der Ring, den er Mimi geschenkt hatte, stand auch schon auf dem Conto dieses Monats, nun noch dieser Verlust, da hiess es, bis zum naechsten Ersten sich sehr einschraenken. Es ging so schon bis hart an die Grenze seiner pekuniaeren Kraefte, seine Liebe kostete ihm viel. Mimi wurde in der Pferdebahn muede und gaehnte ein paar mal herzhaft. Hermann konnte nicht ueber seinen Verlust hinweg kommen. Beinahe bereute er diese Extravaganz, wie er jetzt gesonnen war, seinen Ausflug mit Mimi zu nennen. Er war mit einmal sehr ernuechtert, und Mimi kam ihm, wie sie sich schlaefrig in die Ecke des Wagens drueckte, sehr unvorteilhaft vor. Doch als sie sich trennten, und sie mit aufrichtigem Herzenston ihren Dank fuer den "wunderschoenen" Tag sagte, schlugen die alten Flammen wieder auf. Ach was, dachte er. Es war doch schoen. Der Kuss zwischen den Hecken fiel ihm ein. "Zum Lohn," bat er und legte seine Hand auf die ihre, die bereits den Griff der Ladenthuer beruehrte, die er ihr dienstwillig aufgeschlossen hatte. Eine Sekunde sah sie ihn verstaendnislos an. Er umfasste sie, und halb muede, halb in gutherziger Aufwallung, liess sie es geschehen, dass er sie kuesste. XI. Einige Tage nach diesem "himmlischen" Ausgehsonntag Mimis war Herr Emil Pohlenz, von der Firma Mueller und Lenze, ohne Probenkoffer, im Gesellschaftsanzug, mit hellen Glaces und modernstem Cylinder in einer Droschke vorgefahren und hatte um die Hand der Frau Caroline Wittfoth angehalten. Unter gegenseitiger Verlegenheit, die hinter Raeuspern und Fussscharren einen Versteck suchte, hatte man sich den schmalen Korridor entlang bis ins gute Hinterzimmer komplimentiert. Der grosse, altvaeterische Kleiderschrank, der diesen Gang noch beengte, hatte es auf dem Gewissen, dass der etwas kurzsichtige Herr Pohlenz im Eifer der Hoeflichkeit die Wand streifte und mit einem weissen Aermel die "gute" Stube erreichte. Das hatte willkommenen Anlass gegeben, im Verlauf der Reinigungsbemuehungen die beiderseitige Verlegenheit zu ueberwinden. Auf der Kante des verblichenen gelbbraunen Rips-Sessels balancierend, mit schmachtendem Blick ueber das goldene Pincenez hinweg, hatte dann Herr Pohlenz der Witwe sein Herz zu Fuessen gelegt, "nach reiflicher Ueberlegung und mit der festen Ueberzeugung, dass sie zusammen gluecklich werden wuerden". Frau Caroline hatte ihrerseits kein Hehl daraus gemacht, dass sie in ihrem fuenfjaehrigen Witwenstand noch keineswegs die Vorzuege der Ehe zu schaetzen verlernt hatte, und liess durchblicken, dass die gebotene Gelegenheit zur Rueckkehr in den verlassenen Hafen ihr einer Beachtung nicht unwert erschien. Herrn Pohlenzens kaufmaennische Tuechtigkeit wuerde unbedingt das Geschaeft ungeahntem Glanz entgegenfuehren, das Kapital von sechstausend Mark, das er mitbraechte, waere nicht zu verachten, und was "das Uebrige" anbelangte, so fuehle sie sich ungemein geschmeichelt und waere ueberzeugt, dass gegenseitige Achtung und Ruecksichtnahme das erhoffte Glueck verbuergen wuerden. Herr Pohlenz stellte seine Achtung, seine ganz besondere Hochachtung ueber allen Zweifel, und "Ruecksichtnahme, mein Gott, Ruecksichten muessten wir ja alle nehmen. Wie sollte sonst die Welt bestehen". Nachdem man noch eine Viertelstunde ueber das Glueck der Ehe im allgemeinen und die Vorteile einer Verbindung Wittfoth und Pohlenz im besondern mehr oder weniger sentimentale Betrachtungen angestellt hatte, musste Frau Caroline doch bitten, sie nicht schon heute zu diesem inhaltsschweren Schritt zu draengen. Acht Wochen Bedenkzeit moege er ihr gestatten, dann wolle sie sich endgiltig entscheiden, und, wie gesagt, sie wisse die Ehre zu schaetzen. Herr Pohlenz wollte durchaus nicht draengen. Acht Wochen waere zwar eine lange Zeit, "wenn es sich um das Glueck eines Lebens handelt". Hierbei unterzog er seinen Cylinder von allen Seiten einer so genauen Besichtigung, als ueberlegte er, ob derselbe auch diese Pruefungszeit ueberstehen wuerde. Aber es sei auch sein Grundsatz, betonte er, nichts ohne reifliche Ueberlegung zu thun. Kopf und Herz seien ihm immer, so zu sagen, wie Mann und Frau vorgekommen, und der Mann waere denn doch immer "derjenige, welcher". Diese Bemerkung, so geistreich sie in seinen Augen auch war, war doch immerhin fuer einen Freier etwas ungeschickt, und er suchte den Eindruck durch einen kurzen Verlegenheitshusten zu verwischen. Frau Caroline bestellte noch, es fiel ihr gerade ein, "an alles muss man selbst denken", ein Gros Perlmutterknoepfe, kleinste Nummer. Dann trennte man sich, nachdem Herr Pohlenz noch einige andere Muster ohne Erfolg angestellt hatte, mit verbindlichem Haendedruck. Der vertroestete Freier hatte noch nicht den Schlag seiner Droschke geoeffnet, als auch schon Frau Caroline hinter seinem Ruecken ihre Rechte heftig an den Falten ihres Wollkleides scheuerte. In diese kalte, feuchte Hand sollte sie die ihre legen, fuer immer? Jedenfalls wuerde sie sich das in den acht Wochen noch gruendlich ueberlegen. Die beiden Maedchen, die schon lange ueber Herrn Pohlenzens spekulatives Herz so gut im Klaren waren wie die teilnahmsvolle Nachbarschaft, hatten keinen Augenblick Zweifel darueber gehegt, welche geschaeftlichen Angelegenheiten die Tante und Prinzipalin mit dem Stadtreisenden von Mueller und Lenze in der Staatsstube zu verhandeln hatte. Mimi wollte sich "tot" lachen, als die Wittfoth auf die fragenden Blicke der Maedchen mit einem nicht misszuverstehenden Laecheln deren Vermutungen betaetigte. "Frau Pohlenz, gratuliere", rief sie, sich schuettelnd vor Heiterkeit. Sie durfte sich diese Keckheit schon herausnehmen, da sie wusste, wie die Wittfoth ueber ihren Verehrer dachte. Sie fand es zu "gediegen": Dieser Knirps, dieser Pomadenhengst. "Wenn ich ihn nur nicht haben sollte", meinte sie. "Na, na!" neckte Therese. "Den? nicht vergoldet", beteuerte Mimi. Therese zweifelte im Ernst nicht an Mimis Abneigung gegen Pohlenz, wusste sie nun doch zur Genuege, dass zwischen Hermann und Mimi ein ernsteres Verhaeltnis bestand, als sie sich bisher eingestehen wollte. Der Verkehr der beiden hatte nach jenem, fuer Hermann so "teueren" Sonntag die bisherige Unbefangenheit verloren. Es bedurfte nicht der Augen einer Eifersuechtigen, um das zu bemerken. Auch die Tante war hellsichtig genug und hatte nicht nur Therese gegenueber Andeutungen gemacht, sondern auch ihren Neffen einmal selbst vorgenommen. Hermann, der in der Seligkeit, in die ihn der freiwillig gewaehrte Gutenachtkuss versetzte, seinen Geldverlust schnell verschmerzt hatte, war mit sich und seiner Liebe im Klaren. Mimi oder keine. So hielt er denn auch der Tante gegenueber nicht hinter dem Berg. Es sei seine feste Absicht, sich mit Mimi zu verloben. Ihres Jawortes glaubte er sicher zu sein. Von Michaelis an erfuehre sein Gehalt die planmaessige Aufbesserung um dreihundert Mark. Dann wolle er bei den Eltern des Maedchens werben, bis dahin aber auch Mimi noch nicht vor die Entscheidung stellen. Frau Caroline hatte keine Gruende dagegen, hielt es aber doch fuer ihre Tantenpflicht, vor Uebereilung zu warnen. Eigentlich beruehrte diese Frage sie nicht tiefer, als irgend eine andere. Ihr kam sogar der Gedanke an das Aufsehen, das eine Doppelverlobung verursachen wuerde. Tante und Neffe, Prinzipalin und Gehilfin, vielleicht an einem Tage. Das wuerde etwas fuer die Nachbarn sein. Ja, seit Hermann die feste Absicht ausgesprochen, zu heiraten, hing auch sie ihren Heiratsgedanken noch eifriger nach. Mimi hatte sich nach jenem Tag in Ottensen ueber die Kuesserei geaergert. Sie war hoechst unzufrieden mit sich. Wie sollte sie sich nun Hermann gegenueber benehmen? An und fuer sich war ihr die "dumme Geschichte" sonst nicht so unangenehm. Sie dachte nicht ohne Genugthuung an den Eindruck, den sie auf Hermann gemacht. War Hermann jetzt im Zimmer, in ihrer Naehe, war es ihr immer, als muesste er sie jeden Augenblick umfassen und kuessen. Gewoehnlich suchte sie sich den Ruecken zu decken. Manchmal aber stand sie zitternd, wie unter einem Bann, wenn sie ihn hinter sich wusste, allein mit ihm, und wie ein Wunsch nach verbotenen Fruechten stieg es heiss in ihr auf. Das war nicht ohne Reiz. Aber es war doch auch sehr "genant", Therese und der Prinzipalin gegenueber. Sie waere auch noch eher darueber weg gekommen, wenn er nur die Unbefangenheit besser zu bewahren verstanden haette. Aber das war jetzt alles so peinlich. Oft war er befangen, wie ein Schuljunge, und dann wieder von einer Liebenswuerdigkeit, die sie den andern gegenueber in Verlegenheit setzen musste. Dass er jetzt ihr gehoerte, ganz, dass sie nur die Hand nach ihm auszustrecken brauchte, war ihr ueber jedem Zweifel. Ueber kurz oder lang musste er sich erklaeren. Was dann? Sie war wirklich in einer schwierigen Lage. Das Gefuehl, das sie fuer ihn empfand, unterschied sich in nichts von dem Interesse, das ihr jeder gesunde Mann einfloesste, der heiratsfaehig und im Besitz seiner graden Glieder war. Liebe war das nicht. Ueber die Liebe hatte sie ueberhaupt ihre eigenen Gedanken. Wie hatte sie im vorigen Jahr fuer den braunen, schwarzbaertigen Postsekretaer in der Neustrasse geschwaermt. Und jetzt? Neulich sah sie ihn noch am Arm einer andern, seiner Braut vermutlich. Das Herz war ihr nicht gebrochen. Und der huebsche Oberkellner im "Hirsch" in ihrer Vaterstadt Bergedorf, und der dunkelaeugige, finsterblickende Bahnhofsinspektor, der ihr immer so interessant erschienen war, und zwei oder drei andere. Fuer jeden hatte ihr Herz schneller geschlagen, als fuer Hermann. Ob das Liebe war? Dann war es nichts Bestaendiges, die Liebe, und jedenfalls nichts Unentbehrliches zum Heiraten. Freilich, sie moechte mal so recht verliebt sein, so ordentlich verliebt, wie es in den Buechern steht, und wie es sich Therese immer ausmalt. "Du meine Wonne, Du mein Schmerz." Therese hatte es ihr vorgelesen. Therese las sehr schoen vor, so wie sie auf dem Theater sprechen, mit "schtehn" und "schpielen," und so mit Gefuehl, dass man manchmal wirklich glaubte, sie meinte das alles so, und lese es nicht nur. Aber die Dichter und Romanschreiber uebertreiben immer. Nein, Mimi hielt nicht viel von diesen hohen Gefuehlen. Und das mochte sie auch an Hermann nicht, dass er manchmal so sentimental sprechen konnte, so salbungsvoll, wie ein Pastor auf der Kanzel, was Therese gerade so "reizend" an ihm fand. Aber er war ja Lehrer, und die haben immer so etwas Apartes. Gewohnheit thaete ja viel. Wenn sie erst immer zusammen waeren, fiele ihr das vielleicht nicht mehr so auf. Frau Hauptlehrer Heinecke. Mimi pruefte oft in Gedanken, wie sich das ausnaehme; es schien ihr nicht uebel zu klingen. XII. Inzwischen hatten Lulu Behn und Beuthien aus der Annaeherung auf dem Ottensener Tanzboden Veranlassung zu wachsender Vertraulichkeit genommen. Lulus Angst, ihr Abenteuer moechte durch irgend einen Zufall ihrer Familie verraten werden, wurde bald eingeschlaefert. Lange Nachgedanken und aengstliche Sorgen lagen ueberhaupt nicht in ihrer Natur. Und wie viel groessere Heimlichkeiten hatte sie jetzt zu bewahren. Beuthien bereitete es eine prickelnde Genugtuung, die Jugendfreundin, das Pensionsfraeulein, die vornehme Hausbesitzerstochter, zu sich herab zu ziehen. Aber auch ihre Person liess ihn nicht kalt. War er auch nicht verliebt, so war sie ihm doch eine willkommene Abwechselung, einmal etwas anderes und besseres als Stine und Mine. Und im Hintergrund stand bei ihm auch die Ueberlegung; wer weiss, wie es kommt. Zuletzt war sie doch immer keine schlechte Partie. Freilich, es war hoechst unwahrscheinlich, dass der alte Behn sie ihm jemals geben wuerde. Doch er dachte ja auch nicht eigentlich ans Heiraten, ging nicht darauf aus. Lulu aber war ganz Leidenschaft. Mit geschlossenen Augen folgte sie ihrer Neigung fuer den ehemaligen Spielkameraden. Es war, als ob ihre gewoehnliche Natur sich fuer die Verbildung, fuer die aufgedrungene Ueberfeinerung raechen wollte. Leichter, als die erste Wiederannaeherung, war die Fortsetzung des Verkehrs zwischen den beiden. Lulu, unbeschraenkt in ihrem Thun und Lassen, Herrin ihrer Zeit, konnte den Geliebten treffen, wann und wo er bestimmte. Traf sie ihn unterwegs, und seine Droschke war unbesetzt, so stieg sie ein, und er fuhr sie auf Umwegen spazieren. Dehnte sich die Fahrt zu lange aus, so dass er ueber die Zeit seinem Vater Rechenschaft ablegen und den Fuhrlohn abliefern musste, so konnte sie unbedenklich von ihrem nicht kaerglich bemessenen Taschengelde opfern. So ermoeglichten sie, da auch er in noetigen Faellen nicht mit dem Gelde zurueckhielt, gelegentlich weitere Ausfahrten, wo sie zwischen der aristokratischen Abgeschiedenheit parkumgebener Villen, oder auf einsamen Landstrassen in schon laendlicher Gegend sich sicher fuehlten. Lulus ruhige, traege Natur kam ihr zu Hilfe bei der Aufgabe, zu Hause jeden Verdacht nieder zu halten. Sie war nicht leicht aus ihrer taeglichen Art und Weise zu bringen. Zu statten kam ihr das Gebot des Arztes, der dem haeufig an Kopfschmerzen leidenden, verwoehnten Maedchen, das sich in den Jahren seiner groessten Entwickelung viel zu wenig Koerperbewegung machte, taegliches, womoeglich mehrstuendiges Spazierengehen empfohlen hatte. So setzten denn die Eltern den lebhafteren Glanz der Augen, die schnellere Beweglichkeit der immer von einer inneren Unruhe geplagten Tochter als wohlthaetige Wirkung auf Rechnung dieser Spaziergaenge, ohne zu ahnen, wie sehr sie, wenn auch im andern Sinne, recht hatten. Schuldbewusst, jeden Anlass zur Entzweiung vermeidend, ward Lulu auch in ihrem Benehmen gegen die Mutter und Paula freundlicher, zuvorkommender, nachgiebiger. Anna, die seit jener thaetlichen Zurechtweisung einen versteckten Krieg gegen Lulu gefuehrt hatte, war ploetzlich entlassen worden. "Wegen unmoralischen Lebenswandels," sagten die Damen der Nachbarschaft. "Se is rinfull'n," hiess es bei den Kolleginnen der Gekuendigten. Die offizielle Behnsche Erklaerung aber lautete. "Sie hat sich mit meiner Tochter nicht vertragen koennen." Minna, die Nachfolgerin, ein kleines unbedeutendes Maedchen vom Lande, kam fuer Lulu nicht in Frage. Ihrer Autoritaet konnte von der Seite kein Angriff drohen. Die Hauptsache fuer sie war, sich die Schwester gut gesinnt zu erhalten. Paulas Vertraulichkeit mit ihrem alten Taenzer hatte keine Abnahme erfahren, zur Belustigung Beuthiens, der an dem Maedchen eine willkommene Handhabe hatte, sich Lulu in allem gefuegiger zu machen. "Ich sag's Paula," drohte er, und aengstlich gab sie nach. Paula, deren ganzes Trachten es war, nur ein einziges Mal wieder tanzen zu koennen, hatte schliesslich Mut gefasst und sich an einem unbewachten Sonntagabend davon gestohlen, ohne Hut und Jacke, um sich auf dem Holsteinischen Baum unter die Zuschauer im Tanzsaal zu mischen, in der Hoffnung, Beuthien dort zu treffen. Diesen hatte sie nun nicht dort gefunden, wohl aber Bernhard Pruessnitz, der mit einem aelteren Bruder, einem Sattlerlehrling, anwesend war. Der Erkennung war eine hastige Begruessung gefolgt. "Ach, tanz mal mit mir," bat Paula. "Kostet das was?" "Ich habe zwanzig Pfennige, hier." Sie steckte ihm das Geld zu, und dann stuerzten sie sich unter die Tanzenden, mit klopfenden Herzen und heissen Wangen. "Du kannst ja nicht," wollte sie ihn anfahren, denn er huepfte wie ein junger Hahn und stiess sie gegen die Knie. Aber sie besann sich. Wenn er sie stehen liess, wer tanzte dann mit ihr? Besser hopsen, als gar nicht tanzen. Gerade wollte sie zum zweiten Mal mit ihm antreten, als sie jemand heftig am Ellbogen zerrte. "Paula, Deern, dat segg ich Din Vadder." Es war Minna, die auf der Suche nach der Vermissten von dem untrueglichen Instinkt einer gleichgestimmten Seele den Fluechtling sofort hier vermutet hatte. Durch Minna, die auf Paulas Bitten und Drohen furchtsam log, was das groessere, ihr ueberlegene Maedchen ihr einschaerfte, kam es nun zwar nicht an den Tag, aber auf irgend eine fuer Paula unbegreifliche und nie aufgeklaerte Weise erfuhr Vater Behn von der heimlichen Belustigung seiner Juengsten, und zwei gewaltige Maulschellen waren die Anerkennung ihres fruehzeitigen Unternehmungsgeistes. Paula, wuetend auf den unbekannten Verraeter, bezichtigte unter zwanzig anderen auch Lulu der Schaendlichkeit, sie "verklatscht" zu haben. Diese, der Paulas Maulschellen einen Vorgeschmack gaben von dem, was ihrer im Entdeckungsfalle warten wuerde, schwur Stein und Bein, unschuldig zu sein, bemitleidete die Schwester und fand die ganze Geschichte ueberhaupt nur halb so schlimm, "aber Papa is ja nu mal so heftig." Mutter Behn wunderte sich, wie gut sich die Kinder jetzt vertrugen. "Se ward ja ok uemmer oeller und verstaenniger", meinte sie. XIII. Beuthien hatte Lulu eines Nachmittags in einer neuangelegten, noch haeuserlosen Strasse in seine Droschke aufgenommen. Es war ein verabredetes Rendezvous, und da Lulus Boerse gerade gut gefuellt war, wollte man laengere Zeit zusammen bleiben. Wie immer, so lange sie durch lebhaftere Strassen fuhren, wo eine unliebsame Begegnung zu befuerchten war, sass Lulu tief zurueckgelehnt in dem Fond der verschlossenen Droschke, verschleiert, und jeden Blick auf die Strasse vermeidend. Erst weiter draussen wagte sie, das Verdeck des Coupees zurueckschlagen zu lassen. Beuthien hatte die Richtung nach Horn genommen. Drueber hinaus, auf einer menschenleeren Feldstrasse stieg Lulu aus und ging, wie sie zu thun pflegte, mit ihm, an seinem Arm haengend, neben dem gemaechlich bummelnden Braunen her. Der Weg erlaubte eine freie Uebersicht. Nahte jemand, war noch immer Zeit genug, sich zu trennen und unbefangen nebeneinander herzugehen, oder in die Droschke zurueckzuschluepfen. Beuthien wusste in der Gegend ein abgelegenes Wirtshaus, wo man wagen durfte, einzukehren. Lulu war zu allem bereit. Es war ein wunderschoener Sommertag. Eine warme, sonnige Luft lag, ohne laestig zu sein, ueber den gruenen, vielversprechenden Saaten. Lulu war sehr heiter. Die stille, wohlthuende Ruhe hier draussen wiegte alle ihre Bedenken ein. Auch Beuthien war aufgeraeumt. Er liess bald ihren Arm fahren und legte vertraulich den seinen um ihre Huefte. Und sie liess sich seine derben Scherze und zeitweiligen Zaertlichkeiten gefallen. Ein kleiner Garten neben jenem Wirtshaus, das den poetischen Namen "Zum einsamen Winkel" trug, enthielt zwei nicht sehr schattige Lauben, die jedoch mit ihren gruenen Holzstaeben und gruengestrichenen Tischen und Baenken etwas Trauliches, Einladendes hatten. Der Wirt, ein ordinaer aussehender, verschmitzt schmunzelnder Patron, brachte zwei Glaeser Bier dorthin, fuhr einmal traege mit seiner unsauberen blauen Schuerze ueber den bestaubten Tisch und suchte eine Unterhaltung anzuknuepfen, auf die man jedoch so einsilbig einging, dass er bald davon abstand. Auf dem verwilderten runden Grasplatz vor ihrem Sitz schnatterte und schnabbelte eine einsame Ente. Ein magerer, weiss und braun gefleckter Huehnerhund blinzelte mit mueden Blicken aus den triefenden, von Fliegen gequaelten Augen aus seiner Huette zu ihnen herueber. Das Bier war warm und abgestanden, und mundete ihnen nicht. Der Geruch des nahen Huehnerstalles wurde ihnen laestig. Lulu sah sich nach einem andern Platz um. Hinter dem Garten zog sich ein spaerliches Waeldchen an dem Rand einer Wiese hin, groesstenteils dichtes, mannshohes Unterholz, aus dem sich nur einige zerstreut stehende junge Birken mit ihren glaenzenden weissen Staemmen hervorhoben. Ein halbvermorschtes Brett fuehrte ueber einen ausgetrockneten Graben in das Holz hinein. Nach einigem Zaudern, aus Ruecksicht auf ihr Kleid, folgte Lulu mit aufgeschuerztem Saum Beuthien in die kleine Wildnis. Wie oft waren sie als Kinder in dieser Weise im Freien umhergestreift, hatten Beeren gesucht, Kraenze aus Laub, Ketten aus den hohlen Stengeln der Kuhblume gewunden, oder waren mit blossen Fuessen in dem kuehlen, schlammigen Wasser der Graeben und Pfuetzen gewatet. Beiden kam die Erinnerung zugleich, und beide sprachen sie aus. Er rauchte seine kurze Meerschaumpfeife mit dem Kaiser-Friedrich-Kopf, und der beizende Qualm zog ihr in die Nase und ward ihr unbehaglich. Sie draengte sich vor ihn. Uebermuetig fasste er sie bei den Schultern und schob sie vor sich hin, so schnell, dass sie auf dem unebenen Boden ins Stolpern kam. Sie schrie auf und riss sich los. Er suchte sie zu haschen. So sprangen sie einen Augenblick unter Gelaechter und Gekreisch um einander herum. "Wull Du mal her", rief er und packte weit auslangend ihren Arm. Sie rangen mit einander. Seine Kraefte, mit denen er bisher nur gespielt hatte, gebrauchend, hob er sie ploetzlich hoch vom Boden und nahm sie wie ein Kind auf den Arm. Zappelnd bemuehte sie sich, wieder festen Fuss zu fassen. Aber er zwang sie. "Wull Du ruhig sin? Wull Du ruhig sin!" wiederholte er ein paar mal. Er sprach ueberhaupt waehrend dieser ganzen Balgerei nur platt. "Lass mich", keuchte sie. Sie hatte die Arme gegen seine Brust gestemmt. Aber vor seinen heissen, verzehrenden Blicken verstummte sie. Ihre Kraft erlahmte, und willig, schwer atmend, liess sie sich von ihm zu einer nahen Moosbank tragen. XIV. Der alte Beuthien ging schon lange mit dem Gedanken um, sich vom Geschaeft zurueckzuziehen, es seinem Sohn zu ueberlassen. Er hatte keine rechte Lust mehr daran. Die Jahre machten ihn bequem. Aber an Bequemlichkeit hatte es ihm immer gefehlt, seit seine Frau tot war, also seit ungefaehr zehn Jahren, in welcher Zeit eine alte Tante der Verstorbenen ihm die Wirtschaft fuehrte. Wilhelm war nun auch in dem Alter, wo er ans Heiraten dachte. Dann wuerde er, der Vater, zwischen der alten Negendank, die immer stumpfer wurde, und der jungen Schwiegertochter, die natuerlich das Regiment beanspruchen wuerde, aergerliche Tage haben. Nach zehn Jahren fing er von neuem an, seine Frau zu vermissen. Wenn man aelter wird, ist das Verheiratetsein doch nicht zu schelten. Und da Freunde dem noch immer ruestigen Mann oft, teils im Scherz, teils im Ernst, rieten, sich doch wieder zu beweiben, hatte er sich mit dem Gedanken vertraut gemacht. Eilig war es ihm nicht damit. Er erwog diese und jene Partie, die ihm vorgeschlagen wurde, aber immer nur obenhin, und selbst nicht recht daran glaubend, dass noch einmal etwas daraus werden koennte. Als er nun aber nach dem Verlust seines besten Pferdes, des auf dem Glatteis gestuerzten Braunen, gaenzlich die Lust am Geschaeft verlor, hing er doch ernstlicher solchen Zukunftstraeumen nach. Von allen Frauen, die in Betracht kamen, gefiel ihm keine so gut wie Frau Caroline Wittfoth. Das waere noch eine Partie. Die kleine lebhafte, noch recht ansehnliche Witwe sagte ihm sehr zu. Seine Selige war gerade so quecksilbern gewesen. Das gute Geschaeft der Wittfoth war auch ein Magnet. Er machte kein Hehl daraus. Wenn er die zehntausend Mark, ueber die er nach Wilhelms Abfindung noch verfuegen konnte, in dies Geschaeft steckte, waere das Geld gut angelegt. Und es wuerde ihm ein guter Fuersprecher bei seiner Werbung sein. Als er nach langem Sinnen zu dem Entschluss gekommen war, es mit Frau Caroline zu versuchen, war die zweite Frage an ihn herangetreten. Wie faengst du das an? Es fehlte ihm wirklich an Mut, obgleich er jeden ausgelacht haette, der das zu behaupten wagte. Aber dennoch war es so. Einmal versuchte er, an "Ihre Wohlgeboren" zu schreiben. Er kam ueber die Anrede "Sehr geehrte Frau" und den Anfang "Da ich mir nunmehr in der Lage befinde," nicht hinaus. Die Negendank stoerte ihn, trotzdem er sich aus Furcht vor ihr in der Futterkammer eingeschlossen hatte. Tante Tille hatte trotz ihrer Taubheit schon von seinen Heiratsplaenen munkeln hoeren und war der entschiedenste Gegner solcher "Verruecktheit". So warf er eilig den angefangenen Brief in die Futterkiste, die er als Schreibpult benutzt hatte, und oeffnete der Klopfenden. "Dat togt so bannig," schrie er ihr ins Ohr, als sie sich wunderte, dass er sich einschloss. Da machte ein Zufall allen Schwierigkeiten ein Ende. Tetje Juergens, sein guter Freund, hatte einen klugen Einfall. In Tetjes Wirtschaftskeller hatte der Zitherverein "Alpenveilchen" sein Klubzimmer. Das Stiftungsfest dieses Vereins stand bevor, und nichts war leichter, als durch Tetje Einladungskarten fuer Beuthien und die Wittfoth zu erlangen. Wie alljaehrlich, sollte eine gemeinsame Ausfahrt in offenen Breaks die Gesellschaft ins Gruene fuehren, und da muesste es doch eigen zugehen, wenn sich an einem solchen Tage keine Gelegenheit zu einer Annaeherung finden wuerde. Wirklich erwies sich Tetjes Idee als vortrefflich. Frau Caroline nahm freudig die Einladung an, die ihr in unauffaelliger Weise von Tetjes Frau ueberbracht wurde, als diese ein Paar Kindersoeckchen fuer ihr Juengstes kaufte. So was waere ihr lange nicht geboten, wann kaeme sie mal ins Gruene, meinte die Geschmeichelte. Nebenbei war sie gluecklich, nun mit gutem Grund von einer Wasserpartie nach Buxtehude, zu der Hermann sie und die Maedchen eingeladen hatte, zuruecktreten zu koennen. Sie hatte eine unueberwindliche Furcht vor dem Wasser. In vier offenen, mit Guirlanden und bunten Faehnchen geschmueckten Breaks fuhr die vergnuegte Gesellschaft am Stiftungssonntag schon frueh morgens um sechs Uhr von Tetjes Lokal ab, Herren und Damen, groesstenteils junge Leute. Die "aktiven" Mitglieder hatten die Kaesten mit ihren Instrumenten vor sich auf den Knieen oder hatten sie unter die Sitze geschoben. Das Festprogramm schloss auch einige Konzertvortraege ein. Es machte sich von selbst, dass die paar aelteren Leute in der Gesellschaft in einem Wagen zusammenfuhren, und unter ihnen wieder Beuthien, als einziger Witwer, und die Dame seiner Neigung, als einzige Witwe, zusammengefuehrt wurden. Frau Caroline hatte ihre beste Garderobe angelegt, ein leichtes schwarzes Spitzenkleid mit glitzerndem Perlenfichu. Ihr besonderer Stolz war ihr neuer Sommerhut, aus dessen Garnitur zarter schwarzer Spitzen sich ein Straeusschen lila Phantasieblumen wirkungsvoll abhob. "Kieck, wo stuhr se sik hoellt, as'n Hahn", hatte Tetje Juergens sie beim Einsteigen gehaenselt. Auch Beuthien hatte sich mit besonderer Sorgfalt gekleidet. Sein grauer, etwas borstiger Kinnbart war sauber gestutzt, und auf der weissen Piqueweste prunkte die schwere goldene Uhrkette, auf deren Besitz er sich etwas einbildete. Die Froehlichkeit war schon vor der Abfahrt eine allgemeine gewesen, und sie steigerte sich waehrend der Fahrt unter dem Einfluss des heiteren, sonnigen Wetters, das einen schoenen Festtag versprach. Gesang und allerlei Neckereien wuerzten die Unterhaltung, und schon unterwegs wurden Beuthien und Frau Caroline im Scherz als das behandelt, was als ernstes Ziel ihm wenigstens dann und wann mit beaengstigender Deutlichkeit vor Augen schwebte. Der Endpunkt der Fahrt war eine hinter Wandsbek gelegene Waldwirtschaft. Eine festlich geschmueckte Tafel unter hohen Baeumen, mit freiem Blick auf eine buschumsaeumte Wiese, empfing die Gesellschaft. Herr Bierwasser, als Praeses, begruesste die Festgenossen mit einer wohlgesetzten Rede. Er sprach von den erhebenden Gefuehlen, die die Brust eines jeden beseelen muessten, wenn er der Bedeutung dieses Tages gedaechte. "Vor fuenf Jahren, meine Damen und Herren, meine Freunde und Festgenossen, vor fuenf Jahren erblickte unser bescheidenes Alpenveilchen zum ersten Mal das Licht der Welt." Bravo! Sehr gut. Donnernder Beifall. "Bleiben wir den hohen Zielen treu, die wir uns gesteckt haben. Ich meine die edle Musika, die unsere Herzen erhebt und erfrischt nach des Tages Last und Muehe." Bravo! Bravo! "Darum, meine lieben Freunde und Festgenossen, und auch sie, meine verehrtesten Gaeste, erlauben Sie mir und fordere ich sie auf, mit mir in den Ruf einzustimmen: Der Zitherklub Alpenveilchen von 1876, er lebe hoch!" "Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch!" sang die ganze Gesellschaft, stehend, die Glaeser in der begeistert erhobenen Rechten. Es war zu schoen. Frau Caroline, die auch als Tischherrn den alten Beuthien hatte, war ganz "in ihrem Fett", wie sie sagte. So was moechte sie fuer ihr Leben gern. Unter den Baeumen waren verschiedene automatische Apparate aufgestellt. Ein Chocoladenautomat und einer fuer Cigarren, ein Elektrisierapparat und einer, an dem man seine Kraft erproben konnte, waehrend ein benachbarter Gelegenheit gab, das Koerpergewicht vor und nach dem Festmahl zu bestimmen, "wonach der Wirt das Couvert berechnet," wie ein schelmischer Juengling witzelte. Die Wittfoth stellte fest, dass sie in einem halben Jahr fuenf Pfund zugenommen haette. Wovon, wuesste sie nicht. Appetit haette sie gar nicht, und dann die Arbeit von morgens bis abends, und selbst in der Nacht faende sie nicht einmal ihre Ruhe. Dann gebe es erst recht tausenderlei zu bedenken, wozu der Tag keine Zeit gelassen. "Na, freuen Sie sich", meinte Tetje Juergens, "wenn Sie von's Rumarbeiten all fett werden, wuerden Sie von's Nichtsthun ja woll der leibhafte Globus werden, und dann is es aus mit die Lebensfreuden". Alles lachte, und Frau Caroline gab ihm kokett einen Klaps mit dem Sonnenschirm. Beuthien erprobte seine Kraft an dem automatischen Kraftmesser und stellte noch manchen juengeren in den Schatten, nur Tetje mit seinen grossen Haenden war ihnen allen ueberlegen. Die Frauenzimmer draengten sich um den Elektrisierapparat. Das Kribbeln in allen Nerven schien ihnen Vergnuegen zu bereiten. Das war ein Schnattern und Kreischen. Nur die Wittfoth getraute sich nicht heran. Winchen Studt, eine achtzehnjaehrige blasse Schoenheit mit Stumpfnase, liess sich von ihrem Verlobten, einem Zeichner am Stadtbureau, mit Chocolade fuettern. Sie war eine wichtige Persoenlichkeit heute, denn sie sollte noch etwas vortragen. Auf der Wiese lockten Schaukel, Turngeraete und eine Bergbahn. Namentlich die letztere uebte eine grosse Anziehungskraft auf die Damen aus. Selbst die Wittfoth konnte nicht widerstehen und rutschte in Gesellschaft Beuthiens, ohne den sie sich es nicht getraute, einige male unter Gekreisch hin und her. Es war zu schoen, wirklich zu schoen, wie sie alle Augenblicke versicherte. Und dann spaeter das Konzert im Saal. "Des Schweizers Heimweh", von acht Zithern vorgetragen, erntete den groessten Beifall. "Entzueckend" spielte Herr Caesar Puhvogel "des Aelplers Liebesklage" auf der Elegiezither. Die groesste Bewunderung aber fand Herr Suess fuer den Vortrag des beliebten Liedes "Im tiefen Keller sitz ich hier". In allen Gesangvereinen sprach man von dem phaenomenalen Bass des Herrn Suess. Wie Orgelton und Glockenklang Ertoenet unseres Suess' Gesang hatte einmal ein Lobredner auf ihn getoastet. Auch Winchen Studt, im weissen Kleid mit Rosaschaerpe, deklamierte "Des Saengers Fluch" von Uhland sehr brav mit Verstaendnis und Gefuehl. Besonders der Schluss verursachte den Empfindsameren unter den Hoerern eine leise Gaensehaut. Wie mit Grabesstimme recitierte Winchen: "Versunken und vergessen, das ist des Saengers Fluch," mit bedeutungsvollem, fast schmerzlichem Verweilen auf der ersten Silbe des "Saengers." Einen solchen Genuss hatte Frau Caroline lange nicht gehabt. "Wer haette das dem Maedchen angesehen", meinte sie, "und dann das Ganze, die vielen Zithern. Und was'n Stimme, Herrn Suess seine, die war ja woll was fuer Pollini." Als man den Saal verliess, wartete draussen eine neue Ueberraschung der Gesellschaft. Buntfarbige Lampions waren unter den hohen Baeumen angebracht und gewaehrten einen reizenden Anblick. Auf der Wiese aber hatte sich das als "Ehrengast" anwesende Soloquartett des Gesangvereins "Unentwegt" aufgestellt, und feierlich klang es von dort herueber: "Das ist der Tag des Herrn." Den Schluss des Festes machte ein Taenzchen, das jedoch mit einer Polonaise im Freien, durch das "stickenduestere" Gehoelz eroeffnet wurde. Jeder bekam eine Stocklaterne, die Herren aus rotem, die Damen aus weissem Papier. "Wi suend Hanseaten," erklaerte Tetje. Wie schoen war das alles, wie wunderschoen. Sonne, Mond und Sterne, Ich geh mit meiner Laterne. Aber so ein kleines Licht Leuchtet in die Ferne nicht. Herr Mehlberg, Winchen Studts Verlobter, hatte seine Braut bei einer Biegung, wo er sich ungesehen glaubte, gekuesst. Aber es war bemerkt worden, und ein Kichern und Witzeln lief durch die ganze Kette der Promenierenden. Das fuehrende Paar nahm im Uebermut den Weg durch einen trockenen Graben. Das war ein Gespringe und Gehuepfe, ein Gekreisch und ein Gelaechter. Frau Caroline getraute sich nicht die ziemlich steile Boeschung hinunter. Aengstlich trippelte sie und hob ihr Kleid. Im Graben aber stand Beuthien mit seiner Laterne und sang: "Komm herab, o Madonna Therese", zum Gaudium der nachdraengenden. Endlich noetigte er mit einem festen Griff die Aengstliche zu einem ungewollten Hopsen, und weiter ging's unter Lachen und Scherzen. Nein, so was Schoenes war noch nie dagewesen. Frau Caroline stand nicht allein mit diesem Urteil. Und dabei war es so "gruselig" in dem dunklen Wald. "Hier sind doch keine Schlangen?" fragte die kleine Frau einmal furchtsam. "Ne, aber Katteker," versetzte der unverbesserliche Tetje. Laengst lag Frau Caroline schon in den Federn, als durch ihre Traeume noch immer die Lampions wie grosse Leuchtkaefer huschten. "Nein, was ich mich gestern amuesiert habe, sagen kann ich es nicht," sagte sie am folgenden Morgen zu Therese und Mimi. Acht Tage, acht Wochen spaeter, sprach sie noch mit derselben Waerme von diesem wundervollen Tag, und je weiter er zuruecklag, desto geneigter war sie, ihn als einen der schoensten ihres Lebens zu preisen. XV. Auch fuer Therese und Mimi war dieser Sonntag ein amuesanter gewesen. Hermann hatte sich fruehzeitig genug eingestellt, um noch der Tante einen Gruss mit dem Taschentuch nachwinken zu koennen. Das Dampfboot nach Buxtehude fuhr erst um halb neun Uhr von der Landungsbruecke in St. Pauli ab. Ohne zu eilen, konnte man sich mit der Pferdebahn dorthin begeben. Schon beim Betreten des Schiffes geriet man in eine muntere Gesellschaft. Ein mittelgrosser Herr mit breitrandigem Panamahut, weissem Leinenrock, grauem Beinkleid und leichten gelben Lederschuhen bildete den Mittelpunkt einer Gruppe rauchender, schwatzender und sehr aufgeraeumter junger Herren. Die Ankunft Hermanns und der Damen unterbrach die Unterhaltung. Mimi zog sofort alle Blicke auf sich. Die Herren luefteten die Huete und gaben mit uebertriebener, geckenhafter Hoeflichkeit den Weg frei. "Ah, Fraeulein Kruse," rief ploetzlich der Herr in Weiss ueberrascht und mit schlecht verhehlter Verlegenheit. "Fraeulein Sass, Sie auch?" wandte er sich an Therese. "Herr Pohlenz! Gott, nein, wie komisch," lachte Mimi. Hermann erkannte unter den andern jungen Leuten einen Bierfreund. Die Begruessung wurde intimer, man schloss sich aneinander an und wurde nicht muede, ueber diese zufaellige Begegnung geistvolle Betrachtungen anzustellen. Hermann waere lieber mit den Maedchen allein geblieben. Er sah voraus, dass Mimi ihm auf Stunden durch die Aufmerksamkeit der anderen entzogen sein wuerde. Keinenfalls wollte er sich in Buxtehude jener Gesellschaft anschliessen. Am Bord war man ja nun einmal auf einander angewiesen. Auch Therese war anfaenglich etwas peinlich von Mimis Triumphen beruehrt. Sie goennte sie ihr ohne Neid und haette nicht ungern gesehen, sie wuerde so sehr von den Fremden in Anspruch genommen, dass Hermann mehr auf ihre, Theresens, Gesellschaft angewiesen waere. Sie sah dem Eifersuechtigen schon den Missmut an. Seit Hermanns offenem Gestaendnis der Tante gegenueber, hatte Therese sich an den Gedanken gewoehnt, Mimi bereits als seine heimliche Braut zu betrachten. Es war ihr gelungen, Schmerz und Eifersucht niederzukaempfen, ein leises feindliches Gefuehl gegen Mimi zu besiegen. So liess auch dieser Erfolg der huebschen Freundin bei der maennlichen Fahrgesellschaft keine unedlen Regungen bei ihr aufkommen, obwohl sie es schmerzlich empfand, auch hier wieder zurueckstehen zu muessen. Erst als sie, um nicht ganz uebersehen zu werden, ihre Stimmung meisterte, und sich unbefangen an der Unterhaltung beteiligte, als man auf ihre oft treffenden Bemerkungen und witzigen Einfaelle aufmerksam wurde, fand auch sie ihre Rechnung bei dieser Umgestaltung des Programms, die an Stelle eines Trios eine so vielstimmige Symphonie setzte. Die ausgeladene Hoeflichkeit der kleinen Herrengesellschaft war bald erklaert und begruendet. Herr Pohlenz hatte in der Stadtlotterie einen namhaften Treffer gemacht, vierzigtausend Mark waren ihm zugefallen. Nun spielte der glueckliche Gewinner den freigiebigen Freund und begann schon im Anfang der Fahrt alle am Bord Befindlichen, Kapitaen und Schiffsvolk eingeschlossen, zu traktieren. Hinter der Gloriole des liebenswuerdigen Schwerenoeters verschwand selbst in Theresens Augen die komische Figur des vertroesteten Freiers. Selbst sie fand Herrn Emil Pohlenz doch eigentlich ganz nett, und Mimi erklaerte, man koenne sich doch oft sehr in einem Menschen taeuschen. Das herrliche Wetter that das seine, die Fahrt durch die schmale, vielgewundene Este zu einer genussreichen zu machen. Die fetten, im schoensten Sommerschmuck prangenden Marschufer boten mannigfache, wechselnde Reize: Breite Deiche, mit ueppigem Pflanzenteppich behangen: grossblaettriger Huflattich in wuchernder Ausbreitung, hochstielige Schafsgarbe mit ihren weissen Bluetenkronen, dazwischen gestreut, wie eine Hand voll Gold, die fettigen, gelben Blueten der Butterblume. Auf grasreichen Wiesen weidende Kuehe. Auf den Stegen, hinter den Hecken der freundlichen obstreichen Gaerten, kichernde rotwangige Landmaedchen, die Kusshaende und losen Scherzworte, die ihnen die Herren vom Schiff aus zuwarfen, dreist erwidernd oder verlegen empfangend. Ein juedischer Handelsmann, der sich am Bord befand, machte den ortskundigen Cicerone und lobte die reiche Gegend, in der er lohnende Geschaefte zu machen pflege. Und in der That verriet das saubere behaebige Aussehen der einzelnen Hoefe sowohl, als der ganzen Doerfer, deren Rueckseite sich oft bis hart an das schilfumrauschte Ufer des Fluesschens erstreckte, gediegenen Wohlstand. Selbst Hermann verlor waehrend der Fahrt seine Missstimmung. Hoffte er doch auch, sich in Buxtehude mit den Maedchen verabschieden zu koennen. Doch er sah sich getaeuscht. Die Herren wollten die Gesellschaft der Damen nicht wieder missen, diesen selbst gefiel es nur zu gut im Kreise so vieler galanter Ritter, und da man sich durch Annahme vieler Gefaelligkeiten und Liebenswuerdigkeiten verpflichtet hatte, konnte auch Hermann schliesslich, wenn er nicht unartig erscheinen wollte, nur gute Miene zum boesen Spiel machen. Schwer genug ward es ihm. Eifersuechtig sah er, wie Herr Pohlenz seine ganze Aufmerksamkeit Fraeulein Kruse zuwandte, und wie Mimi sich geschmeichelt fuehlte. Allerdings war sie dann spaeter zartfuehlend genug, Herrn Pohlenzens taktlose Aufforderung zur Mittagstafel mit einem Hinweis auf Hermanns aeltere Rechte abzulehnen. Aber jener wandte sich an Therese und waehlte seinen Platz so, dass er Mimi zur Linken hatte. Zwischen beiden Damen sitzend, zeigte er sich als interessanter Gesellschafter, so dass Hermann auch jetzt noch nicht zur ungeschmaelerten Freude an Mimis Gesellschaft kam. Und so blieb es. Auch fuer den Rest des Tages war Mimi die Koenigin, der alles huldigte, und das huebsche Maedchen spielte die ihr zugewiesene Rolle mit Geschick und Liebe zur Sache. Auf der Rueckkehr nach Hamburg aenderte sich das Wetter. Ein leichter Regen fiel, ohne jedoch die froehliche Gesellschaft vom Deck zu vertreiben. Man scheute die Stickluft der engen Kajuete. Die meisten, erhitzt von Wein und Frohsinn, empfanden die kleine Douche als Erfrischung. Auch Therese und Mimi blieben oben, um nicht die allgemeine Gemuetlichkeit zu stoeren. Sie fanden genuegenden Schutz hinter der Kajuetenwand, und auch eine warme Decke trieb man auf, in die sich die empfindlichere Therese einhuellen konnte. Hatte man einmal A gesagt, sollte man nun auch B sagen. Herr Pohlenz wehrte sich auch nach der Ankunft in Hamburg noch lebhaft gegen eine Trennung. "Sie sind meine Gaeste, Sie muessen bleiben," rief er. "Jetzt wird's erst fidel." Und man blieb zusammen, hoerte einige Musikstuecke in Hornhardts Konzertgarten an, ging, den Widerspruch einzelner besiegend, noch auf ein Glas Bier zu Mittelstrass, einem beliebten Restaurant, und schloss endlich zu spaeter Stunde mit einer Tasse Melange in Goerbers Cafe. XVI. Einige Tage spaeter sprach man in der Nachbarschaft des Durchschnitts von nichts anderem, als von der Verlobung des alten Beuthien mit der Witwe Wittfoth, hier mit neidischer Geringschaetzung, dort mit selbstbewusstem Indiebrustwerfen: haben wir es nicht gleich gesagt. Etliche gleichgiltig, als handle es sich um das Wetter, andere mit einer Vertiefung in den Gegenstand, als waere nun die natuerliche Ordnung der Dinge durchbrochen und die Erde liefe von jetzt ab anders herum. Und man sprach nicht mehr von einem Geruecht. Es war eine Thatsache. Der alte Beuthien hatte wirklich von dem Stiftungsfest des "Alpenveilchens" den noetigen Mut mit nach Hause gebracht, und Frau Caroline hatte nach kurzem schamhaftem Straeuben, unter Hinweis auf ihr vorgeruecktes Alter, ja gesagt. "Wenn Sie es durchaus wollen, so will ich Ihrem Glueck nicht im Wege sein." So ungefaehr lauteten die Schlussworte der kleinen Frau. Hiermit war denn auch ueber den Antrag des Herrn Pohlenz entschieden. Die Kunde von seinem Lotteriegewinn hatte Frau Caroline allerdings wieder unschluessig gemacht, nachdem sie sich in ihrem Hinundherwenden der Sache schon mehr fuer die Ablehnung entschieden hatte. Fuer vierzigtausend Mark jedoch konnte man ueber Kleinigkeiten schon hinweg sehen. Aber ob man mit vierzigtausend Mark nicht auch ueber allerlei hinweg saehe? Ueber die Witwe Wittfoth zum Beispiel? Das war eine andere Frage. Frau Caroline war bei aller Selbstachtung doch nicht eitel genug, um das Bestechliche, was fuer Herrn Pohlenz in einer Verbindung mit ihr lag, in ihrer Person gesucht zu haben. Sie hatte sich keiner Taeuschung hingegeben. Bei Beuthien aber war sie sicher, dass auch persoenliche Neigung zu Grunde lag. Als Herr Emil Pohlenz von der Verlobung der Witwe Wittfoth hoerte, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Jetzt war er der Freigegebene, der Verschmaehte. Als er beim Lotteriecollecteur das gewonnene Geld eingestrichen hatte, wusste er, was er wollte. "Nach reiflicher Ueberlegung und mit Bewahrung meiner vollsten Hochachtung und Wertschaetzung kann ich mich der Einsicht nicht verschliessen." So oder aehnlich dachte er sich den Anfang seines Briefes an die Wittfoth. Natuerlich wollte er jetzt nicht laenger Stadtreisender bei Mueller und Lenze bleiben. Aber bis zur Loesung seines Kontraktes musste er noch seine Geschaeftsbesuche bei der Witwe fortsetzen. Das war auch jetzt noch sehr peinlich, aber er konnte ihr doch mit dem Stolz des Gekraenkten, Verschmaehten gegenueber treten, eine Rolle, in welche er sich mit vierzigtausend Mark in der Tasche leicht hinein finden wuerde. Ein anderes kam hinzu, das ihm den Gang nach dem Eckkeller der Wittfoth bedeutend erleichterte. Auf der Fahrt nach Buxtehude war eine schlummernde Neigung in ihm wach geworden. Schon immer hatte er sich bemueht, dem huebschen Ladenmaedchen der Witwe naeher zu kommen. Aber Mimi Kruse war ihm gegenueber stets kuehl bis ans Herz gewesen, ja abweisend. Ihr liebenswuerdiges Entgegenkommen in Buxtehude aber hatte Hoffnungen in ihm geweckt. Er gab sich keinen Illusionen hin. Er taxierte sie richtig. Er wusste, welcher Wind dieses Wetterfaehnchen gedreht hatte. Aber er betrachtete ja selbst das Leben nur vom kaufmaennischen Standpunkt. Was kostet das? Was Mimi Kruse anbelangte, so wusste er jetzt, dass er sie sich "leisten" konnte, dass seine "Mittel" sie ihm "erlaubten". Warum sollte er sie nicht "kaufen?" Als er die Verlobungsanzeige der Wittfoth erhalten hatte, verband er mit einem Geschaeftsbesuch die Gratulationsvisite und die Erkundigung bei Mimi, wie ihr die Ausfahrt bekommen sei. Er bat um die Erlaubnis, sie einmal ausfuehren zu duerfen, erzaehlte von seinen Zukunftsplaenen, liess durchblicken, dass er moeglicherweise noch eine kleine Erbschaft von einer Tante erwarten koennte, und machte einen solchen Eindruck auf Mimi, dass sie "mit Vergnuegen" seine Einladung annahm. Von jetzt ab kam Herr Pohlenz haeufiger, zur Verwunderung Frau Carolinens, die jedoch nicht lange im Unklaren ueber die Veranlagung zu diesem Geschaeftseifer des Stadtreisenden blieb. Sie war beleidigt von dem Gleichmut, mit dem Herr Pohlenz ihren Verlust, den Verlust seines "ganzen Lebensglueckes," wie er es damals nannte, ertrug, und war entruestet ueber Mimi. Hatte diese nicht Hermann "Avancen" gemacht? Und nun band sie mit diesem Gecken an, weil er Geld hatte. Was wuerde Hermann sagen, der arme Junge. Sie mochte gar nicht daran denken. Wenn nicht in diesen Tagen ihre Verlobungsfeier stattfinden sollte, an der sie nur vergnuegte Gesichter um sich sehen wollte, so wuerde sie Hermann schon jetzt die Augen oeffnen. Aber nachher sollte er auch keinen Augenblick laenger ueber Mimis Doppelspiel im Dunkeln bleiben. Dem Maedchen selbst wagte sie keine Vorwuerfe zu machen. Es war ihr peinlich, sich darein zu mischen. Wenn sie nun die Entruestete spielen wollte, saehe es nicht aus, als ob sie sich ueber den Entgang der vierzigtausend Mark aergerte? Wie Neid, Missgunst? Nein, sie liess der Sache ihren Lauf. Mochte Hermann sehen, wie er mit Mimi fertig wuerde. Im Grunde waere es ja nur ein Glueck, wenn er diese Person nicht bekaeme. "Stich haelt sie doch nicht," schalt sie bei sich. Hermann hatte nach der Buxtehuder Tour einige missvergnuegte Tage. Mimis freies Benehmen, ihre Liebenswuerdigkeit gegen Pohlenz, ueber den sie doch sonst bei jeder Gelegenheit die Schale ihres Spottes ausgoss, hatten ihn tief verstimmt. Immer mehr kam er zur Erkenntnis ihres oberflaechlichen Charakters. Aber ihrem sinnlichen Reiz konnte er sich nicht entziehen. Seine Eifersucht blendete seinen klaren Blick und verwirrte seine Entschluesse. Dieser faden, beschraenkten Kraemerseele sollte er weichen? Statt den Kampf mit dem Verachteten aufzunehmen, zog er sich erbittert zurueck, und glaubte, Mimi durch Vernachlaessigung strafen zu koennen. Aber diese Strafe traf nur ihn selbst. Er litt sehr. Er sehnte sich, sie zu sehen, sich auszusprechen. Doch wann wuerde er sie bei der Tante einmal sprechen koennen, ohne Stoerung? So wollte er sie denn um eine Zusammenkunft bitten. Aber wenn sie merkte, was er wollte, und nicht kaeme? Das beste waere, er spraeche sich gleich brieflich mit ihr aus. Und so schrieb er denn: Liebes Fraeulein! Die Gefuehle, die mich beseelen und die ich nicht laenger zum Schweigen verurteilen kann, druecken mir die Feder in die Hand. Habe ich noetig, das noch auszusprechen, was Ihnen, ich weiss es, schon lange kein Geheimnis mehr sein kann? Mein ganzes Benehmen gegen Sie muss Ihnen laengst bewiesen haben, wie unaussprechlich ich Sie liebe, und dass es das hoechste Ziel meines Strebens, das Glueck meines Lebens ist, Sie, teuerste Mimi, mein eigen nennen zu duerfen. Ich wollte noch bis Michaelis warten, bis zur Aufbesserung meines Gehaltes, ehe ich Sie vor die Entscheidung stellte. Aber der Kopf denkt, und das Herz lenkt. Und mein Herz gehoert Ihnen, hochverehrtes, inniggeliebtes Maedchen, wie auch immer Ihre Antwort ausfaellt. Verschmaehen Sie meine Liebe nicht, werden Sie mein, und machen Sie namenlos gluecklich Ihren hoffenden Hermann Heinecke. Als Mimi den Brief las, ueberkam sie zuerst das Gefuehl einer grossen Bestuerzung. Nun ward es ernst. Dann aber kam die Eitelkeit zum Wort. Sie las zum zweiten Mal und ward nun geruehrt. Er war doch ein guter Mensch. Namenlos gluecklich sollte sie ihn machen. Mein Gott, es ist doch etwas Schoenes um die Liebe. Sie barg den Brief in ihrer Tasche und brach in ein unterdruecktes Schluchzen aus. "Nun, was ist Ihnen denn passirt?" fragte die Wittfoth, die sie bei diesem Ausbruch ihres im Grunde weichen Gemuetes ueberraschte. "Meine Freundin ist so krank", stotterte Mimi. "Ist es denn zum Sterben?" erkundigte sich Frau Caroline. "Das nicht," war die Antwort. "Na, denn ist es ja noch immer Zeit zum Weinen," troestete die Wittfoth. "Ich sag ja", dachte sie, als Mimi bald nachher ihre Thraenen getrocknet hatte. "Tief geht nichts bei der. Lachen und Weinen in einem Atem." "Na, Fraeulein," fragte sie mit leisem Spott, "es ist wohl man halb so schlimm?" "Ach ja, ich erschrak mich nur so furchtbar", gab Mimi zu. "Dann schreiben Sie nu auch man gleich", mahnte die Wittfoth gutmuetig. "Ja, das wollte ich auch, heute Abend noch", erklaerte Mimi. Und am selben Abend schrieb sie an Hermann: Geehrter Herr Heinecke! Wie schmeichelhaft mich Ihr wertes Schreiben beruehrt hat, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Ich achte Sie hoch und glaube gewiss, dass Sie eine Frau so gluecklich machen werden, wie sie es verdient, aber nehmen Sie es mir bitte nicht uebel, wenn ich nach reiflicher Erwaegung zu dem Entschluss gekommen bin, Ihren werten Antrag nicht annehmen zu koennen, so gerne ich dieses auch moechte. Ich meine ohne rechte Liebe ist es eine Suende, wenn ich ja sagen wollte und im Herzen denke ich ganz anders. Nicht wahr, Sie verzeihen mir meine Ehrlichkeit? Es ist ein gar zu schwerer Schritt, den Sie von mir verlangen, und das Leben ist doch so furchtbar ernst. Es thut mich leid, Ihnen weh thun zu muessen, aber es giebt ja noch ganz andere Maedchen, als ich eine bin, und Sie werden gewiss noch einmal so gluecklich, wie Sie es verdienen. Selbiges wuenscht Ihnen von Herzen Ihre Mimi Kruse. Sie hatte diesen Brief zweimal geschrieben, da die erste Niederschrift ein Petroleumfleck verunzierte. Sie hatte sich beim Hoeherschrauben der Lampe die Finger beschmutzt und beim Umwenden des Briefbogens diesen befleckt. Mit brennenden Wangen und fliegendem Atem las sie wiederholt ihr Schreiben und malte vorsichtig mit zitternder Hand noch einige vergessene U-striche hinein. Dann schloss sie den Brief in ein Couvert. Aber ihr fiel eine Nachschrift ein, und sie oeffnete es wieder. "Was die Geschenke anbelangt, die Sie so guetig waren mir zu schenken", fuegte sie hinzu, "so erlauben Sie mir wohl, dieselbigen als Andenken zu behalten. Nochmals meinen besten Dank fuer alles Gute." Sie nahm ein neues Couvert und versah es mit der Aufschrift. Herrn Volksschullehrer Hermann Heinecke p. Adr.: Frau Ww. Thielemann Hierselbst. Raboisen 27, III. XVII. Das grosse Sommerrennen in Horn hielt die ganze sportfreundliche Welt Hamburgs in Aufregung. Es waren besondere Festtage auch fuer alle die Strassen, durch welche die teilweise glaenzende Korsofahrt nach und von dem Rennplatz ihren Weg nahm. Auch in der Gaertnerstrasse waren alle Fenster, Balkons und Verandas mit Schaulustigen besetzt. Auch die Wittfoth hatte Stuehle und Schemel vor ihre Ladenthuer auf das Trottoir gestellt, fuer sich und die beiden Maedchen. Hermann, der sonst an einem dieser Tage zu kommen pflegte, war ausgeblieben. Er hatte sich ueberhaupt lange nicht bei der Tante sehen lassen, zu deren und Theresens grosser Verwunderung. Nur Mimi wusste, warum er nicht kam. Sie fuehlte keine Reue ueber ihre Ablehnung seiner Werbung. Sie hatte sich nach Fertigstellung ihres Briefes, dessen nach ihrer Meinung elegante Redewendungen ihr nicht leicht geworden waren, mit dem Gefuehl zur Ruhe gelegt, als haette sie etwas Rechtes, etwas Grosses gethan. Am naechsten Morgen hatte sie nur noch das eine Gefuehl der Neugier: Was wird er wohl sagen? Was wird er nun thun? Pohlenzens Bemuehungen um sie fanden einen fruchtbaren Boden. Schnell schoss das neue Verhaeltnis unter dem befruchtenden Segen der vierzigtausend Mark in die Halme, das bescheidene Gruen der alten Beziehungen zu Hermann ueberwuchernd und erstickend. Mimi hatte zum zweiten Renntag, dem Sonntag, eine Einladung von Pohlenz angenommen. Sie hatte am ersten Tag Hermann in Begleitung einiger Freunde vorbeifahren sehen, hatte jedoch Therese und deren Tante nicht auf ihn, der sich wie absichtlich abwandte, aufmerksam gemacht. Ob sie ihn wohl auch am Sonntag auf dem Rennplatz treffen wuerde? Sie wuenschte es beinah. Es waere pikant. Auf jeden Fall wuerde sie an der Seite ihres neuen Verehrers dem Abgedankten imponieren. Pohlenz wollte ein Cabriolet nehmen und selbst fahren. Hermann haette sich das nicht leisten koennen, haette auch wohl kaum zu fahren verstanden. Den ganzen Tag lag ihr nichts mehr im Kopf, als diese moegliche Begegnung zwischen ihr und Hermann. Wie eine Theaterszene malte sie es sich aus. Sie war nie beim Rennen gewesen und brannte vor Ungeduld. Sorgfaeltig beobachtete sie die Insassinnen der vorueberrollenden Equipagen und Mietsfuhrwerke und dachte sich an deren Stelle, vornehm nachlaessig zurueckgelehnt, chic gekleidet, alle Blicke auf sich ziehend. Pohlenz hatte ihr ein neues Kostuem geschenkt, in dem sie ohne Frage gefallen wuerde. Sie hatte nach kurzem Bedenken diese "kleine Aufmerksamkeit" von ihm angenommen. Ihn hatte sie gebeten, sich zu kleiden, wie damals in Buxtehude, und geschmeichelt hatte der ueberaus Eitle es versprochen. Er hatte ihr zu sehr in diesem Anzug gefallen. Er hatte so etwas exotisches darin. Reiche Brasilianer und indische Nabobs, Helden frueher von ihr gelesener Romane, lebten in ihrer Erinnerung auf. Der tief bruenette Pohlenz mit dem grossen Panamahut, dem weissen Roeckchen, eine seiner feinen Cigaretten rauchend, eigenhaendig den schlanken Traber lenkend, sie neben ihm im neuen Kostuem, immer wieder kehrten ihre Gedanken zu diesem Bilde zurueck. Da fuhr Hermann vorueber in einer gewoehnlichen Droschke, etwas krumm, vornuebergeneigt, wie immer, wenn er es sich bequem machte Er sah sehr blass aus, wie uebernaechtig. Auch die drei Herren neben ihm waren keineswegs elegante Erscheinungen. Der eine erregte sogar ihre Heiterkeit durch eine geschmacklose kirschrote Krawatte. Wie gewoehnlich das ganze Fuhrwerk aussah. Sie moechte sich nicht darin unter diese eleganten Equipagen mischen. Hermann hatte Mimi schon von weitem auf ihrem Schemel stehen sehen, neben seiner kleinen Tante, die einen Stuhl erklettert hatte, um besser sehen zu koennen. Rechtzeitig wandte er sich ab, um nicht ihrem Blick zu begegnen. Ihre Absage hatte ihm sehr weh gethan. Er liebte sie wirklich und konnte sie nicht vergessen. Selbst der ungebildete Stil ihres Schreibens, der kleine grammatikalische Schnitzer, beleidigten ihn nicht. Es war ihm ja nicht unbekannt, dass ihre Bildung keine lueckenlose war, ihr Charakter nicht ohne Schwaechen. Aber welches Weib hat nicht seine Schwaechen. Vom Weibe verlangt man etwas anderes, als Charakter und Grammatik. Eine vollkommene Frau haette ihn gar nicht gereizt. Er hatte es sich so schoen getraeumt, Mimi allmaehlich zu erziehen, zu veredeln, die schlummernden guten Anlagen zu wecken. Der Traum war aus. Hermann mied das Haus der Tante seit Mimis Brief. Er suchte Zerstreuung und ueberredete auch seine Freunde, gemeinschaftlich das Rennen zu besuchen. Er hoffte die Geliebte dort oder beim Vorueberfahren zu sehen. Er malte sich eine Begegnung aus: Kuehler, hoeflicher Gruss von seiner Seite, mit einem leisen Anflug von Schmerz. Farbe der Resignation. Maennliche Gefasstheit. Sie erroetend, dann erblassend, mit dem bekannten schnippischen Wurf ihres huebschen Koepfchens die Sache schnell und geringschaetzig abthuend. Einen Augenblick hatte er geglaubt, das Spiel noch nicht verloren geben zu sollen. Mimi wuerde sich wohl noch besinnen, er muesse ihr Zeit lassen. Sie waere auch gar zu wenig vorbereitet gewesen. Vielleicht bedauerte sie schon ihre Abweisung seines Antrags, der nur edle selbstlose Motive zu Grunde lagen. Das Leben ist so furchtbar ernst, hatte sie geschrieben. Sie war nicht schlecht, sie hatte ein gutes Herz. Vielleicht empfand sie auch selbst ihre Unbildung und glaubte, nicht fuer ihn zu passen. Und er sah sie in Gedanken blass, traurig, weinend in ihrem engen Stuebchen sitzen, das ihm immer ihrer so wenig wuerdig vorgekommen war. Aber solchen Illusionen konnte er sich nicht laenger hingeben, seitdem ihm einer seiner Freunde auf Ehre versicherte, Mimi mit Herrn Pohlenz Arm in Arm, im Zoologischen Garten getroffen zu haben. Also doch! Im Grunde glaubte er ja auch selbst nicht an seine Beschoenigungen. Warum sich beluegen? Sie war eine Kokette, seiner nicht wert. Er musste sie vergessen. Als er sie jedoch am zweiten Renntage auf dem Rennplatz wieder traf, an der Seite des verachteten Nebenbuhlers, entflammte aufs neue der heftigste Schmerz in ihm. Mimi sah auch entzueckend aus. Er hatte sie nie in diesem Kostuem gesehen. Es musste ganz neu sein und schien ihm ueber ihre Verhaeltnisse zu gehen. Sollte sie sich bereits von dem Probenreiter kleiden lassen? Mimi trug ein enganschliessendes, taubengraues Kleid von vornehmer Einfachheit. Eine leuchtende rote Rose schmueckte die anmutig volle Bueste. Ein kleiner runder, grauer Herrenfilz mit weissem Taubenfluegel sass kokett auf dem huebschen Blondkopf. Und nichts von Trauer, Gedruecktheit oder Nachdenklichkeit lag auf diesem frischen, lebhaften Maedchengesicht. Das war ganz die muntere, sorglose, genussfreudige Mimi, die ihn immer so bezaubert hatte mit ihrer Lebenslust. Er musste sich zusammennehmen, damit der aufwuehlende Schmerz ihm keine Thraenen entlockte, der Schmerz und die Wut auf den verhassten Sieger. Er trennte sich von den Freunden, um aus Mimis Naehe zu kommen. Die Tribuene verlassend, traf er auch die Behnsche Familie, die vom Wagen aus dem Derby zusah. Er gruesste hinauf, ohne von den ganz von der Sportlust in Anspruch Genommenen einen Gegengruss zu erhalten. Nur von Lulu erhaschte er einen matten, ausdruckslosen Blick. Es fiel ihm auf, wie blass das Maedchen aussah, fast leidend. Seit ihrer Tanzbodenbegegnung hatte er Lulu nur dann und wann fluechtig am Fenster gesehen, von der Wohnung der Tante aus. Er hatte sich damals seine eigenen Gedanken ueber sie gemacht, nicht zu ihrem Vorteil. Er hatte keine hohe Meinung von ihr. Ein leichtsinniges Maedchen, das sicher auch andere Vergnuegungen nicht verschmaehen wuerde, wenn es sich nicht fuer zu gut hielt, mit diesem Droschkenkutscher die Tanzboeden zu besuchen. Auch in dem kleinen Kreis der Tante Wittfoth herrschte keine andere Ansicht ueber Lulu. Er hatte immer nur geringschaetzig ueber sie sprechen hoeren. Was stimmte ihn nun auf einmal so guenstig fuer das Maedchen? Wie Mitleid ueberkam es ihn. Sie hatte so bedrueckt, so ungluecklich ausgesehen. Seine Einbildungskraft suchte nach Ursachen, anknuepfend an jenes Ottensener Abenteuer und auf dem Faden ihres Verhaeltnisses zu Beuthien allerlei romantische Vermutungen aufreihend. Er wird sie betrogen haben, dachte er, und lachte bitter auf: Tout comme chez nous, mit vertauschten Rollen. Es that ihm wohl, eine Leidensgefaehrtin in Lulu zu haben, wenn auch nur in seiner Einbildung. Er wog Lulu gegen Mimi und gab ihr den Preis vor dieser, mit einer Art schmerzlichen Wollustgefuehls befriedigter Rache. Lulu war ihm das Opfer ihrer Liebe, ihrer Leidenschaft, Mimi eine herzlose, oberflaechliche Kokette, eine kaeufliche Dirne. Ja, eine Dirne war sie, verkauft hatte sie sich diesem Affen, diesem Knopfkraemer. Wie ekel war ihm das Leben, wie schal, wie kindisch erschien ihm das ganze Treiben hier, diese Hetzjagd um den Preis, dieses Wetten und Spielen. Er kam sich einsam unter der Menge vor. Er strebte dem Ausgang zu. Da ward ihm ein Gruss. Es war Beuthien, der mit anderen Rosselenkern zusammenstand, jeder ein halbgeleertes Bierseidel in der Hand, fachmaennische Gespraeche mit derben Witzen wuerzend. Wie roh sahen die Leute aus. Selbst Beuthien, der alle um Haupteslaenge ueberragte, von Hitze und Biergenuss geroetet, stiess ihn ab. Lulus Geschmack war ihm unverstaendlich. Und doch, was wollte er denn? Kaufkraft und Muskelkraft, das sind ja die Kraefte, vor denen die Weiber Respekt haben. XVIII. Lulu Behn hatte sich vergeblich gestraeubt, mit zum Rennen zu fahren. Sie hatte Kopfschmerz vorgeschuetzt, ihr haeufiges Uebel, aber der Vater hatte es nicht gelten lassen wollen und gemeint, das gaebe sich unterwegs, in frischer Luft, am besten. So gutmuetig er war, so verlangte er doch von anderen dieselbe Haerte gegen kleine koerperliche Unbequemlichkeiten, die er gegen sich selbst uebte. Lulu, um nicht unnoetige Besorgnis zu erregen, die ihr aus guten Gruenden gefaehrlich schien, gehorchte und nahm ihren Sitz in der offenen Droschke neben der Mutter ein, waehrend Paula mit dem Vater auf dem Ruecksitz Platz nahm. Es war dieselbe Droschke, in der sie mit Beuthien ihre haeufigen heimlichen Fahrten gemacht hatte, der alte wohlbekannte Braune, und, was ihr das Schrecklichste, war, Wilhelm fuhr selbst. Nach jenem Besuch des Horner Waeldchens hatten sie sich erst einmal wieder gesehen. Beuthien wich ihr aus, und sie schaemte sich vor ihm. Dieses eine Mal aber musste sie ihn sprechen, um ihm zu sagen, was sie befuerchtete. Er hatte sie ausgelacht und ihr allerlei Ratschlaege gegeben und die Geaengstigte beruhigt. Wie er es so leicht nahm und so zuversichtlich sprach, ward auch sie gefasster. Beuthien wuerde sie nicht sitzen lassen, er wuerde sie heiraten. Heute aber fuhr sie mit der Gewissheit des ihr Bevorstehenden durch die bunte Menge nach Horn hinaus, in der Stimmung eines Verbrechers, der nach dem Schauplatz seiner That gefuehrt wird. Wie meisterlich sich Beuthien beherrschte. Nicht einmal erroetet war er, als Lulu mit leichtem Neigen des Kopfes an ihm vorbei in den Wagen stieg. Und wie gleichmuetig er dort oben auf dem Bock sass, und wie sicher er seinen Gaul durch das Gewirr der Fuhrwerke lenkte. Der alte Behn wurde unterwegs doch besorgt, als Lulu mehrmals die Augen schloss und sich erblassend zuruecklehnte. "Willst Du doch aussteigen?" fragte er. "Du kannst noch bequem mit der Pferdebahn zurueckfahren." Sie wehrte ab. Sie wollte es jetzt durchsetzen. Beuthiens stoische Ruhe hatte sie geaergert, und sie wollte es ihm nachthun. Bevor der Weg nach dem Rennplatz abbog, sah sie in der Ferne jenes Waeldchen liegen, wie ein niedriges, schwarzes Buschwerk ragte es ueber die welligen Felder hinweg. Ob er hinueber sah? Sie beobachtete ihn, aber er hatte keinen Blick fuer die Umgebung. Er musste seine ganze Aufmerksamkeit auf das Fahren richten. Sie aber musste immer wieder hinueber sehen nach dem schwarzen Fleck dahinten, ueber dem jetzt eine einzelne weisse Wolke, wie ein fabelhaftes Ungetuem, schwebte. Wie unheimlich diese einsame Wolke aussah. Wie verloren schwebte sie im blauen Luftmeer, wie ein verschlagenes Segel im grenzenlosen Ocean. Ein wunderliches, nie gekanntes Gefuehl der Vereinsamung ueberkam Lulu. Muehsam beherrschte sie sich. "Was guckst Du immer nach der Wolke?" fragte Paula. Lulu schrak zusammen. "Ich?" fragte sie. "Das ist doch man so." Sie wusste es kaum, dass sie bestaendig dort hinueber starrte. "Lulu trinkt nachher etwas Selterwasser", meinte die Mutter. "Das frischt ihr auf." Der Vater wollte sie jetzt mit der Droschke zurueckschicken, Beuthien sollte dann zum Schluss des Rennens zurueckkommen. Fast heftig lehnte Lulu ab. Um keinen Preis waere sie jetzt mit ihm allein gefahren. Ein dumpfer Widerstand gegen seine Macht ueber sie begann sich seit ihrer letzten Unterhaltung zu regen. Er kam ihr so anders vor, als sonst. Es war ihr, als saehe sie schaerfer, wie durch ein Vergroesserungsglas. Zuerst fielen ihr die vielen Faeltchen unter den Augen auf, und das haeufige nervoese Zucken der Lider. Eine kleine warzenartige Erhoehung auf dem Rand der linken Ohrmuschel, die sie nie gesehen zu haben meinte, draengte sich ihren Augen foermlich auf. Die breite Hautfalte ueber dem kraeftigen gebraeunten Nacken, dicht unter dem kurzgehaltenen schwarzen Haar, gab seinem Kopf, von hinten gesehen, etwas brutales. Sie hatte waehrend der ganzen Fahrt fast immer diese wulstige Nackenfalte ansehen muessen, und den etwas fettigen Kragen seines Rockes. Wie garstig! Als sie jedoch auf dem Rennplatz, mit einem fluechtigen Blick vom Wagen aus, ihn zwischen seinen Kollegen stehen sah, stattlich vor allen, und sah, wie er in einer kurzen scherzhaften Balgerei seine ueberlegenen Kraefte anstrengungslos brauchte, fuehlte sie sich wieder auf seinem Arm, wehrlos seinem Willen unterworfen, und wie eine gluehende Welle stieg das alte Gefuehl fuer ihn wieder in ihr auf. Teilnahmlos verfolgte sie das Rennen, nur mit sich beschaeftigt. Die vorgeschuetzten Kopfschmerzen hatten sich nun wirklich eingestellt, infolge der Gemuetsbewegung und der Hitze, die auf dem freien Felde herrschte. So war sie froh, als man sich fuer den Heimweg ruestete. Auf der Rueckfahrt gab der Ausfall der verschiedenen Rennen Stoff zur lebhaften Unterhaltung, in die auch Beuthien hineingezogen wurde. Man hatte nicht trockenen Gaumens in der Sonne des Sommernachmittags ausgehalten, und das genossene Getraenk hatte namentlich auf Paula seine erregende Wirkung nicht verfehlt. Sie hatte gebeten, bei Beuthien auf dem Bock sitzen zu duerfen, und der alte Behn war froh gewesen, erhitzt wie er war, die Breite des Sitzes fuer sich allein benutzen zu koennen. Paula, schon von Natur nicht mundfaul, war infolge der genossenen Anregungen bestaendig im Schwaetzen mit Beuthien, der sich an dem Maedchen ergoetzte, das ihn oft mit so eigentuemlichen leuchtenden Blicken anblitzte. "Die wird noch mal", dachte er. "Zwei Jahre weiter spielen wir mit." Der grosse, derbknochige Backfisch mit den fliegenden blonden Haaren, dem weissen, sommersprossigen Teint, den breiten sinnlichen Lippen und dem runden, festen Kinn, versprach, sich mehr nach seinem Geschmack zu entwickeln, als Lulu es gethan, deren weiche, kraftlose Formen ihn nicht auf die Dauer reizten. Paula sah heute besonders vorteilhaft aus mit ihrer leuchtenden roten Bluse und der gleichfarbigen Federgarnitur des weissen Strohhutes. "Brennende Liebe" taufte die Mode poetisch dieses flammende Rot. Lulu sah das vertrauliche, lustige Plaudern der beiden und ward ploetzlich eifersuechtig. Es war nicht Paula, "das dumme Goer", die sie fuerchtete, aber in der Schwester personifizierte sich ihr die Gefahr, die ihr moeglicherweise von anderer Seite drohen koennte. Wenn Beuthien sie verliesse? Wieder kam einer jener Momente ueber sie, wo sie mit grauenhafter Deutlichkeit in die Zukunft sah. Entweder Schande, oder seine Frau, Kutschersfrau. Wenn er sie nun nicht heiraten wollte, wuerde ihr Vater ihn zwingen? Wuerde er ihn als Schwiegersohn anerkennen? Sie schloss die Augen, als koenne sie sich dadurch gegen alles Widerwaertige absperren. Stumpfsinnig hatte sie in den letzten Tagen dahingelebt. Das wollte sie weiter, die Sache an sich herankommen lassen. Es war ihrer Natur am angemessensten, sich treiben und schieben zu lassen. Mochte es gehen, wie es ging. Aber dann stoerte wieder ein Blick auf Paula sie auf, die mit ihrer "brennenden Liebe" so auffallend dort oben paradierte. Die meisten Blicke aus dem Publikum galten dem "feurigen" Backfisch auf dem Kutscherbock, nur einige Offiziere, die in einem leichten Jagdwagen ihre Droschke ueberholten, musterten fast auffaellig das blasse Maedchen in der weissen, guertelumschlossenen Bluse, das mit so mueden Blicken vor sich hinstarrte. Lulu hatte kein Auge fuer die Herren. Sie war ganz mit sich beschaeftigt. Etwas wie Hass auf die Schwester regte sich, die noch immer Beuthien mit ihrem naiven Geschwaetz unterhielt, unschuldig, ein Kind noch, und doch schon seit jenem Tanz mit ihm mit einem Fuss in dem verbotenen Garten, von dessen Fruechten sie selbst bereits genascht hatte. Ein haesslicher Gedanke stieg in ihr auf und sprach sich in einem kurzen, hoehnischen Blick aus. Lach nur, mein Kind, dachte sie. Auch deine Zeit kommt. XIX. Fraeulein Mimi Kruse machte nach den Renntagen ihre Verlobung mit Herrn Emil Pohlenz bekannt und kuendigte ihre Stellung bei der Wittfoth. "Hab ich's nicht gleich gesagt?" meinte die Tante. "Mir such einer was zu verheimlichen." "Es war vorauszusehen", betaetigte Therese. "Wenn sie sich leiden moegen, kann man sich ja nur darueber freuen." "Meinen Segen haben sie", sagte die Wittfoth. "So eine, wie Mimi, bekommen wir schon wieder." "Na", zweifelte Therese. "Mimi war doch eigentlich im Geschaeft recht tuechtig." "Alles was recht ist", gab die Tante zu. "Das heisst, vergesslich ist sie doch man, und nachraeumen muss man ihr alles." "Ja, wo findest du eine ohne Fehler, liebe Tante." Ein haesslicher Husten, der sie seit der Buxtehuder Ausfahrt quaelte, unterbrach stossweise Theresens Worte. "Das ist auch man ebenso viel, zu ersetzen ist jede", behauptete Frau Caroline. "Mich aergert man bloss, dass das dumme Ding solch Glueck hat. Aber man ist ja wohl eigentlich schlecht, so was zu sagen. Ich meine auch man bloss. Ich will ihn ihr nicht nehmen, und wenn sie ihn auf'n Teller bringt." "Du hast ja schon Dein Teil", lachte Therese. "Am Ende haette ich noch Onkel Pohlenz sagen muessen. Da ist mir doch Onkel Beuthien lieber." "Mich amuesiert man, dass wir nun doch noch 'ne Doppelverlobung zu Stande gekriegt haben. Nu mach auch man Anstalten", meinte die Wittfoth. "Ich werde Wilhelm einen Antrag machen", scherzte Therese etwas verlegen. Die unzarte Bemerkung der Tante that ihr weh, fuer sie war ja das Verloben und Heiraten "nicht erfunden", sie durfte zusehen. Und doch war sie ebenso liebebeduerftig, hatte ein ebenso empfaengliches Herz, wie Mimi und die so viel aeltere Tante. Ihre Neigung zu Hermann brannte wie eine Kerze, mit gleicher, ruhiger, sanfter Flamme, sich selbst verzehrend. Zu stolz und zu klug, sich Illusionen hinzugeben, hatte sie ein fuer allemal auf Liebesglueck verzichtet, wenigstens sich mit dem begnuegt, das auch unerwiderte Liebe zu bieten vermag. Sie hatte, fast zu fruehzeitig, doch ihre Stunden waren ja sehr in Anspruch genommen, eine Handarbeit zu Hermanns naechstem Geburtstag angefangen, sein Monogramm in Gold, umrahmt von einem Veilchenkranz in blauer Seide. Auf schwarzem Atlas gestickt, sollte das Ganze einem Taschenbuch zur Zierde gereichen. Emsig arbeitete sie daran, und die Liebe machte ihre solcher feinen Arbeiten ungewohnten Finger geschickt. Wenn sie ihn doch oefter erfreuen koennte, fuer ihn arbeiten, sich ihm nuetzlich erweisen. Als er neulich einmal, aergerlich ueber seine saumselige Wirtin, der Tante einige Struempfe zum Stopfen brachte, war sie erfreut gewesen, dieser die Arbeit abnehmen zu duerfen, und hatte sich in dieser fraulichen Thaetigkeit fuer den Geliebten gluecklich gefuehlt. Konnte sie selbst Hermann nicht besitzen, so goennte sie ihn doch nur einer Wuerdigen, und seine Neigung zu Mimi hatte nie recht ihren Beifall gefunden. Sie war Mimi herzlich gut, ihrer vielen liebenswuerdigen Eigenschaften wegen, zu welchen auch ein ruecksichtsvolles, zartes Benehmen gegen die kraenkliche Freundin gehoerte, aber fuer Hermann schien sie ihr doch nicht die rechte Frau zu sein. Schon der Unterschied der Bildung machte sie bedenklich. Freilich, sie selbst war auch kein Kirchenlicht, aber Mimi hatte ja nicht mal fuers Lesen Interesse, und die Buecher waren nun doch einmal Hermanns Ruest- und Handwerkszeug. So war Therese denn im Grunde nur erfreut gewesen, dass Mimi durch ihre Verlobung mit Pohlenz das Verhaeltnis zu Hermann endgiltig abgeschlossen hatte. Hermann, dieser liebenswuerdige, gescheute, feine Mensch, wuerde gewiss bald ein anderes Maedchen finden, das ihn besser zu schaetzen wuesste und ihn Mimi vergessen machte. Sie billigte es, dass er nach Empfang des Korbes stolz vermied, mit dieser zusammen zu treffen, so schmerzlich sie selbst ihn vermisste. Wenn Mimi erst aus dem Hause waere, wuerde ja wieder alles anders werden. Er wuerde sich wieder, wie frueher, ihr allein widmen, ihr vorlesen, sie belehren und foerdern. Wie freute sie sich darauf. Die Tante hatte der Verlobten etwas spoettisch gratuliert und allerlei Bemerkungen von "stolz werden", "vornehme Dame" und "einfachen Kellersleuten" fallen lassen, worauf Mimi ganz gekraenkt ausrief: "Aber nein, Frau Wittfoth, wie reden Sie nur so", und in Thraenen ausbrach. "Na, Herrjeses, was hab ich denn gesagt?" that die Wittfoth pikiert. "Mimi vergisst uns nicht", suchte Therese zu vermitteln. "Ohne uns haette sie ihr Glueck nie gemacht. Wenn ich Herrn Pohlenz nun gekapert haette, oder Du, Tante haettest ihn ihr weggeangelt, was denn? Mimi muss uns ewig dankbar sein." Diese lustigen Worte brachten wieder Sonnenschein, und Mimi beteuerte, sie wuerde Zeit ihres Lebens an die schoenen Jahre zurueckdenken, die sie in diesen Raeumen verlebt haette. "Auch an einen?" drohte Therese mit dem Finger, da die Tante das Zimmer verlassen hatte. Mimi erroetete. Dann aber legte sich eine feine Trotzfalte zwischen ihre Brauen. "Ich konnte Herrn Heinecke nicht heiraten." "Das muss jeder selbst wissen, liebe Mimi. Das kann niemand von Ihnen verlangen", versetzte Therese auf dies Gestaendnis. "Eine Ehe ohne Liebe denke ich mir entsetzlich." "Nicht wahr?" stimmte Mimi bei. "Dazu ist das Leben doch auch zu furchtbar ernst. Wenn ich Emil nicht liebte--" "Dann werden Sie auch gewiss gluecklich mit ihm," unterbrach Therese sie schnell. "Hermann ist auch noch viel zu jung zum Heiraten", fuhr sie fort. "Ein Lehrer mit seinem kargen Anfangsgehalt sollte noch nicht daran denken." "Das sage ich auch", eiferte Mimi. "Was kostet das nicht alles! Pohlenz sagt auch, mit dreitausend Mark moechte er nicht heiraten." "Das kommt nun auf die Ansprueche an", meinte Therese. "Natuerlich. Mit wie wenigem kann doch der Mensch eigentlich auskommen, wenn er nur will." "Sie werden nun Ihr gutes und reichliches Auskommen haben, liebe Mimi." "Ja, das haben wir nachher. Emil kann es ja", sagte Mimi. "Ich hoffe, Sie besuchen uns denn auch mal." XX. Frau Caroline hatte die Vorbereitungen zu ihrer Verlobungsfeier mit erklaerlichem Eifer getroffen. Ausser dem unvermeidlichen Platenkuchen hatte sie einen Puffer gebacken, gross genug, um die ganze Nachbarschaft abfuettern zu koennen. Trotzdem stand sie nicht davon ab, auch noch bei ihrem Brottraeger einen gefuellten Kringel zu bestellen. "Der Mann soll auch was davon haben", sagte sie. "Aber wo sollen wir mit all dem Kuchen hin, liebe Tante", wandte Therese ein. "Man keine Angst, der wird schon alle werden. Kuchen muss sein", erklaerte die Wittfoth. "Wenn mal, denn mal. So'n powern Kram mag ich nicht." Die Feier dieses wichtigen Ereignisses war bis nach Mimis Abgang aufgeschoben worden, um Hermanns Teilnahme zu ermoeglichen. Auch einem auswaertigen aelteren Bruder des Braeutigams, der nicht frueher hatte abkommen koennen, wurde auf diese Weise Gelegenheit gegeben, mitzufeiern. Onkel Martin, ein kleiner Hufner in der Naehe von Oldesloe, kam denn auch schon am Morgen des Familienfesttages mit dem Fruehzug an, mit ihm ein geraeumiger Korb mit Eiern, Wuersten und Speck. "Min Lowise waer gor to girn mit kamen", entschuldigte er seine Frau. "Aber de Luett is erst veer Wochen, nu Se weten wull." "Na, gratuleer ok!" rief die Wittfoth. "In Se ehr Oeller." "Jau, eenunsoestig is 'n Oeller", meinte er bedenklich. "Wo veel hebbt Se denn, Beuthien?" fragte Frau Caroline. "Neegen Stueck." "Herr des Lebens! Therese", rief die Wittfoth in die Kueche hinein. "Denk Dir, Herr Beuthien hat neun Kinder." "Neun?" lautete die verwunderte Rueckfrage. "Und all fix und gesund, min Dochter", sagte der Alte. Und als Therese in ihren Husten ausbrach, der sie noch immer hartnaeckig belaestigte, meinte der gutmuetige Mann, sie solle nur mal zu ihm aufs Land kommen, da koennte sie sich mal ordentlich "rausessen". "Satt kriegt sie hier auch", sagte Frau Caroline pikiert. Sie war in dieser Hinsicht etwas empfindlich. "Gloew ick, gloew ick", beruhigte Onkel Martin. "Aber de Hosten, de oll Hosten, de gefoellt mi nich." "Ja, ich weiss gar nicht, was das mit dem Husten ist", klagte die Tante. "Das geht nun schon wochenlang so. Wir muessen wirklich mal nach'n Arzt schicken." "Arzt! Arzt!" rief der alte Mann. "Wat sall de Keerl? Luft, frische Luft moet se hebben." "Bei Ihnen is es auch viel zu stickig, nehmen Sie mir das nich uebel", setzte er hinzu. "O, Tante sitzt am liebsten bei offenen Thueren und Fenstern," erklaerte Therese, "aber meine Erkaeltung vertraegt den Zug nicht." "Soll sie auch nicht", entschied Onkel Martin. "Zug is schaedlich. Aber frische Luft, de haett noch keenen Minschen umbroegt." "Sag ich das nicht immer?" rief Frau Caroline. "Aber alles will immer gleich sterben, wenn ich nur mal die Thuer aufmach. Mir soll's gleich sein. Ich sag nichts mehr." Nachmittags um fuenf Uhr wurde das Geschaeft geschlossen, das heisst, die Vorhaenge vor den Schaufenstern wurden herabgelassen. Da der einzige Zugang zur Wohnung durch den Laden fuehrte, musste dieser geoeffnet bleiben. Um nun jede Stoerung durch Kaeufer fern zu halten, hatte Tetje Juergens den Vorschlag gemacht, ein Plakat drucken zu lassen, mit der Aufschrift: Dieses Geschaeft ist heute von fuenf Uhr Nachmittags an wegen Verlobung der Inhaberin geschlossen. Aber sein praktischer Vorschlag drang nicht durch. Eine grosse Freude war es der Wittfoth und namentlich auch Therese, dass Hermann zugesagt hatte, zu kommen. Sonst waren nur noch Tetje Juergens nebst Frau Gemahlin gebeten. Tetje, wie er kurz bei seinen Freunden hiess, versprach am Abend nachzukommen, da er seine Wirtschaft nicht den ganzen Nachmittag dem Maedchen und dem Kellner alleine ueberlassen mochte, fuer den Abend aber eine Schwester seiner Frau nach dem Rechten zu sehen versprochen hatte. Frau Sophie aber wollte sich schon zum "Puffer" einstellen. Auch Wilhelm Beuthien hatte sich fuererst entschuldigen lassen muessen. Er hatte eine Fahrt nach Blankenese nicht abweisen koennen, da es sich um gute Kunden handelte, und war erst gegen acht Uhr zurueckzuerwarten. Frau Caroline hatte keine Muehe gescheut, es ihren Gaesten gemuetlich zu machen. Im Wohnzimmer war jeder Flicken, jedes Faedchen, jede Erinnerung an Geschaeft und Arbeit, sorgfaeltig entfernt worden. Ein Bouquet Rosen und Reseda, mit dem Therese schon am fruehen Morgen die Tante ueberrascht hatte, prangte in einer weissen Biskuitvase inmitten der in einem Kreis arrangierten Kaffeetassen, zwischen den Kuchenbergen und der Zuckerschale. Reine Gardinen und sauberstes Tischzeug verstand sich bei der Reinlichkeitsfanatikerin, als welche Frau Caroline sich gerne ausgab, von selbst, ebenso die frisch gewaschenen, gehaekelten Sofaschoner, Hermanns groesster Aerger. "Pfingstlappen" hatte er sie getauft, weil die Tante einmal an diesem hohen Festtag saemtliche Sitzmoebel mit solchem Zierat behangen hatte. Im "besten" Zimmer war die Herrichtung fast blendend. Hier prangte mitten auf dem runden Sofatisch in einer blauen Sevre-Vase ein geschmackvoll gebundenes Bouquet aus roten und weissen Rosen, das der galante Braeutigam geschickt hatte. In einer gleichen Vase auf dem Spiegelschrank stand protzend ein maechtiger Strauss buntfarbiger Georginen, den Onkel Martin seinem laendlichen Garten entnommen hatte. Auch auf dem Fensterbrett prunkten in Wasserglaesern kleinere Bouquets und ein vom Kraemer gespendetes rosagarniertes Blumenkoerbchen. Der praktische Mann hatte geglaubt, der Kundschaft wegen doch auch etwas thun zu muessen. Die angeheftete Visitenkarte trug unter seinem Namen Gotthilf Ochs zwischen zwei Ausrufungszeichen ein flott geschriebenes "!Viel Glueck und Heil!" Den zierlichen, geschnitzten Rauchschrank, eine Hinterlassenschaft ihres Seligen, hatte Frau Caroline mit Cigarren gefuellt, die Hermann hatte besorgen muessen. Als die kleine Gesellschaft, ausser Tetje und Wilhelm, um den Kaffeetisch versammelt war, traf noch ein Bouquet von auffallendem Umfang ein, mit Spitzen und Schleifen garniert. Ein allgemeines Ah des Entzueckens empfing die wundervoll duftende Gabe. Hermann, der sie dem Boten abgenommen hatte, oeffnete das beigegebene parfuemierte Couvert. "Mit herzlichem Glueckwunsch von Emil Pohlenz nebst Braut", las er von der kleinen Elfenbeinkarte ab. "Liebe Tante." Mit einer komisch sein sollenden Verbeugung ueberreichte er das Bouquet, dessen lautester und unermuedlicher Bewunderer. Therese beobachtete ihn still. Nachdem die Angriffskraefte auf die Kuchenberge erschoepft waren und auch die Unterhaltung ueber Wetter, Pferde, Kuchenbacken und den neuesten Raubmord auf St. Pauli ins Stocken kam, schlug Hermann einen kleinen Skat vor. Er sah wohl, dass die lange Zeit bis zum Abendessen sonst unerfuellbare Anforderungen an die geselligen Talente eines jeden stellen wuerde. Die drei Herren zogen sich zum Spiel ins Nebenzimmer zurueck. Der Cigarrenschrank wurde geoeffnet, und Therese stellte einige Flaschen Loewenbier zur Hand. Die Damen vertrieben sich die Zeit mit Haekeln, Albumbesehen und Kuechengespraechen. Versiegten diese Quellen, waren die Fehler und Thorheiten der Nachbarinnen eine ergiebige Fundgrube interessantesten Unterhaltungsstoffes. Die Kraemersfrau war nun schon dreimal in vierzehn Tagen ins Theater gegangen. Eine Mutter von zwei kleinen Kindern haette doch wahrhaftig andere Pflichten. Die aus der zweiten Etage, die immer so vornehm that, kaufte neulich, Tante Tille hatte es mit ihren eigenen tauben Ohren gehoert, fuer einen ganzen Pfennig Korinthen. Dass die Person sich nicht schaemte. "Und dabei thut solch Volk, als staenden sie mit'n Buergermeister auf Du und Du." Und als nun Frau Juergens die "Behnsch" erwaehnte, geriet Frau Caroline in eine kreiselnde Beweglichkeit. "Wissen Sie schon das?" "Haben Sie schon dies gehoert?" "Nu lassen Sie sich aber mal erzaehlen." So schwirrte es durcheinander. Es war eine Freude, wie gut die Zeit mit solchen angenehmen Gespraechen vertrieben wurde, und wie sehr die drei Damen in ihrer Lebensanschauung, in ihrem Urteil ueber Welt und Menschen uebereinstimmten. Nur Therese erlaubte sich dann und wann eine abweichende Meinung. Da sie sich jedoch sehr abgespannt fuehlte und ihres Hustens wegen nicht viel sprechen wollte, liess sie haeufig fuenf gerade sein und schwieg. Auch das ueberlaute Sprechen, durch Tante Tilles Schwerhoerigkeit bedingt, griff sie an. Sie ging ab und zu, machte sich mehr als noetig in der Kueche zu schaffen und beobachtete das Spiel im Nebenzimmer, wo Hermann besonders vom Glueck beguenstigt wurde. Auch einige Kaeufer, die sich von den herabgelassenen Vorhaengen nicht hatten abschrecken lassen, beschaeftigten sie zeitweilig. Endlich kam auch Tetje Juergens und gleich nach ihm Wilhelm. Die beiden nahmen die Plaetze der Brueder am Spieltisch ein, und diese zogen sich zu den Damen zurueck. Die Gesellschaft erhielt allmaehlich einen immer nuechterneren Anstrich, hatte gar nichts Verlobungsfeierliches mehr. Es ward Zeit, dass man zur Hauptnummer des Festprogramms, den Tafelfreuden, ueberging. Mit einigem Geraeusch vollzog man den Umzug in das andere Zimmer. Therese hatte die Tafel geschmackvoll arrangiert, die Bouquets zwischen dem kalten Aufschnitt und der suessen Speise geschickt aufgestellt und jedem Teller ein Extrastraeusschen beigelegt. Auf dem Sofa sass das Brautpaar, rechts von Frau Caroline Onkel Martin mit Frau Juergens, links von dem Braeutigam Tante Tille und Tetje Juergens, neben diesem Therese, Wilhelm gegenueber, dem sein Platz neben Frau Juergens angewiesen worden war. Hermann hatte seinen Sitz unten am Tisch, zwischen Wilhelm und Therese, vor sich die Bowle, denn ihm war das Amt des Mundschenken uebertragen worden. Frau Caroline hatte fuer guten "Stoff" gesorgt, mit Hilfe Tetjes, der sich als Fachmann darauf verstand. Der Punsch war in der That vorzueglich und weckte gar bald die eigentliche Feststimmung. Hermann brachte den ersten Toast auf das Brautpaar aus, dann folgte Rede auf Rede. Hermann sprach gern, etwas pathetisch und schulmeisterlich, mit reichlichem Citatenaufwand. Auch diesmal hatte er begonnen "Ehret die Frauen, sie flechten und weben". Tetje toastete auf Tante Tille, die erst von Frau Caroline darauf aufmerksam gemacht werden musste, dass ihr das Hoch gelte. Wilhelm Beuthien, der im uebrigen ziemlich wortkarg und zerstreut war, liess die Damen leben, und selbst Onkel Martin schlug mit dem Messer an das Glas. Er moechte doch auch ein paar Worte an die Brautleute richten und ihnen wuenschen, dass es ihnen immer gut gehen moege, "in truge Fruendschaft un Leev, un mit Gottes Segen." "Un upp de Nakommenschaft," setzte er hinzu, als die Glaeser aneinander klangen. Die Stimmung ward immer gemuetlicher. Hermann, der dem Punsch reichlich zusprach, hatte bereits mit Wilhelm Beuthien Duzbruederschaft getrunken. Tetje Juergens hatte die alte Negendank sogar einmal mit "min oll soete Deern" angeredet, und Therese sich schon mehrmals die Stirn am Handstein in der Kueche gekuehlt, da sich Kopfschmerzen bei ihr einstellten. Wilhelm Beuthien, dem anfangs schweigsamen, loeste sich allmaehlich die Zunge, da Hermann ihm fleissig einschenkte, und er rueckte mit allerlei gewagten Anekdoten und Raetseln heraus, die Tetje zu Theresens Aerger noch ueberbieten zu muessen glaubte. Hermann, der den "Stoff" auf die Neige gehen sah, raunte der Tante seine Wahrnehmung zu. Frau Caroline machte ein bedenkliches Gesicht und zuckte verlegen die Achsel. Hermann erbot sich "die Sache schon zu machen", und sie trug, gefolgt von ihm, die Terrine hinaus. "Halt, wohin damit", rief Tetje und folgte gleichfalls. "In min Koeoek hebbt Se nix to soeken", draengte die Wittfoth ihn zurueck und schloss die Thuer. Hier machte Hermann "die Sache" dann mit reichlicher Benutzung der Wasserleitung, einer Citrone und des letzten Restes einer von der Tante noch aufgefundenen Rumflasche. Triumphierend trugen sie die neue Fuellung auf den Tisch. Vorsichtig probierte Tetje das erste Glas. "Der schadt' nix, der is fromm", lobte er ironisch, "fuer die Damens vielleicht noch 'n bischen zu feurig." Frau Caroline gab ihm einen leichten Klaps mit ihrer Serviette. Das braeutliche Glueck und der genossene Punsch leuchteten ihr aus den kleinen Augen. "Nu Musik", meinte sie. "Dat's 'n Wort", rief Tetje, "Musik moeten wie hebben." Man sprach schon seit geraumer Zeit meist platt. "Wo hest Din Matrosenklaveer?" hiess es, und Wilhelm musste seine Handharmonika holen. Es sollte getanzt werden. Man rueckte Tische und Stuehle zusammen und rollte den Teppich auf. Wilhelm setzte sich hinter dem Tisch in die linke Sofaecke und begann den Spreewalzer zu spielen. Das Brautpaar eroeffnete den Familienball. Onkel Martin tanzte mit Frau Juergens, und Tetje zerrte die sich straeubende Tante Tille einmal durchs Zimmer. Hermann tanzte abwechselnd mit seiner Tante und Frau Juergens. Therese aber stand, an den Thuerpfosten gelehnt, und sah, das Taschentuch, des Staubes wegen, vor den Mund pressend, mit muede flackernden Blicken und brennenden Backen zu. Sie fuehlte sich sehr elend, klagte aber nicht, um die Froehlichkeit nicht zu stoeren. Ihr Kopf schmerzte heftig, ebenso die Brust, infolge des anhaltenden Hustens, zu dem sie das viele Sprechen, der Staub und Tabaksqualm in den kleinen Raeumen reizten. Sie sehnte das Ende der Festlichkeit herbei, musste sich aber noch vorher, von Abspannung ueberwaeltigt, zurueckziehen. Es war schon zwei Uhr nachts, als sich endlich auch die Tante zur Ruhe legte, beim Auskleiden die Leidende mit punschseliger Geschwaetzigkeit quaelend. XXI. Der alte Behn war gleich nach dem Horner Rennen ins Bad gereist. Er pflegte alle zwei Jahre nach Karlsbad zu gehen. Aber als starker Esser stellte er den Erfolg seiner Kur gewoehnlich schon in den ersten Wochen nach seiner Rueckkehr auf eine Probe, die dieser nie bestand. Die ganze Familie hatte ihm, wie immer, das Geleit an den Bahnhof gegeben. Lulu, die in tausend Sorgen war, hatte das Gefuehl, als waere ein Aufpasser weniger im Hause. Sie atmete einen Tag lang auf. Schalt sich aber schon am naechsten thoericht. Wie lange konnte sie es denn noch verbergen? Ueber kurz oder lang musste es zu Tage kommen, selbst wenn die Mutter blind waere. Wilhelm wich ihr gaenzlich aus. Vergebens hatte sie eine Annaeherung versucht, ihm auf der Strasse aufgepasst. Aber er hatte es ja so leicht, sie von seinem Bock aus zu uebersehen, sie, schneller fahrend, hinter sich zu lassen. Wollte er sich von ihr zurueckziehen? Hatte er nur sein Spiel mit ihr getrieben? Ihr schwindelte bei dem Gedanken. Aber er sollte nicht glauben, sie wie jede andere Lise behandeln zu koennen. Aber ihr Trotz, ihre Kampfstimmung hielt nicht lange vor. Sie war keine Heldin. Sie war nur stark im passiven Widerstand, im stumpfen Uebersichergehenlassen. Nach den kurzen Augenblicken auflodernden Trotzes bemaechtigte sich ihrer eine um so tiefere Niedergeschlagenheit. Auf die Dauer konnte der Mutter Lulus veraendertes Wesen nicht entgehen, die Ursache ihrer wechselnden Stimmung, ihres wechselnden Wohlbefindens nicht verborgen bleiben. Sie hatte schon Verdacht, als sie sich noch immer schweigend, beobachtend verhielt. Lulu, mit der Feinfuehligkeit des schlechten Gewissens, merkte es der Mutter wohl an, dass diese sie erraten hatte. Sollte sie ihr zuvorkommen, ihr alles gestehen? Es draengte sie dazu. Aber der versteckte Trotz ihres Charakters erhob immer wieder Einsprache, unterstuetzt durch die Feigheit. Lulu hatte ja auch mit der Mutter nie auf solchem Fuss gestanden, dass sie nun ein liebevolles Verzeihen, Mitfuehlen, Verstaendnis, erwarten und beanspruchen durfte. Sie hatte der Mutter selten ein gutes Wort gegoennt, und sollte sich nun so vor ihr demuetigen. Ihre Seelenqualen wurden noch durch Paula vermehrt, die sich arglos beklagte, dass Wilhelm Beuthien sie gar nicht mehr beachte. "Er thut immer, als sieht er mir nicht. Aber was ich mir dafuer kaufe." Im Grunde aber aergerte sich die Kleine sehr ueber Beuthien, dessen Benehmen sie sich nicht zu deuten wusste. Sie hatte sich etwas darauf eingebildet, dass er sie bisher ueberhaupt beachtet hatte. Es war ihr heimlicher Stolz gewesen. Nun sah er ueber sie hinweg, wie ueber jedes andere Schulmaedchen. Ihre Eitelkeit war verletzt. Aber statt sich verschuechtert zurueckzuziehen, setzte sie ihren Ehrgeiz darin, das verlorene Terrain wieder zu gewinnen. Beuthien war ihre fixe Idee. Sie verfolgte und beobachtete ihn und machte die Schwester, zu der sie in dieser Sache Vertrauen gewonnen hatte, zur Mitwisserin ihrer Entdeckungen. "Du mit Deinem Beuthien", rief Lulu dann manchmal gequaelt. "Was geht Dich Beuthien an." Aber sie war dann wenigstens froh, aus Paulas Antworten entnehmen zu koennen, dass diese keine Ahnung von ihrem Verhaeltnis zu Beuthien hatte. Um so groesser war ihre Angst vor der Mutter. Immer draengte sich das Gestaendnis auf die Zunge, aber immer schreckte sie wieder zurueck. Und doch, irgend jemand musste sie sich anvertrauen. Allein konnte sie es nicht mehr tragen. Mehrmals schon war sie in ihrer Angst im Begriff gewesen, Minna, das Maedchen, ins Vertrauen zu ziehen. Einmal hatte sie sogar schon leichthin Andeutungen gemacht, aber Minna war zu dumm, zu "begriffsstuetzig." Nachher hatte Lulu sich gescholten. Schaemte sie sich denn nicht, sich so gemein mit dem Dienstmaedchen zu machen? Dann aber kam der Tag, der allem ein Ende machte, ihr die Entscheidung aus der Hand nahm. Frau Behn war ihrer Sache gewiss geworden und konnte nicht laenger schweigen. Im Comptoir des Vaters, unter vier Augen, sprachen sie sich aus. Nur eine leise Andeutung der Mutter, ein fragender Blick, und Lulu brach in Thraenen aus. "Wo heet he?" fragte Frau Behn ruhig, aber energisch. Lulu schwieg. Die Mutter schuettelte sie heftig am Arm. "Wull Du reden. Wo heet de Keerl?" Wo war Lulus Trotz? Wie ein Kind musste sie sich schelten lassen? Es war, als ob das Uebergewicht, das die sonst so schwache Frau ploetzlich ueber die Tochter erlangt hatte, allem lange aufspeicherten Groll der Mutter die Riegel oeffnete. Sie bebte vor Zorn. "Wo heet de Keerl?" rief sie immer heftiger. "Ik will dat weten." Und als Lulu trotzte, "das sag ich nicht", ohrfeigte sie sie. "Das ist gemein", fuhr Lulu auf. "Was ist gemein?" Die Mutter rueckte ihr fast auf den Leib. "Was ist gemein? Du, Du!" Ein tiefes Erblassen, ein roechelndes Nachatemringen, ein unsicheres Umhertasten mit den Haenden, und schwer sank Lulu an dem neben ihr stehenden Stuhl hin zu Boden. Erschrocken sprang die Mutter zu. "Lulu! Kind!" Sie riss die Thuer auf und rief nach Minna und nach Wasser. Das Maedchen brachte das Verlangte erstaunt. "Is Fraeulein krank?" fragte sie und half der Mutter, die Ohnmaechtige auf den kleinen Lederdivan betten. "Se is man beten flau", war die Antwort. "Lat man dat Fueer nich utgahn, hoerst Du?" Und Minna sah nach dem Herdfeuer, waehrend Frau Behn der sich erholenden Lulu sanft ueber Stirn und Scheitel strich. "Deern, Deern", sagte sie vorwurfsvoll, aber mit weichem, warmem Herzenston. "Wat'n Sak, wat'n Sak." Seit dieser Stunde waren Mutter und Tochter ausgesoehnt, hatten sich wieder gefunden. XXII. Die Verlobungsfeierlichkeit hatte Therese sehr angegriffen. Nach kurzem, unruhigem Schlaf war sie mit heftigem Husten und leichtem Schuettelfrost erwacht. Frau Caroline war sehr besorgt. Therese wollte durchaus aufstehen, da die Tante sonst den Tag ueber allein im Geschaeft sein wuerde, denn das neue Fraeulein sollte erst am andern Tage zugehen. Aber die Tante litt nicht, dass Therese das Bett verliess. Wenigstens wollte sie vorher mit dem Arzt sprechen. Ein Kind aus der Nachbarschaft uebernahm gern, fuer zwanzig Pfennig Botenlohn, diesen zu holen. Er kam und konstatierte eine Lungenentzuendung. Therese muesse unter allen Umstaenden im Bett bleiben. Warum man nicht schon frueher geschickt haette. Auch duerfe die Kranke auf keinen Fall in dem dunklen feuchten Hinterzimmer bleiben. Er nahm die uebrigen Raeume in Augenschein und ordnete die Umbettung ins beste Zimmer an. Frau Caroline war untroestlich und quaelte Therese mit lautem Lamentieren. Die gutmuetige Frau scheute kein Opfer, aber es war ihre Art, alle Dinge zu vergroessern und ueber kleine Unbequemlichkeiten tagelang zu jammern. "Was fang ich an. Wie sollen wir die Moebel umsetzen? Ich kann das nicht. Ich kann den schweren Schrank nicht tragen." Therese beruhigte sie, dass man Hilfe finden wuerde, niemand mute ihr zu, den schweren Schrank eigenhaendig ins andere Zimmer zu tragen. "Und wenn die Frieda uns nun sitzen laesst", jammerte die Tante weiter. "Was soll ich anfangen. Alle Haende voll zu thun, und keine Hilfe." "Warum sollte Fraeulein Frieda nicht kommen, liebe Tante?" troestete die Kranke. "Du machst Dir viel zu viel unnoetige Sorgen." "Du hast gut sprechen", eiferte die Wittfoth. "Du liegst ruhig im Bett. Aber ich soll man alles allein fertig bringen. Die Kueche sieht schon aus, dass ich mir die Augen aus'n Kopf schaeme. Kein Stueck ist rein." Therese schwieg. Sie wusste, dass in solchen Stunden mit der umstaendlichen Frau nicht zu reden war. Natuerlich ging alles besser, als Frau Caroline gedacht hatte. Vater Beuthien erwies sich beim Umsetzen der Moebel als treuer Braeutigam und Helfer in der Not, und auch Fraeulein Frieda traf rechtzeitig ein, eine kleine schwarzaeugige, bleichsuechtige Bruenette, mit Anlagen zur Korpulenz. Hermann, der sich zu erkundigen kam, wie das Familienfest den beiden Damen bekommen sei, erschrak, Therese bettlaegerig zu finden. Er kam in der Folge oefter, und sie liess es zuletzt zu, dass er vor ihrem Bett sass. Sie befand sich nie besser, war nie hoffnungsfreudiger, als wenn er bei ihr war. Sie sprach mit Zuversicht von ihrer baldigen Genesung, und er unterstuetzte sie in diesem Glauben, obgleich er sehr besorgt war. Er sah sie abmagern, sah die kleinen roten Punkte auf den Wangen sich zu Flecken vergroessern. Er hatte heimlich mit dem Arzt gesprochen, und der hatte ihm wenig Hoffnung gemacht. Die Schwindsucht, die bisher im Verborgenen geschlichen, waere heftig zum Ausbruch gekommen, und es wuerde wohl schnell zu Ende gehen. Hermann hatte der Tante nichts von seiner Unterredung mit dem Arzt gesagt, da er sie genuegend kannte, um zu wissen, dass sie sich unverstaendigen, die Kranke schaedigenden Gefuehlsausbruechen hingeben wuerde. Frau Caroline erzaehlte ueberhaupt gern Krankengeschichten. Hatte jemand einen Schnupfen, so wusste sie unbedingt Faelle von toetlicher Ausartung dieser an sich gefahrlosen Erkaeltung. Bei einem Sterbefall erinnerte sie sich eines halben Dutzend anderer und wusste Ursache, Verlauf und Ende jeder Krankheit bis ins kleinste zu vermelden. Auch Lungenentzuendungsfaelle schwerer Art hatte sie genuegend erlebt, um Therese die angenehme Aussicht auf moeglicherweise ungluecklichen Ausgang eines solchen Leidens naiv zu eroeffnen. Natuerlich nahm sie Theresens Fall nicht fuer so ernst. Durch ihr Geschaeft, durch die Einfuehrung und Anleitung des neuen Fraeuleins vollauf in Anspruch genommen, blieb sie in ihrer Taeuschung. "Der Husten muss austoben", sagte sie. "Wir wollen Dich schon wieder rauskriegen. Sei man ruhig." "Wenn ich nur vor dem Herbst wieder werde, damit ich das schoene Wetter noch geniessen kann", meinte Therese, und die Tante versprach ihr noch die schoensten Tage. Vorlaeufig schienen diese sich auf die Wanderschaft begeben und diesen Bezirk griesgraemlicheren Vettern ueberlassen zu haben. Statt der Hitze der Hundstage war eine Regenperiode angebrochen, wie sie so oft den Sommer in Hamburg schmaelert. Bestaendige Westwinde trieben immer neue Regenmassen herbei. Kein Tag verging ohne Niederschlaege. Es waren unfreundliche, fast herbstliche Tage. Traurig sah Therese von ihrem Lager aus den Regen herunterrauschen, gegen die Fenster prasseln, von dem Trottoir aufspritzen in kleinen glitzernden Boegen, Strahlen und Tropfen. Wie freute sie sich, wenn ein Sonnenstrahl durch das truebselige Grau drang, an der Wand des Behnschen Hauses herunterglitt, ueber die Strasse huepfte, zu ihr ins Zimmer hinein. Wie gern haette sie ein Stueck Himmel gesehen, aber sie musste sich von ihrem Bett aus mit der beschraenkten Aussicht auf das Strassenpflaster und das Parterre des Behnschen Hauses begnuegen. So kam es, dass sie sich haeufiger mit dessen Bewohnern beschaeftigte, namentlich mit Lulu. Wie lange hatte sie Lulu nicht gesehen. Ob sie wohl noch mit Wilhelm Beuthien ein Verhaeltnis hatte, wie Mimi einmal behauptete. Therese konnte es nicht glauben. Mimi uebertrieb immer, wenn sie erzaehlte. Warum denn Mimi sich wohl gar nicht wieder blicken liess. Es war doch unrecht. Ob sie doch stolz geworden war? Wie gerne haette sie einmal etwas von ihr gehoert. Hermann schien doch besser ueber den Schmerz, den Mimi ihm zugefuegt, hinweg zu kommen, als sie geglaubt hatte. Vielleicht war es auch keine tiefe, echte Neigung von ihm gewesen. Ob er einer solchen ueberhaupt faehig war? Keinen Augenblick zweifelte sie daran. Wie thoericht war es von Mimi, Hermann nicht festzuhalten. Aber es war doch gut so. Er wuerde als Verlobter Mimis nicht so viel Zeit fuer sie jetzt uebrig gehabt haben. Wie freute Therese sich auf sein naechstes Kommen, auf das sie sicher rechnen durfte. Er vergass sie nie, und sie fuehlte wohl, es war echte Teilnahme, was ihn zu ihr fuehrte, nicht kaltes Pflichtgefuehl. Das machte sie gluecklich. Sie hatte Teil an seinem Herzen. Manchmal aber bangte ihr heimlich, wenn sie erst wieder gesundet sei, seines Mitleids nicht mehr beduerfe, koennte das alles wieder anders werden. Und manchmal auch, aber selten, sehr selten, kam ihr die Furcht: wenn du nun stirbst? Aber nur wie ein fluechtiger Schatten huschte das Bild des Todes durch ihre Gedanken. Ihre Hoffnungsfreudigkeit war nicht zu beeintraechtigen, und es war ein Glueck, dass auch Frau Carolinens Sorglosigkeit keine truebe Stimmung aufkommen liess. Die Tante war auch viel zu viel mit sich selbst beschaeftigt. Nie hatte sie so viel zu thun gehabt, als gerade jetzt, da Therese im Bett liegen musste. "Die Hausthuer klingelt nur einmal am Tag", sagte sie, um anzudeuten, dass die Ladenglocke ueberhaupt nicht zum Schweigen kaeme. "Meine Beine, meine Beine! Noch einen Tag laenger, und ich bin fertig." "Na, an mir ist ja auch nicht viel gelegen", setzte sie oftmals hinzu. Fraeulein Frieda zeigte sich sehr unanstellig und unerfahren. Sie war natuerlich "die Schlechteste, die man haette kriegen koennen, zu nichts zu gebrauchen, nicht mal zum Kartoffelschaelen." "Haetten wir doch Mimi noch", klagte die Tante. "Waerst Du nicht krank, sofort schickte ich die dumme Person weg. Jede Minute muss man sich aergern. Aber wie kann ich jetzt wechseln. Dann ginge ja wohl alles zu Grunde." "Warte nur Tantchen, bis ich wieder besser bin, lange kann's ja nicht mehr dauern", troestete Therese. "Zeit wird's", seufzte Frau Caroline. "Alleine halte ich es nicht mehr aus. Ich bin am ganzen Koerper wie zerschlagen. Wenn es so weiter geht, lege ich mich auch noch hin." Das klang gerade nicht sehr aufheiternd fuer Therese. Aber wenn diese die Bedauernswerte kurz nach solchen Klageliedern im Laden laut lachen, oder in der Kueche mit Tellern unsanft umherstossen hoerte, war sie ueber Nerven und Glieder der Tante beruhigt. XXIII. Auf den inhaltsschweren Brief seiner Frau unterbrach der alte Behn sofort seine Kur und reiste zurueck. Lulu hielt sich in ihrem Zimmer auf, als der Vater eintraf. Die Begruessung war fast wortlos. Es war ja auch nicht viel zu erzaehlen, die Frau hatte in ihrem Brief mit genuegender Ausfuehrlichkeit berichtet. Lange hatte der Alte am Fenster gestanden und schweigend auf die Strasse hinausgestarrt, das untruegliche Zeichen einer tiefen Erregung bei ihm, als er, ohne sich umzuwenden, fragten "Wo ist de Deern?" "In ehr Stuv, Johannes." "Ik will se nich sehn", stiess er hervor. "Nich vor Ogen." Wie tief auch die Geschichte an ihm frass, so war es doch fast mehr noch die soziale, als die moralische Seite, worueber er nicht hinwegkommen konnte. Er hatte Beuthiens nie verachtet, aber es war immer sein Stolz gewesen, den ehemaligen Schulkameraden ueberfluegelt zu haben, er, der Umhertreiber und Thunichtgut von damals, den fleissigen, ordentlichen Musterschueler. Wie oft war Heinrich Beuthien ihm von den Lehrern als Beispiel aufgestellt worden, wie oft hatte es geheissen. Das wird noch mal ein tuechtiger Mensch, aus Dir aber wird nie was Rechtes. Nun war doch etwas Rechtes aus ihm geworden, durch Thatkraft und Umsicht, waehrend Beuthien, der gute, ordentliche Mensch, es nicht weiter, als bis zum kleinen Droschkenkutscher gebracht hatte. So waren sie allmaehlich auseinander gekommen. Jeder mied den andern, geniert durch das Missverhaeltnis der Lebensstellungen. Nun musste so etwas zwischen ihren Familien vorfallen. Wilhelm musste seine Pflicht gegen Lulu erfuellen, da gab es keinen Ausweg. Der Alte war sich sofort klar, was er zu thun hatte. Aber es ward ihm schwer, furchtbar schwer. Er hatte sich fuer Lulu einen andern gewuenscht, als diesen Kutscher, diesen Liebling der Dienstmaedchen. Hatte er sie deshalb in die Pension geschickt? Wenn der Bursche sich nun weigern wuerde, sein Vergehen zu suehnen, was dann? Unmoeglich konnte er klagen, die Sache vors Gericht bringen. Aber so weit wuerde es ja nicht kommen, der alte Beuthien war ein Ehrenmann und wuerde seinem Sohn schon ins Gewissen reden. Zweimal hatte Behn sich auf den Weg gemacht zu Beuthiens und war wieder umgekehrt. Aber es musste sein, und er ging zum dritten Mal. Die Kehle war ihm wie zugeschnuert, das Herz klopfte ihm auf diesem Gang, wie einem furchtsamen Schuljungen. Und er haette doch im Zorn die Strasse hinunterstuermen und alles kurz und klein schlagen sollen, wie er es sicher gethan haette, wenn er beim Empfang der ersten Nachricht an Ort und Stelle gewesen waere. Als er zu Beuthiens Wohnung hinaufstieg, die sich in dem einzigen Stockwerk ueber der Wagenremise befand, sah er, durch die halbgeoeffnete Stallthuer, Wilhelm beschaeftigt, das Pferdegeschirr zu putzen. Der Anblick des Suenders weckte seinen Grimm. Am liebsten haette er sich gleich auf ihn gestuerzt, aber er bezwang sich und stieg die schmalen, ausgetretenen Stufen der engen steilen Treppe hinauf. Die schwarze Katze, die sich unten gesonnt hatte, floh erschreckt vor ihm auf. Heftig stiess er oben die Thuer auf, gegen die rasselnde Schutzkette. Tante Tille, in altmodischer weisser Haube, die sie nur des Nachts ablegte, ein Butterbrot in der Hand, oeffnete ihm. "Meine Guete, Herr Behn!" rief sie erstaunt. "Ik meen, Se suend fort?" Er fragte nach Beuthien. "Kamen S' man rin, Heinrich vespert grad", lud sie ihn ein. Der alte Beuthien sass auf dem kleinen, abgenutzten Rosshaarsofa vor dem mit dunklem Wachstuch bedeckten Tisch und liess sich es anscheinend gut schmecken. Es war ein kleines, niedriges Zimmer, einfach aber freundlich moebliert, in das Behn eintrat. Alles war sauber. Die grossgebluemten, mit selbstgehaekelten Spitzen eingefassten Kattungardinen und der niedrige, braune Kachelofen gaben dem Raum etwas hoechst gemuetliches. Der frisch gescheuerte Fussboden zeugte von groesster Reinlichkeit. Auch die beiden billigen Oeldruckbilder Kaiser Wilhelms II. und Kaiser Friedrichs, in schwarzem Rahmen, zu jeder Seite des schmalen goldenen Sofaspiegels, fuegten sich ganz gut der Umgebung ein. Nur dieser Spiegel, mit der abgeblaetterten Vergoldung und dem grossen Spliss in der untern linken Ecke des Glases, stoerte etwas den wohlthuenden Eindruck des Ganzen. Behn reckte und streckte sich beim Eintritt, als wollte er sich zu einer imponierenden Erscheinung aufrichten. Erstaunt empfing ihn Beuthien. "Behn?" fragte er gedehnt, sich erhebend. "Suend wi unner uns, Beuthien?" fragte dieser zurueck. "Ja, wat is?" Er stand auf, horchte zum Korridor hinaus und schloss die Thuer wieder. "Wat is, Behn?" Kurz, heftig, stiess Behn seine Anklage heraus. Beuthien war starr. "Din Lulu?" Einen Augenblick sassen sich die beiden Maenner stumm gegenueber. Beuthien stand auf. "He sall kamen, gliek." Behn hielt ihn zurueck. "Wull Du noch wat?" fragte Beuthien. "Ne, ne, he sall man kamen." Als Wilhelm die beiden Alten zusammensah, wusste er sofort, was seiner wartete. Aber er war nicht feige. Er gruesste unbefangen und sah bald den einen, bald den andern an. "Segg em dat suelfst", sagte sein Vater. "He weett't woll all", bebte Behn, wuetend ueber Wilhelms Ruhe. "Wat denn?" fragte dieser keck, trotzdem ihm schon anfing, ungemuetlich zu werden. "Hund Du!" fuhr Behn auf, mit geballten Faeusten. Wilhelm wich nicht zurueck. "Ik lat mi nich schimpen", drohte er. Der alte Beuthien legte seine Hand auf Behns Arm, wie beschwichtigend, der aber schleuderte sie heftig zurueck. "Du buest ja 'n ganz gemeinen Lumpen", schrie er Wilhelm an, der kreideweiss wurde. "Johannes, Johannes", warf sich der alte Beuthien zwischen die beiden. "Woans hest Du Din Fru kregen?" "Dat is wat anners", keuchte Behn. "Ne, Johannes, dat is een Sak", sagte Beuthien ruhig. "Du hest se heiratet, un Wilhelm ward se ok heiraten." Wilhelm erklaerte, er wuesste was recht waere, aber er koennte seine Pflicht nicht thun. "Wat?" rief Behn. "Ik kann nich", wiederholte Wilhelm. "Du kannst nich?" "Ne, ik kann nich." "Is se Di nich god nog mehr?" hoehnte Behn bitter. Wilhelm zoegerte lange mit der Antwort. "Ik haew all 'n Kind", stiess er endlich hervor. XXIV. Wilhelm hatte gebeichtet. Anna, das fruehere Behnsche Maedchen, war die Mutter seines Kindes. Behn hatte es uebernommen, dieser ihre aelteren Rechte auf Wilhelm abzukaufen. Er fand das Maedchen in einem Keller bei Hoekersleuten einquartiert, in einem engen, dumpfigen Raum. In einem grossen Waeschekorb lag das erst vierzehn Tage alte Kind, haesslich, klein, eine Fruehgeburt. Anna schaemte sich vor ihrem ehemaligen Herrn, nahm aber, als sie hoerte, um was es sich handelte, eine keckere Haltung an. Lulu, der hochmuetigen, goennte sie ihr Unglueck. Sie trug ihr noch immer die Misshandlung nach. Ihr sollte sie weichen, der ihre Rechte abtreten? Nie! Aber schliesslich gelang es Behn doch, sie mit einer ansehnlichen Summe zufrieden zu stellen. Die Ruecksicht auf das kranke Kind mochte sie mit bestimmt haben, das ohne sorgfaeltigste Pflege nicht gedeihen konnte. Starb es aber, so waren ihr die tausend Mark von Behn noch lieber, als selbst Beuthien. Welch ein Vermoegen, tausend Mark! Behn hatte sie ihr bar auf den Tisch gezaehlt, zehn Hundert Markscheine. So ausgesteuert, konnte sie, ihrer Meinung nach, ganz andere Freier bekommen, als Wilhelm war. Dieser war froh, dass alles sich so gut arrangierte. Sollte er denn durchaus heiraten, so war ihm Lulu natuerlich lieber, als Anna. Lulu erfuhr durch ihre Mutter, dass Beuthien sie heiraten werde. "Vadder haett sik vel Moeh geben", setzte die einfaeltige Frau hinzu. "Dusend Mark haett em dat kost't. Du kannst em nich dankbar nog sin." "Fuer Geld?" rief Lulu. "Ne, so nich. Du versteihst mi falsch, Kind", beruhigte die Mutter sie. Und dann erzaehlte sie, nach ihrer Meinung sehr schonend, die Geschichte mit Anna. Lulu hatte nichts darauf erwidert und war sehr nachdenklich geworden. Also Anna haette sie es eigentlich zu verdanken, wenn sie vor Schande bewahrt blieb. Und das Maedchen wusste natuerlich nun alles, empfand Schadenfreude, sah sie als ihresgleichen an. Aber alle diese Gedanken kamen ihr nur so nebenher. Alles erdrueckte die Gewissheit, dass Beuthien sie hintergangen, es schon mit der andern gehalten hatte, als er sie ins Unglueck riss. Wer sagte ihr, dass Anna die einzige sei? Und mit diesem Menschen sollte sie zeit ihres Lebens verbunden sein. Ihr schauderte. Ihre Neigung zu Beuthien war in den Qualen der letzten Tage untergegangen. Nun empfand sie Ekel vor ihm. Alle seine Fehler, seine Roheiten draengten sich ploetzlich in ihr Bewusstsein. An diesen ungebildeten, brutalen Menschen hatte sie sich verloren. Sie kam sich wie besudelt vor. Sie konnte von ihrem Zimmer aus in die Kueche der Nachbarhaeuser sehen. Jene Koechin mit den dicken, roten Armen, die eben mit plumper Geschaeftigkeit auf dem Fensterbrett den Moerser handhabte, wie oft mochte sie in seinen Armen gelegen haben. Und dort oben, in der dritten Etage, die kleine frech ausschauende Person, und da unten in Parterre die lange rothaarige, hat er sie nicht vielleicht alle schon mit seinen Zaertlichkeiten bedacht? Es war ihr, als saehen alle zu ihr herueber, in ihr Fenster hinein, hoehnisch, vertraut: Wir gehoeren zusammen, Fraeulein. Sicher sprach man jetzt ueberall von ihrer Schande. Wuerde Anna schweigen, Anna, die sicher noch ihren alten Hass hegte? Welcher Einfall von dem Vater, sie von dieser Person frei zu kaufen. Hiess das nicht, die Sache erst recht unter die Leute bringen? Mochte Beuthien doch das Maedchen heiraten. Sie, Lulu, wollte lieber aus dem Hause gehen, weit fort, arbeiten, fuer sich, fuer das Kind, oder sterben. Es war das erste Mal, dass der Gedanke an den Tod ihr kam. Sie hing ihm nach, malte sich es aus, den Schrecken der Familie, die Reue Beuthiens, das Mitleid der Nachbarn. Natuerlich, so lange wird man beklatscht, begeifert, gesteinigt, aber nachher, hat man es nicht mehr ertragen koennen, dann weinen sie ihre Heuchelthraenen. Wie ekelhaft ihr die Menschen waren. Nein, nicht leben mehr. Ein Sprung in die Alster, und alles ist gut. Der Kopf war ihr so schwer, und die Augen schmerzten ihr vom Weinen. Sie kuehlte sich am Waschtisch Augen und Stirn. Bei dem Blinken des Wassers musste sie immer an die Alster denken. Ein Sprung in die Alster. Sie hatte einmal einen Ertrunkenen auffischen sehen. Das Bild trat ihr vor Augen. Sie schuettelte sich vor Grausen und atmete wie befreit auf. Wer zwang sie denn? Sie war ja frei. Als die Mutter sie so muede und elend fand, redete sie ihr zu, doch etwas in die Luft zu gehen. Sie muesse sich Bewegung machen, auch des Kindes wegen. Lulu wehrte ab. Dann sollte sie wenigstens am Abend gehen, nach Dunkelwerden. Sie wollte sie begleiten, meinte die Mutter. Ja, am Abend, jetzt nicht. Aber allein, sie ginge am liebsten allein, nickte Lulu. "Is recht min Deern, dat deit di god", sagte die Mutter. XXV. Nirgends wurde die "nette Geschichte mit der Behn" eifriger besprochen, als im Wittfothschen Keller. Man war ja hier "der Naechste dazu". Frau Caroline stellte sich voellig auf den Standpunkt der Moral. Sie verurteilte Lulu und tadelte Wilhelm, ganz wie es sich fuer eine anstaendige Frau geziemte, und haette sicher an beiden kein gutes Haar gelassen, wenn nicht die Aussicht, mit Behns verwandt zu werden, ihre sittliche Entruestung etwas gemildert haette. Sie hatte sich immer von der vornehmen Lulu ueber die Achseln angesehn gefuehlt. Nun rueckte sie jener gegenueber gar in den Rang einer Schwiegermutter auf. Frau Beuthien senior und Frau Beuthien junior wuerde es nun heissen. Meine Schwiegertochter Lulu. Der Wittfoth "lachte das Herz im Leibe" bei diesem Gedanken. Vielleicht nannte Lulu sie gar Mama. "Es ist doch ein furchtbar leichtsinniges Ding, die Lulu", sagte sie zu Therese. "Und Wilhelm ist ebenso. Aber es ist ja nun man 'n Glueck, dass noch alles so gut ablaeuft." Therese nahm wenig Teil an dieser Affaire. Ihre immer mehr abnehmenden Kraefte bedurften der Schonung. Ihre Gedanken weilten ganz wo anders, als bei diesen kleinen Erdendingen. Seit einigen Tagen wusste sie, dass sie sterben wuerde. Sie hatte sich im Traum im Sarg liegen sehen und sah wiederholt an der Zimmerdecke Maeuse. Das bedeutete den nahen Tod. Therese wollte sonst nicht fuer aberglaeubisch gelten. Kartenlegen, Besprechen und anderen Altweiberunsinn belaechelte und verspottete sie. Aber alles, was mit dem Tode zusammenhing, hatte ihr von je her ehrfurchtsvollen Schauder abgenoetigt. So weit erstreckte sich ihre Aufklaerung nicht. Dass der Tod entfernter Personen sich oftmals ankuendigt, durch Herabfallen von Bildern, Stillstehen von Uhren, geheimnisvolles Rufen, galt ihr durch mehr als ein Vorkommnis fuer erwiesen. Die Tante, der sie ihren Traum erzaehlte, hatte erst ein ganz bestuerztes Gesicht gemacht und dann laut gelacht und ihr eifrig den "Unsinn" auszureden gesucht. Als ob Tante Caroline nicht ebenso steif und fest an dergleichen Vorbedeutungen glaubte. Hermann gegenueber hatte Therese Scheu, davon zu reden. Aber einmal, gespraechsweise machte sie doch Andeutungen. "Unsinn", sagte er, ganz wie die Tante. Dann ergriff er ihre Hand, streichelte sie sanft und sagte bestimmt: "Du wirst noch wieder fix und gesund, Resi." Als sie unglaeubig den Kopf schuettelte, sagte er wiederholt "Unsinn, Unsinn", stand auf und sah lange zum Fenster hinaus. Das sagte ihr genug. Aber sie blieb ruhig und heiter. Sie haette vor einigen Wochen selbst nicht geglaubt, dass sie den Tod so ruhig erwarten koennte. Kein Zagen, kein Graun. Nur am letzten Abend, als Hermann fortging und erst in zwei Tagen wiederkommen zu koennen erklaerte, war ihr auf einmal so bange geworden, so zum Aufschrein angst. Es war ihr, als wuerde sie ihn nie wiedersehen, als muesste sie ihn mit Gewalt zurueckhalten. Frau Caroline, der auch vom Arzt, auf Hermanns Wunsch, noch nicht alle Hoffnung genommen worden war, glaubte, Therese wuerde die "Krisis" ueberstehen. Sie sprach viel von dieser Krisis, ohne sich eine klare Vorstellung davon zu machen. Vielleicht wuerde ihr der Ernst der Krankheit mehr zum Bewusstsein gekommen sein, wenn nicht ihre persoenlichen Angelegenheiten sie gar so sehr in Anspruch genommen haetten. Die geschaeftlichen Obliegenheiten lagen thatsaechlich fast allein auf ihren Schultern, da Fraeulein Frieda sich fortgesetzt unbrauchbar zeigte. Dazu kamen die Heiratsgedanken. Beuthien hatte auf baldige Heirat gedrungen, und man hatte schon allerlei Vorbereitungen getroffen. Nun schob Theresens Krankheit und die "leidige" Geschichte mit Wilhelm und Lulu alles wieder auf. Die Behnsche Geschichte interessierte sie ungemein. Die Maedchen, die in ihren Laden kamen, sprachen davon und suchten von ihr mehr zu erfahren. Sie stand ja als so nahe Verwandte des Suenders mitten in der Aktion, und von je her war sie nie gluecklicher gewesen, als wenn sie irgendwo "mit dazu gehoerte." Als kuenftige Schwiegermutter der ins Unglueck geratenen, bewahrte sie natuerlich allen Ausfragern gegenueber die noetige Zurueckhaltung, und half durch ihr geheimnisvolles Wesen nur noch mehr, einen dichten Schleier abenteuerlicher Geruechte um diesen pikanten Vorfall zu weben. Wie erschrak sie, als Mutter Behn frueh morgens, um sechs Uhr, mit der aengstlichen Frage bei ihr vorsprach, ob sie Lulu nicht gesehen habe. "Se is utgahn gistern Abend und is nich wedder an't Hus kamen." "Meine Guete, Frau Behn", rief die Wittfoth "Ihr ist doch nichts passiert?" Die Gemuesefrau von nebenan kam. "Hebben Se all huert? Behns ehr Lulu is furt." Ein Dienstmaedchen aus der Gaertnerstrasse wollte "man bloss mal auf'n Augenblick einsehen". "Nu is se ja woll utrueckt", meinte sie. "Wat'n Upstand." Auch der alte Beuthien kam ganz verstoert. "Line, Line, wat'n Stueck--wat'n Stueck." Im Hinterzimmer schellte Therese, aber niemand hoerte sie. Fraeulein Frieda stand mit offenem Mund und vor Erregung gluehenden Wangen immer neben der Wittfoth. "Wenn sie sich nur nichts angethan hat", sagte sie. "Ach was soll sie wohl", fuhr Frau Caroline sie an. "Haben Sie schon die Schuerzen gesaeumt? Sie wissen ja, sie sollen doch bis ein Uhr fertig sein." Damit schuettelte sie diese kleine Klette energisch von sich ab. Mittags kam Beuthien wieder. "Se hebbt se". sagte er finster. "Dod?" fragte die Wittfoth. Beuthien gab mit dem Daumen ueber die rechte Schulter hinweg die Richtung an: "In'n Kanal." "Herr meines Lebens!" rief die erschrockene Frau. "Da muss ich mich erst mal setzen. Das ist mir ordentlich in die Beine gefahren." Ein lautes durchdringendes Schellen klang von hinten her. "Mein Gott, Therese. Das ewige Klingeln. Es ist aber auch gar zu doll. Was sie nu wohl wieder hat." Damit haftete sie ueber den Korridor, steckte aber im Voruebereilen den Kopf durch die Thuer des Arbeitszimmers: "Sind Sie fertig, Frieda? Nein? Na halten Sie sich man nicht auf, und man ja nicht zu breit, hoeren Sie?" XXVI. Der alte Behn sass in seinem Comptoirzimmer vor dem Schreibtisch, die Ellbogen aufgestuetzt, das Gesicht mit den Haenden bedeckend. Schon geraume Zeit sass er so da. Es war eine schwuele Luft in dem kleinen Raum. Die Sonne schien voll ins Fenster, und die Strahlen brachen sich vielfarbig in den Kristallflaechen des Tintenfasses und des Briefbeschwerers. Das Gesumme einer Fliege, die wie in blinder Wut immer wieder gegen die Fensterscheiben flog, war das einzige Geraeusch in der drueckenden Stille. Draussen, auf dem Korridor, wurden Schritte laut, gedaempfte Stimmen, ein Geraeusch, als wuerde ein schwerer Gegenstand transportiert. Jetzt wurde etwas hart niedergesetzt. Dann war es wie ein leises Schrammen und Schurren. Nach kurzer Pause wieder die Schritte, das fluesternde Sprechen, das Klingen der Korridorthuer, und wieder die dumpfe Stille. Noch immer sass Behn in unveraenderter Stellung, wie schlafend. Da wurde leise die Thuer geoeffnet, und die halblaute Stimme der Frau Behn rief nach ihm. Mit fast pfeifendem Laut rang sich ein tiefer Atemzug aus der Brust des Mannes, aber er ruehrte sich nicht. Sie trat zu ihm und legte ihm leise den Arm auf die Schulter. "Johannes!" Da sanken ihm die Arme, schwer fiel die Stirne auf die gekreuzten Faeuste, und der grosse starke Mann schluchzte wie ein Kind. "Johannes, wat helpt dat?" sagte sie leise. Er stand auf, ohne sie anzusehen, als schaemte er sich seiner Thraenen. Er griff nach dem breiten, tintenbefleckten Lineal und legte es auf einen andern Platz, ordnete mechanisch allerlei auf dem Schreibtisch, den Tintenwischer, die Sandbuechse, tastete an sich herum, als suche er etwas in seinen Brusttaschen und folgte endlich tief aufatmend der geduldigen Frau. "Ne, hier Johannes", dirigierte sie ihren Mann, der in das unrechte Zimmer eintreten wollte. Paula, die man aus der Schule zu Hause behalten hatte, erhaschte, wie die Eltern die beste Stube betraten, mit fluechtigem Blick einen Teil des Sarges, in dem man Lulu soeben gebettet. Sie beugte sich nachher zum Schluesselloch hinunter, sah aber nichts, als den breiten Ruecken des Vaters. Ihre Gedanken waren in grosser Erregung. Lulu tot. Unfassbar schien es ihr. Es war das erste Mal, dass der Tod Paula so nahe trat. Der Schmerz der Eltern hatte auch dem Kinde vorhin Thraenen abgepresst. Seine Augen waren noch rot und heiss vom Weinen, eine trockene, stechende Hitze in den Lidern. Jetzt, nach dem ersten Gefuehlsausbruch, kam auch die Neugier zu ihrem Recht. Paula haette gar zu gerne die Schwester im Sarg gesehen, aber die Mutter wollte es nicht leiden. Wenn der Vater sich doch nur mal ruehren wollte, dachte sie, am Schluesselloch lauernd. Wie man nur so lange auf einem Fleck stehen konnte. Ob wohl viele Kraenze kommen wuerden? Sie sah immer in Gedanken den ganzen Pomp eines Begraebnisses vor sich. Dazwischen kam ihr der Gedanke an ihren Geburtstag, der am naechsten Sonntag war. Ob man ihn wohl feiern wuerde? Sie hatte schon in der vorigen Woche Clara Wiencke und Emmi Hopf eingeladen. Clara wuerde ihr eine Papeterie schenken, das wusste sie schon. Wie haesslich, wenn nun nichts aus dem Geburtstag wuerde. Ploetzlich fuhr sie vom Schluesselloch zurueck. Die Thuer ward hastig aufgestossen, und der Vater, blass, zitternd, trat schnell heraus. "Water, flink, Water", aechzte er. Minna stuerzte aus der Kueche und stiess unsanft mit Paula zusammen. Doch der alte Behn war schon in der Kueche, ehe die Maedchen recht begriffen, was er wollte. Die Stirn gegen die Wand gestuetzt, kaempfte er mit einem erstickenden Wuergen, in den kurzen Pausen des Anfalls mit dem Handruecken den kalten Schweiss von Stirn und Backen wischend. So traf ihn der Brieftraeger, der in der allgemeinen Aufregung unbemerkt durch die nachlaessig geschlossene Thuer in die Wohnung gelangt war. Behn streckte, ohne aufzusehen, den linken Arm nach dem Brief aus. "Mi is nich god", sagte er, wie entschuldigend. "Macht woll die Luft, Herr Behn", meinte der Brieftraeger. "So gewitterig heute." Frau Behn kam hinzu und nahm ihrem Mann den Brief ab. "Is di beter, Johannes?" Sie hielt das Couvert gegen den Tag, um dessen Inhalt zu erforschen. "Von Schulze", sagte sie. "Is woll de Reknung foer dat Klaveerstimmen." Der Brieftraeger, noch ohne Ahnung von dem Unglueck, das die Familie betroffen hatte, erfuhr erst davon auf der Strasse, durch ein Maedchen des Nachbarhauses. Er hatte auch fuer Frau Caroline Wittfoth einen Brief. Er betrat den offenen Laden, und da niemand anwesend war, rief er laut. "Brieftraeger!" Er musste noch ein zweites Mal rufen, bevor Fraeulein Frieda erschrocken erschien, mit langen, vorsichtigen Schritten, auf den Zehen balancierend. Beide ausgestreckten Haende zur Hoehe der Ohren erhebend, bedeutete sie ihm mit beschwichtigender Geberde leise zu sein. "Na, was ist denn hier los?" fragte er verwundert. "Unser Fraeulein is tot." "Fraeulein Therese? Was hat ihr denn gefehlt?" "Schwindsucht", fluesterte sie, als handle es sich um ein geheimnisvolles Verbrechen. Mit bedauerndem Kopfschuetteln entfernte er sich. Eine Arbeiterfrau kam und forderte einen wollenen Unterrock. Fraeulein Frieda konnte sich nicht besinnen, in welchem Schubfach das Gewuenschte zu finden war, und holte die Wittfoth. Frau Caroline erschien, verweint, mit geroeteter Nase, das Taschentuch in der Hand. "Meine Nichte ist heute Morgen gestorben", erzaehlte sie auf den fragenden Blick der Kaeuferin. "Da hab ich ja gar keine Ahnung von gehabt. Und wie hab ich sie gepflegt, als mein Kind. Aber gegen Gottes Willen kann man ja woll nicht an. Und dabei alle Haende voll zu thun. Ich weiss auch gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht." "Ja," sagte die Frau, die geduldig alles angehoert hatte. "Mit so'n Krankheit is dat ne egene Sak. Na, ik kam mal wedder lang." "Dohn Se dat", bat Frau Caroline. "Ik soegg Se den Unnerrock rut." XXVII. Zwei Tage spaeter hielten zwei Leichenwagen an der Ecke des Durchschnitts, einer erster Klasse, der andere dritter. Auf dem letzteren stand bereits ein schlichter Sarg, auf dessen Deckel vier Kraenze nebeneinander befestigt waren. Die Morgensonne streute ihre goldenen Lichter darauf. Eine sorgliche Hand hatte die Kraenze frisch besprengt, und die zitternden Tropfen lagen wie blitzende Diamanten auf den Blaettern der weisen Rosen, den kleinen kugeligen Immortellenblueten und dem dunklen Gruen der Kranzgewinde. Zwei Droschken bildeten das ganze Gefolge. Die erste bestieg Frau Wittfoth in tiefer Trauer, mit verweinten Augen, das Taschentuch aus feinstem Kammertuch, den Stolz ihres Waescheschatzes, in der Hand. Nachdem sie alles Nebensaechliche, was bei ihr immer in erster Reihe zu kommen pflegte, ueberwunden hatte, die Stoerung ihres Hauswesens, die Beeintraechtigung des Geschaeftes, die Wahl eines Trauerkostuemes, ob Crepe oder Cachemir, und dergleichen Gedanken, war auch der wahre, aufrichtige Schmerz bei ihr zum Durchbruch gekommen. Sie sah sehr elend und abgespannt aus, als sie langsam, mit niedergeschlagenen Augen die paar Schritte bis an den Wagenschlag zuruecklegte, den Fraeulein Frieda oeffnete. Diese, nicht im Besitz eines schwarzen Kleides, trug Halbtrauer, ihr winterliches Sonntagskleid aus hellgrauer schwerer Wolle, und hatte nur eine schwarze Moire-Schuerze angelegt, die Frau Caroline fuer diesen Zweck noch in letzer Mintute dem Schuerzenkasten entnahm. "Der Leute wegen." Der angeheftete Preiszettel war in der Eile vergessen worden, zu entfernen. "Achten Sie auch recht auf'n Laden, Fraeulein", fluesterte sie aus der Droschke heraus dem Maedchen zu. "Und wenn die Frau mit dem Unterrock kommt, wissen Sie ja Bescheid." Der Wittfoth zur Seite nahm der alte Beuthien Platz, in schwarzem Gehrock und mit hohem, duffem, schon etwas ins roetliche schillerndem Cylinder. In der zweiten Droschke fuhr Hermann allein. Er hatte es so gewollt, damit nicht nur ein einziger Wagen folgte. Gleichzeitig nahm er auch damit der Tante einen Stein vom Herzen, die ungern zu dritt in einer Droschke gefahren waere. "Das soll man nie thun bei 'ner Beerdigung", sagte sie. "Das bringt Unglueck. Gewoehnlich stirbt denn einer von den Dreien. Immer 'ne gerade Zahl, das ist besser." Hermann war in diesen traurigen Stunden noch mehr als sonst bereit, die Schwaechen seiner Tante zu schonen. War ihm die Nachricht von Theresens Tod ja auch nicht unerwartet gekommen, so hatte sie ihn doch tief erschuettert. Er hatte alle seine freie Zeit der Tante zur Verfuegung gestellt und ihr alle Vorbereitungen und Anordnungen zur Beerdigung abgenommen. Tief ergriff ihn am Morgen des Trauertages die zufaellige Entdeckung, dass er dem Herzen der Verstorbenen naeher gestanden haben mochte, als sie ihn hatte merken lassen. Am Fenster sitzend, auf Theresens gewohntem Platz, sah er in ihrem Naehkoerbchen sein Bild liegen, eine Photographie in Visitenkartenformat, ein Geschenk, das er ihr ungefaehr vor einem Jahre gemacht hatte. "Ich fand's unter ihrem Kopfkissen", erklaerte die Tante. "Und noch etwas fuer Dich", fuhr sie fort in einem Auszug kramend. "Hier, Du solltest es zum Geburtstag haben." Es war jene angefangene Handarbeit, das veilchenumkraenzte Monogramm Hermanns. Geruehrt barg er beides, Bild und Handarbeit, sogleich in seiner Brusttasche, da seine Zeit ihm nicht erlaubte, nach dem Begraebnis noch in die Wohnung der Tante zurueckzukehren. Als sich der kleine Trauerzug in Bewegung setzte, trug man gerade aus dem Behnschen Hause den reichgeschmueckten Sarg hinaus. Ein durchdringender Geruch von Tubarosen und Coniferen ueberstroemte die Strasse, deren Trottoire von einer dichten Menge Zuschauer besetzt waren. In langer Reihe hielten die Folgewagen fast die halbe Strasse hinauf. Nur wenige, fluechtige Blicke folgten dem einfachen Trauerzug Theresens. Die Neugierde konzentrierte sich auf das vornehme Begraebnis. Eine dumpfe Teilnahme machte sich unter den Zuschauern bemerkbar. Man besprach halblaut den traurigen Fall. Unkundige wurden mit wichtiger Miene belehrt und blieben gleichfalls stehen. Ein geheimnisvoller Bann ging von Lulus hohem, blumenueberhaeuftem Sarg aus, der Zauber des Graesslichen, der Reiz des Ungluecks umstrickte die Seelen. Der Wind warf den Staub unter die Menge, ueber den Sarg, ueber die Kraenze, trieb mit dem schwarzen Bahrtuch sein Spiel und bauschte die tief herabhaengenden Trauermaentel der Pferde wie Segel auf. Die zwoelf Traeger, in ihren althergebrachten Pompgewaendern, mit weisser Halskrause, Federbarett und Galanteriedegen, ordneten sich. Der Kutscher, neben den Pferden gehend, ergriff die Zuegel, und der Trauermarschall, den lang herabwallenden Flor ueber den linken Arm tragend, trat an die Spitze des Zuges, der sich langsam in Bewegung setzte. Aber kaum hatte der Leichenwagen den Durchschnitt verlassen, als eine ploetzliche Verkehrsstoerung wieder zum Halten zwang. Zwischen dem ersten, kleineren Trauerzug und einem beladenen Bierwagen hatte ein leichtes Cabriolet in schnellem Trab vorbeizukommen gesucht. Das Ungeschick des fahrenden Herrn, oder ein ungluecklicher Zufall, liess das leichte Gefaehrt mit dem schweren Lastwagen zusammenstossen. Das zierlich gebaute Luxuspferd war von dem heftigen Anprall zu Boden gerissen worden, der Wagen querte den Weg, und der verzweifelte Lenker stand in groesster Verlegenheit bei dem gestuerzten Fuchs, der wild ausschlagend, alle Bemuehungen, ihn aufzurichten, vereitelte. Daneben stand, blass, zitternd vor Schreck, eine junge Dame, die in der Angst den kuehnen Sprung von ihrem gefaehrlichen Wagensitz gewagt hatte. Hermann hatte aus seinem Coupe heraus einen Augenblick Mimi zu erkennen vermeint. Schnell zog er sich in den schuetzenden Versteck des tiefen Fonds zurueck. Keine Erinnerung haette ihm heute peinlicher sein koennen als diese. Sie brachte einen schmerzlichen Aufruhr in seine ernste, wehmuetige Stimmung. Die Augen schliessend, traeumte er in der langsam ueber das stossende Pflaster holpernden Droschke von jenem Fruehlingsabendgang zwischen den Weissdornhecken, von dem ersten Walzer und den ersten Kuessen. Mit schrillem Missklang intonierte in einer Nebenstrasse eine Drehorgel einen neuerdings beliebten Operettenwalzer. Hermann schrak aus seinem Brueten auf. Wie gemein waren diese Klaenge. Ein Strassenjunge sang im hoechsten Diskant zu den Melodien des Leierkastens die geschmacklosen Verse des unterlegten Couplets. Noch bis zur naechsten Strassenecke hoerte Hermann den Gesang des Bengels. Wo hatte er doch die Melodie, diese Worte schon einmal gehoert? War es damals im Ottensener Park? Er konnte sich's nicht entsinnen. Bis auf den Kirchhof, bis ans offene Grab verfolgte ihn die Melodie, summten ihm die banalen Verse im Ohr, aufdringlich, marternd, im Walzerrhythmus: "Meine Liebste ist in Bremen, Ist 'ne Selterwasserdirn." ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS DEM DURCHSCHNITT*** ******* This file should be named 11108.txt or 11108.zip ******* This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/1/1/0/11108 Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. *** START: FULL LICENSE *** THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License (available with this file or online at https://gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. 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Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: https://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. EBooks posted prior to November 2003, with eBook numbers BELOW #10000, are filed in directories based on their release date. If you want to download any of these eBooks directly, rather than using the regular search system you may utilize the following addresses and just download by the etext year. http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext06 (Or /etext 05, 04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90) EBooks posted since November 2003, with etext numbers OVER #10000, are filed in a different way. The year of a release date is no longer part of the directory path. 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