The Project Gutenberg EBook of Der Dichter in Dollarica by Ernst von Wolzogen This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Der Dichter in Dollarica Author: Ernst von Wolzogen Release Date: August 1, 2012 [Ebook #40391] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DICHTER IN DOLLARICA*** Der Dichter in Dollarica Verlag von F. Fontane & Co., Berlin-Grunewald _Es erschien von_ *Ernst von Wolzogen* _Romane_ Ecce ego - Erst komme ich Die Grossherzogin a. D. | Die Entgleisten Der Erzketzer. 2 Bde. _Novellen_ Was Onkel Oskar mit seiner Schwiegermutter in Amerika passierte Die rote Franz | Fahnenflucht | Seltsame Geschichten Der Topf der Danaiden und andere Geschichten aus der deutschen Boheme Da werden Weiber zu Hyaenen | Heiteres und Weiteres Erlebtes Erlauschtes Erlogenes Das gute Krokodil und andere Geschichten aus Italien Geschichten von lieben suessen Maedeln _Verse_ Verse zu meinem Leben (Selbstbiographie mit einer Heliogravuere Wolzogens) _Theater_ Der unverstandene Mann (Komoedie) Daniela Weert (Schauspiel) | Unjamwewe (Komoedie) Lumpengesindel (Tragikomoedie) Die Maibraut (Ein Weihespiel in drei Handlungen) _Essays_ usw. Des Schlesischen Ritters Hans von Schweinichen eigene Lebensbeschreibung (Neu herausgegeben von _E. von Wolzogen_) Augurenbriefe. Bd. I. | Ansichten und Aussichten (Ein Erntebuch) Linksum kehrt schwenkt - Trab! _Eheliches Andichtbuechlein_ Herausgegeben von _Ernst Ludwig_ und _Elsa Laura von Wolzogen_ Buchschmuck von _J. Martini_ *Der* *Dichter in Dollarica* Blumen-, Frucht- und Dornenstuecke aus dem Maerchenlande der unbedingten Gegenwart von Ernst von Wolzogen Zweite Auflage Berlin 1912, F. Fontane & Co. Auf Grund des U.-G. vom 19. Mai 1909 gegen Nachdruck geschuetzt Die erste und zweite Auflage dieses Buches ist in 2220 Exemplaren gedruckt und wurde im Jahre 1912 herausgegeben. Altenburg Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. The Germanistic Society of America to whom I am deeply indebted for the opportunity of seeing America, may kindly accept this document of how I saw America as a token of my sincere gratitude, and may humour it as genially as it was conceived. ZUR VERSTAeNDIGUNG. Ich gehoere zu den Menschen, denen das vorwitzige Aburteilen und nichtige Klugschwaetzen eilfertiger Reisender ueber fremde Laender, Voelker, Einrichtungen und Sitten durchaus zuwider ist. Wenn ich mich nun gleichwohl verleiten liess, nach einem Aufenthalt von nur drei Monaten, dennoch meine Reiseeindruecke aus den Vereinigten Staaten zu Papier zu bringen und sogar in Buchform herauszugeben, so muss ich wohl meinem Unterfangen selber einen Passierschein schreiben, damit ernsthafte Leute ihm nicht von vornherein den Zutritt in den Bereich ihrer Aufmerksamkeit verweigern. Ich wurde als Gast der _Germanistic Society of America_ zu einer Reihe von Vorlesungen und Vortraegen an neunzehn Universitaeten und Colleges, sowie in zahlreichen deutschen Vereinen eingeladen und hielt mich von Anfang November 1910 bis Mitte Februar 1911 in den oestlichen, noerdlichen und mittelwestlichen Staaten auf. Die oft geruehmte grossartige und herzliche Gastfreundschaft nicht nur meiner deutschen Landsleute, sondern auch der fuer deutsche Kultur und insonderheit deutsche Dichtung interessierten akademischen Kreise des Landes, sorgte in ueberaus umsichtiger Weise dafuer, dass wir - denn meine reizendere Haelfte begleitete mich samt ihrer tatbereiten Laute - in all den zahlreichen grossen und kleinen Staedten, die wir beruehrten, moeglichst viel und moeglichst Eigenartiges und Bedeutsames von dem wunderreichen Lande zu sehen bekamen. Nun ist man ja im allgemeinen, und zwar mit gutem Recht, geneigt, die programmaessigen Vorfuehrungen, die liebenswuerdige Komitees hastig vorbei sausenden Ehrengaesten zuliebe von den Sitten und Gebraeuchen der Einwohner veranstalten, nicht gerade fuer die sichersten Quellen ernsthafter Belehrung zu halten und sich vergnueglich ins Faeustchen zu lachen, wenn der also Gefeierte hinterher dankbaren und kindlichen Gemuets all dies freundliche Geflunker fuer bare Muenze nimmt und daraufhin mit wichtiger Kennermiene seinen begeisterten Bericht erstattet. Selbstverstaendlich wurde ich wie jeder andere prominente Reisende schon bei der Einfahrt in den Hafen von New York von den das Schiff enternden Reportern gefragt, wie mir Amerika gefiele; selbstverstaendlich begleitete mich diese unvermeidliche Frage von Station zu Station, und selbstverstaendlich machten die Herren Reporter, je nach ihrem Witz und ihrer stilistischen Begabung, aus meinen verlegenen, duerftigen Antworten in ihren Interviews, was ihnen gut duenkte. Ich wurde auch gleich in den ersten Tagen nach meiner Ankunft gefragt, ob ich gedaechte, ein Buch ueber Amerika zu schreiben, und habe diese Zumutung damals mit ehrlichem Erschrecken weit von mir gewiesen. So lange ich unter dem verwirrenden Eindruck der taeglich und stuendlich in buntester Abwechslung am Auge vorueberhastenden, einander ueberstuerzenden Erlebnisse und Begegnungen stand, erschien es mir auch wirklich ein unmoegliches Unterfangen, diese Eindruecke auch nur beschreibend zu einem deutlichen Bilde zu gestalten, viel weniger darueber ein Urteil von einigem Wert zu formulieren. Dass ich nicht voellig die Tinte wuerde halten koennen, dass vielmehr unfehlbar aus meinen Betrachtungen durch das Fenster des Expresszuges ein paar Feuilletons herausspringen wuerden, lag ja freilich bei meiner berufsmaessigen Zugehoerigkeit zur Schreiberzunft nahe; aber den Mut und die Lust zu einer erschoepfenden Bearbeitung meiner Reisebeute gewann ich doch erst allmaehlich in der stillen Beschaulichkeit meines fruchtbaren Darmstaedter Poetenwinkels. Ich schrieb erst einmal kunterbunt alles zusammen, was mein Gedaechtnis und meine Notizen mir von Gehoertem und Geschautem bewahrten, und was mir schon drueben weiteren Nachdenkens wert erschienen war. Und dann schleppte ich mir einen Stoss guter Buecher ueber die Vereinigten Staaten zusammen, verglich die darin niedergelegten Anschauungen eingeborener und auslaendischer Kenner des Landes und bewaehrter Beobachter mit den Eindruecken, die ich selbst empfangen, und erst nach Beendigung dieser klaerenden Vorarbeit begann ich mich fuer berechtigt zu halten, dem grossen Publikum, das bei einer gerechten Beurteilung der neuen Welt interessiert ist, meine Meinung aufzutischen. Es versteht sich wohl von selbst, dass ich mir trotz dieser gewissenhaften Vorbereitung durchaus nicht einbilde, mein Urteil koennte neben dem eingeborener gruendlicher Kenner des Landes oder ernsthafter wissenschaftlicher Forscher ausschlaggebend in Betracht kommen; darum habe ich schon im Titel meines Buches den Nachdruck auf den _Dichter_ gelegt. Ein Dichter ist, wenn anders er ein wirklich berufener genannt werden darf, "zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt". Sein Schauen ist freilich ein anderes als das des gelehrten Forschers: waehrend dieser geradlinig rueckwaerts oder voraus sieht oder senkrecht in die Tiefe bohrt, schweift des Dichters Auge ueber den ganzen Horizont rund um und erfasst dennoch im Voruebergleiten eine ganze Menge bedeutsamer Einzelheiten der naechsten Umgebung. Sein Geist liebt es, Bruecken zu schlagen vom Kleinsten zum Groessten. Moegen diese Bruecken oft auch luftig genug, mehr aus bunten Regenbogenfarben als aus soliden Balken zusammengezimmert sein, wertlos ist darum die dichterische Betrachtungsweise gewiss nicht; denn oft ahnt er mit dem sicheren Instinkt des schoepferischen Geistes grosse, bedeutsame Zusammenhaenge, die dem scharfen Auge des Forschers verborgen bleiben, weil dem sein Gewissen nicht erlaubt, bei seinen Feststellungen unbekannte Groessen in Rechnung zu setzen. Den Vorzug der dichterischen Intuition und den guten Blick eines geschulten Beobachters nehme ich fuer mich in Anspruch, ohne jedoch Straflosigkeit fuer dichterische Freiheit zu beanspruchen. Ich gehoere nicht zu den Leuten, die sich durch glaenzende Aeusserlichkeiten leicht blenden lassen, auch nicht zu den misstrauischen Duckmaeusern und Leisetretern. Ich habe es mir ernstlich angelegen sein lassen, drueben in dem merkwuerdigen Lande der unbedingten Gegenwart, wo es irgend anging, die Meinung gescheiter, mir zuverlaessig erscheinender Menschen einzuholen, um meine eignen Beobachtungen zu vervollstaendigen, zu klaeren und zu berichtigen. Dabei ist es mir nun allerdings ueberaus haeufig begegnet, dass der Sachverstaendige B., der, sagen wir 25 Jahre im Lande war, den Sachverstaendigen A., der 27 Jahre im Lande war, fuer einen ausgemachten Esel erklaerte, und dass der Sachverstaendige C., der 50 Jahre im Lande war, zur Entscheidung aufgerufen, beiden als elenden Gruenhoernern jede Berechtigung zum Urteilen absprach. Es ist nun eine alte Erfahrung, die jeder mit einem klaren Blick begabte gebildete Reisende schon bestaetigt gefunden haben wird, dass sich der Eingeborene eines Landes oft gerade der auffallendsten Eigentuemlichkeiten desselben nicht bewusst ist, weil ihm eben der Massstab zur Vergleichung fehlt und weil ihm naturgemaess das Gewohnte als das Selbstverstaendliche erscheint. Ebenso verliert auch der Einwanderer, je laenger er in dem neuen Lande weilt, desto mehr den Blick fuer seine Besonderheit. Ihm duenkt vieles Neue bedeutsam, weil er es unter seinen Augen erst entstehen sah und nicht mehr weiss, dass man drueben in der alten Heimat vielleicht schon laengst ueber den betreffenden Zustand hinaus gekommen ist, waehrend ihm Dinge, die dem Fremden als hoechst eigenartig auffallen, nicht mehr der Beobachtung wert erscheinen, weil sie fuer ihn Alltaeglichkeiten geworden sind. Aus diesem Grunde koennen selbst des fluechtigen Besuchers erste Eindruecke von ganz erheblicher Bedeutung werden. Es ist auch ganz verkehrt, etwa nur Zahlen oder offizielle Dokumente als wissenschaftlich beweiskraeftig anzunehmen, denn mit Hilfe der Statistik kann man bekanntlich ebenso wie mit Hilfe der Etymologie alles Beliebige beweisen, und dass behoerdliche Urkunden auch nicht immer direkt aus goettlicher Inspiration hervorgehen, duerfte wohl zugegeben werden. Es bleibt also unter allen Umstaenden fuer das dichterische Schauen ein weites Feld erspriesslicher Taetigkeit uebrig. Und der _Forscher_, der den _Seher_ verachtet, gleicht dem Querkopf, der bei Mondschein im Kalender die Laterne zu Hause laesst, auch wenn dicke Wolken das freundliche Gestirn dauernd verfinstern. Ein wie schwieriges, unter Umstaenden sogar lebensgefaehrliches Unterfangen es sei, auch mit dem ernstlichsten Bemuehen um Gerechtigkeit ueber Jung-Amerika zu schreiben, das sollte ich aber erst aus der Wirkung erfahren, die meine Zeitungsfeuilletons drueben taten. Ich habe, was wohl niemand einem Poeten verargen wird, ernsthafte Dinge ernst und minder bedeutsame Aeusserlichkeiten lustig behandelt und mich auch selbstverstaendlich nicht geniert, in der humoristischen Betrachtungsweise der heiteren Wirkung zuliebe keck zu uebertreiben und noetigenfalls sogar ein Weniges dazu zu luegen, in der sicheren Erwartung, dass der amerikanische Humor, der ja bekanntlich in der grotesken Uebertreibung sich am besten gefaellt, gerade an diesen heiteren Episoden Gefallen finden wuerde. Darin scheine ich mich jedoch gruendlich getaeuscht zu haben, und Henry F. Urban, der humoristische Entdecker Dollaricas und unzweifelhaft genaue Kenner seiner Bewohner, duerfte doch wohl recht haben mit seiner Behauptung, dass der richtige Dollaricaner keinen Sinn fuer Satire habe, wenigstens nicht sofern sie sich auf ihn selbst und sein Land bezieht. So erklaert sich auch die fuer uns merkwuerdige Erscheinung, dass dieses so humorbegabte und zu derben Spaessen aufgelegte Volk noch keine politischen Witzblaetter besitzt. Der Dollaricaner sieht eben fortwaehrend vor seinen Augen die Wuestenei sich in ueppiges Fruchtland verwandeln, Riesenstaedte aus elenden Ansiedlungen sich quasi ueber Nacht entwickeln, eine luxurioese Tipptopp-Kultur urploetzlich, wie den glaenzenden Schmetterling aus der unscheinbaren Puppe, aus dem Chaos herausschluepfen - da ist es freilich begreiflich, dass sein Herz von unbaendigem Stolze auf sein Wunderland und auf die Tatkraft seiner Bewohner geschwellt ist. Dieser schoene Stolz geht nun aber so weit, dass er jeden fuer einen verleumderischen Schurken erklaert, der nicht alles und jedes fuer vollkommen und unvergleichlich haelt, was die Vereinigten Staaten hervorbringen, und dass er nicht nur dem auslaendischen Beobachter, sondern auch seinen eignen Landsleuten jede kritische Anwandlung fuerchterlich uebel nimmt. Die englischen Zeitungen haben sich vornehmlich an meine Spaesse und Uebertreibungen gehalten und mich wie gaenzlich humorblinde Pedanten auf kleine Unrichtigkeiten festgenagelt und darum ihrem Publikum als unwissenden, leichtfertigen Verleumder hingestellt; meine ehemaligen deutschen Landsleute aber haben sogar Entruestungsmeetings abgehalten, weil ich mich der Feststellung der auffallenden Tatsache nicht enthalten konnte, dass sie im allgemeinen an koerperlichen Vorzuegen hinter den Yankees zurueckstehen, und dass sie nicht verstanden haben, sich rechtzeitig den politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu sichern, den sie nicht nur durch ihr zahlenmaessiges Uebergewicht, sondern auch als hervorragendste Kulturtraeger rechtens zu beanspruchen gehabt haetten. Fuer diese Missetat haben mich zahlreiche deutsch-amerikanische Blaetter, vornehmlich minder betraechtliche Provinzorgane, mit den liebenswuerdigsten Schmeichelnamen bedacht, unter denen wohl 'krummer Hund' noch der mildeste war, und zahlreiche Privatpersonen haben mich brieflich ihrer vorzueglichsten Tiefachtung versichert und mir sogar mit Mord und Totschlag gedroht, falls ich die Dreistigkeit haben sollte, abermals in Hoboken zu landen. Nun, ich darf mir wohl erlauben, diese seltsamen Blueten patriotischer Entruestung nicht allzu tragisch zu nehmen, da ausser solchen robusten Kundgebungen mir doch auch zahlreiche bedingte oder unbedingte Zustimmungen zugingen, welche im Gegensatz zu jener Knueppelpolemik durchweg aus den oberen geistigen Regionen herstammten. Ich habe uebrigens die in jenem Aufsatz ueber die Yankeerasse, der so viel boeses Blut gemacht hat, niedergelegten Ansichten in verschiedenen anderen Kapiteln dieses Buches begruendet und erweitert. Es versteht sich von selbst, dass ich jedem dankbar sein werde, der mir beweist, dass ich da und dort derb daneben gehauen habe, und werde es mir zur Pflicht machen, Irrtuemer zu berichtigen, soweit etwaige Neuauflagen die Gelegenheit dazu geben sollten. Zusammenfassend betone ich also noch einmal, dass dies Buch weder wissenschaftlichen Wert beansprucht, noch etwa ein Fuehrer fuer Reisende sein soll, dagegen auch mehr als nur unterhaltendes Geplauder zu geben beabsichtigt. Es ist fuer uns Europaeer von groesster Wichtigkeit, uns klare Vorstellungen von diesem Lande ohne Vergangenheit zu verschaffen, das fuer uns einen Spiegel unserer eignen Zukunft darstellt. Nach den Vereinigten Staaten zu reisen bedeutet fuer den wissbegierigen Europaeer soviel, wie es fuer die Unschuld vom Lande bedeutet, zur Kartenschlaegerin zu gehen, nur mit dem Unterschiede, dass das, was wir drueben ueber unsere Zukunft erfahren, kein plumper Schwindel, sondern unentrinnbare Wahrheit ist. Je mehr wir mit unserer Vergangenheit aufraeumen, je rueckhaltloser wir uns von dem reissenden Strome der modernen Entwicklung mit forttragen lassen, desto sicherer werden sich unsere Zustaende und unser Charakter amerikanisieren; und darum ist es gut, wenn wir uns das Wunderland der Gegenwart so genau wie moeglich betrachten, und darum hat jeder, dem eine gute Beobachtung und ein gesundes Urteil zu Gebote steht, das Recht und sogar die Pflicht, ueber Dollarica auszusagen, was irgend er davon zu wissen glaubt. Ich kann dies Vorwort nicht beschliessen, ohne meinen verehrten Goennern und neugewonnenen lieben Freunden da drueben, vornehmlich der Germanistic Society, den oertlichen Veranstaltern meiner Vortraege, den leitenden Persoenlichkeiten der deutschen Vereine, sowie den beiden so umsichtigen und eifrigen Managern meiner Rundreise, den Herren Professor Rudolf Tombo jun. und Paul C. Holter, meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen fuer die herzliche Anteilnahme, die sie meiner Person und meinem Schaffen zuteil werden liessen, wie fuer die grosse Muehe, die sie so erfolgreich aufwendeten, um mir in der kurzen Zeit diese reiche Fuelle von Eindruecken zu verschaffen. _Darmstadt_, im Oktober 1911. *Ernst Ludwig Freiherr von Wolzogen.* INHALTSVERZEICHNIS. Zur Verstaendigung VII 1. Als Mauernweiler in Dollarica 1 2. Die Yankeerasse 20 3. Der Yankee als Erzieher 32 4. Das Universitaetsleben in der Union 41 5. Oeffentliche und private Moral 64 6. Liebe und Ehe 79 7. Die Dienstbotenfrage 94 8. Die Kochkunst der Yankees 110 9. Kuenstlerische Kultur 122 10. Vom Theater im Yankeelande 135 11. Die amerikanische Presse 149 12. Von der demokratischen Gesellschaft 169 13. Wie der Yankee seine Rechnung mit dem Himmel macht 186 14. Die Landschaft 207 15. Dollaricas infamster Schurke 220 16. Baedekereien fuer Amerikafahrer 232 17. Was koennen wir von Amerika lernen? 250 18. Das Hirn Amerikas auf einer goldenen Schuessel 273 Buecherverzeichnis 284 Namen- und Sachregister 285 ALS MAUERNWEILER IN DOLLARICA. Ein rechtschaffener "teutscher Tichter" schlaegt drei Kreuze vor dem Gedanken einer Auswanderung nach den Vereinigten Staaten. Nikolaus Lenau, der seinerzeit aus Begeisterung fuer die Freiheit und fuer die biederen Rothaeute hinuebersegelte, hat bekanntlich das naechste Retourschiff benutzt, und sein Entsetzen hat ihn das Wort praegen lassen von dem Lande, in welchem die Voegel keine Lieder und die Blumen keinen Duft haetten. (Eine Behauptung, die uebrigens nicht einmal zutrifft.) Auch Detlev v. Liliencron mochte kein intimes Verhaeltnis mit der Dame Dollarica eingehen, weil sie gar keine Miene machte, ihm von ihrem Ueberfluss an Dollars etwas abzugeben. Ich vermute, dass sie ihn zunaechst hat Flaschen spuelen lassen, eine Pruefung auf die maennliche Tuechtigkeit, die sie allen gestrandeten Offizieren und sonstigen mit Bildung oder hohen Lebensanspruechen beschwerten, zu grober Handarbeit jedoch untauglichen deutschen Gunstbewerbern zunaechst einmal auferlegt. Wilhelm v. Polenz, der nicht mit den Hintergedanken eines galanten Raeubers, sondern nur mit einem Scheckbuch bewaffnet einige Monate im Lande herumreiste, kehrte dagegen zufrieden und bereichert heim und bescherte uns, als Frucht seines fleissigen Studiums, sein schoenes und gerechtes Buch "Das Land der Zukunft". Dafuer war aber auch Polenz kein solch naerrischer Lyriker, der in zornige Traenen ausbricht, wenn ihm ein fremder Weltteil nicht den Gefallen tut, Nachtigallen in Kaktushainen schlagen und Affen auf Lindenbaeumen herumklettern zu lassen. Paul Lindau, der welt-, witz- und wortgewandte, ist durch das Land geflitzt und hat eine Masse von Eindruecken gleich bunten Schmetterlingen im Vorbeifliegen mit "gewandter Feder" feuilletonistisch aufgespiesst; gelegentlich der grossen Weltmessen von Chicago und St. Louis ist auch sonst wohl noch der und jener aus unserem Federvolke mit drueben gewesen, um mit mehr oder minder leichtsinniger Wichtigkeit den Massstab seiner kleinen Person an die Ungeheuerlichkeit der Verhaeltnisse da drueben zu legen, und sie sind alle, durch starke Eindruecke bereichert, heimgekehrt. Erst seitdem einige hervorragende Deutsch-Amerikaner mit Hilfe der Professoren der germanistischen Fakultaeten und Unterstuetzung etlicher fuer deutsche Kunst und Wissenschaft eingenommener amerikanischer Maezene die _Germanistic Society of America_ gegruendet haben, ist es moeglich geworden, richtigen deutschen Dichtern und Gelehrten, ohne Ruecksicht auf Geldverdienst und etwaige lyrische Sentimentalitaeten, die grosse Kinderstube im fernen Westen, das Maerchenland der absoluten Gegenwaertigkeit, zu zeigen und andererseits diese seltsamen Tiere dem amerikanischen Volke lebend vorzufuehren. Auf diese Weise sind Ludwig Fulda, Hermann Anders Krueger, Karl Hauptmann und zuletzt der Schreiber dieser Zeilen dazu gelangt, ihren deutschen Landsleuten drueben, sowie den fuer deutsche Geistesart interessierten Amerikanern lebendige Kunde vom deutschen Dichten der Gegenwart zu bringen. (M1) Ich habe im Laufe von etwa acht Wochen an neunzehn Universitaeten und Colleges, sowie fuenfzehnmal in deutschen Vereinen gesprochen. Ich habe dabei teils aus meinen Werken rezitiert, teils die letzten dreissig Jahre deutscher Literaturgeschichte in skizzenhaften Schilderungen persoenlicher Eindruecke und Begegnungen durchgenommen, oder mich ueber das Theater der deutschen Gegenwart verbreitet, oder endlich mit Unterstuetzung meiner Frau die Entwicklungsgeschichte des deutschen Volksliedes behandelt. Und dass ich diese kleine Singefrau mit hatte, war sehr gut. Denn wo immer sie in die Zupfgeige griff und ihre Volkslieder aus alten Zeiten erschallen liess, da leuchteten die Augen, da war der Jubel gross, und die gewohnten Redensarten eines hoeflichen Dankes bekamen einen echten Herzensklang. Sie haben mir ja auch die Frau nicht wieder herausgegeben, als ich nach getaner Arbeit heimwaerts strebte; sie haben sie mit sanfter Gewalt da behalten, weil sie von ihr noch lange nicht genug hatten. Das soll nun nicht etwa heissen, dass ich mich ueber eine laue Aufnahme oder ueber Unverstaendnis zu beklagen gehabt haette. Ganz im Gegenteil: man muss bei uns schon bis nach Wien gehen, um eine solche Temperatur der dankbaren Begeisterung zu finden; aber ich merkte doch sehr bald, dass ich diesen lebhaften Beifall vornehmlich meiner rezitatorischen Leistung sowie dem Umstande zu verdanken hatte, dass ich einen wichtigen Teil meines Wesens vorsorglich unterschlug. Als praktischer Theatermann habe ich die Kunst gelernt, unterhaltende Programme zusammenzustellen, und auf die Psychologie der Massen verstehe ich mich auch einigermassen; das ist der Grund, weshalb mir's drueben so gut gegangen ist. Ich wusste schon vorher genug ueber den Geschmack des amerikanischen Publikums, um ungefaehr beurteilen zu koennen, welche meiner Werke und Anschauungen fuer drueben moeglich waeren und welche nicht. Und da musste von vornherein vieles von dem als unmoeglich ausgeschlossen werden, womit ich mir hier meine wertvollsten Erfolge geholt und meiner literarischen Persoenlichkeit ueberhaupt erst feste Umrisse gegeben habe. Die Natuerlichkeiten der Erotik sind bei den Angloamerikanern ebenso von der oeffentlichen Besprechung und kuenstlerischen Gestaltung ausgeschlossen wie die heiligen Stoffe, und die Deutsch-Amerikaner, die lange genug drueben gelebt haben, sind immerhin von diesem Puritanertum soweit angesteckt, dass die Grenzen des kuenstlerisch Erlaubten bei ihnen nicht weiter gehen als etwa beim deutschen Familienblatt aelteren Stils. Du lieber Himmel - und ich bin der Verfasser des "Dritten Geschlechts", der "Geschichten von lieben suessen Maedeln" und gar "des Erzketzers" und habe niemals einen Beitrag zur "Gartenlaube" oder zum "Daheim" geliefert! Selbstverstaendlich hatte ich wohl ausnahmslos an jedem meiner Vortragsabende ein paar literarisch gebildete, vorurteilslose Leute unter meinem Publikum, die sich gerne haetten staerker beschwoeren lassen; aber ich sollte mich doch der Mehrheit erfreulich und nuetzlich machen, den des Deutschen beflissenen Studenten englischer Zunge und besonders den aus allen Bildungsschichten zusammengewuerfelten Deutsch-Amerikanern. (M2) Mit den Versen gab's wenig Schwierigkeit. Meine Balladen und Hymnen auf die moderne Technik mussten ja in dem Lande der technischen Hochkultur zuenden, und auch von den satirischen Scherzgedichten wurde das meiste verstanden; aber mit der Auswahl von Prosastuecken hatte ich meine liebe Not, und bei meinen Streifzuegen durch die deutsche Literatur der letzten dreissig Jahre bemerkte ich auch gar bald, wie wenig davon selbst dem gebildeten Publikum bekannt war. Sobald ich bei einer meiner Lieblingsfiguren etwas laenger verweilte oder den Versuch machte, ein bisschen in die Tiefe zu bohren, bemerkte ich, wie sich alsbald ein suggestives Gaehnen durch die Reihen fortpflanzte und die teilnahmsvoll gespannten Zuege zu erschlaffen begannen. Da musste ich mich denn beeilen, mit einer scherzhaften Anekdote oder einer satirisch zugespitzten Bemerkung die entflatternde Aufmerksamkeit wieder einzufangen. Wie in so vieler anderer Beziehung, so sind die Amerikaner auch darin noch auf einem kindlichen Standpunkt, dass sie, und zwar nicht nur die Jungen, sondern auch die Alten, durchaus lachen wollen, wenn sie sich zu irgendwelchem Zwecke in Massen versammeln. Der Politiker muss so gut wie der Universitaetsprofessor und sogar der Kanzelredner Witze machen, wenn er sein Publikum fesseln will. Kein Redner wird jemals in diesem Lande Erfolg haben, der nicht zum mindesten die Kunst versteht, selbst ernstesten Gegenstaenden humoristische Lichter aufzusetzen. Ich habe eine feierliche Universitaetssitzung mitgemacht, bei welcher der Praesident der Universitaet eine ausgezeichnete Gedenkrede auf eine verstorbene Leuchte derselben hielt. Es war ein kalter, nebliger Morgen und man sass in Ueberziehern und Galoschen da, aber sobald der Vortragende eine drollige Wendung gebrauchte, einen freundlich heiteren Zug aus dem Leben des Gefeierten erzaehlte, oder gar eine witzige Nutzanwendung machte, erwaermte sich die frierende Gesellschaft an lautem Gelaechter. In dem amerikanischen nationalen Drama, der _Blood and Thunder-Show_, muss die erbauliche Abwechslung zwischen Leichenaufhaeufung unter Revolvergeknatter und sentimentaler Ruehrung ueber unmenschliche Edelmutsausbrueche (vom obligaten Tremolo der Geigen begleitet) in regelmaessigen Abstaenden von derben Clownspaessen unterbrochen werden, um dem guten Volke schmackhaft zu bleiben, und der bekannte kleine polnische Jude, der auf die Frage, wie ihm der "Tristan" gefallen habe, achselzuckend erwiderte: "Nu, mer lacht", koennte hier leicht manches Gegenstueck finden. Das ist nun etwa nicht als besonderes Schandmal der amerikanischen Unkultur aufzufassen, denn der Banause hat in der ganzen Welt der Kunst gegenueber genau denselben Standpunkt: er schaetzt sie bestenfalls als erheiternden Zeitvertreib. Die geistige Erhebung durch tragische Erschuetterung vermag er ebensowenig zu geniessen, wie die rein aesthetische Freude an der schoenen Form; sein Interesse haengt rein am Stofflichen, am groeblich Sinnfaelligen, an der handgreiflichen Moral oder Tendenz. Da in Amerika noch nicht viele Leute und auch diese erst seit kurzem Zeit gefunden haben, ihre etwaigen aesthetischen Veranlagungen zu pflegen, so ist es selbstverstaendlich, dass es dort im Verhaeltnis zur Einwohnerzahl sehr viel weniger aesthetisch interessierte Menschen gibt als bei uns, und unsere guten Landsleute koennen von dieser Regel um so weniger eine Ausnahme machen, als sie ja zum weitaus ueberwiegenden Teil von gaenzlich amusischer Herkunft sind. Die deutschen Amerikaner, die heute vornehmlich sich eine Ehrenpflicht daraus machen, den Zusammenhang mit der deutschen Geisteskultur aufrecht zu erhalten, setzen sich zusammen aus den Ueberresten der achtundvierziger Emigranten und ihrer Nachkommen, aus den neuerdings Eingewanderten mit akademischer Bildung, die hier als Lehrer und Lehrerinnen, als Aerzte, Kuenstler usw. eine Lebensstellung gefunden haben, und endlich aus einigen nicht allzu zahlreichen Nachkommen von Leuten, die in Handel und Gewerbe hier ihr Glueck gemacht haben und daher imstande waren, ihren Kindern eine hoehere Schulbildung zuteil werden zu lassen. Die vielen deutschen Vereine sind folglich auch noch nicht imstande, sich rein kuenstlerischen und literarischen Bestrebungen zu widmen. Sie scheiden sich mehr nach Landsmannschaften oder Gesellschaftsschichten als nach geistigen Anspruechen. Man darf also nicht erwarten, fuer irgend welche wissenschaftlichen oder kuenstlerischen Darbietungen in den Vereinigten Staaten ein so homogenes, wohlgezogenes und anspruchsvolles Publikum zu finden, wie etwa in unseren deutschen literarischen Gesellschaften, kaufmaennischen oder auch selbst sozialdemokratischen Bildungsvereinen. Man kann aber sicher sein, ueberall unter seinen Zuhoerern eine Anzahl fein gebildeter und verstaendnisvoller Menschen zu finden, wenn es auch nur eine kleine Minderheit sein mag. Fuer diese Minderheit wird man dann aber, wenn man seine Mission ernst nimmt, sein Bestes geben und die Kleinen und Armen im Geiste nach Moeglichkeit durch Konzessionen an ihr Unterhaltungsbeduerfnis mit zu ziehen suchen. Manchmal kann es einen freilich bei solchen ueberraschenden Ausbruechen kindlicher Heiterkeit kalt ueberlaufen. Im Hoersaal der Universitaet zu Rochester wollten sich Studenten deutscher Abkunft halb tot lachen ueber die von mir berichtete traurige Tatsache, dass Liliencron im Feldzuge von 1870/71 diverse Kugeln in den Leib bekommen habe, von denen ihm alle paar Jahre eine im Operationssaal der Universitaetsklinik zu Kiel herausgeholt wurde! Und in der _High School_ von Youngstown (Ohio) kreischten die _Boys_ und _Girls_ vor Vergnuegen, als ich ihnen die tief ergreifende Ballade von der Grossmutter Schlangenkoechin uebersetzte. Ueber die Fischlein, die die boese Hexe mit einem Stock im Krautgaertlein faengt, und gar ueber "_The black and tan Doggie, that burst into a thousand pieces_" (das schwarzbraune Huendlein, das in tausend Stuecke zersprang), bogen sie sich krumm vor Lachen, und meine Frau, die sie gerade durch diese Ballade zu Traenen zu ruehren gedachte, war blass vor Schrecken, - hat sie aber dann doch zu packen gekriegt, diese robusten Neuweltler, denen die lieb herzige Einfalt des deutschen Maerchenstiles so siebenfach versiegelt ist. (M3) Wenn man in den Vereinigten Staaten unter den Auspizien einer hochangesehenen Gesellschaft reist, so bekommt man eine deutliche Vorstellung davon, wie angenehm und erhebend es sein muss, als Fuerstlichkeit durchs Dasein zu wallen. Genau so wie bei uns eine die Provinzen bereisende bessere Fuerstlichkeit wird man naemlich in den Vereinigten Staaten behandelt, sobald man offiziell als grosses Tier, als illustrer Gast gemanagt wird. Am Bahnhof Empfang durch ein Komitee, das einen in das erste Hotel der Stadt geleitet, wo man sich kaum des Reiseschmutzes entledigt hat, als einem auch schon die Reporter auf den Leib ruecken. In der kurzen Zeit, die einem das Komitee zum Saeubern und Ausruhen goennt, (meistens ist man ja die Nacht durch gefahren, denn die einzelnen Vortragsstaedte liegen nicht selten so weit auseinander wie etwa Berlin und Neapel!) muss man mehrere Interviews ueber sich ergehen lassen, bei denen einen der stete Zweifel nervoes macht, wer von beiden der groessere Esel sei, der Interviewer oder der Interviewte. Dann tritt das Komitee wieder an, um einem die Sehenswuerdigkeiten der Stadt zu zeigen, wobei zu bemerken ist, dass im ganzen Osten bis zum Mittelwesten der Union, bis hinauf an die kanadische und hinunter an die virginische Grenze eine Stadt genau so reizlos und uninteressant ist wie die andere (mit vielleicht einziger Ausnahme von Boston und Washington), dass die Kriegerdenkmaeler noch erheblich fuerchterlicher sind als bei uns, und man die beruehmtesten Bauten meistens schon im Original in Europa gesehen hat. Erfreulich werden diese Besichtigungsfahrten nur, wenn sie aus den wuesten Steinhaufen der Citys hinaus ins Land fuehren und man einen schoenen Tag erwischt. Architektonisch interessante Villenviertel mit reizenden Schmuckgaerten wie bei uns gibt es freilich kaum irgendwo. Aber wenn die Sonne lacht, sind selbst die zum Gaehnen einfoermigen gemuetlichen Holzhaeuschen, mit denen auch sehr wohlhabende Amerikaner gluecklich und zufrieden sind, eine Wohltat zu sehen. Nachdem der aesthetische Graus der Staedte dergestalt ueberstanden ist, geht es zum Lunch, und der ist eigentlich immer erfreulich und gemuetlich, gleichviel ob man in eine wildfremde Familie, in ein feines Restaurant oder in einen exklusiven Klub geladen ist. Denn die amerikanische Gastfreundschaft, mag sie von Yankees oder Deutschen ausgeuebt werden, ist ueber alles Lob erhaben. Und wenn bei solchen Gelegenheiten das Menue nur nicht zu amerikanisch und die Gastgeber keine Teatotalers sind, so kann man sich seines Lebens freuen, ohne durch steife Foermlichkeit oder durch aufdringliche Protzerei geaergert zu werden. Nicht selten ist bereits mit dem Lunch eine kleine _reception_ verbunden, d. h. nach dem Essen treten mehrere Dutzend Menschen, die ganze Fakultaet, wenn der Gastgeber ein Professor ist, die ganze Freundschaft und Verwandtschaft, wenn der Empfang inoffiziell ist, in den zumeist winzig kleinen Stuben an, um Bekanntschaft zu machen. Das ist die mildeste Form der "reception". Man hoert alle Namen, schuettelt alle Haende, schwaetzt ein Stuendchen herum und hat im Fluge einen oberflaechlichen Eindruck von dem Verkehrskreis des Gastgebers gewonnen, vielleicht sogar eine wirklich interessante Persoenlichkeit fluechtig angebohrt. Ist man an ein Komitee geraten, das bereits Erfahrungen mit europaeischen Nerven gemacht hat, so darf man sich zu einem Ruhestuendchen zurueckziehen, andernfalls geht es ohne Gnade und Barmherzigkeit weiter im Programm. Man wird zur Besichtigung der Universitaetsinstitute, der Bibliotheken, der Laboratorien, Museen, bemerkenswerter Fabrikbetriebe oder was es auch immer sei, mit Vorliebe auch zu dem Gouverneur des Staates oder doch mindestens zum Buergermeister der Stadt geschleppt. Wenn man bedenkt, dass so ein Gouverneur der konstitutionelle Regent eines Landes ist, das in den meisten Faellen groesser als das Koenigreich Bayern, in einigen Faellen sogar groesser als ganz Deutschland ist, so ist man erstaunt ueber die leichte Zugaenglichkeit und jeder steifen Foermlichkeit abholde Art dieser grossen Herren. Sie haben natuerlich keine Ahnung davon, wer man ist, aber sie beteuern, ueber die Bekanntschaft entzueckt zu sein, und stellen sich aufs Liebenswuerdigste unseren Wuenschen zur Verfuegung. Mittlerweile wird es dann Zeit, sich zum _dinner_ in _full dress_ zu werfen. Dabei geht es ohne mehrere Toaste niemals ab, denn der Amerikaner redet gern und hervorragend gut, und man muss sein bisschen Witz gehoerig zusammennehmen, um diesem nationalen Talente gegenueber mit seiner Antwort zu bestehen. Hat man den Abend frei, so ist solch ein _dinner_ um 7 Uhr eine erquickliche Angelegenheit; denn nirgends existiert in Amerika die deutsche Unsitte, stundenlang bei Tische zu sitzen, eine unmoegliche Masse von Speisen und ebenso viel verschiedene, in der Schwere sich steigernde Weinsorten eingepumpt zu bekommen. Grosse offizielle Festessen dehnen sich freilich auch sehr lang aus, aber nicht wegen der Laenge des Menues, sondern nur wegen der nationalen Sitte, die Schleusen der Beredsamkeit erst nach dem Dessert zu oeffnen. _Toastmaster_ und _Chairman_ regulieren den Strom nach parlamentarischer Sitte, und wenn die Rednerliste erschoepft ist, beginnt erst der echt amerikanische Hauptspass, indem der _Toastmaster_ noch unter den besonders prominenten, durch ihre Eigenart beruehmten oder beruechtigten Anwesenden eine ganze Anzahl zu Improvisationen reizt. Selten dass einer auf solche Reizung nicht reagiert. Natuerlich reitet bei dieser Gelegenheit jeder sein Steckenpferd, wobei aber erst recht viel witziges oder gedankenreiches Eigengut zutage gefoerdert wird. Schlimm ist es, wenn man unmittelbar nach dem Essen seinen Vortrag halten muss, wie das gar nicht selten vorkommt. Und noch schlimmer, wenn einem, wie mir das auch passiert ist, erst beim Besteigen der Rednertribuene vom Vorsitzenden zugeraunt wird, dass man doch gefaelligst nur eine Stunde lang sprechen moege - ueber ein Thema, das in dreien kaum halbwegs gruendlich zu erledigen waere! Diese beneidenswert robusten Neuweltler nehmen eben als selbstverstaendlich an, dass ein Mensch, der einen Beruf, ein Geschaeft daraus macht, oeffentliche Vortraege zu halten, jederzeit und unter allen Umstaenden bereit sein muesste, sie aus der Pistole zu schiessen. Dass wir schwaechlichen Ostleute zu jeder geistigen Leistung Sammlung und Stimmung brauchen, das scheinen sie nicht zu verstehen. Dem nervenlosen Amerikaner ist es auch ganz gleichgueltig, wie das Lokal ausschaut, in dem er seine Kunst geniesst oder seine Bildung bereichert; offene Tueren, hin- und herlaufende Menschen, pfeifende und klingelnde Lokomotiven vor den Fenstern, polternde Kegel- unter und probende Gesangvereine ueber dem Lokal genieren ihn nicht im mindesten. Ich ging an einem Universitaetshoersaal vorbei, dessen Tuer sperrangelweit offen stand; im Korridor trappten laut schwatzende und lachende Studenten auf und ab, aber weder der vortragende Professor noch die eifrig nachschreibenden Hoerer liessen sich dadurch auch nur im geringsten stoeren. In St. Louis waren die Leute, die mein Auditorium in Stand setzen sollten, ausgeblieben. Infolgedessen war das Lokal so schmutzig von Kohlenruss, dass ich einen weissen Handschuh, der mir entfiel, schwarz wieder aufhob und das elektrische Licht versagte; wir sassen also bei einigen Notlampen im Finstern, und ich trug eine ruehrende Geschichte vom bitteren Leiden und Sterben eines schwindsuechtigen Maedchens unter der rhythmischen Begleitung zweier melodisch knallender Heizkoerper vor. Natuerlich war ich nahe daran, aus der Haut zu fahren; mein Publikum aber schien durch diese stimmungsmordenden Umstaende nicht im mindesten beruehrt zu werden. Der Vorsitzende bat fuer diese Uebelstaende um Entschuldigung, und damit war es gut. Der Amerikaner fuegt sich in das Unvermeidliche mit bewundernswerter Ruhe und Geduld. Wenn er gekommen ist, um fuer sein Geld Kunst zu geniessen oder Weisheit zu schluerfen, so fuehrt er diesen Vorsatz auch unter den widrigsten Verhaeltnissen aus, denn er will auf seine Kosten kommen. Und seine Nerven parieren ihm so absolut, dass er imstande ist, durch einfachen Willensakt waehrend des zartesten Pianissimos einer Saengerin den knallenden Heizkoerper oder die laeutende Lokomotive nicht zu hoeren. (M4) Die grosse _reception_, dieser Schrecken aller Schrecken fuer beruehmte Mauernweiler, diese echt amerikanische "Hetz", pflegt nach dem Vortrag des zu feiernden Gastes in einem moeglichst grossen Saale stattzufinden. Der Amerikaner stellt sich bekanntlich nie selber vor. Man kann stundenlang im Eisenbahnwagen miteinander fahren und sich angeregt unterhalten, man kann sogar wochenlang auf einem Dampfer Tisch- und Kabinennachbar eines scharmanten Menschen sein, ohne dass es ihm einfallen wird, sich selber vorzustellen. Und wenn der wackere Deutsche in seiner angeborenen Hoeflichkeit sich bemuessigt fuehlt, einer solch angenehmen Reise- oder Table d'hote-Bekanntschaft gegenueber die Hacken zusammenzuschlagen und mit kommentmaessig heruntergeklapptem Haupte zu schnarren: "Sie gestatten, mein Name ist Mueller," so riskiert er, dass der Angeredete, ohne sich von seinem Sitz zu erheben, ihn von unten herauf gelangweilt anschaut und mit gequetschtem Nasentone die impertinent zweifelnde Frage zurueckgibt: "_Aoh, is that so?_" Der Amerikaner hat stets den Ehrgeiz, mit prominenten Leuten bekannt zu werden. Auslaendische Beruehmtheiten interessieren ihn brennend, und fuer Leute mit schoenen Titeln und langen Namen aus Europa hat er eine besondere Schwaeche, aber niemals wuerde er sich einfallen lassen, eine formlose Vorstellung zu provozieren. Man kann in der guten Gesellschaft nur miteinander bekannt werden, indem man von dem Gastgeber, bei dem man sich trifft, offiziell einander vorgestellt wird. Diesen Zweck erfuellen unter anderen Veranstaltungen auch die beruechtigten _receptions_. Jeder, der nur irgendwelche Beruehrungspunkte mit der gesellschaftlichen Sphaere oder mit dem Beruf des prominenten Gastes hat, bemueht sich, eine Einladung zu solcher _reception_ zu bekommen. Der Vorgang bei dieser hochnotpeinlichen Prozedur, wie ich sie im Staate Wisconsin in musterhafter Form erlebt habe, ist folgender: Man stellte mich an eine Saeule an der Schmalseite des grossen Saales und meine Frau an eine andere Saeule wenige Schritte davon entfernt. Mir zur Seite trat ein _Gentleman-Usher_ und an die Seite meiner Frau eine _Lady-Usher_ (Usher = Einfuehrer). Von diesen wird vorausgesetzt, dass sie wie ein Hofmarschall alle eingeladenen Herrschaften nach Namen, Rang und Stand kennen. In langer Reihe, einzeln oder paarweise hintereinander nahen sich nun die Scharen derer, die unsere Bekanntschaft zu machen wuenschen, und der Usher waltet seines Amtes. "Erlauben Sie mir, Ihnen Mister und Missis John Dubbleju Weber (sprich: Uebbaeh) vorzustellen. Einer der prominentesten Buerger unserer Stadt, man kann sagen einer ihrer Begruender, denn er hat vor vierzig Jahren hier in dem Indianerdorf, das damals auf dieser Stelle stand, den ersten Laden fuer baumwollene Taschentuecher, Whisky, Kautabak und Schiesspulver eroeffnet." "_How do you do, Mister Uolsogen?_" gurgelt Mister John Dubbleju Uebbaeh aus seiner respektablen Speckwampe heraus und beginnt mit meinem Arme wie mit einem Pumpenschwengel zu hantieren. "Komme Se mal zu mir, da wer' ich Se mal was Scheenes sseigen; und bringen Se auch de Frau Uolsogen mit, wenn se Aentiquitis gleicht." (Antiquitaeten gern hat). Und Missis Uebbaeh, eine umfangreiche Dame mit kolossalen Brillantboutons in den Ohrlappen, grinst mich muetterlich bewegt an und versichert, entzueckt zu sein, mich zu treffen. Der Mann gibt meine Hand an sie weiter, und sie pumpt die Behauptung aus mir heraus, dass ich gluecklich sei, Persoenlichkeiten vor mir zu sehen, welche die ganze Geschichte dieser beruehmten Stadt nicht nur mit erlebt, sondern sozusagen selber gemacht haetten. "_Move on, please!_" sagt der Usher und schiebt das imposante Ehepaar sanft weiter, worauf er mich mit Mister und Missis Isaak O. Waddlepaddledaddle (oder so was aehnliches) bekannt macht. Mister Waddlepaddledaddle (oder so was aehnliches) ist mit sieben Cents in der Tasche vor fuenfundzwanzig Jahren hier eingewandert und hat etwa ein Dutzend Mal seinen Beruf gewechselt, bis er sich auf Rattengift geworfen hat. Seit einigen Jahren steht er an der Spitze des Patent-Ungeziefervertilgungsmitteltrusts und ist elf Millionen Dollar wert. Seine Frau ist tief ausgeschnitten und bedeckt ihre wogende Bloesse mit Brillanten fuer etliche Hunderttausende. Sie ist so schrecklich betruebt (_so awfully sorry!_), dass ihre Tochter mich nicht kennen lernen kann, denn die ist vergangenes Jahr in Deutschland gewesen und so eingenommen von der deutschen Literatur. Sie habe viele von meinen Buechern gelesen, darunter natuerlich auch meinen entzueckenden "Herrgottsschnitzer von Oberammergau" und meinen reizenden "Huettenbesitzer" und ueberhaupt beinahe alles. Leider habe das Maedchen die Mumps. Beschaemt und tief geruehrt bekenne ich, dass diese genaue Kenntnis meines dichterischen Schaffens mich zum ersten Mal das Hochgefuehl einer wahren Popularitaet auf zwei Hemisphaeren voll empfinden lasse. Mister Waddlepaddledaddle (oder so was aehnliches) quetscht mir bewegt die Hand, und Missis Waddlepaddledaddle (oder so was aehnliches) hat noch eine Frage auf den ueppigen Lippen, als mein Usher mir bereits einen ehrwuerdigen Greis in weissem Lockenschmucke, das glattrasierte Antlitz scharf und geistvoll geschnitten, als den beruehmten Professor der Ethik, Dr. James Cadwalleder B. Mapletree vorstellt. Der beruehmte Gelehrte ist so steinalt, dass ich ihm aufs Wort geglaubt haette, wenn er mir versichert haette, dass bereits George Washington, Benjamin Franklin und Henry Clay (welch letzterer uebrigens keineswegs Zigarrenfabrikant in Havanna, sondern ein 1852 verstorbener bedeutender Staatsmann ist) bei ihm Colleg gehoert haetten. "Froh, Sie zu treffen, Baron", beginnt der grosse Gelehrte, mir kraeftig die Hand drueckend, und wissend, dass ihm nicht viel Zeit gegeben ist, knuepft er gleich eine Frage ueber den Stand der Ethik in Deutschland als wissenschaftliche Disziplin sowie als bewusste Ausdrucksform der Volksseele an. Ich erinnere mich zum Glueck, dass ich jahrelang eifriges Mitglied des Ethischen Klubs im Kellerlokal des Hofbraeu-Ausschankes in der Franzoesischen Strasse in Berlin gewesen bin und erklaere ihm, dass wir in der Ethik durchaus obenauf, _up to date_ waeren und ueberhaupt... "_Move on, please!_" ruft der unerbittliche Usher, und der grosse Gelehrte bezaehmt laechelnd seinen Wissensdurst und laesst sich ohne Murren weiter schieben. Es kommen deutsche Mitglieder der Fakultaet an die Reihe, mit denen ich im Fluge gemeinsame Beziehungen in der Heimat entdecke, es kommen Yankees, die wirklich im deutschen Geistesleben zu Hause sind und auch tatsaechlich den "Kraft-Mayr" gelesen haben, es kommt die Vorsteherin einer Maedchenschule, die just meine "Gloriahose" in ihrer Klasse uebersetzen laesst - lauter Menschen, mit denen man sich gern zum Warmwerden in ein Eckchen zurueckziehen moechte - es hilft nichts: "_Move on, please!_" kommandiert die sanfte Stimme meines Ushers. Folgsam und wohlanstaendig schieben sich die Hunderte von Menschen, alte und junge, Zierden der Alma mater und feste Saeulen der Buergerschaft, prominente und unerhebliche Leute, Maennlein und Weiblein langsam weiter, und alle, die mir mit groesserer oder geringerer Ausgiebigkeit die Hand geschuettelt und versichert hatten, dass sie _so_ gluecklich seien, mich zu treffen, fragen zwei Minuten spaeter an der naechsten Saeule meine Frau, wie es ihr gehe, und sind alle ausnahmslos so gluecklich, sie zu treffen. Zuletzt kommt das junge Volk an die Reihe: lustige Studentinnen, die mit einem vergnuegten Knall in die Hand einschlagen und die Affaere mit dem stereotypen "_How d'ye do?_" moeglichst rasch erledigen, oder aber kichernd ihre deutschen Brocken anzubringen versuchen. Unter den letzten ist ein lang aufgeschossener Student mit sehr grossen roten und kalten Haenden, der mir sein deutsches Literaturgeschichtsbuch mit der Bitte ueberreicht, ihm da etwas hineinzuschreiben. "Stehe ich drin in diesem Leitfaden?" frage ich den glatten Juengling. "Ich bin betruebt, nein zu sagen," laechelte er verlegen, und ich attestiere es ihm schriftlich in sein Buch hinein, dass das eine ganz miserable Literaturgeschichte sei. (M5) Gott sei Dank, endlich ausgestanden! 170 Menschen sollen es gewesen sein. Man darf sich endlich setzen und bekommt ein Sandwich oder so etwas aehnliches und selbstverstaendlich das entsetzliche Eiswasser oder den unvermeidlichen Icecream angeboten. Man nimmt sich einige der Herrschaften beiseite und fragt sie auf Ehre und Gewissen, ob sie etwa durch diese "reception" gluecklich geworden seien. Die sind mit uns voellig einig darueber, das solche Veranstaltungen der groesste Bloedsinn von der Welt seien, so ungeeignet wie moeglich, den angeblichen Zweck des gegenseitigen Kennenlernens zu erfuellen. Aber trotzdem: wenn das naechste Mal zur Besichtigung eines importierten Dichters oder eines sonstigen seltenen Tieres eingeladen wird, so sind sie doch alle wieder da. Missis Waddlepaddledaddle (oder so was aehnliches) mit ihren saemtlichen Brillanten und mit der Tochter, die inzwischen vielleicht die Mumps ueberstanden haben wird, Mister und Missis John Dubbleju Uebbaeh, der eigentliche Gruender des jetzt so bluehenden Gemeinwesens, und die saemtlichen anderen Prominenten der Stadt, die Professoren mit ihren Damen, und auch der achtzigjaehrige James Cadwalleder B. Mapletree wird sich wieder geduldig in die Reihe stellen und wieder seine Frage nach dem Stand der Ethik in Europa nicht beantwortet kriegen. Es ist nun einmal eine Genugtuung fuer den richtigen Amerikaner, sagen zu duerfen: "Da und da traf ich den beruehmten X. und schuettelte Haende mit ihm." Der Praesident der Vereinigten Staaten hat das Vergnuegen, alljaehrlich bei der grossen Neujahrsreception Tausenden von Menschen die Haende zu schuetteln und jedem einzeln zu versichern, dass er _so_ froh sei, ihn zu treffen. Unser Prinz Heinrich soll sich nach Beendigung seiner Amerikatour in seine Kabine eingeschlossen und 48 Stunden hintereinander geschlafen haben. Ich glaub's gerne, dass er das noetig hatte, denn der musste taeglich Bankette und Receptions mitmachen, bei denen noch x-mal so viel Haende zu schuetteln und Trinksprueche zu beantworten waren, abgesehen davon, dass er im Laufe des Tages auch noch saemtliche Kriegerdenkmaeler, Bibliotheken, bedeutende Fabrikbetriebe, Preisbullen und Deckhengste besichtigen musste. Auch mir, dem bescheidenen Dichter, wurde der beruehmte arabische Deckhengst von Columbus mit seinen hochmuetig starren Monokelaugen vorgefuehrt, auch vor mir taenzelte der kokette Racker, die x-fach preisgekroente Jerseykuh, auch mir zu Ehren wurden Hekatomben von Schweinen in den Stockyards abgestochen; aber fuer mich gab es doch immerhin Ruhepausen, stille Tage in befreundeten Familien, zeitweises Untertauchen in Hausrock und Pantoffeln. Fuer unseren ungluecklichen Repraesentationsprinzen gab es das alles nicht, er war von frueh bis in die spaete Nacht tagtaeglich im Geschirr. Seine Nervenleistung war so enorm, dass sie schliesslich sogar den Amerikanern imponiert hat. Die erste Frage jedes Eingeborenen der Vereinigten Staaten an den Fremdling, und waere er auch eben erst in Hoboken gelandet, ist: "Wie gefaellt Ihnen Amerika?" Sie sollten eigentlich fragen: "Wie halten Sie Amerika aus?" Denn das ist, wenigstens fuer den offiziell herumgezeigten Mauernweiler, wirklich die Kardinalfrage da drueben. Mein Gott, es ist eben ein ganz junges Volk, und sie sind so ungeheuer stolz auf die riesigen Proportionen ihres Landes, auf die erstaunliche Groesse, Neuheit, Kuehnheit aller ihrer Unternehmungen, dass jeder Amerikaner den Kitzel in sich verspuert, jeden Fremden, der auf der Strasse irgend etwas anstaunt, zu fragen: "Na, was sagen Sie dazu, elender Europaeer, bartbewachsenes Blassgesicht, kolossal, was? Habt Ihr drueben nicht!" (M6) In Philadelphia wurde ich von einer reizenden jungen Reporterin interviewt. Selbstverstaendlich: "_How do you like America_" usw., und dann kam die verfaengliche Frage: "Und was denken Sie von unserer Kultur?" Da kratzte ich mir den Kopf und sagte: "Mein liebes Fraeulein, in diese Mausefalle spaziere ich Ihnen nicht." Und nun schlug das suesse Ding seine wunderschoenen Augen mit einem so traurig enttaeuschten, kindlich erschrockenen Blick zu mir empor - ich werde diesen ruehrenden Blick nie vergessen! Und um Ihrer schoenen traurigen Augen willen, reizendes Fraeulein von Philadelphia, gedenke ich nunmehr alle meine Eindruecke von meiner Amerikafahrt unter dem Gesichtspunkt zu revidieren, dass bei diesem grossen Volke eben alles noch Jugend, holde, wilde, ungezogene, starke, unanstaendig gesunde Jugend ist. DIE YANKEERASSE. (M7) Es ist ein weitverbreiteter europaeischer Irrtum, dass sich in den Vereinigten Staaten Nordamerikas allmaehlich durch energisches Umruehren eines ueberaus buntscheckigen Voelkergemisches die Bildung einer neuen Rasse vollziehe. Ich gestehe, dass ich mich, bevor ich selber drueben war, gleichfalls in diesem Irrtum befunden habe und mir von jenem zukuenftigen form- und farblosen Voelkerbrei nichts Gutes versprach. Wer aber mit offenen Augen und ohne vorgefasste Meinung sich die Menschen in den Vereinigten Staaten anschaut und von verkeilten Theoretikern sich nichts weis machen laesst, der muss zu der Erkenntnis kommen, dass es drueben (mit Ausnahme der suedlichsten Staaten) nur Yankees(1) und Fremdvoelker gibt. _Der Yankee aber ist ein reiner Grossbritannier oder, wenn man will, eine Mischrasse aus Angelsachsen und Kelten, in welcher das keltische Blut staerker vertreten ist als im alten England._ Durch die neuen, eigenartigen Lebensbedingungen, vor die seit drei Jahrhunderten die Auswanderer aus den britischen Inseln in dem neuen Weltteil gestellt wurden - drei Jahrhunderte voll harter Kaempfe, wilder Arbeit und glaenzender Erfolge - haben sich die guten wie die schlechten Eigenschaften des angelsaechsischen und des keltischen Blutes aufs heftigste herauskristallisieren und der neuen, gut durchgemischten Rasse dadurch auch einen neu erscheinenden Charakter aufzwingen muessen. Angelsaechsisch im Wesen des Yankees ist sein Kolonisationstalent, seine Zaehigkeit im Verfolgen des Zwecks, seine nuechterne Beschraenkung auf das Naechstliegende, Nuetzliche, Erfolgversprechende; dagegen ist auf den keltischen Einschlag zurueckzufuehren sein leichtherziger Optimismus, sein wagemutiges Spielertemperament, seine Begeisterungsfaehigkeit und seine leichte Zugaenglichkeit fuer alle Arten von Korruption. Der als Spieler, Saeufer und Raufbold einigermassen beruechtigte Irlaender spielt in der Weltgeschichte gewiss keine besonders sympathische Rolle, aber der englische Puritaner aus Cromwells Zeiten war denn doch noch ein weit ueblerer Geselle. Mit den argen Schwaechen des Iren konnte seine katholisch gefaerbte Phantastik, sein kindlich liebenswuerdiger Frohsinn immerhin versoehnen, waehrend die sittenstrenge Lebensfuehrung und die ehrenhafte Geschaeftstuechtigkeit des Puritaners doch noch lange nicht hinreichen, um uns mit seiner niedrigen, boshaften Feindschaft gegen die Natur, gegen alles Freie, Frohe, Schoene und mit seinem muffigen Tugendhochmut auszusoehnen. "Der Herr ist mit uns", war das Feldgeschrei der Pilgervaeter - aber dieser Herr war eben ein grimmiger Spezialgott fuer die Rechtglaeubigen, d. h. also fuer die blinden Anbeter des Bibelbuchstabens. Und dieser grimmige Spezialgott begeisterte sein auserwaehltes Volk dazu, die Rothaeute mit Feuerwasser und Feuerwaffen auszurotten und die Ketzer mit Skorpionen zu zuechtigen. Wenn drueben nicht anfangs die Menschen so rar und die Haende so notwendig gewesen waeren, haetten diese europaeischen Berserker gerade so eifervoll wie die Dominikaner der Inquisition mit Folter und Scheiterhaufen gegen Papisten und protestantische Sektierer gewuetet, so aber begnuegten sie sich damit, alle denkenden Koepfe, alle freien Geister, alle vornehmen Menschen geschaeftlich lahm zu legen und aus ihren Wohnorten hinauszuekeln. Ein amerikanischer Geschichtsschreiber sagt, dass bei den Puritanern ausser Heiraten und Geldverdienen eigentlich alles verboten war. Bei schwerer Strafe im Nichtbeachtungsfalle war jedem Buerger vorgeschrieben, wie er sich zu kleiden und zu benehmen, was er zu essen und zu trinken, was er zu denken und wie er zu fuehlen habe. Selbstverstaendlich waeren diese Menschen niemals die Begruender des groessten demokratischen Freistaates der Welt geworden, wenn nicht ihre geschaeftlichen Interessen sie gezwungen haetten, allmaehlich einen nach dem anderen von ihren starren Grundsaetzen fallen zu lassen. Die Kolonie Rhode-Island, von einem abtruennigen, grimmig verfolgten Prediger, dem edlen Roger Williams, gegruendet, war die erste, welche religioese Toleranz und wahrhaft freiheitliche Grundsaetze einfuehrte, und gerade sie gedieh so sichtbarlich besser als die Puritanerkolonien, dass die frommen Vaeter am geschaeftlichen Vorteil ihrer Strenge zu zweifeln begannen. Das war das Ausschlaggebende. Von jeher hat der angelsaechsischen Rasse der praktische Nutzen ueber allen Idealen gestanden, und ihr klarer, nuechterner Wirklichkeitssinn hat sie noch immer davor bewahrt, sich trotz ihres Hanges zum Spleen in unfruchtbare Traeumereien und eigensinnige Prinzipienreiterei zu verlieren. Das englische Denken ist durchaus _matter of fact_, und diese Eigenschaft hat die Englaender befaehigt, die mustergueltigsten Kolonisatoren der Neuzeit, Handelsherren grossen Stiles und kaltbluetige Geschaefts-Politiker zu werden. Fuer das Klima des noerdlichen amerikanischen Kontinents waren darum auch die Angelsachsen die denkbar geeignetsten Besiedler. Die rote Urbevoelkerung war trotz ihrer Kriegstuechtigkeit, trotz ihrer Klugheit und Noblesse ihnen gegenueber verloren, denn die Indianer waren fromm naturglaeubig und darum hilflos abhaengig von der Natur, die fuer die naturfeindlichen Puritaner nur ein Objekt zur Ausbeutung durch den Menschen bedeutete. Die starke Beimischung keltischen Blutes hat nun, wie gesagt, viel dazu beigetragen, die unsympathischen Charaktereigenschaften der angelsaechsischen Rasse zu verwischen. Das feurige Temperament der Kelten besiegte die englische Steifheit und langweilige Ehrpusslichkeit und erzeugte in der Vereinigung jenes Geschlecht von waghalsigen Draufgaengern, von willensstarken Optimisten, dem allein das grosse Werk gelingen konnte, durch die Steppe, durch die Wueste und ueber das wilde Hochgebirge hinweg bis zu den ueppigen Gestaden des Stillen Ozeans vorzudringen und sich selbst zu einer Herrenrasse aufzuschwingen, der alle uebrigen von Europa nachdringenden Voelker sich ebenso bedingungslos unterwerfen mussten, wie die ungluecklichen Eingeborenen. Die unwiderstehliche Kraft des Yankeetums liegt ohne Zweifel in seinem unbeugsamen Rassestolz. Dem Yankee ist es so heilig ernst damit, dass er sich nicht einmal im Spass, d. h. im freien Verhaeltnis, viel weniger in der Ehe, mit den Angehoerigen der zahlreichen anderen Rassen, die seinen riesigen Kontinent bevoelkern, vermischt. Fuer die lateinischen Eroberer Suedamerikas und auch der suedlichen Laender des noerdlichen Kontinents hat es immer einen, wie es scheint, besonderen Reiz gehabt, sich liebespielerisch mit Frauen anderer Hautfarbe abzugeben. Und was ist dabei herausgekommen? Kreolen, Mestizen, Quatronen usw. usw., ein schauderhaftes Gesindel, das fuer jede hoehere Gesittung verloren ist, zuchtlos, widerstandsunfaehig, in Leidenschaften verlottert oder in Traegheit versumpft. Solches Menschenmaterial ist kaum durch Schrecken zu regieren, viel weniger durch friedliche Mittel zu einer hoeheren Kultur emporzufuehren, denn _Mischmasch-Menschen nehmen eben keine Vernunft an_; das Beispiel so mancher suedamerikanischen Republik beweist es. Der Yankee-Mann dagegen hat sich selbst in den Zeiten, als die Frauen der groesste Luxusartikel im Lande waren, niemals mit Indianermaedchen beholfen; seine Vernunft begeisterte ihn zu der Grosstat edelster Gerechtigkeit, die Sklaverei aufzuheben in einer Zeit, als diese Sklaverei im Grunde doch noch die einzige Moeglichkeit gewaehrte, die Plantagenwirtschaft der ueppig fruchtbaren Laender des heissen Suedens durchzufuehren. Dennoch haelt er es bis auf den heutigen Tag fuer die groesste Schande, die ein Weisser auf sich laden kann, sich geschlechtlich mit den von ihm zu Menschen gemachten Schwarzen zu vermischen. Aber er geht noch viel weiter, indem er auch die aus Europa heruebergekommenen anderen weissen Rassen, die Romanen, die Slawen, die Juden, ja selbst die ihm naechst verwandten Deutschen und Franzosen als Menschen zweiter Klasse ansieht! Gewiss heisst er alle Voelker der Erde vorlaeufig noch gastlich willkommen, weil eben noch recht viel Platz in seinem riesigen Lande ist und weil er die Arbeitskraft der Fremden, so lange sie sich bescheiden gebaerden und mit Eifer nuetzlich machen, gut gebrauchen kann. Er gewaehrt diesen Fremden das Buergerrecht, er laesst sie an allen Vorteilen seiner freien Einrichtungen teilnehmen, er hat nichts dawider, wenn sie sich von dem Reichtum seines Landes so viel aneignen, als ihnen irgend moeglich ist, aber er weiss sie ueberaus geschickt von den einflussreichen Staatsaemtern fernzuhalten und zeigt sich durchaus nicht uebermaessig beflissen, um ihre schoenen Toechter zu freien oder seine schoenen Toechter ihnen ins Haus zu fuehren. Als im Februar dieses Jahres die Tochter des Milliardaers Jay Gould - nicht etwa einen herunter gekommenen deutschen oder polnischen Adeligen, sondern einen reichen und kerngesunden jungen englischen Lord heiraten wollte, empfingen sowohl die Braut wie deren Eltern aus allen Laendern der Union entruestete Protestkundgebungen, ja sogar offene Drohungen, dass das Volk die Hochzeit durch Gewalt verhindern werde. Denn, wie es in einem solchen, in allen Zeitungen veroeffentlichten Drohbriefe hiess: das gesunde Blut, der reine Leib und die starke Seele der freien Tochter Amerikas sei viel zu schade, um an die Sproesslinge entarteter Herrengeschlechter Europas verhandelt zu werden. Man sieht aus diesem Beispiel, dass der Hochmut der neuen Rasse sich bereits gegen das eigne Stammvolk zu kehren beginnt. Wie erbaermlich leicht werden bei uns in Deutschland Rassen- und Standesvorurteile vergessen, wenn sich eine Gelegenheit findet, den verblassten Glanz eines alten Wappens durch die Mitgift einer juedischen Braut aufzufrischen! Wenn ein Yankee eine Juedin heiratet - der Fall duerfte uebrigens selten genug vorkommen - so tut er es sicher aus Liebe, wie denn ueberhaupt die Geldheiraten in unserem Sinne unter den Yankees aeusserst selten sind, weil es durchaus nicht Sitte ist, den Toechtern bei Lebzeiten der Eltern einen Teil des Vermoegens in Gestalt einer Mitgift auszuliefern. Die Leichtigkeit des Verdienens und das Zutrauen, das jeder junge Amerikaner zu seinen Faehigkeiten und zu seinem Glueck hat, macht tatsaechlich die Liebesheirat zu dem normalen Verfahren, und damit ist auch schon eine starke Gewaehr fuer die Aufrechterhaltung einer kraeftigen Rasse durch natuerliche Zuchtwahl geboten. Die bevorzugte Stellung der Frau spielt selbstverstaendlich unter den guenstigen Bedingungen fuer die Verbesserung der Rasse auch eine wichtige Rolle. Die Frau ist in dem neuen Weltteil Jahrhunderte hindurch von den rauhen Pionieren wie eine Halbgoettin verehrt, wie ein Kaetzchen verhaetschelt worden. Niemals wurde ihr harte koerperliche Arbeit zugemutet, niemals wurde ihren Schwaechen, Launen und Eitelkeiten mit Grobheit begegnet, immer sah es der Mann als eine gern geuebte Pflicht an, seine Kraefte bis aufs aeusserste anzustrengen, um es der Frau zu ermoeglichen, sich gut zu naehren, schoen zu kleiden und in Musse ihre geistigen Anlagen zu pflegen. Die Folge dieser Behandlung war die, dass sich die Yankee-Frau, wenigstens koerperlich, zur schoensten der Welt entwickelte. Allerdings wird diese Schoenheit, vornehmlich was die Gesichtsbildung betrifft, von den meisten Europaeern als kalt empfunden, auch fehlt ihr die weiche, schmiegsame Ueppigkeit z. B. der Wienerinnen zumeist; aber unbestreitbar verdient sie den Preis von allen Frauen der Welt in bezug auf die Schmalheit des Fusses und die edle, schlanke Form des Beins. In ihrem Sinn fuer Eleganz, in ihrem aparten Geschmack fuer Kleidung kommt sie sogar der Pariserin mindestens sehr nahe. Da sich diese schoene und verwoehnte Frau nur aeusserst selten zu mehr als zwei Kindern bequemt, erhaelt sie sich lange jung und frisch, und man sieht daher in den Vereinigten Staaten mehr schlanke, bewegliche, muntere und huebsch angezogene alte Damen, wie sonst irgendwo in der Welt. Uebrigens hat die Rasse von England den Sinn fuer vernuenftige Koerperkultur, besonders fuer peinlichste Reinlichkeit mitgebracht, und diese Erbschaft ist auch den Maennern zugute gekommen. Die Arbeit, die die ersten Kolonisten zu leisten hatten, und in den neuen Staaten heute noch leisten muessen, vollzog sich ja zumeist im Freien, und der stete Kampf mit Hitze und Kaelte, mit wilden Tieren und Menschen, mit den boesen Fiebern der Sumpfgegenden, mit Hunger und Durst in den Wuesteneien raffte das widerstandsunfaehige Menschenmaterial hinweg und liess nur die Staerksten mit dem Leben davon kommen. Diese unerbittliche Auslese schuf ein Kapital von Muskel- und Nervenkraft, wovon die Maennlichkeit der Nation noch auf eine gute Weile zu zehren haben wird. Ausserdem ist es durch Gesetz streng verboten, Kranke oder gar Krueppel aus der alten Welt an den Gestaden der neuen landen zu lassen. (M8) Unmittelbar nach meiner Rueckkehr aus Amerika besuchte ich ein beliebtes Kaffeehaus in Berlin. Es war die erste groessere Versammlung deutscher Menschen, die mir nach einer Abwesenheit von ungefaehr vier Monaten wieder vor Augen kam. Und ich muss gestehen, ich war entsetzt, nein, geradezu erschuettert ueber den Anblick von so viel Garstigkeit. Diese Speckwampen, diese Bierbaeuche, Kahlkoepfe, X- und Saebelbeine, diese verpustelten und verpickelten, graemlich grauen, brutalen oder schwaechlichen, gierigen oder aergerlich verknitterten Gesichter gehoerten also meinen lieben Landsleuten! Und mit diesen in ihrem schwappenden Fett schwankend daher watschelnden, geschmacklos aufgedonnerten Madams, mit diesen kaesbleichen, blassaeugig bloeden, stumpfnasigen, schiefzaehnigen, feuchthaendigen und dickbeinigen Jungfrauen hatten sie bereits oder gedachten sie fuerderhin ihren Nachwuchs zu erzeugen! Herzzerkrampfend schauderhaft! Gewiss war es ein tueckischer Zufall, der mich gerade bei meinem ersten Ausgang auf diesen Kongress von Missgeburten stossen liess, aber dass unsere arg vermanschte Rasse immer noch von dem ganzen Jammer der deutschen Geschichte in ihrer koerperlichen Erscheinung Zeugnis ablegt, und erst neuerdings in der kultiviertesten Oberschicht und in der Generation, die bereits die Segnungen einer nach englischem Muster betaetigten Saeuglingspflege und einer vernunft- und naturgemaessen Lebensweise genossen hat, sich deutlich zu verschoenern beginnt, das scheint mir leider unbestreitbar. Drueben in den Vereinigten Staaten ist der Deutsche und besonders _die_ Deutsche der ersten Generation meist auf den ersten Blick vom Yankee zu unterscheiden. Dem deutschen Einwanderer wird es, auch wenn er zu Wohlhabenheit und angesehener gesellschaftlicher Stellung gelangt, im allgemeinen doch recht schwer, sich die freie, selbstsichere Nonchalance der Haltung und die guten Manieren des gebildeten Yankees anzueignen. Und die deutsche Auswanderin lernt nur in sehr seltenen Faellen Toilette machen und scheint im hoeheren Lebensalter unrettbar zu verfetten. Die Kinder dieser Einwanderer sitzen aber in der Schule neben sehnig schlanken, koerperlich glaenzend gepflegten Yankeekindern. Der vornehmste Zweck dieser Schule ist, den Kindern die Ueberzeugung beizubringen, dass es ein unueberschaetzbarer Vorzug sei, als amerikanischer Mensch auf die Welt zu kommen, dass sich alle uebrigen Weltteile, alle uebrigen Voelker nicht im entferntesten mit der unerhoerten Vorzueglichkeit der Vereinigten Staaten und der stolzen Yankeerasse messen koennten. Selbstverstaendlich lernt das Kind die englische Sprache sehr bald viel besser beherrschen, als es seinen Eltern jemals moeglich wird. Es kommt dazu, dass das amerikanische Leben, die ganze Art der Erziehung die Beobachtungsgabe der Kinder ausserordentlich schaerft. Da koennen nun die deutschen Kinder nicht umhin, Vergleiche anzustellen und sich darueber ihre Gedanken zu machen; zudem lassen es die Yankeekinder an boshaften Sticheleien nicht fehlen. Ich habe selber gehoert, wie ein Yankeebuebchen einem deutschen Knaben, der bei irgendeinem Unternehmen mitzutun zauderte, weil sein Vater es ihm verboten haette, veraechtlich die Achsel zuckend entgegnete: "Ich wuerde mich doch nicht darum kuemmern, was der olle Dutchman sagt." ("_I would'nt care, what that old Dutchman says._") So wird es selbstverstaendlich der Kinder groesster Ehrgeiz, in ihrem Aeusseren zunaechst ihre Abstammung zu verleugnen und sich dem Wirtsvolk anzuaehneln. Und dieser Ehrgeiz entwickelt sich naturgemaess bei den geistig beweglichsten Kindern am staerksten. Es ist erstaunlich, wie rasch durch solche Selbstzucht oft die deutschen Kinder ihren Eltern unaehnlich werden. Die Soehne schiessen um Kopfeslaenge ueber ihren Vater hinaus, und wenn sie zum ersten Mal dem amerikanischen Barbier unter die Finger geraten sind, so ist der smarte Yankeejuengling mit der aristokratischen Sicherheit seines schlottrig flegelhaften Auftretens bald fertig. Zu Hause liegen seine langen Beine auf allen Moebeln herum, und er trifft mit toedlicher Sicherheit die messingene Spuckvase in der entferntesten Ecke des Zimmers. Das sechzehnjaehrige Toechterchen aber kann seiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten sein und wird ihr doch so unaehnlich wie ein geraubtes Grafenkind seiner zigeunerischen Ziehmutter. Die Yankee-Miss fuehrt in ihrer kecken Selbstaendigkeit ein so beneidenswertes Dasein, dass jedes deutsche Maedchen, wenn anders es nicht voellig auf den Kopf gefallen ist, sich mit Haenden und Fuessen dagegen straeuben muesste, sich von einer toerichten Mutter gewaltsam zu einem aengstlich daher stolpernden, unmotiviert kichernden und erroetenden, Sittigkeit und Bescheidenheit markierenden Backfisch dressieren zu lassen. (M9) So spornt das Beispiel der staerkeren und gesunderen Rasse die koerperlich und geistig bevorzugtesten unter den Kindern der fremden Einwanderer maechtig zur Anpassung an. Die zweite Generation, vornehmlich der deutschen Einwanderer, weist schon recht zahlreiche Exemplare auf, die von echten Yankees kaum oder gar nicht zu unterscheiden sind - und dennoch verhaelt sich der Yankee selbst diesen seinen talentvollsten Nachahmern gegenueber in bezug auf die Ehe immer noch ziemlich sproede. Er sieht die Deutschen sehr gern in seinem Lande, er schaetzt sie hoch als ehrliche, anstaendige Menschen, die der politischen Korruption einen zaehen Widerstand entgegensetzen, die mit ihren geschickten Haenden, ihrem Fleiss, ihrer Geduld zu allen feineren Handwerken vorzueglich geeignet und mit ihrer Klugheit und Gewissenhaftigkeit fuer allerlei ruhige Aemter, die dem Yankee zu langweilig sind, und schliesslich auch in der Kunst und Wissenschaft ganz hervorragend brauchbar sind - und dennoch gibt er ihnen seine Toechter nicht gern zur Ehe! Nicht anders ist es mit den Angehoerigen der romanischen, slawischen, mongolischen und semitischen Voelker. Sie hocken alle in gewissen Stadtvierteln oder Strassenzuegen der Grossstaedte, oder in kleineren Ansiedlungen auf dem Lande dicht beieinander und bleiben, obwohl mit allen Rechten des freien Buergers der Vereinigten Staaten ausgestattet, fremde Einsprengsel in dem gastlichen Lande. Die Juden z. B. haben es ebenso wie in Europa zum grossen Teil zu bedeutendem Wohlstand gebracht. Sie entwickeln unter den freiheitlichen Grundsaetzen der Gesetze und Anschauungen einen ungeheuren Ehrgeiz und Lerneifer. In der Presse, in der Literatur, im Theater, in der Rechtsanwaltschaft und im aerztlichen Beruf haben sie, geradeso wie in Europa, die Oberherrschaft erlangt. Einzelne ihrer Mitglieder sind als Inhaber grosser Bankhaeuser zu einem weltumspannenden Einfluss gelangt, und dennoch haust die grosse Masse derselben noch immer im Ghetto beisammen. Die meisten Yankees wuerden, wenn man ihnen den Vorwurf des Antisemitismus machen wollte, erstaunt die Brauen hochziehen und gar nicht wissen, was das sei; nichtsdestoweniger findet man auf den gesellschaftlichen Veranstaltungen auch schwer reicher Juden kaum irgend welche Yankees von Belang, und in den vornehmsten Badeorten und vielen Hotels ersten Ranges werden Juden ueberhaupt nicht zugelassen! Wenn die Deutschen in der Zeit der grossen Massenauswanderung, als auf dem nordamerikanischen Kontinent noch weite Gebiete herrenlos und unkultiviert waren, fuer sich ein solches Neuland erobert, zaeh festgehalten, und alle neu zustroemenden Landsleute haetten zwingen koennen, sich dort gleichfalls anzusiedeln, dann haetten die Deutschen einen starken Staat im Staate bilden koennen und ihre Selbstaendigkeit zu wahren vermocht, auch wenn sie sich dem Staatenbund angeschlossen haetten. Diese Gelegenheit ist endgueltig verpasst. Aber damit sie in den anderen jungfraeulichen Weltgegenden nicht abermals verpasst werde, gehet hin, ihr lieben Landsleute, und lernt von den Yankees, was das unerschuetterliche Kraftbewusstsein einer starken, gesunden Rasse vermag und wie man seine Rasse rein erhaelt! DER YANKEE ALS ERZIEHER. (M10) Die alte Erfahrung, dass junge Eltern sehr haeufig bessere Erzieher ihrer Kinder sind als aeltere und reifere, findet im Yankeelande eine auffallende Bestaetigung. Die Yankees sind eben als Rasse und die uebrigen Buerger der Vereinigten Staaten als Nation noch so kindhaft jung, noch so tief befangen in dem glueckseligen Taumel des Kraftueberschusses, dass sie ihre kluegsten wie ihre duemmsten Streiche mit der gleichen schoenen Begeisterung verueben und mit reizender Naivitaet dem eigenen Verdienst gutschreiben, was sie oft doch nur gluecklichen Umstaenden zu verdanken haben. Der leichte Erfolg, der den kraftvollen und ruecksichtslosen Ausbeutern jenes jungfraeulichen Kontinents voll ungehobener Naturschaetze zu teil wurde, hat die ganze Rasse eitel, prahlerisch und sorglos wie Kinder gemacht, und diese Kindlichkeit ist bis auf den heutigen Tag die liebenswuerdigste Eigenschaft des neuen Volkes. Es lebt in den Tag hinein, denkt kaum an morgen, grundsaetzlich nicht an uebermorgen, kennt keine Gefahr, erschrickt vor keinem Hindernis und troestet sich ueber alle Schwierigkeiten hinweg mit dem Gedanken: Es ist noch immer gegangen und wird auch diesmal gehen! Weist ein Aussenstehender auf offenbare Schwaechen hin, so erwidert der Yankee gut gelaunt: "Nun ja, Sie moegen recht haben; aber Sie sehen ja, wir leben auch so, und wir leben recht gut!" Man laesst sich alle Unbequemlichkeiten lachend gefallen und schickt sich in alles, da man an ein jaehes Auf und Nieder von Ueberfluss und Mangel, von absoluter geistiger Oede und raffinierter Luxuskultur wie an die schroffen Uebergaenge von eisiger Kaelte zu gluehender Hitze gewoehnt ist. Aus dieser Quelle entspringt der siegessichere Optimismus und die heisse Vaterlandsliebe des amerikanischen Volkes. Dem Yankee gilt ganz selbstverstaendlich alles Amerikanische als das Beste, das Groesste, das Schoenste in der Welt, und das juenglinghafte Renommieren mit all diesen Superlativen ist ebenso charakteristisch fuer die Nation, wie ihre Vorliebe fuer unsinnige Kraftproben, naerrische Wetten, sensationelle Schaustellungen und laermende Vergnuegungen. Der Yankee bewahrt sich diese jugendlichen Eigenschaften bis in sein hohes Alter. Greise, die sich necken, puffen und balgen wie Buben, alte Damen, die sich wie Backfische anziehen, sind alltaegliche Erscheinungen. (M11) Es versteht sich von selbst, dass so geartete erwachsene Menschen fuer das Denken und Empfinden der Kindesseele weit mehr Verstaendnis haben muessen, als das gesetzte, bequemlich wuerdevolle Alter der Kulturvoelker unserer alten Welt, welches aus der Erfahrung von Jahrtausenden die vorsichtige Kritik und damit sehr haeufig auch den steten missmutigen Zweifel gelernt hat. Die geistige Ueberlegenheit hoert auf, ein gluecklicher Erziehungsfaktor zu sein, sobald sie zum geistigen Hochmut ausartet, und in diese Gefahr geraet sie ja in unserer alten Welt leider nur zu leicht. Wenn es andererseits richtig ist, dass der Einfluss der Kameradschaft die Jugend besser zu erziehen vermoege, als das Beispiel des Alters, so sind zweifellos junge Voelker uns als Erzieher ueberlegen. Der Yankee vergoettert sein Kind. Erstens einmal, weil es ueberhaupt ein rarer Artikel ist, und zweitens, weil es den ungeheuren Vorzug hat, als Amerikaner auf die Welt gekommen zu sein. Man sollte eigentlich meinen, dass eine so stolze, exklusive Rasse wie die der Yankees darauf aus sein muesste, die Reichtuemer ihres Landes und die vielen glaenzenden Lebensaussichten lieber ihrer eigenen zahlreichen Nachkommenschaft zuzufuehren, als sie den einwandernden, ihrer Meinung nach doch unendlich minderwertigen Fremdlingen aus aller Welt zuteil werden zu lassen. Wenn der Yankee dieser nahe liegenden Erwaegung zum Trotz Neumalthusianer ist und folglich selten mehr als zwei Kinder hat, so erklaert sich das aus der eigenartigen Stellung, die die Frau im noerdlichen Amerika einnimmt. Sie war in den ersten Jahrhunderten der britischen Kolonisationsarbeit infolge ihrer Seltenheit ein Gegenstand des beneideten Luxus und der unterwuerfigen Verehrung. Der glueckliche Besitzer einer jungen Frau nahm freudig alle Last der Arbeit auf sich, um seiner Gefaehrtin die Moeglichkeit zu gewaehren, ihre Schoenheit, ihre geistige und koerperliche Beweglichkeit bis ins Alter zu pflegen. Die Ansicht, dass es fuer den Mann die denkbar groesste Schande sei, der schwachen Frau harte Arbeit zuzumuten, brachten die Kolonisten ja schon aus der britischen Heimat mit, und es ist begreiflich, dass sie unter den besonderen Verhaeltnissen des abenteuerlichen Lebens im neuen Lande noch verstaerkt und sogar unvernuenftig uebertrieben werden musste. So wurde also auch das Wochenbett unter die schweren koerperlichen Leistungen gerechnet, die ein Mann seiner Frau nicht oefters zumuten duerfe, als der Bestand und die Interessenpolitik der Familie es unbedingt erforderten. So ist es erklaerlich, dass bis auf den heutigen Tag Anglo-Amerikanerinnen, die ihren Stolz darin suchten, viele Kinder zu haben, aeusserst selten sind. Die wenigen vorhandenen Kinder profitieren natuerlich am meisten bei diesem Zustand. Bei der ungemein bevorzugten Stellung der Frau und bei den guenstigen Lebensaussichten, welche nicht nur das begueterte, sondern auch das auf seine Arbeit angewiesene Maedchen in den Vereinigten Staaten hat, erklaert es sich, dass die Geburt eines Knaben durchaus nicht hoeher eingeschaetzt wird, als die eines Maedchens. Eine vernuenftige Saeuglingskultur herrscht als gute englische Erbschaft ueber den ganzen Kontinent. Die Eltern sind von einer ruehrenden Geduld und Nachsicht den Kleinen gegenueber. Ein Kind zu schlagen gilt als unerhoerte Roheit. Kinderzucht in unserem Sinne wird drueben wohl nur noch von manchen der eingewanderten Fremdvoelker, vornehmlich in deutschen Familien versucht, aber meist vergeblich, denn schon die Kleinsten werden sehr bald durch den Vergleich belehrt, dass sie es nicht noetig haben, sich in dem freien Lande eine unwuerdige Behandlung gefallen zu lassen. Deutschen Beobachtern erscheint das Yankeekind sehr oft als vorlaut, unziemlich respektlos und unertraeglich ungezogen, wogegen die Yankee-Eltern das starke Hervorkehren des Eigenwillens in ihren Kindern als einen Vorzug ansehen und sich hueten, deren Selbstaendigkeit zu unterdruecken. Sie geben sich die erdenklichste Muehe, ihren Verkehr mit den Kindern auf den Ton der Kameradschaft zu stimmen und behandeln die unverschaemten Gernegrosse, sobald sie aus dem Alter der suessen Kindlichkeit heraus sind, in dem man mit ihnen wie mit Puppen spielen kann, wie Erwachsene. Infolgedessen emanzipieren sich die Kinder auch sehr fruehe vom Elternhause, und zwar nicht nur in den untersten Staenden, wo die Notwendigkeit mit zu verdienen die laecherlichsten Knirpse oft schon zu selbstaendigen Unternehmern, zu fixen kleinen Handelsleuten macht. (M12) Die oeffentliche Schule gliedert sich in Kindergarten (diese deutsche Bezeichnung hat man allgemein uebernommen), sowie Volksschule (Popular-School), Grammar-School, High-School und Colleges oder Universitaeten. Das Hauptziel, namentlich der niederen Schulen, ist Erziehung zum Patriotismus. Da auch die Kinder saemtlicher eingewanderter Fremdvoelker sofort fuer die Schule eingefangen werden, so bekommen auch die jungen, frisch importierten Deutschen, Slowaken, Griechen, russischen Juden, Syrer und Chinesen zunaechst einmal den Grundsatz eingetrichtert, dass alles Amerikanische von unzweifelhafter Vortrefflichkeit sei. Die Verfassung der Vereinigten Staaten wird als hoechste Leistung idealen demokratischen Buergersinnes auswendig gelernt. (Sie ist uebrigens tatsaechlich nach Form und Inhalt ein Muster von Klarheit, Sachlichkeit und edler, vernuenftiger Menschlichkeit.) Die kurze, krause und an erziehlichen Heldenbeispielen nicht eben ueberreiche Geschichte des Staatenbundes gilt als wichtigster Gegenstand des Studiums, die Geschichte der uebrigen Welt dagegen als unbetraechtlich. So vernuenftig und so schoen nun auch dieser heisse Eifer in der Foerderung der Vaterlandsliebe ist, so verfuehrt er doch naturgemaess leicht zu ebenso groeblichen Faelschungen und Unterschlagungen von Tatsachen, wie bei uns etwa die konfessionell gefaerbten Darstellungen der Kulturgeschichte. In einem sehr verbreiteten und hochgeschaetzten Schulbuch, "_History of the American Nation_" von Andrew C. Mc Laughlin, Geschichtsprofessor an der Universitaet von Michigan, das ich mir zu meiner eigenen Belehrung anschaffte, kommt zum Beispiel in dem 28 eng gedruckte Spalten umfassenden Index das Stichwort "_German_" gar nicht vor! Der grosse und ruehmliche Anteil, den die eingewanderten Deutschen sowohl als Kaempfer in den nationalen Kriegen wie auch als Kulturpioniere auf den verschiedensten Gebieten geleistet haben, wird voellig mit Stillschweigen uebergangen und nur der Baron Steuben fluechtig als nuetzlicher militaerischer Drillmeister erwaehnt! Das ist ein etwas starkes Stueck und will gar nicht dazu stimmen, dass die Pflege der Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit von dem Yankeevolke als vornehmster Grundsatz der haeuslichen wie der oeffentlichen Erziehungskunst laut verkuendet wird. Man darf es wohl den Amerikanern glauben, auch wenn man nicht lange genug im Lande gewesen ist, um es durch die eigene Beobachtung genuegend bestaetigt gefunden zu haben, dass es ihrer Erziehung gelinge, feige Luege und Heuchelei den Kindern schimpflicher erscheinen zu lassen, als selbst gefaehrliche Streiche des Uebermuts und sogar Ausbrueche der Roheit. Der erwachsene Amerikaner luegt zwar, wenn es sein Vorteil erheischt, aerger als ein Gascogner und nimmt es, namentlich dem Staate gegenueber, auch mit seinem Eide durchaus nicht genau - seine Luegenkuenste werden sogar, wenn er Geschaeftsmann und Politiker ist, als _smartness_ bewundert - aber das amerikanische Kind fuehlt sich nicht so leicht zur Luege veranlasst, weil es nicht in steter Furcht vor Pruegeln und sauertoepfischen Mienen aufwaechst. Auch die Schule laesst keinerlei Duckmaeuserei aufkommen und straft z. B. den Angeber mit Verachtung, anstatt ihn aufzumuntern. Die ganze Paedagogik geht darauf aus, das Ehrgefuehl zu verfeinern und den Ehrgeiz anzureizen. Sie ist ausserordentlich verschwenderisch mit Preisen und schmeichelhaften Belobigungen und sie straft vornehmlich durch Beschaemung. Dadurch, dass sie die Leistungen koerperlicher Tuechtigkeit kaum minder hoch einschaetzt als die geistige Befaehigung, schafft sie auch fuer die minder Begabten, aber wenigstens koerperlich gewandten und mutigen Schueler eine Moeglichkeit, ehrenvolle Auszeichnungen davonzutragen. Gute Schueler, die sowohl in den _Athletiks_ wie in den Wissenschaften Hervorragendes leisten, kommen im Laufe der Schuljahre in den Besitz eines kleinen Museums von Ehrenflaggen und Wimpeln, silbernen Bechern, Medaillen, Diplomen, Buecherpreisen und dergl., und diese Trophaeen aus der Schulzeit machen noch in hoeherem Alter den groessten Stolz der Inhaber aus. (M13) Sehr schwer ist es begreiflicherweise, den jungen Republikanern Disziplin beizubringen, denn die Abneigung gegen jeden Zwang liegt ihnen im Blute. Dazu pflegen sie im Durchschnitt auch noch erheblich temperamentvoller und lebhafter, ungebaerdiger und eigenwilliger zu sein, als die Kinder der meisten anderen Voelker. Man stelle sich eine junge Lehrerin (die Lehrkraefte sind zum ueberwiegenden Teil weibliche) einer grossen Klasse von tobsuechtigen Buben und ausgelassenen Maedels gegenueber vor. Schlagen darf sie nicht, auch wenn sie koerperlich imstande waere, diese wilden Rangen zu bewaeltigen. Wuestes Anschreien ist auch verpoent; wie soll sie also mit einer solchen Gesellschaft fertig werden? Georg v. Skal erzaehlt in seinem Buche "Das amerikanische Volk" ein huebsches Beispiel, wie solch eine schon fast verzweifelte junge Lehrerin ihrer besonders wilden Klasse Herr wurde. Sie erklaerte naemlich der radaulustigen Gesellschaft, sie habe es satt, sich die Schwindsucht an den Hals zu aergern, sie moechten sich gefaelligst allein regieren; sie gebe ihnen anheim, sich einen Praesidenten, einen Vizepraesidenten und was sonst fuer Beamte notwendig seien, aus ihrer Mitte zu waehlen und mache dann diese selbstgewaehlte Regierung fuer Aufrechterhaltung der Ordnung verantwortlich. Und siehe da, der angeborene _common sense_, d. h. der Instinkt fuer das Vernuenftige, brachte diese schwierige Gesellschaft ohne irgend welche Beeinflussung von oben dazu, den besten und gesittetsten Schueler der Klasse zum Praesidenten und den staerksten und gewalttaetigsten zum Vizepraesidenten zu erwaehlen. Der erstere suchte durch vernuenftige Ueberredung einzuwirken, und der Vizepraesident, als Haupt der Exekutive, verpruegelte eigenhaendig die unbotmaessigen Elemente dergestalt, dass sie es bald vorzogen, sich widerspruchslos zu fuegen. Die junge Lehrerin durfte sich bald einer Musterklasse ruehmen. Die Selbstverwaltung spielt ueberhaupt eine grosse Rolle im amerikanischen Schulwesen. Schuelerverbindungen aller Art werden nicht wie bei uns unterdrueckt, sondern im Gegenteil beguenstigt. Die Lehrer unterweisen diese Verbindungen in der Handhabung der parlamentarischen Formen und wachen nur darueber, dass keine unziemlichen oder unsinnigen Ausschreitungen stattfinden. Der schlimme Anreiz zur fruehzeitigen Nachahmung eines studentischen Saufkomments fehlt den Schuelern der amerikanischen Mittelschulen vollstaendig, da ein solcher auf den Universitaeten nicht existiert. Und so laeuft die Haupttaetigkeit aller Schuelerverbindungen auf Sport und Spiel, vornehmlich auf die Nachaeffung des politischen Lebens im kleinen, auf Uebung im Redenhalten und Debattieren hinaus. Der Erfolg ist denn auch der, dass der junge Amerikaner des Durchschnitts zum mindesten die rhetorische Phrase ausserordentlich gelaeufig beherrschen lernt und dass die hervorragenden Intelligenzen sich spielenderweise zu vorzueglichen Rednern und schlagfertigen Debattern heranbilden. Der Lehrplan ist in den Elementarschulen durchaus auf das Praktische gestellt; es wird scharf gedrillt, viel auswendig gelernt und viel examiniert. Was jeder Mensch an Elementarwissen zum Leben unbedingt notwendig braucht, wird zuverlaessig den im allgemeinen aeusserst hellen und lernbegierigen Koepfen eingetrichtert. Nebenbei verrichtet aber die Volksschule noch eine hoechst wichtige Kulturarbeit, indem sie auch die erwachsenen Einwanderer durch deren Kinder erziehen laesst. Selbstverstaendlich erlernen diese die englische Sprache sehr viel rascher und gruendlicher als die Eltern und werden dadurch zu deren Lehrern. Aber sie werden auch zu Lehrmeistern ihrer Eltern in bezug auf Koerperkultur, Hygiene und Manieren. Jedes Kind, das nicht sauber gewaschen und in properem Anzug zur Schule kommt, wird seinen Eltern heimgeschickt mit dem Auftrag, das Noetige zur Behebung solcher Maengel sofort vorzunehmen. Die heimgeschickten Kinder fuehlen sich so beschaemt durch diese Massnahme, dass sie es in den meisten Faellen auch bei Eltern, die einem Volke angehoeren, dem die Pflege des Drecks ein Gegenstand religioeser Ueberzeugung ist, durchsetzen werden, dass um der Schule willen Seife, Zahnbuerste, Kamm usw. mit der der angelsaechsischen Rasse angeborenen Energie angewendet werden. In besonders schwierigen Faellen begleiten wohl die Lehrerinnen die armen Kinder solcher Schmutzfanatiker heim und reinigen und beflicken sie selbst vor den Augen der Eltern; oder die Angehoerigen besonderer sozialer Hilfsvereine unterziehen sich dieser menschenfreundlichen Aufgabe. So lernen sich unzivilisierte Eltern vor ihren Kindern schaemen und bringen es noch auf ihre alten Tage ueber sich, dem Weidwerk auf den eigenen Koepfen nachzugehen und die ehrwuerdige Patina des waermenden Drecks, den sie aus Europa oder Asien ueber das Weltmeer mit hinueber gebracht haben, den ungemuetlichen Idealen moderner Hygiene zu opfern. DAS UNIVERSITAeTSLEBEN IN DER UNION. (M14) Wer sich ueber die tiefsten Wesensunterschiede der amerikanischen und der europaeischen Kultur klar werden will, der moege sich nur ordentlich umsehen auf den Staetten, wo die geistigen Werte in gangbare Muenze umgesetzt und die grossen Wechsel auf die kulturelle Zukunft ausgestellt werden, naemlich - auf den Hochschulen. Wer in Deutschland akademischer Buerger gewesen ist, dem muss zunaechst unfehlbar der grosse Unterschied zwischen hueben und drueben in der aeusseren Erscheinung der Studenten und Studentinnen auffallen. Abgesehen davon, dass selbstverstaendlich der groteske Typus des Studiosus Sueffel, des bemoosten Hauptes mit dem Bierbauch und den aufgeschwemmten, kreuz und quer zerhackten Backen, sowie auch die des hochmuetig blasierten ultrapatenten Korpsstudenten fehlt, sieht man sich auch vergeblich nach dem Typus unseres heissbeflissenen Juengers der Wissenschaft um, nach den stubenbleichen Brillentraegern, den vertraeumten oder fruehzeitig zergruebelten Denkerkoepfen, deren Alter schwer bestimmbar und deren ungeschicktes, weltfremdes Gebaren mit der Reife und dem Ernst ihres Denkens und Redens oft in so drolligem Widerspruch steht. Drueben sieht man nur frische, derbe Jungens und Maedels; die ersteren haeufig noch baerenhaft tolpatschig, die letzteren mit der ruhigen Sicherheit der frueheren Reife ihres Geschlechts auftretend. Die sozialen Unterschiede der Herkunft machen sich nur in der Kleidung bemerkbar und in der groesseren oder geringeren Zierlichkeit der Gliedmassen und Verfeinerung der Manieren. Im Ausdruck der Gesichter herrscht aber eine erstaunliche Gleichartigkeit. Die Studierenden der beiden ersten Semester werden _Freshmen_ genannt, der zweite Jahrgang _Sophomors_, der dritte Jahrgang _Juniors_, der vierte Jahrgang _Seniors_. Alle zusammen sind die _Undergraduates_, und was nach dem Graduieren, d. h. also nach dem Baccalaureats oder sonstigem Staatsexamen, noch weiter studiert, _Postgraduates_; als aeusserliches Kennzeichen fuehren sie verschieden gefaerbte Knoepfe auf ihren Oxfordbaretts oder gestrickten Wollkappen. Von der High-School kommen sie zwischen 17 und 19 Jahren zur Universitaet oder in die Colleges; aber nicht, wie bei uns, tut nun der junge Mensch einen gewaltigen Sprung aus der strengen Disziplin in die schrankenlose Freiheit, sondern nur einen bedaechtigen Schritt vorwaerts von einer strengeren zu einer freieren Schulgattung, denn auch auf der Universitaet und im College sind die jungen Leute einer Disziplin unterworfen, die ihre persoenliche Freiheit immerhin beschraenkt. Sie wohnen in sogenannten _Dormitories_ (Schlafhaeusern), wo sie, je nach ihren Mitteln, einzeln oder mit Kameraden zusammen hausen. Die Mahlzeiten nehmen sie gemeinsam in einer grossen Halle ein, wo sie fuer billiges Geld eine einfache, nahrhafte Kost, aber nur Wasser zu trinken bekommen. An denjenigen Hochschulen, die beiden Geschlechtern gemeinsam dienen, sind fuer die Maedchen besondere Schlafhaeuser und meist auch Speisesaele vorhanden. Ebenso auch besondere Gymnasien, d. h. Sporthallen, und besondere Spielplaetze; dagegen haeufig gemeinsame Klublokale, wo sie Tanzvergnuegungen abhalten, Liebhabertheater spielen, Nachmittagstees oder Abendreceptions geben. Von jeder Aufsicht frei sind sie nur in ihren Vereinen und in ihren Bruder- oder Schwesterschaften (_Fraternities_ und _Sororities_). Diese letzteren nehmen die Stelle unserer Verbindungen ein. Sie bezeichnen sich aber nicht nach Landsmannschaften, sondern mit Buchstaben des griechischen Alphabets, welche die Anfangsbuchstaben eines Wahlspruchs sind, den sie meist mit drolligem Ernst als ein grosses Geheimnis bewahren. Nur die wohlhabenden Studenten und Studentinnen koennen sich die Mitgliedschaft in einer solchen Bruder- oder Schwesternschaft leisten, denn diese Vereinigungen besitzen eigne Haeuser, in denen sie, zum Teil sogar recht luxurioes, wie Gentlemen und Ladies der besten Gesellschaft zusammen leben, essen und arbeiten. Selbst die bescheidensten dieser Verbindungshaeuser sind mit allen modernen Bequemlichkeiten behaglich und gediegen ausgestattet. Man sieht also auch aus dieser Erscheinung wieder, wie das demokratische Prinzip der Gleichmacherei immer wieder von dem natuerlichen Drange des Menschen nach aristokratischer Absonderung durchbrochen wird; nur, dass es in der grossen Republik ein selbstverstaendliches Gebot anstaendiger Gesinnung ist, Vorzuege der Geburt und des Besitzes nicht durch anmassendes Wesen gegenueber den vom Glueck weniger Beguenstigten zum Ausdruck kommen zu lassen. Man wird schwerlich jemals beobachten koennen, dass arme Studenten und Studentinnen, die sich durch Stundengeben, Schreiber- oder gar Handlangerdienste muehsam durchschlagen muessen, vor den Mitgliedern der reichen Verbindungen unterwuerfig kriechen, oder dass jene sich diesen gegenueber einen ueberheblichen, unkameradschaftlichen Ton herausnaehmen. In allen gemeinsamen Angelegenheiten halten die Studenten fest zusammen, und der Stolz auf ihre Alma mater aeussert sich bei allen festlichen Gelegenheiten, namentlich bei den sportlichen Wettkaempfen mit anderen Hochschulen, in einem erfrischend jugendlichen Enthusiasmus. Jede Hochschule hat einen besonderen _Cheer_, d. h. _Hochruf_, nach Rhythmus und Melodie verschieden. Und mit diesem Cheer werden die beliebten Professoren und die sportlichen Siege gefeiert, bei den grossen Wettkaempfen muss er gleich dem Kriegsruf wilder Voelkerschaften zur Anspornung des Kampfeifers dienen. Wer einmal - etwa gar in dem beruehmten _Stadion_ der zwanzigtausend Menschen fassenden Arena von Cambridge bei Boston, einem Fussballmatch zwischen Harward und Yale beigewohnt hat, wird zeitlebens den Eindruck nicht vergessen. Jede der beiden Parteien hat ihr eignes Musikkorps, welches in den Spielpausen Studentenlieder und schmetternde Maersche zum besten gibt und waehrend des Spiels jede bedeutsame Wendung, jede gute Augenblicksleistung des Einzelnen mit einem Tusch quittiert. Vor jedem der beiden Musikkorps sind Angehoerige der betreffenden Parteien aufgestellt, welche, mit riesigen Sprachrohren bewaffnet, den _College-Cheer_ intonieren und, wild mit den Armen fuchtelnd, meistens gaenzlich unrhythmisch und unmusikalisch, den Tusch der Blaeser dirigieren. Und dann fallen in diesen Heilruf nicht nur die Kommilitonen, sondern auch die anwesenden frueheren Studierenden der betreffenden Universitaet und deren ganzer Anhang von Freunden und Verwandten im Publikum ein, und das mit einer Begeisterung und einem Kraftaufwand, dass dem unbeteiligten Fremdling darueber Hoeren und Sehen vergeht. Man springt auf die Baenke, man schwenkt Taschentuecher und Kopfbedeckungen, wildfremde Menschen packen sich bei den Schultern und schuetteln und stossen sich, um einander aufmerksam zu machen auf spannende Momente oder sich zu groesserer Begeisterung fuer die Sieger aufzuruetteln. Und dabei sieht der Fremdling, der von dem Spiel nichts versteht, eigentlich nur einen in eine Staubwolke eingehuellten Knaeuel grotesk bekleideter Juenglinge, der sich balgend auf dem Boden waelzt, wobei ein Individuum dem andern die Rippen eintritt, mit den Faeusten den Wind ausblaest (_to blow the wind out_) oder die schweren Sportstiefel unter die Nase feuert, bis sich einer mit dem eroberten Ball unterm Arm aus dem wuesten Menschensalat herausarbeitet und in weiten Spruengen, wie ein junger Hirsch, unter dem betaeubenden Jubel von zwanzigtausend bis zur Tollheit begeisterten Landsleuten ueber den Kampfplatz stuermt. (M15) In diesen Wettspielen der hoechst kultivierten Jugend Amerikas erlebt man staunend bei dem traditionslosesten aller Gegenwartsvoelker eine hoechst eindrucksvolle Auferstehung der Antike. Die Schoenheit und Anmut der nackten Griechen fehlt freilich voellig bei dieser unfoermlich wattierten, mit Lederkappen und Fausthandschuhen ausgeruesteten Yankeemannschaft, aber die leidenschaftliche Teilnahme des ganzen Volkes, die diese Kraft- und Gewandtheitsspiele seiner Jugend zu einer nationalen Angelegenheit macht, kann auch im alten Hellas und im alten Rom nicht hinreissender gewesen sein. Die amerikanische Mutter ist auf ihren Sohn, dem beim Ballspiel das Nasenbein oder sonstige Extremitaeten geknickt wurden, so stolz wie die Spartanerin, deren Knabe, ohne mit der Wimper zu zucken, sich mit Ruten bis aufs Blut peitschen liess. (M16) Diese hohe Wertschaetzung der koerperlichen Tuechtigkeit, die uebrigens keineswegs nur auf das maennliche Geschlecht beschraenkt ist, traegt sehr viel dazu bei, dem amerikanischen Studentenleben sein durchaus eigenartiges Gepraege zu verleihen. Ich habe mir des oefteren erlaubt, amerikanischen Studenten gegenueber meinem Zweifel Ausdruck zu geben, dass diese Helden der Arena, diese Champions der Ballschlaeger, Ruderer, Wettlaeufer und Boxer auch in geistiger Beziehung Zierden einer wissenschaftlichen Anstalt seien, habe aber fast regelmaessig die Antwort bekommen, dass meine Zweifel durchaus unbegruendet, vielmehr unter den hervorragenden Athleten haeufig auch die tuechtigsten wissenschaftlichen Begabungen, zum mindesten aber die fleissigsten Bueffler zu finden seien. Weit weniger sichere und selbstbewusste Antworten dagegen erhielt ich, wenn ich amerikanische Studenten nach ihren wissenschaftlichen Zielen oder gar nach ihrer Weltanschauung auszuforschen versuchte. Da hiess es meist: "Ach, darueber zerbrechen wir uns vorlaeufig den Kopf nicht. Wenn wir unser Examen gemacht haben, schickt uns die Regierung nach Portorico oder nach Haiti oder sonst wohin, da haben wir schon eine gute Stellung in Aussicht." Ein anderer sagt: "O, ich trete einfach in das Geschaeft meines Vaters ein, da brauche ich keine andere Weltanschauung als die eines Gentlemans." Da die englische Sprache keinen praezisen Ausdruck fuer Weltanschauung kennt, so ist es ueberhaupt sehr schwer, einem jungen Amerikaner begreiflich zu machen, was man damit meint. Der Optimismus des jungen erfolgreichen Volkes sitzt ihm so tief im Gebluet, dass er kaum begreift, wie man sich von Zweck und Wert des Lebens, von der Vortrefflichkeit der bestehenden Weltordnung verschiedenartige Vorstellungen machen koenne. Er fuehlt nicht den mindesten Drang oder Beruf in sich, an diesen Dingen Kritik zu ueben, weil er in der Anschauung aufgewachsen ist und sie innerhalb seiner jungen Erfahrung ueberall bestaetigt findet, dass fuer einen Buerger der Vereinigten Staaten ueberall Raum und Gelegenheit zur erfolgreichen Betaetigung seiner Kraefte und Talente gegeben sei. Eine solche Anschauung ist unzweifelhaft gesund fuer Leib und Seele - aber fuer die wissenschaftliche Erkenntnis ist sie nichts weniger als foerderlich. Innerhalb dieser Zufriedenheit mit dem Gegebenen bleibt eben kein Platz fuer den fruchtbaren Zweifel und fuer die Unersaettlichkeit des Forschers. Den amerikanischen Studenten im allgemeinen interessiert nur jenes positive Wissen, dessen unmittelbare praktische Verwertbarkeit ihm einleuchtet. Und wie der Zuschnitt aller amerikanischen Erziehungsanstalten, von der Elementarschule an, darauf eingerichtet ist, dem jungen Nachwuchs zu geben, was er braucht, wonach seine natuerlichen Instinkte sich freudig draengen, so sind auch die Universitaeten keineswegs darauf aus, Gelehrte zu zuechten, sondern ihre Absicht ist vielmehr nur, dem Schulwissen den letzten Schliff, das _refinement_ der hoeheren Kultur und den Fachstudien jene Vertiefung zu geben, die sie im praktischen Leben erst nutzbar macht. Der amerikanische Student glaubt an sein Lehrbuch und schwoert auf die Worte seines Lehrers. Er lernt fleissig, ohne sich von Zweifeln beirren zu lassen, und beschraenkt sich auf die Faecher, die ihm fuer seinen kuenftigen Beruf als notwendig vorgeschrieben sind. Ueberfluessige Wissenschaften nimmt er nur eben so mit, sofern er die Eitelkeit besitzt, als Schoengeist zu glaenzen, und um sich von den Damen seines Kreises nicht in bezug auf allgemeine Bildung in den Schatten stellen zu lassen. Seinen Professor plagt auch keineswegs der Ehrgeiz, den Prometheusfunken schoepferischen Instinktes, der etwa in den jungen Koepfen seiner Hoerer schlummern mag, zur hellen Flamme aufzublasen und die Methoden selbstaendiger wissenschaftlicher Forschung diesen zukuenftigen Bahnbrechern nahezubringen. Er begnuegt sich meistens damit, sein Fachwissen der Jugend mitzuteilen, und sorgt durch Abfragen und Aufgabenstellen dafuer, dass sie sich dies Fachwissen gruendlich einpraegen. Er ist daher in weitaus den meisten Faellen nach unseren Begriffen selber gar kein Gelehrter, sondern eben nur ein Reservoir von Kenntnissen, ein Experte, ein Korrepetitor. Unter den ueberaus zahlreichen Professoren deutscher Abstammung, die es drueben als Universitaetslehrer zu grossem Ansehen gebracht haben, finden wir daher so manchen, der sich niemals wissenschaftlich betaetigt hat und als einfacher Toechterschul-, Real- oder Gymnasiallehrer ausgewandert ist. Erweisen sich solche bescheidene Handlanger der Wissenschaft drueben als gute Paedagogen, bei denen die Kinder gern und gut lernen, so haben sie es nicht schwer, zu Hochschullehrern aufzuruecken. Anstandshalber pflegen sie dann einen Leitfaden, ein Kompendium oder eine populaere Darstellung ihres speziellen Wissensgebietes zu verfassen. Im Colleg ist der freie Vortrag von seiten der Professoren durchaus nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Die meisten halten sich an ein Lehrbuch eigner oder fremder Erzeugung und pauken dies gewissenhaft den Schuelern ein. Schueler bleiben die Studenten ja in der Tat, bis sie ihren akademischen Grad erreicht haben. Der _Freshman_ birgt in seinem Schaedel keineswegs jene beaengstigende Masse verschiedenartigster Kenntnisse, deren Vorhandensein der deutsche Schueler im Abiturientenexamen nachweisen muss. In den philologischen Faechern, namentlich in den alten Sprachen, besitzt er kaum das Wissen eines deutschen Untersekundaners; in den modernen Sprachen, in Geschichte und Geographie weiss er vielleicht so viel, dass er bei uns das Einjaehrigenexamen bestehen koennte, und in den Realien etwas mehr. Wer also eine humanistische Bildung erstrebt, der arbeitet das Pensum unserer Obersekunda und Prima erst auf der Universitaet durch; die uebrigen werfen sich von vornherein auf das Fach, aus dem sie spaeter ihren Beruf zu machen gedenken. Es gibt besondere Drillanstalten fuer Juristen, fuer Mediziner, fuer Theologen - die letzteren werden von den einzelnen Denominationen (Sekten) auf eigne Kosten unterhalten. Am staerksten besucht und am glaenzendsten ausgestattet sind die Institute fuer die technischen Berufe, die chemischen und physikalischen Laboratorien, die Maschinen-Ingenieurschulen, die Museen und Sammlungen fuer den Anschauungsunterricht der Geologen, Zoologen, Landwirte, Architekten usw. usw. Weitaus die meisten Universitaeten sind im Grunde nichts anderes als technische Hochschulen, an welche eine philosophische Fakultaet, eine juristische, medizinische oder theologische Fachschule angegliedert sind, ganz aehnlich wie ja auch bei unseren technischen Hochschulen Vorlesungen ueber Nationaloekonomie, Literatur und Kunstgeschichte, ueber Philosophie und dergleichen, die allgemeine Bildung bereichernde Gegenstaende gehalten werden. Es ist ja sehr begreiflich, dass vorlaeufig noch die weitaus ueberwiegende Mehrzahl der geistig regsamen jungen Leute in Amerika sich nach den Berufen draengt, welche noch auf lange Zeit hinaus die groesste praktische Bedeutung haben werden. Fuer Hoch- und Tiefbauingenieure, Elektrotechniker, Maschinenkonstrukteure, Geologen, Schiffsbauer, Chemiker gibt es selbstverstaendlich in dem Riesenkontinent mit den grossen, noch unerschoepften Moeglichkeiten der Ausbeutung viel mehr zu tun, als fuer die Vertreter der reinen Geisteswissenschaften. Man hegt trotzdem eine an Ehrfurcht grenzende Hochachtung fuer die seltsamen Idealisten, welche, anstatt ihre Schoepfkellen unter die zurzeit noch ueppig sprudelnden Goldquellen zu halten, den Durst ihrer Seelen mit transzendenten Betrachtungen stillen, und statt nach blanken Metalladern nach Regenwuermern graben. Es gibt auch in Amerika wunderliche Kaeuze, die imstande sind, sagen wir ueber das Alpha privativum im Griechischen dicke Waelzer zu schreiben, oder lange Jahre ihres Lebens der Erforschung irgendeines dunkeln Winkels der Geschichte zu opfern, an dessen Aufhellung keinem modernen Menschen das Geringste gelegen ist. Man bezahlt sogar solche Kaeuze - sie sind uebrigens fast alle Deutsche - sehr gut und ist besonders stolz auf ihren Besitz - aus demselben Grunde, aus welchem man unerhoerte Summen aufwendet, um allen moeglichen alten Troedel aus Europa neben wirklichen Kostbarkeiten der Kunst in die privaten und oeffentlichen Sammlungen Amerikas zu schleppen. Man will eben der Alten Welt beweisen, dass man sich in der Neuen den Luxus der Reliquienverehrung auch leisten koenne und dass man keineswegs den uebeln Ruf verdiene, ein Volk von Emporkoemmlingen zu sein, das nur fuer materielle Dinge Achtung und Verstaendnis besitze. (M17) Es ist charakteristisch, dass es drueben Privatgelehrte wohl ueberhaupt nicht gibt. Wer wirklich gelehrte Studien treibt, seien es auch solche, deren praktischer Wert nicht ersichtlich ist, kann sicher sein, in einer Universitaetsstellung seinen Lebensunterhalt zu finden, sei es auch nur als sorgfaeltig unter Glas verwahrte Raritaet. Es gibt also auch kein gelehrtes Proletariat, und das scheint mir denn doch ein Vorzug zu sein, um welchen wir das junge Land nur beneiden koennen. Jeder akademische Buerger ist imstande, die Kenntnisse, die er sich auf der Hochschule erworben hat, spaeter praktisch zu verwerten. Der Staatsbeamte braucht nicht seinen Eltern bis in seine 30er Jahre hinein auf der Tasche zu liegen, der Arzt, der Rechtsanwalt, der keine Praxis, der Geistliche, der keine Gemeinde findet, braucht deswegen immer noch nicht zu verzweifeln, sondern sich nur einen Stoss zu geben und die Annehmlichkeiten einer oestlichen Grossstadt mit der Langenweile eines wildwestlichen Standquartiers zu vertauschen, so wird er auch seine Rechnung finden; wenn nicht, so wird er eben Geschaeftsmann, Farmer oder sonst etwas Vernuenftiges. Seine Bildung braucht ihm dabei nicht hinderlich zu sein. Handel, Industrie und Landwirtschaft schicken ihre Soehne scharenweise auf die Universitaeten, um sich dort allgemeine Bildung und nuetzliche Spezialkenntnisse zu erwerben. Das fuer die eigentliche wissenschaftliche Forschung in Betracht kommende Studentenmaterial bildet nur eine fast verschwindende Minderheit. Uebrigens finden diese Leute, die sich dann wohl meist der akademischen Lehrtaetigkeit widmen wollen, als _Postgraduates_ auch in Amerika reichlich Gelegenheit, ihre Studien zu vertiefen und zu erweitern, denn es fehlt weder an hervorragenden Kapazitaeten in fast allen wissenschaftlichen Faechern, noch an Lehrmitteln. Die Bibliotheken zumal sind ueberaus reich ausgestattet. Sollte aber ihr wissenschaftlicher Eifer sich auf Gebiete werfen, die in der Heimat noch zu wenig angebaut sind, so finden sie sicher Maezene, die ihnen ein weiteres Studium im Auslande ermoeglichen, wenn die eignen Mittel dazu nicht ausreichen sollten. (M18) Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die Frische und Freudigkeit, die uns bei der amerikanischen akademischen Jugend so vorteilhaft auffaellt, die glueckliche Folge der Klarheit und Sicherheit aller Verhaeltnisse drueben ist. Der junge Mensch kommt nicht als ueberfuettertes Geistesmastprodukt auf die hohe Schule; er hat nicht seine schoensten Jugendjahre an eine erzwungene Arbeit verloren, deren Nutzen er nicht einzusehen vermochte, und hat nicht seinen Charakter verdorben durch ohnmaechtiges Zaehneknirschen wider ein verhasstes System und deren lebendige Vertreter; er kommt mit echt jugendlichem Vertrauen seinen Lehrern entgegen und braucht sich nicht vorzeitig mit der Schicksalsfrage zu quaelen: wozu bueffelst du nun eigentlich noch immer weiter? Wird dir dein Wissen auch ein sicheres Auskommen gewaehren, oder wird die einzige Vergeltung fuer dein hoeheres Streben darin bestehen, dass du einst als abgetriebener alter Karrengaul an der Staatskrippe ein duerftiges Gnadenbrot findest? Wenn schon jeder gewoehnliche Amerikaner durch das Bewusstsein, dass ihm alle Wege offen stehen, zur hoechsten Anspannung seiner Kraefte angefeuert wird, so muss dieser Auftrieb natuerlich noch viel staerker sein bei den jungen Auserwaehlten der Nation, die ja den Wettlauf um die hoechst erreichbaren Ziele bereits um viele Stationen naeher an diesem Ziele beginnen. Der nicht akademisch gebildete Amerikaner schaut mit stolzer Verehrung zu jedem jungen _Harvard-Yale-Columbia-Cornellman_ wie zu einem hoeheren Wesen auf, denn er weiss, dass diese strammen Burschen einst die Richter, die Aerzte, die Gesetzgeber seiner Kinder sein und dass ohne Zweifel geniale Erfinder, Kulturfoerderer grossen Stils, auch wohl Praesidenten der Vereinigten Staaten darunter sein werden. Die hohe Wertschaetzung des akademischen Wissens findet vielleicht ihren schoensten Ausdruck in der Bereitwilligkeit, mit welcher zu Reichtum gelangte Leute aus einfachsten Verhaeltnissen fuerstliche Stiftungen fuer wissenschaftliche Zwecke machen. Sobald eine Universitaet in Verlegenheit ist, woher sie das Geld beschaffen soll fuer notwendige Neubauten, zur Bereicherung ihrer Bibliotheken und sonstigen Sammlungen, so braucht der Herr Rektor, dort Praesident genannt, nur ein paar notorische Millionaere der Stadt oder des Staates aufzusuchen, und er kann sicher sein, binnen kurzem die noetige Summe zusammenzubringen. Unsere Grossindustriellen spenden ihre Hunderttausende, um den Kommerzienratstitel und schoene Orden zu bekommen; drueben sind sie zufrieden, wenn ein Collegegebaeude, ein Laboratorium, eine Klinik ihren Namen traegt. Der Holzhaendler Cornell hat die nach ihm genannte, jetzt hoch beruehmte Universitaet von Ithaka ganz und gar aus eignen Mitteln aufgebaut und ausgestattet. Und dieses Beispiel hat so eifrige Nachahmung gefunden, dass heute schon die wissensdurstigen jungen Leute selbst der unkultiviertesten Bundesstaaten nicht mehr die engere Heimat zu verlassen brauchen, um hoeheren Studien obzuliegen. Es gibt jetzt schon eher zu viel als zu wenig Universitaeten und Colleges(2). Die grosse Wertschaetzung akademischer Bildung seitens des ganzen Volkes aeussert sich manchmal auch in einer Weise, die uns einigermassen naiv erscheint. Die Amerikaner haben alle Resultate der wissenschaftlichen Forschung der ganzen Welt fertig herueber genommen, und ihre eigne Arbeit lief fast ausschliesslich auf deren praktische Verwertung hinaus; folglich erscheint dem gemeinen Mann jeder Professor als ein moderner Hexenmeister, dessen Zauberkuensten alles zuzutrauen sei, und darum spielt auch der akademische Lehrer in der Oeffentlichkeit eine ganz andere Rolle, wie in Europa. Waehrend z. B. in England der Gelehrte noch mehr wie bei uns in seinem Wirkungskreis als Lehrer und stiller Forscher eingeschlossen bleibt, wird er in den Vereinigten Staaten als sachverstaendiger Berater und taetiger Mitarbeiter zu allen oeffentlichen Angelegenheiten herangezogen. Er schreibt fleissig fuer die Tageszeitungen, er haelt populaere Vortraege, er beteiligt sich an der Politik und wird gern von der Regierung zu wichtigen diplomatischen Betaetigungen herangezogen. Der Cornell-Professor Andrew D. White ist nicht der einzige, der von seinem Lehrstuhl weg direkt auf einen Gesandtschaftsposten berufen wurde. Man sieht also nicht im Gelehrten einen weltfremden, in sich gekehrten Sonderling, sondern einen Mann der Tat, dessen reiches Wissen seinen Gesichtskreis notwendig erweitert haben muss. (M19) Eine schoene Gepflogenheit, die wohl auch ihr gutes Teil dazu beitraegt, die geistige und leibliche Gesundheit der studierenden Jugend zu foerdern, ist die, dass man die Hochschulen mit Vorliebe in Kleinstaedte mit landschaftlich schoener Umgebung verlegt. Mit Ausnahme der altberuehmten Universitaeten von Boston, New York, Philadelphia, Baltimore, Washington und Chicago sind alle Hochschulen auf dem Lande. Der _Campus_, d. h. das Gelaende der Universitaet, befindet sich ausserhalb der Ortschaften, mit Vorliebe auf Anhoehen, die die ganze Gegend beherrschen, und auf denen noch ein ueppiger alter Baumwuchs der schaendlichen Waldvernichtung der ersten Ansiedler entgangen ist. Die Baulichkeiten sind nicht eng aneinander gedraengt, sondern in den wohlgepflegten Parkanlagen weit zerstreut, so dass die Studierenden auf dem Wege von einem Colleg ins andere immer reichlich Bewegung und frische Luft haben. Gelegenheit zu aller Art Sport ist selbstverstaendlich ueberall reichlich gegeben, wie man sich denn ueberhaupt einen Studenten, der nicht rudert, Ball spielt, wettlaeuft usw. gar nicht vorstellen kann. Die kleinen Staedte bieten so gut wie keine Ablenkung oder gar gefaehrliche Versuchung fuer die jungen Leute. Was sie brauchen an edler geistiger Zerstreuung, an kuenstlerischer Anregung, das schaffen sie sich selbst in ihren Vereinen fuer Musikpflege, ihren Liebhabertheatern und festlichen Veranstaltungen. Studentische Gesang- und Instrumentalvereinigungen ziehen in der Nachbarschaft der Universitaet herum und verdienen sich ein huebsches Geld mit Konzerten, das sie nicht selten dazu verwenden, hervorragende Saenger und Virtuosen kommen zu lassen und ihren Kommilitonen vorzufuehren, ja wohl gar hauptstaedtische Theatertruppen und Sinfonie-Orchester. So ziehen beispielsweise die Lehrer und bevorzugten Schueler der Berkley-University von Kalifornien alljaehrlich in den Sommerferien in den Urwald, leben dort wochenlang in Zelten und Blockhuetten, die zum Teil im Geaest der riesigen Mammutbaeume (Sequoia gigantea) errichtet werden und betreiben waehrend dieser Zeit die Einstudierung und Auffuehrung dramatischer Festspiele unter freiem Himmel. _Bohemian Jinks_ nennen sie diese Freilichtspiele (etwa "zigeunerische Luftspruenge" zu uebersetzen), fuer die sie aus eignen Kraeften Dichtung, Musik, Kostueme und Darsteller liefern. Waehrend dieser heiligen Zigeunerwochen ist das andere Geschlecht strengstens verbannt, und es werden daher nach antiker Weise bei den Spielen die Frauenrollen von jungen Maennern dargestellt. Im uebrigen sorgt die an den meisten Hochschulen bestehende _Coeducation_ (kurz _Coed_ genannt) dafuer, dass die jungen Leute auch in den abgelegensten kleinen Nestern die guten Manieren im geselligen Verkehr nicht verlernen. Die Studentinnen pflegen ihr eignes Gesellschaftshaus mit Schwimmbassin, Turnhalle, Ballsaal und Drawingroom zu besitzen. Dorthin laden sie ihre Freunde ein, wie auch umgekehrt die jungen Herren die Studentinnen zu ihren Unterhaltungen heranziehen. Fast jeder Student hat wohl unter den Kommilitoninnen sein _best girl_, mit dem er "geht", wie man bei uns sagen wuerde. Diese Kameradschaften sind aber durchaus harmloser Natur, haben nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit der _collage_ des franzoesischen Studenten und verpflichten auch keineswegs zu standesamtlichen Folgen. Amerikanische Professoren wissen nie etwas von sittlichen Gefahren dieses ungenierten Verkehrs zu berichten; dagegen schieben viele von ihnen die Schuld an dem niedrigen Niveau wissenschaftlichen Geistes der Ruecksichtnahme auf die weiblichen Studenten zu. Wo die Frauen unter sich sind, haben sie es noch viel besser als an den gemischten Universitaeten. Ich wuesste nicht, wo ein junges Maedchen mit starkem Bildungsdrange in der Welt besser aufgehoben waere, als z. B. in Wellesley-College bei Boston. Wenn man den Studienplan dieser Frauenakademie durchblaettert, erstaunt man ueber die schier fabelhaften Bildungsmoeglichkeiten, die hier den Toechtern der Neuen Welt geboten werden. 17 maennliche und 137 weibliche Professoren, Dozenten und Assistenten lehren an dieser ueberaus reich dotierten Hochschule. Um aufgenommen zu werden, muss die junge Dame im Englischen 3, in Geschichte 1, in Mathematik 3, Latein 4, einer zweiten Sprache 3, einer dritten Sprache 1 und in Botanik, Chemie oder Physik 1 Punkt nachweisen. Die Anzahl der Punkte bedeutet naemlich die Anzahl der Jahre, die der Schueler, bei durchschnittlich 5 woechentlichen Stunden, auf den betreffenden Gegenstand verwendet haben muss, und durch ein Abgangszeugnis oder ein Examen muss er beweisen, dass er diese Zeit befriedigend ausgenutzt habe. Um einen Begriff von der Reichhaltigkeit der wissenschaftlichen Speisekarte zu geben, will ich hier nur die in der germanistischen Abteilung angekuendigten Vorlesungen aufzaehlen: (M20) 1. Elementarkursus, Grammatik, Uebungen im Sprechen, Lektuere, Auswendiglernen von Gedichten. 2-4. Vorbereitungskurse fuer deutsche Literaturgeschichte. 5. Repetitions- und Erweiterungskurs fuer Grammatik und Stil. 6. Freie Reproduktion. Buehnendeutsch. Uebungen im muendlichen und schriftlichen Ausdruck. Kritische Betrachtung deutscher, in Amerika erschienener Texte. 7. Uebungen im schriftlichen Ausdruck im Anschluss an die Literaturgeschichte. 8. Geschichte der deutschen Sprache. 9. Umrisse der deutschen Literaturgeschichte (Goetter- und Heldensagen). 10. Goethes Leben und Werke. 11. Das Drama des 19. Jahrhunderts. 12. Der deutsche Roman. 13. Literaturgeschichte vom Hildebrandslied bis Hans Sachs. 14. Literaturgeschichte bis Goethe. 15. Mittelhochdeutsch. 16. Die romantische Schule. 17. Lessing als Dramatiker und Kritiker. 18. Schiller als Philosoph und Aesthetiker. 19. Goethes Faust. 20. Schillers Leben und Werke. 21. Stiluebungen. 22. Gotisch. 23. Die deutsche Lyrik und Ballade. 24 u. 25. Studien zur modernen deutschen Sprache. (M21) Demgegenueber stehen 45 Vorlesungen ueber englische Sprache und Literatur, 21 ueber Geschichte, 29 ueber Hygiene und koerperliche Ausbildung, wobei Tanzen, Schwimmen, Gymnastik, Massage und dergleichen inbegriffen sind. Ferner 18 Vorlesungen ueber lateinische Sprache und Literatur, 11 ueber reine und 5 ueber angewandte Mathematik, 18 ueber Musik, 29 ueber Philosophie und Psychologie, 19 ueber Soziologie und Nationaloekonomie, 6 ueber Astronomie usw. usw. Die jungen Maedchen duerfen aber keineswegs nach ihrem Belieben an all diesen Herrlichkeiten naschen, sondern der Studiengang ist ihnen vorgeschrieben, und sie koennen nicht zu den hoeheren Offenbarungen vordringen, bevor sie nicht durch Examina bewiesen haben, dass ihnen die niederen Grade gelaeufig sind. Damit sie aber frisch und bei guter Laune bleiben, haben sie reichlich Gelegenheit, sich in Wald, Wiese und Wasser zu tummeln und sich mit Tanz, Mummenschanz, Theaterspiel im Freien und auf der eignen niedlichen Buehne des Shakespearehauses nach Herzenslust zu vergnuegen, auch nach dem nahen Boston in Theater und Konzerte zu fahren, so oft ihr Geldbeutel und ihre Zeit es erlaubt. Die jungen Damen aus reichen Familien besitzen, sofern sie Sororities angehoeren, ihre eignen Haeuser innerhalb des Campus, die als griechische Tempel oder als Cottages sich darbieten. Das Gebaeude des Shakespearevereins ahmt sogar sehr huebsch das Geburtshaus des Dichters in Stradford nach. Die technischen Faecher sowie auch Medizin, Juristerei und Theologie existieren nicht an dieser Akademie, die sich also darauf beschraenkt, den jungen Damen eine humanistische, expansiv wie intensiv gleich bedeutende Bildung zu vermitteln. Wenn die Qualitaet der Lehrenden auch nur einigermassen der landschaftlichen Schoenheit der Umgebung und der Vortrefflichkeit aller praktischen Einrichtungen entspricht, so ist in Wellesley-College das gegenwaertige Ideal wissenschaftlicher Frauenbildung verwirklicht. Und Wellesley ist nicht einmal die einzige Anstalt dieser Art, sondern es gibt deren noch mehrere, die nicht minder reich ausgestattet und stark besucht sein sollen. Unter den Studierenden sind Toechter fast aller Bevoelkerungsschichten vertreten, vorwiegend ist aber der Typus der derb gesunden, ein bisschen starkknochigen, rundlichen Farmer- und Buergertoechter der staedtischen Mittelschicht vornehmlich in den Universitaeten mit _Coed_. Die reinen Frauenakademien werden dagegen von den Toechtern der vornehmeren Kreise vorgezogen. Es ist auffallend, wie selten selbst unter diesen letzteren die spezifisch amerikanischen Schoenheiten sind. Das kommt daher, dass die Amerikanerin die Schoenheit als einen Beruf fuer sich betrachtet, als ein Kapital, das unter allen Umstaenden sich reichlich verzinst. Die jungen Schoenheiten suchen ihre Erfolge ausschliesslich auf dem Parkett des Salons, und die noetige Fertigkeit zur Lieferung des seichten Salongeschwaetzes, mit dem sich drueben die elegante Welt der Amuesierlinge begnuegt, kann man sich allerdings ohne die Kenntnis antiker Sprachen und ohne philosophische Vorstudien erwerben. Es ist nicht zu leugnen, dass das amerikanische Salongeschwaetz kaum auf der geistigen Hoehe des englischen, dagegen noch betraechtlich unter der des franzoesischen und deutschen Konversationstones der sogenannten guten Gesellschaft steht. Dagegen kann man von den Frauen der Kreise, in denen Arbeitskameradschaft zwischen Mann und Weib besteht, ohne weiteres voraussetzen, dass man mit ihnen wie mit gebildeten Menschen reden duerfe - und man wird sich selten enttaeuscht sehen. Wohlhabende deutsche Eltern, denen daran liegt, ihren strebsamen Toechterchen, ohne sie gerade zu Gelehrten zu machen, eine solide weltlaeufige Bildung zu verschaffen, taeten gut, sie auf die amerikanischen Frauenhochschulen zu schicken. Selbst wenn sie von dort nichts anderes mitbringen sollten, als einen abgehaerteten geschmeidigen Koerper, vernuenftige Lebensanschauungen und eine Ahnung von allerlei wissenswerten Dingen, so wuerde das immerhin wertvoller fuer sie sein, als was die ueblichen Pensionate der franzoesischen Schweiz oder die Klosterschulen fuer die vornehme Welt ihnen zu bieten pflegen. (M22) Mir persoenlich scheint ueberhaupt das ganze amerikanische Unterrichtssystem, und besonders das der Universitaeten, gerade fuer uns sehr viel Nachahmenswertes zu enthalten. So will es mich ungemein vernuenftig beduenken, dass die Zuegellockerung der strengen Schuldisziplin zwischen dem 16. und 18. und nicht, wie bei uns, zwischen dem 18. und 20. Jahre erfolgt, und dass dann die ueberschaeumende Kraft des ungebaerdigen Juenglings bezw. des lebenshungrigen Maedchens nicht sofort in eine schrankenlose Freiheit hinausgelassen, sondern noch jahrelang mit echtem Wohlwollen und Verstaendnis fuer die Jugend geleitet wird. Es ist ueberaus bezeichnend, dass, wie die kuerzlich von Dr. Alfred Graf veranstaltete Umfrage bei einer grossen Anzahl bekannter fuehrender Deutscher bewiesen hat, ausser den spaeteren Philologen und einigen ganz wenigen Staatsmaennern und Theologen, fast saemtliche Gefragten ihre Gymnasialzeit fuer die schrecklichste Erinnerung ihres Lebens erklaerten; wogegen umgekehrt in Amerika schier ausnahmslos jeder gebildete Mensch auf seine Schueler- und Studentenzeit als auf die schoenste seines Lebens zurueckblickt. Moegen unsere hoechsten Lehranstalten immerhin mit Fug und Recht sich fuer die besten Gelehrtenschulen der Welt halten, so darf doch nie ausser acht gelassen werden, dass von den Tausenden und Abertausenden von Abiturienten, die alljaehrlich unseren Universitaeten zustreben, doch nur eine verhaeltnismaessig kleine Anzahl den inneren Beruf zum Gelehrtentum in sich traegt. Diesen wenigen mag allerdings die deutsche Universitaet die denkbar beste Anleitung zum eignen Forschen geben; um dieser wenigen Auserwaehlten willen aber wird die gewaltige Ueberzahl mehr auf das Praktische gerichteter Geister, aus denen zwar keine schoepferischen Gedanken, wohl aber viel nuetzliche Lebensarbeit herauszuholen waere, durch ein System vergewaltigt, das notwendig in ihren Augen ein zeitlebens verhasstes Schrecknis bleiben muss. Dieses System zuechtet Noergler und Hasser, es ist auch schuld daran, dass jener garstige Hochmut sich in den Koepfen der Auserwaehlten einnistet, der die herrschenden Klassen in eine dumme Volksfeindschaft hineintreibt und gaenzlich schiefe Lebensanschauungen in ihnen gross zieht; es ist aber auch schuld daran, dass so viel hoffnungsvolle Jugend auf den Universitaeten verbummelt. Sollte nicht schliesslich ein junges Geschlecht von frohen, fuer die hoechsten Berufe der Gegenwart gut ausgeruesteten Akademikern auch unserer Nation von groesserem Werte sein, als die jetzige Ueberfuelle an wirklichen und verunglueckten Gelehrten? Ich bin ueberzeugt, dass wir durch eine teilweise Amerikanisierung unseres Systems von unseren alten Vorzuegen nichts einbuessen wuerden. Methodik und Systematik der exakten Forschung werden, ebenso wie das kuenstlerische Element im wissenschaftlichen Betriebe, stets eine Besonderheit des deutschen Universitaetslehrers und Studenten bleiben, einfach weil die Veranlagung hierzu altes Erbgut unserer Rasse ist. Die Amerikaner haben keineswegs darum bisher keine grossen Philosophen, Dichter, schoepferischen Forscher hervorgebracht, weil ihr Schulsystem zu diesem Zweck nichts taugte, sondern weil sie bei ihrer Jugendlichkeit als Volk, bei der mangelhaften Mischung der verschiedenartigsten Rassenelemente, bei dem Fehlen einer kulturellen Tradition und bei der starken Inanspruchnahme aller geistigen Kraefte durch rein praktische Aufgaben ueberhaupt noch gar keine Moeglichkeit gehabt haben, nach jener Richtung Begabung zu entwickeln. Eine selbstaendige Wissenschaft und eine nationale Kunst werden erst zu verlangen sein, wenn aus den verschiedenartigen Voelkerschaften der Vereinigten Staaten wirklich eine neue Rasse geworden und die grobe Arbeit der Zivilisation soweit getan sein wird, dass alle feineren Geister fuer die Beschaeftigung mit den vornehmsten Kulturaufgaben frei werden. Es wird alsdann viel Spreu hinweggefegt werden, aber an dem System des Hochschulbetriebes schwerlich viel geaendert werden muessen. Die wissenschaftlichen Leistungen der Studierenden werden selbstverstaendlich gleichen Schritt halten mit denen der Lehrenden. Der einzige amerikanische Philosoph, dessen Ruf bisher durch die ganze Welt geklungen ist, Ralph Waldo Emerson, verdankt sein hohes Ansehen bei uns mehr der fein geschliffenen Form seiner vornehmen Weltweisheit, als dem Reichtum an neuen, fruchtbaren Gedanken; fuer Amerika ist Emersons Philosophie aber selbst heute noch zu hoch, weil sie die beliebten demokratischen Vorurteile laechelnd beiseite schiebt. Es wird aber sicher eine Zeit kommen, wo diese demokratischen Vorurteile nur noch bei der Masse zu finden sein werden, und wo die Freiheit der wissenschaftlichen Kritik sich ueberhaupt von keinem Vorurteil mehr Halt gebieten laesst, auch wenn es die Masse hinter sich hat. Dann erst koennen wir von dem amerikanischen Volke verlangen, dass es grosse Kuenstler und originale Denker hervorbringe. In den regsamsten Koepfen, in den tiefsten Gemuetern dieses Volkes ist schon jetzt eine grosse Sehnsucht lebendig nach jener Zeit, in der seine Denker und Dichter nicht mehr nur die Resultate europaeischer Arbeit nuetzlich verwenden, sondern selber Finder neuer Wege und Setzer neuer Ziele werden koennen. Das beweist der ungeheure Zulauf, welchen die oeffentlichen Bibliotheken, die wissenschaftlichen Vortraege der Wanderredner und besonders gemeinnuetzige Institute, wie die Sommerschule in Chautauqua finden, wo zu Zehntausenden unter freiem Himmel wissensdurstige Menschen jedes Standes, Alters und Geschlechts andaechtig den Vortraegen der besten Gelehrten ihres Landes lauschen. Wir Europaeer werden vielleicht noch auf ein ganzes Jahrhundert oder noch laenger unseren Vorrang des weisen Alters behalten und der maechtig emporstrebenden Neuen Welt die Leitsaetze fuer ihre eigne wissenschaftliche Fortentwicklung liefern. Aber wir wollen nicht vergessen, dass man von der Jugend immer lernen kann! Wenn wir das tun, wird die neue Rasse uns zwar einholen, aber schwerlich jemals ueberfluegeln koennen. Wir werden an ihr alsdann keinen verhoehnten oder beneideten Feind, sondern vielmehr einen guten Kameraden besitzen, der uns in gleichem Schritt und Tritt zur Seite geht, denselben Hoechstzielen wahrer Kultur nach. OeFFENTLICHE UND PRIVATE MORAL. Die deutschen Zeitungskorrespondenten in den Vereinigten Staaten beklagen sich allgemein darueber, dass sie gezwungen seien, ihre Berichte den Vorurteilen der deutschen Zeitungsleser zuliebe zu faerben und so dazu beizutragen, dass diese Vorurteile in Deutschland nicht aussterben. Dass sie Ungluecksfaelle nur kabeln duerfen, wenn sich ueber zehn Tote ergeben haben, ist ja eine ganz weise Beschraenkung, aber dass sie sich genoetigt sehen, immer nur sensationelle Faelle von wuester Korruption in der Politik, in der Rechtsprechung, im Gebaren der grossen Truste, offenbare Verruecktheiten und groteske Reklamemanoever auf den Gebieten des Erfindungswesens, des Handels und Verkehrs, ja selbst der Wissenschaft, sowie schliesslich groebste Familienskandale aus der Welt der Milliardaere zu berichten, das ist doch recht bedenklich. Selbstverstaendlich sind gerade die guten Buerger jeder Nation ueberzeugt, dass die allgemeine Ordnung der Dinge, die oeffentliche wie die private Moral in ihrem Lande besser sei als in irgend einem anderen; aber es tut doch nicht gut, diese natuerliche Neigung zur Ungerechtigkeit durch die Presse, als durch das berufene Organ der oeffentlichen Aufklaerung, zu unterstuetzen; denn die Unterschaetzung fremder und noch dazu rasseverwandter Voelker kann unter Umstaenden doch recht ueble Folgen haben. Sei es mir als einem Amerikafahrer, der Augen und Ohren gut aufgemacht und aufmerksam zugehoert hat, wenn er wohlunterrichtete Leute drueben die Verhaeltnisse besprechen hoerte, gestattet, mein bescheidenes Teil zur Aufklaerung ueber die wichtige Frage der oeffentlichen und privaten Moral in den Vereinigten Staaten beizutragen. (M23) Die Korruption in der Politik ist ein oeffentliches Geheimnis und wird von niemandem geleugnet. Sie ist eine notwendige Folgeerscheinung nicht sowohl der republikanischen Staatsform, als der ungeheueren Ausdehnung des Landes und besonders des Umstandes, dass sich alle vier Jahre verfassungsgemaess ein Wechsel in den Personen der Machthaber vollziehen muss. Dass jeder neue Praesident, Gouverneur, Buergermeister usw. seine guten Freunde und Verwandten in die eintraeglichsten und einflussreichsten Stellungen zu bringen versucht, ist menschlich begreiflich, und man braucht sich darueber nicht weiter zu entruesten; aber die ebenso selbstverstaendliche Folge, dass der politische Ehrgeiz durch den dauernd tobenden Wahlkampf fortwaehrend in Atem gehalten wird, macht es dem vielbeschaeftigten Staatsbuerger natuerlich unmoeglich, den politischen Angelegenheiten seine kostbare Zeit zu opfern. Er muss notgedrungen diese Betaetigung Leuten ueberlassen, die daraus einen Lebensberuf machen. Und so ergibt sich mit Notwendigkeit die Existenz der Geschaeftspolitiker. Da selbstverstaendlich diese, die sogenannten Bosse, nicht vom Staat oder von der Gemeinde besoldet werden koennen, so schaffen sie sich ihre Einkuenfte dadurch, dass sie sich fuer die Unterstuetzung bei Wahlen, fuer die Erlangung von oeffentlichen Aemtern, von Privilegien und Konzessionen aller Art bezahlen lassen. Es leuchtet wohl ohne weiteres ein, dass sich nicht die Bluete der Nation, sondern nur machthungrige und geldgierige Streber zu diesem politischen Agenturgeschaeft hergeben, und dass diese Leute nicht das geringste Interesse daran haben, dem intellektuell und moralisch hervorragendsten Kandidaten zum Siege zu verhelfen, sondern demjenigen, der am meisten zahlt. Da es nur zwei grosse politische Parteien, Demokraten und Republikaner, gibt, so ist alle vier Jahre die Chance eines voelligen Systemwechsels durch den Sieg der Gegenpartei gegeben. Dann werden alle kommunalen Aemter, die ganze Beamtenschaft, vom Praesidenten bis zum Ofenheizer im Weissen Hause, an die Anhaenger der siegreichen Partei vergeben. Wer den richtigen Boss am besten geschmiert hat, bekommt das Amt. Es ist klar, dass bei solchem System Staat und Gesellschaft niemals davor sicher sind, schlechte Beamte fuer noch schlechtere einzutauschen, und dass die oeffentliche Moral dadurch schaendlich verdorben wird. Trotz alledem wird auch bei uns niemand leugnen wollen, dass die Vereinigten Staaten bisher noch immer tuechtige, zum mindesten doch anstaendige Praesidenten gehabt haben, und dass in die obersten Stellungen wenigstens sehr selten oder nie ganz minderwertige Personen gelangt sind. Dieses scheinbare Wunder wird begreiflich, wenn man den hochentwickelten _common __sens_, den gesunden Menschenverstand der fuehrenden angelsaechsischen Rasse in Betracht zieht. Der anstaendige Geschaeftsmann und die hoeher gebildeten Klassen ueberhaupt kuemmern sich um das schmutzige Gewerbe der Politik wenig oder gar nicht und ertragen mit dem gluecklichen Gleichmut und dem guten Humor der Yankeerasse die tausenderlei offenbaren Ungerechtigkeiten und Widersinnigkeiten, die durch die Korruption entstehen. Sobald sie aber merken, dass die Bosse irgend etwas im Schilde fuehren, was gegen den guten Ruf des Staates, gegen die Sicherheit des Eigentums oder gegen den demokratischen Charakter der Verfassung geht, so tun sich ein paar einflussreiche Leute von tadellosem Leumund zusammen - die fuehrenden Deutschen sind immer bei dieser Anstandspartei zu finden - und klaeren durch geeignete Massnahmen die Massen der Waehler ueber den Unfug auf, der veruebt werden soll. Und siehe da: immer gelingt es der Wucht der oeffentlichen Meinung, wenigstens die groebsten Schandtaten zu verhindern, die unmoeglichsten Kandidaten beiseite zu schieben. Der Patriotismus ist dem Yankee angeboren und anerzogen; die Verfassung der Vereinigten Staaten wird als ein unuebertreffliches Werk genialer Einsicht verehrt, und alle Gesetze, die das souveraene Volk durch seine Erwaehlten in den Einzelstaaten machen laesst, werden fuer vorzueglich gehalten. Das ewig verdrossene Noergeln an den Gesetzen und oeffentlichen Einrichtungen, jenes hoechste Vergnuegen des deutschen Bierbankpolitikers, kennt der Yankee nicht. Man respektiert die Gesetze und fuegt sich sogar in Unannehmlichkeiten, wenn man einsieht, dass anders die Ordnung nicht aufrechterhalten werden kann. Im uebrigen aber tut doch jeder, was ihm beliebt, und pfeift auf die Gesetze, wenn sie ihm nicht in seinen Kram passen. Man weiss, dass die Polizei nicht von ihrem Gehalt, sondern von den Schmiergeldern so rosig fett und robust wird; man weiss, dass sogar die Binde vor den Augen der Gerechtigkeit zuweilen aus lauter zusammengefalteten Dollarnoten besteht, aber man sieht selbst an den schreiendsten Missstaenden schweigend vorbei, weil es sich so bequemer leben laesst, und weil der Gentleman sich nicht gerne die Hosenraender beschmutzt und daher den Pfuetzen lieber in weitem Bogen ausweicht. Solange sie seine persoenliche Bewegungsfreiheit und seine geschaeftlichen Unternehmungen nicht empfindlich stoeren, ist der Yankee mit den Gesetzen zufrieden und goennt den zahlreichen Mitbuergern, die von den Maengeln dieser Gesetze leben, also den Politikern, Advokaten, smarten Geschaeftsleuten und geistvollen Hochstaplern, ihr gutes Auskommen. Den gewaltigsten Machthabern der Industrie und des Verkehrswesens, den sogenannten Koenigen der Eisenbahn, des Silbers, des Stahls, des Petroleums koennen ja ueberhaupt die Gesetze nichts anhaben, wie es sich erst juengst wieder in dem vorsichtig weitmaschig abgefassten Urteil des obersten Gerichtshofes in Sachen des Oeltrusts gezeigt hat. Mit jenen ganz grossen Herren, in deren Macht es steht, die Bundesarmee gegen missliebige Nachbarn mobil zu machen, oder in einer Anwandlung schlechter Launen unzaehlige Betriebe lahmzulegen, Hunderttausenden von Arbeitern ihr Brot vom Munde wegzureissen, mit denen huetet sich natuerlich nicht nur der einzelne, sondern auch die Justiz der Einzelstaaten wie der Bundesregierung anzubinden. Machen sich aber die kleineren Machthaber irgendwie laestig, so versteht man ihnen selbst in dem Falle beizukommen, dass die Behoerde gegen sie ihre Pflicht vernachlaessigt. (M24) Ein huebsches Beispiel solcher demokratischen Selbsthilfe erlebten wir in St. Louis. Durch wochenlange Trockenheit war die Rauchplage daselbst unertraeglich geworden. Im ganzen weiten Mississippi- und Missouritale herrschte herrliches klares Winterwetter. Die Sonne lachte fruehlingsheiter vom wolkenlosen Himmel herab. Als der Zug aber in das Weichbild der Stadt einfuhr, verblasste ploetzlich die Sonne zu einem fahlgelben transparenten Fettfleck in einer Wand gleichmaessig grauen, schweflig riechenden Nebels, der selbst die naechsten Gegenstaende nur in verschwommenen Umrissen erscheinen liess. In den Haeusern herrschte eine erstickende, verbrauchte Luft, weil man kein Fenster oeffnen konnte, ohne dass sofort eine dichte Russschicht, wie von einer schwer blakenden Oellampe, sich auf alle Gegenstaende im Zimmer legte. Wenn man ueber die Strasse ging, waren Kragen und Manschetten geliefert, und wenn man sich morgens sein Bad einliess, so schwamm eine schwarze Rahmschicht auf dem Wasser. Die Zeitungen waren voll von Entruestungsartikeln ueber diesen schmachvollen Zustand. Ueberall erschollen laut die Stimmen der Sachverstaendigen mit Vorschlaegen zur Beseitigung des Uebels. Man erinnerte sich ploetzlich wieder, dass es im Staate Missouri, ebensogut wie anderswo, vorzuegliche gesetzliche Vorschriften gebe, welche die auf die einheimische Weichkohle angewiesenen Industrien zur Anbringung von Rauchverzehrungsvorrichtungen und aehnlichen Massnahmen von erprobter Wirkung verpflichteten. Die Herren Fabrikbesitzer hatten aber bisher keine Lust gehabt, sich in Unkosten zu stuerzen wegen dieser aergerlichen Gesetze, denn sie hatten ja ihre Villen weit vor der Stadt in erfreulich reiner Luft. Und wenn der Wind einigermassen guenstig wehte, und hin und wieder ein Niederschlag den in der Luft herumfliegenden Kohlenstaub band, so konnten ja selbst die Leute, die in der Stadt wohnen mussten, ihre Lungen genuegend mit Sauerstoff fuettern. Es musste wohl immer noch billiger sein, den polizeilichen Aufsichtsorganen gelegentlich gute Trinkgelder zu verabfolgen, als die vorschriftsmaessigen Umbauten zu bestreiten. Da geschah es in den Tagen unserer Anwesenheit, dass ein vornehmer Damenverein, der Mittwochsklub, die Sache in die Hand nahm. Um ein moeglichst grosses Damenpublikum fuer ihre Zwecke herbeizuziehen, kuendigten sie mit gehoeriger Reklame ein Konzert meiner Frau an. Vierzehnhundert Frauen und Maedchen aus den besten Kreisen wurden hierzu zusammengetrommelt und nach Schluss der musikalischen Darbietungen ersuchte die Vorsitzende die ganze Gesellschaft, noch da zu bleiben, um sich ueber die Beseitigung der Rauchplage auszusprechen. Es war alles so gut vorbereitet, dass in kurzer Zeit ein leitendes Komitee und eine grosse Anzahl von Offizieren und Mannschaften aus der Mitte der Damen heraus gewaehlt und die notwendigen Mittel zur Ausfuehrung des Planes gezeichnet waren. Diese kleine freiwillige weibliche Polizeimannschaft uebernahm es naemlich, mit List oder Gewalt in alle industriellen Betriebe mit Weichkohlenfeuerung einzudringen und noetigenfalls Tag und Nacht Patrouille zu gehen und Posten zu stehen, so lange, bis alle Missachter der Gesetze zur gerichtlichen Verantwortung gezogen, gebuehrend bestraft und die vorgeschriebenen Massnahmen gegen den Rauch tatsaechlich ausgefuehrt waren. Das Mittel soll einen durchgreifenden Erfolg gehabt haben, denn vor energischen Frauen kapituliert der Yankee immer. (M25) Die Zuversicht, dass aus allen Schwierigkeiten und Uebelstaenden, wenn auch vielleicht erst im Moment der hoechsten Gefahr, und wenn sie bis zur Unertraeglichkeit gestiegen sind, ein Ausweg sich zeigen, von irgendwo die Rettung kommen muss, erhaelt dem Volke seinen optimistischen Gleichmut. Selbstverstaendlich erzeugt die Demokratie nichts weniger als Ehrfurcht vor Paragraphen oder Untertaenigkeit vor Amtspersonen, ja, sie untergraebt sogar recht bedenklich die Disziplin, ohne die schliesslich keine Ordnung irgendwelcher Art aufrecht zu erhalten ist. Die Warnungs- und Verbotstafeln, mit denen bei uns zu Lande unser ganzes Leben von der Wiege bis zum Grabe von den Behoerden so ruecksichtsvoll eingezaeunt wird, kann man sich drueben fast voellig sparen, da sie doch keine Beachtung finden wuerden; aber wo der gesunde Menschenverstand einsieht, dass Vorsicht, Unterordnung, Geduld und Ruecksicht auf den Nebenmenschen am Platze sind, da uebt er sie auch ohne Warnungstafeln und ohne Einschuechterung durch saebelfuchtelnde Schutzleute aus. Dem Europaeer faellt z. B. die ausgezeichnete Disziplin im Strassenverkehr der Grossstaedte sehr angenehm auf; nie hoert man wild aufeinander los fluchende Kutscher im Wagengedraenge; nie werden Schutzmannsketten durchbrochen, wo eine Absperrung notwendig ist; mit einem Wink des Fingers dirigieren die Posten an den Strassenkreuzungen den kolossalen Verkehr. Ohne Murren findet sich alle Welt mit der Einrichtung ab, dass um 6 Uhr abends alle Geschaefte geschlossen werden. In den Strassen- und Untergrundbahnen, in ueberfuellten Lokalen jeder Art macht jedermann bereitwillig Platz, so gut es geht. Am Weihnachtsheiligabend fuhren wir in der Neuyorker Subway. Da es um die Zeit des Geschaeftsschlusses war, so waren die Wagen mit sitzenden und stehenden Menschen so voll, dass der beruehmte Apfel nicht mehr zur Erde fallen konnte. Da draengte sich auf einer Station im letzten Moment noch eine alte Frau mit einem riesigen Schaukelpferd herein. Die Maenner auf der hinteren Plattform schufen der Frau mit kraeftigen Ellenbogen Platz, die ganze Menschenmauer geriet ins Schwanken, man trampelte sich gegenseitig kraeftig auf den Zehen herum, die hervorragenden Spitzen der Kufen des Schaukelpferdes stiessen einigen Passagieren in die Baeuche oder gegen die Kniescheiben - und dennoch zeigte sich niemand gekraenkt oder nervoes gereizt. Mit ein paar gutmuetigen Scherzen ging man ueber die Unannehmlichkeiten hinweg; bei uns waere ein Sturm der Entruestung losgebrochen. Auch der eiligste Geschaeftsmann wartet geduldig bei Verkehrsschwierigkeiten, bis die Passage frei ist, und niemals wird ein hoeher Gestellter versuchen, fuer sich Ausnahmemassregeln durchzusetzen. Auch die strengen Polizeivorschriften im Interesse der oeffentlichen Hygiene werden bereitwillig befolgt, weil der Nutzen jedem vernuenftigen Menschen klar ist. (M26) Hoechst merkwuerdig ist die Art, wie der Yankee oeffentliche Fragen loest, die anderwaerts der Polizei die allergroessten Schwierigkeiten machen und ueber die sich Juristen, Verwaltungsbeamte, Geistliche und Laien vergeblich die Koepfe zerbrechen. Solche Schwierigkeiten beseitigt der Yankee naemlich einfach dadurch, dass er erklaert, sie existierten gar nicht. Der Prostitution z. B. ist im Gesetze ueberhaupt nicht Erwaehnung getan, und in den Zeitungen wird nie davon gesprochen. Unter ernsten Maennern nennt man die Prostitution verschaemt "das soziale Uebel" (_the social evel_), aber in der Oeffentlichkeit erwaehnt man diesen unsittlichen Gegenstand niemals, weil die jungen Maedchen nichts von seiner Existenz erfahren sollen, und weil man annimmt, dass der Amerikaner ueberhaupt viel zu anstaendig sei, um irgendwelcher heimlicher Notbehelfe fuer die Forderungen seines Trieblebens zu beduerfen. Dessenungeachtet weiss selbstverstaendlich jeder erwachsene Mensch, dass die Zahl der Prostituierten, der freien wie der kasernierten, auch in den Vereinigten Staaten ungeheuer gross ist. Die Polizei hat dafuer zu sorgen, dass die Oeffentlichkeit von diesen Damen nichts merkt; sie hat also nicht nur die oeffentlichen Haeuser, sondern auch jede einzeln flanierende Dirne wachsam im Auge zu behalten. Wenn die oeffentlichen Gerichtshoefe sich sehr viel mit der Bestrafung von Prostituierten beschaeftigen muessten, so koennte es nicht ausbleiben, dass das Publikum auf diese Dinge aufmerksam wuerde, selbst wenn die Zeitungen ihrem Grundsatze des Totschweigens unverbruechlich treu blieben. Folglich duldet es die Behoerde wissentlich, dass die Polizeiorgane sich von den Uebeltaeterinnen dafuer bezahlen lassen, dass sie sie nicht vor den Kadi schleppen, und dass die Bordellwirtinnen hohe Steuern an die politischen Bosse dafuer entrichten, dass sie sie vor Konflikten mit Behoerden bewahren. Selbstverstaendlich erhalten solche Haeuser keine polizeilichen Konzessionen, noch gibt es irgendwelche offizielle Kontrolle der freien Prostitution. In den Adressbuechern figurieren jene Damen als Ladnerinnen, Naeherinnen, Masseusen und dergleichen, und die zahlreichen Freudenhaeuser werden von den erfindungsreichen Bossen mit fingierten Personen bevoelkert, und zwar vornehmlich mit - wahlfaehigen Maennern! Man bedient sich zu diesem Zweck der Namen laengst verzogener oder gar verstorbener Persoenlichkeiten. Durch dieses schlaue Manoever waechst bei den Wahlen dem Boss fuer jede Gefangene einer solchen Lasterstaette ein Wahlzettel fuer seine Partei zu. Eine Folge dieser unerhoerten Heuchelei ist auch die, dass die Bestrebungen des internationalen Vereins gegen den Maedchenhandel in den Vereinigten Staaten wirkungslos bleiben. Dieses schmachvollste aller Geschaefte, der weisse Sklavenhandel, blueht im Gegenteil in den nordamerikanischen grossen Hafenplaetzen wo moeglich noch ueppiger als in denen Suedamerikas. Die dunkeln Ehrenmaenner, die sich mit diesem schmutzigen Geschaeft befassen, ausschliesslich galizische, ungarische und rumaenische Juden, fuehren der Parteikasse der Bosse, die ihnen durch die Finger sehen, ansehnliche Summen zu. Es ist juengst ein Roman ueber diese Zustaende erschienen: "_The House of Bondage, by Reginald Wright Kaufmann_". Es duerfte wohl das erstemal sein, dass in dem Lande der puritanischen Heuchelei ein solches Thema von der Dichtung eroertert wird. Freilich kann sich der Roman, was seine literarische Qualitaet anbetrifft, nicht entfernt mit Else Jerusalems "Der heilige Scarabaeus" messen, und es ist bezeichnend, dass der mutige Verfasser selbst mit dem groessten Eifer betont, er habe in diesem Werke nichts weniger als dichten, sondern nur nackte traurige Wahrheit berichten wollen. Im Anhang des Buches sind all die behoerdlichen Aktenstuecke abgedruckt, welche die Grundlage zu den Behauptungen des Verfassers gegeben haben. Ich habe bis jetzt nicht gehoert, ob die Zeitungen angesichts der furchtbaren Anklagen dieses Buches aus ihrer traditionellen heuchlerischen Reserve herausgegangen sind, oder ob sich gar die Behoerden zu einem energischen Eingreifen entschlossen haben. Da die Bosse und die niederen Polizeiorgane dadurch eine empfindliche Einbusse an ihren Einkuenften erleiden wuerden, so ist das auch kaum anzunehmen. Aber einen schoenen Erfolg hat der Verfasser trotzdem dadurch erreicht, dass der junge Herr Rockefeller sein Werk in alle unter den nordamerikanischen Einwanderern vertretenen Sprachen uebersetzen und in vielen Tausenden von Exemplaren unter den unteren Volksschichten, deren Toechter ja hauptsaechlich gefaehrdet sind, verteilen liess. So kann wenigstens nicht mehr Ahnungslosigkeit der Eltern und der Maedchen dafuer verantwortlich gemacht werden, wenn sie in die Schlingen der gewissenlosen Vogelsteller geraten. (M27) Fuer uns Europaeer ist es schwer begreiflich, dass in demselben Lande, in welchem jeder gesellschaftliche Skandal, jede pikante Scheidungsgeschichte in den Zeitungen breitgetreten wird, in dem kaum das Schlafzimmer vor den Reportern sicher ist, aus Anstandsruecksichten in der gesamten Tagespresse kein Wort ueber ein so unendlich wichtiges Ereignis wie die Entdeckung des beruehmten Heilmittels von Ehrlich-Hata geschrieben werden darf. Wir haben hier den fuer uns ueberaus seltsamen Fall, dass selbst der indiskreteste und von Amts wegen quasi zur Plauderhaftigkeit verpflichtete Stand der Journalisten aus Patriotismus eine verblueffende Selbstverleugnung uebt. Die verehrten Pilgervaeter schon haben das Dogma aufgestellt, dass in den Vereinigten Staaten die Sicherheit der weiblichen Ehre absolut garantiert sei. Und diesem Dogma aus den Zeiten des fanatischen Puritanertums zuliebe wird noch heute der Yankee als ein untadelhafter Gentleman hingestellt, der mit einer jungen Dame zusammen baden, nachts in einem Zelt schlafen oder auf einer einsamen Insel wohnen koenne, ohne menschliche Begierden zu verspueren. Der Yankee steckt es lachend ein, wenn man ihm ins Gesicht sagt, dass seine smarten Geschaeftsleute die groessten Gauner der Welt seien; aber selbst seine eigenen bedeutendsten Schriftsteller duerfen es nicht wagen, einen Yankee als Verfuehrer der Unschuld hinzustellen. Die schaerfsten Sozialkritiker, die realistischen Romanschriftsteller, muessen dieses nationale Dogma respektieren, wenn sie sich nicht in ihrem Heimatlande unmoeglich machen wollen. Eine segensreiche Wirkung dieses starr festgehaltenen Vorurteils ist unzweifelhaft die, dass es im Yankeelande eine pornographische Literatur ueberhaupt nicht gibt, dass die schluepfrigen franzoesischen Schwaenke der Buehne ferngehalten und der Import von pikanter Lektuere, Bildern und dergleichen hoechstens auf ganz versteckten Schleichwegen stattfindet. Es muss auch unbedingt zugegeben werden, dass der zwanglose Verkehr der Geschlechter und die allgemeine starke koerperliche Betaetigung im Sport, verbunden mit dem Fehlen ungesunder Reizungen durch schlechte Lektuere dem jungen Mann, zumal der gebildeten Oberschicht, eine Reinheit der Gesinnung in erotischen Dingen bewahrt, die in Europa kaum irgendwo in gleichem Masse vorhanden sein duerfte. Es ist richtig, dass kein Yankee sich durch gewandtes Erzaehlen von Mikoschwitzen gesellschaftlichen Ruhm erwerben kann, und dass man selbst in intimer Herrengesellschaft und unter dem Einfluss des Alkohols schwerlich jemals die Sauglocke laeuten hoert. Es ist auch richtig, dass ein junger Mann von guter Familie, der ein junges Maedchen aus seinem Gesellschaftskreise kompromittiert und sitzen laesst, der Aechtung seiner Standesgenossen verfaellt - aber dennoch kann man nicht aus ehrlicher Ueberzeugung das Verhalten des Amerikaners der Erotik gegenueber unbedingt zur Nachahmung empfehlen; denn es ist nur zu geeignet, eine Art von Heuchelei zu foerdern, die den weniger vom Glueck beguenstigten Mitmenschen teuer zu stehen kommt, und ausserdem die Poesie der Liebe schwer schaedigt. Wie in allen gesellschaftlichen Fragen, so wird naemlich auch in bezug auf die Erotik das demokratische Prinzip nur allzu gern vergessen. Der starke Schutzwall der weiblichen Ehre wird im Grunde genommen doch nur um die Angehoerigen der eignen Kaste errichtet. Derselbe wohlerzogene begueterte junge Mann, der die groesste Freiheit im unbeaufsichtigten Verkehr mit jungen Damen seines Kreises auch bei staerkster Versuchung nicht missbrauchen wuerde, macht sich doch schwerlich ein Gewissen daraus, sich ein Chorusgirl, eine fesche Manikuere, Typewriterin oder sonst eine huebsche Angestellte aus dem Geschaeft des Herrn Papa als Geliebte auszuhalten, und das wird ihm in seinem Kreise auch keineswegs uebelgenommen, wenn er nur von seiner Liebschaft kein grosses Gerede macht und nicht versucht, etwa gar so ein Maedchen unter falscher Flagge in seine Gesellschaftskreise einzuschmuggeln. Es herrscht also im Grunde in derjenigen Gesellschaft, die sich die beste zu nennen beliebt, dieselbe niedertraechtige Doppelmoral wie in der alten Welt, wo die chevaleresken Brueder mit geschliffenen Saebeln und gespannten Pistolen vor der Ehre ihrer Schwestern Wache halten, aber vielleicht selber auf das schmachvollste mit dem Glueck und der Ehre anderer Maedchen umspringen. Der Unterschied zugunsten der Yankeeanschauung ist vielleicht nur der, dass drueben der Ruf des verfluchten Schwerenoeters dem Manne nicht so wie bei uns zum Vorteil gereicht, und dass ein Maedchen aus den unteren Kreisen, sobald es von einem Mann aus den hoeheren geheiratet wird, es nicht so schwer hat, von der hoeheren Gesellschaft aufgenommen zu werden, falls es sich nur _ladylike_ zu benehmen versteht; dagegen faellt der Vergleich zu ungunsten des Yankee aus, wenn man die Gefuehlsroheit in Anschlag bringt, die in der Beurteilung des freien Liebesverhaeltnisses drueben herrscht. Der Yankee hat fuer die illegitime Freudenspenderin nur die rohesten Worte seiner Sprache uebrig. Selbst der Ausdruck _Sweetheart_ hat einen veraechtlichen Nebenklang bekommen. Die amerikanische Moral bekreuzt sich entruestet vor dem "Verhaeltnis" des Deutschen oder vor der "Collage" des franzoesischen Studenten. Die amerikanische junge Dame wuerde die selbstlose Hingabe des leidenschaftlich liebenden deutschen "Gretchens" oder der franzoesischen Grisette nicht nur fuer _shocking_, sondern besonders fuer entsetzlich dumm halten; denn sie ist gewohnt, moeglichst viel zu fordern und moeglichst wenig dafuer zu gewaehren. In einem amerikanischen Roman oder Theaterstueck ist folglich die poetische Verklaerung eines freien Liebesverhaeltnisses voellig unmoeglich. Ein Autor, der dergleichen wagen wuerde, und sei er selbst ein Mann von anerkannter Bedeutung, wuerde nicht nur den Absatz seines Buches schwer schaedigen, sondern sich auch gesellschaftlich unmoeglich machen. Ob bei dieser Anschauung die Heiligkeit der Ehe viel gewinnt, wage ich nicht zu entscheiden, sicher nur duenkt es mich, dass die Heiligkeit der Liebe viel dabei verliert. Manche Aeusserungen dieser einseitigen christlich-pfaeffischen Moralauffassung erscheinen uns Europaeern ja geradezu komisch. So kann z. B. ein Bankdefraudant, wenn er Glueck hat, sein geraubtes Schaefchen ganz gut drueben ins Trockene bringen und unter Umstaenden sogar sich wieder zu allen buergerlichen Ehren emporarbeiten; landet er aber gleichzeitig sein Liebchen in Hoboken, so muss er gewaertig sein, dass er sofort vor die Wahl gestellt wird, entweder umgehend zu heiraten, oder umgehend nach Europa zurueckzukehren. Auf jedem Ozeandampfer wachen scharfe Yankeeaugen ueber dem Benehmen der paarweise Reisenden, und wer da nicht einen unzweifelhaft verheirateten Eindruck macht, der kann sicher sein, bei der Landung um Vorlage seiner Ehebescheinigung ersucht zu werden. Sollte es der Yankeerasse gelingen, die puritanischen Unmenschlichkeiten aus ihren Moralbegriffen auszumerzen und sich trotzdem die Reinlichkeit des Empfindens den geschlechtlichen Dingen gegenueber zu bewahren, die den groessten Teil ihrer Jugend jetzt schon als Begleiterscheinung der koerperlichen Reinlichkeit und der vernuenftigen Erziehung auszeichnet, so duerfte sie vielleicht wirklich einmal den Rassen der alten Welt als moralisches Vorbild gelten. Bis dahin aber muessen wir uns doch erlauben, diese gern betonte moralische Ueberlegenheit mit einem grossen Fragezeichen zu versehen. LIEBE UND EHE. (M28) So viele Kabel auch zwischen Alt-Europa und der neuen Welt gelegt sind, so viele Geschaefts- und Familienbeziehungen die Voelker diesseits und jenseits des Ozeans miteinander verbinden, so herrschen gerade ueber manche wichtige grundlegende Verhaeltnisse die groebsten Missverstaendnisse. Was wissen wir Deutsche z. B. vom Familienleben, von Liebe und Ehe der Yankees? Wir lesen in unseren Zeitungen alle Augenblicke von sensationellen Heiraten zwischen Milliardaerstoechtern und europaeischen Aristokraten, von Millionenerbinnen oder Gattinnen von Industriekoenigen, die mit Chauffeuren, Friseuren oder Klavierlehrern durchgehen; wir lesen mit moralischen Schauder die ungeheuerlich hohen Ziffern, welche die Statistik ueber die Scheidungen in den Vereinigten Staaten nennt, und wir glauben, aus allen diesen Erscheinungen schliessen zu duerfen, dass die Yankees ueber die Heiligkeit der Ehe aeusserst frivol denken und ihre Toechter nur als Ware, als Tauschobjekt fuer gute gesellschaftliche und geschaeftliche Beziehungen betrachten muessten. Zum mindesten kommt wohl jeder gute Deutsche mit einem starken Vorurteil gegen die koketten, herzlosen und anspruchsvollen Yankeemaedchen nach Dollarica; wem es aber gestattet ist, unvoreingenommen und aus naechster Naehe die Frage der Liebe und der Ehe im Yankeelande zu studieren, der duerfte doch bald zu einer anderen Meinung gelangen. Vor allen Dingen wird ein guter Beobachter sehr bald lernen, zwischen den Sitten und Gewohnheiten der paar Hundert Multimillionaere und denen der ueberwaeltigenden Mehrheit des uebrigen Volkes zu unterscheiden. Es brauchte nicht erst der gute und kluge Carnegie zu kommen, um uns die Weisheit zu offenbaren, dass Frauen desto ungluecklicher, unzufriedener und zu toerichten Streichen geneigter sind, je reicher sie werden; das ist eine uralte Weisheit, die wir bei uns zu Lande ebenso oft bestaetigt finden koennen, wie irgendwo sonst auf der Erde. Die Frau des Multimillionaers, die ganz in gesellschaftlichen Interessen aufgeht, ihre Nerven in einer sinnlosen Hetze von Vergnuegen zu Vergnuegen, von Gesellschaft zu Gesellschaft, von bloss spielerischer bis zu wirklich angreifender Taetigkeit aufreibt, dabei drei- bis viermal taeglich die Toilette wechselt, unsinnigen Moden zuliebe ihre Gesundheit aufs Spiel setzt und jede ihrer Launen ruecksichtslos befriedigen kann, die muss natuerlich, falls sie nicht einen unverwuestlich guten Kern besitzt, ihre Nervenueberreizung irgendwie buessen. Die tollen Streiche ihrer Laune, ihre frivolen Geschmacksverirrungen sind dann nur Folgeerscheinungen eines seelischen Schadens, der aus der zerruetteten koerperlichen Grundlage erwuchs wie der Schwamm aus einem faulen Balken. Ebenso begreiflich ist es, dass die Maenner jenes Kreises, sobald der aufgehaeufte Dollarberg ihnen bis ueber die Nase steigt und sie zu ersticken droht, bedenkliche Kongestionen nach dem Kopfe bekommen, die zunaechst dazu zu fuehren pflegen, dass sie ihre anerzogenen demokratischen Grundsaetze vergessen und mit ihrem Ueberfluss das einzige zu erreichen trachten, was drueben fuer kein Geld zu haben ist, naemlich einen Abglanz feudaler Herrlichkeit. Da sie nun bei sich zu Hause nicht mit Fuersten- und Grafenkronen auf dem Kopfe herumlaufen koennen, ohne sich laecherlich zu machen, so kaufen sie diese schoenen Dinge ihren ehrgeizigen Toechtern und fuettern ihre Eitelkeit mit dem Bewusstsein, mit dem aeltesten Adel Europas wenigstens verschwaegert zu sein und als Grosspapas Prinzlein und Komtesslein auf ihren Knien schaukeln zu duerfen. Und dennoch ist gerade fuer die Vereinigten Staaten nichts weniger kennzeichnend als der Maedchenschacher. Man darf getrost behaupten, dass in keinem Lande der Welt den Toechtern eine groessere Freiheit der Wahl gelassen werde, als gerade in den Vereinigten Staaten, und dass auch nirgends das Spekulieren der jungen Maenner mit einer fetten Mitgift weniger im Schwang sei. Es ist naemlich durchaus nicht Sitte, den Toechtern eine Mitgift zu geben; nur die ganz reichen Leute machen hiervon eine Ausnahme. In der ueberwaeltigenden Mehrzahl der Yankeefamilien, von den untersten bis zu den obersten Gesellschaftsschichten, denkt der Erwerber ebensowenig daran, sich selber als Rentier zur Ruhe zu setzen, so lange er noch imstande ist, einen Brief zu diktieren und ein Telephon zur Hand zu nehmen, als dem Erwaehlten seiner Tochter in den Jahren seiner besten Kraft in Gestalt eines Kapitals eine faule Haut zu unterbreiten, auf der Schwiegersohn und Tochter sich behaglich raekeln duerften. Die jungen Leute moegen sich im stillen auf die fette Erbschaft freuen, so viel sie wollen, inzwischen aber sich gefaelligst selber regen und sich den Zuschnitt ihres Lebens nach ihrem eignen Verdienst gestalten. Dieser hoechst vernuenftige und gesunde Grundsatz fuehrt zu der selbstverstaendlichen Folge, dass drueben viel mehr aus Liebe geheiratet wird, als bei uns. Ausserdem wird aber auch viel frueher geheiratet, weil schon die Kindererziehung darauf ausgeht, eine fruehe Selbstaendigkeit der Charaktere zu erzielen, und weil die Lebensverhaeltnisse heute wenigstens noch so sind, dass ein junger Mensch, der etwas gelernt hat, sei es Mann oder Weib, viel frueher als bei uns zu einem leidlich anstaendigen Einkommen gelangen kann. Ein junger Mann am Anfange der Zwanziger, der von seinem Berufseinkommen noch keine Frau ernaehren kann, braucht deshalb noch nicht auf die Freuden der Ehe und der Haeuslichkeit zu verzichten, denn er kann sich ja ein Maedchen suchen, das auch in einem praktischen Beruf taetig ist und ein selbstaendiges Einkommen daraus bezieht. Wer in der teuren Grossstadt noch nicht imstande waere, von seinem Einkommen eine duerftige Etagenwohnung zu bestreiten, der findet weit draussen in den weniger besiedelten Staaten doch vielleicht einen Platz, wo er mit demselben Einkommen ein ganzes Haus nebst Dienerschaft sich leisten kann. Die vernuenftige Erziehung, bei der die beiden Geschlechter stets auf dem Fusse der Gleichberechtigung und der guten Kameradschaft miteinander verkehren, und auch wohl ein wenig Vererbung aus den Zeiten puritanischer Sittenstrenge erhalten den jungen Mann gesund und keusch in seinen Anschauungen und lassen ihn die Ehe als das normale und schoenste Ziel seiner Sehnsucht erscheinen in einem Alter, in dem der junge Europaeer sich auf seine frivole Weiberverachtung besonders viel einzubilden pflegt. Es kommt auch wohl noch dazu, dass, wie gesagt, ein sehr grosser Teil aller jungen Leute in gottverlassenen Gegenden seine Existenz zu begruenden beginnt, wo er keinen menschenwuerdigen Ersatz fuer die eheliche Gemeinschaft zu finden hoffen darf. Und schliesslich gibt es in Amerika noch eine ganz besonders gute Vorbereitung auf den heiligen Ehestand durch eine bei uns kaum in den untersten Volksschichten allgemein eingefuehrte Sitte. Es gilt naemlich in der Yankeefamilie als ganz selbstverstaendlich, dass der Sohn sowohl wie die Tochter, sobald sie selbstaendig zu verdienen beginnen, zu den Kosten des elterlichen Hausstandes beitragen. Da man bei den Yankees so vernuenftig ist, die geschaeftliche Behandlung praktischer Fragen auch in den intimsten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, zwischen Mann und Frau nicht fuer gefuehlsroh zu halten, so erwaegt man im Familienrate in aller Gemuetsruhe, wie viel jedes einzelne Kind im Verhaeltnis zu den Aufwendungen, die fuer seine Erziehung gemacht wurden, von seinem Einkommen billigerweise den Eltern zurueck zu erstatten habe. Man hoert selten davon, dass sich ein uebel geratenes Kind dieser Zahlungspflicht gegen die Eltern entzieht, noch viel weniger davon, dass die Herzlichkeit der Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern unter solcher Geschaeftspraxis leide. Die Eltern spannen vielmehr ihre Kraefte aufs aeusserste an, um ihren Kindern eine moeglichst gute Ausbildung zu geben, weil sie wissen, dass sich das aufgewendete Kapital nicht nur ideal verzinsen wird. Und die Kinder werden durch diese geheiligte Sitte von frueh an in ihrem Pflichtbewusstsein und in ihrer selbstlosen Schaetzung des Familienlebens gestaerkt. Waehrend also unsere Sitten den jungen Mann zu einem heillos eingebildeten Selbstsuechtling erziehen, der sich kein Gewissen daraus macht, den Eltern noch Jahre auf der Tasche zu liegen, und der seine edle Freiheit nur um den Preis einer stattlichen Mitgift und auch erst dann nur zu verkaufen geneigt ist, wenn ihn der Suff und die Weiber an Leib und Seele schon bedenklich muerbe gemacht haben, kann sich die amerikanische Sitte und Erziehungskunst etwas darauf einbilden, das denkbar beste Maennermaterial fuer den heiligen Ehestand stets frisch und in reichlicher Quantitaet auf Lager zu haben. Von nicht zu unterschaetzender Bedeutung duenkt mich auch der Umstand, dass die englische Sprache keinen Unterschied von Du und Sie kennt, indem naemlich das Fuerwort _thou_, also das eigentliche du, nur noch in der Poesie und im Gebet angewendet wird, waehrend _you_ - gleich Ihr - schon seit Jahrhunderten ausschliesslich als Anrede bei Hoch und Niedrig in den intimsten wie in den fremdesten Beziehungen verwandt wird. Es faellt also auch im Verkehr der Geschlechter die Scheidewand fort, welche das foermliche Sie bei uns errichtet, und der Uebergang zwischen einer blossen guten Bekanntschaft in hoeflichen Formen zur Freundschaft oder Liebe markiert sich aeusserlich gar nicht. Die jungen Maenner und Maedchen, die durch gemeinsamen Schulbesuch oder durch den gesellschaftlichen Verkehr der Eltern schon in der Kindheit auf kameradschaftlichen Fuss gekommen sind, behalten uebrigens auch die Gewohnheit, sich beim Vornamen zu nennen, bis ins heiratsfaehige Alter bei. Ein junger Mann kann mit Dutzenden von jungen Maedchen seines Kreises auf diesem kameradschaftlichen Fusse stehen; ein junges Maedchen kann sich heute von ihrem Freunde Jack ins Theater, morgen von ihrem Freunde Jimmy zu einer Bootfahrt, uebermorgen von ihrem Freunde Tom zum Baden abholen lassen, ohne dass die ganze Freundschaft, Verwandtschaft und Nachbarschaft, wie bei uns, darueber die Koepfe zusammensteckt und ein eifriges Getuschel beginnt. Die Verkehrsformen zwischen den jungen Leuten sind allerdings nach den Begriffen einer ehrsamen deutschen Tantenschaft sehr frei, und selbst der nicht allzu leicht moralinsauer reagierende Beobachter wird von der besonderen Art, wie die junge Amerikanerin ihre Lieblingsbeschaeftigung, den Flirt, ausuebt, wenig erbaut sein. Deutsche junge Maedchen, die schon als Erwachsene hinueber kommen, finden auch meist diesen Ton und diese Verhaeltnisse wenig nach ihrem Geschmack. Selbst wenn sie Talent zur Koketterie haben und darin rasche Fortschritte machen, so aergert es sie doch, dass sie nie wissen, wie sie mit den amerikanischen jungen Maennern eigentlich daran sind, weil sich der Unterschied zwischen einem frivolen Kurmacher und einem Anbeter mit ernsten Absichten viel weniger leicht bemerkbar macht, als bei uns. Der junge Amerikaner der hoeheren Schichten kann jahrelang ohne irgendwelche Konsequenzen Freundschaften mit Toechtern seines Kreises unterhalten, und dennoch steht es ihm frei, seine Gattin ganz ueberraschend irgendwo anders her zu holen. Er wird sich auch nicht gross darueber wundern, wenn eine seiner Freundinnen seiner Bedenklichkeit zuvorkommt und ihn urploetzlich mit der Frage ueberrascht: "Was meinst du, Jim, wir koennten doch eigentlich Verlobungskarten herumschicken?" Der jungen Amerikanerin geht auch ganz die heimliche Angst deutscher junger Maedchen ab, als ob der freie Verkehr mit jungen Maennern zu einer Ueberrumpelung in einer schwuelen Stunde fuehren koennte, denn sie weiss ganz genau, dass der junge Mann, der einen solchen Vertrauensbruch begehen wuerde, der lebenslangen Aechtung in seinem Kreise verfallen wuerde. Sie weiss ebenso genau, dass ihr Freund, falls sein Temperament ihm keine Ruhe laesst, aussereheliche Freuden bei den leichten Maedchen geringeren Standes sucht, und wird ihm das wohl meistens auch nicht besonders uebel nehmen. Aus solchen Anschauungen und Gewohnheiten erklaert es sich, dass in den Vereinigten Staaten der Typus Don Juan, der kecke Herzensbrecher, gefaehrliche Schwerenoeter und verfluchte Kerl, durchaus kein romantisches Ideal von Maennlichkeit darstellt, weder dem Geschmack der Maenner, noch dem der Frauen nach, sondern dass dieses Ideal vielmehr gefunden wird in dem ritterlichen Beschuetzer weiblicher Tugend, in dem getreulich ausharrenden, alle Launen seiner Schoenen laechelnd erduldenden und stets dienstbeflissenen Liebhaber. Von der Poesie der Liebe, wie wir sie aufzufassen gewohnt sind, faellt durch solche Anschauungen allerdings sehr viel weg. Die Lieblingsgestalt der deutschen Dichtung, das unbedenklich dem Zuge seines Herzens folgende, bedingungslos sich hingebende und schwaermerisch sich aufopfernde junge Maedchen wuerde nach amerikanischer Auffassung nur eine leichtsinnige Person oder eine dumme Gans sein. Und dem maennischen Mann, dem ruecksichtslosen Eroberer, dem Schrecken und der suessen Sehnsucht deutscher Frauenherzen, wuerde einfach der Charakter als Gentleman abgesprochen werden. Bezeichnenderweise kommen diese Typen in der amerikanischen Literatur auch gar nicht vor. "Das suesse Maedel", wie Schnitzler und ich es novellistisch verherrlicht haben, findet auch durch die Hintertuer der Uebersetzung keinen Einlass in die amerikanische Poesie. Von meinem Roman "Das dritte Geschlecht" liegt seit Jahren eine ausgezeichnete amerikanische Uebersetzung vor; sie findet aber keinen Verleger, weil die darin gepredigte Philosophie der Liebe _shocking_ ist. Ueberaus lehrreich war fuer mich die Bekanntschaft mit einem modernen Thesendrama "_The easiest way_" (der leichteste Weg) von einem sehr talentvollen jungen Dramatiker Walter, der drueben als ein kuehner Pfadfinder gilt. Das freie Verhaeltnis eines reichen Geschaeftsmannes mit einer kleinen Choristin steht im Mittelpunkt der Handlung. Das Maedchen hat eine tiefe Sehnsucht nach der buergerlichen Anstaendigkeit und dem behoerdlich approbierten heiligen Ehestand. Der Verfasser jedoch scheint es als selbstverstaendlich anzusehen, dass solche gefallenen Maedchen niemals die Kraft finden koennen, einem faulen, eiteln Genussleben zu entsagen. Er laesst ihren Aushaelter mit seiner trotz aller Grossmut doch etwas brutalen Vernunft recht behalten und das Maedchen im Sumpf zu Grunde gehen. Fuer amerikanische Begriffe war es, wie gesagt, schon eine ungeheure Kuehnheit, solch ein illegitimes Verhaeltnis ueberhaupt auf die Buehne zu bringen. Ertraeglich wurde diese Kuehnheit fuer das Theaterpublikum drueben nur durch den moralischen Standpunkt, den der Verfasser einnahm. Sein grausamer Schluss entsetzte freilich die zarten Gemueter nicht wenig; aber lieber solche Grausamkeit, lieber auch die verlogene Sentimentalitaet einer Kameliendame, als der aus Mitleid und tiefem Verstaendnis fuer alles Menschliche geborene ehrliche Realismus der modernen europaeischen Dichtung. Wie im Theater und in der Literatur, so spaehen wir Deutsche auch in der Oeffentlichkeit vergebens nach den uns vertrauten Aeusserungen der Verliebtheit. Liebespaerchen, welche in dunkeln Ecken von Biergaerten Hand in Hand sitzen, sich anschmachten, aus einem Glase trinken, von einem Butterbrot abbeissen, oder etwa gar im Eisenbahncoupe wie angeleimt dicht nebeneinander hocken und sich fortwaehrend zaertlich taetscheln und heimlich druecken, duerften wohl drueben zu den Unmoeglichkeiten gehoeren. Kaum dass man einmal auf den Bahnhoefen Abschied nehmende Ehe- oder Brautpaare sich kuessen sieht. Ob deswegen die Amerikanerin weniger zaertlich oder gar feurig sei, als europaeische Frauen, wage ich nicht zu entscheiden, denn ich war weder mit einer Amerikanerin verheiratet, noch habe ich bedauerlicherweise jemals ein Verhaeltnis mit einer solchen gehabt. (M29) Der Sinn fuer Romantik in der Liebe geht jedoch den Amerikanern keineswegs gaenzlich ab, was man daraus erkennen kann, dass abenteuerliche Entfuehrungen viel mehr an der Tagesordnung sind, als vermutlich irgendwo sonst. Aber freilich, was will eine Entfuehrung in dem Lande der Freiheit gross bedeuten! Die Eltern lassen ja ihren erwachsenen Kindern fast durchweg freie Wahl; ihrer Erlaubnis zur Heirat beduerfen die Toechter in den meisten Staaten nur in ganz jugendlichem Alter, und auch dann ist es sehr leicht, einen gesetzlichen Dispens zu erwirken. Ich glaube, viele sehr junge Maedchen heiraten bloss, weil ihnen das Entfuehrtwerden so viel Spass macht. Es kann ja auch in allen Ehren geschehen, da man mittags durchbrennen und sich abends schon als Ehepaar den erstaunten Eltern praesentieren kann. Man braucht bekanntlich drueben nicht drei Wochen zu haengen oder in der Kirche aufgeboten zu werden, sondern man holt sich einfach von der zustaendigen Magistratsperson einen Heiratsschein, den man anstandslos bekommt, sobald man beschwoert, dass keine gesetzlichen Hinderungsgruende vorliegen. Mit diesem Schein geht man zum naechsten besten Pastor und laesst sich auf der Stelle trauen, bezw. von dem Zivilstandsbeamten zusammen geben. Gluecklicherweise kann man fast ebenso leicht wieder auseinander kommen. Zwar sind in betreff der Scheidung die Gesetze in den einzelnen Staaten sehr viel verschiedener als in bezug auf das Heiraten, aber wer in seinem Staate auf Schwierigkeiten stoesst, der verfuegt sich eben in einen weitherzigeren und bequemeren Staat und riskiert hoechstens, dass er sich dort einige Zeit aufhalten muss, bevor er die Wohltat seiner Spezialgesetze geniessen darf. Es koennte wunder nehmen, dass dieselben Yankees, die vielfach noch sehr puritanisch streng ueber die Ehe denken, die Scheidung so ueberaus erleichtern; der praktische Erfolg hat aber gelehrt, dass hier, wie so oft, ihr gesunder Menschenverstand ihnen den rechten Weg gewiesen hat. Religion, Gesellschaftsmoral und die besonderen Verhaeltnisse des jungen Landes beguenstigen das fruehe Heiraten; da nun aber ein despotisches Eingreifen des elterlichen Willens durch die demokratischen Grundsaetze ausgeschlossen erscheint, so kommen die Ehen fast allein durch die Leidenschaft mehr oder minder unreifer Menschen zustande, welche durchaus noch nicht faehig sind, sich ueber ihre eigenen sittlichen Kraefte, noch ueber die Kaempfe und Hemmungen, denen sie in ihren besonderen Lebensverhaeltnissen entgegengehen, ein Urteil zu bilden. Es werden sich folglich sehr viele dieser jugendlichen Wahlen als verfehlt erweisen. Waere nun diesen ungluecklich Gepaarten ein Loskommen voneinander unmoeglich gemacht oder auch nur betraechtlich erschwert, so wuerde bald das ganze Land ueberschwemmt sein von veraergerten, zaehneknirschenden, entmutigten Menschen, welche ebenso viele fanatische Prediger gegen die Ehe bedeuten wuerden. So aber weiss jeder beim Eingehen seiner Ehe: Habe ich mich groeblich getaeuscht, nun dann ist's auch weiter nicht schlimm; eine Scheidung kostet nicht den Kopf, und das naechste Mal kann ich es ja besser treffen. Selbstverstaendlich wird die leichte Scheidungsmoeglichkeit aus blosser Veraenderungssucht viel missbraucht werden, aber sicherlich nicht so viel, wie aengstliche Gemueter sich vorstellen moegen, denn die liebe Gewohnheit vermag auch den brutalsten Sinnenmenschen zu baendigen. Das Anstands- und Gerechtigkeitsgefuehl des Mannes, besonders bei einer allgemein ritterlich veranlagten Rasse, und die Liebe zu den Kindern und zur Haeuslichkeit bei der Frau richten unter allen Umstaenden einen starken Schutzwall wider den ruecksichtslosen Leichtsinn auf. Uebrigens ist die Gefahr der ungluecklichen Ehen auch schon dadurch herabgemindert, dass die ganze Yankeerasse nuechterner denkt als wir und sich daher ueber Liebe und Ehe auch weniger Illusionen macht. Das Denken ist ueberhaupt dieses Volkes Sache nicht, es wird daher um so staerker von der Tradition beherrscht, ist auch von den Einfluessen der Erziehung, der Schule abhaengiger und darum in seiner Masse viel gleichartiger an Charakter und Gemuet als wir. Durch diese Gleichartigkeit faellt von vornherein der bei uns haeufigste Grund der Ehestoerung fort. Hyperaesthetische, dekadente Maenner oder verzwickte Ibsensche Frauennaturen, wie sie bei uns als schreckhafte Beispiele schwierigster Ehegesponse herumlaufen, duerfte man drueben nur sehr selten antreffen. Ganz ohne Zweifel ist aber der amerikanische Ehemann fuer die Frau bequemer als der deutsche. Er fuehlt sich durch ihre nach unseren Begriffen oft unverschaemten Ansprueche nicht weiter gekraenkt, weil ihm die Verehrung fuer das zartere Geschlecht noch fest im Blute sitzt. Es duenkt ihm ganz in der Ordnung, dass einer fuer das Vergnuegen, mit einer huebschen und eleganten Frau prahlen zu duerfen, einen gehoerigen Preis zahlen, d. h. bis an sein Lebensende sich maechtig anstrengen muss. Wie der Mann das viele Geld verdient, ist der teuren Gattin ziemlich gleichgueltig, denn fuer ihr gesellschaftliches Ansehen macht es wenig aus, ob er mit Schuhwichse oder mit Juwelen handelt, ob er ein wilder Spekulant oder ein solider Industriekapitaen, Beamter, Anwalt, Arzt oder Kuenstler ist. Der gesellschaftliche Rang des Gatten haengt vielmehr davon ab, ob er einer mehr oder minder alten Familie angehoert, die schon lange Wohlstand und Ansehen geniesst, oder ob er ein Emporkoemmling ist, von dem man in der guten Gesellschaft noch nichts Genaues weiss. Eine gescheite und reizvolle Frau kann die gesellschaftliche Stellung ihres Mannes wesentlich verbessern, indem sie mit Kreisen in Fuehlung kommt, die ueber denen stehen, aus denen der Mann hervorgegangen ist. Sie haelt es darum auch fuer ihre vornehmste Pflicht, sich ihre Schoenheit zu erhalten, ein elegantes Haus zu machen und feinere Leute in ihren Verkehr zu ziehen. Wenn solche gesellschaftlich geschickten Frauen gemuetlos und geistig beschraenkt sind, dann koennen sie natuerlich auch den geduldigsten Mann durch ihre toerichten Ansprueche zur Verzweiflung bringen; meistens sind sie aber doch klug genug, sich gerade dann, wenn sie die aergsten Zumutungen an seinen Geldbeutel und seine Geduld stellen, die groesste Muehe zu geben, ihn bei guter Laune zu erhalten. Die kleinlich eifersuechtige, keifende, den Hausschluessel verweigernde deutsche Philisterfrau aus den "Fliegenden Blaettern" wird man drueben nicht oft finden; dagegen ist die putzsuechtige, mit dem Scheckbuch des Gatten taeglich die Warenhaeuser heimsuchende und ihre Zeit in nichtigen Vergnuegungen und spielerischer Vereinstaetigkeit verzettelnde Hausfrau sicher noch haeufiger zu finden als bei uns. Es waere aber doch wohl ungerecht, deswegen der Amerikanerin im allgemeinen die Faehigkeit zu entsagender Hingabe an strengere Pflichten abzusprechen. Man hoert sogar nicht selten von jungen Maedchen aus wohlhabenden Familien, die mit ihrem Erwaehlten in die halbe oder ganze Wildnis ziehen und sich unter rauhen Lebensbedingungen tapfer mit durchschlagen. Auch versteht es die Amerikanerin in beschraenkten Verhaeltnissen beinahe so gut wie die Franzoesin, ihr Haus stets nett und freundlich zu halten, sich gut anzuziehen und ihren Koerper trotz der Arbeitslast frisch zu erhalten. Die Frau, die nur unter furchtbarem Getoese die Haushaltungsmaschine in Gang zu halten versteht, immer seufzt und stoehnt, nie angezogen ist, und, sobald sie den Mann sicher eingefangen hat, ihr Aeusseres, ihre kleinen Talente und ihren Bildungstrieb vernachlaessigt, die soll drueben angeblich nicht existieren - auch nicht unter den Bauern; denn die Gattin des Farmers ist eine Lady, der niemals der Mann schwere Feldarbeit zumuten wuerde, und ihre Toechter spielen Klavier und besuchen die hoeheren Schulen. Die arbeitende Frau des Mittelstandes mag zwar nuechtern und uninteressant sein, aber sie teilt doch meistens die gluecklichste Eigenschaft ihrer Rasse, naemlich die leichte Anpassungsfaehigkeit an die verschiedenen Gluecksumstaende. Es wird nicht oft vorkommen, dass eine Frau ihren Mann, wenn er ploetzlich zu grossem Reichtum gelangt, in einer vornehmeren Gesellschaftsschicht durch schlechte Manieren, schlechte Sprache und geschmacklosen Anzug blamieren sollte. Das Talent zur Lady scheint wirklich der Weiblichkeit der ganzen Rasse eigen zu sein, und es macht sich selbst bei jenen armen Geschoepfen noch angenehm bemerkbar, welche die Gesellschaft deklassiert und zu Freiwild fuer die illegitimen Begierden der Maenner bestimmt hat. Einige gefaellige Amerikaner veranstalteten zum Vergnuegen des Gefolges unseres Prinzen Heinrich seinerzeit in New York eine kleine, ganz intime Abendgesellschaft - fuer jeden der Herren war ein gefaelliges Chorusgirl eingeladen worden. Und das Benehmen dieser leichten Maedchen war so anmutig, der Ton der Unterhaltung so gesittet, dass die Herren glaubten, einer Einladung in ein feines Toechterpensionat gefolgt zu sein und gar nicht genug Ruehmens von dieser liebenswuerdig kaschierten Frivolitaet machen konnten. (M30) Man mag diese unzweifelhaften Vorzuege als Aeusserlichkeiten gering einschaetzen und ihnen gegenueber die Gemuetstiefe, die Pflichttreue, die enthusiastische Opferfreudigkeit und edle Muetterlichkeit der deutschen Frau als das Groessere und Ausschlaggebende hinstellen, man mag sogar die Liebesfaehigkeit des Yankees in Zweifel ziehen, aber man darf nicht leugnen, dass durch Gesetz, Sitte und Herkommen fuer den heiligen Ehestand drueben besser gesorgt ist. Und ich glaube, es kann schwerlich einem Zweifel unterliegen, dass die allgemeine Heiratslust der Jugend einem Volke das sicherste Gesundheitszeugnis ausstellt. DIE DIENSTBOTENFRAGE. (M31) Es war in Philadelphia. Mir gegenueber im zweiten Stockwerk eines netten, epheuumrankten Familienhauses war ein junger Nigger mit Fensterputzen beschaeftigt. Bekanntlich gibt es in Amerika keine Fluegelfenster, sondern ausschliesslich jene greulichen englischen Schiebefenster, welche ein behagliches Hinausschauen, ein geschwindes Kopfherausstrecken nach einer rasch vorueber brausenden Strassensensation fast unmoeglich machen. Denn die Fenster sind fast durchweg so niedrig ueber dem Fussboden angebracht, dass die bewegliche untere Haelfte einem ausgewachsenen Menschen kaum bis zur Brusthoehe reicht. Wenn man also hinausschauen will, so muss man, um nicht etwa das Uebergewicht zu verlieren und kopfueber hinauszupurzeln, schon auf den Boden hinknien und seinen Hals, auf die Gefahr hin, bei etwaigem schlechten Funktionieren der Sperrfedern gekoepft zu werden, unter die glaeserne Guillotine stecken. Mein Nigger hatte es sich im Reitsitz auf dem Fensterbrett gemuetlich gemacht; das eine Bein hing auf die Strasse hinaus, obwohl es empfindlich kalt an diesem sonnigen Januartage war. Waehrend er sein Handwerkszeug, Schwamm, Trockentuch und Lederlappen, bedaechtig auf dem Fensterbrett zurecht legte, pfiff er sich eins, blickte die schmale Seitenstrasse hinunter und die breite Avenue hinauf (denn es war ein Eckhaus). Da doch vorlaeufig nichts Besonderes zu sehen war, so stellte er sein Pfeifen ein und schaute mit sorgenvoll gerunzelter Stirn aufwaerts. Er dachte offenbar angestrengt ueber das Problem nach, wie er wohl, ohne sein kostbares Leben zu gefaehrden, d. h. auf dem Fensterbrett stehend, mit dem Oberkoerper rueckwaerts hinausgelehnt und nur mit einer Hand am Fensterrahmen in der Mitte sich festklammernd, die obere Scheibe von aussen reinigen koennte. Da er zu diesem waghalsigen Turnerstueckchen sich nicht aufgelegt fuehlte, so schuettelte er seinen dicken Wollkopf und versuchte, wie weit er mit ausgestreckter Hand ueber sich emporreichen koennte. Die Fingerspitzen langten nur gerade ein weniges ueber die mittlere Rahmenleiste hinaus; das genuegte ihm aber vorlaeufig. Er ergriff seinen Lappen und wischte am aeusseren unteren Rande der Mittelleiste ein wenig Staub hinweg. Darauf erhob er sich und befummelte im Stehen die innere Seite des hinaufgeschobenen Fensters. Er liess sich sehr reichlich Zeit hierzu, ohne deswegen jedoch die Sache gar zu ernst zu nehmen. Als die innere obere Scheibe seiner Meinung nach genuegend sauber war, nahm er wieder auf dem Fensterbrett Platz und liess sein linkes Bein, dessen zierliches Plattfuesschen mit einem riesigen Footballstiefel bekleidet war, wieder ins Freie baumeln. Nachdem er eine ganze Weile untaetig vor sich hingetraeumt hatte, unternahm er den Versuch, die innere Fensterhaelfte herunterzuziehen, um nunmehr das Glas von aussen zu bearbeiten. Es dauerte sehr lange, bis es ihm gelang, das Fenster aus seiner Ruhelage zu bringen, und als er es endlich gluecklich los hatte und nun versuchte, die schwere Glasscheibe auf seinem rechten Knie so zu stuetzen, dass ein genuegend grosser Spalt offen blieb, um ihm das Hantieren im Sitzen zu gestatten, fand er alsbald, dass er sich dadurch in eine hoechst unbequeme Lage begeben und besonders seinem zarten Kniechen zu viel zugemutet habe. Er schob also stoehnend und schnaufend die Scheibe wieder hinauf, wischte sich mit dem Aermel ueber den Schaedel und fletschte zornig sein anmutiges "G'friess" gegen die Scheibe hinauf - gerade wie es die Kinder machen, wenn sie mit der Kommode boese sind, an der sie sich gestossen haben. Ploetzlich verklaerte sich seine intelligente Schimpansenphysiognomie. In der Ferne liess sich Militaermusik vernehmen. Bum, bum, tschindara! Master Kinkywoolly wurde ganz Ohr und ganz Seligkeit. Er beugte sich so weit hinaus wie moeglich und spaehte die breite Hauptstrasse hinunter. Etwas ganz besonders Herzerhebendes musste da los sein, denn mein Nigger klatschte begeistert in die Haende und zeigte, seine zierliche Fresse weit aufreissend, die lachenden Zaehne im Leckermaul. Ich schob nun gleichfalls mein Fenster hoch, kniete auf den Boden nieder und reckte den Hals hinaus, um mir den seltenen Anblick eines militaerischen Aufzuges nicht entgehen zu lassen. Aber es war ganz etwas anderes, was ich zu sehen bekam, etwas ganz spezifisch Amerikanisches. Gassenbuben und Strolche vorweg, dann eine uniformierte Kapelle und dann in Rotten zu vieren ein schlotteriger Parademarsch, inszeniert von einem politischen Boss und ausgefuehrt von einer Elitetruppe seiner Parteifreunde. Lauter freie Republikaner gesetzten Alters, wohl genaehrt, sauber und glatt rasiert, alle mit den gleichen gelben Gamaschen, denselben Schlipsen, denselben Hueten und denselben Bambusstoecken mit vernickelten Griffen, die sie wie die Gewehre aufrecht an die Schulter gedrueckt trugen, wie ehemals unser Militaer bei dem Griff "fasst das Gewehr an". Ein gerade zu Besuch anwesender Eingeborener erklaerte mir, dass die Parteikasse die Ausruestung an Gamaschen, Schlipsen, Hueten und Spazierstoecken stelle und diese oeffentlichen Umzuege ansehnlicher, sichtbarlich satter und zufriedener Mitbuerger von Zeit zu Zeit veranstalte, um dem Publikum zu beweisen, wie gut es sich unter den Fittichen ihrer Partei leben lasse. Ein unerhoert fetter schwarzer Schutzmann, der an der Strassenkreuzung postiert war, fuehrte vor Vergnuegen ueber diesen gelungenen Aufzug einen veritablen Cakewalk nach dem munteren Rhythmus der Musik aus, und mein Fenster putzendes Niggerlein jauchzte vor Vergnuegen ueber solchen grotesken Anblick und bewegte sich im Takte der Musik, als ob er ein tanzendes Zirkuspferd zwischen den Schenkeln haette. Offenbar gehoerten der cancanierende Schutzmann und der reitende Fensterputzer gleichfalls der Partei der Demonstranten an und fuehlten sich durch den erhebenden Parademarsch ihrer Vertrauensmaenner in ihren patriotischen Gefuehlen angenehm gekitzelt. - Bis der letzte Hauch der Blechmusik verklungen war, dachte selbstverstaendlich der farbige Juengling gegenueber nicht daran, sein Fenster wieder vorzunehmen. Dann aber griff er tief aufseufzend wieder zum Wischtuch und hielt es nachdenklich in der Hand, waehrend seine schwarzen Sammetaugen sich bekuemmert an den dummen Fensterrahmen hefteten, der so gar keine Miene machte, von selber zu ihm herunter zu kommen. Ploetzlich kam wieder Leben in die schier erstarrte Gestalt. Master Kinkywoolly drehte den Kopf ueber die Schulter und aeugte hoechst gespannt die Avenue hinauf. - Wahrhaftig, noch eine Parade! Mehrere Dutzend Geistliche der Stadt, paarweise nebeneinander in schwarzen Talaren. Und statt der Bambusrohre mit Nickelknoepfen schulterten sie ihre Regenschirme. Die schwarzen Herren waren auf dem Wege zum Oberbuergermeister, um feierlich bei ihm vorstellig zu werden, dass er die fromme Quaekerstadt beschuetzen moege vor dem Satansgreuel der Salome von Richard Strauss, deren Auffuehrung in Philadelphia eine fremde Operntruppe angekuendigt hatte. Es waere eigentlich passend gewesen, dass der fette schwarze Schutzmann an der Strassenkreuzung bei dieser Gelegenheit den Tanz der sieben Schleier aufgefuehrt haette. Aber er schien zu Richard Strauss und seiner Kunst noch nicht Stellung genommen zu haben, denn er liess die Parade ohne sichtliche Gemuetsbewegung vorueberziehen und sorgte nur dafuer, den Wagenverkehr derweil zu baendigen. - Mein Fensterputzer stierte bloed der schwarzen Prozession nach, bis sie um die Ecke verschwunden war; dann fuehrte er mit seinem kalt gewordenen Spielbein einige Freiuebungen aus und war eben dabei, tatsaechlich seinen Schwamm ins Wasserbecken zu tauchen, um vielleicht doch den Versuch einer fluechtigen Waesche von aussen zu wagen, als es vom naechsten Kirchturm zwoelf schlug. Der Schwamm flog ins Becken, das Bein ueber das Fensterbrett und der schwarze Juengling davon zum schwer verdienten Lunch. Ich vermute, dass er am naechsten Ersten um eine Lohnerhoehung eingekommen ist. (M32) Das Beispiel dieses schwarzen Fensterputzers duerfte einigermassen typisch sein fuer den Eifer, mit dem haeusliche Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten verrichtet werden. Gewiss arbeitet ein frisch von Europa eingewandertes Hausmaedchen fleissiger und gruendlicher, dafuer ist es aber auch sehr viel anmassender und sehr viel schwieriger zu behandeln als der Niggerboy, der doch wenigstens freundlich grinst und danke sagt, wenn er ein Trinkgeld kriegt. Ja, die Dienstbotennot ist wirklich die Frage aller Fragen, nicht nur fuer die Hausfrau des amerikanischen Mittelstandes. Die ganz reichen Leute freilich leisten sich einen englischen _Butler_ (Haushofmeister), einen franzoesischen _Valet de chambre_, einen italienischen Koch, einige griechische Lakaien von klassischer Gesichtsbildung und unbezahlbarer Frechheit und etliche appetitliche irische Maedchen. Fuer Geld, d. h. fuer sehr viel Geld ist natuerlich auch eine aristokratisch luxurioese, gut gedrillte Dienerschaft in den Vereinigten Staaten zu haben; aber die Leute von mittlerem und kleinem Vermoegen, also von einem Einkommen, wie es hier unsere armen Schlucker von Regierungspraesidenten, Generalmajoren, Oberpostdirektoren und beliebten Schriftsteller besitzen, koennen sich eine perfekte Koechin und noch ein tuechtiges Stubenmaedchen dabei schwerlich leisten. Denn eine Koechin, die etwas Essbares zu kochen imstande ist, duerfte unter 100 Mk. Monatslohn nicht zu haben sein, und 10 Dollars muss man sogar fuer einen frisch importierten, unerprobten Besen schon anlegen. Sind diese Damen bereits ein paar Monate im Lande, so dass sie sowohl von der Sprache wie von dem Wesen ihrer staatsbuergerlichen Rechte einigen Begriff haben, so machen sie mit ihrer Herrschaft einen Vertrag mit zahlreichen Paragraphen, welche genau ihre Pflichten und Rechte festlegen. Darin ist bestimmt, dass sie ausser dem Sonntag, an welchem sie nur morgens die Schlafzimmer aufzuraeumen haben, noch an einem Wochentag ausgehen, ferner das _Parlor_ (Wohnzimmer) bei Besuchen ihrer Freunde und Verwandte mitbenutzen und selbstverstaendlich ohne Kuendigung abziehen duerfen, sobald es ihnen beliebt. Irgendwelche schwere oder schmutzige Arbeit verrichten diese Damen grundsaetzlich nicht, dazu muessen extra Nigger, Chinesen, Polacken oder dergleichen Kroppzeug gehalten werden. Verlangt die Hausfrau irgendwelchen Dienst von ihnen, der nicht kontraktlich stipuliert oder landesueblich einbegriffen ist, so entgegnet ihr das Fraeulein achselzuckend: "_That's not my business, Ma'm_" - und fertig. Ein Maedchen, das fuer die Kueche angestellt ist, wird beispielsweise um keinen Preis dem Hausherrn einen Knopf annaehen; und ein Hausmaedchen wird sich auch im Falle der hoechsten Not schwerlich herbei lassen, ein Kind aufs Toepfchen zu setzen. Einer geborenen Amerikanerin zumuten zu wollen, die Stiefel zu putzen, waere ungefaehr gleichbedeutend mit schwerer koerperlicher Misshandlung. Eine junge deutsche Dame, die einen amerikanischen Landsmann geheiratet hatte, erzaehlte mir, dass sie, um den Schwierigkeiten der Dienstbotenwirtschaft zu entgehen, sich eine alte, treu anhaengliche Dienerin mitgebracht habe, die schon 14 Jahre in der Familie gewesen war. Nach drei Wochen bereits habe sie ihr die Stiefelbuerste vor die Fuesse geworfen und erklaert, dass sie sofort heimreisen werde, wenn ihr solche entwuerdigende Zumutung noch laenger gestellt wuerde. An einer Frauenuniversitaet, an der ich eine Vorlesung gehalten hatte, wurde mir das einzige fuer maennliche Gaeste reservierte Zimmer zum Uebernachten angewiesen, in welchem der Herr Bischof untergebracht zu werden pflegte, wenn er zur Kirchenvisitation kam. Ich entdeckte im Badezimmer ein schoen poliertes Mahagonikaestchen, und als ich es neugierig oeffnete, fand ich darin ein komplettes Wichszeug vor. Der Herr Bischof musste sich also auch hoechst eigenhaendig seine Stiefel putzen, da es im Gebiete der Damenuniversitaet natuerlich keinen oeffentlichen Wichsier gab. Dass gerade gegen die ehrenhafte Betaetigung des Stiefelputzens ein solches Vorurteil besteht, ist um so merkwuerdiger, als der freie Amerikaner niederen Standes es sonst durchaus nicht fuer unter seiner Wuerde haelt, seine Karriere als Inhaber eines Strassenwichsstandes zu beginnen und als nicht wenige der heutigen Multimillionaere in diesem Geschaeft den Grundstock ihres Vermoegens legten! (M33) Deutsche Dienstmaedchen gibt es schon lange kaum mehr; die meisten der Damen, die so anfingen, fahren heute in ihrem eignen Auto spazieren. Denn wenn sie auch nur eine Ahnung von der edlen Kochkunst hatten und einigermassen nett anzusehen waren, wurden sie mit Wonne von besser situierten Landsleuten geheiratet. Auch die einstmals als Hausmaedchen besonders beliebten Irinnen trifft man heute hoechstens noch in sehr vornehmen Hotels in dieser Stellung an. Im Westen soll es noch schlimmer sein als im Osten. In San Franzisco verdient ein Maurer 7 $, also gegen 30 Mk. pro Tag! Selbstverstaendlich denken seine Toechter nicht daran, in Dienst zu gehen, auch nicht in die Fabrik. Sie spielen lieber Klavier und gehen in echten Ponypelzen spazieren. Gegenwaertig sind Ungarinnen besonders gefragt, und wer eine solche dralle, hochgestiefelte Pusstadirne nicht erschwingen kann, der nimmt mit einer Kroatin, Slowakin, Ruthenin oder dergleichen vorlieb. Wer aber dem ewigen Aerger und der ewigen Angst, ob er morgen noch auf die Unterstuetzung seiner Perle zu rechnen oder abermals den Gang aufs Mietsbureau anzutreten haben werde, seiner Konstitution nicht zutraut, oder als echter Demokrat zu feinfuehlig ist, um Menschen seinesgleichen, freie Mitbuerger in unwuerdiger Abhaengigkeit zu erhalten, der verzichtet ueberhaupt auf haeusliche Dienstboten. Und zu diesen vernuenftigen Leuten gehoeren fast alle Maenner, die das Glueck hatten, eine Frau zu erwischen, die von Kueche und Haushalt etwas versteht, und der eine rege Betaetigung im eignen Heim mehr Freude macht, als das fade Gesellschaftsleben und die Hetze von Verein zu Verein, von Vergnuegen zu Vergnuegen. (M34) An einem sonnigen Sonntagvormittag traf ich beim Spaziergang durch eine der reizenden laendlichen Universitaeten des Nordens eine meiner neuen Bekanntschaften von einem Diner am vorhergehenden Abend. Es war ein hochgewachsener, schlanker junger Herr in den Dreissigern, der in einen hoechst eleganten Sealskinpelz gehuellt, einen glaenzend gebuegelten Zylinderhut auf dem Kopf und eine edle Havanna mit goldfunkelnder Leibbinde zwischen den kostbar plombierten Zaehnen - einen eleganten Kinderwagen mit Inhalt vor sich herschob! Lebhaftes Interesse fuer seinen gluecklicherweise schlummernden Sproessling heuchelnd, begruesste ich den Herrn Professor. Er mochte mir wohl anmerken, dass mir begriffsstutzigen Europaeer seine vaeterliche Betaetigung in diesem Aufzuge etwas sonderbar vorkomme und erklaerte mir aus freien Stuecken den Zusammenhang. "_Look here_", sagte er, "wir sind jung verheiratet, wir haben nur ein kleines Haus und ein kleines Einkommen; wir koennen uns keine Dienstboten halten - ausserdem ziehen wir es vor, in unserer zaertlichen jungen Ehe unbeaufsichtigt zu bleiben und wollen uns nicht den halben Tag den Kopf darueber zerbrechen, wie wir aus unserer Mary oder Jane die groesstmoegliche Arbeitsleistung herausziehen koennten, ohne ihrer Empfindlichkeit als Mitbuergerin zu nahe zu treten. Wir haben nur eine alte Negerin zur Hilfe, die vormittags zwei Stunden die groeblichere Arbeit verrichtet, und einen Mann, der alle Wochen einmal die Asche aus dem Zentralfeuerloch im Keller ausraeumt und die Muellkasten vor die Tuer stellt; alles andere besorgen wir selbst. Sehen Sie, heute frueh z. B. habe ich zunaechst, wie alle Tage, das Feuer in der Zentralheizung geschuert und Kohlen nachgefuellt, dann habe ich Kaffee gekocht, da meine Frau nicht ganz wohl ist, und das Fruehstueck fuer uns beide hergerichtet. Dann habe ich, weil es in der Nacht lustig geschneit hat, vor unserer Haustuer und auf dem Trottoir Schnee geschippt und darauf mich wieder in einen Gentleman verwandelt. Da es darueber fuer die Kirche zu spaet geworden war, habe ich vorgezogen, meine Sonntagsandacht in Gesellschaft meines vorlaeufig einzigen Sohnes durch ein edles Rauchopfer im Sonnenschein zu verrichten. Zum Luncheon behelfen wir uns mit kalter Kueche, und wenn meiner Frau bis abends nicht besser wird, so nehme ich mein Dinner im Klub, nachdem ich ihr eine Suppe gekocht und eine Konservenbuechse gewaermt habe. Vor dem Schlafengehen schuette ich dann noch einmal im Keller Kohlen auf die Heizung, und damit habe ich alles getan, was die Haushaltungsmaschine braucht, um regelrecht zu funktionieren." "Sehr schoen," sagte ich in ehrlicher Anerkennung. "Aber das nimmt Ihnen doch sehr viel Zeit weg. Und wenn Sie nun frueh morgens eine Vorlesung haben, was machen Sie dann?" "_Well_, dann stehe ich eben eine Stunde frueher auf," lachte er vergnuegt, "und gehe abends eine Stunde frueher ins Bett. Das ist sehr gesund. Ich habe immer acht Stunden guten Schlaf, und wenn die Frau wohlauf ist, kostet mich mein Anteil an der Hausarbeit kaum mehr als eine Stunde am Tag. Wir haben es noch nie bereut, die Wirtschaft mit den Dienstboten ueberhaupt erst gar nicht probiert zu haben. Und dabei brauchen wir noch nicht einmal auf Geselligkeit im Hause zu verzichten. Wie haben schon einmal 50 Leute eingeladen gehabt." "Nicht moeglich! Wie haben Sie denn das angestellt?" "O, sehr einfach. Wir besitzen Service fuer 12 Personen, also waren wir 12 Personen zum Lunch. Natuerlich haben wir kein Esszimmer, in dem 12 Personen bei Tische sitzen koennten, es musste sich also jeder setzen, wo er gerade Platz fand. Dann kriegte jeder einen Teller, eine Serviette und ein Besteck, und darauf wurden die Schuesseln, eine nach der anderen, herumgereicht - alles auf denselben Teller. Bei einigem guten Willen geht es schon, und meine Frau kann wirklich kochen. Natuerlich hatten wir dabei Hilfe, aber nicht etwa bezahlte Maedchen, sondern zwei meiner Studentinnen; die machen das viel intelligenter und netter. Nach dem Essen kamen dann die uebrigen 38 Personen - die wurden aber nur mit geistigen Genuessen traktiert. Ich las ihnen etwas vor, und eine meiner akademischen Aushilfskellnerinnen spielte, von meiner Frau begleitet, einige Floetensolos. Ausserdem konnten wir sogar noch mit der beruehmtesten Schoenheit von Pawtucket, Connecticut, die sich gerade auf der Durchreise befand, aufwarten!" - - Und so wie dieser junge Professor halten es die meisten vernuenftigen Amerikaner von aehnlicher gesellschaftlicher Position und Vermoegenslage. Wir waren einmal bei der Dekanin einer Frauenuniversitaet zu einem intimen Diner geladen. Waehrend des Essens stiess mich meine Frau unter dem Tisch mit dem Fusse und richtete meine Aufmerksamkeit durch ihre Blicke auf die bedienende Maid, die in ihrem weissen Kleid, mit dem weissen getollten Haeubchen auf dem ueppigen Blondhaar allerdings eine Sehenswuerdigkeit darstellte. Wir drueckten der Gastgeberin erst auf Deutsch, und als dies durch warnendes Raeuspern abgelehnt wurde, auf Franzoesisch, dann auf Italienisch unsere Bewunderung fuer dieses nicht nur ungewoehnlich huebsche, sondern auch ungewoehnlich intelligent aussehende Hausmaedchen aus. Da aber fing die ganze Gesellschaft zu kichern an, und die schoene Blondine bekam einen roten Kopf und hastete in groesster Verlegenheit hinaus. Und nun wurde uns anvertraut, dass dieses reizende Servierfraeulein eine junge akademische Kollegin von Fraeulein Professor sei, naemlich - die Privatdozentin fuer Sanskrit! (M35) Das Merkwuerdige an diesem kleinen Erlebnis soll nun nicht so sehr der Umstand sein, dass es in der neuen Welt bereits Privatdozentinnen fuer Sanskrit gibt, welche obendrein auch noch sehr huebsch sind, als vielmehr, dass in diesem angeblich so freien und vorurteilslosen Lande zwar die gebildeten Menschen keinerlei notwendige Arbeit scheuen und sich in der liebenswuerdigsten Weise gegenseitig in ihren haeuslichen Schwierigkeiten aushelfen, waehrend gerade die untersten, auf koerperliche Arbeit angewiesenen Staende die Lohnarbeit im Hause geradezu als eine Schande anzusehen scheinen. Obwohl es in dem Lande, wo die Dienstboten so hoch entlohnt werden wie nirgends in der Welt und mit zarter Ruecksicht wie die rohen Eier behandelt werden muessen, damit sie nicht gleich wieder fortlaufen, keifende Hausdrachen und grob anschnauzende Hausherrn wie bei uns wohl ueberhaupt nicht geben duerfte, ziehen doch die Maedchen die unangenehmste Arbeit in der Fabrik, den anstrengenden Laden- und Bureaudienst dem bequemen Schlaraffenleben als Haushaltsangestellte vor. Gehorchen zu sollen ist eben fuer den Amerikaner die furchtbarste Zumutung, die man ihm stellen kann. Er dient nur so lange, wie er es absolut noetig hat. Sobald er sich ein paar Dollar zurueckgelegt hat, sucht er sich selbstaendig zu machen. Bei dem elenden Dasein eines kleinen Handelsmannes, der auf der Strasse Ansichtspostkarten, Popcorn oder Kaugummi verkauft, fuehlt er sich zehnmal stolzer und zufriedener, als in der bequemsten haeuslichen Stellung, in der er sich einem fremden Willen unterzuordnen hat. Es kommt noch dazu, dass dem Buerger der Neuen Welt nicht nur jedes Gefuehl fuer die Schoenheit und Wuerde des sich Einfuegens in ein patriarchalisches Abhaengigkeitsverhaeltnis von Herr und Knecht, von Meister und Geselle, sondern auch jeglicher Zunftstolz abgeht, jegliche Liebe zu dem Handwerk etwa, in das einer hinein geboren oder fuer das einer bei uns erzogen wird. Im Grunde genommen sind die Menschen drueben alle Spieler und Gluecksritter. Sie ergreifen ohne langes Besinnen, was sich ihnen gerade bietet, und treiben es nur so lange - _until a better job turns up_ -, bis sich eine bessere Sache bietet. Jeder junge Mensch drueben fuehlt sich einfach zu allem berufen. Wenn er heute aus Hunger zugreifen und sich in den weissen Anzug eines New Yorker Strassenkehrers stecken lassen muesste, so zweifelte er darum doch keinen Augenblick daran, dass er berufen sein koennte, uebers Jahr bereits Teilhaber einer Minenausbeutungsgesellschaft in Oklahama zu sein und auf der Hoehe seines Lebens in den Senatspalast von Washington einzuziehen. Es ist eigentlich niemand etwas Gewisses in diesem Lande; selbst bei meinem Kollegen, dem erfolgreichen Dramatiker, bin ich nicht sicher, ob er nicht uebers Jahr Flugmaschinen fabriziert oder Truthaehne en gros zuechtet. Daher kommt es, dass auf dem Gebiete der persoenlichen Dienstleistungen und des handwerklichen Betriebs keine fachmaennische Tuechtigkeit und Zuverlaessigkeit existiert. In Madison (Wisconsin) liess ich mir einen zerbrochenen Zeiger an meiner Uhr durch einen neuen ersetzen. Als ich nach Hause kam, stellte sich heraus, dass der neue Zeiger sich absolut nicht bewegte. Der angebliche Uhrmacher, der ihn eingesetzt hatte, war vermutlich vorgestern noch Verkaeufer in einer geraeucherten Fischwarenhandlung gewesen. In New York wollte ich mir eine Kleinigkeit an einem silbernen Stockgriff loeten lassen. Man schickte mich von Pontius zu Pilatus ueber fuenf Instanzen hinweg; endlich, in einer Silberwarenfabrik, erbot sich der Besitzer nach vielen Bedenklichkeiten und Hin- und Herreden ueber Wetter und Politik, einen seiner Arbeiter zu ersuchen, die Kleinigkeit zu besorgen. Ich bekam auch wirklich schon nach ein paar Minuten meinen Stock zurueck. Der aeusserst geschickte Silberarbeiter hatte das losgeloeste Monogramm allerdings mit dem Loetrohr befestigt, dabei aber den oberen Rand des Stockes zu Kohle verbrannt. Und als ich mit dem reparierten Gegenstand daheim anlangte, musste ich die Entdeckung machen, dass das Monogramm endgueltig verloren war, nachdem es 14 Tage lang doch wenigstens noch an einem Faden gehangen hatte. Man gibt sich eben in diesem grossen Lande nicht gerne mit Kleinigkeiten ab. Was mit der Maschine nicht gemacht werden kann, das wird schlecht oder gar nicht gemacht, weil der Amerikaner seine Menschenwuerde so ueberaus hoch einschaetzt, dass er die Handarbeit und gar das persoenliche Dienstverhaeltnis verachtet. Darum strengt er auch seinen hellen Verstand auf das aeusserste an, um immer mehr notwendige Verrichtungen durch die Maschine besorgen zu lassen und die unumgaenglichen Handarbeiten tunlichst zu vereinfachen. Weil die Dienstboten so rar, so teuer und so ueberaus bequem sind, lieben sie z. B. das Messerputzen durchaus nicht, folglich hat man fast ausschliesslich Messer von Bronze in Gebrauch genommen, mit denen man zwar nicht schneiden kann, die dafuer aber auch durch einfaches Durchziehen durch heisses Wasser und Abtrocknen zu saeubern sind. Da es nun aber Messer mit einer scharfen Schneide nicht gibt, so kann es selbstverstaendlich auch keinen Braten geben. Das Roastbeef und das Gefluegel macht man durch Zerreissen zwischen Gabel und Messer einigermassen mundgerecht. Im allgemeinen aber richtet man die Speisen lieber gleich in einer breifoermigen Gestalt her, sodass sie nur einfach in den aufgesperrten Rachen hineingeschaufelt zu werden brauchen; man spart damit auch viel kostbare Zeit. Vorlaeufig findet ja noch ein starker Zustrom von slawischen, suedeuropaeischen und westasiatischen Voelkerschaften statt. So lange diesen noch nicht der Knopf aufgegangen ist, d. h. so lange sie sich ihrer Bedeutung als selbstherrliche Buerger der glorreichsten Republik der Welt nicht bewusst sind, geben sie sich ja noch teils aus Hunger, teils aus angeborener Knechtseligkeit zu Kellnern, Hausmaedchen und dergl. her. Aber, wie gesagt, immer nur bis der bessere "Job" auftaucht, dann gesellen sie sich alsbald der stolzen Klasse der selbstaendigen Unternehmer zu. Wenn nun aber einmal das Land voll ist, so dass es seine Tore vor den Einwanderern zusperren muss - wer soll dann all die haeusliche und sonstige, niemals voellig aus der Welt zu schaffende Handarbeit verrichten? Ich legte diese kniffliche Frage auch meinem hochverehrten Gastfreunde in Ithaka, Andrew D. White, dem frueheren Botschafter in Berlin, vor. Er wiegte bedenklich seinen schoenen weissen Gelehrtenkopf, und dann gab er mir verschmitzt laechelnd zur Antwort: "Ja, sehen Sie, wir Amerikaner sind eben Optimisten. Wir sagen: es ist noch immer gegangen, und dies wird auch gehen, so oder so. Warum sollen wir uns die Koepfe unserer Enkel zerbrechen?" (M36) Hm! allerdings - man hat schon Bronzemesser eingefuehrt und auf Braten verzichtet; man kann sich ja das Bett, das man jetzt schon allgemein abends selber aufdecken muss, auch morgens selber machen; man kann auch seine Frau hinten zuknoepfen, ohne an seiner Mannesehre Schaden zu leiden, aber man kann schliesslich doch nicht auf Wohnen, Schlafen, Essen, Kinderkriegen und Sterben im eignen Heim gaenzlich und unter allen Umstaenden verzichten. Und alle diese Notwendigkeiten setzen doch wenigstens unter gewissen Verhaeltnissen die Hilfe von Leuten voraus, die nicht gerade akademische Bildung oder ein Scheckkonto auf der Bank zu besitzen brauchen. Wo sollen die herkommen, wenn alle Amerikaner erst einmal selbstaendige Unternehmer geworden sind? Ich muss gestehen, mein beschraenktes Europaeergehirn ist, so oft es ueber diese Frage nachgedacht hat, schliesslich immer wieder zu demselben Schluss gekommen: _Die selbstlosen Idealisten der Vereinigten Staaten haben die Sklaverei mindestens 100 Jahre zu frueh aufgehoben!_ DIE KOCHKUNST DER YANKEES. Da ich mich in meinem vorigen Kapitel mit Koechinnen beschaeftigt habe, duerfte es angebracht sein, im Anschluss ein wenig in die amerikanische Kueche hineinzuleuchten. Nach dem unzweifelhaften Wahrwort, dass der Weg zum Herzen des Mannes durch den Magen fuehre, duerfte es noch sehr lange dauern, bevor Dame Dollarica sich in der kulinarisch gebildeten Maennerwelt einer auch nur annaehernd aehnlichen Beliebtheit erfreut wie Madame Marianne oder die Commare Italia oder die nahrhafte Tante Austria. In Dingen des guten Geschmacks tut es eben der Reichtum allein nicht, sondern die grosse Vergangenheit einer aristokratischen Kultur, und innerhalb dreier lumpiger Jahrhunderte entwickelt sich keine neue Rasse von Fressern zu Speisern. Wie lange ist es denn ueberhaupt her, dass sich die Besiedler der neuen Welt des Segens sicherer behaglicher Haeuslichkeit erfreuen? Viele der jetzt ueppig bluehenden Grossstaedte sind ja erst ein paar Jahrzehnte und nur ganz wenige ueber ein Jahrhundert alt. Der wuesten Raubbau treibende angelsaechsische Kolonist, der meist unbeweibt in selbstgezimmertem Blockhause hauste, briet sich ueber dem offenen Feuer am Spiess seinen Fetzen Fleisch und manschte sich aus den ihm zugewachsenen Zerealien irgend etwas zurecht, was einer geniessbaren Speise vielleicht entfernt aehnlich sah. Als dann im 18. und 19. Jahrhundert die weibliche Zuwanderung sich hob, fanden die mit der Kochkunst einigermassen vertrauen Frauen - unter den Britinnen sind sie nicht besonders haeufig - eine Maennerwelt vor, die einfach mit allem zufrieden war, was ihr vorgesetzt wurde. Erst in neuester Zeit, als die Vereinigten Staaten willige und splendid zahlende Abnehmer fuer alle Luxusprodukte der alten Welt wurden, begannen auch bewaehrte Meister der Kochkunst ueber den Ozean zu ziehen; aber die traten selbstverstaendlich nur in den Dienst der vornehmsten Hotels, der teuersten Restaurants und der Milliardaere ein und konnten folglich nicht fuer die breite Masse des maessig begueterten Buergertums erziehlich wirken. Die amerikanischen Esser sind die dankbarsten der Welt, weil ihnen im Vergleich zu ihrer barbarischen Kueche natuerlich die Speisekarte der Kulturvoelker lauter ueberraschende Offenbarungen bietet. (M37) Die unkultivierte Kindlichkeit des Geschmacks offenbart sich denn auch in Amerika nirgends deutlicher als auf dem Gebiete der Kueche. Das Haupterfordernis der Essbarkeit ist fuer den Yankee die Suesse. Alles, was suess ist, schmeckt ihm ausgezeichnet. Bezeichnenderweise ist es mir trotz groesster Muehe nicht gelungen, irgendwo in den Vereinigten Staaten ein Mundwasser aufzutreiben, das nicht schauderhaft verzuckert gewesen waere. So ist Suessigkeit das erste, was der Yankee, sobald er sich dem Schlaf entwunden, in den Mund bekommt. Seinem ersten Fruehstueck geht der Genuss von Fruechten: Orangen, Grapefruit oder Melonen voran, die unter einem Berge von Streuzucker mit dem Loeffel hervorgegraben werden. (Nebenbei gesagt: das Fruchtessen vor dem Fruehstueck ist die einzige nationale Speisesitte, die ich Europaeern zur Nachahmung empfehlen moechte. Die wundervoll saftige Grapefruit mit ihrem Chiningehalt besonders ist hoechst erfrischend und bekoemmlich.) In einem ueppigeren Haushalt ist schon der Fruehstueckstisch reicher gedeckt als bei uns manche Mittagstafel. Beefsteak, Hammelkotelette, Fischgerichte, kalter Aufschnitt verschiedenster Art werden von den Maennern bevorzugt, waehrend die Frauen und Kinder eine grosse Auswahl der zum Teil wunderlichsten Eier- und Mehlspeisen zur Verfuegung haben. Weizen, Korn, Gerste, Mais, Hirse, Buchweizen, Hafer, Reis, kurz: alle erdenklichen Getreidearten erscheinen in der Form von Gruetze, Graupen, Flocken, Faeden oder papierduennen Schnipfeln, roh, gekocht oder geroestet und werden groesstenteils mit Rahm und sehr viel Zucker angeruehrt. Duenne Eierkuchen werden mit uebersuessen Fruchtsaeften uebergossen, und der Toast sowie die meist gleichfalls suessen Semmeln mit Fruchtgelees und Marmeladen bestrichen. Diese Vorliebe fuer den Genuss von Suessigkeiten von Tagesanbruch ab ist aber durchaus nicht etwa auf die Frauen und Kinder oder auf die wohlhabenden Klassen beschraenkt, sondern sie ist ganz offenbar eine nationale Raserei. Es gibt in den Vereinigten Staaten keine Cafes im Wienerischen Sinne. Als ich daher einmal auf dem Broadway ein Wirtshausschild mit der Aufschrift "Coffeehouse" erblickte, stuermte ich begeistert in das Lokal. Es war eine grosse reinliche Halle, die Diele mit Sand bestreut, ohne Tische und Stuehle, nur den Waenden entlang zogen sich Holzbaenke, die durch Zwischenwaende in einzelne Sitze eingeteilt waren, und auf diesen trennenden Seitenwaenden waren genuegend breite, rund geschnittene Bretter angebracht, um eine Tasse und einen Teller daraufstellen zu koennen. Am Kopfende der Halle befand sich ein riesiges Buffet, auf dem die herrlichsten Kuchen und Torten aufgebaut waren, sowie zwei blitzblanke vernickelte Samovars fuer Tee und Kaffee. Das Publikum dieses eigenartigen Kaffeehauses bestand aber ausschliesslich aus Droschkenkutschern, Chauffeuren, Messenger Boys, Policemen und Arbeitern. Keine Frau betrat das Lokal. Kaffee gab es reichlich und anstaendig, und den ganz vorzueglichen und fuer New-Yorker Verhaeltnisse sehr billigen Schaum- und Fruchttorten, Apfelkuchen mit Schlagrahm und Minced Pie sprach dieses robuste Mannsvolk mit dem Behagen schleckermaeuliger Schuljungens zu. (M38) Die eigentliche Nationalspeise ist keineswegs das Roastbeef oder der hochfestliche _Turkey_ (Puter), sondern der _Icecream_, das Gefrorene. Icecream wird Winters und Sommers von mittags bis Mitternacht verzehrt von Alt und Jung, von Hoch und Niedrig; Icecream besaenftigt die ungebaerdigen Saeuglinge; Icecream gilt als Vorspeise, als Dessert, als Kompott sogar; er kehrt bei grossen Diners mehrmals im Laufe der Speisenfolge als Zwischenaktsmusik wieder, er ersetzt den verpoenten Alkohol und bewirkt, dass die Amerikaner sich der besten Zahnaerzte der Welt erfreuen - denn das schroffe Durchsetzen siedheisser Suppen und gluehender Breie mit Eiswasser und Icecream koennen selbst die besten Gebisse nicht vertragen. Der Schmelz springt ab, und die vom ewigen Zuckerschleimstrom umspuelten, schutzlosen Zaehne sind der Karies rettungslos preisgegeben. Infolgedessen hat jedermann fortwaehrend den Zahnarzt noetig, und man braucht sich nicht zu wundern, Kanalausraeumer und schmierige Nigger mit so viel Gold im Munde zu sehen wie die koestlichste Maimorgenstunde. (M39) Ich habe bereits im vorigen Kapitel darauf hingewiesen, wie durch den Mangel an Dienstpersonal die Kueche und die Tafelgewohnheiten beeinflusst werden. Ich bemerkte, dass durch den Mangel an scharfen Messern mit schwer zu putzenden Stahlklingen ein Braten zu einer schwer zu bewaeltigenden Speise geworden sei. Folglich kommen gekochtes Rindfleisch, Schmorbraten, Sauerbraten, Kalbs- und Hammelsruecken oder Schlegel so gut wie gar nicht auf den Tisch. Das nationale angelsaechsische blutruenstige Roastbeef, drueben jedoch nicht so, sondern _Prime rib of Beef_ genannt, muss man von der Gabel mittels des stumpfen Bronzemessers abzustemmen versuchen, wenn man nicht vorzieht, den ganzen Fladen in den Mund zu nehmen und mittels der Gabel oder der Finger durch die Zaehne zu ziehen. Uebrigens sind diese Ochsenrippenstuecke neben den sehr ueppigen und teuren Rinds- und Hammelsteaks das einzige gebratene Fleisch, welches wirklich schmackhaft zubereitet zu sein pflegt, waehrend Kalbskoteletten und Schnitzel meistens ungeniessbar sind. Als niedliches Kuriosum moechte ich erwaehnen, dass ich einmal bei einem Sonntagsdiner Honig als Kompott zum Roastbeef angeboten bekam! Gefluegel wird sehr viel mehr als bei uns gegessen. Es wird zu unwahrscheinlichen Dimensionen herangezuechtet. Ich habe Hennen gesehen, die so hoch waren wie ein Storch und so fett wie ein Mops; aber das Fleisch dieser abnorm grossen Tiere ist dafuer auch wenig zart, und die Keulen besonders bekommen einen ganz anderen Charakter als das Brustfleisch; es wird beim Braten braun und muerbe, waehrend das weisse Fleisch trocken und charakterlos bleibt. Meistens wird einem aber der Genuss selbst eines wohlgeratenen jungen Hahns durch eine pappige, suessliche Mehltunke verkuemmert. Da das Tellerabwaschen die Geduld des feinnervigen Kuechenpersonals auf eine zu harte Probe stellen wuerde, so muss man sich, wenigstens in Haushaltungen bescheideren Stils, die ganze Mittags- oder Abendmahlzeit einschliesslich des Kompotts auf ein und denselben Teller packen. In dem Boardinghouse bester Art, in dem wir in New-York wochenlang lebten, bestand die sonderbare Sitte, dass nach der Suppe warme Teller mit einem Kleckschen Fisch, etwa von Daumendicke und -laenge, verabfolgt wurden, selbstverstaendlich in einer seimig-suessen Sauce versteckt. (Uebrigens sind die Fische des Atlantischen Ozeans auf der amerikanischen Seite wenig schmackhaft; wirkliche Delikatessen findet man nur unter den Fluss- und Suessseefischen.) Nachdem der Fischbissen verschluckt, beziehungsweise misstrauisch auf den hohen Rand geschoben war, wurde der ganze Tisch voll kleiner Platten gestellt: verschiedene Fleischsorten verwischten Charakters, unseren Klopsen, falschen Hasen, Bouletten, Rouladen und dergleichen aehnlich, in irgendeiner mehlweissen oder kapuzinerbraunen Schmiere halb versunken, das unvermeidliche Chicken, dazu verschiedene Gemuese, unter denen gruene Erbsen, Lima-Bohnen und Blumenkohl die geniessbarsten, sowie Kartoffeln in mehrerlei Aufmachung, in der Schale im ganzen gebacken - man bricht sie auf und schaelt sie mit dem Teeloeffel heraus; recht empfehlenswert - oder als Brei, oder klossartig, oder gebraten. Niemals fehlen auf dem Tische die beliebten _Sweet Potatoes_, Gebilde von Gurkenausdehnung, vor denen ich Fremdlinge eindringlichst warnen moechte, denn sie sehen wie gezuckerte Glyzerinseife aus und schmecken leider auch so aehnlich. All diese Genussmittel, noch um diverse eingekochte Fruechte vermehrt, arrangiert man sich nun nach Geschmack und Talent auf seinem Fischteller, und man kann von Glueck sagen, wenn einem die Graeten nicht in die gruenen Erbsen, das Kompott nicht in die ausgehoehlte Kartoffelpelle und die Huehnerknochen nicht in den falschen Hasen geraten. Echte Hasen gibt es ueberhaupt nicht. Der Ersatz dafuer, und ueberhaupt das einzige einheimische Wild, ist das hasenfarbige _Rabbit_ (Kaninchen), das die Natur da drueben aus Kautschuk verfertigt zu haben scheint - moeglicherweise wird es aber auch aus Abfaellen der Schuhfabrikation kuenstlich hergestellt. Alles uebrige Wild haben die begeisterten Freischuetzen in den kultivierteren Staaten schon laengst abgeschossen - bis auf die Ratten und die Klapperschlangen. Hat man die essbaren Bestandteile der wuesten Speisenaufhaeufung auf seinem Universalteller herausgefuttert, so bilden die Ueberbleibsel ein aesthetisch reizvolles Stilleben. Sind sie endlich entfernt, so erscheint als eiserner Bestand jedes amerikanischen Menues sowohl im Hotel ersten Ranges, wie auf dem einfachsten buergerlichen Mittagstisch der Salat, der niemals in einer Schuessel herumgereicht, sondern immer fertig auf winzigen flachen Tellerchen einem vorgesetzt wird. Mich wundert, dass noch kein Yankeedichter diesen Salat besungen hat, denn in ihm feiert die Phantasie des amerikanischen Kochkuenstlers orgiastische Triumphe. (M40) Ich glaube, es gibt in den drei Naturreichen nichts, was nicht in solch einem amerikanischen Salat zu finden waere. Den Grundstock bilden ein bis drei grosse gruene Blaetter, die nicht unbedingt der Salatstaude zu entstammen brauchen. Darauf werden einige Tropfen Essig und Oel geschuettet und auf dieser Unterlage ein mehr oder minder kuehner Aufbau von allem moeglichen und unmoeglichen Suessem, Sauerem, Salzigem, Bitterem, Hartem, Weichem, Fluessigem, Geniessbarem und Ungeniessbarem vollzogen. In einem feinen Hause, in dem sich die Hausfrau selbst auf ihre Kochkunst viel zugute tat, wurde beispielsweise eine solche Salatdichtung mit ausserordentlichem Beifall beehrt, deren Komposition ich dem Augenschein und der Zunge nach ungefaehr folgendermassen analysieren moechte: zwei Blaetter Salat mit je fuenf Tropfen Essig und Oel, darauf eine Scheibe frische Tomate, eine viertel Scheibe Ananas, etwas weisses Huehnerfleisch, einige Scheiben Radieschen, einige gepickelte Erbsen und Karotten, ein Klecks Butter, mit Streuzucker durchgeruehrt, ein Teeloeffel Schokoladencream und eine Rumkirsche als Turmknopf oben drauf. Totaleindruck auf Zunge und Gaumen zauberhaft; schmeckt - wie mein Freund, der Rechtsanwalt in Landau, sagen wuerde - wie Oel und Werg! Diese kulinarische Offenbarung erfolgte aber, wie gesagt, in einem Hause, dessen Herrin ihren Xenophon in der Ursprache zu lesen vermochte. In minder gebildeten Familien ist man natuerlich weniger waehlerisch und verwendet zur Salatbereitung die naechstliegenden Gegenstaende, also in erster Reihe die mehr oder minder traurigen Ueberreste frueherer Mahlzeiten, soweit sie essbaren Naturprodukten einigermassen noch aehnlich sehen. Fehlt es aber zum Beispiel an gepickelten Spargelspitzen, so kann man dazu auch einen klein geschnittenen Spazierstock verwenden, da die Spazierstoecke drueben ausser Mode gekommen sind, und statt der Fleischbeigaben die Reste in Gedanken stehen gebliebener Gummigaloschen, die die Trueffel taeuschend ersetzen, zumal, wenn sie vorher in sauren Rahm eingelegt und dann mit braunem Zucker kandiert werden. Salat von Fischgraeten, Kalmus und Bananen, mit roten Pfefferschoten und Knallerbsen garniert, soll auch sehr gut sein; ich habe ihn aber nicht gegessen, sondern nur nach einer besonders anregenden Mahlzeit - ertraeumt! Den Fruchttorten, die man an Stelle der Mehlspeisen zum Nachtisch reicht, wird regelmaessig ein derbes Stueck Kaese beigefuegt; zu welchem Zwecke, weiss ich nicht. Als ich zum erstenmal diese Zusammenstellung erblickte, steckte ich den Kaese instinktiv in die Westentasche; ich hielt ihn fuer ein Stueck Radiergummi, den ich in meinem Geschaeft immer brauchen kann. Befindet sich Obst auf dem Tische, so nehme man sich davon beizeiten und reichlich, fuelle auch womoeglich seinen Pompadour damit an, denn alles Obst ist in Amerika von ganz vorzueglicher Qualitaet - und man weiss ja nie, wie's kommen mag! Was meine Person betrifft, so muss ich gestehen, dass ich mich waehrend der ganzen Boardinghouse-Periode kuemmerlich von Austern und Hummern genaehrt habe, denn die sind von unvergleichlicher Guete, Groesse und Nahrhaftigkeit und nebenbei auch das einzige amerikanische Produkt, das man - neben Stiefeln - als billig bezeichnen kann. Europaeer von noch nicht genuegend fortgeschrittener Perversitaet moechte ich jedoch vor den _Clams_ warnen, einer kleinen, lachsfarbenen Muschelart, deren penetranter Nachgeschmack einen besseren Neurastheniker zum Selbstmord verfuehren koennte. Die raffinierten Schlemmer unter den Yankees sind uebrigens sehr selten, und ihre Begierde wandelt andere Pfade wie die des europaeischen Geniessers. Im vornehmsten Hotel in Buffalo "Zum Irokesen" sollte ich zum erstenmal die Bestimmung eines geheimnisvollen Utensils kennen lernen, das mir schon in vielen Hotels und Restaurants aufgefallen war: ein massives, etwa einen halben Meter hohes, zylindrisches Silbergeraet mit einer oben herausragenden, durch einen derben Querbalken betaetigten Schraube. Ein einsamer Speiser liess sich an einem Nebentisch nieder, dessen Bestellung sogleich eine Menge Kellner in aufgeregte Bewegung versetzte. Offenbar war dieser wuchtige Geselle mit dem roemischen Imperatorenkopf ein Geniesser hoeherer Grade. Nach laengerer Zeit brachte man eine grosse verdeckte silberne Schuessel, die auf ein Spiritusrechaud gestellt wurde. Zwei Kellner trugen dann jenen raetselhaften schweren Silbergegenstand herbei und schraubten dessen obere Haelfte ab. Darauf hob der Oberkellner mit feierlicher Miene den Deckel der Silberschuessel auf und spiesste von den beiden darunter befindlichen, leicht angebratenen Voegeln (Enten waren es meiner Meinung nach) einen auf und pfropfte ihn mit Muehe in jenen Zylinder hinein, worauf das Oberteil wieder aufgesetzt und nunmehr die Schraube mit Anstrengung beider Haende betaetigt wurde. Aus einer Ausflussoeffnung am Boden des Gefaesses rann dickes, schwaerzliches Blut in eine vorgehaltene Schale. Dieses Blut wurde mit allerlei Gewuerzen angeruehrt und schliesslich als Sauce ueber den anderen halb rohen Vogel gegossen. Dieses kannibalische Gericht verzehrte der Einsame mit dem Gleichmut eines Lukull. Ich erinnere mich nicht, ob er Tee dazu getrunken hat. Zu verwundern waere es weiter nicht gewesen, da der Yankee auch die opulentesten Mahlzeiten mit Eiswasser, Tee oder Kaffee hinunter zu spuelen pflegt. (M41) Der Fremde, dessen Mittel nicht ausreichen, in erstklassigen Hotels und Restaurants zu speisen, und der sich mit der Yankeekueche gewoehnlichen Schlages nicht zu befreunden vermag, faehrt am besten, wenn er sich in eines der zahlreichen, meist billigen und einfach gehaltene Speisehaeuser begibt, die seine heimische Kueche pflegen. Man kann in dem teuren New York, und wohl auch in den meisten der ganz grossen Staedte, franzoesisch, deutsch, italienisch, griechisch, polnisch, ungarisch, chinesisch und koscher essen. Namentlich an guten, sehr billigen italienischen Lokalen, in denen es noch einen trinkbaren Wein gratis gibt, ist in New York wenigstens kein Mangel. Dagegen habe ich wienerische Speiserestaurants ebenso schmerzlich wie Wiener Cafes vermisst. Ich meine, hier waere noch eine Kulturmission fuer die Einwanderer der oesterreichischen Kronlaender zu erfuellen. Wenn ich drueben irgendwo ein Stueck Rindfleisch mit Beilage, wie bei Meisl & Schaden, vorgesetzt bekommen haette, ich haette es knieend verzehrt und hernach stehend die oesterreichische Nationalhymne gesungen. Und die Einfuehrung des Berliner Systems Kempinski, naemlich eine grosse Auswahl von Gerichten in tadelloser Qualitaet zu einem sehr billigen Einheitspreis zu geben, koennte eine Revolution des Ernaehrungswesens drueben hervorbringen. Bis dahin muss der deutsche andachtsvolle Geniesser mit heisser Liebe seine wohlhabenden Landsleute umbuhlen, denn es sind drueben fast allein die Deutschen, die den Schwerpunkt ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes auf eine gute Tafel im heimatlichen Stil verlegen. (M42) Beim richtigen Yankee scheinen es uebrigens nicht die Geschmackswarzen zu sein, welche ihm den Genuss beim Essen vermitteln, sondern vielmehr die Kinnbacken und die Speicheldruesen. Das Kauen und das Schlucken an sich macht diese einfachen Naturkinder gluecklich. Wer zum erstenmal nach den Vereinigten Staaten kommt, kann sich nicht genug darueber wundern, hier einem Volke von Wiederkaeuern zu begegnen. In der Strassenbahn, in den Geschaeften, in den Vergnuegungslokalen wie auf der Strasse sind die Kauwerkzeuge dieser seltsamen Nation in unausgesetzter Bewegung, und ein Widerschein von Zufriedenheit ueberstrahlt von dieser Kinnbackenbetaetigung aus die Gesichter. Junge huebsche Ladnerinnen kauen, wenn sie mittags zum Lunch gehen und wenn sie vom Lunch ins Geschaeft zurueckkehren. Die Soldaten kauen beim Exerzieren; sie wuerden sicher auch kauend ihre Schlachten schlagen. Der gesetzte junge Mann mit ernsten Absichten kaut, wenn er seine Liebeserklaerung macht, und seine Erwaehlte erwidert erroetend: "Mum mum mum - tschap tschap, sprechen Sie mit Mama." Und der gewaltige, 125 Kilo schwere Schutzmann rennt kauend dem Dieb nach und packt ihn beim Kragen mit dem Ausruf: "Dscham dscham - ich verhafte Sie - mum mum - im Namen des Gesetzes!" Ein Stueckchen gezuckerter Gummi (_Chewing Gum_) zwischen die Backzaehne geschoben, beglueckt alle diese Leute wie den Seemann sein Priemchen und wiegt sie in die freundliche Taeuschung ein, in der besten aller Welten zu leben. Waere Cartesius als Yankee zur Welt gekommen, er haette sicher sein beruehmtes "cogito ergo sum" abgewandelt in: "Ich kaue, folglich bin ich." KUeNSTLERISCHE KULTUR. Mit Ausnahme einer kleinen Schar hochkultivierter Geister hat das neue Volk in der Neuen Welt, wie es scheint, noch keine Zeit gehabt, seinen Schoenheitssinn zu entwickeln. Was durch seine Dimensionen, seine Masse imponiert, was viel gekostet hat, das muss nach den Begriffen des Durchschnittsamerikaners auch schoen sein. (M43) Es ist mir als hoechst bezeichnend aufgefallen, dass selbst hochgebildete Leute enttaeuschte Gesichter machen, wenn der Fremde, der zum erstenmal durch New York gefuehrt wird, sich weder durch die beruehmten Wolkenkratzer, noch durch die Verschwendung herrlichen echten Materials an oeffentlichen Prachtbauten, noch etwa durch die glaenzende elektrische Lichtreklame fuer aesthetisch besiegt erklaert. Allerdings vermoegen diese himmelhohen Kasten mit den unzaehligen Fensterloechern unter Umstaenden schoen zu wirken. Wenn man zum Beispiel vom Hafen her ihre gigantische Silhouette aus der Daemmerung oder aus leichtem Nebel aufsteigen sieht, so koennen sie einen traumhaft phantastischen Reiz entwickeln, der einen Maler toll und einen Dichter selig zu machen vermag. Einige von diesen Ungeheuern, wie vornehmlich das Gebaeude der Manhattan-Lebensversicherungsgesellschaft, sind auch an sich hervorragende Kunstwerke, und kein Mensch von Geschmack wird die ideale Schoenheit der neuen Staatsbibliothek in weissem Marmor oder die Genialitaet des neuen Empfangsgebaeudes der Pennsylvaniabahn bestreiten. Auch die lustigen Spielereien der beweglichen Lichtreklamen sind nicht nur als mechanische Kunststuecke, sondern auch als witzige Erfindungen und farbiger Augenschmaus hoechst amuesant. Aber all diese Schoenheit, Groesse und kuenstlerisch idealisierte Zweckmaessigkeit ist nicht einem vorbedachten Plan organisch eingeordnet, sondern wie aus des Zufalls Hand zwischen lauter Banalitaet und entschiedene Garstigkeit hingestreut. Die Umgebung ist es, die in weitaus den meisten Faellen die Wirkung der Schoenheit des einzelnen zerstoert. Selbst in New York, das doch von vornherein nach einem durch die geographische Lage bedingten ueberaus vernuenftigen und klaren Plane angeordnet wurde, und immerhin der puritanischen Schoenheitsfeindlichkeit der Neuenglandstaaten weniger unterworfen war, scheint doch der kuenstlerische Instinkt gefehlt zu haben. Palaeste stehen neben oeden Magazinen, neben Wolkenkratzern halbverfallene niedrige Baracken; entzueckende, gruenbewachsene gotische Kirchen findet man eingeklemmt zwischen Metzger- und Gruenkramlaeden, oeffentliche Gebaeude von edlen Proportionen und mit praechtigen Fassaden neben wuesten Kasten fuer Bureau- und Werkstattzwecke, an deren Strassenfronten scheussliche rotgestrichene Feuertreppen im Zickzack hin und her laufen. Selbst in der Fuenften Avenue, der Strasse der prunkvollsten Laeden und der Residenz der Milliardaere, finden sich noch genug solcher barbarischen Scheusslichkeiten unter der nagelneuen Pracht verstreut. Und die Nebenstrassen, wo die kleinen Einfamilienhaeuser stehen, zeigen selbst in den besseren Gegenden ein hoechst langweiliges Einerlei. Auch die nuechternsten modernen Staedte Deutschlands, wie Mannheim und Karlsruhe, fallen den amerikanischen gegenueber immerhin noch angenehm auf durch ihre strenge Symmetrie und musterhafte Ordnung, waehrend die enorm reiche Kommune New York bis heute noch nicht einmal eine anstaendige Pflasterung und Strassenreinigung durchzufuehren vermochte. Der Fahrdamm der Fuenften Avenue besteht aus Loechern, zwischen denen hier und da aus Versehen ein Stueck Asphalt liegen geblieben ist. Oberflaechliche Reparaturen werden in der Weise ausgefuehrt, dass man mitten auf der Strasse zur Freude der Gassenbuben in diesen Loechern Feuer anzuendet; dann schmilzt der Asphalt ringsherum, und das Loch bekommt wenigstens abgerundete Raender. Wem der Arzt eine Vibrationsmassage gegen Traegheit der Unterleibsorgane verordnet hat, der braucht nur auf dieser Fuenften Avenue - oder besser noch auf den gepflasterten Hauptstrassen des nordoestlichen Teiles von Philadelphia - eine halbe Stunde spazieren zu fahren, dann kann er seinen Blinddarm bei der Zirbeldruese und seine Milz unter dem Mastdarm suchen. Es ist merkwuerdig, dass derselbe Amerikaner, den das wueste Durcheinander in der Aussenseite seiner Staedte so wenig zu genieren scheint, doch fast durchweg einen so guten Geschmack in seiner Kleidung und Wohnungseinrichtung zeigt. Allerdings ist fuer die Herrenkleidung England, fuer die Frauenkleidung Paris richtunggebend, allein die dortigen Muster werden doch fuer den amerikanischen Geschmack einigermassen abgeaendert, und was dabei herauskommt, ist meist zweckmaessig und apart. In der Wohnungseinrichtung zeigt sich der Yankee ausserordentlich konservativ, und der Kolonialstil ist immer noch massgebend. Das moderne deutsche Kunstgewerbe hat kaum noch irgendwo Einfluss ausgeuebt; dafuer sieht man auch nirgends in Amerika, selbst im bescheidenen Mittelstande, so stillos zusammengewuerfelte Einrichtungen wie in der Wohnung des zurueckgebliebenen deutschen Spiessbuergers. Man haelt zaeh fest an der guten englischen Tradition und verdankt ihr sowohl die praktische Anordnung der Wohnraeume als auch die unaufdringliche Schlichtheit der Formen, Harmonie der Farben, die zusammen den Eindruck der Behaglichkeit hervorrufen. (M44) Spezifisch amerikanisch ist die Vorliebe fuer Schaukelstuehle. Ich habe Zimmer angetroffen, in denen ueberhaupt kein einziger Stuhl fest auf seinen vier Beinen stand, und wo eine besondere equilibristische Begabung dazu gehoerte, um beispielsweise seine Stiefel zu schnueren oder seinen Koffer zu packen; denn wenn man seinen Fuss auf solch ein ungemein niedriges Moebel setzt, so kippt es nach vorn und rutscht gleichzeitig nach hinten, so dass man also auf einem Bein dem fluechtigen Stuhl nachhuepfen muss, bis er an der Wand einen Stuetzpunkt gefunden hat. Oder man placiert seinen aufgeschlagenen Koffer auf die Lehnen zweier gegeneinander geschobener Rockingchairs und beginnt vergnuegt das Packgeschaeft. Sobald der sich fuellende Koffer eine gewisse Gewichtsgrenze ueberschreitet, neigen sich die stuetzenden Stuehle nach innen, der Koffer klappt zu und rutscht zwischen den Lehnen durch; es ist sehr amuesant, unter solchen Umstaenden seinen Koffer zu packen. Hin und wieder habe ich auch die Bekanntschaft mit einladend aussehenden Sitzmoebeln gemacht, die nicht nur vor- und rueckwaerts, sondern auch seitwaerts schaukelten. Auf diesen heimtueckischen Mokierstuehlen kann man sich ebenso famos fuer das Kamelreiten trainieren, wie auf den einfachen Rockers fuer die Seefahrt. Vermutlich haben die immer praktischen Amerikaner auch diesen Nebenzweck im Auge. So nett und gemuetlich nun auch eine solche amerikanische Durchschnittswohnung anmutet, so wird sie doch uns deutschen Erzindividualisten recht bald langweilig, weil sie eben ueberall dieselbe ist. Ich spazierte einmal mit einem jungen deutschen Gelehrten die _Common __Wealth Avenue_ in Boston hinunter - nebenbei bemerkt eine der schoensten Strassen, die mir ueberhaupt in Amerika aufgefallen sind. Es befinden sich hier nur vornehme Familienhaeuser, die als besondere Eigentuemlichkeit grosse Spiegelscheiben im Erdgeschoss aufweisen. Man kann also von der Strasse aus in das Treppenhaus und das Parlor hineinsehen. Ich freute mich des schoenen schmiedeeisernen Gitterwerks, das diese wohlhabenden _Homes_ von der Strasse abschloss, der praechtigen Tueren und anderer reizvoller Einzelheiten. Da unterbrach mein Begleiter meine Lobeshymne mit den Worten: "Was wollen Sie wetten? Unter den zwoelf naechsten Haeusern von hier aus finden wir mindestens sechs, in denen wir durch die Fenster genau dieselbe innere Einrichtung konstatieren koennen." Und richtig, so war es auch. Aber nicht nur in sechs, sondern in neun von diesen Haeusern stand ueberall in derselben Ecke am Parlorfenster dieselbe Saeule mit demselben Blumenkuebel darauf und derselben Palme darin, genau an derselben Stelle derselben Wand befand sich in allen diesen neun Zimmern das Ehrfurcht gebietende Sofa mit den Portraets der Eltern oder Grosseltern darueber usw. usw. Immerhin kann man sich diese ermuedende Uniformitaet gefallen lassen, da sie doch wenigstens einen guten Durchschnitt von solider Behaglichkeit verbuergt. Groteske Geschmacklosigkeiten begegnen einem eigentlich nur in den Palaesten ungebuehrlich rasch reich gewordener Emporkoemmlinge - gerade wie bei uns. (M45) Merkwuerdig ist auch, wie dasselbe Volk, das sich in den meisten seiner Vergnuegungen und kuenstlerischen Betaetigungen doch noch recht unkultiviert zeigt, in anderer Beziehung wieder Leistungen von feinem Geschmack und hoher Vollendung hervorbringt, zum Beispiel in der Malerei, in der Photographie, im Buchgewerbe. Waehrend die amerikanischen Museen zum weitaus groessten Teile noch das sehr zweifelhafte Kunstverstaendnis ihrer freigebigen Stifter verraten und ein stilloses Durcheinander von Kitsch und Kunst bieten, begegnet man in den Ausstellungen moderner Kuenstler einer sehr respektablen Durchschnittsleistung. Von einer bedeutenden Entwicklung der Plastik kann selbstverstaendlich in einem Lande, das die Scheu vor der Nacktheit in der Kunst laengst noch nicht ueberwunden hat, keine Rede sein. Ich habe mir sagen lassen, dass auf der Weltausstellung in Chicago zum erstenmal in den Vereinigten Staaten nackte Frauenkoerper als Karyatiden zu sehen gewesen seien! Ein biederer Farmer war von diesem voellig neuen Anblick dermassen gefangen, dass er ueberhaupt fuer nichts anderes in der ganzen Weltausstellung Interesse zeigte, sondern, die Augen starr in die Hoehe gerichtet, von Saal zu Saal schritt und dabei kopfschuettelnd vor sich hinseufzte: "_Oh good Lord, what tits, what tits!_" Selbst heute noch hat jede wenig bekleidete allegorische Figur, die sich in der Oeffentlichkeit zu zeigen wagt, einen heftigen Kampf mit der Geistlichkeit und den Tanten zu bestehen. Kann es da wundernehmen, wenn ausser etlichen anstaendigen Portraetstatuen, naturalistischen Kriegergruppen und Reitermonumenten von bedeutender Plastik in den Vereinigten Staaten nichts zu finden ist? Das Ulkigste von Kitschplastik, was mir persoenlich in den Weg gekommen ist, war das Kriegerdenkmal in Easton (Pennsylvania): auf einer sehr hohen schlanken Saeule ein moderner Militaertrompeter; und im Schalltrichter seines Instrumentes ergluehte nachts eine elektrische Birne! (M46) Allerdings haben die amerikanischen Kuenstler ihre Techniken vom Auslande gelernt und stark eigenartige Glanzleistungen auch nur in den bildenden Kuensten sowie in der Literatur hervorgebracht. Ihre Musik ist ihnen bis jetzt fix und fertig vom Auslande geliefert worden. Und selbst die einzige musikalische Spezialitaet, die sich zurzeit als echt amerikanisch ansprechen laesst, naemlich das Volkslied der Neger und der _Ragtime_ (eigenartig verschobener synkopierter Rhythmus fuer Taenze und derbe Couplets), ist doch auf schottischen und irischen Ursprung zurueckzufuehren. Es laesst sich aber nicht leugnen, dass fuer gute Musik heute schon ein recht grosses und verstaendnisvolles Publikum vorhanden ist. Wenn man bedenkt, dass an der Geschmackserziehung des amerikanischen Hoerers erst seit wenigen Jahrzehnten von europaeischen Kuenstlern planvoll gearbeitet wird, so ist es doch wohl ein erstaunliches Ergebnis zu nennen, dass man heute schon den "Parsival" vor einer andachtsvoll ergriffenen Zuhoererschaft geben kann, und dass Konzertprogramme, die ausschliesslich aus Beethoven, Brahms, Hugo Wolf und aehnlichen anspruchsvollen Namen bestehen, grosse Scharen anziehen und begeistern. Allerdings finden bei einer grossen Masse selbst der hoeheren Schichten auch stillose Programme, in denen aergste Banalitaeten mit echten Meisterwerken abwechseln, jubelnden Beifall - aber koennen wir das in Deutschland nicht auch erleben? Der Unterschied ist wohl nur der, dass bei uns kein Kuenstler von Bedeutung sich so leicht dazu herablassen wuerde, dem schlechten Geschmack des Publikums solche Konzessionen zu machen. Wir Deutschen duerfen uns ruehmen, auf musikalischem Gebiet uns die Meistbeguenstigung fuer unseren Import von Kunstwerken, Kuenstlern und Lehrern erstritten zu haben. Wie haben diese prachtvollen deutschen Musikanten aber auch arbeiten muessen, in welchen harten steinigen Boden haben sie oft ihre Pflugschar druecken muessen, um ueberhaupt erst den Boden fuer ihre Saat zu bereiten. Ich habe in der Person des Saengers Max Friedrich einen solchen Veteranen von einem deutschen Musikpionier kennen gelernt. Als er vor 20-30 Jahren hinauszog, um den Leuten des kunstversimpelten Ostens, wie den lebenshungrigen Abenteurern des wilden Westens Schubert und Schumann, Loewe und Franz vorzusingen, da gaehnte und hoehnte man ihn aus. Aber er liess nicht locker, er liess sich als echt deutscher Starrkopf kein Titelchen von seiner heiligen Ueberzeugung wegdisputieren. Ihm und einigen Wenigen seinesgleichen ist es zu verdanken, wenn heute ein ernster Kuenstler mit einem vornehmen Programm sich ueberall in der ganzen Union hoeren lassen kann, ohne fuerchten zu muessen, von entruesteten Cowboys mit dem Schiesseisen vom Podium gejagt zu werden. Talent und Liebe zur Kunst wuchsen bisher nur recht spaerlich aus amerikanischem Boden hervor. Weder die Zuchthaeusler und Abenteurer in der Zeit der Flegeljahre der neuen Welt, noch die frommen Pilgervaeter haben irgendwelche Keime zur kuenstlerischen Entwicklung mit heruebergebracht. Und bis die grossen Kriege durchgekaempft, die Naturschaetze erschlossen, das ungeheure Land bebaut und durch Eisenbahnen in Zusammenhang gebracht worden war, hatte jeder Mensch mit dem Kampf ums Dasein viel zu viel zu tun, um Musse zu kuenstlerischer Betaetigung zu finden. Gegenwaertig ist diese Musse freilich schon fuer viele vorhanden, aber die Kunst hat dort noch keinen rechten Boden, weil in der Masse des Volkes noch kein wirkliches Beduerfnis nach ihr lebt. Eine Ahnung von der Wichtigkeit der Kunst als Kulturfaktor ist bisher nur einer kleinen Auslese von Hoechstgebildeten aufgegangen, die grosse Masse jedoch sieht in ihr nur einen schmueckenden Luxus, einen angenehmen Zeitvertreib. In der alten Welt entfaltete sich alle Kunst auf dem Boden uralten, oft umgeackerten und geduengten Kulturlandes. Sie wurzelt in der fruehesten Vergangenheit der Voelker, in deren untersten Schichten, und ihr Wachstum staerkte sich an den Hemmungen, die sie zu ueberwinden hatte. Ausserdem kann Kunst unmoeglich von einem Volke hervorgebracht werden, das nicht zum mindesten eine aristokratische Vergangenheit gehabt hat. Jeder wahre Kuenstler ist ein geborener Aristokrat, der zwischen sich und den Viel zu Vielen, den Banausen und Philistern, eine hochmuetige Scheidewand errichtet. Die demokratische Anschauung von der Gleichheit der Menschen ist dem Instinkt des Kuenstlers ein Greuel. Und selbst jene naivste Betaetigung schaffender Phantasie, die wir heute Volkslied nennen, bezieht ihre Gesetze, ihre Stoffe, ihre seelische Wesensart von Mustern, die in uralten Zeiten koenigliche Saenger aufstellten. In der Neuen Welt aber, in der eine historische Entwicklung in unserem Sinne kaum vorhanden ist, sondern wo immer gegenwaertige Resultate eines langsamen Werdegangs aus der Alten Welt fertig uebernommen wurden, ist das Entstehen einer originalen Kunst vernuenftigerweise auch noch gar nicht zu erwarten. Die Yankees, als Abkoemmlinge der britischen Einwanderer, haben selbstverstaendlich eine angeborene Vorliebe fuer die englische Kunst und werden die von dort empfangenen Anregungen ausbauen; ebenso wie die Nachkommen der deutschen Einwanderer sich instinktmaessig an die deutschen Vorbilder klammern werden. Die Besonderheit der amerikanischen Landschaft wird natuerlich ihren Einfluss auf die Malerei, die eigenartigen Lebensbedingungen der Neuen Welt auf die Architektur einen bestimmenden Einfluss ausueben. Darum ist es selbstverstaendlich, dass in diesen beiden Kuensten zunaechst eigenartige Leistungen zu erwarten und ja auch gegenwaertig schon vorhanden sind. Dagegen kann man von einem Volke, das gar keine eigene Sprache besitzt, auch keine originale Poesie verlangen, und die Musik ist, zum mindesten mit ihrem Rhythmus, so fest an die Sprache gebunden, dass allein schon aus diesem Umstande der bisherige Mangel einer amerikanischen Musik sich ohne weiteres begreifen laesst. Das schliesst natuerlich nicht aus, dass geborene Amerikaner ganz hervorragende Leistungen auf Kunstgebieten vollbringen koennen, deren auslaendische Muster sie mit besonderer Liebe studiert haben und deren inneres Wesen ihnen besonders nahe liegt. Erst wenn die Voelkerwanderung nach der Neuen Welt einmal aufgehoert und eine wirkliche chemische Durchdringung der verschiedenen Rassenelemente stattgefunden haben wird, kann sich so etwas wie eine allamerikanische Seele entwickeln, aus der dann folgerichtig auch eine originale amerikanische Kunst hervorgehen muesste. (M47) Wie die Dinge heute noch liegen, waere aber beispielsweise ein jugendlicher Yankee, der sich freiwillig dazu hergeben moechte, das Hungerleiderdasein eines deutschen oder franzoesischen Poeten zu fuehren, eine undenkbare komische Figur. Der poetisch begabte Juengling faengt drueben mit der Journalistik an, oder er betreibt das Dichten neben seinem soliden Broterwerb. Hat er mit einem Genre keinen Erfolg, so probiert er es eben mit einem anderen. Schwerlich wird es ihm einfallen, sich trotzig wider den Geschmack der Zeit und der grossen Masse aufzulehnen. Auch wenn er Neues, Eigenartiges zu sagen hat, wird er sein Publikum nicht ruecksichtslos damit erschrecken, sondern es allmaehlich vorzubereiten suchen. Die Beschaeftigung mit Literatur, Kunst und anderen rein idealen Dingen ist eben drueben ein vornehmer Zeitvertreib fuer Ausnahmemenschen, besonders also fuer solche, die keine Sorge um das taegliche Brot mehr drueckt. Man setzt auch voraus, dass der Mann, der einen Beruf aus dem Dichten, Musizieren, Malen usw. macht, vor allen Dingen ein Gentleman sei, also ein gut angezogenes Mitglied der auserwaehlten Gesellschaft mit normalen Manieren und auch einigermassen normalen Gesinnungen. Es ist bezeichnend, dass der Name _Bohemiens_, der fuer Kuenstler- und Literatenklubs besonders beliebt ist, mit Vorliebe von Vereinigungen recht wohlhabender Maenner gewaehlt wird, die es sich leisten koennen, ihre festlichen Sitzungen in den vornehmsten Hotels abzuhalten und dazu nichts als franzoesischen Sekt zu trinken. Der richtige Bohemien kann schon deshalb drueben unmoeglich gedeihen, weil es keine Kaffeehaeuser gibt. Es kommt vorlaeufig auch noch selten vor, dass kuenstlerische, besonders literarische Talente aus den untersten Volksschichten hervorgehen, weil in denen noch alles Sinnen und Trachten auf materiellen Erwerb gerichtet ist. In New York gibt es allerdings einen hervorragenden Dichter, der Sattler und Tapezierer ist - Hugo Bertsch heisst er - aber der schreibt Deutsch und ist aus Reichelsheim i. O. gebuertig. Bemerkenswert ist, dass einer der wenigen jungen Dramatiker, die damit begonnen haben, sich von der herrschenden Pruederie und Konvention freizumachen und die amerikanische Buehne fuer moderne Probleme zu erobern, naemlich der anderwaerts von mir schon erwaehnte Walter von unten heraufgekommen ist, gehoerig gehungert und im Zentralpark gepennt hat, bevor er bekannt wurde. Auch der ausgezeichnete Romanschreiber Jack London, der sich durch starke Eigenart spezifisch amerikanischer Faerbung auszeichnet, hat als Goldgraeber angefangen, obwohl er eine gute wissenschaftliche Bildung genossen hatte. Bret Hart begann seine Laufbahn gleichfalls als Goldgraeber und betaetigte sich nacheinander als Lehrer, Postbote und Schriftsetzer, bevor er Professor der Literatur wurde. Auch Mark Twain begann als Setzer und wurde dann bekanntlich Lotse auf dem Mississippi. Edgar Allan Poe war zwar reicher Eltern Kind, wurde aber wegen schlechter Auffuehrung von der Universitaet und der Militaerakademie relegiert und desertierte aus der Armee, bevor er sich zu dem beruehmten Dichter entwickelte. Walt Whitman, urspruenglich gleichfalls Buchdrucker, gewann seinen Lebensunterhalt als Subalternbeamter im Ministerium. Einzig Longfellow von den bekannteren Dichtern stammte aus hoeheren Kreisen und erwarb regelrechte akademische Grade, aber auch er betaetigte sich zunaechst als Rechtsanwalt. (M48) Es scheint also, dass auch im neuen Lande das alte Gesetz, dass die kuenstlerischen Kraefte am Widerstand erstarken, Geltung besitze. In dem Paradiese der absoluten Gegenwart, dessen glueckliche Bewohner so gern alles, was ist, gut finden, wie der liebe Gott sein Schoepfungswerk, haben natuerlich nur die Narren Lust, wider den Strom zu schwimmen. Die vernuenftigen Kunstbeflissenen trachten aber, nur marktgaengige Ware zu liefern, und marktgaengig ist, was dem Unterhaltungs- und Sensationsbeduerfnis entspricht. Es wird ungeheuer viel gelesen in Amerika, folglich ist mit der Anfertigung von Literatur ein gutes Geschaeft zu machen fuer diejenigen, die sich auf den Geschmack des Publikums verstehen. Dieser Geschmack heisst aber immer noch: Hintertreppengeschehnisse im Gartenlaubenstil vorgetragen. Verbrecher und Detektivs sind nicht nur bei den ganz kleinen Leuten die beliebtesten Helden. Es muessen daher auch ernste Schriftsteller, z. B. solche, die ihr soziales Gewissen auf das Gebiet des Anklageromans verlockt, auf sensationelle Erfindung und auf strenge Wahrung einer stubenreinen Reputierlichkeit bedacht sein. Sicherlich wuerde die Entwicklung des kuenstlerischen Geschmacks bei dem amerikanischen Volk, das doch wahrhaftig weder aengstlich noch begriffsstutzig ist, viel raschere Fortschritte machen, wenn nicht die Tagespresse die mehr als kindliche Oberflaechlichkeit des Urteils in unverantwortlicher Weise naehrte. Aber das ist ein Kapital fuer sich. VOM THEATER IM YANKEELANDE. Wer das englische Theater kennt, der kennt auch das amerikanische. Die Yankees haben es mit all seinen Licht- und Schattenseiten heruebergenommen, nur dass die Qualitaet ihrer besten darstellerischen Leistungen doch wohl noch um einiges hinter den besten englischen zurueckbleibt, was bei dem Fehlen einer guten alten Tradition nicht zu verwundern ist. Hueben wie drueben ist fuer das Drama hohen Stiles kein grosses Publikum vorhanden, und darum suchen Buehnen, die diese vornehmste Dichtungsgattung pflegen, die grosse Masse durch raffinierte szenische Wirkungen, durch Pomp und Massenentfaltung anzulocken. Fuer das moderne Gesellschaftsdrama und das feinere Lustspiel sind schauspielerische Begabungen besonders haeufig vorhanden, und da die Dichtung noch in keinem Lande englischer Zunge - mit verschwindend wenigen Ausnahmen - vom Konventionellen zum Individuellen aufgerueckt ist, so sind diesseits wie jenseits des Ozeans die besten Schauspieler, ebenso wie die unbedeutendsten, Spezialisten fuer das Rollenfach, in welches aeussere Erscheinung, Stimmklang und Temperament sie verweisen. Sie alle spielen also im Grunde genommen nicht nur solange ein Stueck laeuft, sondern ihr ganzes Leben lang ein und dieselbe Rolle. Es ist wohl allgemein bekannt, dass man drueben Theater mit wechselndem Repertoir bisher noch nicht kennt. Fuer jedes neue Stueck wird eine Truppe zusammengestellt, und wenn das in der Hauptstadt abgespielt ist, wandert die Truppe damit in die Provinz, um sich aufzuloesen, sobald seine Zugkraft erschoepft ist. Wer also drueben die Schauspielerei zum Beruf erwaehlt, der muss schon ueber recht betraechtliche Reserven an Koerper- und Geisteskraft verfuegen, wenn er nicht der sicheren Verbloedung und der unheilbaren Fettsucht verfallen will. Der erste Versuch, in den Vereinigten Staaten ein vornehmes Schauspielhaus mit wechselndem Repertoir nach kuenstlerischen Grundsaetzen ins Leben zu rufen, wurde im vergangenen Jahre in New York von einer Anzahl reicher Theaterfreunde gemacht durch die Gruendung des _New Theatre_. Und dieser Versuch ist gescheitert, obwohl fast unbeschraenkte Mittel und eine auserlesene Schar feingebildeter, sehr tuechtiger Schauspieler zur Verfuegung stand, auch die Leitung in keineswegs ungeschickten Haenden lag. Ich habe in diesem Theater eine Auffuehrung von Maeterlinks "Der blaue Vogel" gesehen, die in bezug auf die darstellerischen Leistungen sehr gut und in bezug auf kuenstlerische Inszenesetzung sogar ganz hervorragend geschmackvoll war, und dennoch gaben die Unternehmer den Versuch schon nach Beendigung der ersten Spielzeit als vorlaeufig aussichtslos auf! Es wurden allerlei Gruende fuer dieses seltsame Fiasko ins Feld gefuehrt; mir scheint der erheblichste und zugleich auch betrueblichste der zu sein, dass fuer das Schauspiel die Anzahl der kuenstlerisch wohlerzogenen New Yorker noch zu klein ist, um ein solches Unternehmen geschaeftlich halten zu koennen. Man ist es einfach noch nicht gewoehnt in jenen Gesellschaftskreisen, die fuer den Besuch eines den Anspruechen verfeinerten Geschmacks gewidmeten Theaters in Frage kommen, taeglich nach dem Theaterzettel zu sehen und sich womoeglich gar wegen einer Vorstellung, die vielleicht bald wieder vom Spielplan verschwindet, in seinen haeuslichen Gewohnheiten und gesellschaftlichen Pflichten stoeren zu lassen. Wenn es die grosse Oper gilt, nimmt man freilich alle moeglichen Unbequemlichkeiten mit in den Kauf; aber das ist eben die grosse Oper, die _muss_ wechselndes Repertoir haben, weil dieselben Saenger nicht alle Tage grosse Partien singen koennen; und ausserdem gehoert die grosse Oper auch mehr zu den gesellschaftlichen Veranstaltungen, denen man seiner Stellung wegen Opfer bringen muss, als zu den blossen kuenstlerischen Unterhaltungen. Ein vornehmes Schauspielhaus mit wechselndem Repertoir wuerde ohne Zweifel ebensogut moeglich sein wie das Millionen verschlingende _Metropolitan Opera House_, sobald es bei dem hohen Adel und den Grosswuerdentraegern der demokratischen Gesellschaft _de rigueur_ waere, auch in diesem Schauspielhaus eine Loge zu besitzen und sich dort mit seinen Freunden zu treffen. Bis dahin aber und bis ein maechtig aufbluehendes nationales Drama des Yankeetums nach einer nationalen Buehne schreit, wird noch viel Wasser den Hudson hinunterlaufen. (M49) Mit der Oper steht es trotz der Starwirtschaft ganz erheblich besser als mit dem Schauspiel, weil die Oper ein internationales Unternehmen ist, dem es vorlaeufig ganz gleichgueltig sein kann, ob ihm einheimische Kraefte als Komponisten und als Saenger zuwachsen oder nicht; denn sie kann ihren Bedarf durch die Meisterwerke und Gesangssterne Europas vollkommen decken. Im uebrigen wird die beste Oper immer da vorhanden sein, wo das meiste Geld zur Verfuegung ist, vorausgesetzt dass die Leitung nicht gaenzlich unfaehig ist. Mit dem noetigen Geld kann man sich nicht nur die besten Saenger und Saengerinnen der Welt, sondern auch die genialsten Kapellmeister und Regisseure der Welt kaufen. Wo anders als in dem Lande, wo die _Greenbacks_ (Dollarscheine) so leicht das Fliegen lernen, waere es moeglich, ein genuegend zahlreiches Personal von Saengern und Saengerinnen, darunter die beruehmtesten Kuenstlernamen der Welt, zusammenzubringen, um damit die deutschen Meisterwerke der Opernliteratur deutsch, die franzoesischen franzoesisch und die italienischen italienisch darzustellen?! Trotzdem das Riesenhaus immer voll und die Eintrittspreise fuer unsere Begriffe sehr hoch sind, ist doch immer ein Defizit vorhanden, das jedoch durch die Freigebigkeit der milliardenschweren Logenbesitzer immer gedeckt wird. Es ist also selbstverstaendlich, dass keine Opernbuehne Europas an Grossartigkeit des Betriebes mit der New Yorker Oper wetteifern kann. Es versteht sich also auch ganz von selbst, dass man in diesem Theater Vorstellungen erleben kann, die nicht nur an aeusserem Glanz, sondern auch an echter kuenstlerischer Qualitaet alles uebertreffen, was selbst Wien, Berlin, Muenchen, Dresden, Paris, Mailand, Petersburg und London zu bieten vermoegen. Andererseits treten aber freilich auch die grossen Gefahren dieses amerikanischen Systems, bei dem die starke Triebfeder eines hingebenden kuenstlerischen Idealismus durch eitle Prahlsucht und Geldprotzentum ersetzt werden, sofort grell zutage, sobald in der Wahl der leitenden Kraefte ein Missgriff erfolgt ist oder diese Kraefte die Lust verlieren, fuer das viele Geld, das sie bekommen, wirklich ihr Bestes zu tun. Aber schliesslich wird ueberall mit Wasser gekocht, und eine ununterbrochene Reihe wirklicher Weihefestspiele kann es eben nur unter Bedingungen geben, wie sie Bayreuth sich geschaffen hat. Es ist jedenfalls ungerecht und toericht von uns Europaeern, die glaenzenden Veranstaltungen der Metropolitan-Oper geringschaetzig als eitel Blendwerk abzutun. Die Herren Milliardaere bekommen fuer ihr gutes Geld wirklich gute Opernkunst geliefert. (M50) Das Beste, was ich in den Vereinigten Staaten von Komoedienspiel erlebt habe, fand ich in einem der fuenf jiddischen Theater an der Bowery, dem New Yorker Ghetto, wo die frisch eingewanderten russischen Juden noch zu Tausenden beieinander hocken. "_The Miners_" (die Bergleute) hiess das Theater, unansehnlich von aussen, eng, schmutzig und in allen Einrichtungen veraltet von innen. Es wird nur zwei, hoechstens dreimal die Woche gespielt an diesen kleinen Dialektbuehnen; aber obwohl es nicht Schabbes, war das Haus gesteckt voll. Ganze Familien mit Kind und Kegel im Parterre, die besseren Leute im ersten Rang, die grossen Glaubensgenossen, die schon ihr Ziel erreicht, in den Protzszeniumslogen, und auf der Galerie die Arbeiter und kleinen Gewerbetreibenden, aermlich und schaebig anzuschauen, mit steifen kleinen Hueten oder schmutzigen russischen Muetzen auf dem Kopf. Sie sind gekommen, um den derzeit vortrefflichsten Schauspieler ihrer Zunge, _David Kessler_, zu sehen, der zugleich der kuenstlerische und geschaeftliche Leiter des Unternehmens ist. Das Stueck hiess: "Jankel, der Schmied", von _David Pinsky_, einem juedischen Autor, der schon einmal bei Reinhardt durchgefallen ist, eine naturalistische Kleinmalerei aus dem Leben der juedischen Kleinbuerger in Russland, ein bis zum Ekel unerquickliches Stueck Wahrheit von einer Erbarmungslosigkeit, wie sie auf der deutschen Buehne seit Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" kaum mehr dagewesen ist. Und diese heimatlosen Weltwanderer, diese schwitzenden und keuchenden Arbeitstiere mit dem starken Drange nach Ruhe, Behaglichkeit, Schoenheit, Licht und Glanz im Herzen, die in den Zwischenakten ein so wildes, mauschelndes Geschnatter vollfuehren, dass einem die Ohren gellen, sie lauschen andachtsvoll gebannt, sobald der Vorhang hochgeht, als ob diese ihre nationale Kunst, die ihnen kaum etwas anderes bietet, als den tiefen Einblick in unsaeglich traurige Familienverhaeltnisse und widrige Menschenseelen, sie nehmen all dies Haessliche mit gelassenem Ernst hin und begruessen die derben Spaesse oder auch die wenigen idyllisch gemuetvollen Lichtblicke in dieser trostlosen Oede mit dankbarem Gelaechter und begeistertem Beifall. Was aber wirklich an dieser seltsamen dramatischen Kunst auch fuer den rassenfremden Zuschauer des begeisterten Beifalls wuerdig ist, das ist neben der scharfen, treffsicheren Zeichenkunst des Dichters die wirklich vollendete Leistung saemtlicher Darsteller; denn nicht nur das Haupt der Gesellschaft, dieser David Kessler, ist ein wirklich grosser Charakterdarsteller, der ganz und gar in dem vom Dichter geschaffenen Menschen aufzugehen versteht, sondern alle seine Schauspieler und Schauspielerinnen erscheinen mit ihren Aufgaben derartig verwachsen, als ob sie einfach sich selber ohne jede Ruecksicht auf die Optik der Buehne und die Sinne der Zuschauer darzustellen haetten. Im Zwischenakt machte ich die Bekanntschaft David Kesslers und war nicht wenig erstaunt aus seinem Munde zu hoeren, dass ausser ihm gar keine Berufsschauspieler in seiner Truppe vorhanden seien, sondern dass er sich die Leute von ueberallher zusammengelesen und zum Theaterspielen gedrillt habe. Dieser vorzuegliche komische Episodenspieler handelt tagsueber mit alten Hosen, diese schlichte sentimentale Liebhaberin, die so ergreifende Gemuetstoene findet, ist vielleicht Dienstmaedchen in einer besseren juedischen Familie, und diese ausgezeichnete komische Alte mit dem ewig verrutschten schwarzen Scheitel auf ihrem ehrwuerdigen grauen Haar zieht uns beiseite und erzaehlt uns mit stolz aufleuchtenden Augen, dass sie mit ihrer Haende Arbeit ihren einzigen Sohn so weit gebracht habe, dass er nun schon als Advokat in dem fremden Lande eine geachtete Stellung einnehme und einer glaenzenden Zukunft entgegengehe. Am Schluss des Stueckes bricht ein tobender Beifall los, der sich sonderbarerweise ausser in Klatschen und wildem Trampeln auch in gellenden Pfiffen aeussert, und sobald David Kessler auf der Buehne erscheint, rufen ihm Hunderte von Stimmen zu: "_Speech, speech!_" Der derbe vierschroetige Gesell steht unschluessig mit niedergeschlagenen Augen da, und dann stammelt er im Jargon ein paar Worte des Dankes. Wie er sich aber zum Abgehen wendet, wird von der Galerie her der Ruf nach Musik laut. Da macht er kehrt, stampft bis an die Rampe vor und hebt fast drohend den Arm in der Richtung, von wo der Ruf kam. "Wer Musik haben will," ruft er in kaum unterdrueckter Entruestung, "der mag ins Tingeltangel gehen, hier ist nicht der Ort fuer trivialen Ohrenschmaus, hier wird unsere dramatische Kunst mit heissem Bemuehen fuer unsere Leute gepflegt. Hier stehe ich seit einer Reihe von Jahren und tue mein Aeusserstes, um euch, meinen armen Landsleuten und Glaubensgenossen, eine nationale Kunst zu geben, wie ihr sie braucht, und wie ihr sie versteht. Schritt fuer Schritt habe ich versucht, euch zum Kunstbeduerfnis und Kunstverstaendnis zu erziehen, mit dem Einfachsten und Verstaendlichsten habe ich angefangen, um euch vorzubereiten auf das Tiefere, das Ernstere, auf das Hohe und Heilige, und jetzt schreit ihr nach Musik! Dankt ihr mir so?!" (M51) Es duerfte selbst fuer den abendlaendischen Juden schwer sein, das russisch-jiddische Idiom zu verstehen, aber man hoert sich allmaehlich hinein. Ich wenigstens vermochte vom dritten Akt ab schon ganz leidlich zu folgen, und so glaube ich, dass ich auch den Gedankengang dieser aus echter Leidenschaft heraus improvisierten Rede ziemlich richtig verstanden habe. Ganz still und beschaemt sassen die Zuschauer da, und die juengeren Leute besonders hingen mit Ergriffenheit an den Lippen des Schauspielers, den das Feuer seines Zornes immer beredter machte. Er sprach von der Sehnsucht seines Volkes nach Kunst, nach taetiger Beteiligung an den hoeheren Kulturaufgaben der Menschheit, er wies voller Stolz auf die grossen Erfolge hin, die juedische Dramatiker, juedische Darsteller vornehmlich auf der deutschen Buehne gefunden haetten. Er nannte mit Begeisterung den Namen _Max Reinhardts_, der einen der ihrigen, Schalom Asch, aus dem Dunkel hervorgezogen und zahlreichen anderen juedischen Kuenstlern Gelegenheit gegeben habe, ihre grosse Begabung von dem anspruchsvollsten und kritischsten Publikum Europas anerkannt zu sehen. Er leitete aus diesen ersten grossen Erfolgen die Pflicht des gesamten Judentums ab, sich mit seinen besten Kraeften immer eifriger an der Aufwaertsentwicklung der modernen Kunst zu beteiligen. Und dann verbeugte er sich stolz-bescheiden und verliess unter donnernden Cheers die Buehne. Nachdem ich gesehen habe, was beliebige Dilettanten, auf gut Glueck herausgegriffen aus den unteren Schichten dieser in die westlichste aller Kulturen verschlagenen Orientalen, fuer ein starkes Talent zur Menschendarstellung, d. h. also zur kuenstlerischen Selbstentaeusserung besitzen, habe ich begriffen, woher es kommt, dass in allen Kulturlaendern gerade das Theater von Angehoerigen dieser Rasse ueberschwemmt wird. Geldgier und Ruhmsucht sind in diesem Falle sicher nicht die Triebkraefte; denn es gibt genug juedische Schauspieler, die nicht im hellen Sonnenlichte des Glueckes sitzen, und die ebenso wie ihre arischen Kollegen aus reiner Begeisterung fuer die Kunst frieren und darben. Denn gleichwie diese Rasse eine Neigung zur Spitzfindigkeit des Denkens, zum knifflichen Problem stellen, eine besondere Geschicklichkeit im Raetselraten und in raschen Kombinationen des Witzes ihr eigen nennt, die sie fuer die Juristerei besonders geeignet erscheinen laesst und ihren Handelsunternehmungen und Geldspekulationen so oft einen kuehn-fantastischen Anstrich verleiht, so mag, im Verein mit solcher geistigen Disposition, auch der jahrhundertelange Druck, der auf dem Gemuet dieses Volkes lastete, die naive Lust am Mummenschanz zu der starken Sehnsucht hinauf gesteigert haben, wenigstens gelegentlich durch das Mittel des kuenstlerischen Selbstbetruges ueber das gedrueckte Ich der Wirklichkeit hinauszukommen und im Rampenlichte Koenige, Helden und glueckliche Liebhaber vorzustellen. Es ist ueberhaupt charakteristisch, dass gerade diejenigen Voelker, deren Einwanderer sich in der Neuen Welt noch am fremdesten, am wenigsten von der Sympathie der dort herrschenden Rassen gestuetzt fuehlen, am eifrigsten und mit dem groessten Erfolg ihr nationales Theater pflegen. Neben den Juden sind dies die Chinesen, die gleichfalls in New York und San Franzisco stehende Buehnen unterhalten. Die Italiener und die Franzosen sehen ja an der grossen Oper ihre nationale Kunst glaenzend vertreten, aber auch sie werden vermutlich ebenso wie die Griechen und die zahlreichen Angehoerigen der verschiedenen slawischen Volksstaemme eifrig Liebhabertheater spielen. Ich habe leider davon nichts zu Gesicht bekommen. (M52) Aber seltsam muss es uns Deutsche beruehren, dass dies ungeheure Neuland, als welches Deutschland es in musikalischer Beziehung ueberhaupt erst urbar gemacht und vollstaendig mit der Saat bestellt hat, die in Gestalt der grossen Oper und eines bluehenden Konzertlebens glaenzend aufgegangen ist, doch kein deutsches Schauspielhaus von einiger Bedeutung mehr am Leben zu erhalten vermag. Wenn man bedenkt, dass der herrschenden Yankeerasse mit ihren 20 400 000 Koepfen 18 400 000 Amerikaner deutscher Abstammung gegenueberstehen, dass New York dem Prozentsatz der Einwohner deutscher Abstammung nach die zweitgroesste deutsche Stadt der Welt ist, so muss man sich bass verwundern, dass die wenigen stehenden deutschen Buehnen in den Vereinigten Staaten nicht nur kuenstlerisch immer mehr zurueckgehen, sondern auch meistens mit schweren Existenzsorgen zu kaempfen haben. Bei laengerem Hinschauen und ruhiger Ueberlegung wird diese traurige Tatsache allerdings verstaendlich. Die Nachkommen der Einwanderer beherrschen fast ausnahmslos das Englische schon besser als ihre Muttersprache, in der zweiten Generation haben es die meisten wohl schon ganz vergessen. Ferner ist zu bedenken, dass die weitaus ueberwiegende Zahl der Einwanderer den wenig gebildeten Staenden entstammt, bei denen naturgemaess von einem starken Pflichtbewusstsein als deutsche Kulturtraeger nicht die Rede sein kann. Wenn nun schon die Vaeter der fremden Sprache und damit der fremden kuenstlerischen Kultur kaum irgendwelchen Widerstand entgegensetzen, so wird dies bei ihren Kindern und Kindeskindern erst recht nicht der Fall sein. Es bleibt also von den 18 Millionen als befaehigte Geniesser und berufene Foerderer des deutschen Dramas nur ein verhaeltnismaessig kleiner Bruchteil uebrig, dessen Mitglieder zudem ueber den ganzen weiten Kontinent verstreut sind. Nun wird freilich in sehr vielen der zahllosen deutschen Vereine nicht nur das deutsche Lied, sondern auch die deutsche Poesie mit schoenem Eifer gepflegt; es gibt auch reiche Deutsche genug, die nicht nur zugunsten eines Liebhabertheaters, an dem ihre Toechter und Soehne mitspielen, sondern auch zugunsten einer oeffentlichen Buehne tief in ihre Taschen zu greifen bereit sind; aber nun taucht die andere grosse Schwierigkeit auf: Fuer welche Gattung deutscher Dramatik soll dies Geld gespendet, dieser ruehrende Eifer aufgewendet werden? Ausser den paar akademischen Lehrern deutscher Literatur und einigen auf der Hoehe der Bildung stehenden berufsmaessigen Kritikern haben doch nur verschwindend wenige Deutsch-Amerikaner ein so starkes Interesse an der Entwicklung speziell des Theaters, dass sie dem wunderlich sprunghaften Werdegang unseres Dramas in den letzten vier Jahrzehnten zu folgen imstande gewesen waeren. Die internationale Mode hat lediglich das Musikdrama Wagners und seiner Nachfolger gestuetzt. Die Schulen Ibsens und der Naturalisten, der Neuromantiker, der Symbolisten, Satanisten, und wie sie sonst noch heissen moegen, deren Modeglanz oft schon verblasst war, bevor ernsthafte Leute sich noch ueber ihren inneren Wert klar geworden waren, sie konnten zwar das deutsche Theaterleben stark anregen, besassen aber nicht die Kraft, zumeist auch nicht einmal die Zeit, fruchtbar in die Ferne zu wirken. Die staerkste Auswanderung gebildeter Deutscher erfolgte aber in den Sturmjahren um 48 herum und in den ersten Jahren nach 1870. Die Begriffe vom deutschen Drama, die also unsere wichtigsten Kulturtraeger mit herueberbrachten, stammen noch aus der Zeit, als auf unserem Theater ein blasses Epigonentum herrschte. Von den aufregenden Kaempfen, die in den letzten vier Jahrzehnten unsere dramatischen Dichter nicht zur Ruhe kommen liessen und unseren Geschmack revolutionierten, hat das Deutschtum ueberm Ozean kaum einen Hauch verspuert. Was ist begreiflicher, als dass der Leiter eines deutschen Theaters in Amerika in der Aufstellung seines Repertoirs moeglichst sicher gehen will? Da er mit gutem Grunde befuerchten muss, sein Stammpublikum durch allzuviel Ibsen und Hauptmann zu langweilen, durch Ernst Hardt und Herbert Eulenberg vor den Kopf zu stossen und durch Frank Wedekind zu entruesten, weil die angelsaechsische Geistesenge und Pruederie bei langem Aufenthalt im Lande schliesslich doch auch auf die kecksten Deutschen abfaerbt, so wird er sich darauf beschraenken, neben den Klassikern das harmlose Familienlustspiel und das gesinnungstuechtige Thesenstueck zu geben. Diese dramatische Kost wird nun allerdings auch den ganz anspruchslos und lammfromm gewordenen Deutsch-Amerikaner nicht zum entruesteten Widerspruch reizen; sie wird ihm aber auch nichts zu geben vermoegen, was sein Gemuet in gesunde Wallung bringen und seinem Kopf zu denken geben koennte. Die sozialen Verhaeltnisse, auf denen das deutsche Familienstueck beruht, die Konflikte, die durch Standesvorurteile oder durch spiessbuergerliche Beschraenktheit entstehen, auch manche Lieblingsfiguren dieser Gattung, der Schwerenoeter in Uniform, der Backfisch, der schuechterne Kandidat usw. usw., sind ihm gaenzlich fremd geworden. Wie sollten ihn Menschen und Verhaeltnisse auf der Buehne interessieren, die er in seiner Umwelt niemals gesehen hat? Neuerdings sind einzelne deutsche Theaterleiter auf den Ausweg verfallen, auch die deutsche Operette in ihren Spielplan aufzunehmen. Eine ungluecklichere Idee konnten sie wohl nicht gut auftreiben; denn was gibt es auf theatralischem Gebiete Abschreckenderes und Jaemmerlicheres als eine Operette, mit unzulaenglichen Mitteln dargestellt? Zudem ist in den Vereinigten Staaten an Operettenbuehnen wahrlich kein Mangel, und was Wien an Schlagern produziert, wird unfehlbar auf diesen Buehnen mit allem Pomp inszeniert und von den zugkraeftigsten Spezialisten dieser Gattung dargestellt. Die Besonderheit der amerikanischen Operettendarstellung besteht darin, dass in ihr keiner der Darsteller auch nur eine Minute lang seine Gliedmassen ruhig halten kann; jede Note schier wird mit einer Geste begleitet, und sobald ein flotter Rhythmus einsetzt, beginnen Chor und Solisten mit allen verfuegbaren Extremitaeten zu zucken, zu schlenkern, zu stossen und zu schleudern - kurz, es ist ein wirbelndes Durcheinander taktmaessig in Schwung gebrachter Beine und Arme, von verzweifelten Anstrengungen ausgepumpter Lungen und heiser geschriener Stimmritzen begleitet. Wie arg nun auch dieser Stil einem gebildeten Geschmack auf die Nerven gehen mag, er ist einmal der herrschende geworden, und kein sesshafter amerikanischer Buerger wird sich eine Operette anders vorstellen koennen, denn als eine solche prunkvoll inszenierte, herrlich gewandete Universalzappelei mit Musikbegleitung. Was soll ihm unter solchen Umstaenden eine deutsche Operette bieten, die fuer den Mangel an kostspieliger Inszenierung und geschmackvoller Kostuemierung keineswegs durch glaenzende Leistungen des Orchesters und der Saenger zu entschaedigen vermag? Sie kann nur dazu beitragen, seine Achtung vor dem deutschen Theaterwesen noch mehr herabzusetzen, als es Klassikervorstellungen mit duerftiger Ausstattung und mittelmaessigen Schauspielern schon zu Wege gebracht haben. Das Interesse fuer deutsches Theater und die Hochachtung vor der Leistungsfaehigkeit der deutschen dramatischen Kunst kann meines Erachtens da drueben nur dadurch wieder erweckt werden, dass _von Deutschland aus_ grosse Mittel aufgewendet werden, um Gastspiele ganz hervorragender Truppen mit allerersten Schauspielern, bedeutenden Regisseuren und glaenzender Ausstattung in den deutschen Hauptstaedten der Union zu ermoeglichen. Mit zweiter Garnitur und mit abgeblassten Sternen in Dollarica zu arbeiten, hat gar keinen Sinn. Wenn _Max Reinhardt_ seinen Plan verwirklicht, seinen "Oedipus", "Faust" und andere geniale Inszenierungen nach Amerika zu bringen, so wird er ganz sicher nicht nur gute Geschaefte machen und persoenlich einen grossartigen Erfolg erzielen, sondern er wird auch die Ehre der deutschen theatralischen Kunst wiederherstellen und fuer die Zukunft eine neue Moeglichkeit schaffen, ein gutes deutsches Theater staendig drueben zu erhalten. Die Amerikaner wollen zunaechst einmal verbluefft sein; es muss ihnen etwas noch nicht Dagewesenes gebracht werden. Eine Bombenreklame muss auch das ganze gebildete Publikum _englischer Zunge_ in dies Unternehmen locken, und dies gesamte Publikum englischer Zunge muss vor Neid bersten und zu dem Gestaendnis gezwungen werden, dass es dergleichen in seinem Theater noch nicht erlebt habe. Und der Stolz auf diesen Neid der Yankees wird das Solidaritaetsgefuehl der Deutsch-Amerikaner aufstacheln. Die Schecks fuer einen deutschen Theaterfonds werden sich zu einem Berge aufhaeufen, und so gut, wie die jetzigen italienischen Leiter der grossen Oper sich unsere ersten Saenger, Saengerinnen und Kapellmeister herueberkommen lassen, werden in Zukunft Unternehmer grossen Stils die Mittel besitzen, sich unsere hervorragendsten Regisseure und Schauspieler zu kaufen. Und wenngleich die grosse Sensation, die das deutsche Theater in Mode bringt, von Sophokles und Goethe ausging, so wird sie in der Folge doch sogar die Denkfaulheit und die Pruederie des amerikanischen Durchschnittsmenschen besiegen und auch kuehnere Neutoener unter den lebenden Dramatikern zu Worte kommen lassen. Wenn dann gegen den Geist des deutschen Dramas in den Zeitungen ein ebenso lauter Kampf entbrennt und ebenso heftig von den Kanzeln gedonnert wird, wie es gegen Richard Strauss' letzte Opernwerke geschah, so wird manch ein geplagter deutscher Theaterdirektor seinen Kahn schmunzelnd wieder flott werden sehen, und es wird sogar - was schliesslich doch wohl das Beste dabei ist - wieder ein tuechtiges Stueck Arbeit in der Richtung der kulturellen Germanisierung Amerikas geleistet werden koennen. DIE AMERIKANISCHE PRESSE. In einer Ansprache, die Professor Henry Fairfield Osborn von der Columbia Universitaet zum Beginn des Wintersemesters 1910 an seine Studenten richtete, fand ich folgende hoechst bezeichnende Worte ueber die amerikanische Presse, die ich hier in Uebersetzung geben will: "Einen guten Massstab fuer die Kultur Ihrer Umwelt bildet der Tiefstand, bis zu welchem Ihre Morgen-Zeitung sich dem Dollar zuliebe prostituiert, ihre Schattierungen von Gelbheit, ihre Frivolitaet, ihre Skrupellosigkeit. Mir scheint es manchmal wirklich besser, ueberhaupt keine Zeitungen zu lesen, selbst wenn sie gewissenhaft sind, und zwar wegen ihres Mangels an Verstaendnis fuer die relative Wichtigkeit der Haupterscheinungen des amerikanischen Lebens. Das Abendblatt, welches am ernsthaftesten ueber unser Studentenleben und Treiben berichtet, widmet einem Fussballspiel sechs Spalten und einer grossen wissenschaftlichen Kontroverse zwischen zwei Hochschulen sechs Zeilen! Das ist der Unterschied zwischen dem, was sein _sollte_ und dem, was praktisch _ist_. Amerikanische Lorbeeren gruenen fuer die gigantischen Industriehaeuptlinge: wenn das Leben eines solchen bedroht oder gar ausgeloescht ist, so muessen ganze Morgen herrlichen Waldes fallen, um das Material zu liefern fuer das Papier, das notwendig ist, um seine Verdienste in das gehoerige Licht zu setzen, wohingegen unser groesster Astronom und Mathematiker dahingehen kann und vielleicht die Schale eines einzigen Baumes genuegt fuer die paar kurzen, unauffaelligen Saetzchen, die ueber seine Krankheit und seinen Tod berichten. Vergleichen Sie einmal die Ausfuehrungen der britischen und der amerikanischen Presse ueber einen solch leicht wiegenden Gegenstand, wie ein internationales Polo: die ersteren allein sind lesenswert, weil sie von Fachleuten geschrieben sind und unser Wissen von dem Wesen des Spieles bereichern koennen. Ueber einen noch viel moderneren Gegenstand, die Aviatik, suchen wir in unserer Presse vergeblich nach irgendeiner soliden Belehrung ueber die Konstruktion der Apparate. Oder nehmen wir das Thema der praktischen Politik: der britische Student findet jede bedeutungsvolle Rede, die in irgendeinem Teil des Reiches gehalten wurde, in voller Ausfuehrlichkeit in seinem Morgenblatt; er bekommt also in seiner Eigenschaft als Waehler sein Material aus erster Hand und nicht, wie wir, in der subjektiven Darstellung des Redakteurs." (M53) Diese Stichprobe aus dem Munde eines hochgebildeten Amerikaners moege mir als Schild dienen gegen die empoerten Anfeindungen amerikanischer Patrioten, die sonst sicherlich meine geringe Meinung von ihrer Presse als einen Ausfluss bornierten europaeischen Neides hinstellen wuerden. Jeder ehrliche und geschmackvolle Mensch wird mir in der Behauptung beistimmen muessen, dass wir Europaeer ein gutes Recht haben, ueber das kulturelle Niveau der Buerger der Vereinigten Staaten bedauernd die Achseln zu zucken, so lange sie sich eine solche Presse gefallen lassen. Professor Osborns Meinung ist selbstverstaendlich auch die aller fein empfindenden und fuer den guten Ruf ihrer Geisteshoehe besorgten Amerikaner; aber der Umstand, dass der Geschmack dieser Elite bisher noch nicht imstande gewesen ist, eine Wendung zum Besseren zu erzwingen, beweist leider, dass der schlechte Geschmack bei der erdrueckenden Mehrheit zu finden sei. So lange der Stand der Zeitungsverleger noch nicht ausschliesslich aus reinen Idealisten besteht, denen kein Geldopfer gross genug ist zur Hebung des geistigen Niveaus der Leserwelt, so lange wird selbstverstaendlich die Zeitung nach dem Geschmack ihrer Kaeufer zugeschnitten bleiben. Es gibt ohne Zweifel in den Vereinigten Staaten reichlich Journalisten, die sowohl Bildung als stilistisches Geschick genug besaessen, um auch einem erheblich anspruchsvolleren Publikum zu genuegen. Es duenkt mich sogar nicht unwahrscheinlich, dass in dem Lande der glaenzenden Redner, der scharfen, witzigen Beobachter und schlagfertigen Debatter mehr gute geborene Journalisten vorhanden sein duerften, als in manchen Laendern der Alten Welt; wie aber gegenwaertig die Dinge in der amerikanischen Presse liegen, haben die skrupellosen fixen Reporter das Uebergewicht, und die besten Koepfe und Federn halten sich entweder der Tagespresse fern, oder schrauben, dem Zwange der Verhaeltnisse gehorchend, ihr Geistesniveau absichtlich herunter. Wie die amerikanische Presse nun einmal ist, erscheint sie in den Augen ernsthafter gebildeter Menschen als fuer Kinder und Unmuendige zugeschnitten. Selbstverstaendlich ist drueben, wie schliesslich auch ueberall in der Alten Welt, ein erheblicher Unterschied zwischen den solid fundierten, hochangesehenen alten Blaettern und der gelben Sensationspresse modernster Aufmachung zu bemerken; aber das Betruebliche dabei ist eben, dass das Modernste auch das Schlechteste bedeutet, und dass die gebieterische Stimme des Publikums auch die besseren aelteren Blaetter zwingt, wenigstens in der aeusseren Aufmachung sich immer mehr in jenem schlechten Sinn zu modernisieren. (M54) Das sicherste Mittel, eine Tageszeitung herunterzubringen, besteht darin, sie mit Illustrationen zu versehen. Selbst unsere ausserordentlich fortgeschrittene Technik ist noch nicht imstande, fuer den Rotationsdruck auf Zeitungspapier in Massenauflagen kuenstlerisch wirkende Bilder herzustellen, abgesehen davon, dass es auch nur in sehr seltenen Ausnahmefaellen moeglich sein wird, von Tagesereignissen im Laufe weniger Stunden flotte kuenstlerische Handzeichnungen zu erhalten. Es wird sich also fuer den Bedarf der Tagespresse immer nur um Photographien handeln koennen, die durch irgend ein billiges Verfahren wiedergegeben werden. Was dabei fuer den guten Geschmack herauskommt, wenn man den Tagesereignissen mit dem Kodak nachlaeuft, jedes Festessen mit Magnesiumblitzen auffaengt und die beruehmten Zeitgenossen tueckisch im Voruebergehen knipst, das erleben wir ja seit einer Reihe von Jahren bereits an unseren Wochenschriften. Immerhin geht es da noch mit einem gelinden Schauder ab, denn die verfuegen wenigstens ueber ein besseres Papier und mehr Zeit fuer sorgfaeltige technische Wiedergabe; im Hurrdiburr des taeglichen Rotationsbetriebes wird aber aus einer festlich bewegten Volksmenge ein Chaos von Klecksen und aus der geistvollen Physiognomie eines erstklassigen Gentleman die Karikatur eines Raubmoerders. Mit vollem Rechte sehen wir, wenigstens in Deutschland, gottlob noch jede illustrierte Tageszeitung fuer ein Kutscherblatt an, und der bessere Mensch schaemt sich, damit einen geraeucherten Hering einzuwickeln. (M55) In der Neuen Welt aber gibt es, so viel mir bewusst, ueberhaupt keine unillustrierten Tageszeitungen mehr; selbst die ernsthaftesten Blaetter, die noch auf ihren guten alten Ruf etwas halten, glauben es ihren Lesern schuldig zu sein, wenigstens Portraets vom Tage und humoristische Beigaben zu bringen. In den ausdruecklich fuer den Geschmack der grossen Masse bestimmten Blaettern aber sieht man vor lauter Illustrationen bald keinen Text mehr. Die eigentliche Sensationspresse, drueben die gelbe genannt, laesst auf ihrer ersten Seite unter lauter schreienden Aufschriften und Bildern sogar ihren eignen Titelkopf verschwinden! Am oberen Rand der Zeitung lese ich in Riesenbuchstaben: "_287 Menschen verkohlt_", oder "_Rabenmutter laesst sieben Kinder verhungern_", oder "_Das Arnoldmaedchen mit Liebhaber in Neapel gesehen_" - wobei zu bemerken ist, dass "das Arnoldmaedchen" die durchgebrannte Tochter einer hochachtbaren bekannten Familie ist, die sich durch solch rohes Ausbruellen ihres Herzeleides wie oeffentlich geohrfeigt vorkommen muss! Dann folgen grosse Portraets der Rabenmutter mit den sieben Kindsleichen, wuest hingekleckste Darstellungen der grossen Brandkatastrophe, Aufnahmen des Arnoldmaedchens als Baby, als Schulmaedel, als junge Dame, ihrer Eltern und ihres Entfuehrers. Falls der letztere nicht wirklich von einem Detektiv oder Reporter geknipst werden konnte, tut es das Bild eines beliebigen anderen jungen Mannes natuerlich auch. Reporternachrichten, wahre und unwahre, Telegramme ueber das gerade vorliegende Hauptereignis des Tages aus dem Bereich der Ungluecks-, Verbrechens- oder Skandalchronik fuellen die erste und vielleicht auch noch die zweite Seite aus; noetigenfalls schliessen sich hier die Schauer- und Trauerfaelle aus den anderen Teilen der Union und den anderen Weltteilen an. Jedenfalls bleibt als blamable Tatsache bestehen, dass alle die Nachrichten, die bei uns unter der Rubrik "Ungluecksfaelle und Verbrechen" in moeglichst knappen Notizen abgetan und nur von den Armen im Geiste mit lebhaftem Interesse gelesen werden, drueben an erster Stelle stehen und den meisten Raum beanspruchen, selbst in Blaettern, die fuer anstaendig gelten. Den Sportereignissen werden tagtaeglich, winters und sommers, viele, viele Spalten und massenhafte Illustrationen gewidmet. Auf diese Weise gelangt schliesslich jeder amerikanische Junge, der sich auf dem gruenen Felde in irgendeinem Sport eifrig betaetigt, einmal dazu, seine interessanten Zuege in der Zeitung festgehalten zu sehen, und dass das der jugendlichen Eitelkeit schmeichelt, ist ja begreiflich - weniger begreiflich jedoch, dass die Nation es nicht muede wird, jahraus, jahrein seine Bills, Bobs, Dicks, Johns und Jacks zum Fruehstueck serviert zu kriegen. Alle prominenten Persoenlichkeiten, die gerade irgendwie von sich reden machen, werden fleissig interviewt und selbstverstaendlich abgebildet. Mehr oder minder harmlose Indiskretionen aus dem Leben der gerade im Brennpunkt des Tagesinteresses stehenden Personen fuellen zahlreiche Spalten, und Big Bill (der Praesident Taft) muss sich's gefallen lassen, ebenso burschikos angeulkt zu werden, wie irgendein Brettlstern. Um auch das meist trockene Gebiet der Politik nicht ganz ohne den Reiz der Illustration zu lassen, verfaellt man auf die seltsamsten Auskunftsmittel. So war um die Weihnachtszeit 1910 unter den Nachrichten aus dem Weissen Hause _The Spinster Aunt_ Big Bills, d. h. die Altjungferntante des Praesidenten, im Bilde zu sehen, welche ihrem lieben Neffen eigenhaendig Lebkuchen und andere Gutseln gebacken hatte; das Paket und einzelne Gutseln waren gleichfalls abgebildet! Die Politik nimmt in den Sensationsblaettern nur in Zeiten der Wahlkaempfe einen grossen Raum ein, und die Sprache, die sie dann fuehrt, zeichnet sich durch hahnebuechene Derbheit aus; jedes Mittel ist ihr recht, um den Parteigegner zu verunglimpfen. Sachlich gehaltene, gedankenvolle Leitartikel findet man nur in den besten Zeitungen. Einen breiten Raum beansprucht ferner die Rubrik, die bei uns "Hof und Gesellschaft" ueberschrieben zu sein pflegt. Waehrend aber bei uns nur die regierenden Haeuser, der hoechste Adel und ganz wenige grosse Persoenlichkeiten der offiziellen Welt in dem Glashause der Oeffentlichkeit sitzen, berichtet die amerikanische Presse tagtaeglich von dem Leben und Treiben nicht nur ihrer hoechsten Beamtenschaft, ihrer Multimillionaere und Modeberuehmtheiten, sondern ueber alle ihre besser gestellten Mitbuerger, soweit sie ein Haus ausmachen. "Mister und Missis Habakuk J. Flips von 132. Strasse W. 385 hatten gestern abend zu Ehren ihrer Tochter Margaret Blossom, die ihr sechzehntes Lebensjahr erreichte, Gaeste eingeladen. Unter den prominenten Persoenlichkeiten bemerkte man ... usw." So geht es spaltenlang fort waehrend der ganzen Saison. Wenn Damen aus der Gesellschaft fuer die Wohltaetigkeit irgendeine Unterhaltung veranstalten, so bringt die Presse die Portraits saemtlicher Patronessen und ausfuehrliche Berichte; ebenso wenn ein bekannter Buerger der Stadt eine grosse Reise unternimmt, wenn seine Tochter als Schoenheit in der Gesellschaft Aufsehen erregt, oder sein Sohn beim Fussballspiel einige Rippen eingetreten kriegt, oder sein zu drei Viertel verkalkter Grossvater achtzig Jahre alt wird - kurz und gut, der Markt der lieben Eitelkeit wird reich beschickt und traegt zu der fuerchterlichen Papiervergeudung, als welche sich das ganze Pressunwesen darstellt, am meisten bei. Ueber Theater und Musik kann man unmittelbar neben den brillant geschriebenen Artikeln feiner Kenner in weit groesserer Ausdehnung das alberne Gewaesch der Reporter finden, ebenso wie sich auch zwischen allen anderen Spalten unmittelbar neben dem sachverstaendigen Urteil des gereiften Fachmannes die zum Urteilen gaenzlich unqualifizierte Volksstimme, das Gaensegeschnatter des Salons und der bloedeste Tratsch der Hintertreppe breit macht. Hat man in dem Wirrsal von Nichtigkeiten doch einmal einen wirklich fesselnden, bedeutsamen Artikel erwischt, so wird man wieder des Genusses nicht froh durch die abscheuliche Gepflogenheit, den Text durch Geschaeftsreklamen zu unterbrechen. Schreibt da ein feiner Kopf ueber irgendeine brennende, sagen wir sozialpolitische Frage. Ich folge gespannt den geistvollen Ausfuehrungen, bis ploetzlich in der Mitte der Spalte meine Augen vor einem Hindernis stutzen, denn da schiebt sich, dick und schwarz umraendert, die Reklame eines Apothekers fuer sein neues Abfuehrmittel hinein; oder ich erbaue mich eben mit innerlichem Schmunzeln an den philosophischen Aphorismen zur Lebenskunst, die ein witziger Kopf in fein geschliffener Form zum besten gibt (eine Rubrik hierfuer befindet sich in allen besseren Zeitungen und scheint sehr beliebt zu sein). Ploetzlich wird eine reizende Bosheit ueber die Liebe durch das sich breit hereindraengende Inserat einer Bestattungsgesellschaft unterbrochen mit der fett gedruckten Ueberschritt: "Waehle dir nie dein Leichenbestattungsgeschaeft aus persoenlicher Freundschaft, denn wenn du das tust," geht es nun in kleinem Druck weiter, "so schaedigst du erstens den Toten, weil du ihm nicht die erste Qualitaet Leichenbestattung zukommen laesst, und laedst zweitens den Hinterbliebenen eine Schuldenlast auf, fuer die sie keine Valuta empfangen haben, weil ein kleines Unternehmen, das jaehrlich nur wenige Begraebnisse zu liefern hat, selbstverstaendlich nicht so reich ausgestattet sein kann, wie ein grosses von unserem Rang, und dennoch viel hoehere Preise berechnen muss, weil es ja auch davon leben will. Unser Institut dagegen liefert ihnen zu billigerem Preise als irgendein anderes alles, was nur ein liebendes Herz zur Erweisung der letzten Ehre fuer seine teuren Verblichenen sich wuenschen kann. Jedermann kann sich bei uns nach seinen eignen Ideen begraben lassen, wir haben Leute von allen Rassen, Glaubensbekenntnissen und Bruderschaften zu unserer Verfuegung." Doppelstrich, - und dann geht es weiter im Text. So muss ich ungluecklicher Zeitungsleser mir meine Reflexionen ueber die Liebe durch den unangemeldeten Besuch der Leichenwaescherin stoeren lassen; kann keinen Leitartikel bewaeltigen, ohne peinlichst an meine angeschoppte Leber, meine verdickte Galle oder mangelhafte Darmtaetigkeit erinnert zu werden, und selbst wenn ich den harmlosen Roman in der Beilage schmoekern will, halten mir die eifrigen Verkaeufer aller moeglichen Waren fortwaehrend ihre Muster mit lautem Geschrei unter die Nase. (M56) Ich kann die aufreizende Wirkung dieser ewigen geschmacklosen Unterbrechungen nur mit den Gefuehlen vergleichen, die das Telephon im Busen des modernen Menschen ausloest, wenn es ihm ruecksichtslos in seinen Schlaf, in seine Andacht, in sein Nachdenken und seine Liebesfeier hineinklingelt. Man merkt auch aus dieser Aufmachung der Zeitung, dass der Durchschnittsamerikaner keinen Anspruch auf Schonung seiner Nerven erhebt. Er scheint seine Zeitung zu lieben, so wie sie ist, denn er widmet ihr alle seine freien Augenblicke, selbst waehrend der Geschaeftsstunden, und es ist fuer den denkenden Europaeer hoechst verwunderlich zu beobachten, wie Leute der verschiedensten geistigen Rangklassen, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, den naemlichen intellektuellen Schlangenfrass geduldig und sogar wohlig hinunterwuergen. Man traut seinen Augen nicht, wenn man einen ehrwuerdigen Greis, dessen hohe, ausgearbeitete Stirn betraechtlichen Verstand bezeugt, mit verhaltenem Gekicher die sogenannte humoristische Ecke seiner Zeitung studieren sieht. In dieser Abteilung erscheint naemlich, ich weiss nicht seit wieviel Jahrzehnten bereits, tagtaeglich eine Bilderserie von absichtlich unbeholfenen Karikaturen im Stile unseres "kleinen Moritz". Die scheusslichen Fratzen, welche sich die amerikanischen Exzentrikkomiker des Varietes anzuschminken pflegen, fanden vielleicht ihre ersten Vorbilder in den tonangebenden Karikaturenzeichnungen der Tagesblaetter, und diesen Fratzen haengen Zettel aus dem Munde, auf denen ihre erschuetternd witzigen Aussprueche verzeichnet stehen. Gewiss koennen auch solche grotesken Kindereien zur Abwechslung einmal einen anspruchsvolleren Menschen belustigen - die goldig harmlosen Dollarikaner aber lassen sich in fast all ihren Blaettern tagtaeglich diesen Infantilismus gefallen; Sonntags kriegen sie sogar ganze Seiten davon in Buntdruck! Ein wenig begreiflicher wird einem ja allerdings diese kindliche Anspruchslosigkeit des Geschmacks, wenn man das unbegrenzte Vertrauen, das der amerikanische Leser in die Allwissenheit seiner Zeitung setzt, beobachtet. Wer kein Konversationslexikon im Hause hat, telephoniert an eine beliebige Redaktion und setzt voraus, dass er da eine prompte Auskunft auf alle erdenklichen Fragen erhaelt. Die Naivitaet der guten Leute geht soweit, dass sie dem Mister Editor sogar ihre Herzensgeheimnisse anvertrauen und ihn um guten Rat bitten. Manche Zeitungen haben eine eigne Abteilung fuer solche vertraulichen Auskuenfte, die manchmal in ganz ernsthaftem Ton gegeben, oft aber auch von dem spasshaften Redakteur zur ironischen Verulkung der Einfalt benutzt werden. Ich schlage eine angesehene Chicagoer Zeitung auf und finde unter der Rubrik "Die Frau und ihre Interessen" folgende Anfrage aus dem Leserkreise: "Liebes Fraeulein Libbey!" - das ist die Redaktrice dieser Abteilung - "Schreiber dieses ist ein junger Mann, welcher in einer Landstadt lebt und keine Erfahrungen mit dem schoenen Geschlecht hat. Letzte Woche begegnete mir eine junge Dame, und ich verliebte mich ganz verzweifelt in sie, sie machte mir aber nicht die geringsten Avancen. Mein Vater ist Besitzer einer Lohnkutscherei in der Stadt, und ich fahre den Omnibus vom Bahnhof. Wenn diese junge Dame von mir vom Bahnhof nach ihrer Wohnung gefahren zu werden wuenschen sollte, wuerden Sie mir raten, sie gratis mitzunehmen? C. A." Antwort: "Ja, das koennte Ihnen schon vorwaerts helfen." Ist das nicht ruehrend niedlich? (M57) Eine allbekannte Eigentuemlichkeit der amerikanischen Tageszeitung sind die _Head lines_ (Kopfzeilen). Die Redaktionen haben einen eignen Mann, welcher nichts zu tun hat, als die vorliegenden Manuskripte mit solchen auffallenden, kurz orientierenden Ueberschriften zu versehen, und dieser Mann wird gut bezahlt. Der europaeische Leser laeuft anfangs blau an vor Wut ueber diese graesslichen _Head lines_; er fuehlt sich zum Idioten erniedrigt, weil man durch diese Ueberschriften, die jeden Artikel alle Nase lang zusammenfassend unterbrechen, im Grunde genommen doch nur ausdruecken will, dass man ihn fuer zu stumpfsinnig halte, als dass er imstande sei, sich selber ueber den Hauptinhalt des Gelesenen klar zu werden. Er aergert sich noch ganz besonders ueber die Gepflogenheit der Herren Headliner, bei Berichten ueber Aeusserungen hervorragender Persoenlichkeiten zu Tagesfragen den Namen des Sprechers weg zu lassen. Da steht also z. B. fett und gesperrt gedruckt: "_Sagt, Kalifrage nicht schuld_", und erst in dem in Diamant- oder gar Perlschrift ohne Durchschuss gesetzten Text erfaehrt man, dass es sich um den amerikanischen Botschafter in Berlin handele, der die Mutmassung zurueckweise, dass seine Haltung in der Kalifrage die Ursache seiner Abberufung gebildet habe. - Ein Bericht ueber mein und meiner Frau Auftreten in einem Universitaetshoersaal war beispielsweise ueberschrieben: "_Tituliertes Paar produziert sich vor erlesener Hoererschaft_". Oder ein Mordbericht ist ueberschrieben: "_Pfeift Signal aus Liebestagen, toetet sodann Frau_". Genug der Beispiele. Aber derselbe Europaeer, der anfangs mit knapper Not dem Schlagfluss entging vor Aerger ueber so viel Kinderei und grobe Geschmacklosigkeit, kommt schon nach acht Tagen sicherlich dazu, die Einrichtung der Headlines zu segnen, denn sie bedeuten tatsaechlich den Ariadnefaden, der allein einen durch das Labyrinth der zu wuesten Haufen aufgetuermten Tagesneuigkeiten sicher hindurchgeleiten kann. Mit Hilfe der Headlines ist man naemlich imstande, die umfaenglichste Tageszeitung in fuenf Minuten zu erledigen, waehrend man reichlich fuenf Stunden brauchen wuerde, wenn man den ganzen klein gedruckten Text lesen wollte. Sie sind also im Grunde eine ungemein menschenfreundliche Einrichtung. (M58) Es sei mir gestattet, aus meiner eignen Erfahrung ein kleines Beispiel dafuer anzufuehren, was der Amerikaner unter journalistischer _Smartness_ versteht. In St. Louis wurde uns unmittelbar nach unserer Ankunft frueh morgens ein Reporter gemeldet, der uns zu interviewen wuenschte. Ich merkte sehr bald, dass der sympathische, bescheidene junge Mann keinen blassen Schimmer hatte, wer wir waren, und er gestand auch laechelnd ein, dass ihn nur der "Baron" veranlasst habe, uns so ruecksichtslos zu ueberfallen, ehe wir uns noch den Schmutz der Nachtfahrt abgespuelt hatten. Da in jenen Tagen die Auffuehrung von Richard Strauss' "Salome" in Chicago viel Staub aufwirbelte, und die Leute von St. Louis mit Spannung darauf warteten, ob ihr Stadtoberhaupt die Auffuehrung dieses gotteslaesterlichen Werkes gestatten werde, so brachte ich den netten jungen Mann auf die Idee, mich ueber meine Beziehungen zu Strauss und meine Ansicht ueber "Salome" auszufragen. Er stenographierte fleissig, und wir brachten, wie mir schien, ein ganz nettes Feuilleton zustande. Hoechst vergnuegt zog er mit seiner Beute ab. Bereits eine Stunde spaeter wurden wir von seiner Redaktion angeklingelt: da habe ihnen einer ihrer jungen Leute ein ganz bloedsinniges Gewaesch abgeliefert, wir sollten doch die ueberfluessige Belaestigung entschuldigen und den Besuch eines anderen jungen Herrn ihrer Redaktion freundlichst empfangen. Bereits nach zehn Minuten erschien dieser Ins-Reine-Interviewer. Nachdem der schneidige, elegante junge Mann seinen Kollegen fuer einen Trottel erklaert hatte, liess er sich ein Bild von meiner Frau geben und fragte sie, wie ihr die amerikanischen Maenner gefielen, ob ihr die glattrasierten Gesichter lieber seien als die Schnurrbaerte, was sie von den Humpelroecken halte, ob sie nach dem Westen zu gehen beabsichtige, ob sie sich nicht vor den Cowboys dort fuerchtete - und dergleichen weltbewegende Wichtigkeiten mehr. In der Nachmittagsausgabe seines hoechst gelben Blattes erschienen bereits Bild und Interview, und es wurde uns nachher von vielen Leuten bestaetigt, dass das Publikum tatsaechlich dergleichen platte Nichtigkeiten sehr gerne lese. Einige Tage spaeter waren wir zu Gast bei dem Besitzer jener Zeitung. Wir fanden ein reizendes Heim und eine aus belangreichen Maennern und interessanten Frauen anmutig gemischte Gesellschaft und in der Gattin des Hausherrn eine hochgebildete, geschmackvolle und fein empfindende Dame. (M59) Ich glaube, aus dieser und manchen aehnlichen Erfahrung schliessen zu duerfen, dass der Tiefstand der amerikanischen Presse durchaus nicht immer einen Rueckschluss zulasse auf mangelhafte Befaehigung der amerikanischen Journalisten. Im Gegenteil: diese Damen und Herren verfuegen nicht selten ueber eine sehr gute Bildung, ueber eine hoechst gewandte Feder, einen schlagfertigen Witz, und es waere sehr wohl moeglich, mit denselben Mitarbeitern auch eine nach unserem Geschmack gute Zeitung herzustellen. In allem Technischen ist uns die amerikanische Presse sogar vielfach ueberlegen. Die Schnelligkeit der Berichterstattung und besonders die Schnelligkeit in der Herstellung dieser, an Umfang unsere Tagesblaetter meist weit uebertreffenden Zeitungen sind ganz erstaunlich, und die Art und Weise, wie die Zeitung oft tatkraeftig in oeffentliche Angelegenheiten von Bedeutung eingreift, und wie sich bei solchen Gelegenheiten der Journalist zum Volksmanne grossen Stiles, zum erfolgreichen Anwalt der Verkannten und Unterdrueckten entwickelt, kann uns nur mit aufrichtiger Hochachtung erfuellen. Ich brauche wohl nur die Namen _New-York Herald_ und _Henry M. Stanley_ zu nennen! Es betaetigen sich eben im Journalismus nicht nur Leute, "die ihren Beruf verfehlt haben," nicht nur Klugschwaetzer und Geistprotzen, sondern auch Tatmenschen, Willensgenies - weil sie wissen, dass aus einem Journalisten alles werden kann: ein Nordpol-Entdecker, ein Sherlok-Holmes, ein Theatertrustmagnat, ein Praesident der Republik! Unserer deutschen Eitelkeit ist es besonders schmeichelhaft, dass unter den hervorragendsten Journalisten englischer Feder sich auch zahlreiche deutsche Einwanderer befinden. Der anerkannt beste Musikkritiker New Yorks ist ein Deutscher; in dem am _Boston Transcript_, einer in geistigen Dingen fuehrenden Tageszeitung, angestellten Redakteur fuer literarische Angelegenheiten entdeckte ich einen ehemaligen Wiener Feuilletonisten; er schreibt jetzt, wie viele seiner Landsleute im Journalismus und im Lehrfache, ein vorbildliches Englisch. Wenn solchen reichen Moeglichkeiten zum Trotz dennoch das allgemeine Niveau der Tagespresse so erschreckend niedrig ist, so sind daran in der Hauptsache doch wohl nur die Verleger schuld, die sich an das gefaehrliche Goethewort halten: "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen." Eine Zeitung fuer jedermann aus dem Volke kann es aber vernuenftigerweise ueberhaupt nicht geben; denn was das Herz eines Waschweibes erfreut, bedeutet fuer einen denkenden Menschen eine schwere Beleidigung, was eine weltkluge Frau von reifem Verstande lebhaft interessiert, langweilt vielleicht einen aufgeweckten Ladenschwung zum Gaehnen usw. usw. Eine Zeitung kann ungemein erziehlich wirken nicht nur fuer den Geschmack, sondern auch fuer die guten Sitten und sogar fuer das Denkvermoegen ihrer Leser, indem sie allgemein verstaendlich schreibt, ohne sich jedoch zu dem Geschmack und dem beschraenkten Begriffsvermoegen der geistig Minderwertigen herabzulassen, indem sie den niedrigen Instinkten der Masse keine Konzessionen macht und den Erbaermlichkeiten gegenueber, die die Wogen des Lebens tagtaeglich ans Ufer der Oeffentlichkeit schleudern, gewissermassen die Funktionen der Gesundheitspolizei ausuebt, dadurch dass sie alle uebel riechenden Materien diskret entfernt oder wenigstens desinfiziert und zum Nutzen der allgemeinen Moral chemisch verarbeitet. Die jaemmerliche Liebedienerei, welche fast die gesamte amerikanische Tagespresse der Masse gegenueber betreibt, wirkt jedoch als schweres Kulturhemmnis, geschmacksverderbend und sogar demoralisierend. Dass sie, wie ich in den Ausfuehrungen ueber oeffentliche und private Moral bereits hervorhob, trotz ihrer indiskreten Zudringlichkeit, vor der selbst die zartesten Geheimnisse des Familienlebens nicht sicher sind, geschlechtlichen Dingen gegenueber eine geradezu aengstlich pruede Zurueckhaltung ausuebt, verringert die moralischen Gefahren, die sie heraufbeschwoert, nicht im geringsten, wenn anders man zugibt, dass Moral keineswegs im Nichtswissen um die Natuerlichkeiten des Geschlechtslebens besteht, sondern darin, dass man seinen Mitmenschen gegenueber eine anstaendige Gesinnung betaetigt und seine schlechten Triebe in strenge Zucht nimmt. Wer den Instinkt der Masse zum obersten Richter ueber die Moral und den gesunden Menschenverstand zum Minister der geistigen Angelegenheiten einsetzt, der traegt notwendig zur Verflachung der Kultur bei. Und wer einmal vor dem Mob eine etwas zu tiefe Verbeugung gemacht hat, dem setzt er sich leicht auf den Nacken und reitet ihn in den Sumpf der toedlichsten Trivialitaet hinein. Es ist sehr schwer, sich da wieder herauszurappeln. (M60) Auch dafuer liefert uns die amerikanische Presse ein warnendes Beispiel; anstatt dass naemlich, um die Geringwertigkeit des taeglichen Massenfutters auszugleichen, die Wochen- und Monatsschriften nun erst recht auf nahrhafte Qualitaet der von ihnen aufgetischten Geistesspeise ausgingen, sehen wir sie vielmehr fast samt und sonders von dem boesen Beispiel der Tagespresse angesteckt. Auch ihr Feldgeschrei lautet: Sensation um jeden Preis! Ich weiss nicht, ob es ein einziges Blatt in Amerika gibt, das absichtlich den Kreis seiner Leser einschraenkte, um zwanglos zu einer Gemeinde von Auserwaehlten sprechen zu duerfen. Weil der Hunger nach Sensation, durch die schlechte Presse geflissentlich genaehrt, nunmehr bereits eine Charaktereigenschaft des ganzen Volkes geworden ist, so glauben ihm heute auch die guten, alten Wochen- und Monatsschriften Rechnung tragen zu muessen, wenn es auch nur mit einem einzigen Artikel waere. Wenn man den Herausgebern daraus einen Vorwurf macht, so erwidern sie einem achselzuckend: "Ja, dieses einen Artikels wegen wird aber unsere Zeitschrift gekauft; bringen wir ihn nicht, so schnappt uns die Konkurrenz die Leser weg." Dieser eine Sensationsartikel, der zum Aerger geschmackvoller Menschen die Physiognomie einer sonst vornehmen Zeitschrift verschandelt wie eine behaarte Warze das Antlitz einer feinen, liebenswuerdigen Matrone, wird bezogen aus dem Reiche des Schwindels, der literarischen Hochstapelei, er wird eingegeben vom Neid, von der Rachsucht, vom Cynismus derer, die nichts mehr zu verlieren haben. Waehrend meiner Anwesenheit in den Vereinigten Staaten brachte so eine angesehene Zeitschrift einen Artikel, in welchem behauptet wurde, dass in New York taeglich etliche hunderttausend Stueck faule Eier importiert wuerden, und dass saemtliche Zuckerbaecker ihre appetitlichen Suessigkeiten grundsaetzlich nur aus faulen Eiern herstellten! Und eine Monatsschrift von noch aelterem Rufe entwarf ein schaudererregendes Bild von der lebensgefaehrlichen Ignoranz der amerikanischen Aerzte, insonderheit der Chirurgen. Da wurde als Beispiel erzaehlt, dass ein Chirurg mit grosser Praxis eine Reise ins Ausland unternehmen wollte und seine Patienten einem aelteren, angesehenen Kollegen empfahl; darunter eine Dame, an der er eine Blinddarmoperation ausgefuehrt hatte, die aber neuerdings wieder ueber Schmerzen klagte. Der aeltere Kollege habe die Dame untersucht und beim besten Willen keine andere Diagnose als Blinddarmentzuendung stellen koennen. Schliesslich sei der Zustand der Dame so besorgniserregend geworden, dass sie selber auf eine nochmalige Operation bestanden habe. Dabei zeigte sich, dass der Blinddarm, und zwar in scheusslicher Verfassung, noch vorhanden war. Als der juengere Kollege dann zurueckkehrte und von dem sonderbaren Ergebnis der Operation erfuhr, habe er totenblass ausgerufen: "Mein Gott, was habe _ich_ dann da der Dame herausgeschnitten!?" Ich muesste mich sehr taeuschen, wenn ich diesen Scherz nicht schon vor dreissig Jahren in Deutschland gehoert haette; aber er genuegte, gehoerig aufgefrischt, um die saemtlichen medizinischen Fakultaeten, die ganze Aerzteschaft der Vereinigten Staaten mobil zu machen und einen erbitterten Kampf der Meinungen zu entfachen, von dem jene tuechtige alte Monatsschrift schmunzelnd den Profit einstrich. Man sieht aus diesen Beispielen, dass sich der Sensationsgier zuliebe selbst die fuer die geistige Oberschicht arbeitende Presse kein Gewissen daraus macht, mit der Ehre des Einzelnen, eines ganzen Standes, eines Berufs oder gar der ganzen Nation ein frivoles Spiel zu treiben. Die Entschuldigung dafuer klingt freilich plausibel genug: "Was wollen Sie?" sagen einem die Herausgeber, "die Wissenden taeuschen wir ja doch nicht mit solchem Bluff, die amuesieren sich nur darueber, und im uebrigen wird so unendlich viel gedruckt und gelesen, dass das Publikum es ja doch nicht alles behalten kann. Wenn also die aergsten Luegen wirklich einmal nicht einwandfrei dementiert werden sollten, so vergisst sie das Publikum doch sicher ueber der naechsten Sensation. Wo bleibt also der grosse Schaden, den wir stiften sollen?" Es muss allerdings zugegeben werden, dass unter den besonderen amerikanischen Verhaeltnissen der Schaden vielleicht geringer ist, als er bei uns in Deutschland sein wuerde, weil dort verhaeltnismaessig nur wenige Menschen auf ein Blatt abonniert sind. Der Grossstaedter zumal kauft sich seine Zeitung und selbst seine Wochen- und Monatsschrift auf der Strasse, und zwar heute die und morgen jene, wie es der Zufall will. Er lernt also die politischen Tagesfragen heute in republikanischer, morgen in demokratischer Betrachtung kennen; er sieht heute rot, morgen blau und uebermorgen gelb - wenn er noch seinen eignen gruenen Optimismus hinzutut, ergibt die Mischung nach dem Newtonschen Gesetz schliesslich doch das Weiss der reinen Wahrheit! Die Gefahr der Verbloedung durch die Presse ist also schliesslich doch nicht so gross, wenigstens fuer den an sich schon freieren Geist. Gesetzt aber selbst den Fall, dass unter den etlichen 90 Millionen Menschen, welche die Vereinigten Staaten bevoelkern, nur wenige Tausend noch auf dem kindlichen Standpunkt stehen sollten, alles, was gedruckt ist, fuer wahr zu halten, so bliebe noch immer die ungeheure Blamage vor der uebrigen gebildeten Welt, welche doch nicht gut umhin kann, die Intelligenz und den Geschmack der ganzen Nation nach der Presse zu beurteilen, die sie sich gefallen laesst. (M61) Es sei uebrigens nachdruecklich betont, dass wenigstens ein Teil der deutschen Presse Amerikas, und besonders der fuehrenden Blaetter New Yorks, sich die redlichste Muehe gibt, sich ueber den Standard der englischen Presse zu erheben. In den grossen deutschen Zeitungen findet man, besonders ueber das Ausland, eine bei weitem ausfuehrlichere und zuverlaessigere Berichterstattung, als selbst in der guten englischen Presse. Und was beispielsweise die New Yorker Staatszeitung in ihrem Sonntagsblatt an Belehrungs- und Unterhaltungsstoff bietet, wird an Qualitaet und Quantitaet von keiner unserer Zeitungen erreicht. Aber freilich: die grosse Mehrzahl der deutschen Einwanderer amerikanisiert sich ueberraschend schnell in Dingen des Ungeschmacks und der oberflaechlichen Neugier, und so zwingt der Selbsterhaltungstrieb auch die deutschen Blaetter, manchen betrueblichen Unfug mitzumachen. Die Frage ist nun die: ist es ueberhaupt moeglich, diesem rapiden Herabsinken Einhalt zu gebieten in einem grossen demokratischen Freistaat, in dem die Masse sich zum allmaechtigen Tyrannen aufgeschwungen hat? Ich habe an anderer Stelle ausgefuehrt, dass es die natuerliche Tendenz jeder menschlichen Gemeinschaft sei, eine Aristokratie aus sich heraus zu entwickeln. Nun, ich sehe auch die Vereinigten Staaten auf dem besten Wege dazu. Die Zeit muss kommen, wo diese Aristokratie zahlreich und stark genug ist, um die geistige Fuehrung an sich zu reissen. Eine aristokratische Kultur aber laesst sich eine kulturlose Presse nicht gefallen. Die gebildete Welt wird die Amerikaner erst dann unter die Kulturvoelker rechnen, wenn sie eine Presse besitzen, die es sich zur heiligen Aufgabe macht, den Geschmack der Masse zu vergewaltigen. VON DER DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT. (M62) Deutsche Auswanderer, die in den Vereinigten Staaten zu Wohlstand gelangt sind, und es sich leisten koennen, von Zeit zu Zeit die alte Heimat zu besuchen, versichern einen in weitaus den meisten Faellen, dass sie mit staunender Genugtuung den grossen Aufschwung des Vaterlandes in wirtschaftlicher, verkehrstechnischer, wissenschaftlicher und kuenstlerischer Beziehung wahrgenommen, dass sie mit stiller Ruehrung so manche treu behuetete Wahrzeichen der Vergangenheit, liebenswuerdige alte Sitten und Gebraeuche, feuchtfroehliche Kneipwinkel und traute Gemuetlichkeit im Familienheim wieder gefunden und ihre Heimatliebe dadurch gestaerkt haetten. Wenn man sie aber dann fragt, ob sie denn das alles nicht in der Neuen Welt schmerzlich vermissten und ihr Leben nicht lieber mehr oder minder bescheiden, jedenfalls aber in der ruhigen Behaglichkeit des Rentners in der alten Heimat beschliessen wollten, da bekommt man fast immer zur Antwort: "Nein, Wurzel fassen koennte ich auch in dem ueppigen modernen Deutschland nicht mehr. So sehr ihr auch fortgeschritten seid, so habt ihr doch noch keine Ahnung von der wahren demokratischen Freiheit. Ihr fuehlt euch immer noch als Untertanen, und es scheint euch vollstaendig in der Ordnung, euch euer ganzes Leben lang von euren grossen und kleinen Fuersten, von Adel und Geistlichkeit, von euren geschwollenen Beamten und aufdringlich neugierigen Polizeiorganen grob oder sanft stupfen, gaengeln und behueten zu lassen. Euer Dasein ist nach wie vor umzaeunt von Warnungs- und Verordnungstafeln, der freie Entschluss und die freie Meinung trauen sich immer noch nicht recht heraus, ihr wartet immer noch auf Erlaubnis oder Befehl von oben, anstatt auf Biegen oder Brechen dem Unheil Trotz zu bieten. Die Disziplin und Ordnung bei euch ist ja eine ganz schoene Sache, aber die behagliche Ruhe, die sie bieten, muss doch mit zu viel Demuetigungen des Selbstbewusstseins erkauft werden. Eure gesellschaftlichen Einrichtungen erscheinen uns Republikanern nun vollends laecherlich und unertraeglich, denn ihr habt ja noch kaum angefangen, mit den unmoeglichsten Standesvorurteilen und dem engherzigsten alten Kastengeist aufzuraeumen. Das sind die Gruende, weshalb ein Mensch, der etliche Jahrzehnte lang die Luft echter demokratischer Freiheit geatmet hat, im alten Vaterlande nicht mehr heimisch werden kann." Und dann werden einem allerlei blamabel komische Reiseerlebnisse aufgetischt, die dieses Urteil ueber unsere Unfreiheit erhaerten sollen: polizeiliche Meldeformulare, welche nicht nur Namen, Stand und Herkunft, sondern auch Alter, Religion und Zweck des Aufenthalts des Reisenden zu wissen begehren, das Zusammenknicken schnauzender Beamten vor einer Leutnantsuniform, die aufgeregte Wichtigtuerei des Mannes mit der roten Muetze, der mit Papieren in der Hand auf dem Bahnsteig hin und her rennt und seine Lunge anstrengt wie ein Brigadegeneral, um einen harmlosen Personenzug abzufertigen; die komische Angst der Gastgeber vor Verstoessen gegen die Rangordnung bei Einladungen in ihr Haus, die Einbeziehung der Frauen in diese Rangordnung, die umstaendlichen Hoeflichkeitsbezeigungen wildfremder Menschen gegeneinander - und was dergleichen niedliche Reliquien aus jammervoller deutscher Vorzeit mehr sind. Das stimmt alles, und wir haben kein Recht, es dem Auslaender zu veruebeln, wenn er diese Dinge bei uns mit ironischer Heiterkeit oder gar mit bitterem Zorn bemerkt. Die Frage ist fuer uns nur die: lebt man in der demokratischen Gesellschaft der groessten amerikanischen Republik wirklich so sehr viel freier? Und ist es ueberhaupt moeglich, ein friedliches Nebeneinanderleben von Menschen, eine oeffentliche Ordnung, Sicherung des Lebens und Eigentums, eine Entwicklung von Gesittung zu schaffen ohne Gesetze, welche die absolute Freiheit des einzelnen beschraenken und ohne Gewaltmittel, durch welche diesen Gesetzen Achtung verschafft wird? Die republikanische Regierung der Vereinigten Staaten hat diese Frage sehr energisch verneint. Ich wuesste nicht, wo in der Welt mehr und eifriger Gesetze fabriziert wuerden, als gerade in der Union, wo nicht nur im Senatspalast von Washington, sondern in den Kapitalen saemtlicher 44 Bundesstaaten, jahrein, jahraus Paragraphen geschmiedet werden, die wiederum durch die lokalen Verordnungen der einzelnen Gemeinwesen weitgehende Ergaenzungen erfahren. Gewiss, unsere Verordnungswut, unsere kleinliche Polizeischikane verderben uns manche schoene Stunde und reizen die Galle oefter als das Zwerchfell - aber ist das drueben so sehr viel besser? Wenn der Zug die Grenze eines Prohibitionsstaates passiert, reisst mir der Schwarze im Speisewagen das Bierglas vom Munde weg; in Wisconsin mache ich mich strafbar, wenn ich jemandem eine Zigarette anbiete; in Boston werde ich in den Kerker geworfen, wenn ich auf der Strasse ausspucke, auf der New-Yorker Untergrundbahn mit schwerer Geldstrafe belegt, wenn ich mich auf dem Bahnsteig mit einer glimmenden Zigarre sehen lasse; wenn ich ein schoenes Maedchen bewundernd anblicke, riskiere ich, durchgepruegelt zu werden, und wenn ich das Opernhaus anders als im Frack und weisser Weste betrete, werde ich durch veraechtliche Blicke in den Boden gebohrt. In der demokratischen Gesellschaft gibt es angeblich keinen Unterschied der Staende, und diese allgemeine Gleichheit soll ihren deutlichsten Ausdruck darin finden, dass auf der Eisenbahn nur eine einzige Wagenklasse fuer alle vorhanden ist. Dieser Grundsatz ist aber in Wahrheit nur bei langsamen Lokalzuegen durchgefuehrt, die der "bessere Mensch" ja doch selten benutzt, weil er sein eignes Auto hat. Sobald ich aber weite Strecken fahren will, denke ich nicht im Traume daran, mich mit Arbeitern, Chinesen, Negern, gummikauenden Ladenmaedchen und Viehtreibern in die Car mit den graesslich engen Sitzen aus schmutzigem Strohgeflecht zu setzen, sondern ich bezahle meinen Zuschlag am Schalter der Pullman-Gesellschaft und erwerbe mir damit das Anrecht, in einem grossen luftigen, schoen ausgestatteten Salonwagen einen bequemen drehbaren Polstersessel zu benutzen und an den besonderen Luxuseinrichtungen, wie Wasch- und Rauchkabinett, Speisewagen, Buefettwagen mit Schreibgelegenheit und reichhaltige Journalauswahl nach Belieben teilzunehmen. Hier kann ich sicher sein, mich in Gesellschaft reinlicher, gut gekleideter, manierlicher und wohlhabender Menschen zu bewegen, gerade so gut oder besser, als wenn ich in Deutschland zweiter Klasse fuehre. Fuehle ich mich aber so ausserordentlich _prominent_, dass mir auch diese Gesellschaft noch zu ordinaer ist, gehoere ich also nach deutschen Begriffen zu den _erstklassigen_ Menschen, so lege ich noch ein paar Dollar zu und kaufe mir dafuer ein _Compartement_, d. h. einen abgeschlossenen, bequemen Raum innerhalb des grossen Pullman-Wagens, in dem ich ueber ueppige Salonmoebel verfuege und nachts auch allein schlafen kann, waehrend die Leute zweiter Klasse, Maennlein und Weiblein pele-mele, der Laenge nach hinter einem gruenen Vorhang uebereinander geschichtet und sorgfaeltig von der frischen Luft abgeschlossen werden. Selbstverstaendlich kann man es, ebenso wie bei uns, einem Protzenbauer in dreckigen Schmierstiefeln nicht verwehren, wenn es ihm Spass macht, fuer sein Geld erster Klasse zu fahren. Wenn aber drueben etwa ein Cowboy in verwegenem Raeuberaufzug sich fuer seine zerknitterten Greenbacks (Dollarscheine) einen Platz im Pullman-Wagen leistet, so wird er sich in der manierlichen Gesellschaft, in der er weder rauchen noch spucken darf, bald genug ungemuetlich fuehlen und ganz bescheiden in den Rauchwagen abschieben, wo die Sitten freier sind. Ist das nun etwas anderes wie unser Dreiklassensystem? Wir mit unserer duenkelhaften Verachtung des Proletariers schufen sogar noch eine vierte Klasse fuer die Leute mit der ganz schmalen Boerse - die Eisenbahnkoenige im Lande der Freiheit und Gleichheit denken aber natuerlich nicht daran, diesem Bettelpack zuliebe ganz billige Fahrgelegenheiten einzufuehren. Dass - in den Suedstaaten wenigstens - Neger in der Eisen- und selbst in der Strassenbahn im besonderen Wagen fahren muessen, ist ja eine weltbekannte, echt demokratische Einrichtung. (M63) Man sieht aus diesen wenigen Beispielen, dass auch in der grossen Republik dafuer gesorgt ist, dass der freie Kulturmensch sich hie und da an Gesetzestafeln Beulen stoesst und wegen laecherlicher Bevormundung gerade so schoen die Kraenke kriegen kann, wie bei uns. Wenn wir naeher zusehen, welchen Maechten es denn zu danken sei, dass wir drueben nicht vor lauter Freiheit allzu uebermuetig werden, so stossen wir in den meisten Faellen auf - _die alte Tante_! Ich fuer meinen Teil muss gestehen, dass mir diese alte Tante, welche, mit einer Axt und mit einer Bibel bewaffnet, Tueren einschlaegt, Schnapsflaschen demoliert, gesetzgebenden Koerperschaften die Fenster des Sitzungssaales einschmeisst und am liebsten alle freie Froehlichkeit durch ihr sauertoepfisches Geplaerr ersticken moechte, bei weitem unsympathischer ist, als unsere grimmigsten Polizeigewaltigen. Das ist ueberhaupt die ueble Kehrseite der ritterlichen Frauenverehrung bei den Amerikanern, dass sie so leicht vor den verruecktesten Anschlaegen boshafter und beschraenkter alter Weiber zu Kreuze kriecht, sobald sie im Namen der Religion oder der Sittlichkeit unternommen werden. Denn es ist dieselbe boesartige alte Tante, welche mich zwingt, mein gutes Diner in einem erstklassigen Hotel wie das liebe Vieh mit Wasser hinunter zu spuelen, oder mir ein harmloses Glas Bier durch eine Luege zu erschleichen(3), dieselbe auch, welche mir an meinen freien Sonntagen die Theater vor der Nase zusperrt, mir jede schoene kuenstlerische Nacktheit mit Feigenblaettern verschandelt und sogar meine Lektuere kontrolliert, indem sie die Tore des Freistaates gegen die Einfuhr "freier" Buecher verschliesst und dem einheimischen Schriftsteller nicht gestattet, seine Feder Dinge und Gedankenkreise beruehren zu lassen, die _sie_ fuer anstoessig erklaert! Dass diese biedere Tante mit ihrem frommen Eifer weder die Trunk- noch die Vergnuegungssucht, noch gar Kunst und Wissenschaft gaenzlich auszurotten vermag, versteht sich von selbst; ihr Erfolg besteht darin, dass sie eine scheussliche und laecherliche Heuchelei zuechtet und auf kuenstlerischem und wissenschaftlichem Gebiete die freie Entwicklung immerhin betraechtlich hemmt. Da es dem Buerger der Vereinigten Staaten an so vielen Plaetzen verboten ist, seinen Durst mit alkoholischem Nass zu loeschen, so verlernt er die guten Sitten im Umgang mit geistigen Getraenken und berauscht sich bei verschlossenen Tueren an konzentrierten Giften. Da ihm Sonntags der Genuss des Schauspiels wie der Oper versagt ist, die Gesetzgeber aber doch nicht so unmenschlich sein wollen, um Leute, die nur Sonntags Zeit haben, ganz und gar von dieser unter Umstaenden sogar bildenden Unterhaltung auszuschliessen, verfielen sie auf den Ausweg, theatralische Vorstellungen unter dem Namen _Sacred Concert_ zu gestatten, wobei aber Kostuem und Tanz fortfallen muessen. Zu meiner Zeit wurde im deutschen Theater in New York am Sonntag nachmittag "Madame Bonivard", der franzoesische Schwank von der alten Balletteuse, als _geistliches Konzert_ gegeben! (M64) Und wenn die Amerikaner behaupten, dass es einen Kastengeist oder ueberhaupt gesellschaftliche Vorurteile bei ihnen nicht gebe, so muss ich mir erlauben, auch dahinter ein grosses Fragezeichen zu machen. Die Abkommen der Knickerbockers, der True Virginians oder gar der biederen Londoner Handwerker, die 1620 mit der "Mayflower" landeten, entwickeln einen Adelstick, der unsere blaubluetigsten ostelbischen Junker neidisch machen koennte. Ganz natuerlich: denn ein Amerikaner, der seine Grosseltern noch kennt, ist schon ein leidlich vornehmer Mensch, da es ja ihrer viele gibt, die kaum wissen, wes Standes und Landes ihre Eltern waren. Folglich rechnen sich Leute, deren Ureltern schon Amerikaner waren, schon zum hohen Adel, selbst wenn diese Herrschaften Viehraeuber gewesen sein und am Galgen geendet haben sollten. Die Nachkommen namhafter Kolonisatoren und Pioniere geniessen ganz folgerichtig eine Verehrung, wie bei uns kaum die Sprossen koeniglicher Haeuser. Da aber dieser Adel nicht durch Titel aeusserlich erkennbar ist, so sorgt er durch strengste Absperrung seines gesellschaftlichen Kreises dafuer, dass er nicht mit der Krapuele verwechselt werden kann. Es ist schwerer in die Gesellschaft der sogenannten Vierhundert hineinzukommen, als an den Hoefen europaeischer Kaiser und Koenige Zutritt erhalten. Und geradeso wie unsere Potentaten von den Hofgeschichtsschreibern Faelschungen und Unterschlagungen begehen lassen, um unangenehme Eigenschaften ihrer Vorfahren vergessen zu machen, so scheuen die Vanderbilts, Jay Goulds, Astors usw. keine Kosten, um unangenehme Veroeffentlichungen ueber ihre Ahnen zu hintertreiben. Nachschlagewerke wie "Wer ist wer?" spielen drueben eine Rolle wie bei uns der "Gotha". Die guten alten Familien schuetteln ihre Bekanntschaften durch sieben Siebe, bevor sie sie ihres naeheren Umganges wuerdigen, und die Emporkoemmlinge, moegen sie auch Millionen schwer sein, kennen kein hoeheres Ziel ihres Ehrgeizes, als eine Einladung in eines dieser erlauchten Haeuser zu erreichen oder wenigstens irgend einen ihrer juengeren Prinzen oder Prinzessinnen bei sich zu sehen. Orden und Titel gibt es drueben offiziell nicht, dafuer recken sich aber die guten Leute in den Theater- und Konzertsaelen die Haelse aus, um die funkelnden Dekorationen der Herren Diplomaten zu bestaunen und schmuecken ihre Knopfloecher mit Vereinszeichen in Gestalt blitzender Sternchen und Kreuzchen, die unseren Miniaturorden von weitem wenigstens sehr aehnlich sehen. Und jeder Buerger, der durch sein geschaeftliches Glueck oder durch eine gute Karriere unter die Prominenten geraten ist, traegt eifrig dafuer Sorge, so oft wie irgend moeglich in den Zeitungen erwaehnt, abgebildet und interviewt zu werden, weil das seine gesellschaftliche Stellung ungemein erhoeht. Die guten Republikaner scheinen ein vortreffliches Gedaechtnis sowohl fuer die Zeitungsberuehmtheiten wie fuer die Familienverhaeltnisse aller ihrer grossen Tiere zu haben, denn in den besseren Kreisen wissen sie alle und besonders die Damen ganz genau, mit wem man anstandshalber verkehren kann und mit wem nicht. Sie haben ihre Liste der _moeglichen_ Menschen so sicher im Kopfe wie bei uns nur die Damen der exklusivsten Kreise, deren Evangelium die Rangliste und das Gothaische Taschenbuch ist. Der Unterschied von hueben und drueben ist also nicht gar so gross - nur dass die europaeischen Raubritter doch wenigstens urspruenglich Sprossen erlesensten Blutes waren und nur durch die Not, die Rauheit der Zeiten zur Raeuberei verfuehrt wurden. Drueben war aber doch meistens der Raubinstinkt das Primaere und wurde durch den Besitz eher gesteigert als vermindert. Zum Erwerben von ungeheuren Vermoegen gehoert neben hervorragender Klugheit, Beharrlichkeit, Phantasie und Wagemut noch immer eine grosse Portion Ruecksichts- und Gewissenlosigkeit. In einer Gesellschaft von Abenteurern, Spielern und Gewaltmenschen wurde das Diebsgenie begreiflicherweise mehr bewundert als jedes andere. _Pluckyness_ ist heute noch ein hoechstes Lob fuer einen Amerikaner, und wer die Dummheit anderer nicht ausnutzt, der gilt ihm fuer einen Schwachkopf. Wer diese Seite der amerikanischen Lebensauffassung mit Hochgenuss studieren will, der lese die kuerzlich erschienenen Memoiren des alten Gauners Drew(4). Darin kommt eine koestliche Anekdote vor, wie er einstens den alten ehrlichen Jakob Astor hineinlegte. Drew hatte eine gute Gelegenheit benutzt und fuer ein Spottgeld eine ganze Herde hoechst minderwertigen Rindviehs gekauft. Er trieb sie selbst bis nahe vor New York und liess die armen Tiere in den letzten zwei Tagen Salz lecken und erbaermlich Durst leiden. Dann ersuchte er Jakob Astor, hinauszukommen und sich seine kapitalen Tiere anzusehen. Eine Stunde vor Ankunft des misstrauischen alten Geschaeftsfreundes liess er seine Herde saufen, saufen, saufen, bis sie mit ihren prallen Wasserbaeuchen eine unerhoert strotzende Gesundheit vortaeuschte. Astor fiel darauf herein und bezahlte ihm einen glaenzenden Preis. Dieses Schwindelmanoever hat eine sozusagen klassische Beruehmtheit erlangt, und man nennt seither den Trick, Aktien durch Vortaeuschung grosser Rentabilitaet bei gesundem finanziellem Fundament in die Hoehe zu treiben "_Watering the stock_" die Herde waessern - denn das Wort _stock_ bedeutet sowohl Aktie wie Herde. - Natuerlich faellt es mir gar nicht ein, den Yankees aus ihren undemokratischen Geluesten einen Vorwurf machen zu wollen; ich sehe vielmehr darin nur eine Bestaetigung meiner Ueberzeugung, dass das Streben nach Zuechtung einer Aristokratie ein Naturgesetz sei. Der gesunde Ehrgeiz, der zum Vorwaerts- und Hochkommen anspornt, saugt seine Nahrung aus dem Naturtriebe aller staerkeren, wertvolleren Menschen, sich von den minderwertigen Schwaechlingen abzusondern. (M65) Es war mir sehr interessant, die Klage eines New Yorker Fuehrers der Sozialdemokratie zu vernehmen, dass es in den Vereinigten Staaten so ausserordentlich schwer sei, die Partei hoch zu bringen, weil die Leute keine Disziplin halten wollten. Da liegt der Hase im Pfeffer. Bei uns bekaempft die Sozialdemokratie den Militarismus aufs grimmigste - und dennoch verdankt sie einzig und allein diesem Militarismus ihren gewaltigen Erfolg in der Gegenwart. Der militaerische Drill sitzt seit etwa fuenf Generationen unserem Volke im Blut und hat es zum Disziplinhalten erzogen; dem freien Buerger der Vereinigten Staaten aber ist nichts auf der Welt so verhasst als wie Disziplin. Obwohl drueben die Herdeninstinkte noch viel staerker wirken als bei uns, weil erst eine alte Kultur zu weitgehender Differenzierung der Persoenlichkeit fuehrt, so ist doch jeder Einzelne als Republikaner viel eifersuechtiger auf seine persoenliche Freiheit als bei uns. Schon im Kapitel ueber die Dienstbotenfrage habe ich diesen Punkt beruehrt. Fast noch deutlicher tritt diese republikanische Eitelkeit, wie ich es nennen moechte, in der Frage der Rekrutierung des stehenden Heeres zutage. Die Armee wird vom amerikanischen Patriotismus naiv glorifiziert und liebenswuerdig verhaetschelt. Es braucht nur ein Bataillon mit klingendem Spiel durch die Strassen zu ziehen, und alles ist tief geruehrt vor nationaler Begeisterung - aber dienen will niemand, und die allgemeine Wehrpflicht scheint undurchfuehrbar. Die Regierung sieht sich gezwungen, an dem alten Werbesystem festzuhalten. Riesige Plakate muessen mit schreienden Farben die Soehne des Vaterlandes zum Heeresdienst verlocken. Da sieht man unter azurblauem Himmel, im Schatten von Palmen und Sykomoren, ein lustiges Zeltlager aufgeschlagen und liebestrahlende Offiziere, den Arm in vaeterlichem Wohlwollen um die Schultern gemeiner Soldaten gelegt, in freundschaftlich belehrendem Gespraech einherwandeln; und auf den Schmuckplaetzen grosser Staedte etablieren sich Feldwebel und harren unter aehnlichen vielversprechenden Plakaten der jungen Leute, die es geluestet, dem Vaterlande als Soldat zu dienen. Diese Werber muessen reden koennen wie die Versicherungsagenten und Weinreisenden. Sie stecken voll lustiger Schwaenke und sind nicht so leicht unter den Tisch zu trinken - denn Freund Alkohol muss meistens ein uebriges tun, um den schwankenden Heldenjuengling soweit zu bringen, dass er Handgeld annimmt. Uebrigens versprechen die Werber kaum zu viel, denn so gut wie der amerikanische duerfte es schwerlich ein anderer Soldat der Welt haben. Auf Manneszucht wird freilich streng gehalten, und im Dienst werden die Kraefte gehoerig angespannt, aber dafuer wird auch der gemeine Mann wie ein anstaendiger Mensch behandelt und durch ausgezeichnete Verpflegung, musterhafte hygienische Einrichtungen und Vorkehrungen fuer Unterhaltung und Erholung dafuer gesorgt, dass er nicht von Kraeften komme und bei guter Laune bleibe. Die Liebenswuerdigkeit eines praechtigen, fein gebildeten Kavallerieobersten in Columbus (Ohio) liess mich einen Einblick in das Kasernenleben tun. Jeder Mann hat ein blitzsauberes, behagliches Bett, jeder seine eigne Waschgelegenheit, sein Wannen- oder Brausebad, so oft er will, und wenn er krank ist in dem mit allen modernen Errungenschaften ausgestatteten Hospital die denkbar sorgfaeltigste Pflege. Sein Dinner nimmt er abends um 6 Uhr in einer eigens dafuer bestimmten grossen Halle mit den Kameraden ein und sitzt dabei ordentlich am Tisch, wird von hierzu kommandierten Kameraden bedient und bekommt bei jedem Gang Geschirr und Besteck gewechselt. Ich nahm an einem solchen Dinner teil, und da gab es eine vorzuegliche Reissuppe, Hamburger Beefsteaks mit Bohnengemuese und hinterher anstaendigen Kaffee mit delikatem Weissbrot. Selbstverstaendlich haben sie auch ihr eignes Feld zum Football- und Baseball-Spiel. Mit ihrem Griffeklopfen und ihrem Parademarsch ist es allerdings nach altpreussischen Begriffen nicht weit her, dafuer wird aber die Entschlussfaehigkeit des einzelnen Mannes, die Gewandtheit und Ausdauer im Felddienst mit bestem Erfolge anerzogen. Dass die Loehnung eine ungleich viel bessere ist als bei uns, ist wohl selbstverstaendlich. Der amerikanische Soldat koennte also den unsrigen hoechstens in dem einen Punkte beneiden, dass er keine so bunte und blitzende Uniform zur Schau tragen darf. Dafuer ist die seinige aber auch viel bequemer als die unsrige und ausserdem ein sichererer Schutz als der festeste Kuerass, denn ihre staubgraue Farbe macht den Mann schon in einer Entfernung von etwa 300 Meter voellig dem Erdboden gleich. Die Frau Oberst erzaehlte mir, dass sie eines schoenen Tages ihren Gatten vom Reitplatz habe abholen wollen und nicht wenig erschrocken gewesen sei, als sie, auf etwa 350 Meter herangekommen, das Pferd, das der Herr Oberst an jenem Morgen bestiegen hatte, reiterlos im Karriere durch die Bahn jagen sah. Von Angst befluegelt, sei sie vorwaerts gestuerzt und - nach ein paar Minuten sei der schmerzlich Vermisste erst schattengleich, dann immer deutlicher und kompakter wieder auf dem Ruecken seines Pferdes erschienen. Es wuerde also aus der Hoehe eines beobachtenden Flugzeuges zum Beispiel von einer amerikanischen Armee unter Umstaenden ueberhaupt nichts zu sehen sein. Doch dies nur nebenbei. (M66) Die Frage, ob eine noch so wohl gehaltene und gut ausgebildete Soeldnertruppe einem grossen, intelligent geleiteten Volksheer gegenueber standzuhalten vermoege, wird ueber kurz oder lang doch einmal zur Entscheidung kommen, denn es ist allgemein bekannt, dass die Japs ein aeusserst begehrliches Auge auf Kalifornien gerichtet halten. Als die amerikanische Flotte im Jahre 1910 ihre Demonstrationsfahrt um das Kap Horn nach Japan unternahm, erkannte der amerikanische Admiral unter den ihm zur Begruessung entgegengeschickten hohen Wuerdentraegern des japanischen Marineministeriums zu seinem nicht geringen Schreck das harmlos freundliche Gesicht eines Mannes, der laengere Zeit bei ihm als Gaertner angestellt gewesen war! Sie sind die verteufeltsten Spione der Welt, sie wissen tatsaechlich alles und verstehen es vortrefflich, ihre Plaene von langer Hand vorzubereiten und ganz versteckt zu intrigieren. Eingeweihte behaupten, dass die pacifischen Republiken Suedamerikas schon alle durch die Versprechungen der Japaner fuer deren Zwecke eingefangen und bereit seien, beim ersten Versuch der Japaner sich der pacifischen Kueste zu bemaechtigen, dem grossen Bruder in den Ruecken und in die Flanke zu fallen. Gelingt es aber den Gelben wirklich, sich in Kalifornien festzusetzen, dann wuerde es eine ueberaus schwierige Aufgabe sein, sie wieder hinaus zu jagen. Denn es gibt ueber die Rocky Mountains nur fuenf einigermassen gangbare Paesse, die militaerisch leicht zuzuschliessen sind. Nur angesichts eines solchen nationalen Ungluecks wuerde die gluehende Vaterlandsliebe der Amerikaner sich zur Einfuehrung der allgemeinen Wehrpflicht hinreissen lassen. Ich glaube, sie waere ein Segen fuer das Volk; denn der Mangel an Disziplin, an persoenlicher Opferwilligkeit macht sich ueberall als Hemmnis fuer den Fortschritt wahrer Zivilisation bemerkbar. Eine Disziplin aber, die im Blute sitzt, und nicht etwa, wie in Russland, durch Angst und Schrecken muehsam aufrecht erhalten werden muss, schafft ueberhaupt erst die Vorbedingungen fuer das segensreiche Wirken freiheitlicher Ideen und Einrichtungen. (M67) Die Freiheit, welche die Buerger der Vereinigten Staaten tatsaechlich vor uns voraus haben, und um die wir sie heute noch beneiden muessen, besteht also keineswegs in der verlockenden Disziplinlosigkeit, in der frivolen Verhoehnung der Gesetze und in der geringen Empfindung fuer die Wichtigkeit einer aengstlich gewissenhaften Aufrechterhaltung der Standes- und Berufsehre, als vielmehr darin, dass drueben tatsaechlich jede Energie, jedes Talent freie Bahn zum Auswirken besitzt. Wer etwas kann und etwas weiss, wer Arbeitskraft und Eifer an den Tag legt, wer etwas Neues zu sagen hat, der kann sicher sein, ein Feld fuer Betaetigung seiner Kraefte zu finden, Ohren, die auf ihn hoeren und Haende, die ihm vorwaerts helfen. Gute Zeugnisse, gute Familienbeziehungen, einflussreiche Goenner und ererbtes Betriebskapital sind selbstverstaendlich auch drueben eine wertvolle Vorbedingung; aber der wirklich Tuechtige kann auch ohne all das sicher sein, vorwaerts zu kommen. Bei uns hat sich die offizielle Welt mit duenkelhafter Aengstlichkeit einen hohen Zaun um ihren geheiligten Bezirk errichtet und sieht es schadenfroh mit an, wie so mancher temperamentvoll Einlassheischende sich an diesem Zaun seinen guten Kopf einrennt und gewandte Kletterer sich wenigstens die Hosen daran zerreissen; das Beste an der demokratischen Freiheit ist es, dass sie einen solchen Bretterzaun zwischen Regierung und "Untertan", zwischen Behoerde und Publikum nicht duldet. Bei uns stecken die Regierenden immer noch in der Anschauung fest, dass nicht sie des Volkes wegen, sondern im Gegenteil das Volk ihretwegen da sei; dagegen entspringt aus dem Bewusstsein des freien Buergers, dass nicht er regiert werde, sondern vielmehr sich fuer sein Geld eine Regierung nach seinem Geschmack leisten koenne, jenes Herrenbewusstsein, das die wahre Menschenwuerde erst zur rechten Bluete bringt. Dieses Herrenbewusstsein ist aber auch der grimmigste Feind aller Duckmaeuserei, Neidhammelei, Noergelsucht und aller sonstigen Laster geborener Philisterseelen. Jene beiden, bei uns leider immer noch recht zahlreichen Typen des Spiessertums, naemlich einerseits der untertaenigst vor jeder Art Obrigkeit ersterbende und wunschlos zufriedene und andererseits der noch viel haeufigere, auf alles schimpfende und doch nie zur Selbsthuelfe greifende Spiesser duerften in den Vereinigten Staaten nicht einmal in den oedesten Kleinstaedten zu finden sein. In der Luft der Freiheit gedeihen die Tugenden der wahren Noblesse: Wagemut, Hochherzigkeit, Freigebigkeit, Zutrauen zum guten Willen des Nebenmenschen. Man begegnet diesen Herrentugenden ueberall in der Oeffentlichkeit, nicht nur in den grossartigen Organisationen der Wohltaetigkeit, der Erziehung, der Fuersorge fuer die physisch und moralisch Kranken, in den koeniglichen Stiftungen der Milliardaere, sondern in vielen kleinen Zuegen, die beweisen, dass auch der aermste dieser freien Buerger an jenen Tugenden teil hat. So wird beispielsweise in dem Lande, das fuer die genialen Diebe grossen Stils so viel laechelndes Verstaendnis uebrig hat, das auf der Strasse liegende Eigentum des Naechsten auffallend respektiert. Wenn der Zeitungsjunge austreten oder seinen Lunch einnehmen will, so legt er seinen Packen ruhig auf das Trottoir. Wer unterdessen eine Zeitung kaufen will, nimmt sich eine von dem Haufen und legt seine zwei Cent oben drauf. Man hoert nie davon, dass sich jemand an dem angesammelten Kleingeld vergriff; wenn der Briefkasten voll ist oder der Spalt fuer Drucksachen und dergleichen zu eng, so legt man einfach seine Postsachen oben drauf, und keinem kommt der Gedanke, dass sie da fortgenommen werden koennten; ja noch mehr: man sieht in den Strassen massenhaft herrenlose Automobile herumstehen, denn bei der Kostspieligkeit der Dienstboten koennen sich nur sehr reiche Leute einen Chauffeur leisten; im Winter sind die Vergaser der Maschinen oft mit wertvollen Decken und Teppichen vor der Kaelte geschuetzt - und man hoert selten oder nie davon, dass ein Auto oder auch nur eine solche Decke von der Strasse weg gestohlen worden waere. Bei hellichtem Tage bandenweise in einen Laden oder in einen _Saloon_ einfallen und Inhaber wie Kunden auspluendern, das ist guter Sport, das ist fesch, wuerde der Wiener sagen; aber von der Strasse etwas fortnehmen, das ist gemeiner Vertrauensmissbrauch, das tut nicht einmal der Lumpenproletarier. Der Kleine, der sich von dem Grossen geschaedigt und schlecht behandelt fuehlt, setzt sich energisch zur Wehr. Der Arbeiter ist leicht mit dem Streik bei der Hand, wenn er die grossen Geldsaecke allzu zugeknoepft findet. Aber es faellt ihm nicht ein, den Arbeitgeber zu hassen und grimmig zu beneiden um seinen Ueberfluss. Weiss er doch von so vielen dieser schwer reichen Herren, dass sie ganz klein angefangen haben; folglich nimmt er an, dass die Kerle eben einen guten Kopf, Fleiss, Energie und Glueck gehabt haben - ihm selber oder seinen Kindern mag es ja ebenfalls gelingen, es so weit zu bringen. Warum nicht? Die Bahn ist ja frei! Das ist auch ein Grund, weshalb der Weizen des Sozialismus drueben nicht bluehen will. Ob man wohl unsere Regierung dazu bewegen koennte, einige Schiffsladungen voll Philister, Spiesser, Paragraphenreiter, Schulfuechse, Bureaukratsbuersten und Einfaltspinsel hinueber zu schaffen, um bei Bruder Jonathan einen mehrjaehrigen Kursus zwecks Charakterverbesserung durchzumachen? WIE DER YANKEE SEINE RECHNUNG MIT DEM HIMMEL MACHT. Es war eine der kluegsten Massnahmen der Unionsbegruender, dass sie in ihrer Verfassung die Trennung von Kirche und Staat aussprachen. Wie ueberall in der Welt, so hatte auch in den ersten Jahrhunderten der Besiedelung Nordamerikas die Verquickung des religioesen Elements mit der Politik die uebelsten Folgen gehabt. Die bischoefliche Kirche Englands, die papistische wie die protestantische, hatte natuerlich versucht, ihre Herrschaft auch auf die amerikanischen Kolonisten auszudehnen und dadurch den unseligen Religionshader in die neue Welt verpflanzt. Die Pilgervaeter, das heisst jene fanatischen Puritaner, die in der ersten Haelfte des siebzehnten Jahrhunderts die sogenannten Neuenglandstaaten besiedelten, hatten sich weit unduldsamer erwiesen als selbst die roemische Pfaffenherrschaft in den spanischen Suedstaaten. Sie waeren am liebsten mit Inquisition und Scheiterhaufen gegen alles, was ihnen ketzerisch erschien, vorgegangen. Aber wie diese Pilgervaeter ueber dem Psalmsingen und Ketzerriechen doch niemals vergassen, ihre weltlichen Geschaefte als geriebene Kaufleute intensiv zu foerdern, so liess sich auch der vielgeruehmte _Common __sence_ ihrer angelsaechsischen Rasse selbst durch religioese Inbrunst nicht voellig unterdruecken. Die stupiden Glaubensverfolgungen hatten tiefgehende Spaltungen, verbitterte Feindschaften zwischen den in dem jungen Kolonialreich doch so sehr auf gegenseitige Hilfsbereitschaft und festen Zusammenhalt angewiesenen Buergern erzeugt. Neugegruendete Staedte und Staaten wurden entvoelkert, abtruennige Sektierer fanden grossen Zulauf und gruendeten neue Gemeinwesen, die sich zu bedrohlichen Konkurrenten der alten Puritanersiedelungen entwickelten. Als nun gar der kleine Freistaat Maine, der als erster voellige Religionsfreiheit eingefuehrt hatte, auffaellig rasch emporbluehte, begannen doch auch den starren Puritanern die Augen aufzugehen. (M68) Und so kam es, dass nach der gewaltsamen Losreissung vom alten Vaterlande die Trennung von Kirche und Staat von der Bundesregierung zum Grundsatz erhoben wurde. Im Artikel 1 des Anhangs zur Konstitution von 1778 ist dieser Grundsatz festgelegt, und seit dieser Zeit kann tatsaechlich in den Vereinigten Staaten jeder nach seiner Fasson selig werden. Die Staatsgewalt schreitet nur ein in dem Falle, dass die Grundsaetze einer Religionsgemeinschaft den Gesetzen zuwiderlaufen, wie zum Beispiel die Vielehe bei den Mormonen. Ausserdem hat sie in weiser Voraussicht der Ansammlung uebermaessigen Kirchensvermoegen Grenzen gesetzt. Die Folge dieser Entfesselung der Religion war eine Spaltung des Protestantismus in unzaehlige Sekten, die aber keineswegs eine Schwaechung, sondern vielmehr eine Staerkung des religioesen Lebens bedeuten. Philosophisches und besonders kritisches Genie ist dem Yankeevolke durchaus abzusprechen, dagegen besitzt es einen starken Hang zur Phantastik, ja auch Begeisterungsfaehigkeit und Inbrunst. Das Volk ist in seiner Allgemeinheit heute noch kindlich denkunreif, und so erklaert es sich, dass die Bibel ihm noch durchweg als Offenbarungsquelle dient. Natuerlich aber liest jedes grueblerisch veranlagte Individuum aus dieser Offenbarung etwas anderes heraus. Und wer Beredsamkeit und Zaehigkeit genug besitzt, vermag Anhaenger um sich zu scharen und eine unabhaengige Gemeinde zu gruenden. Die Opferwilligkeit, die dazu gehoert, eine solche Gemeinde, Sekte oder Kirche (_Denomination_) aus eigenen Mitteln zu unterhalten, legt beredtes Zeugnis ab fuer die Staerke des religioesen Beduerfnisses. Freigeister in unserem Sinne gibt es bei den Yankees nur sehr wenige, und am Christentum selbst hat noch niemand von ihnen ernsthafte Kritik geuebt. Die Tradition hat die Bibelglaeubigkeit der Vorvaeter so lebendig erhalten, dass es heute noch, ebenso wie in England, ein oberstes Gesetz gesellschaftlichen Anstandes geblieben ist, seinen Eifer fuer das Christentum irgendwie zu betaetigen. Dieser Eifer aber tut sich etwas auf seine Freiheit zugute und nimmt daher oft die wunderlichsten Formen an. Die katholische Kirche dagegen haelt fest zusammen wie ueberall und gibt kein Titelchen von ihren Dogmen preis. Sie gruendet ihre Macht auf das irische Element und erhaelt staendigen Zuwachs durch italienische, polnische und slawische Einwanderer. Klug, wie sie ist, traegt sie dem in der demokratischen Luft sehr bald auch bei den geistig minderwertigsten Einwanderern ueppig ins Kraut schiessenden Stolz auf die persoenliche Freiheit Rechnung und mischt sich nicht so aufdringlich wie in Europa in Privatangelegenheiten; politisch dagegen versucht sie mit allen moeglichen Mitteln Einfluss zu gewinnen. Die bedeutsamste politische Verbindung der katholischen Irlaender, die bekannte Tammany Hall im Staate New-York, uebt offensichtlich eine grosse politische Macht aus. Ob es ihr aber wirklich gelingt, ihre Hauptabsicht, katholische Irlaender in die wichtigsten Staatsstellungen zu bringen, in gefaehrlicher Weise zu betaetigen, darueber gehen die Meinungen bei den Amerikanern selbst sehr weit auseinander. Es ist doch wohl nicht anzunehmen, dass der nuechterne, praktische Yankee, wo es sein staatsbuergerliches Wohlbefinden und seinen Geldbeutel angeht, sich von konfessionellen Quertreibereien uebers Ohr hauen lassen sollte. (M69) Obwohl der Grundgedanke des Christentums entschieden demokratisch ist, so ist doch in der demokratischen Republik gerade die Kirche der Boden, wo sich aristokratische Absonderungsbestrebungen am lebhaftesten betaetigen. Selbstverstaendlich wird in saemtlichen Kirchen und Betsaelen Nordamerikas - man zaehlt gegenwaertig, wenn ich recht berichtet bin, 86, nach anderer Quelle sogar gegen 200 verschiedene Bekenntnisse - der christliche Grundsatz gepredigt, dass vor Gott alle Menschen gleich seien; in Wirklichkeit ist aber beispielsweise die bischoefliche Hochkirche nur fuer die Reichen und Vornehmen vorhanden. In ihren praechtigen Kathedralen kostet das Abonnement auf einen Sitzplatz sicherlich so viel wie das auf einen ersten Rangplatz in der grossen Oper. Ein beliebiger Mensch der minder gut gekleideten Klasse, dem es einfallen wollte, im voruebergehen in solch eine Kirche einzukehren, wuerde nicht nur schwerlich einen Sitzplatz finden, sondern sich auch durch die entruesteten Blicke der Stammgaeste energisch hinausgeekelt fuehlen. Die Geistlichen dieser Kirche sind feine Weltleute, verkehren in der vornehmsten Gesellschaft und verdanken ihre Karriere haeufig ihren glaenzenden Eigenschaften als Tischredner, Bridgespieler, Musikdilettanten und Taenzer. Die Kirche der geistigen Aristokratie, der wohl der groesste Teil der akademischen Welt angehoert, ist die _Unitarian Church_. Diese hat alle Dogmen beiseite geworfen und nur den ethischen Gehalt der Bergpredigt als Richtung gebend beibehalten. Sie treibt keinerlei Kult mit dem starren Bibelwort und sucht die Themen fuer ihre Sonntagsbetrachtungen gerne bei den Dichtern und Philosophen, vornehmlich bei ihrem beruehmtesten Mitgliede Ralph Waldo Emerson. Den groessten religioesen Eifer entfalten natuerlich die kleineren Denominationen, deren Prediger oft die seltsamsten Mittel zum Seelenfang anwenden. Die Berichte, die zuweilen nach Europa dringen von Geistlichen, die ihre Gemeinde mit Schokolade und Icecreme bewirten, vergnuegte musikalisch deklamatorische Unterhaltungen oder schweisstreibende Leibesuebungen veranstalten, beziehen sich wohl nur auf solche Sekten, die auf den Geschmack des kleinen Mannes spekulieren und daher auch in ihrer Reklame dem Hange des amerikanischen Humors zu grotesker Uebertreibung Rechnung tragen muessen. Am spasshaftesten muss es wohl in den Negerkirchen zugehen. Wer jemals eine Probe der geistlichen Gesaenge der Nigger gehoert hat, deren Eigentuemlichkeit es ist, die biblischen Geschichten sowie die Vorstellung von Himmel und Hoelle mit ganz modernen Zutaten, aus dem Bereich der Technik etwa, auszustatten, der wird sich auch eine Vorstellung von der Weihe eines Negergottesdienstes machen koennen. Der Rhythmus afrikanischer Kriegs- und Geisterbeschwoerungstaenze sitzt diesem kindhaft gebliebenen Volke eben noch so fest in den Knochen, dass auch seine religioesen Gefuehle bis auf den heutigen Tag noch in diesem Takte schwingen. (M70) Um einen Begriff von dem Ton dieser religioesen Niggerpoesie zu geben, habe ich versucht, einige solche Kirchenlieder zu uebersetzen, wobei freilich zu bedenken ist, dass die Eigentuemlichkeiten des Negerdialektes schon darum jeder Wiedergabe in Deutsch spotten, weil wir ja bei uns kein Negerdeutsch kennen. Eines dieser Lieder aus der Zeit der Sklaverei lautet folgendermassen: "Jossua fit de battle ob de Jerico". Josua, der schlug die Schlacht bei Jericho - so froh! Ei, Josua, der schlug die Schlacht bei Jericho - und die Mauern purzeln um - glatt um! Kommt Brueder, in die Wildnis, wo der Sturm heult, lasst uns eilen, da soll da heilig Bibelwort uns unsern Kummer heilen. Wir waehlen uns zum Text - die Deutung, die liegt nah: "Der Herr rief: Moses, Moses! - und der Mann sprach: Ich bin da!" O Daniel! Ei, Josua, der schlug die Schlacht bei Jericho, und die Mauern purzeln um, glatt um. Nu, oll' Pharo von Aegypten - klueger war kein Mensch gebor'n - und er kriegt die Judenkinder 'ran zur Arbeit in sei'm Korn. Schliesslich liess der Herrgott sagen durch den Moses, seinen Knecht, dass der Pharo diese Juden schleunigst laufen lassen moecht'. O Daniel usw. Sollt er aber dies verweigern! - o verdammt - dann ging's ihm schlimm. Auf Aegypten wollt er leeren kuebelweise seinen Grimm. So geschah's. Und Pharos Heere waren keinen Dreier wert. Also, merkt, mit seinen Kindern heute noch der Herr verfaehrt. O Daniel usw. Tolle Sachen dreht der Herrgott - und nicht nur in alter Zeit, nicht fuer Israel nur - Mitchristen, nein, die Hilfe ist nicht weit! Seine Liebe reicht fuer uns noch ... so, nun lauft nicht und verpetzt mich meinem Massa, dass die Predigt euch zum Muckschen aufgehetzt. O Daniel usw. Besonders interessant ist es, dass, wie auch in den aeltesten Zeiten des Volksliedes der europaeischen Kulturlaender, das eigentlich sinnvolle Gedicht von einem Solosaenger vorgetragen wird, waehrend der Chor sich durch ganz aus dem Zusammenhang fallende Ausrufe und Kehrreime beteiligt. In obigem Lied singt also der Chor: so froh - glatt um - o Daniel - und wiederholt am Schlusse jedes Verses die ausser Zusammenhang mit dem Inhalt stehenden Einleitungszeilen: "Josua, der schlug die Schlacht bei Jericho". Ein anderes Lied, das in einen festen Rhythmus zu pressen ich mich vergeblich bemueht habe, lautet hoechst charakteristisch: Der Vorsaenger: O der Gaensekiel kratzt in dem Kontobuch des Herrn - Mein Herr schreibt meine Zeit ein. Wie im Schwanze des Opossums, sind auf deinem Schaedel auch alle Haare dir gezaehlt. Weisst du das nicht? Oder meinst du, dass der Herr, der sie schuf, nicht einen Hecht von 'nem Walfisch unterscheiden sollte koennen? Chor: Suendige also lieber nicht, wenn du nicht magst Strafe zahlen, denn mein Herrgott schreibt es ein. Vorsaenger: Und das Hauptbuch, das ich meine, das ist Gottes Weltgericht - mein Herrgott schreibt meine Zeit ein. Du erwarte nicht vom Nachbar, dass er deiner Seele durchhilft, deine Suenden muessen braten wie die Huehnchen auf dem Hofe. Chor: Also suendige lieber nicht usw. In einem anderen Liede wird den armen Suendern angeraten, sich ja rechtzeitig einen guten Platz in dem Autobus nach dem Himmel zu belegen, denn der Andrang sei gerade in diesen Tagen enorm. Es waere aber ein grosser Irrtum, anzunehmen, dass die groteske Form dieser religioesen Gesaenge nur der Lust der Nigger an kindischer Spassmacherei zuzuschreiben sei; sie sind im Gegenteil durchaus ernst gemeint und werden von den weniger kultivierten Schwarzen auch heutigestags noch nicht als komisch empfunden. Die meisten und eigenartigsten dieser Lieder stammen ja aus der Zeit der Sklaverei; es sind Naturlaute veraengstigter Seelen in armen gequaelten Leibern. Und die religioese Inbrunst, die aus ihnen spricht, ist mindestens ebenso echt wie diejenige der Heilsarmeepoesie. Uebrigens stellen diese alten Plantagenlieder so ziemlich das einzige dar, was die Vereinigten Staaten an wirklicher Volkspoesie hervorgebracht haben, sowie auch die Negermusik die einzige originelle musikalische Neubildung auf amerikanischem Boden bedeutet. (M71) Das weisse Gegenstueck zu der halbwilden Gottestrunkenheit der Schwarzen ist die Heilsarmee, die Kirche der Alleraermsten und Untersten. Zeichnen sich ihre Kultformen schon in Europa nicht gerade durch guten Geschmack aus, so erreicht diese Geschmacklosigkeit in Amerika schon geradezu kannibalische Dimensionen. Die Nigger sind wenigstens durchweg musikalisch und verfuegen oft sogar ueber sehr gute Singstimmen und geschickte Instrumentalisten. Ausserdem passt der rasche Rhythmus ihrer geistlichen Gesaenge, die Vorliebe fuer die alttestamentarische Legende und die phantastische Ausmalung von Himmel und Hoelle vortrefflich zu ihren schwarzen, wuesten Gesichtern mit den sanften schwaermerischen Augen. Wenn aber weisse Menschen unter einem noerdlichen Himmelsstrich ihre religioesen Gefuehle in der Form einer mehr als barbarischen Musikuebung mit grauenhaftem Gesang und misstoenender Pauken- und Trompetenbegleitung auf offener Strasse ausueben und sich in ihren Predigten wie ihren Gesaengen eines Jargons bedienen, der weder fuer den hohen Schwung der alttestamentlichen Sprache noch fuer die schlichte Tiefe der evangelischen Darstellung das geringste Verstaendnis besitzt, so muss einen Kulturmenschen wirklich das Grausen anwandeln. Kein sozial fuehlender Mensch wird dem idealen Zweck der Heilsarmee seine Hochachtung versagen; sie allein von allen religioesen Gemeinschaften hat es vermocht, den natuerlichen Ekel jedes gesitteten Menschen vor der schmutzigen Verkommenheit, dem stinkenden Laster und dem jaemmerlichsten Elend zu ueberwinden; sie allein wagt sich mutig unter den Auswurf der Menschheit und ringt sozusagen Brust an Brust um die Seelen der Verworfensten; sie speist ihre Geretteten nicht nur mit trostreichen Worten ab, sondern sie gibt ihnen Brot und Arbeit und verhilft so manchem schon gaenzlich Verzweifelten, von der Gesellschaft voellig aufgegebenen doch noch zu einem menschenwuerdigen Dasein. Der grosse Erfolg, den sie auf der ganzen christlichen Erde aufzuweisen hat, beweist, dass sie sich auf die Psychologie jener alleruntersten Schichten, auf die sie es abgesehen hat, versteht, und dass die sinnfaelligen Gewaltmittel, die sie bei ihrer Propaganda anwendet, die richtigen sind. Gerade diese Erkenntnis ist es aber, die dem kultivierten Menschenfreund so grausam ins Herz schneidet. So weit haben wir es also mit unserer gepriesenen Zivilisation, mit unserer Religion der Liebe, mit unserer Aufklaerung durch die Schule und unserer bewundernswuerdigen sozialen Hilfsarbeit gebracht, dass in unseren prunkenden Weltstaedten ueberall noch Tausende und aber Tausende von Mitmenschen vorhanden sind, denen nur mit fratzenhaftem Teufelsspuk und mehr als kindlichen Seeligkeitsvorstellungen beizukommen ist! In den Vereinigten Staaten leistet zudem die organisierte Wohltaetigkeit vielleicht mehr als in irgendeinem Lande der alten Welt. Die _Legal Aid Society_ zum Beispiel gewaehrt den Aermsten und Unwissendsten unentgeltlichen Rechtsbeistand; die Bemuehungen um die Besserung erblich belasteter Verbrechernaturen, um den Schutz entlassener Strafgefangener gegen das Zurueckgleiten in ihr frueheres Leben haben grossartige Erfolge aufzuweisen und zeugen von tiefer Menschenkenntnis und echter Menschenliebe - und dennoch, dennoch findet die Heilsarmee mit ihrer scheusslichen Bum-Bum-Reklame gerade dort noch so viel zu tun! (M72) Wenn man die Verbreitung und die laute Betaetigung der Heilsarmee als Massstab fuer die Gesittung eines Volkes annimmt, so muesste in dieser Beziehung das Volk der Vereinigten Staaten am tiefsten von allen Voelkern stehen. Ich meine aber, dass dieser Massstab doch vielleicht zu einem ungerechten Urteil verfuehrt: nicht im Volkscharakter als solchem liegt wohl die groessere sittliche Verkommenheit, sondern diese ist nur eine Folgeerscheinung des unerhoert raschen Emporschiessens einer rein technischen Zivilisation und des dadurch gefoerderten unnatuerlichen raschen Wachstums der Staedte. In der kleinen Landgemeinde findet einer am andern Halt, und die unmittelbare Beruehrung mit der erhabenen Natur, mit der zu Nachdenken und Andacht stimmenden Einsamkeit bietet auch dem Aermsten edle Freuden - Seelenfrieden wenigstens -, waehrend in der Grossstadt alle diese idealen Gueter nur fuer die Besitzenden vorhanden sind. Der Arme dagegen verliert in der Hetzjagd des Daseinskampfes jene innere Ruhe und wird so fast unausweichlich in einen krassen Materialismus hineingetrieben. Je mehr sich Riesenvermoegen in den Haenden weniger zusammenfinden, je mehr eine glaenzende Luxuskultur sich in der Oeffentlichkeit breit macht, desto sicherer verfaellt der Besitzlose und dabei geistig Unkultivierte der Verrohung. Es ist das eine Tatsache, die ein vernichtendes Urteil ueber den Kulturwert des technischen Fortschrittes in sich schliesst. Die Arbeiter, die in steter Beruehrung mit den erstaunlichsten Erfindungen des Menschengeistes sind, die ihnen die Baendigung der Naturkraefte durch unseren Verstand und die subtilsten Nachahmungen eines lebendigen Organismus durch einen wunderbaren Mechanismus tagtaeglich vor Augen fuehren, gewinnen von diesem Umgang weder fuer ihre Verstandesbildung noch fuer die Bereicherung ihres sittlichen Empfindens. Das einzige, was allenfalls dabei herausspringen kann, waere fuer gut veranlagte Koepfe der Anreiz zu erfinderischer Eigenbetaetigung. Ebensowenig wird der Herr der Maschine, der Arbeitgeber, dem sie Reichtum und folglich auch Macht, Behagen und Luxus schafft, von allen diesen schoenen Dingen eine seelische Bereicherung erfahren, wenn es ihm an innerer Kultur, das heisst also an Idealismus, an einem zeitig geweckten aesthetischen und ethischen Gewissen fehlt. Der vertierte, arbeitsscheue Trunkenbold, der sich durch die Radauversammlungen der Heilsarmee zur Bussbank locken laesst, legt also im Grunde ebenso beredtes Zeugnis wider die Ohnmacht der technischen Zivilisation ab, wie der angeblich gebildete, manierliche und reputierliche Mensch der Oberschicht, der sich von dem religioes drapierten Hokuspokus raffinierter Spekulanten und Agitatoren einfangen laesst. Von der oeffentlichen Katzenmusik der mit der grossen Trommel begleiteten Busspredigten, von dem rotgestrichenen Betteltopf am eisernen Dreifuss, vor dem die wetterharten Wachposten der Heilsarmee ihre Schelle unablaessig in Bewegung setzen, bis zu den gewaltigen Marmorkathedralen mit vergoldeten Kuppeln, welche die Christian Science in Boston, Providence und vielen anderen Grossstaedten des Ostens errichtet hat, scheint es ein weiter Weg - und ist doch nur ein Katzensprung! Wir Europaeer sehen die durch Misses Mary Baker G. Eddy hervorgerufene religioese Bewegung als eine geistige Epidemie an, welcher religioes veranlagte, aber denkunfaehige Geister deshalb so leicht verfallen, weil sie darin eine Wiederherstellung urchristlicher Inbrunst mit magischer Wirkung erblicken. Wir zucken gleichmuetig die Achseln ueber diese sogenannte christliche Wissenschaft und verweisen sie unter die abstrusen Erscheinungsformen moderner Hysterie. (M73) Der "American Encyclopedie Dictionary" definiert die Grundlage dieser Wissenschaft folgendermassen: "Die Christian Science lehrt die Wirklichkeit und Allgegenwart Gottes und die Unwirklichkeit und Nichtigkeit der Materie, die geistige Beschaffenheit des Menschen und des Weltalls, die Allmacht des Guten und die Unmacht des Uebels. Christian Science will die Wahrheit der urspruenglichen Lehre Christi wiederherstellen. In der Wahrheit erblickt sie das einzige Heilmittel gegen den Irrtum; Krankheit ist auch ein solcher Irrtum, eine Folge der Suende. Bekaempfe also Suende und Irrtum, so bekaempfst du Krankheit und Tod." - Christlich kann man diese Ideen allerdings nennen, neu sind sie nicht, und ihre philosophische Begruendung ist keineswegs auf Misses Eddys eigenem Geistesboden gewachsen. Das Neue und fuer die grosse Masse der heilsuchenden Menschheit Bestehende an dieser Lehre besteht darin, dass sie Christus zum Magier macht und die magischen Kraefte seiner Glaeubigen durch inbruenstige Gebetsuebungen dermassen staerken zu koennen vorgibt, dass auch die Wunder zu wirken imstande sind, vornehmlich Heilung von Krankheiten. Der praktische Nutzen der neuen Religion ist also der, dass sie an die Stelle von Doktor und Apotheker die Autosuggestion als billigsten und probatesten Heilfaktor setzt. Die Welt ist erfuellt von Uebeln und Schrecknissen aller Art, von Sorgen, Kummer, Not und Tod; der Glaeubige aber behauptet, alle diese Dinge existierten nur in der Einbildung der noch nicht Erweckten. Sie aber vollziehen an sich durch seelische Dressur einfach eine Art Selbstblendung; sie zwingen ihren Willen, nicht mehr sehen zu wollen. Und wenn sie es gluecklich zur vollendeten Blindheit gebracht haben, dann existieren allerdings weder Schmerzen noch Tod mehr. Man begreift, dass eine solche Lehre in Amerika, wo es so wenig philosophisch geschulte Koepfe gibt, ihr Glueck machen musste. Derselbe Optimismus des jugendlichen Volkes, der alles von ihm Hervorgebrachte fuer vortrefflich haelt, derselbe glueckliche Leichtsinn, der die schwierigsten Fragen dadurch loest, dass er einfach behauptet, sie existierten nicht (wie wir es zum Beispiel bei der Frage der Prostitution gesehen haben), dieselbe Leichtglaeubigkeit, die Geheimmittelfabrikanten, Somnambulen und Horoskopsteller so rasch reich macht, haben auch der Misses Eddy Millionen in die Kasse und Hunderttausende von Glaeubigen in ihre Kirche gezaubert. Das eigentliche Genie dieser merkwuerdigen Frau liegt viel mehr in der praktischen als in der philosophischen Richtung. Dem Amerikaner imponiert aber nichts so sehr, als der praktische Erfolg. Wer in kurzer Frist seinen Mitmenschen so ungeheure Geldsummen aus der Tasche zu locken und mit ihrer Hilfe eine festgefuegte Organisation zu schaffen versteht, der muss ein erwaehltes Werkzeug Gottes sein. (M74) Es will uns Europaeern schier unfasslich duenken, dass im zwanzigsten Jahrhundert unter dem angeblich nuechternsten aller Voelker eine Frau zur Gruenderin einer neuen maechtigen Kirche und von ihren Glaeubigen fuer heilig, unfehlbar, ja selbst unsterblich erklaert werden konnte! Misses Baker Eddy war bekanntlich schon zu ihren Lebzeiten zur sagenhaften Persoenlichkeit geworden. Man wollte wissen, dass sie schon seit Jahren tot sei, und dass in ihrem Wagen eine Wachspuppe spazieren gefahren werde, um ihre Anhaenger nicht in ihrem Glauben an die physische Unsterblichkeit ihrer Paepstin irre werden zu lassen. Und nun ist sie zu Ende des Jahres 1910 dennoch ganz wirklich gestorben und begraben worden, und die Aerzte wussten ganz genau den Charakter ihrer Krankheit und die unmittelbare Todesursache anzugeben. Man haette nun meinen sollen, dass mit diesem unzweifelhaften leiblichen Tode der magische Nymbus zerstoert worden sei, der die Person der Paepstin ausserhalb der Menschheit in die Reihe der Goetter stellte. Aber das war keineswegs der Fall; denn alsbald nach ihrem Begraebnis verkuendete eine ihrer vertrautesten Juengerinnen, sie koenne den Glaeubigen mit Bestimmtheit versichern, dass nur eine verbrauchte materielle Erscheinungsform der Misses Baker Eddy begraben worden sei, sie selbst werde in erneuter Leiblichkeit, vermutlich verjuengt, vielleicht schon in vierzehn Tagen wieder auf Erden wandeln. Vorsichtigerweise setzte die Dame allerdings hinzu, es koennte eventuell auch laenger dauern, vielleicht Jahre, viele, viele Jahre lang. Die Christian-Science-Kirche ist nicht mit ihrer Gruenderin gestorben; sie hat sogar, bisher wenigstens, den starken Erschuetterungen ihres Ansehens standgehalten, denen sie durch den hoechst unerquicklichen Zank der Auserwaehltesten unter ihren Getreuen um die Besetzung ihres verwaisten paepstlichen Stuhles und die Aufteilung ihrer Millionenerbschaft ausgesetzt war. Fuer uns Europaeer kann die Geschichte dieser Gesundbeterkirche nur eine entsetzliche Blamage der modernen Menschheit bedeuten. In den Vereinigten Staaten jedoch ist es geradezu gefaehrlich, ueber diesen Gegenstand, selbst in gut gesiebter Gesellschaft, eine ehrliche Meinung zu aeussern. In der gebildetsten Stadt Amerikas, in Boston, in einer Gesellschaft, die nur aus Professoren, hohen Staatsbeamten und sonstigen geistig hervorragenden Herren bestand, war ich auf dem besten Wege, mich fuer ewige Zeiten unmoeglich zu machen, indem ich das Thema von der Christian Science anschlug. Durch Augenwinken und bedeutungsvolles Raeuspern brachten mich gluecklicherweise einige wohlmeinende Mitmenschen zum rechtzeitigen Schweigen. Und hinterher erfuhr ich, dass mein Nachbar zur Linken und der bedeutende Herr vis-a-vis ueberzeugte Anhaenger der Misses Eddy seien. Wie ausserordentlich verhaengnisvoll dieser sonderbare Fanatismus auch fuer die privaten menschlichen Beziehungen sein kann, dafuer wurde mir ein Beispiel aus dem Bekanntenkreise eines Freundes erzaehlt. Ein gescheiter und tuechtiger Geschaeftsmann hatte eine recht wohlhabende Frau geheiratet und fuehrte eine durchaus glueckliche Ehe mit ihr, bis er in die Netze der Gesundbeter geriet. Von da an liess er das Arbeiten bleiben und beschaeftigte sich nur noch mit Beten und Predigen in der eigenen Familie. Es gelang ihm jedoch nicht, seine Frau zu sich herueberzuziehen. Die Nichtexistenz der Materie mit ihren Sorgen und die Allmacht Gottes legte er sich so aus, dass nunmehr auch der Herr fuer die Bezahlung der laufenden Rechnungen zu sorgen habe. Da dies nun trotz eifrig betriebener Gebetsuebungen merkwuerdigerweise nicht der Fall war, so musste seine Gattin immer mehr und mehr von ihrem Kapital fluessig machen, bis sie eines Tages die Geduld verlor und dem frommen Eheherrn die Existenz der Materie dadurch klar machte, dass sie ihm ein Scheidungsurteil vorlegte und mit Sack und Pack sein Haus verliess. (M75) Wir wuerden den Yankees schwer unrecht tun mit der Annahme, dass nur in ihrem Lande heutzutage noch ein guenstiger Boden fuer ausgiebigen Gimpelfang auf religioesem Gebiet zu finden waere. Christian Science zum Beispiel hat auch in Deutschland zahlreiche Anhaenger, und zwar vornehmlich in jenen erlauchten Kreisen, die auf die "Kreuzzeitung" abonniert zu sein pflegen. In meinen Haenden befinden sich zwei traurige Beweisstuecke fuer die engen Beziehungen zwischen amerikanisch organisiertem Schwindel und deutscher Strammglaeubigkeit. Annoncierte da in den gelesensten Blaettern der ganzen Welt ein Mister G. A. Mann, Rochester, New York, U. S. A., Postdepotnummer 1106: "Woher stammt diese wunderbare Gewalt! Das ganze Land ist erstaunt ueber die wunderbaren Taten, die Herr Mann vollbringt! Den Unheilbaren wird wieder Vertrauen eingefloesst. Aerzte und Prediger erzaehlen staunend von der Einfachheit, mit der dieser moderne Wundertaeter Blinde und Lahme mit Erfolg behandelt und zahlreiche Kranke den Klauen des Todes entreisst. Seine Ratschlaege sind unentgeltlich fuer alle. Dieser Herr entbietet sich, seine Ratschlaege unentgeltlich zu geben. Aerzte suchen seine ausserordentliche Kraft zu ergruenden ..." Und in diesem scheusslichen Reklamestil geht es zwei Spalten lang fort. Zahlreiche Heilerfolge werden mit Namensnennung angegeben, und zum Schlusse stellt sich Herr G. A. Mann als Dr. med. und Professor der von ihm erfundenen Radiopathie vor. "Die Radiopathie hilft nicht nur bei gewissen Arten von Krankheiten, sondern sie nuetzt gegen alle Krankheiten, wenn die verschiedenen, magnetisch zubereiteten Tabletten, nach unserer Formel praepariert, rechtzeitig vom Patienten benutzt werden. Wenn Sie krank sind, es ist einerlei, an welcher Krankheit Sie leiden, schreiben Sie Herrn Mann, beschreiben Sie ihm die Symptome, geben Sie an, wie lange Sie krank sind, und er wird sich ein Vergnuegen daraus machen, Ihnen die Krankheit zu nennen, an der Sie leiden und Ihnen ein Verfahren zu beschreiben, das Ihnen nuetzen wird. Dieses kostet Sie absolut nichts, und Herr Mann wird Ihnen dazu ein Exemplar des wunderbaren Buches: 'Wie man sich selbst und anderen helfen kann' mitschicken usw." Herr G. A. Mann kennt seine Pappenheimer. Fuer das Postfach 1106 in Rochester liefen aus allen Teilen der Welt die Briefe zu Hunderten und Tausenden ein, und die Heilsuchenden, natuerlich lauter arme, verzweifelte, schmerzensreiche, meist von den Aerzten aufgegebene Menschen, erhielten ein gedrucktes Schreiben, welches ihnen irgendeine Krankheit nannte und sie aufforderte, 10 Dollar, also 41,80 Mk. (!) portofrei einzusenden, wofuer ihnen die wunderwirkenden radiopathischen Tabletten, natuerlich eine voellig wertlose Droge, zugehen wuerden. Die hochwichtige Broschuere voll angeblich wissenschaftlichen Kauderwelschs wurde ihnen allerdings gratis beigepackt. Und siehe da, Tausende und aber Tausende liessen sich den letzten Hoffnungsstrahl 10 Dollar kosten und machten Herrn G. A. Mann zu einem schwerreichen Mann. Selbstverstaendlich ist er in Wirklichkeit weder Dr. med. noch Professor, sondern einfach ein geriebener amerikanischer Schwindler mit den eigenartigen Ehrbegriffen dieser interessanten Menschensorte. Um seinen guten Freunden auch einen Spass zu machen, liess er zuweilen besonders pikante Zuschriften aus seinem Kundenkreis photochemisch vervielfaeltigen. Und durch denselben wackeren Deutschen, der diesem niedertraechtigen Schwindler in Amerika das Handwerk legte, wurden mir zwei solcher Faksimiles anvertraut, in denen eine preussische Prinzessin und ein hoher Offizier der Potsdamer Garnison dem Herrn Professor der Radiopathie in Rochester Gestaendnisse ablegen, wie man sie selbst seinem Hausarzt und seinem Beichtiger wohl nur im Zustande hoechster Verzweiflung ablegen duerfte. (M76) Herr A. G. Mann aber machte sich, wie gesagt, einen Spass daraus, diese traurigen Intimitaeten seinen guten Freunden zu verraten! Angeblich soll dieser gemeingefaehrliche Schwindler uebrigens sein Unwesen heute noch von Paris aus froehlich weiter betreiben. Charakteristisch ist es nun, dass die erwaehnten, sozial so hoch stehenden Briefschreiber alle beide Herrn Mann gestehen, sie haetten es unter anderem auch schon mit der Christian Science versucht! Lernen wir Bescheidenheit aus diesem Beispiel. Auch wir Europaeer sind noch laengst nicht ueber den Berg des Aberglaubens hinweg; der religioese wie der medizinische Schwindel kommen auf beiden Seiten des Ozeans noch auf ihre Kosten, und wenn sie vereint marschieren, finden sie ihre Opfer in allen Zonen bei den Angehoerigen aller Bekenntnisse, aller Gesellschafts- und Bildungsstufen. Wie weit sind wir nun im Grunde abgerueckt von dem Glauben der Wilden an die Zauberkraft der Beschwoerungstaenze ihrer Medizinmaenner? Dunkle Erdteile gibt es nicht mehr, aber in den finsteren Hoehlen der Menschenseele kann der unerschrockene Entdecker noch genug Fossilien aus dunkelster Vorzeit finden. Bei der voelligen Gewissensfreiheit, welche die Verfassung der Vereinigten Staaten gewaehrleistet, und der grossen Anzahl der Bekenntnisse, die der heilsuchenden Seele zur Verfuegung stehen, braucht die Wahl der Religionsgemeinschaft, der ein erwachsener Mensch sich anschliessen will, von keinen anderen als rein idealen Erwaegungen geleitet zu werden; begreiflicherweise spielen aber dennoch Nuetzlichkeitsgruende, allerlei komische oder betruebliche Menschlichkeiten, just bei dieser Wahl eine bedeutende Rolle. Alle Leute, die nicht selbstaendig denken gelernt haben, und deren Zahl ist in Amerika besonders gross, sowie alle Leute, die nicht von einer besonderen religioesen Inbrunst erfasst sind, werden entweder einfach dem Bekenntnisse ihrer Eltern folgen oder aber sich einer Gemeinde anschliessen, durch die sie wertvolle geschaeftliche und gesellschaftliche Verbindungen zu erwarten haben. Da es in dem demokratischen Staat offiziell keine Rangeinteilung, keine Klassen- und Kastenunterschiede gibt, der Mensch aber doch von Natur so geartet ist, dass sich immer gleich zu gleich gesellt, und sich alsbald bestrebt, Schranken zwischen sich und der Aussenwelt zu errichten, so kommen die Religionsgesellschaften der natuerlichen Neigung entgegen. Sie stellen einfach geschlossene Vereine dar, die ihre Mitglieder aus ganz bestimmten Gesellschafts- und Bildungsschichten rekrutieren; also ein Seitenstueck zu den Klubs, die aber nur den Wohlhabenden zugaenglich sind und die Familie ausschliessen. Der selbstaendige junge Mensch wird sich also unter den etlichen hundert verschiedenen Denominationen, die ihm zur Verfuegung stehen, diejenigen aussuchen, in der er ausschliesslich seinesgleichen in bezug auf Bildung, gesellschaftliche Stellung, Lebenshaltung und allgemeine Interessen findet. Es ist klar, dass der religioesen Heuchelei, dem Drucker- und Muckertum durch diese Wahlfreiheit kein Vorschub geleistet wird. Wenn auch die Respektablitaet es erfordert, dass man einer christlichen Gemeinschaft angehoere, so erleidet sie doch keineswegs einen Schaden, wenn etwa eines frommen Quaekers Sohn zu den Methodisten uebertritt oder die Tochter des Presbyterianers sich den Baptisten anschliesst. Religioese Ueberzeugung wird unter allen Umstaenden geachtet, auch wenn sie aeusserlich wunderliche Formen annimmt. Und so faehrt schliesslich das echte religioese Beduerfnis bei dieser Zersplitterung doch noch am besten. Und die Geistlichen gar duerften in keinem Lande der Welt so viel Freude an ihren Gemeinden erleben, wie in den Vereinigten Staaten, weil ja bei der voelligen Freiheit der Meinungsaeusserung jeder Geistliche in seiner Person gewissermassen eine eigene Kirche darstellt, deren unfehlbarer Papst er ist. Verweigert ihm seine Gemeinde die Gefolgschaft, so ist er deswegen noch lange nicht deklassiert und infamiert. Ist er ein begabter Seelenfaenger, so mietet er sich eben einfach anderswo ein Lokal und versucht neue Menschen hineinzupredigen. Hat er deren ein Haeuflein beisammen, so ist seine Ich-Kirche wieder lebendig. Der unfaehige Geistliche, dessen Persoenlichkeit der suggestiven Kraft ermangelt, wird dagegen mit Recht unter das Proletariat derjenigen unbrauchbaren Menschen hinabgleiten, die da brotlose Kuenste treiben. (M77) Ich will diese Betrachtung mit einem herzerquickenden Lichtbilde schliessen. Auf dem Campus der Cornell-University in Ithaka im Staate New York erhebt sich ein schlichter Kirchenbau, der von Andrew D. White, dem feinsinnigen Gelehrten und allverehrten frueheren amerikanischen Botschafter in Berlin, gestiftet wurde. Das Innere zeigt eine wundervolle Holzarchitektur in Anlehnung an norwegische Muster, eine weichgedaempfte Farbenharmonie fasst die weitgeschwungene bunte Decke mit dem dunkelbraunen Holzton des Gestuehls mild zusammen, und die farbigen Fenster daempfen das Licht, ohne jedoch die frohe Heimlichkeit des Raumes in mystischer Daemmerung zu ersticken. Kein Altar, keine blutigen Kruzifixe oder Marterdarstellungen, ueberhaupt keine biblischen Schildereien finden sich in diesem, ich moechte sagen, lieblich erhabenen Gotteshause, nur eine einfache Rednerkanzel und eine wundervolle Orgel. In einer Seitenkapelle, die dem Charlottenburger Mausoleum einigermassen aehnlich ist, ruhen in herrlichen Marmorsarkophagen die Gebeine des trefflichen Holzhaendlers Cornell, der seinen Namen durch die Gruendung dieser, zu den allervornehmsten zaehlenden Universitaeten unsterblich machte. Hier ruht auch die erste Gemahlin Dr. Whites, und hier wird er selber seine Ruhestaette finden. Seine Kirche aber ist keinem Bekenntnisse gewidmet, sondern nur dem christlichen Gedanken, und ihre Kanzel steht jedem berufenen Redner offen, dessen Denken und religioeses Fuehlen sich irgendwie unter dem Einfluss christlicher Ideen zu befinden glaubt. Es predigen also hier allsonntaeglich abwechselnd eingeladene Vertreter aller erdenklichen Bekenntnisse, sowie auch ausserhalb alles Kirchentums stehende bedeutende Denker und Redner. Ist es nicht bezeichnend, dass die bisher einzige Absage, die Dr. Andrew D. White auf seine Einladungsschreiben erhielt, von katholischer Seite kam? Allerdings haetten sich wohl einzelne hervorragende katholische Prediger gefunden, die gern in diesem freien Gotteshause zu einer freien, Wahrheit suchenden Gemeinde geredet haetten - Rom aber sprach: "Quod non!" DIE LANDSCHAFT. (M78) Schliesslich sieht es doch nicht ueberall in den Vereinigten Staaten aus wie in der Gegend zwischen Kattowitz und Beuthen, wenn auch freilich der Charakter der reizlos platten Ackerbaugegend und des Schoenheit mordenden Industriegelaendes in den Mittelstaaten von den grossen Seen bis zum Missouri vorherrschend ist. Man braucht durchaus nicht etwa Tage und Naechte lang durch Kohlen- und Petroleumhoellen, endlose Steppe und Wueste bis zum Felsengebirge im fernen Westen hinueberzufahren, um auf landschaftliche Schoenheiten zu stossen. Schon die Manhattan-Insel, auf der die Fuenfmillionenstadt New York auf dem solidesten Untergrund der Welt erbaut ist, liegt malerisch genug in der weiten Meeresbucht zwischen den gruenen Zungen Long-Island und Staaten-Island. Auf der Fahrt am Ostufer, von New York nach Providence, glaubt man sich im suedlichen Schweden zu befinden; die liebliche Wald- und Huegelszenerie mit ihren dunklen Taelern und klaren Baechen, welche zwischen Boston und Albany sich erstreckt, koennte ganz gut einem deutschen Mittelgebirge entnommen sein; die Reize ostpreussischer oder maerkischer Seenlandschaften finden wir wieder auf der Bahnfahrt von Philadelphia nach Washington; in den Alleghanies und vollends im Adirondak-Gebiete mit seinem Lake George, sowie in dem nordwestlichen Seengebiet des Staates New York, am Lake Seneca, Lake Cayuga und wie sie alle heissen; in den Taelern des Delaware, des Susquehanna, des Chesapeake und gar des Hudson ist so viel landschaftliche Schoenheit herben und zarten, heroischen und idyllischen Stiles vorhanden, wie ein frommer Anbeter der Natur sie nur irgend wuenschen kann, Schoenheit genug, um Millionen abgehetzter Kopf- und Handarbeiter Ruhe und Erholung zu schaffen. Aber der europaeische Naturfreund wird nirgends dieser Schoenheit froh. Ich wenigstens habe alle diese Herrlichkeiten nur mit Seufzen und Fluchen an mir vorbeifliegen sehen, denn - _es fehlt ueberall an der kulturellen Inszenesetzung_. "O lieber Herrgott, wie gut hast du's gemeint! Pfui Teufel, o Menschheit, wie uebel hast du die Absichten der Natur verstanden!" Das ist das Stossgebet, das sich ueberall in den Vereinigten Staaten dem schwergekraenkten aesthetischen Bewusstsein entringt. Nirgends hat die Landschaft einen eigenartigen Stil der Wohnhaeuser, die Feld- und Waldwirtschaft einen der Landschaft angepassten, von Gau zu Gau wechselnden Charakter angenommen; ueberall dasselbe toedliche Einerlei plattester Zweckmaessigkeit. Wohl finden wir im Osten den schwedischen Granit in maechtigen Brocken, die tiefeingeschnittenen Meeresbuchten und hie und da sogar ein Stueckchen Wald, das der erbarmungslosen Axt der ersten Ansiedler entgangen ist; aber wo sind die reizenden, buntbemalten Holzhaeuser, in lustigen Blumengaerten sauber aufgestellt, darinnen derbe, blonde Dirnen in roten Roecken und gruenen Schuerzen hantieren? Wo ist die bluehende Heide, der rauschende Hochwald? Wo bleibt in den Kiefernwald- und Seengegenden das so herrlich dazu passende niederdeutsche Bauernhaus mit seinem riesigen, fast bis zum Boden hinab reichenden Giebeldach? Wo ist in den anmutigen Flusstaelern auch nur eine einzige Ansiedlung an den Ufern zu finden, die den Eindruck machte, als ob sie dort wirklich zu Hause waere? Wo sind in den Glanzstuecken der Gebirgslandschaft die romantischen Wege fuer Fusswanderer, die einsamen alten Wirtshaeuser an der Landstrasse, die verraeucherten alten Raeubernester italienischer Bergdoerfer, oder gar die lustigen Sennhuetten unserer Alpenlaender zu finden? Nichts, nichts von alledem. Wo man nicht mit dem Automobil hinfahren kann, da ist ueberhaupt schwer hinzugelangen. Aber ueberall, wo so viel zu sehen ist, dass der Baedeker einen Stern dabei machen wuerde, spreizen sich die lieblosen grossen Hotelbauten, die den Mann mit dem kleinen Geldbeutel in gebuehrender Entfernung halten. Fuer die reichen Sommergaeste ist selbstverstaendlich gesorgt mit Polo-, Golf- und Tennisplaetzen, mit Motorbooten und allen neuesten Mustern von Ruder- und Segelfahrzeugen, mit eleganten Restaurants zu Weltstadtpreisen, mit Icecream und Candy, und bei all diesen Futterplaetzen konzertieren selbstverstaendlich kleine Musikkapellen, die die beliebtesten Operettenmelodien der vergangenen Wintersaison zum besten geben und den auf die Grammophonplatte gebannten Caruso begleiten. (M79) Der Amerikaner allerdings scheint es nicht besser zu wollen. Das Beduerfnis nach Einsamkeit und Ruhe, nach einfachen Lebensfreuden, nach intimer Zwiesprache mit der Natur kennt er wohl schwerlich, denn auch bei uns sehen wir ihn ausschliesslich die grossen Hotels, die geraeuschvollen internationalen Vergnuegungsorte bevoelkern, wo er von der Eigenart einer Gegend und ihrer Menschen niemals eine Ahnung bekommen kann. In unseren Gebirgen, an unseren Fluessen und Seen erscheint er mit seiner fashionablen Ausruestung von modernsten Sportanzuegen und neuesten patentierten Sportgeraetschaften. Vom juengsten Buebchen bis zum aeltesten Greise widmet er sich unter jeglichem Himmelstrich seinen nationalen Spielen, und es freut ihn offenbar viel mehr, kleine dumme Baellchen in Gesellschaft huebscher Misses mit Knuetteln zu bearbeiten, als mit dem Rucksack auf dem Buckel schwer zugaenglicher Schoenheit nachzusteigen. Jeder Boy und jedes Girl muss seinen Kodak umhaengen haben, um die Eingeborenen im Nationalkostuem oder das mitgenommene suesse Baby in allen Lebenslagen knipsen zu koennen. Allerdings, die Hochtouristik findet auch unter den Amerikanern begeisterte Verehrer, aber wohl nur, weil sie aufregend und gefaehrlich ist und ihrer Raserei fuer das Rekordbrechen entgegenkommt. Die wein- und sangesfrohe Wanderlust, die sich mit einem Kaesebrot und einer Streu vergnuegt bescheidet, den gruendlichen Wissensdrang, der am liebsten die stillen Winkel durchstoebert, die fromme innige Naturschwaermerei, die den grossen Menschenansammlungen und laut gepriesenen Sensationen aus dem Wege geht, die kennt er nicht. Dem richtigen Durchschnittsamerikaner gilt fuer schoen, was ihm durch Dimension oder Quantitaet imponiert und - was viel gekostet hat. Niemals habe ich einen Amerikaner sich ueber die graesslichen Reklameschildereien ereifern hoeren, die gerade an den landschaftlich bevorzugten Bahnstrecken sich breit machen und einem im Laufe einer Fahrt von einigen Stunden, die recht genussreich fuer das Auge sein koennte, etliche hundert Mal in der Gestalt eines ueberlebensgrossen rotbunten Ochsen entgegenschreit, dass _Durham Bull_ der beste Rauch-, Kau- und Schnupftabak sei, oder sonst irgendeine maechtig interessante Feststellung. Haelt man ihm die Poesielosigkeit der grossen Hotelbauten in seinen beruehmten Ausflugsorten vor, so entgegnet er: Wem die nicht gefielen, der koennte sich ja ein Hausboot auf einem der Seen zulegen, oder mit Zelt und Canoe ausgeruestet in die Wildnis ziehen. O gewiss, das wuerde auch unserem Geschmack poetisch vorkommen, dieses neuerdings unter den jungen Amerikanern beiderlei Geschlechts sehr beliebte "_camping out_". Aber auch dieses Vergnuegen des Biwakierens ist mit Kosten verknuepft, die sich nur wohlhabende Leute leisten koennen, denn es versteht sich von selbst, dass man solchen abenteuerlichen Auszug ins wilde Hinterland nicht antritt, ohne in bezug auf die Transportmittel, auf Kleidung, Schlafgelegenheit, Kochgeschirr, Angel- und Jagdgeraet usw. auf das vollkommenste mit den allerneuesten Erzeugnissen auf diesem Gebiete ausgeruestet zu sein. In den Vereinigten Staaten freilich gibt es kaum Leute, die so wenig Geld haetten, dass sie sich nicht einmal so etwas leisten koennten, oder wenigstens kennt man in besseren Kreisen solche betruebliche Armseligkeit nicht. Andererseits wuerde wieder das geistige Gepaeck, das unsere kultiviertesten Naturfreunde auf ihren Wanderungen mitzunehmen pflegen, drueben fuer ein ausserordentlicher Luxus gelten: Sprach- und Dialektkenntnis, geographische und ethnographische, naturwissenschaftliche und kunstgeschichtliche gruendliche Vorbereitung. Da im eigenen Lande so wenig vorhanden ist, was dem historischen Sinn Nahrung geben koennte, so vermisst der Amerikaner die edle Patina des Alters durchaus nicht, sondern findet selbstverstaendlich alles Frischgestrichene, Neulackierte erfreulicher denn alles alte Geruempel. (M80) Es ist ein wahres Wunder zu nennen, dass die guten Kinder ihre Niagarafaelle verhaeltnismaessig so unverschandelt gelassen haben. Bei der kolossalen Kraft, die dort umsonst zu haben ist, waere es doch eine Kleinigkeit, zum Beispiel ueber dem Horseshoe-Fall des Nachts ein riesiges Stern- und Streifenbanner aus elektrischen Gluehkoerpern flattern zu lassen! (Sie machen solche bewegten elektrischen Lichtreklamen famos). Und wie wuerden sich die Canadier giften, wenn sie jede Nacht auf dem amerikanischen Ufer Onkel Sams Fahne flammen sehen muessten! Sie wuerden vermutlich nicht lange zoegern, auf ihrer Seite einen wenn moeglich noch groesseren, elektrisch bewegten _Union Jack_ zu hissen. Und damit waere sozusagen das Eis gebrochen: in wenigen Wochen wuerde der strahlende Ochse Durham das Lob des besten Rauch-, Kau- und Schnupftabaks feuerspeiend in die Nacht hinaus bruellen; ueber, unter, zwischen und hinter den Faellen selbst wuerden in genial ersonnenen Lichtspielen die koestlichen Whiskys, die beliebtesten Biere, die anerkanntesten Leberpillen und sichersten Abfuehrmittel sich dem staunenden Naturfreund empfehlen. Und es ist, wie gesagt, nicht zu begreifen, dass nicht wenigstens die Fabrikanten von Babywaesche diese glaenzende Reklamegelegenheit ergriffen haben, da doch saemtliche amerikanischen Brautpaare ihre Hochzeitsreise nach den Niagarafaellen zu unternehmen pflegen. Ich vermute, dass da irgend welche schlechten Demokraten die Freiheit durch volksfeindliche Gesetze schaendlich unterbunden haben muessen; anders ist dieser geradezu barbarische und schamlose Zustand gar nicht zu erklaeren, dass man hier die Natur so nackt und bloss wirken lassen konnte, ohne jede zivilisierte Bekleidung durch den menschlichen Geschaefts- und Erfindungsgeist! Nur der dekadente Europaeer kann so etwas schoen finden! Und dennoch muss ich gestehen, dass ich dekadenter Europaeer auch angesichts der Niagarafaelle die feinere Regie vermisste. Ich musste an unsern lieben Rheinfall bei Schaffhausen denken. Wie ist da das herrliche Naturschauspiel vorbereitet, wie ist da geschickt Stimmung gemacht durch eine idyllisch romantische Landschaft, durch das uralt heimliche Schaffhausen mit seiner gewaltigen Zitadelle, seiner begruenten Stadtmauer, seinen trauten, krummen Gassen und behaglichen alten Wirtshaeusern! Wie sind auf dem Wege nach Laufen die Kraftwerke und Aluminiumfabriken - denn auch hier ist der Mensch nicht so dumm, die ueppigen Schaetze der Natur aus reiner Sentimentalitaet ungehoben zu lassen -, wie sind sie so geschickt unter dichtem Gruen versteckt! Dagegen dehnt sich drueben von der furchtbar garstigen Grossstadt Buffalo bis zu dem fast ebenso scheusslichen Nest Niagara-Falls-City die trostloseste Einoede am Gestade des Eriesees entlang. Das Klima ist windig und regnerisch, der Boden wenig fruchtbar, und infolgedessen sieht man ueberall verlassene Ansiedlungen, Truemmerhaufen, Oedland. Dazwischen massenhafte Fabrikanlagen mit ihrem schmutzigem Abfall, Schlackenbergen und missfarbigen Rinnsalen. Lange, truebe Strassenzuege mit garstigen Arbeiterhaeusern durcheilt die elektrische Bahn nach den Faellen, an wuesten Schnapskneipen und Tanzsalons mit klirrenden Drehklavieren und kreischenden Grammophons muss man vorueber, bevor man den nett gehaltenen Park erreicht, den man um die beiden Hauptfaelle angelegt hat. Dann gelangt man zunaechst an den kleineren dritten Fall, den die Industrie ganz und gar fuer sich in Beschlag genommen hat. Dicht am Rande des senkrechten Felsabsturzes ragen die Mauern und Schlote der Fabriken empor, und die gebaendigten Wassermassen quellen aus einer Menge von eisernen Roehren hervor, jedoch nicht mehr im kristallenen Naturzustand, sondern gar lieblich koloriert. Es muessen wohl Farbwerke sein, denen ihre Kraft dienstbar geworden ist, denn im Winter, als ich sie sah, waren alle diese Abfluesse zu Eiszapfen gefroren, die einen pittoresken Behang ueber dem ganzen Abgrund bildeten und abwechselnd schoen chromgelb, vitriolblau und krapprot gefaerbt waren. Die grossen Faelle selbst gehoeren ja ohne Zweifel zu den gewaltigsten Naturschauspielen der Welt, besonders im Winter, wenn die Baeume im weiten Umkreis in wunderbar funkelnde Kristallkandelaber verwandelt sind und wilde phantastische Schneewachten und Eisgebilde die ungeheuren donnernden und dampfenden Wasserschleier einrahmen. Leider aber fehlt es dem gewaltigen Schaustueck gaenzlich an Hintergrund. Der Niagarafluss verbindet eben zwei an sich wenig reizvolle grosse Wasserflaechen, und wenn nicht zufaellig der Eriesee etliche 60 Meter hoeher als der Ontariosee gelegen waere, so wuerde es ueberhaupt nicht zustande gekommen sein. Wenn unser Herrgott, sagen wir mal: die biedere Warthe in irgendeinem preussischen Kartoffelacker einen solchen Bocksprung von 40 bis 50 Meter ausfuehren liesse, so wuerde das einigen Hunderttausenden Deutschen genuegenden Anlass bieten, um entruestet aus der Landeskirche auszutreten; in Amerika aber darf sogar der Weltbaumeister geschmacklos sein, ohne sich Unannehmlichkeiten zuzuziehen. (M81) Die Zeiten, wo man die absolute Geschmacklosigkeit keinem Amerikaner veruebeln durfte, weil er eben zunaechst fuer das Allernotwendigste zu sorgen, Neuland urbar zu machen und Weib, Kind, Ochs, Esel und alles, was sein war, vor wilden Tieren und roten Skalpjaegern zu verteidigen hatte, die sind doch jetzt vorbei, zum mindesten fuer den hochkultivierten Osten, und die Zahl derer, die sich nach Schoenheit zu sehnen beginnen, waechst von Jahr zu Jahr. Warum, ihr lieben Yankees, entnehmt ihr nicht eurer neuesten Schatzkammer Alaska ein paar lumpige Milliarden und stellt Landschaftsregisseure mit unbeschraenktem Kredit an? Herrgott Saxendi, was liesse sich beispielsweise aus eurem Hudson machen! Ich weiss mir keinen schoeneren Strom in der Welt. In seinem langen, gewundenen Lauf von New York bis Albany schlaegt er leicht die gloriose Rheinstrecke von Bingen bis Bonn und kann es selbst mit der Donau zwischen Krems und Melk und sogar mit der Elbe zwischen Koenigstein und Schandau aufnehmen vermoege seiner herrlich geformten Uferberge und des imposanten Hintergrundes, den ihm die Catskillberge und noch weiter oben die Adirondaks geben. Wenn trotzdem der Hudson nicht entfernt so stark wirkt wie jene deutschen Stroeme, so liegt das eben einfach daran, dass ihm die Rebenhaenge mit den beruehmten Weinmarken, die lieben alten Staedtchen und ganz besonders die malerischen Burgruinen fehlen. Der Regisseur des Hudsons haette also die Aufgabe, das ganze staedtische und doerfliche charakterlose Geruempel, das die Ufer des Flusses verschimpfiert, niederzureissen und durch Neubauten im Stil des Hudsontales und der Hudsonbewohner zu ersetzen. Das waere mit viel Geld zu machen, wenn sich nicht von vornherein die Frage aufdraengte: Ja, welches ist denn der Stil der Hudsonbewohner, der Hudsonlandschaft? Das weiss eben kein Mensch! Die Hudsonleute haben eben keinen anderen Stil als die Susquehannaleute oder die Michiganleute. Es war mehr oder weniger Zufall, ob die ersten Kolonisten sich da oder dort niederliessen, und jeder von ihnen hat sich an seinem Orte eingerichtet, wie sein Nutzen es erforderte und seine Mittel es erlaubten. Gewiss haben sich an unserem Rhein die Menschen urspruenglich auch nicht aus Bewunderung fuer die schoene Gegend niedergelassen, noch haben sie ihre Burgen auf die Hoehen gebaut, um spaeteren Geschlechtern eine Sehenswuerdigkeit durch deren Ruinen zu liefern. Nie und nirgends ist eine Landschaft spaeteren Dichtern und Malern zuliebe stilisiert worden, sondern das Notwendige und Zweckmaessige ist immer am Anfang der Entwicklung gestanden, in der Alten gerade so wie in der Neuen Welt. Erst der Edelrost der Jahrhunderte und Jahrtausende hat die Schoenheit dazu getan. Aber diese Schoenheit ist keineswegs ganz wild gewachsen aus der vollen Freiheit des Individuums heraus. Ein einheitlicher Stil konnte sich nur dadurch entwickeln, dass der Wille einzelner Ueberragender sich den Herdenmenschen aufzwang, dass die kuenstlerisch fruchtbaren Talente von den Herrschenden und Besitzenden erkannt und mit grossen Aufgaben betraut wurden. So konnten sie die Muster schaffen, welche die Gedankenlosen alsdann aus Gewohnheit immer wieder nachmachten. Die Zuenfte mussten ihren Zwang auf die Handwerker ausueben, die Stadtvaeter mussten Bau- und Kleiderordnungen erlassen, und durch die Engigkeit der Verhaeltnisse musste ein konservatives Philisterium gezuechtet werden, damit kein individualistischer Zickzack die Gradlinigkeit der Entwicklung stoerte. Die Frage ist nur, ob man das alles heutzutage noch in einer grossen demokratischen Republik nachahmen koennte. Gewiss, ein genialer Architekt, nennen wir ihn Meyer, koennte mit den zur Verfuegung gestellten Millionen den ganzen Hudson in einem original meyerischen Stil bebauen, und das koennte vielleicht etwas sehr Schoenes geben, aber dann muessten auch drakonische Gesetze erlassen werden, die die Anwohner des Hudsons zwaengen, ihre notwendigen Neubauten immer wieder im meyerischen Stile zu errichten und sich ueberhaupt in allen Lebenslagen streng meyerisch zu benehmen. Wuerden sich die freien Buerger des Staates New York das gefallen lassen? Schwerlich. Sie wuerden jedoch nichts dawider haben, wenn spekulative Unternehmer darauf verfallen sollten, auf den schoen geschwungenen Uferbergen des Hudson kuenstliche Burgruinen zu errichten, zu denen Zahnradbahnen oder Elevators hinauffuehrten. Es waere weiterhin nur vernuenftig, wenn in diesen Ruinen spekulative Wirte sich niederliessen, die auf den Plattformen der Tuerme Flugschiffstationen und auf den Turnierplaetzen Hangars fuer Aeroplane einrichteten. Gewiss wuerden es die Hudsonleute auch gern sehen, wenn hie und da eine besonders garstige Fabrik huebschere Formen annaehme und an Stelle manchen haesslichen Geruempels reiche Mitbuerger ihre Sommervillen in allen moeglichen bizarren europaeischen und asiatischen Stilen anlegen wuerden. Vermutlich wird man schon in naher Zukunft Seite an Seite mit imitierten Stolzenfelsen und Drachenburgen, japanische Teehaeuser, russische Datschen und Darmstaedter Eigenheime bewundern koennen, aber ein origineller Hudsonstil wird sich von selber auch in fernen Jahrhunderten schwerlich entwickeln. Wir sehen es ja bei uns, wie schwer es die Vereine fuer Denkmal- und Heimatschutz haben, unsere schoensten alten Staedtebilder vor Verschandelung zu behueten, und wie auch die strengste Baupolizei hoechstens unter Mitwirkung wirklich feinfuehliger Kuenstler einigermassen dem Eindringen der Stillosigkeit zu wehren vermag; denn die instinktive Stilsicherheit unserer Vorvaeter ist uns Modernen durch den Mangel an Sesshaftigkeit der grossen Masse, die durch unsere Verkehrsverhaeltnisse erzeugt wurde, schon sehr abhanden gekommen. Drueben in der neuen Welt aber hat solche instinktive Stilsicherheit natuerlich niemals bestanden; der Kuenstler, den man zum Landschaftsregisseur ernennen wollte, haette es also mit Kindern und Barbaren zu tun, denen man wohl neue Moden importieren und schmackhaft machen, aber keinen Stil aufzwingen koennte. Die Yankees mit ihrem wundervollen Optimismus sind natuerlich ueberzeugt davon, dass die Schoenheit und der Stil in ihrem Lande ganz von selber sich entwickeln muessten als eine Frucht der fortschreitenden Geschmackskultur ihrer reichen und muessigen Leute. Ich vermag diese Zuversicht nicht zu teilen, sondern glaube vielmehr, dass sich auch im Laufe vieler Jahrhunderte der grosse Unterschied zwischen der alten Welt als einem Antiquitaetenmuseum und der neuen als einem Novitaetenbazar nur wenig verwischen wird. Jahrtausende allmaehlicher Kulturentwicklung sind selbst im heutigen Fortschrittstempo nicht einzuholen. (M82) So muesste ich also meinen Antrag, Landschaftsregisseure fuer die Vereinigten Staaten zu ernennen, hoffnungslos fallen lassen? Vielleicht doch nicht ganz. Im weiten Sueden, im aeussersten Norden und im fernen Westen ist noch Platz genug fuer Hunderte, ja Tausende von neuen Ansiedlungen. Wenn die gesetzgebenden Koerperschaften der betreffenden Bundesstaaten es zur Bedingung fuer neue Gruendungen machten, dass die Plaene nicht ohne Hinzuziehung bewaehrter Kuenstler entworfen und ausgefuehrt werden duerften, so waere von diesen neuen Staedten und Doerfern des 20. Jahrhunderts doch wohl ein bisschen mehr Stil zu erhoffen. Ich kenne das neue San Franzisko nicht; ich weiss nicht, ob man bei dieser kostbaren Gelegenheit schon daran gedacht hat, die kuenstlerische Regie in ihre Rechte einzusetzen. Die Amerikaner behaupten ja, dass ihr neues Frisko, ihre neue Handelsmetropole Seattle und andere nordwestliche Gruendungen von hervorragender Schoenheit seien. Nun, dann wuerde zum erstenmal in der Weltgeschichte das Licht von Westen kommen. Im ganzen Osten der Union sieht es bisher noch aus wie in einer Kinderstube, in der unartige Buben alles durcheinander geworfen und vor dem Schlafengehen nicht fortgeraeumt haben. Von dem grossen Voelkerumzug sind noch ueberall die ausgeraeumten Kisten, die Stroh- und Papierhuellen, die ausgerissenen Naegel und zerschnittenen Stricke liegen geblieben. Wenn erst der Osten sich vor dem Westen zu schaemen beginnt, dann findet er vielleicht auch Zeit, endlich einmal gruendlich aufzuraeumen. Und in der aufgeraeumten Landschaft, dem gesaeuberten Stadtbilde werden wenigstens die groebsten Scheusslichkeiten so unliebsam auffallen, dass man sich um so mehr beeilt, sie gaenzlich wegzutilgen und durch Schoeneres zu ersetzen. Dann wird es eine starke Nachfrage geben nach solchen Regisseuren, wie ich mir sie denke, und wir Deutschen, die wir der Neuen Welt durch unsere Missionaere den Geschmack an edler Musik beigebracht haben, werden dann auch vielleicht berufen sein, als kostbarsten Importartikel Kuenstler hinueber zu senden, die nicht nur Architekten, sondern stilistische Universalgenies sind, so gut wie unsere modernen Orchesterbeherrscher und Theaterregisseure. Vielleicht erlebe ich es noch, vor einer neuen amerikanischen Stadt eine schoene Tafel zu erblicken, auf der unter ihrem Namen an Stelle des bei uns ueblichen Hinweises auf Regierungsbezirk, Kreis und Landwehr-Bataillon zu lesen waere: "Gestiftet von Carnegie, in Szene gesetzt von Johann Nepomuk Huber aus Muenchen-Pasing." DOLLARICAS INFAMSTER SCHURKE. (M83) Ich bin niemals ein Pessimist gewesen. Ich habe den zahlreichen Leuten gegenueber, welche mir dringend anrieten, mich vor schmerzlichen Enttaeuschungen dadurch zu schuetzen, dass ich meine Mitmenschen von vornherein jeder Bosheit und Niedertracht fuer faehig halten moege, stets mit Ernst und Eifer die Meinung verfochten, dass alle Kreatur von Mutterleibe an zur Ehrlichkeit und Biederkeit veranlagt sei, und dass nur widrige Umstaende, zumeist gaenzlich unverschuldeter Art, wie ueble Herkunft, leibliche Not und ungestillte Sehnsuechte der Seele die boesen Triebe gewaltsam einzuimpfen vermoechten. Seitdem ich aber in Chicago (Illinois) Dollaricas infamsten Schurken kennen gelernt habe, muss ich gestehen, dass meine Meinung von der Unschuld der Kreatur um so heftiger erschuettert wurde, als dieser infamste aller Schurken nicht einmal ein Mensch, sondern sogar ein Vierfuessler war, jenem sanften, geduldigen, wolletragenden Geschlecht entsprossen, das der Mensch sich zum Symbol demuetiger Ergebung und verehrungswuerdiger Dummheit erkoren hat. Der infamste Schurke der ganzen Vereinigten Staaten ist naemlich, gerade herausgesagt - _ein Hammel_, und zwar der Leithammel in _Armour & Co.'s Packing Company_ in den Chicagoer Schlachthoefen. Wenn ich der pessimistische Menschenverachter waere, der ich, wie gesagt, nicht bin, so wuerde ich diesen Hammel eine _eingemenschte Bestie_ titulieren. Denn wer haette es je fuer moeglich gehalten, dass ein Schafskopf so viel Niedertraechtigkeit beherbergen koenne?! Nichts in dem vertrauenerweckenden Aeusseren dieses Hammels deutet auf die Schaendlichkeit seines Berufes hin. Sein stets vergnuegtes Schafsgesicht verklaert das satte Laecheln eines gutmuetigen Pfaeffleins auf fetter Pfruende, und sein Gebaren und Gehaben ist ganz dasjenige eines beleibten, aber noch ruestigen alten Herren, der unter Umstaenden wohl noch zu lockeren Streichen aufgelegt ist. Offenbar hat ihm diese so geschickt getragene Maske der Bonhomie zu der eintraeglichen Stellung bei Armour & Co. verholfen. Dieser ehrenwerte Beamte erfuellt naemlich die Aufgabe, waehrend der Schlachtperiode Hunderte und Aberhunderte, Tausende und Abertausende seiner unschuldigen, nichts ahnenden Familienangehoerigen und Standesgenossen der Menschheit ans Messer zu liefern. In langen Eisenbahnzuegen treffen sie aus allen Teilen der Union in den _Stockyards_ von Chicago zusammen. Die Wagentueren oeffnen sich, und froh, der langen grausamen Haft entrinnen zu koennen, draengen sich die Scharen munterer Hammel von Ohio, Indiana, Illinois, ja selbst von Alabama, Jowa, Kentucky, von Texas selbst und Arizona auf die bequemen schiefen Ebenen, und ihren bedraengten Busen entringt sich das hoffnungsfreudige "Maeh" der Erloesung von langer Qual. Weite Huerden nehmen sie auf, die krauswolligen, weissen und schwarzen Brueder und Schwestern, Vettern und Basen aus saemtlichen Staaten und Territorien der Union. Von vollen Raufen lockt das duftige Heu, in langen Rinnen der kraeftig gemischte Trank. Und doch, die rechte Freudigkeit kann nicht aufkommen, denn alle diese Schafsseelen sind noch erfuellt von seliger Erinnerung an blauen Himmel, gruene Weide, kristallklare Baeche und muntere Spiele unter der freundlichen Aufsicht treu besorgter Hunde und frommer Schaefer; hier aber engen himmelhohe rotbraune Mauern sie ein, statt lustiger weisser Laemmerwoelkchen waelzen schwere, schwarze Rauchschwaden sich ihnen zu Haeupten daher, und statt des feierlichen Schweigens der Natur umtost das dumpfe Maschinengebruell rastlos gieriger Menschenarbeit ihre erschrockenen Ohren. Traurig lassen sie die Schwaenzlein und die Koepfe haengen, lassen sie die Trankrinne und die Futterraufe unberuehrt. (M84) Siehe, da naht sich ihnen als Bote aus dieser beaengstigend fremden Welt mit freundlicher, onkelhafter Vertraulichkeit ein fetter Hammel in den besten Jahren: "Munter, meine lieben Kinder, munter!" beginnt er in humoristisch gefaerbtem Bockston, und alsbald umdraengt ihn ein dichter Kreis von Zuhoerern. "Ihr habt nicht die geringste Ursache, Ohren und Schwaenze mutlos haengen zu lassen; oder ist es vielleicht nicht eine grosse Ehre fuer euch ungebildete Prairieschafe, in die grosse Millionenstadt Chicago zu Besuch zu kommen? Meint ihr vielleicht, ihr waeret die einzigen Schafskoepfe hier am Orte, maehaehaehae!? Hier geht es hoch her, das koennt ihr mir glauben auf mein ehrliches Gesicht, und die Zeit wird euch hier nicht lang werden, auf Eh - haehaehaehae - re! Ich habe es zwar nicht noetig, mich fuer euch aufzuopfern, denn ich befinde mich Gott sei Dank in einer auskoemmlichen und gesellschaftlich angesehenen Position, aber ich will mich dennoch eurer hilflosen Laendlichkeit annehmen, weil doch nun einmal der Korpsgeist in unserer Familie so stark entwickelt ist. Auf, mir nach, ich fuehre euch zu einem lustigen Spielplatz, wo kein Hund und kein Hirte uns geniert." - Und leichtfuessig taenzelt der feiste Onkel voran einen glatt gedielten Steg hinauf, der so schmal ist, dass nur zwei knapp nebeneinander gehen koennen, aber sicher eingeplankt, so dass keines an den Seiten herauspurzeln kann. Schon dieser Anfang des Vergnuegens ist vielversprechend. Wie auf einer Berg- und Talbahn oder einer russischen Rutschpartie geht's auf diesen engen Bretterwegen hinauf, hinab und kreuz und quer, und die Tausende von leichten Hammelbeinchen trippeln und trappeln fein langsam hinauf und im lustigen Hui herunter, dass es klingt, wie wenn in schwuelen Fruehlingstagen St. Peter Erbsen siebt. Ein Auf- und Abschwellen wie Hagelrauschen in launischen Boeen, ein dumpfes Wirbeln wie von gedaempften Trommeln, - als sollten durch solchen Trauermarsch den unschuldig Verurteilten die militaerischen letzten Ehren erwiesen werden. Der muntere Leithammel immer an der Spitze, tapp tapp tapp, hinauf, und hurrdiburr hinunter, und zuletzt auf ein schmales Tuerchen in der rotbraunen Mauer zu. Gar im Galopp mit einem lustigen Bocksprung setzt er in die Seligkeit hinein. In einem Sprungtuch wird er aufgefangen und mit einem Ruck in ein gemuetliches Seitenkabinett in Sicherheit gebracht, waehrend seine Stammgenossen unaufhaltsam, einer nach dem anderen, zu Dutzenden, zu Hunderten, zu Tausenden ihm nachspringen in die finstere Todesnacht. Ein eiserner Haken erwischt sie an einem Hinterschenkel, an einer Kette fliegen sie mit dem Kopf nach unten aufwaerts, ein gewaltiges Rad empfaengt sie, hebt sie in weitem Bogen hoch und laesst sie auf der andern Seite rasch abwaerts schweben der Stelle zu, wo der Moerder mit seinem blutigen Messer steht. Ein sicherer Stoss - und lautlos haben sie ausgelitten. Derweile laesst sich's der erprobte Beamte von Armour & Co. in seinem Privatkabinett bei frischem Maisschrot und duftigen Lupinen wohl sein, bis man ihn abruft, um auf geheimem Gange sich abermals zu den neu Angekommenen in die Huerden hinunter zu begeben und seinen niedertraechtigen Trick aufs neue auszufuehren. Wenn er ein Mensch waere, so wuerde er sicher auf seine alten Tage fromm werden, das Gebetbuch auswendig lernen, fleissig in geistlichen Kreisen verkehren und sein Vermoegen wohltaetigen Stiftungen vermachen; da er nur ein Hammel ist, hat er aber nicht einmal das Beduerfnis, sein Gewissen zu betaeuben. Er bedarf nicht des Alkohols, um seinen Mut zur Infamie taeglich neu zu entflammen, sondern sein eigentuemlich hammelhafter Ehrbegriff laesst ihn vielmehr seinen Stolz drein setzen, jahrein, jahraus mit der gleichen heiteren Selbstverstaendlichkeit seine verraeterische, gemeine Mordarbeit zu verrichten, bis er in Pension geht oder bis Herzverfettung oder versetzte Blaehungen ihm unversehens den Garaus machen. - Habe ich nicht recht, diesen Oberaga der weissen Eunuchen von Chicago fuer den infamsten Schurken der ganzen Vereinigten Staaten zu erklaeren? (M85) Vielleicht, mein Herr, oder Sie, meine schoene Leserin, werden Sie mir entgegnen wollen, dass die Unschuld der Kreatur von Armour & Co. nur schaendlich missbraucht werde, indem der Leithammel sicherlich nicht wisse, dass seine von ihm verfuehrten Artgenossen dem Tode verfallen seien. - Ich kann das leider nicht glauben; denn ich bin fest ueberzeugt, dass auch dem geistig mindestbegabten Tier der Blutgeruch, der die Chicagoer Schlachthoefe umwittert, eine Ahnung seines Schicksals aufzwingen muss, sobald es nur den Eisenbahnwagen verlaesst. Und da ein Leithammel doch jedenfalls die Bluete der Intelligenz der Hammelschaft darstellt, so ist es doch schwer glaublich, dass gerade ihm der Umstand nicht zu denken geben sollte, dass alle die von ihm angefuehrten Herden auf Nimmerwiedersehen in dem Abgrund verschwinden, dem jener heisse Blutgeruch entstroemt, und dass es immer wieder neue Bataillone von Schafen, Regimenter von Hammeln sind, an deren Spitze er anfeuernd dem schwarzen Loche zu galoppiert. Fraglich koennte es nur erscheinen, ob der Mensch, der sich solcher abgrundtiefen Gewissenlosigkeit einer gemeinen Hammelseele zu seinen Zwecken bedient, nicht noch eine groessere Kanaille sei, als der Hammel selbst. Es ist ein beliebter Trick des menschlichen Genius, die garstig anruechigen Handlungen, die im Interesse seiner hoeheren Zwecke verrichtet werden muessen, nicht selbst zu verrichten, sondern sich dafuer scheinbar harmloser Umwege zu bedienen. So hat die edle weisse Haut der roten Haut ihre Spezialkrankheiten anvertraut und sie dadurch, unter freundlicher Nachhilfe des edlen Feuerwassers, langsam aber sicher vernichtet. Ja, man hat es sogar schon verstanden, eine Religion, die heiligste Ausstrahlung eines grossen Herzens voller Liebe und eines tiefen, weltumfassenden Geistes, in zweckentsprechender Umgestaltung als wirksamstes Mittel zur Unterjochung und Vernichtung kraftvoller Voelker zu verwenden. Solchen imposanten Grosstaten menschlicher Niedertracht gegenueber will es moralisch nicht viel bedeuten, wenn die Herren Armour & Co. die Bestechlichkeit einer infamen Hammelseele benutzen, um ohne Tierquaelerei und unliebsames Aufsehen ihren menschenfreundlichen Zweck zu erreichen. Und Menschenfreunde muss man doch diese genialen Unternehmer nennen, welche ganz Nordamerika tagtaeglich mit leckeren Braten und die ganze bewohnte Erde mit ihren sauber in Blech verpackten, gepoekelten und geraeucherten Fleischwaren versehen. Wer an einem glaenzenden Beispiel lernen will, wie der Menschengeist es fertig bringt, durch blutigen Mord und schnoeden Verrat hindurch mit Einsatz aller seiner Erfindungskraft und koerperlichen Geschicklichkeit schliesslich dazu gelangen kann, die Vollendung des Zweckmaessigen sogar bis zum kuenstlerisch Erbaulichen zu steigern, der sehe sich das Verfahren in den Chicagoer Stockyards an. Durch Upton Sinclaires beruehmten Roman "_The Jungle_" (der Sumpf) sind ja die Augen der ganzen Welt auf Armour & Co.'s Packing Company gerichtet worden. Ganz Europa ist es nach diesem Roman uebel geworden. Es hat monatelang kein _corned beef_ mehr gekauft, in der Meinung, dass in den huebschen, sauberen Blechbuechsen mehr Rattenschwaenze, abgehackte Menschenfinger und andere leckere Zutaten vorhanden waeren, als solides Ochsen- und Schweinefleisch. Wer aber selber in juengster Zeit, wie ich, die Schlachthaeuser und Packraeume Armours aufmerksam durchwandert hat, der wird doch sagen muessen, dass entweder Mister Sinclaire ein arger Schwarzseher und Schwarzmaler sein, oder dass die Gesellschaft sich sein Buch inzwischen zu Herzen genommen und durchgreifende Verbesserungen gemacht haben muesse. Denn so wie das Unternehmen sich heute praesentiert, bedeutet es einfach einen bisher unerreichten Gipfel in bezug auf sinnreichste Ausnutzung der Maschine und der menschlichen Arbeitskraft, auf Reinlichkeit, strengste Disziplin und restlose Ausnutzung des verarbeiteten Materials. An einem schoenen klaren Wintertage brachte unser Chicagoer Gastfreund mich und meine Frau zu Armours und ersuchte einen ihm bekannten Beamten der Firma, uns herumzufuehren. Es war zufaellig derselbe Herr, der auch unseren Prinzen Heinrich gefuehrt hatte. In der stolzen Haltung des freien Buergers der groessten Republik der Welt, d. h. die Haende in den Hosentaschen, eine ungeheure Havannanudel aus dem Mundwinkel herauslakelnd, machte uns dieser Herr zunaechst einmal das Kompliment, dass unser kaiserlicher Prinz ein feiner Kerl - _a fine fellow_ - sei. Man habe ihn vorher instruiert gehabt, den hohen Herrn mit "_Your Royal Highness_" anzureden; aber daran habe er sich nicht gewoehnen koennen, und es habe offenbar dem Prinzen ganz gut gefallen, einmal einfach wie irgendein anderer besserer Herr von anstaendiger Familie behandelt zu werden. Wir wurden darauf sofort in den Mittelpunkt der Hoelle geleitet. Sehr vernuenftiges amerikanisches Prinzip: denn wer dieses Schrecknis, ohne einen Nervenchok zu kriegen oder wenigstens in Ohnmacht zu fallen, aushaelt, dem kann ueberhaupt auf dieser Wanderung nichts Schlimmes mehr passieren. (M86) Eine schwere schmale Tuer wird aufgestossen; eine heisse Welle von suesslichem Blutdunst schlaegt ueber unseren Koepfen zusammen, und das furchtbare, wahnsinnig verzweifelte Todesgekreisch der Schweine betaeubt uns die Ohren, zerreisst uns das Herz. Wir stehen auf einer hohen schmalen Holzgalerie, die dick mit Saegespaenen bestreut ist, und schauen zwei Stockwerke tief hinunter. Dicht an der Mauer im ersten Stockwerk unter uns dreht sich langsam eine riesige, metallene Scheibe, ueber die eine schwere, eiserne Kette laeuft. Aus einem dunkeln Raum unter der Galerie, den wir nicht uebersehen koennen, werden die Schweine von riesenstarken Faeusten eines nach dem anderen gepackt und ein an der Kette schwebender Haken um einen ihrer Hinterschenkel befestigt. Im naechsten Augenblick wird das Tier emporgehoben und mit dem Kopf nach unten, aus Leibeskraeften strampelnd und schreiend, ueber die grosse Scheibe weggefuehrt. Auf der anderen Seite dieser Scheibe steht der Metzger. In dem Augenblick, wo die unendliche, sich langsam fortbewegende Kette das Tier an seinen Standort bringt, fuehrt er den Todesstoss in den Hals aus. Ein dicker Blutstrom schiesst heraus. Der Mann ist ueber und ueber mit Blut bespritzt; er hat hohe Stiefel an und steht bis an die Knoechel in einem Bluttuempel. Ein zweiter Mann in seiner Naehe hat die Aufgabe, mit einem grossen Besen das Blut in ein Loch im Estrich hineinzufegen; in einem unterirdischen Bassin wird es zur weiteren Verwertung aufgefangen. Alle paar Sekunden passiert ein Schwein den Schlaechter, so dass er in den wenigen Stunden, die seine Arbeitszeit dauert, Hunderten den Garaus macht. Der Mann ist der hoechstbezahlte Arbeiter des Unternehmens, ein Meister in seinem graesslichen Fache; aber unfehlbar ist seine Hand natuerlich doch nicht, und manche der gestochenen Tiere zappeln und schreien noch eine ganze Weile weiter. Lange waehrt ihre Qual jedoch auf keinen Fall, denn die Kette fuehrt sie in die untere Etage hinunter, und da werden sie abgeladen in ein gewaltiges Bassin voll kochenden Wassers. Darin sieht man von oben die weissen Schweineleichen in dichtem Gedraenge durcheinanderquirlen, und wenn sie an der Kette wieder nach oben schweben, so sind sie bereits so sauber abgebrueht, wie man sie in unseren Metzgerlaeden in der Auslage haengen sieht. Kein Unterschied mehr zwischen schwarzen, gelben, grauen und gescheckten Schweinen. Blassrosig, starr und schwach dampfend kommen sie in Abstaenden von etwa 2 Meter wieder in die obere Etage heraufgeschwebt. Wir verlassen die Schreckenskammer und schreiten auf unserer erhoehten Schaugalerie in einen grossen, lichten Saal hinein. Da stehen auf einem schmalen Podium an der Fensterseite die Arbeiter mit ihren scharfen Messern, Aexten, Knochensaegen und Loetlampen auf ihren Posten, und waehrend die Kette in langsamer Vorwaertsbewegung das Schwein an ihm vorbeifuehrt, verrichtet jeder mit sicherer Hand immer dieselbe ihm zugewiesene Arbeit. Der erste fuehrt einen Bauchschnitt der ganzen Laenge des Koerpers nach aus, der zweite rafft mit einem Griff die Gedaerme heraus, der dritte schneidet den Kopf durch bis auf den Knochen, der vierte saegt den Halswirbel durch, ein anderer sengt mit der Loetlampe die etwa noch uebriggebliebenen Borsten weg - und so fort. Am Ende des Saales beschreibt die Kette einen Bogen, um ihn dann in entgegengesetzter Bewegung noch einmal zu durchlaufen, und am Ende dieses ganzen Weges ist das Schwein sauber zerlegt, die Speckseiten herausgeloest, die Schinken, die Hacksen zur besonderen Verwendung beiseite gepackt. (M87) Ganz aehnlich ist der Hergang in dem Riesenraum, in welchem die Rinder bearbeitet werden. Aus einer Falltuer werden sie von unten heraufgehoben und durch einen Schlag mit einem Hammer auf den Kopf betaeubt. Nach dem Grausen der Schweineschlaechterei wirkt diese Art des Massenmords geradezu zart gedaempft, man moechte fast sagen, liebenswuerdig diskret, denn das Rind schreit nicht, es ist betaeubt, bewegungslos noch bevor es ihm zum Bewusstsein kommt, dass es in den Tod zu gehen bestimmt ist. Gewaltige Maschinenkraft hebt das schwere, bewusstlose Tier an den Hinterfuessen in die Hoehe, und an der dicken Ankerkette bewegt es sich langsam durch den grossen Arbeitssaal. Am Kopfe haengt jedem Tier ein Eimer, in dem das Blut beim Schlachten aufgefangen wird, und so geschickt verrichten die Schlaechtergesellen ihre Arbeit, dass man in diesem Saale, mit den Augen wenigstens, fast kein Blut gewahr wird. Da in dem maechtigen Rindskadaver die Arbeit nicht so geschwind von statten geht, wie bei dem Kleinvieh, so haengen die Rinder in grossen Abstaenden an der Kette, und jeder Arbeiter geht dem ihm zugewiesenen Stueck so lange nach, bis sein Anteil an dem Werk des Abhaeutens, Zersaegens und Zerteilens verrichtet ist. Der Grundsatz der Arbeitsteilung ist strikte durchgefuehrt. Ein Arbeiter hat nie etwas anderes zu tun, als das Rueckgrat von oben bis unten durchzusaegen, ein anderer nur das Abhaeuten zu besorgen - und wehe dem, wenn er das wertvolle Fell durch einen ungeschickten Messerstich verletzt; sofortige Entlassung ist seine Strafe. (M88) Von den Schlachtraeumen gelangen wir tiefaufatmend in die frische Luft. Ueber hoelzerne Bruecken und Viadukte, auf denen Schmalspurbahnen laufen, die die verarbeiteten Fleischteile von einem Raum zum andern befoerdern, gehen wir in die Packhaeuser hinueber, wo das gekochte, geraeucherte und eingepoekelte Fleisch in die bekannten Blechdosen verpackt wird. Maschinen von fabelhafter Praezision verfertigen vor unseren Augen die Tausende und Abertausende von Blechgefaessen, und die einzige Menschenarbeit, die hierbei in Anspruch genommen wird, ist das letzte Verloeten des Deckels und das Bekleben der Dosen mit den schoenen, buntgedruckten Papieretiketten. Das Schlussstueck in der seltsam aufregenden und dennoch bezaubernden Schau ist der Saal, in welchem nette junge Maedchen in weissen, steif gestaerkten Haeubchen und blendenden Kleiderschuerzen an langen Tischen sitzen, mit feinen weissen Haenden die duennen Fleischscheiben, die die lautlos arbeitende Maschine vor jedem einzelnen Arbeitsplatz im unfehlbaren Rhythmus hinstreut, in die Blechbuechsen verpacken. Die tadellose Sauberkeit dieser Maedchenhaende wird dadurch sinnfaellig gemacht, dass nicht nur reichliche Wascheinrichtungen dem Beschauer sofort ins Auge fallen, sondern dass in einer Ecke des Saales auf einer erhoehten Tribuene eine artige Manikuere fortwaehrend an der Arbeit ist, um die Fingernaegel zu saeubern und streng vorschriftsmaessig im Verschnitt zu halten. Diese Manikuere und jener infamste Schurke Dollaricas, naemlich der Leit - hammel, stehen also als symbolische Gestalten am Eingang und am Ausgang einer der gewaltigsten industriellen Unternehmungen der Erde: brutalste Ruecksichtslosigkeit und raffinierteste Delikatesse reichen sich die Hand zur Vollendung eines notwendigen Menschenwerkes. Der Zweck, naemlich die Versorgung der Menschheit mit tadellos zubereiteter Fleischspeise, heiligt die Mittel, und die Mittel heiligen wiederum auch den Zweck; denn um mir die gutgepoekelte Zunge in sauberer, luftdicht verschlossener Buechse auf den Tisch zu setzen, haben Menschenwitz und Menschenfleiss ihr Letztes hergegeben und durch geniale Ausnuetzung des Materials und Hinaufsteigerung aller Energien zu aeussersten Leistungen das blutige Chaos in vollendete und darum aesthetisch wirkende Harmonie verwandelt. BAEDEKEREIEN FUeR AMERIKAFAHRER. (M89) Waehrend meines Aufenthaltes in New York geschah es, dass ein aufgeweckter Marschbauer, irgend so ein deftiger Klaas Petersen, oder wie er nun heissen mochte, mit der ganz gescheiten Absicht herueber kam, sich fuer die etlichen 30 oder 40000 Mark, die er aus dem ererbten Bauerngut herausgewirtschaftet hatte, im fernen Kansas, Oklahama oder sonst einem der neuen Staaten, wo das Land noch spottbillig ist, eine grosse Farm zuzulegen. Der Mann war in der Vollkraft seiner Jahre, verliess sich auf seine derbe Faust, seinen klaren Dickkopf und seinen deutschen Fleiss und hatte guten Grund, anzunehmen, dass er schon in ein paar Jahren Frau und Kinder wuerde nachkommen und aus dem vollen an dem stolzen Herrenleben eines Grossgrundbesitzers im Lande der Freiheit teilnehmen lassen koennen. Der Mann hatte in seiner biederen Offenheit auf dem Schiffe aller Welt erzaehlt, wieviel er bei Heller und Pfennig wert sei, und der Kapitaen, der es gut mit ihm meinte, hatte ihm fuer seinen Einzug in die Fuenfmillionenstadt einen sicheren Begleiter in Gestalt eines seiner Offiziere mitgegeben. Der nahm Klaas Petersen freundschaftlich unter den Arm und fuehrte ihn zunaechst einmal die Kellertreppe zur _Subway_, der Untergrundbahn hinunter, welche unter dem Bette des Hudson hindurch Brooklyn mit New York verbindet und dann in zwei Aesten die ganze Manhattaninsel bis in die ferne Vorstadt Bronx durchzieht. Als aber Klaas Petersen ueber das Treppengewirr und durch das Menschengewimmel hindurch in einen der Riesenwagen hineinbugsiert war und nun in drangvoll fuerchterlicher Enge, eingekeilt zwischen hinter riesigen Zeitungen verschanzten Negern, Chinesen, Italienern, Russen und glattrasierten Yankees stand, als der elektrische Zug donnernd in die schwarze Felsenhoehle hineintauchte und dort mit unheimlicher Schnelligkeit um die Kurven schlingerte, da fing Klaas Petersen aus Dithmarsen bitterlich zu weinen an und schluchzte: "Ick will nah Huus! dor speel ick nich mit. -" Und dabei blieb's; er wollte keine Vernunft annehmen. Mit dem naechsten Schiffe kehrte er tatsaechlich wieder heim. Noch uebler erging es einem anderen Gruenhorn, das sich auf seinen eigenen Witz verliess und bei Brooklyn-Bridge einen Trambahnwagen bestieg, um ueber die beruehmte Bruecke nach Brooklyn zu fahren, wo er einen Landsmann aufsuchen wollte. Und er kam auch ueber die Bruecke, aber er verstand nicht, was der Schaffner ausrief, und traute sich nicht aufs Geratewohl auszusteigen; und ehe er sich's versah, war er wieder auf der Bruecke, denn die Trambahnlinie bildet eine geschlossene Schleife. Da er ein Gemuetsmensch war, gedachte er in Ergebung hinzunehmen, was der Herr in seinem unerforschlichen Ratschluss ueber ihn beschlossen haette. Er fuhr also auf der grossen Schleife hin und her, Tag und Nacht, drei Tage lang. Schliesslich musste man ihn aus Mitleid erschiessen, da er sonst verhungert waere. Wenn du mir diese traurige Geschichte nicht glauben magst, lieber Leser, so lass es bleiben. Deswegen bleibt es doch als unumstoessliche Wahrheit bestehen, dass du in Amerika unmoeglich bist, sofern der Himmel dich zu einem Junker Traeuminsblau geschaffen oder deine Eltern dich mit der Zipfelmuetze bis ueber die Nase und einem schoenen Brett vorm Kopf in die Welt entlassen haben. Bist du aber kein Muttersoehnchen, das in der Bangbuex bebbert, sondern ein gesunder Frechdachs mit offenen Sinnen und nicht zu viel Vertrauensseligkeit, so kannst du dich dreist in das Abenteuer stuerzen. Bist du ein armer Teufel, der drueben sein Glueck machen will, so wappne dich mit Humor und Wurstigkeit, schaeme dich keiner Arbeit und lass die Ohren nicht haengen, wenn es dir in einem Fach misslingt. "_Let us try another chance_" sagt der Amerikaner in diesem Falle, und das sag du auch und pfeif drauf. Willst du aber zu deinem Vergnuegen und zu deiner Belehrung dich drueben umschauen, so tue Geld in deinen Beutel, viel Geld - noch viel mehr Geld! Denn wisse, dass fuer den nicht sesshaften Menschen drueben die meisten Dinge doppelt und viele viermal so viel kosten wie bei uns. Fuer ein Seidel Wuerzburger Hofbraeubier oder Pilsner, das nur 4/10 Liter haelt, musst du einen _Quarter_ hinlegen, das ist _M_ 1.-, und du wirst bald dahin gelangen, diesem _Quarter_ nicht mehr wehmuetig nachzutrauern; denn das amerikanische Bier enthaelt zwar Wasser, Malz und Hopfen und sieht schoen braun oder goldgelb aus, hat auch wohl eine verlockende schneeweisse Rahmhaube auf und der erste Schluck geht dir lieblich ein, aber bald merkst du, dass es doch kein Bier ist. Und dann wirst du auch bald finden, dass es sehr viel leichter ist, die schmalen, schmutzigen, zerknitterten Papierlappen auf den Tisch zu werfen, als bei uns daheim ein schoenes blankes Zwanzigmarkstueck anzureissen; du musst naemlich schon sehr weit westlich fahren, bevor du ueberhaupt Gold zu sehen bekommst. Mache dir nur ja nicht etwa die Illusion, als ob du an irgendeiner Stelle wieder hereinsparen koenntest, was du an anderer Stelle grosszuegig verschwendet hast. Abgesehen davon, dass der Knicker und Pfennigfuchser in dem Lande der Milliardaere hoechst veraechtlich ueber die Achsel angesehen wird, kommst du auch schon aus dem Grunde nicht zum Sparen, weil die guten Dinge, die zum taeglichen Beduerfnis des Gentleman gehoeren, durch die ganze Union ziemlich denselben Preis haben. Du kannst zum Beispiel nicht in einem Hotel zweiten Ranges wohnen und in einem Restaurant ersten Ranges speisen, weil es einfach kein Hotel zweiten Ranges gibt. In den grossen Staedten wenigstens sind alle Hotels, denen sich ein besserer Zeitgenosse ueberhaupt anvertrauen kann, nach unseren Begriffen erster Klasse, und was danach kommt, ist nach unseren Begriffen gleich vierter Klasse. Du kannst auch nicht im Hotel erster Klasse wohnen und dann anderswo billig essen gehen, d. h. du kannst es wohl, aber du wirst bald davon zurueckkommen. Denn das billige Essen ist auf die Dauer unmoeglich, und zwischen den Preisen der Speisekarte in einem guten Hotel und einem anstaendigen Restaurant gibt es kaum einen Unterschied. Versuche um Gottes willen auch nicht mit Trinkgeldern zu knausern, das wuerde dir uebel bekommen; nicht nur in der Welt der Kellner, sondern in der breitesten Oeffentlichkeit wuerde es deinem Renommee schaden. Ein werter Freund und Kollege von mir hatte sich von Eingeborenen sagen lassen, dass der uebliche Satz fuer den Kellnertip, wie bei uns, bei kleineren Rechnungen zehn Prozent betrage. Seine erste Konsumation im Hotel bestand in einem belegten Broetchen mit einem Schnitt Bier, wofuer er 70 Cent = _M_ 2,80 bezahlen musste. Gewissenhaft wie er war, suchte er 7 Cent zusammen und schob sie reinen Herzens dem _waiter_ zu. Der starrte erst mit verdaechtigem Grinsen auf das Suemmchen hin, dann lief er zum Oberkellner, beriet sich laengere Zeit mit ihm und kehrte endlich zurueck, um die 7 Cent zwar ohne Dank, aber mit den sichtbaren Zeichen einer unangemessenen Froehlichkeit einzustreichen. Am andern Morgen stand es in saemtlichen New Yorker Blaettern, dass der beliebte deutsche Dichter 7 Cent Trinkgeld gegeben habe. Und wo immer unser lieber Landsmann erkannt wurde, lachten ihm die Kellner frech ins Gesicht. Merke dir also, lieber Landsmann, besonders wenn du aus Muenchen kommen solltest, wo die Kati schon fuer drei Pfennige danke schoen sagt, dass man unter zehn Cent ueberhaupt keiner Hilfskraft in der Ernaehrungsbranche anbieten darf, und dass man das Trinkgeld immer nach oben bis zur naechsten durch zehn teilbaren Ziffer abrunden muss. (M90) Du darfst ruhig Piefke heissen und in Schmieroelen machen und brauchst dich doch keinen Moment zu besinnen, in den vornehmsten Hotels einzukehren. Wenn du halbwegs wie ein besserer Zeitgenosse aussiehst und weder die Sauce mit dem Messer aufschleckst, noch den Kompotteller ableckst, so wirst du auch in der allerprominentesten Gesellschaft geduldet werden. Fuer fuenf Dollar bekommst du ueberall ein anstaendiges Zimmer mit Bad, und wenn du dich mit deiner Frau Gemahlin gerade gut stehst, kannst du fuer denselben Preis sie auch mit hinein nehmen, denn die Betten sind immer reichlich zweischlaefrig. Nur wenn du vielleicht so weit gehen wolltest, auch deine Kleinen noch mit querzulegen, so wuerde man das vielleicht als einen Missbrauch der Gastfreundschaft betrachten und dir einige Dollars extra tschardschen. Aber wer reist ueberhaupt mit Kindern nach Amerika?! (M91) Das Hotel spielt im amerikanischen Stadtleben eine ganz andere Rolle wie bei uns. Es ist ein gesellschaftlicher und geschaeftlicher Treffpunkt, und die _Lobby_, d. h. die Vorhalle im Erdgeschoss mit ihren massenhaften Schaukelstuehlen, Klubsesseln, Zeitungs-, Zigarren- und sonstigen Verkaufsstaenden, spielt dieselbe Rolle, wie der Barbierladen im antiken Athen und Rom und wie das Cafehaus in Oesterreich. In der Lobby befinden sich auch Sekretariat und Kasse des Hotels sowie Auskunftei und Ausgabestelle fuer die Post. Die groesseren Haeuser haben sogar eine eigene Telephonzentrale fuer die Vermittlung des riesigen Gespraechsverkehrs innerhalb des Hauses wie mit der naeheren und ferneren Aussenwelt, und was man dir nicht muendlich durch den Draht ausrichten kann, das wird dir auf elektrochemischem Wege schriftlich gegeben. Selbst in den mittleren Staedten haben die guten Hotels selten unter zehn Stockwerken. Eine ganze Anzahl von Lifts flitzen Tag und Nacht herauf und herunter vom Keller, wo der Barbier, die Manikure, der Wichsier dich bearbeitet, bis hinauf zum Dachgarten, wo du in schoenen warmen Sommernaechten bei Musik und feenhafter Beleuchtung dein Nachtmahl einnehmen kannst. In der Lobby aber und in den angrenzenden Restaurationsraeumen laufen fortwaehrend kleine niedliche Pagen mit Zerevismuetzchen auf den Kinderschaedeln herum und quarren die Namen der Leute aus, fuer die ein Besuch oder eine Depesche da ist, oder die am Telephon verlangt werden usw. usw. Da sich in der Lobby jedermann aufhalten kann, auch wenn er nicht im Hause wohnt, so kann man ruhig bei boesem Wetter dort hineinfluechten, sich eine Zeitung und eine Zigarre kaufen und in einem Schaukelstuhl Platz nehmen, bis es sich ausgeregnet oder gar ein Blizzard sich ausgetobt hat. Man trifft sich dort morgens mit seinen Geschaeftsfreunden und abends mit seinem Liebchen. Bauernfaenger, Detektivs und Reporter wimmeln in Scharen dort herum. Die letzteren holen sich drei Viertel ihres Stoffes in der Lobby. Sie liegen auf der Lauer bei dem Clerk, der das Fremdenbuch fuehrt, in das jeder neu ankommende Gast sich einschreiben muss, und stuerzen sich auf ihn, sofern er nur irgendwie prominenzverdaechtig oder weit hergereist ist oder sich durch einen europaeischen Titel auffaellig gemacht hat. Sie haben Augen und Ohren ueberall, stenographieren in ihr Taschenbuch, was sie an Gespraechen der Politiker, der Spekulanten, der Weltreisenden und der Klatschbasen erlauschen koennen, beschreiben die Toilette und das Gepaeck reisender Kuenstlerinnen und konstruieren sich ganze Romane aus dem blossen Mienenspiel aufgeregt fluesternder Leute. Jeder, der es irgend _afforden_ kann, kehrt in den grossen Hotels ein, selbst Menschen, die man bei uns zu den kleinen Leuten rechnen wuerde, und reiche Leute, die auf dem Lande oder in den Kleinstaedten wohnen, aber oft in der Hauptstadt zu tun haben, lassen sich sogar jahrein, jahraus ein Zimmer fuer sich reservieren. Folglich sind die Hotels immer voll und amuesant fuer jeden, der kein Menschenfeind ist. An Bequemlichkeiten und Luxus wird dir fuer deine europaeischen Begriffe Fabelhaftes geboten. Bad und Telephon in jedem Zimmer sind selbstverstaendlich; ein Transparent leuchtet auf und zeigt dir an, dass Briefe fuer dich in der Office sind, und was das Allererstaunlichste ist - jeden Abend wird dein Bett frisch bezogen, als ob du ein Milliardaer oder ein Erzschweinepelz waerst! Nur deine Kleider musst du dir selber reinigen, wenn du nicht _M_ 2 extra dem Hausschneider dafuer bezahlen willst, und die Stiefel musst du dir im Keller oder auf der Strasse putzen lassen. Was aber das Schoenste ist: du kannst ruhig abreisen ohne durch ein Spalier von Trinkgeld heischenden Bediensteten Spiessruten laufen zu muessen. Dem Hausdiener, der deine Koffer dir aufs Zimmer schleppt, gibst du eine Kleinigkeit auf frischer Tat, und wenn du ein Menschenfreund bist, erfreust du gelegentlich den Liftboy mit einem Tip. Selbstverstaendlich kannst du auch im Office dein Bahnbillett und dein Gepaeck besorgen lassen, und wenn du als Neuling Schwierigkeiten mit dem Zurechtfinden oder mit den Behoerden hast, so wird dir ein sehr feiner Gentleman zur Verfuegung gestellt, der dich sicher geleitet und fuer dich redet, wo du etwa mit deinem Englisch nicht auskommst. Der Gentleman behandelt dich und du ihn wie seinesgleichen, und du brauchst ihm nichts in die Hand zu druecken - er steht nachher auf deiner Rechnung. Alles, was du im Hause verzehrst, bezahlst du bar, und es steht dir vollkommen frei, deine Mahlzeiten einzunehmen, wo du willst. (M92) Wenn du ein Deutscher bist, so wirst du wahrscheinlich bei der Ankunft in New York deine Schritte zunaechst ins _Astorhotel_ lenken, und du wirst gut daran tun, sintemal du bei dieser Gelegenheit gleich erfahren kannst, wie herrlich weit aus kleinsten Anfaengen heraus es ein intelligenter, tatkraeftiger Deutscher drueben bringen kann. In dem Hotel der _Gebrueder Muschenheim_, aus dem hessischen Doerfchen gleichen Namens, findest du nicht nur all den hier geschilderten Luxus und Komfort, sondern auch fuer dein aesthetisches Beduerfnis in dem grossen Festsaal eine der schoensten Orgeln der Welt, die taeglich von Kuenstlern ersten Ranges gespielt wird, und im Grillroom etwas fuer deinen historischen Sinn, naemlich ein geschmackvoll zusammengestelltes Museum, das dir ueber Leben und Treiben der Indianer in Vergangenheit und Gegenwart einen hoechst lebendigen Anschauungsunterricht erteilt. - Kommst du aber weiter ins Land hinein, in die mittleren und kleineren Staedte, so erkundige dich ja, bevor du dich in das Fremdenbuch eintraegst, ob das Haus in europaeischem oder amerikanischem Stil gefuehrt wird; andernfalls kann es dir so ergehen wie mir in einer kleinen Stadt Wisconsins. Ich wurde mit meiner Frau in einem der besten Zimmer eines neuen Anbaues zu dem angeblich ersten Hotel der Stadt untergebracht. Ausser dem grossen Bett stand kein Moebel in diesem Zimmer fest auf seinen vier Beinen, das vierte war nur angelehnt, wenn ueberhaupt vorhanden. Auf der frisch gekalkten Wand prangten als einziger Schmuck zwei interessant umrissene Flecke, der eine vom Wasser, der andere vom Rauch herruehrend; ein Bad gehoerte selbstverstaendlich auch zu diesem Staatszimmer, es war aber mehr ein Badloch zu nennen, und die Wanne darin war, (ich habe sie ausgemessen), 47 cm lang. Wenn man seine Knie bis ans Kinn hinaufzuziehen imstande war, konnte man allenfalls sitzend darin Platz finden. Da wir waehrend unseres Aufenthaltes zu allen Mahlzeiten eingeladen waren, so verzehrten wir nichts ausser dem Fruehstueck am anderen Morgen, d. h. wir haetten dieses Fruehstueck verzehren koennen, wenn man es uns noch verabreicht haette, was aber nicht der Fall war, da wir erst nach neun Uhr im Restaurant erschienen. Wir mussten also in die Stadt gehen und in einer Konditorei fruehstuecken. Die Rechnung betrug 7 Dollar, also nahezu _M_ 30.- fuer ein Bett, einen Tisch mit drei Beinen, zwei Flecken und ein Quetschbad! Ich konnte nicht umhin, meinem Erstaunen Worte zu leihen. Da entgegnete mir der Clerk im Office seelenruhig: "Ja, _warum haben_ Sie denn nichts verzehrt hier? Das ist Ihr Pech. Sie haetten fuer die 7 Dollar essen koennen, soviel Sie wollten, von morgens bis abends. Wir haben naemlich amerikanischen Plan hier." Und die ganze Menschheit in der Lobby quietschte vor Vergnuegen ueber die lange Nase, mit der ich abziehen musste. Jetzt also, lieber Leser, weisst du, was _american plan_ ist. (M93) Wenn du nur einigermassen prominent bist oder durch sonst welche auffaelligen Eigenschaften die Aufmerksamkeit der Reporter auf dich gelenkt hast, so kannst du die Freude erleben, am Tage nach deinem Einzug ins Hotel in den Morgenblaettern eine schmeichelhafte Beschreibung deines Exterieurs, eine Wuerdigung der Vorzueglichkeit deines eventuellen Schmieroels und ausserdem deine Ansicht ueber Amerika zu lesen. Unter anderen Folgen solcher frisch gebackenen Popularitaet wird sich auch ein Gentleman in tadellosem Anzug mit liebenswuerdigen Manieren befinden, der dir seinen Besuch macht und sich erbietet, dir gaenzlich kostenlos deine ganze Reiseroute auszuarbeiten und die noetigen Fahrkarten nebst den Beikarten fuer Pullmanwagen und Bett zu besorgen. Du bist natuerlich bass erstaunt ueber diese fabelhafte Zuvorkommenheit, beschaust dich im Spiegel und begreifst, wie Gretchen im Faust, nicht, was man an dir findet. Da laesst sich ein zweiter, ebenso eleganter und liebenswuerdiger Gentleman melden, erkundigt sich ebenfalls, wohin deine Reise gehen soll und macht dich laechelnd darauf aufmerksam, dass der Herr, der vorher da war, dir eine sehr unvorteilhafte Route vorgeschlagen habe; mit seiner Gesellschaft wuerdest du schneller, komfortabler und sicherer reisen. Da hast du des Raetsels Loesung. Da zwischen den bedeutenden Plaetzen der Union fast ueberall mehrere Eisenbahnlinien bestehen, so suchen sich die verschiedenen Gesellschaften ihre Kunden persoenlich einzufangen, obwohl man nicht nur in allen grossen Hotels, sondern auch in den verschiedensten Stadtgegenden in den eleganten Offices der verschiedenen Gesellschaften seine Billette vorausbestellen kann. Diese starke Konkurrenz hat fuer den Reisenden das Angenehme, dass sich jede Linie die groesste Muehe gibt, ihm so viele Bequemlichkeiten und Vorteile zu bieten, wie irgend moeglich. Wenn du also zum Beispiel geborener Berliner bist und als solcher Wert darauf legst, deiner koddrigen Schnauze Bewegung zu machen, so kannst du waehrend deiner Reise alles bemaekeln, und wenn du dich irgendwie zurueckgesetzt fuehlst, den erschrockenen Oberkontrolleur anfahren: "Wissen Sie, alter Freund, mit Ihrer verdammten Linie fahre ich nie wieder, verstehen Sie mich!" Gegen Langeweile oder Magendruecken ist eine solche Erleichterung der Galle recht nuetzlich. Uebrigens ist es immer sehr angenehm, einen reisegewoehnten Amerikaner zum Beistand zu haben, denn die Kursbuecher sind fuer den Uneingeweihten sehr schwer verstaendlich; ausserdem gibt es auch keine. Die einzelnen Gesellschaften legen ihre Fahrplaene in moeglichst farbenfreudiger Ausstattung in den Hotels auf, und wenn man eine Reise vor hat, die einen ueber ein Dutzend verschiedener Linien fuehrt, so stopft man sich also zwoelf solcher schoenen bunten Buechelchen in die Tasche; man wird aber, wie gesagt, schwer klug daraus, obwohl sonst alles, was das Verkehrswesen betrifft, von den Amerikanern ueberaus praktisch angepackt wird. Wie praechtig glatt und rasch geht z. B. die Gepaeckaufgabe vonstatten! Durch einen Handgriff deines Koffers wird ein Lederriemchen oder ein Spagat gezogen, an dem eine Papp- oder Blechmarke befestigt ist, welche eine Nummer und den Namen des Bestimmungsortes traegt, das Duplikat dieser Marke wird dir ausgehaendigt. Fertig! Und kostet nichts, ausser wenn du ueber einen Zentner mit dir schleppst. An der letzten Station vor deinem Ziel geht ein Mann durch den Zug und ruft: "Gepaeck fuer Chicago!", oder was es nun sein mag. Du gibst ihm deine Marke und nennst ihm dein Absteigequartier. Fertig! Gibst du zerbrechliche Gegenstaende oder schlecht verpackte Kolli auf, so musst du einen Revers unterschreiben, dass du die Bahnverwaltung nicht fuer etwaigen Schaden verantwortlich machen willst. Willst du das nicht, so nimmt man dein Gepaeck nicht mit, oder du musst es besonders versichern. Das ist alles sehr vernuenftig und nicht zeitraubend. (M94) Von den Bequemlichkeiten des Pullmanwagens hast du sicher schon so viel gehoert, dass ich dir darueber schwerlich etwas Neues erzaehlen kann. Verwunderlich ist es nur, dass in diesem Lande der hoechst entwickelten technischen Kultur doch noch schlechte Gewohnheiten sich erhalten koennen, die so fest sitzen wie ein chinesischer Zopf. So sind beispielsweise auch die schoensten Pullmanwagen fast immer entsetzlich ueberheizt und waehrend des ganzen Winters sind die Doppelfenster hermetisch verschlossen. Die einzige frische Luft, die hereinkommt, ist der Zug, der auf der Station durch das Oeffnen der Aussentueren entsteht. Bevor du an deinem Bestimmungsort ankommst, nimmt dich der aufwartende Neger in Behandlung, klopft deinen Ueberzieher aus und buerstet dich von oben bis unten sorgfaeltig ab. Das ist nun sehr huebsch von ihm, und du gibst ihm gern seine 20 Cent dafuer, aber - die Zurueckbleibenden muessen deinen Staub schlucken! Man kann sich die Atmosphaere am Ende einer langen Reise vorstellen! In der Nacht ist die Staub- und Hitzplage natuerlich noch viel aerger, weil da die Tueren seltener aufgemacht werden. Ich begreife ueberhaupt nicht, wie europaeische Reisende die Schlafeinrichtung der Pullmanwagen bewundern koennen. Man liegt naemlich nicht, wie bei uns, quer, sondern laengs in zwei Reihen uebereinander, und zwar ohne Unterschied des Standes, Alters oder Geschlechts. Fuer die Ruhe soll es freilich vorteilhafter sein, die Stoesse des Wagens in der Laengslage abzufangen, und die Betten sind auch breiter als bei uns; aber man wird ganz und gar hinter dicke, natuerlich mehr oder minder staubige Vorhaenge versteckt, deren Schlitz man, wenn man gluecklich in sein Bett geturnt ist, von oben bis unten zuknoepfen muss. Ich fuehlte mich einmal dem Ersticken nahe und konnte vor Atemnot kaum noch nach dem Neger schreien. Als ich den um Himmels willen bat, doch wenigstens die Ventilationsklappe zu oeffnen, erklaerte er achselzuckend, es sei eine Dame mit einem verschnupften Kind im Wagen, die habe sich die Ventilation strengstens verbeten. Gegen S. M. "das Kind" gibt es keinen Appell in Amerika. Wenn das Kind verschnupft ist moegen die Grossen ersticken und verrecken. Sehr zu empfehlen ist es, wenn du dir einen Schlafanzug anschaffst, weil sonst mehr Geschicklichkeit dazu gehoert, das Beduerfnis nach Ausgezogenheit mit der Genierlichkeit in Einklang zu bringen, als der Anfaenger zu besitzen pflegt. Allerdings befinden sich an beiden Enden der riesengrossen Wagen sehr geraeumige Toiletten, in denen vier bis sechs Menschen gleichzeitig sich aus- oder ankleiden koennen; aber wenn man nicht praktisch im _american style_ ausgeruestet ist, so weiss man doch nicht, wohin mit seinen Sachen, und wie man im Nachtzustande ueber eine Dame weg in seine luftleere Angstkammer kriechen soll, ohne den Anstand zu verletzen. Die Damen haben das leichter, die ziehen sich bis auf die Combinations im Toilettenraum aus und werfen einen Schlafrock drueber. Frueher pflegten sie die Struempfe anzubehalten und ihr Geld darin zu verwahren. Die schlauen Niggers wussten das und verstanden mit leichter Hand unter die Bettdecken zu fahren und tiefschlafenden Damen die Struempfe zu erleichtern. Neuerdings rentiert sich aber dies Geschaeft nicht mehr, ebensowenig wie das Ausrauben der Passagiere mit vorgehaltenem Schiesseisen, weil kein Mensch mehr Geld bei sich traegt als er gerade fuer die Reise noetig hat. Heutzutage hat jeder Mensch sein Scheckbuch bei sich und damit kann der Raeuber nichts anfangen. (Wenn du also nach den Vereinigten Staaten kommst, so sei dein erster Gang zu einem gut empfohlenen Bankhaus, wo du dein Geld deponierst und dir ein Scheckkonto eroeffnen laesst.) Nebenbei kannst du im Pullmanwagen lernen, was amerikanische Reinlichkeit ist. Ich werde nie die umstaendliche Morgentoilette eines herkulischen Gentleman nach einer Nachtfahrt vergessen. Der Mann war sicherlich weder ein Gesandtschaftsattache, noch sonst ein Kulturgigerl, sondern, seinen reich taetowierten Armen und Haenden nach zu schliessen, eher ein Metzger oder Viehhaendler. Der Kerl wusch sich vom Kopf bis zu den Fuessen, rasierte und frisierte sich, putzte Zaehne, Ohren, Naegel, dass es wirklich eine Freude war, ihm zuzuschauen. Er nahm sich eine ganze Stunde Zeit dazu und behandelte seinen ungeschlachten Leib mit der Liebe und Sorgfalt eines Kuenstlers, der die letzte Feile an sein Werk legt. Ich vermute, bei uns gibt es Durchlauchten, die von der Akkuratesse dieses Viehtreibers profitieren koennten. - Uebrigens geht so eine amerikanische Nachtfahrt auch dadurch arg auf die Nerven fuer jeden, der kein geborenes Murmeltier ist, dass die Glocken und Pfeifen der Lokomotiven fortgesetzt einen greulich aufgeregten Laerm vollfuehren, bei dem einem angst und bange werden kann. Sie muessen naemlich alle Augenblicke Warnungssignale geben, weil es fast nirgends Schranken gibt; Fahrstrassen sowohl wie andere Eisenbahnlinien kreuzen sich auf freier Strecke ohne Unter- oder Ueberfuehrung. Da wird der nervoese Europaeer schwer den Gedanken los, dass ihm ploetzlich ein anderer Expresszug rechtwinklig durch seinen werten Unterleib fahren koennte. Nein, alles was recht ist, aber Nachtfahrten sind nur in Russland, Schweden und Norwegen wirklich komfortabel. (M95) Am bequemsten, sichersten und billigsten reist du in den Vereinigten Staaten, wenn du den Vorzug hast, weiblichen Geschlechts zu sein. Niemand duerfte es da drueben wagen, einer Dame zu nahe zu treten. Jedermann ist auf einen Wink ihr zu jedem Dienst erboetig, und wenn sie einen Kavalier bei sich hat, so ist es seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, alles fuer sie zu zahlen. Ich habe ein einziges Mal in Amerika einen wilden Wortwechsel erlebt, der in Taetlichkeiten auszuarten drohte; das war in einem ueberfuellten Strassenbahnwagen in New York. Eine gut angezogene, nette Negerin des besseren Mittelstandes versuchte durch die dicht gedraengt stehenden Menschen den Ausgang zu gewinnen. Da rief eine Maennerstimme: "_Let the ladys get out first!_" - und eine andere Stimme hoehnte dagegen: "_Let the Niggers get out first._" Und nun platzten ueber die Doktorfrage, ob eine Negerin auch zu den Damen zu rechnen sei, die Leidenschaften wild aufeinander! - Merke dir auch, mein Freund, dass du Damen deiner Bekanntschaft auf der Strasse nicht zuerst gruessen darfst, das wuerde fuer eine Anmassung angesehen werden; du musst abwarten, ob sie die Gnade haben wollen, dich noch zu kennen. Du darfst auch ein Weib nicht bewundernd anstarren, und sei es noch so schoen. Hast du aber die Bekanntschaft einer Dame in Gesellschaft oder im Familienkreise gemacht, und wuerdigt sie dich ihres freundlichen Interesses, so brauchst du dich auch nicht so zimperlich mit ihr anzustellen, wie bei uns. Handkuesse sind nicht ueblich, wohl aber ein ungeniertes festes Anpacken. Wird dir z. B. die Aufgabe zuteil, eine Dame durch gefaehrliches Strassengewuehl zu geleiten, so packst du sie fest am Oberarm und schiebst sie wie einen Karren vor dir her; das ist sicher und fuer beide Teile angenehm. Hast du dir gar Freundinnen in den besseren Kreisen erworben, so kannst du sie ungeniert zum Theater oder zum Soupieren oder zu einem Ausflug und dergleichen einladen, ohne eine Mutter oder eine Tante als Begleitung befuerchten zu muessen. Wenn du von deinen Freundinnen wohlgelitten bist, kannst du dir alle moeglichen Vertraulichkeiten herausnehmen, ohne dass sie selbst oder die Familie deswegen auf deinen Antrag lauert. Nur mit dem Kuessen sei vorsichtig; denn das Gesetz mancher Staaten betrachtet den Kuss als Heiratsversprechen, als taetliche Beleidigung oder Koerperverletzung und brummt dir pro Stueck eine betraechtliche Geldstrafe auf. Natuerlich gibt es aber auch nette Amerikanerinnen, die gern und gratis kuessen. Den Hut kannst du fast ueberall aufbehalten, nicht nur in der Synagoge, sondern auch in der Lobby des Hotels; aber im Elevator musst du ihn stramm herunterziehen, sobald eine weibliche Person ueber vierzehn Jahre hereintritt. Im uebrigen wirst du durch dein teutonisches Hutabreissen und beflissenes Vorstellen nur laecherlich. Mache es dir zum Grundsatz, von deinen Mitmenschen, solange sie dir nicht durch einen Dritten offiziell vorgestellt sind, keinerlei Notiz durch hoefliche Formalitaeten zu nehmen. Wenn du einem Bekannten oder Freunde gar auf der Strasse begegnest, so hast du es auch nicht noetig, deinen Deckel herunterzureissen und deinen Skalp der Unbill der Witterung auszusetzen, du winkst mit der Hand und rufst laechelnd: "_Hallo, Bobby, how do you do!_", worauf er gleichfalls winkt und ruft: "_Hallo, Fritze, how do you do!_" Das ist praktisch und macht einen guten Eindruck; denn vermutlich habt ihr alle beide keine Zeit, und ist euch auch beiden gaenzlich gleichgueltig, zu erfahren, wie es euch geht. Auch vor Hochgestellten brauchst du keineswegs in Wurmgestalt zu kriechen; dafuer verlangt man aber auch von dir, dass du die sozial untergeordnete Menschheit nicht hochmuetig von oben herunter behandelst. Der Schatz der amerikanischen Umgangssprache ist reich an massiven Deutlichkeiten, und wenn du dir herausnimmst, einen Bediensteten anzuschnauzen, so kann es dir leicht passieren, dass du mit einer reichlichen Blumenlese aus diesem Wortschatz beschenkt wirst. Die Quintessenz der amerikanischen Hoeflichkeit besteht darin, dass man sich gegenseitig nicht im Wege ist, dass man seinem Nebenmenschen nicht seine kostbare Zeit stiehlt, dagegen in Verlegenheiten sich hilfreich beisteht. Ich habe gesehen, wie blinde und andere hilflose Personen sogar auf der Untergrundbahn allein fuhren. Sie koennen eben sicher sein, immer jemanden zu finden, der ihnen beim Ein- und Aussteigen behilflich ist und sie vor Gefahr bewahrt. Man bekommt auch fast immer klare und knappe Auskunft, wenn man sich an den ersten besten Unbekannten wendet, und wenn man ein sympathisches, vertrauenerweckendes Aeussere hat, laesst sogar ein eiliger stark beschaeftigter Grossstaedter seine Arbeit liegen und begleitet einen bis an die naechste Ecke. In den kleinen Dingen der taeglichen Notdurft des Verkehrs darf man auch ruhig auf die Ehrlichkeit seiner Mitmenschen vertrauen; handelt es sich dagegen um groessere Summen, so reisse deine Augen weit auf und halte deine Ohren steif wie ein Schiesshund. (M96) Willst du in Amerika ein Geschaeft eroeffnen, so miete dir irgendwo im neunten oder neunundzwanzigsten Stockwerk ein Zimmerchen mit Telephon und Schaukelstuhl und engagiere dir eine Typewriterin. Sie sind fast alle ungemein gewandt und vielfach auch sehr huebsch. Alsdann ziehe deinen Rock aus - denn das tut jeder Amerikaner, sobald er sein Office betritt, sei es Winter oder Sommer -, zuende dir eine Importierte an, verbreite deine Beine anmutig ueber Tisch und Stuehle und beginne zu telephonieren. Telephonieren und Briefe diktieren fuellt die amerikanischen Geschaeftsstunden von 10-5 Uhr vollkommen aus. Da die Amerikaner meistens gute Geschaefte machen, muss das Verfahren wohl das richtige sein. Vielleicht liegt es auch an der Hemdaermeligkeit. Oberster Grundsatz deines Verhaltens aber sei und bleibe in allen Lebenslagen, solange du drueben weilst: Nicht mit dem Hut, wohl aber mit dem Scheckbuch in der Hand, kommt man durch das ganze Land. WAS KOeNNEN WIR VON AMERIKA LERNEN? Das Land der absoluten Gegenwart ist fuer alle Kulturvoelker ein Spiegel, in dem sie deutlich ihre Zukunft sehen koennen. Der Fortschrittsgedanke marschiert drueben in Siebenmeilenstiefeln und hat eine glatte Bahn vor sich, waehrend unsere Schrittmacher der Entwicklung immer noch auf Hindernisse stossen, die die Vergangenheit aufgerichtet hat, Berge von Vorurteilen, Abgruende von Dummheit, die nicht immer leicht zu ueberklettern oder zu ueberspringen sind. Wenn wir aber angesichts der drohenden Ueberfluegelung durch die Neue Welt in allen Fragen der technischen Zivilisation daran gehen wollten, unsere Abgruende auszufuellen und unsere Berge abzutragen - was wuerden wir damit gewinnen? Eine trostlose Verflachung unserer Kultur. Ein wirklich gebildeter Mensch mit historisch und philosophisch geschultem Denken, mit aesthetischem Bewusstsein und einer idealistischen Weltanschauung ausgeruestet, wird, mit offenen Augen in jenen Spiegel hineinschauend, nur sagen koennen: Gott bewahre uns vor dieser Zukunft! Er wird einsehen lernen, dass wir unseren wertvollsten Besitz, naemlich unsere geistige Kultur, nicht den materiellen Errungenschaften der Gegenwart, sondern der fernen und fernsten Vergangenheit verdanken, und dass es gerade jene Hemmungen des Fortschrittstempos gewesen sind, die den Untergrund fuer unser gegenwaertiges Empfinden, Wissen und Koennen so ueberaus solid aufgemauert haben. (M97) Wir Europaeer haben von Amerika schon mehr gelernt, als wir wissen und als uns gut ist. Seit naemlich die raum- und zeitverkuerzenden Erfindungen sich zu ueberstuerzen begannen, also seit drei Jahrzehnten ungefaehr, ist von Amerika her der _Rekordwahnsinn_ in die Welt gekommen. Fast alle die grossen Erfindungen, vermoege deren wir jetzt Wasser, Erde und Luft beherrschen, sind in der Alten Welt gemacht und haetten unter allen Umstaenden die Wirkung gehabt, das allgemeine Tempo des Lebens zu steigern; in Amerika aber haben diese Erfindungen, der ungeheuren Entfernungen wegen, doch die rascheste und vielseitigste Anwendung gefunden und dadurch auch staerker als bei uns auf den Charakter der Menschen eingewirkt. Der Ehrgeiz, alles Neueste sich zu eigen zu machen und auf allen neuen Gebieten das Vollkommenste zu leisten, fand durch sie reichste Nahrung, und der amerikanische Snobismus, der ja wenig Gelegenheit hat, sich auf dem Felde der Literatur und der Kunst auszutoben, stuerzte sich mit Begeisterung auf den Kultus der Schnelligkeit und machte den Wetteifer im Rekordbrechen zum vornehmsten Sport. Da dieser Sport sehr teuer und sehr gefaehrlich ist, so sagt er dem Amerikaner, der ja bessere Nerven besitzt und aufregende Vergnuegungen in viel groesseren Quantitaeten vertilgen kann, ganz besonders zu. Er blieb aber mit seinen verrueckten Schnellzugs-, Automobil-, Wasser- und Luftwettfahrten nicht im eignen Lande, sondern begann an allen internationalen Wettbewerben teilzunehmen. Sein Sensationsbeduerfnis und seine unverbrauchte Kraft haben das Rekordfieber in der grossen Welt gewaltig geschuert. Die enorm gesteigerte Schnelligkeit, der grossartige geschmackvolle Luxus der transatlantischen Dampfschiffe haben die Yankees in immer groesseren Scharen zu uns hinuebergelockt, und wo immer sie in groesserer Menge auftraten, zwangen sie durch ihren Reichtum die betreffenden Orte, sich ihren Anspruechen anzubequemen. Genau so, wie ehemals die Reiselust der Englaender und ihr starres Festhalten an ihren nationalen Gewohnheiten, ihre Unlust und Unfaehigkeit, Sprachen zu erlernen und sich fremden Sitten anzubequemen, auf die ganze Reise- und Fremdenindustrie einen starken Einfluss ausuebte, so geschieht dies jetzt noch in hoeherem Masse durch die groessere Kapitalskraft ihrer amerikanischen Vettern. Waehrend die amerikanischen Hotels sich allmaehlich den europaeischen Stil aneignen, bemuehen sich jetzt unsere Hotels, sich zu amerikanisieren. Die Englaender kamen frueher sehr haeufig auf den Kontinent, um zu sparen, zeigten sich also hier geizig; die Amerikaner dagegen sind viel grossartiger und leichtsinniger, als Emporkoemmlinge auch protzenhafter. Das Geldausstreuen an sich macht ihnen das groesste Vergnuegen; aber sie verderben nicht nur die Preise, sondern auch den Stil bodenstaendiger Kultur, den guten Geschmack, weil sie ueberall die Sensation, das Aeusserste, das Unerhoerte verlangen. Da sie bereit sind, es gut zu bezahlen, so sucht man es ihnen zu bieten. Und so kommt es, dass auch bei uns immer mehr das Schoenste und das Bedeutendste, was unsere Natur und unsere Kunst aufzuweisen haben, sich dem amerikanischen Snobismus anzupassen, und was das Schlimmste ist, zu einem Vorrecht des Reichtums zu werden beginnt. Ich erinnere nur an Bayreuth, Oberammergau, die Muenchener Musikfeste, die grossen Bilder- und Antiquitaetenauktionen, die bekanntesten Schweizer Sport- und Kurorte. Nun will sich aber der europaeische Reichtum nicht gern ausstechen lassen. Er strengt sich darum aufs aeusserste an, es dem amerikanischen gleich zu tun, und so entsteht ein gefaehrlicher Wettbewerb in verschwenderischem Luxus. Da ferner die tiefste Bildung und der feinste Geschmack durchaus nicht immer an den Reichtum geknuepft sind, so machen sich Dilettantismus und Oberflaechlichkeit immer mehr breit, und der Unbemittelte findet es immer schwerer, sein Beduerfnis nach Kunst- und Naturgenuss zu befriedigen. Wohl duerfen wir Voelker Europas uns einbilden, dass anspruchsvoller Geschmack und tiefere Bildung bei uns verhaeltnismaessig verbreiteter seien, als in der Neuen Welt; immerhin sind doch aber auch bei uns die Ungebildeten in der Ueberzahl, und diese Ueberzahl wird leicht verfuehrt durch die glaenzende Aussenseite, die amerikanischer Luxus auch den untergeordnetsten Betaetigungen seiner Vergnuegungssucht zu geben vermag. In den Niederungen der dramatischen Kunst, z. B. in der Operette, im Vaudeville, im Variete, im Zirkus dringt der amerikanische Geschmack selbst in Deutschland immer mehr durch. Das Vergnuegen an den Sentimentalitaeten, Hintertreppensensationen und Clownspaessen der Lichtbildtheater, an mechanischen Musikwerken, oder gar an den scheusslichen sechs Tage-Rennen der Radfahrer, mutet schon durchaus amerikanisch an. (M98) Der ausschlaggebende Einfluss des Reichtums in Bezirken, wo eigentlich nur die Autoritaet des Wissens und des Geschmacks bestimmen sollte, bringt das Kulturniveau in Gefahr. Die stete Aufstachelung zu Leistungen, die alles bisher Dagewesene rasch ueberbieten sollen, hindert die gesunde Stetigkeit der Entwicklung und draengt den Tuechtigen ueberall zugunsten des Fixen zurueck. Als Vertreter der Neuen Welt lernen wir bei uns eine glaenzende Auslese von flott und sicher auftretenden geschaefts- und sportgewandten Maennern kennen, in Begleitung reizender, eleganter, siegessicherer Frauen. Das erweckt in uns die Meinung, dass diese beneidenswerten Neuweltler, die es in einer kurzen Spanne Zeit augenscheinlich so viel weiter gebracht haben als wir, doch wohl in allen Dingen auf dem richtigen Wege sein muessten, und wir beginnen folglich uns unserer Langsamkeit, unserer bedaechtigen Gruendlichkeit, Sparsamkeit und Bescheidenheit zu schaemen. Wir vergessen dabei, dass gerade das Zusammenwirken dieser Eigenschaften es ist, was uns heute immer noch ueber die glaenzende Scheinkultur der Neuen Welt ein betraechtliches Uebergewicht gibt. Wenn wir uns auf den atemlosen Wettbewerb mit dem Riesenkontinent ueber dem Ozean einlassen, so werden wir sicher den Kuerzeren ziehen. Die Quellen unseres nationalen Wohlstandes sind nicht so unerschoepflich wie die drueben, und wenn unsere Industrie, unsere Kunst, unser Handwerk ihr Hauptstreben darauf richten wollten, das unerprobte Neue, das Unfertige also, nur moeglichst schnell an die Stelle des Alten zu setzen, um anderen Laendern zuvor zu kommen, so wuerden unsere Erzeugnisse auf dem Weltmarkt bald nicht mehr die wichtige Rolle spielen wie heute. Der Grund, weshalb die Vereinigten Staaten trotz ihrer kolossalen industriellen Entwicklung immer noch so viele Dinge von uns zu beziehen genoetigt sind, liegt hauptsaechlich darin, dass drueben jenes Erbinventar von Talent, Geschicklichkeit und Geschmack, durch Handwerksstolz und Berufstreue von Generation zu Generation bewahrt und verstaerkt, kaum vorhanden ist. Alle diese wertvollen Vorzuege wuerden uns aber verloren gehen, wenn wir uns von dem amerikanischen Snobismus noch weiter anstecken liessen. (M99) Ich habe schon bei der Schilderung des amerikanischen Zeitungswesens darauf hingewiesen, dass auch unsere Presse hie und da bereits recht bedenkliche Anlaeufe gemacht hat, es in skrupelloser Fixigkeit, wuester Sensationsgier und Nachgiebigkeit gegen die schlechten Instinkte der minderwertigsten Leserschaft sogar der _gelben_ Presse gleichzutun. Auch bei uns beweist die Erfahrung, dass auf dem Gebiete des geistigen Schaffens die Schleuderware, wenn sie nur recht billig und einem ordinaeren Geschmack entsprechend aufgeputzt ist, durch den Massenabsatz erheblich mehr einbringt, als das gute, aber teurere Erzeugnis. Die Massenproduktion von Zeitungen, welche nicht zusammengeschrieben, sondern einfach zusammengeklebt, d. h. gestohlen werden, beweist dies ebenso wie der Massenabsatz von billiger und vielfach recht minderwertiger Reiselektuere. Wir haben uns neuerdings in Deutschland erfreulicherweise dazu aufgerafft, gegen diese Verflachung der Bildung, gegen diese Herabwuerdigung zumal der literarischen Arbeit zum blossen Zeitvertreib dadurch anzukaempfen, dass wir ueberall, bis in die kleinsten Nester hinein, eine ueberaus lebhafte Vereinstaetigkeit entwickelt haben, deren Ziel es ist, jedermann aus dem Volke fuer ganz billiges Geld wertvolle Anregung, Belehrung und gute kuenstlerische Unterhaltung zu bieten, indem man hervorragende Fachgelehrte und Kuenstler zu Vortraegen gewinnt. Ausserdem bluehen ueberall die Volksbibliotheken in erfreulicher Weise auf, und wirklich wertvolle gemeinnuetzige Unternehmungen, wie Reclams Universalbibliothek, stehen schon nicht mehr vereinzelt da. Durch all diese Unternehmungen wird der Drang nach Belehrung, nach kuenstlerischer Erbauung auch in weite Schichten unseres Volkes getragen, fuer die frueher die Quellen des Wissens und der Schoenheit unerreichbar waren. Auch auf diesem Gebiete sind wir naturgemaess erheblich weiter als das Volk in den Vereinigten Staaten, obwohl auch dort, namentlich durch Gruendung von musterhaft eingerichteten oeffentlichen Bibliotheken und Museen, durch die _University Extension_ und Gewinnung von tuechtigen Wanderrednern neuerdings sehr viel in dieser Richtung getan wird. Es ist also wahrscheinlich, dass uns in nicht allzu ferner Zeit Amerika auch auf diesem Gebiete eingeholt haben wird. Wollen wir uns nicht ueberfluegeln lassen, so wird der Richtspruch unserer Volksbildner ebenso wie der unserer Fabrikanten heissen muessen: "_Qualitaet, nicht Quantitaet; nicht vom Neuen das Neuste, sondern vom Guten das Beste; nicht das Auffallendste, sondern das Originalste, das Persoenlichste, das Deutscheste bieten._" (M100) Wir haben es ja so viel leichter, persoenlich, original, volkstuemlich zu sein, denn wir _sind_ ein Volk, als Rasse zwar auch gemischt, aber in dieser Mischung doch schon seit Jahrtausenden konsolidiert. Was das alte Europa fuer den feinsinnigen Betrachter so unerschoepflich interessant macht, das ist die unendliche Abwechslung und Differenzierung im Charakter seiner Voelker. Wie die Mundart schon in verhaeltnismaessig kleinen Bezirken wechselt, um innerhalb eines Gebietes, das kaum so gross ist wie der eine Unionsstaat Texas, so verschiedene Gebilde, wie etwa das Plattdeutsche und das Oberbayrische zu erzeugen, so wechselt auch von Gau zu Gau der Charakter der Bewohner und die Art, wie sich dieser Charakter in der Bauart, den Sitten und Gebraeuchen widerspiegelt. Eine nordamerikanische Rasse gibt es aber vorlaeufig noch lange nicht, und die Behauptung vereinzelter amerikanischer Gelehrten, dass die Menschheit drueben sich deutlich dem Indianertypus zu naehern beginne, duerfte wohl als ein wunderliches Hirngespinst zu betrachten sein. Die Menschen, die sich in der Neuen Welt zusammengefunden haben, werden wohl noch auf unabsehbare Zeit hinaus Englaender, Iren, Schotten, Deutsche, Italiener, Russen, Juden, Neger usw. usw. bleiben. Ebenso deutlich wie z. B. die Neger in den Vereinigten Staaten noch nach ein- bis zweihundert Jahre langem Aufenthalt alle Schattierungen der Farbe vom Milchkaffee bis zur Schuhwichse aufweisen und dadurch immer noch deutlich den afrikanischen Landstrich verraten, dem ihre Vorvaeter entstammten, so wird man auch den Nachkommen der weissen Einwanderer noch auf Jahrhunderte hinaus ihr urspruengliches Vaterland ansehen, vorausgesetzt, dass sie nicht durch fortwaehrende Mischehen absichtlich darauf ausgehen, ihre Rassenmerkmale zu verwischen. Es sind nur die neuen Lebensbedingungen und allenfalls die klimatischen Verhaeltnisse, welche drueben innerhalb der verschiedenen Rassen einen eigenartigen neuen Typus erzeugen. Wenn ein Deutscher ein oder zwei Jahrzehnte lang in Argentinien oder in Suedwestafrika Farmer gewesen ist, so vermag er sich auch in seinem Wesen und in seinem aeusseren Gebaren so stark zu veraendern, dass seine Familienangehoerigen, wenn sie ihn nach so langer Zeit wiedersehen, aus dem Verwundern nicht herauskommen. Aber er ist doch nur ein anderer Typus von einem Deutschen und beileibe kein Buschmann oder Pampas-Indianer geworden! In den Vereinigten Staaten ist ueberdies noch die Moeglichkeit, sich den Ureinwohnern zu assimilieren, dadurch ausgeschlossen, dass diese Ureinwohner bis auf klaegliche Ueberreste vernichtet sind. Der Deutsche kann drueben dem Englaender, der Jude dem Japaner, der Neger dem Italiener dies und jenes abgucken oder unwillkuerlich in fremde Anschauungen sich hineinfuehlen, fremde Gebraeuche uebernehmen, aber aus seiner Haut kann er deswegen noch lange nicht hinaus. Es wohnt also drueben ein Voelkermischmasch ohne eigne Sprache und ohne eine gemeinsame Tradition, der eben erst angefangen hat, aus den neuen Lebensbedingungen heraus gemeinsame Kulturideale zu suchen. Von einem amerikanischen Volke wird man erst sprechen koennen, wenn die ungeheuren Laendergebiete drueben so gleichmaessig bis zur Saettigung bevoelkert sind, dass die Regierung auf die Aufnahme weiterer Einwanderer dankend verzichten kann. Aber auch bei verschlossenen Tueren wird der Prozess der Durchruehrung des so verschiedenartigen Gebluetes viele Jahrhunderte in Anspruch nehmen. Vielleicht wird es im Jahre 3000 eine nordamerikanische Rasse geben - denkbar aber auch, dass bei der sich immer steigernden Leichtigkeit des internationalen Verkehrs und der Interessenassimilation der grossen Kulturwelt ueberhaupt eine Rassenbildung nicht mehr moeglich ist, und die ganze Aenderung darin bestehen wird, dass die alten Rassen ihre charakteristischen Eigenschaften verlieren und hoechstens noch, als pikante Erinnerung an die einstige schoene Verschiedenartigkeit, Farbennuancen uebrig bleiben. Sollte dieser Zustand in ein- bis zweitausend Jahren wirklich schon eingetreten sein, dann koennte man davon sprechen, dass Amerika uns verschlungen habe, insofern als das Wesen des heutigen Amerikas bereits allerlei Wirkungen jener Rassen zerstoerenden Tendenz bemerken laesst. Die Gewissensfrage ist fuer jeden einzelnen: soll ich dazu beitragen, die Entwicklung zum rassenlosen Weltbuergertum zu beschleunigen, oder soll ich mich mit all meinen Kraeften dagegen straeuben? (M101) Wenn man aus den Vereinigten Staaten nach Europa zurueckkehrt, so nimmt zunaechst das Auge mit wonnigem Behagen den Eindruck der Ordnung, der Fertigkeit, der stilsicheren Harmonie zwischen Natur und Menschenwerk in sich auf. Sei es eine englische Huegellandschaft mit ihrem ueppigen Wiesengruen und ihren anmutigen Heckenzaeunen, sei es ein franzoesischer alter Herrensitz mit wundervollem Schloss, umgeben von Weinbergen, Blumen und Obstgaerten, sei es selbst nur eine arme deutsche Flachlandschaft mit ihren peinlich nach der Schnur bestellten Feldern, ihrem trauten Doerflein, so behaglich im Schatten alter Baumgruppen versteckt, sei es eine moderne Grossstadt mit imposanten geraden Strassenfluchten, voll prunkender oeffentlicher Gebaeude, oder sei es endlich gar eine uralte, winklige, hochgieblige, vieltuermige Kleinstadt, noch durch alte Ringmauern und Wachttuermchen gegen einen laengst nicht mehr existierenden Feind geschuetzt. Alles das sind Dinge, die wir jenseits des Ozeans schmerzlich vermisst haben und die man uns auch drueben nicht nachahmen kann. Das ist Tradition einer alten Kultur, das sind Instinktleistungen einer tief verankerten Disziplin, aesthetische Werte, die nicht nur die Sinne des anspruchsvollen hoeheren Menschen erfreuen, sondern auch ethisch ueberaus fruchtbar sind, weil in allen diesen Dingen die besten Kraefte der Rasse aeusserlich sichtbar werden. Diese ethisch aesthetischen Werte sind es, die den Begriff der Heimat schaffen, und nur innerhalb solcher Heimat gibt es ein wirkliches Lebensglueck. Wer gedankenlos nur der Gegenwart lebt, der kann leicht dazu kommen, die Heimat zu unterschaetzen, weil er meint, dass das Glueck da wohnen muesste, wo die Mittel zu einem ueppigeren Dasein leichter zu erreichen sind, und wo es weniger schwer als daheim sei, in weiteren Bezirken eine erheblichere Rolle zu spielen. Fuer solche Leute ist es wohl angebracht, nach Amerika zu gehen; denn durch den Vergleich mit dem trostlosen Einerlei der Menschheit und der Menschenwerke da drueben werden sie erst den Wert der Heimat schaetzen lernen - es sei denn, dass sie zu den blinden Seelen gehoeren, welche im rein materiellen Genuss ihr Genuegen finden. Die Amerikaner, deren geistige Ansprueche eine vertiefte Bildung gesteigert hat, kommen ja jetzt mit ihrem grossen Hunger nach echter Kultur zu uns nach Europa, um bei uns zu lernen, wie man zu jener herz- und sinnerfreuenden Stilharmonie gelangen koenne, die ihre vorlaeufig noch fast ausschliesslich technische Kultur ihnen nicht zu bieten vermag. Sie bekommen alle eine ehrliche Hochachtung vor unserer Wissenschaft, vor unserer Kunst, vor der Soliditaet unseres Handels und unserer Industrie, vor der Geschicklichkeit unserer Handwerker, vor der wohldisziplinierten Ordnung unserer Lebensverhaeltnisse; viele von ihnen bringen auch als Reisegewinn eine liebenswuerdig verschaemte heimliche Liebe zu unserer Romantik mit heim - nachahmen aber koennen sie auch beim besten Willen diese unsere Vorzuege schwerlich, und es bleibt ihnen weiter nichts uebrig, als in Geduld abzuwarten, bis sie selbst ein einheitliches Volk mit eigner Tradition geworden sind. (M102) Umgekehrt sendet Europa jahraus, jahrein eine gar buntscheckige Gesellschaft von Lebensstudenten in die Neue Welt hinueber: alle die ueberzaehligen Esser kinderreicher Familien, unzufriedene, veraergerte, aufsaessige und abenteuerliche Naturen, verkrachte Existenzen, Durchbrenner aus allen Staenden, und diese schwierige Gesellschaft lernt tatsaechlich da drueben mehr, als sie irgendwo in der Alten Welt lernen koennte. Der entschlussunfaehige Dummkopf, der gewohnt ist, darauf zu warten, bis eine liebevolle Obrigkeit ihn dahin stupft, wo man seine Muskeln gebrauchen kann, der langsame, aengstliche Philister, der faule Traeumer, der vornehme Muessiggaenger, der hochmuetige Geld- oder Wissensprotz - sie alle werden zunaechst einmal durch die groeblichen Fauststoesse der harten Not darauf aufmerksam gemacht, dass die Parole in der Neuen Welt laute: Augen auf! nicht abwarten, sondern zugreifen! Nicht genieren! Wer essen will, muss arbeiten, und der persoenlichen Wuerde tut es keinen Eintrag, ob du von Kartoffeln oder von Filetbeefsteaks satt wirst. Wer weder ein Betriebskapital mitbringt, um sofort ein selbstaendiges Geschaeft anzufangen, noch ein Handwerk, eine Kunst, eine Wissenschaft so praktisch zu verwerten weiss, dass er in seinem Fach ohne weiteres Unterkunft und Nahrung findet, der muss sich eben ohne Zoegern auf dem grossen Arbeitsmarkt fuer jede beliebige Taetigkeit zur Verfuegung stellen, die bezahlt wird. Ich habe drueben Trambahnschaffner getroffen, die erst wenige Wochen im Lande waren und bei uns maturiert hatten, adlige Offiziere in Mengen als Kellner, Reitknechte, Kutscher und Chauffeure. Hat jemand kaufmaennische Veranlagung, so bringt er es unschwer dazu, Agent fuer irgendeine Warenspezialitaet zu werden; zeigt er sich hierin gewandt, so ist der Schritt zum selbstaendigen Geschaeftsmann nicht mehr schwer. Das Gute bei dieser Haerte ist, dass sich der Amerikaner durch Anmassung, hinter der keine offensichtliche Kraft steckt, nicht imponieren laesst. Der Yankee macht sich freilich oft laecherlich durch sein uebereifriges Herandraengen an unsere Hoefe, an unseren Adel, und der echte Republikaner drueben ist mit Recht empoert ueber das Bestreben seiner Emporkoemmlinge, die schwere Mitgift der Toechter gegen europaeische Titel und Stammbaeume einzutauschen; aber man merkt bei naeherem Zusehen doch bald, dass es nicht der Titel an sich ist, welcher diese faszinierende Wirkung uebt, sondern vielmehr die mit altem Adel verbundene vornehme Sicherheit des Auftretens, die unnachahmliche Grandseigneur-Manier. Wo diese fehlt, wie bei den meisten drueben ihr Brot suchenden, heruntergekommenen Adligen, da versagt der Zauber voellig. Eine Persoenlichkeit, die sich nicht kraft ihrer ungewoehnlichen geistigen oder physischen Begabung durchzusetzen versteht, muss unerbittlich in die Hackmaschine hinein und geht in der grossen Gleichheitswurst auf. Aber auch mit philistroeser Bedenklichkeit kennt das amerikanische Leben kein Erbarmen. Wer in der kecken Fixigkeit des Lebens den Atem verliert, der kommt elend am Wege um. Will einer das rasende Gefaehrt des Fortschritts unterwegs verlassen, so muss er schon sehr geschickt in der Fahrtrichtung abzuspringen verstehen - nach rueckwaerts aussteigen heisst unter die Raeder kommen. (M103) Eine der besten Seiten der Demokratie ist es aber, dass sie selbst dem Verbrecher nicht den Rueckweg zum anstaendigen Leben verlegt. Das Vertrauen auf die eigne Kraft ist eben so stark entwickelt, dass man sich vor den Schaedlingen der Gesellschaft nicht so ueberaengstlich fuerchtet wie bei uns. Denn wer etwa im wilden Westen sich seinen Wohlstand geschaffen hat, der musste ja immer gegen Raeuber, Indianer oder Gauner in den eignen Reihen auf dem _qui-vive_ stehen, und die Erfahrung hat ihn gelehrt, dass ein einziger beherzter Mann mit einem Dutzend feigen Gesindels fertig werden kann. Er hat aber auch an zahlreichen Beispielen gesehen, wie ausgemachte Lumpen durch den Zwang der Arbeit und schliesslich durch den Erfolg doch noch zu brauchbaren Menschen gemacht wurden. Das Resultat dieser Erfahrungen ist, dass man sich des Verbrechers zwar sehr energisch erwehrt, ihm jedoch immer wieder Gelegenheit gibt, ein besseres Leben anzufangen, und wenn er dann etwas Ordentliches erreicht, haelt man ihm seine Vergangenheit nicht wieder vor. Das ist ein grosser, edel menschlicher Zug, dem viele durch falsche Erziehung und angeborene Charakterschwaeche zu Verbrechern gewordene Menschen ihre Rettung verdanken. Auch die amerikanischen Richter sind gluecklicherweise bessere Menschen- als Gesetzeskenner. Wir sind sehr geneigt, den manchmal grotesken Humor ihrer salomonischen Urteile zu verspotten, aber es ist sicher, dass diese lustigen Entscheidungen nicht halb so viel Unheil stiften und Erbitterung zuruecklassen, als oft die Paragraphentreue unserer sattelfesten Juristen. Selbst der barbarische Richter Lynch hat sich wohl noch nie an einem Unschuldigen vergriffen, und die Abschreckungstheorie handhabt er jedenfalls mit praktischem Erfolg. Der Verstand von Haus aus gescheiter Menschen, den lediglich das Leben selbst mit seinen Erfahrungen in die Lehre genommen hat, ist, wenn er wirklich gesund geblieben ist, sicher ein besserer Urteilsfinder als alle Schmoekerweisheit des weltfremden Ofenhockers. Und unter der gesegneten Herrschaft des Kgl. Grossbritannischen _common sense_ haben sich ja alle besten Charaktereigenschaften der Neuweltler so erfreulich entwickelt. Wir alten Europaeer werden ihnen freilich diese Charaktereigenschaften nicht ohne weiteres ablernen koennen, denn ihr Optimismus, ihre prahlerische, aber tatkraeftige Zuversichtlichkeit, ihr mutiger Leichtsinn sind eben Tugenden der Jugend, und andere Vorzuege, wie besonders ihre schoene Neidlosigkeit, sind durch die Gewoehnung an Verhaeltnisse bedingt, die wir alten Voelker ebensowenig nachahmen koennen wie die Jugend. Es gibt sogar rein geistige Gebiete, auf denen wir von den Yankees noch etwas lernen koennen, naemlich das Kirchen- und das Schulwesen. Wir werden ein rueckstaendiges Volk heissen muessen, so lange wir nicht die Trennung von Staat und Kirche durchgefuehrt haben und so lange es noch moeglich ist, dass ein Deutscher seines religioesen Bekenntnisses wegen gesellschaftlich verfemt und um sein Brot gebracht werden kann. Wir marschieren nicht an der Spitze der Zivilisation, so lange bei uns ein Vater, der seine Kinder nicht dem Christentum ausliefern will, durch Polizeistrafen und sonstige behoerdliche Schikanen drangsaliert werden kann, und so lange ein staatlich anerkanntes religioeses Bekenntnis vorschriftsmaessige Bedingung zur Erlangung oeffentlicher Aemter und Ehrenstellen ist. In dem Lande der absoluten Glaubensfreiheit ist das religioese Leben, trotz mancher blamabeln Auswuechse, viel reicher entwickelt als bei uns, und die starke religioese Persoenlichkeit, der agitatorisches Talent verliehen ist, kann eine Macht ueber die Seelen gewinnen, um die sie unsere Generalsuperintendenten und sogar unsere Erzbischoefe ehrlich beneiden duerften. Ueber das, was wir auf dem Gebiete des Schulwesens von den Yankees lernen koennten, habe ich an anderer Stelle mich verbreitet. Ein Volk, das Jugend in sich selber hat, versteht auch naturgemaess mit der Jugend besser umzugehen. Uebrigens machen die Yankees ja andauernd praktische Proben auf Exempel, die unsere fortschrittlichen Theoretiker schon laengst aufgestellt haben. Lernen wir also an ihren Erfolgen und Misserfolgen. (M104) Es gibt auch sonst noch Gebiete, auf denen die praktischen Erfolge des grossen Staatenbundes uns als Vorbild dienen koennen: dahin rechne ich in allererster Linie die politische Macht, welche die Yankeerasse entwickelt hat. Die Yankees, also die Nachkommen der Einwanderer aus den britischen Inseln, sind heute der Zahl nach den Nachkommen der deutschen Einwanderer nur noch um etwa zwei Millionen voraus und dennoch haben sie es verstanden, ihrer Rasse die politische Vorherrschaft dauernd zu erhalten. Die Yankees allein haben nicht nur kolonisatorisches, sondern auch staatenbildendes Geschick bewiesen, waehrend die Deutschen nicht einmal die von ihnen gegruendeten Gemeinwesen dauernd in der Hand zu behalten wussten. Die Deutschen haben die Staaten Pennsylvanien, Illinois, Wisconsin, Michigan, Missouri ihrer Zeit foermlich ueberflutet. Germantown, Milwaukee und einige andere waren einmal ganz deutsche Staedte. Cincinnati, Cleveland, Chicago, St. Louis und zahlreiche andere Grossstaedte zeigten voruebergehend ein Uebergewicht an deutschen Einwohnern, und dennoch haben sie sich ueberall das Heft aus der Hand winden lassen. Wohl gibt es noch hie und da einen deutschen Buergermeister, aber er versteht kein Deutsch mehr und verdankt seine Stellung den politischen Bossen und nicht dem einmuetigen Willen seiner Rassegenossen. Die Deutschen haben doch wahrlich nicht nur ihren Ausschuss ueber den Ozean geschickt, die grosse Mehrheit bildeten vielmehr tuechtige baeuerliche und handwerkliche Kraefte, und im Jahre 1848 gingen sogar zahlreiche unserer besten Intelligenzen hinueber, die den Beruf zu geistigen Fuehrern ihrer Stammesgenossen in sich trugen. Woher kommt es denn nun, dass trotzdem diese 181/2 Millionen Menschen es zu keiner politischen Selbstaendigkeit bringen konnten? Die Zahl jener geborenen Fuehrer, die sich am Ende der 40er Jahre im Mississippital niederliessen, und die man spottweise die _lateinischen Bauern_ nannte, mag allerdings wohl der erdrueckenden Ueberzahl der ungebildeten, politisch gleichgueltigen Landsleute gegenueber zu gering gewesen sein - auch war der Vorsprung, den die britischen Eroberer vor ihnen voraus hatten, nicht ohne weiteres einzuholen; das Schlimmste aber war, dass alle diese Deutschen ein stolzes Nationalgefuehl ueberhaupt nicht besassen, und dass sie ihren Partikularismus, ihre subalterne Denkungsart, ihr Spiessbuergertum mit hinueberbrachten. Diese Deutschen gaben zwar sehr tuechtige Bauern, Handwerker und Kleinbuerger ab, zeigten sich aber den besonderen Anforderungen des amerikanischen Lebens nur selten gewachsen. Viele von ihnen waren nicht einmal faehig, sich die englische Sprache voellig anzueignen, obwohl sie ihre Muttersprache verlernten. In Kriegszeiten uebrigens haben auch diese Deutschen Grossartiges geleistet, wie denn ja auch die von ihren edlen Fuersten verkauften Wuerttenberger, Hessen usw. sich in Kriegen, die sie nicht das Mindeste angingen, wie die Loewen geschlagen haben. Im Sezessions- wie im Buergerkrieg verdanken amerikanische Truppen deutschen Heerfuehrern einige ihrer glaenzendsten Siege - und dennoch waren und blieben diese Deutschen nur ein gern geduldetes und gehoerig ausgenutztes Gastvolk innerhalb der riesigen britischen Kolonie. Die herrschende Rasse dachte selbstverstaendlich nicht daran, diese bequemen Biedermaenner in ihre grossen Ehrenstellen der Staats- und Gemeindeverwaltung hinein zu komplimentieren, da sie selber durchaus keinen politischen Ehrgeiz entwickelten. Es haetten den deutschen Einwanderern damals zwei Wege offen gestanden: entweder sie mussten resolut ihr Deutschtum ueber Bord werfen und mit Haut und Haaren Amerikaner werden, oder aber sie mussten fest zusammenstehen, sich alle in einer bestimmten, von ihnen zuerst besetzten Gegend niederlassen, einen deutschen Staat im Staate gruenden und diesen mit ruecksichtslosem Chauvinismus gegen das Anglo-Amerikanertum und den Zustrom anderer Rassen abschliessen. Die meisten Deutschen haben aber keines von beidem getan, sie haben sich ueber das ganze weite Land zerstreut und sich dann in unzaehligen Vereinen wiedergefunden, die sich gegenseitig nicht selten aus engeren landsmannschaftlichen oder aus gesellschaftlichen Eitelkeitsgruenden aufs gehaessigste bekaempfen. Aber auch der starke Zustrom aus dem geeinigten Deutschland der 70er und ersten 80er Jahre hat keine wesentliche Aenderung in diesen Verhaeltnissen gebracht. Diese neuen Reichsdeutschen haetten doch alle Ursache gehabt, ihren frischen Nationalstolz der herrschenden Yankeerasse entgegenzustellen, aber auch unter ihnen war der politische Ehrgeiz eine seltene Pflanze. Wenn sie in Ruhe ihren Wohlstand begruenden durften, waren sie zufrieden, und selbst diejenigen, die durch ihre Tuechtigkeit und durch ihren Besitz zu hohem Ansehen gelangten, dachten nicht daran, sich in das Parteigetriebe zu stuerzen - die meisten wohl aus moralischem Reinlichkeitsbeduerfnis, viele auch aus reiner Bequemlichkeit. Man muss also doch wohl sagen, dass ihnen, einige ganz wenige glaenzende Ausnahmen, wie Karl Schurz, abgerechnet, Temperament und Talent fuer die Politik fehlten. Die Deutschen der heidnischen Vorzeit haben kolonisatorisches Talent und Staatsklugheit im hohen Masse besessen und verdankten dieser Eigenschaft die glaenzende Rolle, die sie waehrend der Voelkerwanderung und noch waehrend der Staufferzeit in der Weltgeschichte spielten. Der jahrhundertelange Jammer der Kleinstaaterei und Pfaffenherrschaft haben aber jene urspruenglichen Veranlagungen vollstaendig erstickt. Hingegen kamen die ersten englischen Besiedler der neuen Welt aus einem Lande, in welchem die parlamentarische Verfassung bereits Zeit gehabt hatte, die ganze Nation, bis in die untersten Schichten hinein, politisch zu erziehen. Zudem waren es neben den religioesen auch zumeist politische Ursachen, welche die Leute zum Auswandern veranlassten, und sie alle, mochten sie Royalisten oder puritanische Revolutionaere sein, brachten den Stolz mit hinueber, Buerger einer Weltmacht zu sein, deren Flagge siegreich und gefuerchtet in allen Meeren der Erde wehte. Diese Auswanderer hatten also alle Ursache, sich als ein Herrenvolk zu fuehlen, sie waren sich aber auch der vornehmsten Pflicht bewusst, welches dieses Herrentum ihnen auferlegte - der Pflicht naemlich, ihr Blut rein zu halten. Im Gegensatz zu den romanischen Eroberern Suedamerikas und Mexikos, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als mit den eingeborenen Weibern eine recht bedenkliche Mischrasse zu erzeugen, existierte fuer die Anglo-Amerikaner des Nordens das rote Weib ueberhaupt nicht; und selbst gegen Mischehen mit den besten europaeischen Einwanderern richtete das Rassenvorurteil einen starken Damm auf. Das ist das ganze Geheimnis der imposanten Machtentwicklung der keltogermanischen Rasse in Nordamerika und das ist auch das Gebiet, auf dem wir heute noch bei den Briten diesseits und jenseits des Ozeans in die Lehre gehen muessen. Das Wort Chauvinismus hat einen garstigen Klang fuer unsere kosmopolitischen Doktrinaere, unsere edlen Friedensschwaermer und liberalen Idealisten, es ist aber schliesslich nur ein anderer Ausdruck fuer Kraftbewusstsein. Denn bei allen wirklich starken Rassen und Nationen ist der Republikaner so gut wie der Monarchist, der Liberale so gut wie der Reaktionaer _chauvin_. (M105) Die Deutschen, die nach 1870 eingewandert sind, vielfach auch noch deren Kinder, besitzen nun allerdings jenen schoenen Nationalstolz, von dem die vorigen Generationen noch nichts wussten. Sie lesen noch die deutschen Zeitungen und freuen sich der Berichte ueber die grossartige Entwicklung des deutschen Handels, der deutschen Industrie, das Aufbluehen seiner Weltmachtstellung zur See. Auch wenn sie die Zeitungen nicht laesen, wuerden sie von diesem Aufschwung einen starken Hauch verspueren, denn sie koennen kaum in irgendeinen Laden gehen, ohne auf die schmeichelhafte Inschrift: "_Made in Germany_" zu stossen, und die gewaltigen Schiffe der grossen Reedereien, allen voran Hapag und Lloyd, die sogar die englischen Meergiganten an solider, geschmackvoller Pracht und Zuverlaessigkeit in jeder Beziehung uebertreffen, haben fuer die Hebung des deutschen Ansehens ueber dem Ozean mehr getan, als selbst die himmelhohen Berge bedruckten Papieres, auf denen der deutsche Geist in diesen letzten vier Jahrzehnten des gesegneten Friedens sich fuer die Ewigkeit zu manifestieren trachtete. Die Person des deutschen Kaisers, als Symbol dieser friedlichen Welteroberung durch deutsches Wissen und deutsches Koennen, geniesst bei den Deutschamerikanern eine fast uneingeschraenkte Verehrung, und auch das Vereinsleben hat durch diesen neuerwachten Vaterlandsstolz neue Triebkraft bekommen. In New York, Brooklyn, Chicago, Indianapolis, Milwaukee und einigen anderen Staedten erheben sich schoene deutsche Vereinshaeuser, in denen nicht nur gekegelt und Skat gedroschen, sondern auch mit ernstem Eifer deutsche Musik und ueberhaupt deutscher Kulturbesitz gepflegt wird. In Cleveland haben die Deutschen in einem schoenen oeffentlichen Park eine Kopie des Weimarschen Schiller-Goethe-Denkmals errichtet, in Buffalo bemuehen sie sich mit ruehrender Leidenschaft um denselben Zweck, und selbst im fernen Westen, in Kalifornien und Kansas ist dieser fromme Eifer rastlos am Werk. Der Zusammenhang mit dem literarischen Leben des Vaterlandes ist freilich nur lose, denn es ist begreiflich, dass die Bestrebungen einer ausschliesslich auf aesthetische Kultur gerichteten intellektuellen Oberschicht in dem neuen Lande, wo die Sorge um Begruendung und Aufrechterhaltung des materiellen Wohlstandes alle Kraefte noch fast ausschliesslich in Anspruch nimmt, wenig Verstaendnis finden koennen. In dieser Beziehung sind es noch Grossvaeterideale, welche die versprengten Landsleute drueben pflegen und es ist charakteristisch, dass die wenigen leidenschaftlichen Bekenner zum modernen Deutschtum in Kunst und Literatur vorwiegend eingewanderte deutsche Juden sind. (M106) Es hat sich also nachtraeglich doch noch so etwas wie ein deutscher Chauvinismus entwickelt - leider, leider kommt er jetzt um mehr als ein halbes Jahrhundert zu spaet, denn die Neue Welt ist fortgegeben! Es hiesse unseren deutschen Landsleuten einen schlechten Dienst erweisen, wenn man sie jetzt noch zur Sonderbuendelei mit prahlerischem Maulaufreissen von uns aus aufstacheln wollte; das waere toericht und geschmacklos. Wie wuerden wir es wohl aufnehmen, wenn die vielen Slawen oder Juden, die bei uns zu Gaste sind, uns fortwaehrend ihre Nationalitaet und Rasse unter die Nase reiben, Fahnen schwenken, uns ihre nationalen Gesaenge in die Ohren schmettern und darauf bestehen wollten, unsere Sprache nicht zu lernen? Wir wuerden uns ihrer mit Fug und Recht irgendwie zu entledigen trachten. Auch die Yankees, die tatsaechlichen Herren der Neuen Welt, haben ein gutes Recht, zu verlangen, dass die Einwanderer aufhoerten, Fremdlinge zu sein, indem sie sich bemuehen, wenigstens nach Sprache und Sitte in der Wirtsrasse aufzugehen. Pflicht des Deutschtums ist es unter diesen Verhaeltnissen, sich stolz bewusst zu bleiben, dass sie die Erben einer tieferen und feineren geistigen Kultur als die ihrer Wirte, und dass sie dazu berufen sind, den Bluetenstaub dieser geistigen Kultur, den sie, rauhhaarigen Insekten gleich, aus der alten Heimat mit hinueber nehmen, in die Seelen der neuen Landsleute befruchtend abzustreifen. Deutsche Denkungsart, deutschen wissenschaftlichen und kuenstlerischen Sinn, deutsche Treue, deutsches Gemuet in der neuen Heimat zum ausschlaggebenden Kulturfaktor zu machen, das muss ihnen als heilige Pflicht bewusst bleiben. Auf diese Weise lassen sich immer noch Siege _gegen_ und, was noch wichtiger ist, auch _mit_ dem Yankeetum erringen. Die stolze, erfolgtrunkene Yankeerasse mit deutschem Geiste zu durchtraenken und so zu unseren innerlichst Verbuendeten zu machen, das waere ein Erfolg, wertvoller als selbst neue glaenzende Waffentaten. Inzwischen duerfen sich aber die Deutschen der Vereinigten Staaten auch nicht fuer zu gut duenken, von den Yankees zu lernen, und ebenso wir Deutschen im alten Vaterlande, die wir solche Belehrung noch noetiger haben. Es ist naemlich leider nicht zu leugnen, dass wir trotz des grossen Aufschwungs seit 1870/71 es immer noch nicht dazu gebracht haben, als Nation so respektiert zu werden, wie wir es unseren Leistungen entsprechend wohl verdienten. Wenn die Diplomaten anderer Voelker irgendeine bedeutungsvolle Neugestaltung der Dinge unter sich ausgemacht haben und jemand unter ihnen die Frage aufwirft: "Ja, was wird aber Deutschland dazu sagen, wird es sich das gefallen lassen?" so wird ihm mit laechelndem Achselzucken die Antwort: "Ach, die Deutschen! Die sind ja so anstaendig, friedliebend und zuvorkommend, die kriegen wir schon herum." Es ist eben in der Politik eine zweifelhafte Tugend, sich aus Hoeflichkeit die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Also lernen wir Alten fleissig bei den Jungen die Fehler der Jugend - in der Politik werden viele davon zu Tugenden, vornehmlich die goldene Ruecksichtslosigkeit. Man wird einwenden, dass jene nachahmenswerten amerikanischen Tugenden nicht nur in der Jugend des Volkes, sondern mehr noch in den freien Entwicklungsmoeglichkeiten einer grossen demokratischen Republik begruendet seien. Ich fuer meine Person kann jedoch nicht glauben, dass die Staatsform wirklich diese ausschlaggebende Rolle spiele. Die aufmerksame Beobachtung hat mich gelehrt, dass die demokratische Theorie drueben, wie ueberall, an der aristokratischen Veranlagung der Menschennatur scheitert; ich habe zahlreiche Beispiele dafuer beibringen koennen. Der innerlich freie Mensch kann unter jeder Staatsform frei bleiben, und was uns in Deutschland speziell noch an unseren Regierungssystemen geniert, sind alles Dinge, die sich bei gutem Willen abstellen lassen. Es ist hoechst wahrscheinlich, dass die Propheten, die uns als naechstes Ziel unserer politischen Entwicklung die _Vereinigten Staaten von Europa_ verheissen, recht behalten werden. Aber alsdann werden die gesunden, stolzen Rassen immer noch ein voelkisches Sonderdasein fuehren und auch ihre Kaiser und Koenige ebenso pietaetvoll konservieren koennen, wie ihre Eigenart auf allen geistigen Gebieten. Wenn aber diese Vereinigten Staaten von Europa ein vernuenftiges, zukunftsicheres Gebilde werden sollten, dann werden sie es den Lehren mit zu verdanken haben, die ihnen das Land der absoluten Gegenwart als untrueglicher Spiegel der Zukunft gegeben hat. DAS HIRN AMERIKAS AUF EINER GOLDENEN SCHUeSSEL. Unter all den sonderbaren und gewaltigen Menschenwerken der Neuen Welt mag wohl keines so sehr den Europaeer staunen machen, wie der Expresselevator eines Wolkenkratzers, der erst am elften Stockwerk haelt. Wohnungen fuer kochende, Kinder aufziehende Menschen pflegen sich in diesen riesigen Steinkasten nicht zu befinden, sondern ausschliesslich Geschaeftsraeume fuer die Welt des Handels und der Industrie, Kanzleien fuer Rechtsanwaelte, fuer Konsulate, fuer alle erdenkbaren Vermittler eines die ganze Welt beherrschenden Austausches von Waren und Werten aller Art. Das Herz Amerikas schlaegt in den kleinen, einfachen Holzhaeuschen der Vorstaedte und laendlichen Bezirke; aber das Hirn Amerikas arbeitet fieberhaft in diesen gigantischen Tuermen und liefert zwischen 8 Uhr frueh bis 6 Uhr abends die Hochdruckspannung fuer den Betrieb der Dollarmaschine. Hunderte von Telephonleitungen vereinigen sich auf den Daechern, die unablaessig von diesen eifrigsten Drahtsprechern der Welt in Anspruch genommen werden; im Erdgeschoss unterhaelt eine der Telegraphen- und Kabelkompanien ein Zweigamt und befoerdert unzaehlige Telegramme ueber den ganzen Kontinent, wie nach allen bewohnten Gegenden der Erde, und der gebaendigte Blitz traegt Botschaften voll Hoffnung und Verzweiflung, voll wilder Gier und wildem Mut in alle Welt hinaus. Millionen stroemen herein, Millionen stroemen hinaus. Hier pendelt den ganzen Tag die grosse Wage, auf der die Gedanken erfindungsreicher Koepfe mit Gold aufgewogen werden; hier saust geraeuschlos der schwere Schicksalshammer nieder, der mit einem Schlage Existenzen vernichtet; hier schwirren die Webstuehle, an denen die schimmernden Netze fuer den Gimpelfang fabriziert werden; mit dem Lokalaufzug klettert der fleissige, unentwegte Streber langsam von Stockwerk zu Stockwerk hinauf, und mit dem Expressaufzug, der erst am elften Stockwerk haelt, schwingt sich das Genie ueber die Koepfe der armen Durchschnittsmenschheit in atembenehmendem Tempo empor. (M107) In diesem Tempo offenbart sich die Energie der jungen Rasse, und dieser Expresselevator ist das bezeichnendste Symbol der Kultur dieser Neuen Welt. Nie und nirgends zuvor hat die Menschheit so tolle Luftschloesser gebaut, wie in diesen Wolkenkratzern des amerikanischen Nordens. Ein gigantisches Eisengerippe schiesst starr und nackt aus dem Boden hervor, und der Ausbau wird hoch droben mit dem Dach angefangen. Von oben herunter beginnt man alsdann die Waende von Zementguss zwischen den Rippen zu spannen, also gewissermassen fluessigen Stein vom Dach herunter zu giessen, bis er endlich den Boden erreicht und nun mit Quadern im Grundstock verblendet wird, schwer und gewaltig, wie fuer die Ewigkeit bestimmt. Wir Menschen der Alten Welt aber haben zuerst in den Hoehlen gewohnt, die die Natur uns zum Unterschlupf darbot; dann haben wir gelernt, uns in die Erde zu wuehlen. Stein um Stein, Balken um Balken haben wir herbeigeschleppt und langsam aneinander gefuegt, und Jahrtausende, ja Hunderttausende selbst haben wir gebraucht, um den stolzen, sicheren Bau unserer Kultur bis in jene Hoehen hinaufzufuehren, wo die Stickluft schwitzender Muehsal nicht mehr lastet, wo der frische Wind der Freiheit weht und der Blick sich weitet in die lichte Ferne. Die kuehnen Abenteurer dagegen, die die Neue Welt besiedelten, brachten die eisernen Traeger fuer den Aufbau ihrer Kultur gleich fertig mit. Es waren schwindelfreie Menschen, die zuerst das grosse Wagnis unternahmen; denn aengstliche, bedaechtig am Alten klebende Ofenhocker und Duckmaeuser gingen ja ueberhaupt nicht ueber das grosse Wasser. Die Eroberer brauchten das Pulver nicht zu erfinden; der Knall ihrer Buechsen, der Donner ihrer Kanonen war ihr erster Gruss an die technisch hilflosen Besitzer des neuen Landes. Und als die weisse Besiedlung in grossem Stile einsetzte, da war die Zivilisation des 17. Jahrhunderts das A, und die Aufgabe, sich weiter hinauf zu buchstabieren im Alphabet, verursachte keineswegs mehr einen Riesenverbrauch von Gehirnarbeit. Jedes Schiff brachte einen neuen Gedanken von der Alten Welt herueber, und diese neuen Gedanken brauchten sich nicht in hartem Kampfe erst langsam durchzusetzen gegen den widerstrebenden Willen der Alten - denn es gab keine Alten in diesem Lande, in dem Jugend und Kraft allein regierten. Da brachte einer die Idee der Dampfmaschine herueber, und alsbald erkannte man, dass die Riesengroesse des Landes all ihre Schrecknisse verlieren und die zahlreichen Quellen unerschoepflichen Reichtums ueberhaupt erst nutzbar gemacht werden wuerden, wenn der rasche Dampfwagen spielend die Entfernungen ueberwand. 1825 lief die erste Eisenbahn in England, 1829 gelangte die erste Lokomotive nach den Vereinigten Staaten und wurde alsbald zwischen Boston und Worcester in Betrieb gesetzt. Im Jahre 1840 waren schon 2818 englische Meilen Eisenbahn ausgebaut, und im Jahre 1869 wurde die Pacificlinie vollendet, die den Atlantischen mit dem Stillen Ozean verbindet! Man wartete drueben nicht, wie bei uns, ab, bis reich bevoelkerte Gegenden und grosse Staedte die Mittel zu neuen Bahnbauten aufbrachten, sondern man legte resolut die Schienenstraenge durch jungfraeuliches Land, durch Wuesten und Einoeden und veranlasste dadurch, dass jene Gegenden besiedelt wurden, Staedte und Industrien ueber Nacht aus dem Boden wuchsen. Kleinliche Bedenklichkeiten kannte man nicht. In jenen Gegenden hielt man sich mit dem Anlegen fester, kostspieliger Bahndaemme nicht lange auf, sondern rammte die Schwellen so gut oder so schlecht es gehen wollte in den Boden ein und liess die schweren Lokomotiven darauf los rasen; auf ein paar Menschenleben mehr oder weniger kam es dabei nicht an. Was ist an denen gelegen, wenn nur die Ueberlebenden den winkenden Dollar gluecklich erhaschen! (M108) Und wie mit den Eisenbahnen, so ging es mit allen anderen technischen Errungenschaften des europaeischen Geistes. Begierig wurden sie drueben aufgegriffen und, sobald ihre praktische Verwendbarkeit feststand, im Nu ueber das ganze Land verbreitet und in ihrer Leistungsfaehigkeit durch Verbesserungen bis an die Grenze der Moeglichkeit gesteigert. Und genau so wie mit den Resultaten der technischen, verfuhr man auch mit denen der geistigen Kultur: man importierte alle wichtigen Axiome der Wissenschaft gleichzeitig mit den neusten, kuehnsten Hypothesen und floesste sie den lernbegierigen jungen Koepfen ein. Von den sieben freien Kuensten liess man sich reichhaltige Mustersendungen kommen und erwarb zum Schmucke des eignen Lebens was irgend dem unreifen Geschmacke eines noch nicht zu beschaulicher Ruhe gelangten Volkes zusagte. Man hatte auch nicht noetig, aus dunkler Angst und Erloesungssehnsucht langsam eine nationale Religion empor wachsen zu lassen, sondern man liess sich die Religionen schockweise aus den alten Laendern kommen und von einheimischen Koechen fuer die amerikanischen Seelen lecker zubereiten. So besass man auf einmal Religion und Kunst, Wissenschaft und Technik zugleich, und alles dieses in einem auf der Hoehe des Tages befindlichen nagelneuen Zustande. Es galt fuer dieses absolute Gegenwartsvolk niemals, alte Kleider aufzutragen, mit alten Vorraeten zu raeumen, alte Mauern niederzulegen, alte Muenzen einzuschmelzen. Und weil jeder Anfang fuer die Leute dieser Neuen Welt ein Weiterbauen auf etwas bedeutete, das die Alte Welt bereits als ein Vollendetes geliefert hatte, so musste sich in den Koepfen dieser Neuweltleute die Ueberzeugung festsetzen, dass es fuer ihre Entwicklung keine Schranken gaebe. Der Himmel haengt diesen Leuten voll unbegrenzter Moeglichkeiten. Weil sie es niemals noetig hatten, auf dunkeln Wendeltreppen mit schmerzenden Knien in die Hoehe zu klimmen, wie wir, so deucht es ihnen die natuerlichste Sache von der Welt, ihre zwanzig, dreissig Stockwerke per Express mit hoechstens zwei bis drei Stationen hinauf zu flitzen. Und da droben, im Genusse der schoenen Aussicht und der frischen Luft, fuehlen sie sich so pudelwohl, dass sie es gar nicht merken, wie sie in der Luft haengen. Es muss schon ein gewaltiges Erdbeben kommen, um ihnen begreiflich zu machen, dass in ihrer Hoehe der Ausschlagswinkel der Pendelschwingung etwas ungemuetlich zu werden beginnt und dass man unten zum mindesten sicherer wohnt. Aus eben dem Grunde aber vermoegen kultivierte Menschen der Alten Welt in jenen stolzen Luftschloessern niemals heimisch zu werden. Sie finden es fusskalt darin, weil die unteren Stockwerke unbewohnt sind und alle Winde frei durch das leere Eisengerippe streichen. Wir wurzeln eben mit unserer ganzen Seele in der Vergangenheit. In den schweren Kaempfen einer langen, langsamen Entwicklung sind unsere Kraefte gewachsen; an den Steinen, die uns in den Weg geworfen wurden, haben wir die Waffen unseres Geistes geschaerft; unseren Goettern haben wir Wohnungen gebaut aus den aufgetuermten Leichnamen unserer Maertyrer; den holden Rausch unseres Fruehlings haben wir uns verdient in eiskalten Winterstuermen, aus Schutt und Brand die Ideale unserer Schoenheit gerettet - aller Stolz auf unsere Gegenwart, all unsere Sehnsucht in die Zukunft sind arm und klein, an der heiligen Liebe zu unserer Vergangenheit gemessen. _Ein Mensch der Alten Welt, der keine Romantik im Leibe hat, ist eine Missgeburt._ Und wenn die Kinder der absoluten Gegenwart zu uns herueberkommen, so wandeln sie wie in einem Museum einher: alles, was fuer uns lauter lebendige Quellen ewiger Werte bedeutet, sind fuer sie ausgestopfte Kuriositaeten, patinierte Schildereien, bleiche Spirituskonserven - sie gehen staunend oder laechelnd vorbei und fragen hie und da: "Wieviel kostet das?" O ja, wir sind auch Gegenwartsmenschen, sogar wir ehemals so vertraeumten Deutschen! Wir ruhen keineswegs auf unseren Lorbeeren aus, wir stellen immer noch unsere Welteroberer so gut wie zur Zeit der Voelkerwanderung. Diese neuen deutschen Menschen sind aber die sonderbarsten Realisten, die die Welt je gesehen hat. Wohl sind sie modern im besten Sinne und innerlich doch noch ganz und gar angefuellt von den ererbten Eigenschaften ihrer ritterlichen oder spiessbuergerlichen Vorfahren. Ihr Blut straeubt sich dagegen, reine kalte Geschaeftsmenschen zu werden; sie ringen mit ihrer ruehrenden Gemuetlichkeit, ihrer korrekten Bravheit und wohl auch mit einer streberhaften Enge der Empfindung, und ihrem mannhaften Ringen blueht der Erfolg, weil sie sich der Arbeit und der Disziplin verschrieben haben. Dies neue Geschlecht der deutschen Realisten bildet heute noch einen Staat im Staate, eine Freimaurerorganisation mit ungeschriebenen Gesetzen. Aber es ist sicherlich berufen, den Staat von Grund aus umzuwandeln, das Ferment der neuen deutschen Gesellschaft zu bilden - jener grosse, der offiziellen Welt meist fernstehende Komplex von Ingenieuren, Technikern, Kaufleuten, exakten Forschern, voraussetzungslosen Denkern und ruecksichtslosen Kuenstlern, der heute schon die eigentliche Triebkraft zu allen tuechtigen deutschen Taten hergibt. Uebermenschen sind sie darum noch lange nicht, diese neuen Deutschen, aber doch bereits wieder ein praechtiges Herrenvolk, unter dem die Ahnherrn des Uebermenschen schon jetzt im Fleische wandeln duerften. (M109) Drueben glauben sie, wie es scheinen moechte, den Uebermenschen bereits zu besitzen, und zwar in der Person des Spielers grossen Stiles, des Millionen aus der Luft greifenden und auf eine Karte setzenden kalten Geschaeftsmannes. Hoeren wir ein Stueckchen Yankeephilosophie aus dem Munde eines ihrer besten Schriftsteller, _Jack London_(5): "Zu Zehntausenden und zu Hunderttausenden sitzen Menschen die Naechte durch und planen, wie sie zwischen die Arbeiter und deren Erzeugnisse sich hineinquetschen koennen; das sind die Geschaeftsleute. Die Kleinen von ihnen, Kraemer und dergleichen, greifen sich aus dem Erzeugnis des Arbeiters irgend etwas heraus, woran sie verdienen koennen; aber die grossen Geschaeftsleute benutzen diese kleinen Geschaeftsleute, um die Werterzeuger fuer ihre Zwecke herzurichten. Den ganz grossen Leuten aber liegt nichts daran, den einzelnen Arbeiter auszubluten, ihm seinen Profit wegzuschnappen, sondern sie suchen sich zwischen die Hunderte und Tausende von Arbeitern und ihre Erzeugnisse hineinzuschieben. Diese Art von Glueckspiel nennt man 'die hohe Finanz'. Urspruenglich bestand das Geschaeft nur darin, den Arbeiter auszupluendern; dann aber taten sich die grossen Raeuber zusammen und jagten einander die aufgehaeufte Beute ab. Unter den Uebermenschen der Geschaefts- und Finanzwelt gibt es, mit einigen seltenen mythischen Ausnahmen, kein _noblesse oblige_. Diese modernen Uebermenschen sind eine Gesellschaft von Banditen, welche die erfolgreiche Frechheit besitzen, ihren Opfern Gebote von Recht und Unrecht zu predigen, an die sie sich selber nicht kehren. Bei ihnen heisst es, eines Mannes Wort soll gelten, so lange als er gezwungen ist, es zu halten. Du sollst nicht stehlen, ist ein Gebot, das nur den ehrlichen Arbeiter angeht; sie selber stehlen selbstverstaendlich und werden von ihresgleichen der Groesse ihrer Beute entsprechend geschaetzt. Obwohl jeder Raeuber stets auf der Lauer liegt, um jeden anderen Raeuber zu berauben, so ist doch die ganze Bande wohl organisiert. Sie hat tatsaechlich die Kontrolle ueber den politischen Mechanismus der Gesellschaft. Sie bringt Gesetze durch, die ihr das Privileg zum Rauben geben, und sie verschafft diesen Gesetzen Achtung durch die Polizeiorgane, die Gerichte und die Armee. Des Uebermenschen Hauptgefahr liegt in seinem Mituebermenschen, nicht etwa in der dummen grossen Masse des Volkes - die kann man durch den laecherlichsten Bluff zum Narren halten - die zaehlt nicht mit. Die hohe Finanz ist nur ein Pokerspiel auf hoeherer Basis, aber man kann sehr wohl die Betruegereien und Vortaeuschungen dabei durchschauen, ohne sich sittlich darueber zu entruesten. Es ist eben die Ordnung der Natur, dass die gigantische Nichtigkeit alles menschlichen Strebens von den Banditen organisiert und ausgenutzt wird. Auch zivilisierte Menschen berauben einander, weil sie eben so geschaffen sind. Sie rauben, wie die Katze kratzt, der Frost beisst und der Hunger kneift. Der grosse Finanzier lernt sein Geschaeft bald sportmaessig betreiben. Arbeiter und kleine Leute beschwindeln, das ist zu leicht, zu dumm, das ist ebensowenig ein Sport, wie etwa die Jagd auf die fetten, in der Nudelkiste aufgezogenen Fasanen, wie sie in England noch betrieben werden soll. Der grosse Sport besteht darin, den erfolgreichen Raeubern einen Hinterhalt zu legen und ihnen die Beute wieder abzunehmen. Das gibt Aufregung, das spannt, und zuweilen setzt es dabei Klopffechtereien, an denen der Teufel seinen besonderen Spass hat." (M110) Die Uebermenschen von Wallstreet tragen mit ihren genialen Taten allerdings dazu bei, die Physiognomie der Neuen Welt charakteristisch auszupraegen, besonders wenn man ihr Treiben so auffasst, wie jener witzige Englaender, der einem Yankee auf die Behauptung: so smarte Geschaeftsleute wie in den Vereinigten Staaten haetten sie drueben in England doch nicht, kaltbluetig erwiderte: "O ja, die haben wir auch - aber bei uns sitzen diese Herren alle im Zuchthaus." Der Amerikaner hat eben den guten Humor, die Taten seiner grossen Spitzbuben, wie Jack London, mit sportlichem Interesse zu verfolgen. Er versteht aber einen sehr feinen Unterschied zu machen zwischen den grossen Tieren, ueber die er sich amuesiert, und denen, auf die er stolz ist. Es gibt einige sehr vornehme Klubs drueben, in deren Mitgliederverzeichnissen man die Quintessenz des amerikanischen Genius suchen darf, xfach durchgesiebte Auslesen von Herren- und Hoehenmenschen. So existiert z. B. in New York der alte, hoch angesehene Century-Klub, in welchen nur Maenner aufgenommen werden koennen, die irgendeine bedeutungsvolle Leistung auf irgend welchem Gebiete aufzuweisen haben. Am 26. Februar des Jahres 1902 aber ergriff ein Komitee, dem ein Dutzend der weltbekannten Industriefuersten angehoerte, die Gelegenheit eines festlichen Fruehstuecks im Strassenanzug, um unserem Prinzen Heinrich von Preussen _das Hirn Amerikas auf einer goldenen Schuessel darzubieten_. Ungefaehr 150 Einladungen liessen sie ergehen an jene _Captains of Industrie_, wie Thomas Carlyle sie genannt hat: "Jene Ahnherrn einer neuen, wirklichen, nicht bloss eingebildeten Aristokratie!" Bei diesem denkwuerdigen Fruehstueck wurde nicht die Schwere des Geldsacks in Betracht gezogen; ausgeschlossen waren die blossen smarten Geschaeftsleute, die tollkuehnen Spieler des grossen Spiels; ausgeschlossen waren auch Leute, die nur vermittels ihres hohen Ranges eine Augenblicksbedeutung haben; es waren vielmehr nur wirkliche Feldherrn in dem gewaltigen Heere der modernen Welteroberung durch Wissenschaft, Technik, Handel und Industrie zur Huldigung entboten. Dem Prinzen wurde vorher ein kleines gedrucktes Heft ueberreicht, in dem die Eingeladenen dem Alphabete nach aufgefuehrt und die Bedeutung jedes Einzelnen in einer ganz knapp gefassten Notiz erlaeutert war. Die "New Yorker Staatszeitung" sagte von diesem Fruehstueck: "Der erlauchte Bruder des deutschen Kaisers und maechtigen Beschirmers friedlicher Bestrebungen hat heute echte und wahre Amerikaner kennen gelernt, Leute von dem Schlag der Augsburger Fugger, Fuersten des Handels, Baumeister unserer Groesse. Es waren nicht lauter Millionaere, die da sassen, aber sie gehoerten ausschliesslich zu der Klasse jener Arbeiter, die die unerschoepfliche Produktionskraft der Neuen Welt in Millionen umzumuenzen verstehen und die unseren Nationalwohlstand begruenden halfen." (M111) Ich besinne mich vergeblich auf eine Gelegenheit, bei der ein Fuerst der Alten Welt in aehnlicher Weise gefeiert worden waere. Wenn unsere gekroenten Haeupter reisen, so bekommen sie ueberall dieselben Exzellenzen, Geheimraete, Spitzen der Behoerden, Kriegervereine usw. zu sehen; zweifellos lauter wackere und verdienstvolle Staatsbuerger; aber die wahrhaft fuehrenden Koepfe, die genialen Organisatoren, die Traeger der modernen Ideen - jene Exzellenzen im eigentlichen Wortsinne - jene Hervorleuchtenden - sie finden sich nur in vereinzelten Exemplaren unter den Aufwartenden. Und der Eifer der intimen Hueter des Thrones, der Hoeflinge und Buereaukraten sorgt dafuer, dass von wirklich geistigen Potenzen diejenigen das Antlitz des Herrschers niemals zu sehen bekommen, deren Gedankenschwung sich keck ueber die Grenzen des beschraenkten Untertanenverstandes erhebt. Auch drueben in dem Maerchenlande der absoluten Gegenwart fehlten in der Liste der Eingeladenen die grossen Philosophen, Kuenstler und Dichter, die Verkuender einer neuen Sittlichkeit und einer neuen Religion, die kuehnen Umwerter und gefaehrlichen Fackeltraeger - sie mussten fehlen, weil sie drueben noch nicht vorhanden sind, diese Kulturblueten schwer von dem Honig einer glorreichen Vergangenheit. Wann wird fuer Deutschland die Stunde schlagen, in der ein Kaiser vor seinem Volke den Tanz der sieben Schleier tanzt, wobei seine Majestaet eine Huelle alter Vorurteile nach der andern abwirft, um schliesslich zum Lohne das Hirn Deutschlands auf einer Schuessel zu fordern? Vielleicht wird diese Schuessel nicht, wie drueben in dem Lande der unerschoepflichen Naturschaetze, von purem Golde sein koennen - aber das Hirn wird sich sehen lassen duerfen! EINIGE FUeR DIES WERK BENUTZTE UND EMPFEHLENSWERTE BUeCHER: _ Dr. Otto Ernst Hopp_, "Bundesstaat und Bundeskrieg in den Vereinigten Staaten". Zwei Baende. Verlag G. Grote. Berlin 1886. _ Mc. Laughlin_, "History of the American Nation". Verlag Appleton & Co. New York 1903. _ Paul Bourget_, "Outre Mer". Verlag Alphons Lemerre. Paris 1905. _ Georg von Skal_, "Das amerikanische Volk". Verlag Egon Fleischel & Co. Berlin 1908. _ Dr. Hintrager_, "Wie lebt und arbeitet man in den Vereinigten Staaten?" Verlag F. Fontane & Co. Berlin 1904. _ Wilhelm von Polenz_, "Das Land der Zukunft". Verlag F. Fontane & Co. Berlin 1905. _ Ludwig Max Goldberger_, "Das Land der unbegrenzten Moeglichkeiten." Verlag F. Fontane & Co. Berlin 1903. _ A. von Ende_, "New York". Verlag Marquardt & Co. Berlin. NAMEN- UND SACHREGISTER. Aberglaube 203. Adel 261, 175 ff. Akademische Vergnuegungen 55. _ American plan_ (style) 240, 244. Angelsachsen 21. Antisemitismus 31. Arbeit 105, 107, 261. Armee 177 ff. Armour & Co. 218 ff. Asch, Schalom 142. Astor 179. Astorhotel 239. _ Athletics_ 37, 45. Ausgestanden! 17. _ Avenue, common wealth_ 126. _ Avenue, fifth_ 123 f. Baker G. Eddy, Mrs. Mary 196 bis 200. Bauern, lateinische 265. Bayreuth 138. Berufstreue 106, 254. Bertsch, Hugo 132. Bibliotheken 51, 63. Bier 234. Bildungsgang des Volkes 63. Bildungstrieb 63, 255. Bischoefliche Hochkirche 187. Blood and Thunder-Show 5. _ Bohemian Jinks_ 55. _ Bohemians_ 132. Bordelle 72 f. Bosse, die politischen 65, 73, 96. Bret Hart 133. _ Brooklyn-Bridge_ 233. Bronzemesser 110. Buchgewerbe 126. Buffalo 118, 211. Cafes 112, 119, 237. _ Camping out_ 209. _ Campus_ 54, 205. _ Car_ 172. Carnegie 80. Cartesius 120. Century-Club 281. Chautauqua 63. Chauvinismus 28, 266 ff. College _Cheers_ 43 f. Chicagos Schlachthoefe 218-229. _ Christian Science_ 196-203. Clams 118. _ Coeducation_ 36, 55, 82, 84. _ Common sense_ 38, 66, 184, 263. _ Compartement_ 172. _ Concerd__, sacred_ 173. Confessionslose Kirche 205 f. Cornell 53, 205. _ Denomination_ 49, 188 ff. Demokratischer Stolz 105. Demokratische Tugenden 181. Deutsch-Amerikaner 28 f., 36, 264 bis 271. Deutsche Pflichten 6, 271 f. Deutsche Staedte 265. Deutsche System, das 61. Dienstboten 94-109. Dienstmaedchen, Karriere besserer, 101. Dienstpersonals, Pflichten u. Rechte des 99. Disziplin 38, 70 f., 170, 180, 278. Dollarmaschine 273. Doppelmoral 77. _ Dormitorys_ 42. Drew, Daniel 179. Ehe 79-93. Ehescheidung 79, 88 f. Ehrgeiz 37. Ehrlich-Hata 74. Ehrlichkeit 182. Einwanderers, die Kinder des 29. Eisenbahn 275 f. Eisenbahnen, Kundenfang der 241. Eiswasser 17. Eitelkeitsmarkt 176, 155. Emerson Ralph Waldo 62. _ Episcopal Church_ 187. Erotik 75 ff. Erziehungskosten, Rueckzahlung der 83. Eulenberg, Herbert 145. Europa, Vereinigte Staaten von 272. Exzellenzen, die wahren 283. Expresselevator 273 f. Fahrplaene 242. Familienhaeuser 123. Fensterputzer, der schwarze 95. Festessen 10 f. Fische 115. Fleischverarbeitung 230. _ Flirtation_ 84 f. Forschung, wissenschaftliche 46 f. Fortschritt, kampfloser 275. _ Fraternitys_ 42 f. Frauenakademien 56 ff. Friedrich, Max 129. Fruechte 111, 118. Fulda, Ludwig 2. Frauenverehrung 26, 34, 70, 80, 90, 174, 246. Gastfreundschaft 9. Gefluegel 114. Geldheirat 25. Ghetto 138. Gold 234. Gould, Jay 25, 176. Gouverneur 10. Germanistic Society of America VII, XIV, 2. Geschaeftspolitiker 65. Geschlechter, freier Verkehr der 84 f. Gesetzen, Achtung vor den 67. Gesetzfabrikation 173. Gepaeckaufgabe 242 f. Gesundbeter 197-200. Gruenhoerner 232 ff. Graf, Dr. Alfred 60. Handwerk 30, 106 f., 254. Hapag 269. Hardt, Ernst 147. Harward 44. Hauptmann, Gerhart 139, 145. Hauptmann, Karl 2. Hausfrauen 91 f., 93, 101. _ Head lines_ (Kopfzeilen) 161 f. Heilsarmee 193-196. Heimatliebe 171, 259. Hemdaermeligkeit 249. Heinrich, Prinz von Preussen 18, 226, 282. Heirat 88. Heiratslust ein Gesundheitszeugnis 93. Herald, New York 164. High School von Youngstown 7. Hotel 207, 236 ff., 252. Hoeflichkeitsbezeugungen 13, 170, 247 f. Hoelle, Mittelpunkt der 227. Hudson 207, 215 ff. Humanistische Bildung 48. Humoristische Lichter 5. _ Icecream_ 17, 113 f. Illustrierte Zeitungen 151 ff. Indianer 23. Industriehaeuptlinge 149, 282. Interviewer 8, 19, 158 f. Inquisition 21. Jerusalem, Else 74. Judentum 30 f., 144. Juristen 263. Kastengeist 172, 177. Kaiser, der deutsche 269, 283. Kannibalische Gerichte 119. Karikaturen 160. Kasernenleben 180. Kaufmann, Reginald Wright 73. Katholizismus 188. Kauer, das Volk der 120. Kaugummi 121. Kelten 21. Kempinskis System 120. Kessler, David 139 ff. Kindervergoetterung 33 f., 244. Kinderzucht 35. Kirchenwahl 203 f. Kleidung 124. Knickebockers 175. Kochkunst 111-120. Koketterie 79, 85. Komisch finden, was sie alles 7. Kongress deutscher Missgeburten 27. Kontrakte der Dienstboten 99. Korruption 65 ff. Krueger, Hermann Anders 2. Kunstbeduerfnis 129. Kunst, nationale 62, 131. Kuessen, vom 87, 247. Kurmacherei, unverbindliche 85. Landschaftsregisseure 212 ff. Laughlin, Andrew C. Mc. 36. _ Legal__ Aid Society_ 192. Lenau, Nikolaus 1. Lehrer und Lehrerin 38 ff. Leitartikel 154. Leithammel 219. Lesefutter fuer Kinder und Unmuendige 151. Lichtreklame 122, 211. Liebe, die, in der Oeffentlichkeit 87. Liebesheirat 25. Liebesverhaeltnis 77, 86 f. Liebe und Ehe 79-93. Liliencron, Detlev v. 1. Lindau, Paul 1. Lloyd, Norddeutscher 269. Lobby, die 237. London, Jack 132, 279 ff. Longfellow 133. Luegner 37. Lynch, Richter 263. Manieren 27, 29, 92. Mann, G. A. 201 ff. Malerei 126, 130. Mannszucht 117 ff. Mark Twain 133. Massengeschmack 133, 163 f. Materialismus 193, 250. Mayflower 175. Maedchenhandel 73. Maezene 51 ff. Menschen, neue deutsche 278 f. Menschliche Niedertracht 223. Mischlinge 23 f. Mitgift 25, 81. Modedamen 80, 90 f. Monatsschriften 164. Moralbegriff 78, 164. Morgentoilette des Taetowierten 245. Multimillionaere 79 f. Muschenheim, Gebrueder 239. Musiker, deutsche 128 ff. Nacktheit in der Kunst 127, 174. Neger 95 ff., 99, 173. Negerkirchen 188 ff. Neidlosigkeit 183. Nervositaet 11. Niagarafaelle 209 ff. Niggerlied 128, 188, 191. Niggerpoesie 188 ff. Oper 136 ff. Operette 146 f. Optimismus 21, 32, 108, 215, 263. Osborn, Prof. Dr. Henry F. 149 f. Orden 53, 176. Pagen 237. Papiergeld 234. Parsifal 128. Paepstin, Tod der 198 f. Philister 260. Photographie 126. Pilgervaeter 21, 75, 186. Pinsky, David 139. Plastik 127. Poet, der neuweltliche 130. Polenz, Wilhelm v. 1. Politik 65 ff., 271, 264 f., 154. Polizei 67, 72, 74, 171. Postgraduates 51. Prachtbauten 122 f. Presse, deutsche 167. Presse, gelbe 149, 153, 161, 164, 255. Privatgelehrte 50. Proletariat, gelehrtes 50. Professor, der 53 f. Professor, der, als Maedchen fuer alles 103. Prohibition 171, 174. Prostitution, die 73. Pruederie 4, 74, 132, 145, 174. Publikums, Psychologie des 3. Puritaner 21 ff. Pullman-Wagen 172 f., 243 ff. Quaeker 204. Radiopathie 199 f. _ Ragtime_ 128. Rasse, amerikanische 20 ff., 256 ff., 268. Rassestolz 23. Raubritter 179. Rauchplage 68. _ Reception_ 9, 12 ff. Redegabe 10 f., 39. _ Refinement_ 47. Reinhardt, Max 142, 147 f. Reinheit, erotische, der Maenner 75 f., 82. Reklame 156, 208, 210. Rekordfieber 251. Rekrutierung 177. Reliquienverehrung 50. Renommage 33. Rentiers 81. Reporter 8, 241, 237, 160 f. Richter 262 f. Rockefeller jun. 74. Romantik 87 f. Salat 116 f., 117. Schaukelstuehle 125. Scheidung, die 89. Schlachtverfahren fuer Schweine 227. Schlachtverfahren fuer Rinder 229. Schlangenfrass, intellektueller 157. Schliff, der letzte 47. Schnitzler 86. Schoenheit, koerperliche 26. Schoenheiten, berufsmaessige 59, 104. Schule 35 ff. Schuelerverbindungen 39. Schurz, Karl 267. Sehenswuerdigkeiten 9. Sekten 186 ff. Selbsthilfe, energische, eines Damenklubs 69. Sensationsartikel 164 ff. Sentimentalitaet 87. Sexuelle Heuchelei 75. Sinclaire, Upton 226. Skal, Georg v. 38. Sklaverei 109. Snobismus 251 ff. _ Social evel, the_ 72 ff. Soldatenwerbung 179. Soeldnerheer 181. Sommerfrischen 209. _ Sororitys_ 58. Sozialdemokratie 180, 185. Sparsamkeit 235. Speisehaeuser, billige 119. Spekulationsheiraten 81. Spiessertum 183, 185. Spione, japanische 181. Spitzbueberei als Sport 281. Sport 44 ff., 54, 281. Sportberichte 153 f. Sportliche Wettkaempfe 45. Staatszeitung, New Yorker 167, 282. Stanley, Henry M. 162. Steuben, Baron 36. Stiefelputzen 100. Strassendemonstrationen 97. Strassenpflaster 124. Strassenverkehr 71. Strauss, Richard 97, 98, 148, 160. Studenten, arme 43. Studentenverbindungen 43. Studentin, Typus der 59. _ Subway_ 232. Suessigkeit 111 f., 117. _ Sweet Potatoes_ 115. Tafelfreuden im Pensionat 115. _ Tammany Hall_ 186. Tante, die alte 173. Tauschhandel, Toechter im 25. Technische Hochschulen 49. Technik und Wissenschaft 49. Telephon 237, 249, 273. Theater, amerikanisches 135-138. Theater, deutsches 143-148. Theater, jiddisches 138 ff. Theatre, New 136. Todessprung, der 221. Toleranz 22. Touristen 211. Transcript, Boston 162. Trennung von Staat und Kirche 185, 263. Trinkgeld 235 f., 238. Trustmagnaten 68. Uebermensch, der, von Wallstreet 279 ff. Undergraduates 42. Ungluecksfaelle, Verbrechen 153 f. Uniform 180. Unitarier 189. _ University Extension_ 63, 255 f. Urban, Henry F. XII. _ Usher_ 13, 16. Verbrecher, Behandlung der 262. Vereinsleben 6 f., 255, 266, 269. Verfassung der V. St. 36. Virginians, true 175. Volkslied 3, 130. Voelker, junge, u. Kinder 33. Vorstellen, nicht! 13. Vorurteile, demokratische 62. Wahlmanoever 73. Walt Whitman 133. Walter, Dramatiker 86, 132. Wedekind, Frank 145. Wehrpflicht 180. Wellesley-College 56-59. Weltanschauung 46. Wettkaempfe 44 f. White, Dr. Andrew D. 108, 203, 205 f. Wildpret 115 f. Williams, Roger 22. Wissenschaftliche Speisekarte fuer Damen 57. Wohltaetigkeit 194. Wohnhaeuser, Stil der 208. Wohnungseinrichtung 124 ff. Wolkenkratzer 123, 273 f. Yale 44. Yankee 20. Zahnarzt 113. Zukunft, schwierige Frage an die 109. Zwangsheirat 78. Verlag von F. Fontane & Co., Berlin/Dahlem Wie lebt und arbeitet man in den Vereinigten Staaten? Nordamerikanische Reiseskizzen von Dr. Hintrager Geheimer Regierungsrat Preis: broschiert M. 5,-; geb. M. 6,50 _II. Auflage_ New Yorker Staatszeitung: (Aus einem mehrere Spalten fuellenden Feuilleton.) Dr. Hintrager hat in seinem Buche: "Wie lebt und arbeitet man in den Vereinigten Staaten?" ein gutes Werk geliefert; er hat geraume Zeit in den Vereinigten Staaten zugebracht und sich bei seinen wiederholten Besuchen des Landes nicht darauf beschraenkt, die Aussenseite der Dinge anzusehen. Er hat nicht nur auf einer Farm in Jowa gewohnt, sondern dort auch einige Monate mitgearbeitet. Er hat die Schulen gruendlich studiert, ist im Bureau eines Rechtsanwaltes taetig gewesen, hat die meisten der groesseren Strafanstalten besucht und geprueft und juristische Vorlesungen gehalten. Kurzum, er hat einen Blick in das innere Leben des Volkes getan und weiss huebsch und interessant davon zu erzaehlen. Sehr gut und lesenswert - auch fuer Deutsch-Amerikaner, die ueber diesen Punkt wenig unterrichtet sind - ist das Kapitel ueber die Amerikanerin. Man faengt doch an, einzusehen, dass die amerikanische Frau nicht bloss das Sofakissen ist, fuer das man sie so lange gehalten hat. Verlag von F. Fontane & Co., Berlin/Dahlem Das Land der unbegrenzten Moeglichkeiten Beobachtungen ueber das Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten von Amerika von Ludwig Max Goldberger Geheimer Kommerzienrat Preis: broschiert M. 5,-; geb. M. 6,50 _VIII. Auflage_ Literarisches Zentralblatt, Leipzig: Unter der in der letzten Zeit betraechtlich angeschwollenen Literatur ueber die Vereinigten Staaten darf das vorliegende Werk wohl den ersten Platz beanspruchen. Eingehende Sachkunde, erschoepfende Gruendlichkeit, genaue Detailforschung ohne jede Voreingenommenheit und Gefaelligkeit der Darstellung zeichnen dieses Werk besonders aus. Man muss selbst auf den Spuren des Verfassers in den Vereinigten Staaten gewandelt sein, um die stets zutreffende und mit wenigen Worten ueberaus anschaulich gezeichnete Schilderung ganz wuerdigen zu koennen, welche in diesem Werk vom Boden und den Menschen, von der Arbeit und den Werkstaetten, dem Nationalreichtum, den Eisenbahnen und Steuern, der Arbeiterfrage und dem Trustwesen und verschiedenem anderen gegeben sind. Durch das ganze Werk zieht sich die nicht hoch genug zu veranschlagende Tendenz, die beiden grossen Nationen menschlich und wirtschaftlich naeher zu bringen ... Verlag von F. Fontane & Co., Berlin/Dahlem Das Land der Zukunft oder: Was koennen Amerika und Deutschland voneinander lernen? Von Wilhelm von Polenz Preis: broschiert M. 6,-; geb. M. 7,50 _VI. Auflage_ St. Petersburger Zeitung: Polenz beweist auch hier bei dem Studium fremder Verhaeltnisse die glaenzende Beobachtungs- und Schilderungsgabe, die wir in seinen Dichtungen, besonders in seinem klassischen Roman "Der Buettnerbauer" bewundern. Mit offenen Augen hat er sich in der amerikanischen Welt umgesehen und schildert scharf und klar, ohne sich auf der einen Seite durch wirkliche und scheinbare Erfolge blenden oder aber durch das, was dem Europaeer fremd, sonderbar und vielfach auch abstossend erscheint, beirren zu lassen. Rheinisch-Westfaelische Zeitung, Essen: Nicht landlaeufige Reiseeindruecke sind es, die uns Polenz wiedergibt, er entrollt vielmehr vor uns ein treffliches, wahrheitsgetreues, interessantes Gemaelde von kulturhistorischer Bedeutung, von den Verhaeltnissen, Sitten und Gebraeuchen der heutigen Welt. ANMERKUNGEN M1 Psychologie des Publikums. M2 Humoristische Lichter. Was sie alles komisch finden. M3 Sehenswuerdigkeiten und Gastfreundschaft. Nervoes sind sie nicht. M4 Nicht vorstellen! Great reception. M5 Ausgestanden! M6 Die reizende Reporterin. M7 Angelsachsen und Kelten. Rassestolz. Toechter im Tauschhandel. 1 Das Wort Yankee kommt von einer misshoerten indianischen Aussprache des Wortes "english" her und wurde in den Befreiungskriegen den Amerikanern von den Englaendern als Spottname angehaengt. M8 Kongress deutscher Missgeburten. M9 Die Kinder der Einwanderer. Antisemitismus? M10 Junge Voelker und Kinder. M11 Kinderzucht. M12 Luegner und Duckmaeuser. M13 Schuelerverbindungen. M14 Studentenverbindungen. M15 Sportliche Wettkaempfe. M16 Der letzte Schliff. Technik und Wissenschaft. M17 Postgraduates. M18 Der Professor im oeffentlichen Leben. 2 Der Unterschied zwischen diesen beiden Gattungen ist schwer zu umgrenzen. Professor Muensterberg von Havard definiert ihn dahin, dass sich das College mit der Ansammlung von Wissen, die Universitaet dagegen mit dessen kritischer Wuerdigung und mit exakter Forschung beschaeftigen soll, doch fliessen die Grenzen schon deshalb oft ineinander, weil eben an den meisten Universitaeten auch noch nicht viel von selbstaendiger Forschung und wissenschaftlicher Systematik zu finden ist. M19 Akademische Vergnuegungen. M20 Wissenschaftliche Speisekarte fuer Damen. M21 Typus der Studentin. M22 Das deutsche System. Bildungsdrang des Volkes. M23 Geschaeftspolitiker. Achtung vor den Gesetzen? M24 Energische Selbsthilfe eines Damenklubs. M25 Disziplin im Strassenverkehr. M26 Die Prostitution. M27 Oeffentliche und private Moral. Sexuelle Heuchelei und Reinlichkeit. Beurteilung des freien Liebesverhaeltnisses. M28 Spekulationsheiraten. Rueckzahlung der Erziehungskosten. Unverbindliche Kurmacherei. Die Liebe in der Oeffentlichkeit. M29 Die Scheidung. Die Hausfrau und die Dame der Gesellschaft. M30 Heiratslust ein Gesundheitszeugnis. M31 Der schwarze Fensterputzer. Strassendemonstrationen. M32 Pflichten und Rechte des Dienstpersonals. M33 Karriere besserer Dienstmaedchen. M34 Der Professor als Maedchen fuer Alles. M35 Demokratischer Stolz. Unstetigkeit des Handwerks. M36 Schwierige Frage an die Zukunft. M37 Suess muss es sein! M38 Icecream und Zahnarzt. M39 Tafelfreuden im Pensionat. M40 Amerikanischer Salat. M41 Billige Speisehaeuser. M42 Das Volk der Kauer. M43 Planloses Durcheinander. M44 Abenteuer mit Schaukelstuehlen. M45 Die Nacktheit in der Plastik. M46 Deutsche Musikpioniere. M47 Der neuweltliche Poet. M48 Diktatur des Massengeschmacks. M49 Die grosse Oper. M50 David Kesslers jiddisches Theater. M51 Eine improvisierte Standrede. M52 Niedergang des deutschen Theaters. Repertoirschwierigkeiten der deutschen Buehne. Reinhardt der Retter. M53 Lesefutter fuer Kinder und Unmuendige. M54 Illustrationsunfug. M55 Eitelkeitsmarkt. M56 Intellektueller Schlangenfrass. M57 Kopfzeilen. M58 Ein smarter Reporter. M59 Ideale Moeglichkeiten fuer die Zeitung. M60 Sensationsartikel ernster Zeitschriften. M61 Die deutsche Presse. M62 Die demokratische Freiheit. M63 Die alte Tante. 3 "_A drink with a wink_" heisst das. In den Staaten, wo die Prohibition streng durchgefuehrt ist, fordert man unter moeglichst unmerklichem Augenzwinkern ein Glas Milch und bekommt alsdann in einem undurchsichtigen Gefaess sein Bier, wobei die weisse Schaumhaube die Milch vortaeuschen muss. M64 Raubritter hueben und drueben. 4 "The Book of Daniel Drew" by Bouck White. M65 Soldatenwerbung. M66 Vom Soeldnerheere. M67 Demokratische Tugenden. Neidlosigkeit. M68 Trennung von Staat und Kirche. M69 Die Bischoeflichen und die Unitarier. M70 Die Negerkirchen. M71 Die Heilsarmee. M72 Bankrott des Materialismus. M73 Die Kirche der Gesundbeter. M74 Der Tod der Paepstin. M75 Christian Science in Europa. M76 Aberglaube, Kirchenwahl. M77 Eine konfessionelle Christenkirche. M78 Sommerfrischen. M79 Kostspielige Ausruestung des Touristen. M80 Die Niagarafaelle. M81 Der Hudsonstil. M82 Der Landschaftsregisseur. Aufgaben fuer deutsche Kuenstler. M83 Der Leithammel. M84 Der Todessprung M85 Menschliche Niedertracht. M86 Der Mittelpunkt der Hoelle. M87 Schlachtverfahren beim Rindvieh. M88 Der Zweck heiligt die Mittel. M89 Tragikomoedien des Gruenhorns. M90 Unangebrachte Sparsamkeit. M91 In der Lobby. M92 Das Astorhotel. M93 Kundenfang der Eisenbahnen. M94 Im Pullmanwagen. Die Morgentoilette des Taetowierten. M95 Vom Kuessen und von der Hoeflichkeit. M96 Hemdaermeligkeit. M97 Das Rekordfieber. M98 Ansteckungsgefahr des Snobismus. M99 Volkstuemliche Bildungsbestrebungen. M100 Zaehigkeit der Rassen. M101 Heimat. M102 Arbeit und persoenliche Wuerde. M103 Juristen und Menschenkenner. M104 Die deutschen Kolonisatoren. Unsere mangelhafte politische Befaehigung. M105 Neuerwachter Nationalstolz der Deutschen. M106 Heiligste Pflicht des Deutschtums. M107 Kampfloser Fortschritt. M108 Unbegrenzte Moeglichkeiten. M109 Der Uebermensch von Wallstreet. 5 Aus dem Roman "Burning Daylight", S. 159 ff. M110 Spitzbueberei als guter Sport. M111 Die wahren Exzellenzen. BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Die lebenden Kolumnentitel sind als Randnotizen wiedergegeben. Korrektur von offensichtlichen Druckfehlern: Seite 6: "Clownspaessen" geaendert in "Clownspaessen" Seite 16: "sterotypen" geaendert in "stereotypen" Seite 39: "rethorische" geaendert in "rhetorische" Seite 107: "grossen" geaendert in "grossen" Seite 109: "Unstaenden" geaendert in "Umstaenden" Seite 118: "Neuurastheniker" geaendert in "Neurastheniker" Seite 172: "Pullmann" geaendert in "Pullman" Seite 192: Anfuehrungszeichen entfernt hinter "koennen?" Seite 201: Anfuehrungszeichen entfernt hinter "Gewalt!" Seite 204: "auschliesslich" geaendert in "ausschliesslich" Seite 222: "Jhr" geaendert in "Ihr" Seite 256: Anfuehrungszeichen ergaenzt vor "Qualitaet" Seite 269: "uneingegeschraenkte" geaendert in "uneingeschraenkte" Seite 286: "Karrikaturen" geaendert in "Karikaturen" Ungewoehnliche Schreibungen von Eigennamen (etwa "Oklahama", "Sherlok-Holmes") und englischen Begriffen wurden nicht korrigiert. Im Register wurden die Interpunktion vereinheitlicht und einige Eintraege an die alphabetisch korrekte Stelle versetzt. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DICHTER IN DOLLARICA*** CREDITS August 1, 2012 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by Karl Eichwalder, Stefan Cramme, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive/American Libraries.) A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 40391.txt or 40391.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/4/0/3/9/40391/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE _Please read this before you distribute or use this work._ To protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License (available with this file or online at http://www.gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. 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There are a lot of things you can do with Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is in the public domain in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. 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Information about the Mission of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}'s goals and ensuring that the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://www.pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://www.gutenberg.org/fundraising/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. _Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. ***FINIS***